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B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A

 

 

 

 
Carl von Savigny
Beitrag zur Rechtsgeschichte des Adels

 


 






 




58:10
   Dritter Abschnitt.

58:11
   Die neuere Zeit.



58:12
   Die Formen, welche das Adelsrecht seit dem Erlöschen
58:13
des Carolingischen Fürstenhauses nach und
58:14
nach angenommen hat, sind so mannichfaltig und
58:15
verwickelt, daß eine vollständige Darstellung derselben
58:16
die Gränzen dieser Abhandlung weit überschreiten
58:17
würde. Auch ist es meine Absicht, nur diejenigen
58:18
Stücke herauszuheben, worin sich die neuere Zeit an
58:19
die frühere anschließt, und wodurch also zugleich
58:20
unsere Kenntniß des früheren Zustandes ergänzt werden
58:21
kann.

58:22
   Zwei Institute sind es, die von jener Zeit an
58:23
der ganzen Europäischen Welt eine neue Gestalt
58:24
geben, - das Lehenwesen und das Ritterthum.
59:1
Das Lehenwesen gehört zur Entwicklung des
59:2
uralten Systems der Gefolge, die eben so, wie jenes,
59:3
außer und neben dem eigentlichen Staate bestanden.
59:4
Sein unterscheidender Charakter besteht erstlich in
59:5
der Verbindung des freien Dienstes mit Grundbesitz,
59:6
und in der dadurch herbeigeführten festeren Dauer,
59:7
die bald zur Erblichkeit wurde; zweitens in der oft
59:8
sehr weit gehenden Abstufung, worin der Vasall
59:9
wieder als Lehenherr erscheint. Zu beiden Eigenthümlichkeiten
59:10
ist der Anfang schon oben in der früheren
59:11
Fränkischen Zeit nachgewiesen worden; aber es
59:12
bedurfte einer langen Zeit, ehe dieser Anfang zur
59:13
vollen Ausbildung gelangte.

59:14
   Das Ritterthum hat mit der alten Zeit gemein
59:15
die Kriegslust in der Gestalt des freien Abenteuers,
59:16
also ohne nothwendige Verbindung mit dem Staatsverhältniß,
59:17
zugleich auch dieses Kriegshandwerk als
59:18
bleibenden ausschließenden Lebenslauf, im Gegensatz
59:19
friedlicher Gewerbe. Sein unterscheidender Charakter
59:20
besteht theils in einer besonderen Art der Waffenführung,
59:21
theils in der kunstmäßigen Behandlung
59:22
derselben, wodurch wiederum das Ritterthum zu einer
59:23
geschlossenen und gegliederten Zunft wurde.

59:24
   Lehenwesen und Ritterthum waren ihrem Begriff
59:25
nach verschieden, auch im Einzelnen kamen Lehen
59:26
außer dem Ritterstand vor, und Ritter ohne Lehenbesitz.
60:1
Allein die Verbindung beider Verhältnisse
60:2
machte die überwiegende Regel aus, und gerade
60:3
diese Verbindung war es, wodurch beide so wichtig
60:4
wurden.

60:5
   In welchem Verhältniß stehen nun die drei alten
60:6
Nationalstände zu diesen neuen Formen des Germanischen
60:7
Lebens? Bei der Beantwortung dieser Frage
60:8
ist zunächst eine bestimmtere Beschränkung auf Deutschland,
60:9
als bei der bisherigen Untersuchung, nöthig,
60:10
weil sich in jedem der großen Germanischen Reiche
60:11
die Standesverhältnisse auf eigenthümliche Weise
60:12
entwickelt haben.

60:13
   Der Adel erscheint jetzt als Herrenstand, theils
60:14
in den erblichen Besitzern der alten Reichsämter,
60:15
theils in den freien Herren, die zum Besitz solcher
60:16
Aemter nicht gekommen sind. Bei beiden ist der
60:17
Grund ihres Standesrechts die Abstammung von
60:18
einem Geschlecht des Uradels, das allgemeinste und
60:19
sicherste Kennzeichen desselben die erworbene Landeshoheit.
60:20
Die Benennung Nobilis und Edler findet
60:21
sich stets bei den Mitgliedern dieses Standes, und
60:22
lange Zeit ausschließend bei ihnen. In dem Lehensystem
60:23
erscheint dieser Stand regelmäßig als Vasall
60:24
des Reichs, und als Lehenherr von Mitgliedern
61:1
des Ritterstandes, also in ähnlicher Weise, wie der
61:2
Fränkische Antrustio in des Königs Dienst trat,
61:3
aber nicht allein, sondern begleitet von seiner Arimannie.
61:4
Gegen das Ritterthum bildet dieser Stand
61:5
so wenig einen Gegensatz, daß die Mitglieder des
61:6
Adels stets in dasselbe eintreten; ja sogar jeder
61:7
König eines Germanischen Reichs wird als Genosse
61:8
dieser Zunft angesehen, und gilt als solcher für das
61:9
natürliche Haupt der gesammten Ritterschaft seines
61:10
Landes; er verschmäht es nicht, noch als König den
61:11
Ritterschlag zu empfangen, wenn er ihn nicht schon
61:12
vor der Königswürde erhalten hatte.

61:13
   Die Freien der alten Verfassung haben sehr
61:14
verschiedene Schicksale gehabt, und weit mehr Einzelne
61:15
aus diesem Stande sind im Lauf der Zeit von ihrer
61:16
ursprünglichen Stellung in der Nation herabgesetzt
61:17
worden, als dieses bei Mitgliedern des Adels geschehen
61:18
ist. Für unseren Zweck wichtig ist der zahlreiche
61:19
Theil der Freien, welcher sich ganz dem Ritterleben
61:20
hingab, und welcher vorzugsweise als Ritterstand
61:21
erscheint, indem er den Kern desselben bildete.

61:22
   Die Lehengüter, welche die Mitglieder dieser Ritterschaft
61:23
als Vasallen besitzen, und durch ihre unfreien
62:1
Hintersassen benutzen, machen es ihnen möglich, jenem
62:2
Berufe ausschließend zu leben. Ihre eigentliche Benennung
62:3
ist Miles oder Ritter; allmälig aber wird
62:4
auch von ihnen der Ausdruck Nobilis oder Edler
62:5
gebraucht. An diesen Namen knüpft sich dann
62:6
in neuerer Zeit die Ansicht, nach welcher dieser Stand
62:7
als dem Uradel gleichartig betrachtet wird, so daß
62:8
nun Adel als Bezeichnung einer Gattung angesehen
62:9
wird, deren beide Arten in dem hohen Adel (Herrenstand)
62:10
und niederen Adel (Ritterstand) enthalten seyn
62:11
sollen.

62:12
   Die Unfreien endlich dauern in sehr verschiedenen
62:13
Arten und Stufen der Unfreiheit fort. Noch
62:14
weit mehr, als in früherer Zeit, sind sie ein blos
62:15
negativer Bestandtheil des ganzen Rechtszustandes
62:16
der Nation. Aber so sonderbar haben sich jetzt die
62:17
Rechtsbegriffe verwickelt, daß es eine Art der Unfreien
62:18
giebt (die Ministerialen), die dem Ritterstande
62:19
angehören, während sie das Recht der gemeinen Freiheit
62:20
entbehren; allmälig mußte freilich dieser Widerspruch
62:21
des Rechtssatzes gegen das im wirklichen
62:22
Leben herrschende Standesgefühl verschwinden.
62:23
Die drei alten Stände waren in der früheren
63:1
Zeit sichtbar geschieden durch die Höhe des Wehrgeldes,
63:2
und (wenigstens in dem Sächsischen Volksstamm)
63:3
durch die Forderung der Ebenbürtigkeit zu
63:4
der Ehe. Das Wehrgeld verschwand sehr frühe;
63:5
dagegen erscheint in dieser neueren Zeit der Grundsatz
63:6
der Ebenbürtigkeit in großer Ausdehnung.

63:7
   Wir betrachten hier zuerst den Stand der Unfreien.
63:8
Bei diesen hat sich die alte Ausschließung
63:9
von der Ehe mit höheren Ständen in der größten
63:10
Ausdehnung lange erhalten. Eine Folge davon ist,
63:11
daß bei einer ungleichen Ehe dieser Art das Kind
63:12
der ärgeren Hand folgt, also stets unfrei wird, es
63:13
mag blos der Vater oder blos die Mutter unfrei
63:14
seyn. Ferner wird die Ebenbürtigkeit zwar durch
63:15
manche Formen der Freilassung erworben; der in
63:16
anderen Formen Freigelassene dagegen (obgleich nicht
63:17
mehr unfrei) erwirbt sie für sich selbst noch nicht,
63:18
sondern erst für Diejenigen unter seinen Nachkommen,
63:19
welche vier freie Ahnen nachweisen können. Endlich
63:20
entbehrten die Fähigkeit zur Ehe mit Freien auch
63:21
die Ministerialen (ungeachtet ihrer Rittermäßigkeit),
63:22
so lange sie überhaupt noch als Unfreie betrachtet
63:23
werden konnten.

64:1
   Bei dem Adel, der nunmehr als Herrenstand
64:2
bezeichnet wird, erscheint der Grundsatz der Ebenbürtigkeit
64:3
auf die merkwürdigste Weise. Die Ebenbürtigkeit
64:4
besteht allgemein innerhalb der Gränzen dieses
64:5
Standes, ohne Unterschied der großen in ihm
64:6
wahrnehmbaren Verschiedenheit des Ranges, also
64:7
von den ersten Fürsten an bis zu den freien Herren
64:8
von geringem Umfang der Macht und des Ansehens.
64:9
Sie besteht aber nicht zwischen dem Adel und anderen
64:10
Ständen, namentlich auch dem bloßen Ritterstande.
64:11
Manche haben diesen wichtigen, noch heutzutage
64:12
gültigen Grundsatz als eine neuere Erfindung
64:13
zu politischen Zwecken ansehen wollen. Er ist aber
64:14
in der That nur eine Erhaltung des uralten Unterschieds
64:15
der Stände in den Germanischen Volksstämmen,
64:16
und daß er diese Natur hat, folgt theils aus
64:17
der eben bemerkten scharfen, und (abgesehen von
64:18
dieser historischen Begründung) willkürlich erscheinenden
64:19
Begränzung, theils aus der Vergleichung mit
64:20
der ganz verwandten Ebenbürtigkeit, wodurch die
64:21
Unfreien von der Ehe mit höheren Ständen ausgeschlossen
64:22
wurden, und bei welcher noch weit weniger
64:23
die ununterbrochene Herkunft aus dem ältesten Rechtszustand
64:24
bezweifelt werden kann.

65:1
   Bei den Freien im Allgemeinen konnte der
65:2
Grundsatz der Ebenbürtigkeit weniger sichtbar werden,
65:3
weil ihre umfassende Standesgemeinschaft durch
65:4
die höchst verschiedenen Schicksale ihrer einzelnen Bestandtheile
65:5
frühe in Vergessenheit gerieth. Dagegen
65:6
zeigte sich nun in dem aus den Freien hervorgegangenen
65:7
Ritterstand das Bestreben, sich als ein besonderer
65:8
Stand abzuschließen, indem sowohl für die persönliche
65:9
Aufnahme in die Ritterschaft, als für den
65:10
ritterlichen Grundbesitz, eine besondere Herkunft gefordert
65:11
wurde. Anfangs zwar begnügte man sich
65:12
mit dem Nachweis von vier freien Ahnen, welche
65:13
auch sonst schon als Kennzeichen einer unzweifelhaft
65:14
freien Abstammung angesehen worden war. Allmälig
65:15
aber ging man hierin weiter, und forderte auch
65:16
schon in diesen Ahnen den ritterlichen Stand. Dadurch
65:17
wurde der Grundsatz der Ebenbürtigkeit (unter
65:18
dem Namen der Ritterbürtigkeit) auf die Ritterschaft
65:19
anwendbar, und diese wurde dadurch in der That
65:20
ein eigener, nach unten hin geschlossener, Stand, so
65:21
wie es in dem Sinne der uralten Verfassung nur
65:22
von dem Adel und den Freien behauptet werden
65:23
konnte. Eine noch schärfere und wichtigere Anwendung
66:1
wurde diesem Grundsatz gegeben in dem particulären
66:2
Recht vieler einzelnen Corporationen, besonders
66:3
der Domkapitel, worin eine größere Zahl
66:4
von Ahnen (am häufigsten Sechzehn) als Bedingung
66:5
des Zutritts gefordert wurde. Diese Anwendung
66:6
war dadurch besonders wichtig, daß sie dem Ritterstande
66:7
(freilich, ohne den Herrenstand auszuschließen)
66:8
den Besitz fürstlicher Gewalt in einem großen Theile
66:9
von Deutschland sicherte. Allein auch nur in diesen
66:10
particulären Anwendungen hat sich das Recht der
66:11
Ritterschaft als eines geschlossenen Standes bis auf
66:12
ganz neue Zeiten erhalten können; im Allgemeinen
66:13
aber mußte es schon längst aufgegeben werden.

66:14
   Dazu wirkten mehrere Umstände zusammen; ganz entscheidend
66:15
aber war die gänzliche Umwandelung des
66:16
Kriegswesens. Denn von jeher war der Lehenbesitz
66:17
nur die materielle Basis des Ritterstandes, die
66:18
Bedingung der Möglichkeit seines Bestehens. Das
66:19
eigentliche Wesen desselben bestand aber lediglich in
66:20
dem ritterlichen Leben, also in der ausschließenden
66:21
Beschäftigung mit dem ritterlichen Kriegshandwerk.
66:22
Sobald nun durch die Umwandelung des Kriegswesens
66:23
der Ritterdienst zuerst seine Wichtigkeit, dann
66:24
sein Daseyn verlor, war auch dem Ritterstand selbst
66:25
sein eigentliches Element entzogen. Auch ist in ihm
66:26
von dieser Zeit an der allgemeine Anspruch auf
67:1
Ebenbürtigkeit (also abgesehen von den erwähnten
67:2
particulären Rechtsbestimmungen) immer mehr verschwunden.
67:3
Die Erinnerung des alten Zustandes
67:4
aber lebt fort in der überwiegenden Hinneigung des
67:5
Ritteradels zum Kriegsdienst.

67:6
   Zwei Folgerungen sollen an diese historische
67:7
Zusammenstellung angeknüpft werden. Zuerst ist der
67:8
Grundsatz der Ebenbürtigkeit in dem Herrenstande
67:9
(oder dem Uradel) und dem Stande der Unfreien
67:10
im ununterbrochenen Zusammenhang mit dem Urzustande
67:11
der Germanischen Völker (bei dem Adel
67:12
wenigstens für den Sächsischen Stamm, bei den
67:13
Unfreien allgemein) nachgewiesen worden, verschieden
67:14
von der gleichnamigen, aber zufälligen, neueren, und
67:15
vorübergehenden Ebenbürtigkeit des Ritterstandes.

67:16
   Nun ist unser Herrenstand vom Mittelalter her in
67:17
ganz Deutschland mit überall gleichen Rechten zu
67:18
finden, und auch der persönlichen Abstammung nach
67:19
gehört er zuverlässig sehr verschiedenen Germanischen
67:20
Volksstämmen an. Dadurch sind wir berechtigt, den
67:21
Grundsatz der Ebenbürtigkeit auch in der älteren
67:22
Zeit als einen allgemeinen Grundsatz der Germanischen
67:23
Völker anzusehen. Es ist also ganz zufällig, daß
67:24
wir darüber gerade nur bei den Sachsen ein altes
67:25
Zeugniß aufweisen können, und auch dieses Zeugniß
67:26
findet sich ja selbst bei den Sachsen nur bei
68:1
Geschichtschreibern, nicht in den Gesetzen. - Zweitens
68:2
ergiebt sich aus dieser Zusammenstellung die Unhaltbarkeit
68:3
der Ansicht, welche in der Benennung des
68:4
hohen und niederen Adels ausgedrückt ist, und
68:5
nach welcher beide Classen als verschiedene Stufen
68:6
eines und desselben Hauptstandes angesehen werden.
68:7
Beide haben allerdings mit einander gemein das
68:8
allgemeine und unbestimmte Merkmal einer mit Vorzügen
68:9
versehenen Classe; ferner das Kriegshandwerk
68:10
als Lebensberuf, welches in dem (beide Stände
68:11
umfassenden) Ritterthum eine feste Gestalt angenommen
68:12
hatte. An diesen gemeinsamen Beruf
68:13
knüpfte sich natürlich Gemeinschaft der Sitten, des
68:14
Lebens, des Umgangs. Endlich war auch die Art
68:15
des Landbesitzes bei ihnen zwar nicht gleich, aber
68:16
doch ähnlich. Dagegen waren sie von Grund aus
68:17
verschieden in der Entstehung, sowohl dieser Stände
68:18
im Allgemeinen, als des Standesrechts für jedes
68:19
einzelne Geschlecht; ferner in der gegen andere Classen
68:20
abgeschlossenen Natur, die dem alten Nationaladel
68:21
von jeher eigen war, von dem Ritteradel aber zwar
68:22
gesucht, jedoch niemals dauernd erreicht worden ist.
68:23
Was am meisten dazu beigetragen haben mag, sie
68:24
als verwandt und gleichartig anzusehen, war wohl
68:25
der gemeinschaftliche Genuß so wichtiger Vorrechte,
68:26
wie des Eintritts in die Domstifter. Da jedoch seit
69:1
sehr langer Zeit der Name des Adels bei dem
69:2
Ritterstande nicht nur allgemein, sondern sogar fast
69:3
ausschließend üblich ist, so wäre es wünschenswerth,
69:4
daß wenigstens in wissenschaftlichen Untersuchungen
69:5
der Ausdruck Ritteradel gebraucht würde, der
69:6
gegen jedes historische Mißverständnis sichert.

69:7
   Die Annahme dieser zwei neben einander stehenden
69:8
ganz ungleichartigen Stände läßt sich noch durch
69:9
eine Parallele aus dem Römischen Alterthum erläutern.
69:10
Die Patricier waren ursprünglich kein
69:11
Adel, sondern die Bügerschaft des ältesten Staats.
69:12
Als dieser Staat Eroberungen machte, hatte jene
69:13
Bürgerschaft Unterthanen ohne politische Rechte unter
69:14
dem Namen Plebejer. Die Plebejer wurden zahlreicher
69:15
und mächtiger; bald beruhte auf ihnen die
69:16
Hauptkraft des Staates, und so bekamen sie großen
69:17
Antheil an den politischen Rechten. Jetzt bildeten
69:18
ihnen gegenüber die Partricier in der erweiterten
69:19
Gemeinschaft einen Adel, und zwar einen fest geschlossenen
69:20
Erbadel. Bald verlor dieser Erbadel
69:21
fast alle politischen Vorrechte, ganz neue Gegensätze
69:22
und Interessen erzeugten sich, und so bildete sich
69:23
eine große aristokratische Körperschaft, die Optimaten,
70:1
deren Mittelpunkt der Senat war, welche man nun
70:2
als den herrschenden Adel betrachten konnte, und in
70:3
welchen unter andern auch die meisten patricischen
70:4
Geschlechter enthalten waren. Diese Optimaten bildeten
70:5
auf keine Weise einen geschlossenen Stand,
70:6
und der Begriff derselben stand gewissermaaßen in
70:7
der Mitte zwischen einem Stande und einer politischen
70:8
Partei in dem Sinne, wie sie in England
70:9
vorkommen. Wollte man nun die Patricier und
70:10
die Optimaten als zwei coordinirte Classen des Adels
70:11
betrachten, so wäre Dieses eben so unrichtig, als es
70:12
oben von unserm hohen und niedern Adel bemerkt
70:13
worden ist.

70:14
   Zum Schluß soll noch eine Vergleichung der
70:15
deutschen Standesverhältnisse, wie sie sich im zwölften
70:16
und dreizehnten Jahrhundert zeigen, mit den gleichzeitigen
70:17
Verhältnissen von Italien angestellt werden.

70:18
   In Italien finden sich genau dieselben Abstufungen,
70:19
wie in Deutschland: Fürsten, die ein Reichsamt vom
70:20
König zu Lehen tragen, Capitanei als Lehenträger
70:21
der Fürsten, Valvassores in zwei Abstufungen, als
71:1
Lehenträger der Capitanei. Die Fürsten der
71:2
älteren Zeit sind dort frühe verschwunden. Die
71:3
Capitanei und Valvassores sind durch die übermächtigen
71:4
Städte gezwungen worden, in ihnen das
71:5
Bürgerrecht anzunehmen, wo sie nun an die Spitze
71:6
der Geschäfte traten. Das sie hier als zwei scharf
71:7
getrennte Classen erscheinen, und zwar oft, lange
71:8
Zeit hindurch, und gleichmäßig in vielen Städten,
71:9
so wie in dem geschriebenen Lehenrecht, so nehme
71:10
ich keinen Anstand, die Capitanei für die freien
71:11
Herren zu halten, in welchen (neben den Fürsten)
71:12
der alte Uradel fortlebte, die Valvassores aber für
71:13
den in Italien, wie im übrigen Europa, neu entstandenen
71:14
Ritteradel. Eine unbefangene Vergleichung
71:15
der Heerschilde in den Deutschen Rechtsbüchern mit
71:16
jenen Classen des Longobardischen Königreichs
71:17
scheint mir Dieses außer Zweifel zu setzen; in beiden
71:18
Ländern freilich erscheinen diese Classen zunächst nur
71:19
als Glieder des großen Feudalgebäudes, welches
71:20
damals alle öffentlichen Verhältnisse in sich schloß.
71:21
Eben so ist unverkennbar die Aehnlichkeit der Capitanei
71:22
mit den Fränkischen Antrustionen; die Aehnlichkeit
71:23
liegt darin, daß beide ein Gefolge von freien
71:24
Leuten führen, die Verschiedenheit darin, daß die
72:1
Antrustionen unmittelbar unter dem König stehen,
72:2
die Capitanei nur mittelbar. - Nach dieser Annahme
72:3
sind die Capitanei die alten Edelinge, oder
72:4
die Primi in dem Gesetz von Liutprand, und es
72:5
liegt dann in ihrem Daseyn eine späte Bestätigung
72:6
für die Annahme eines fortdauernden Germanischen
72:7
Uradels auch unter den Longobarden.

72:8
Freilich die ferneren Schicksale dieser Stände
72:9
waren in beiden Ländern höchst verschieden. In
72:10
Deutschland bildete schon damals der Herrenstand
72:11
seine Landeshoheit aus. In Italien verschwinden
72:12
die erblichen Reichsbeamten, und der Herrenstand
72:13
zieht nebst dem Ritteradel in die Städte. Nachdem
72:14
er hier eine Zeit lang geherrscht hatte, wird er
72:15
unterdrückt und verfolgt. Die monarchischen Gewalten,
72:16
die sich nun in vielen Städten bilden, haben
72:17
keine Aehnlichkeit mit der Deutschen Landeshoheit,
72:18
indem sie nur aus einer unbändigen Demokratie
72:19
hervorgehen. Zugleich bilden sich zwei große Factionen,
72:20
die ganz Italien durchdringen und verwirren,
72:21
und in welchen die alten Gränzen der Stände
72:22
gänzlich zurücktreten.

72:23
   Eine gleiche Analogie und Verschiedenheit in der
72:24
Entwickelung der Standesverhältnisse würde sich
73:1
vielleicht auch in Frankreich nachweisen lassen. Allein
73:2
hier haben bis jetzt die späteren Schicksale der
73:3
Monarchie, neu erwachsen aus dem allmäligen Untergang
73:4
der Herzogthümer und großen Grafschaften,
73:5
Alles verdeckt, und eine kritische Geschichte der einzelnen
73:6
edlen und ritterlichen Geschlechter müßte erst
73:7
eine ganz neue Grundlage der Untersuchung bilden.
 
 
 
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