BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Dorothea Schlegel

1763 - 1839

 

Die Geschichte des Zauberers Merlin

 

1804

 

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Fünftes Kapitel.

 

Als nun der Tag anbrach, an welchem sie hingerichtet werden sollte, begaben die Richter sich an den Thurm und ließen die Mutter mit den beyden Weibern zu sich herab kommen. Die Mutter trug das Kind auf ihrem Arm. In diesem Augenblick eilte der fromme Einsiedler herzu. Als die Richter ihn gewahr wurden, sagten sie der Jungfrau, sie solle sich zum Tode bereiten, denn sie müsse sterben. Erlaubt, sagte sie, daß ich mit diesem frommen Mann in Geheim spreche. Die Richter erlaubten es ihr, und sie ging mit ihm in ein besonderes [34] Zimmer, das Kind aber ließ sie draußen bey den Richtern. Sie versuchten allerley um ihn zu bewegen, daß er sprechen solle, aber er kümmerte sich nicht um sie, und sprach kein Wort.

Als nun die Mutter dem frommen Einsiedler gebeichtet und unter heißen Thränen mit ihm gebetet hatte, ging er wieder hinaus zu den Richtern, sie aber zog ihre Kleider aus, und hüllte sich bloß in einen Mantel, weil sie glaubte, zum Tode geführt zu werden. Darauf ging sie wieder hinaus; als sie die Thüre öffnete, lief das Kind auf sie zu, sie nahm es auf den Arm, und trat zu den Richtern. Gute Frau, sagten die Richter, jetzt gesteht, wer Vater zu Eurem Kinde ist, und gedenkt nicht länger zu läugnen, oder uns etwas verbergen zu wollen. Darauf antwortete sie: Gestrenge Herren, ich weiß es sehr wohl, daß ich schon jetzt zur Todesstrafe verurtheilt bin, und so möge Gott sich meiner nicht erbarmen, noch mir Gnade erzeigen, wenn es nicht die Wahrheit ist, daß ich niemals einen Mann erkannt habe, und auch von keinem Mann auf Erden weiß, noch in [35] irgend einer Gemeinschaft mit irgend einem gelebt habe. Ihr seyd zum Tode verdammt, riefen hierauf die Richter, denn nach den Zeugniß aller andern Frauen ist es unmöglich wie Ihr sagt, und es ist weder Sinn noch Wahrheit in Eurer Aussage. Da sprang das Kind Merlin seiner erschrockenen Mutter vom Arm, und sagte: Fürchte dich nicht Mutter, du sollst nicht sterben, so lange ich lebe. Dann wandte er sich zum obersten Richter: Du hast sie verurtheilt lebendig verbrannt zu werden, aber dafür werde ich sie wohl behüten, denn keinesweges hat sie solches verdient.

 

 

Geschähe allen den hier gegenwärtigen Männern und Frauen Recht, die heimlich sündigten, und mit andern als mit ihren Eheherren, und ihren Ehefrauen lebten, so würden sie von beyden Theilen verbrannt werden müssen. Ich weiß ihre heimliche Thaten, so gut als sie sie selber wissen; wollte ich sie nennen, so müßten sie sich hier in Eurer Gegenwart alles dessen schuldig bekennen, wessen ihr meine Mutter beschuldigt, die in Wahrheit niemals schuldig war. Dieser [36] fromme Mann hier ist auch so davon überzeugt, daß er vor Gott ihre Schuld auf sich lud. Ja, sagte der Einsiedler, es ist wahr, sie hat mir gebeichtet, und ich habe sie ihrer Sünde ledig gesprochen. Sie selber hat Euch auch gestanden, wie sie im Schlafe und ohne Schuld betrogen worden. Da aber vorher noch nie ein solches Wunder ist gehört worden, so wird auch mir solches zu glauben sehr schwer. Ihr habt, sagte das Kind zum Einsiedler, die Stunde und den Tag aufgeschrieben, an welchem sie zu Euch kam und Euch ihren Fall beichtete, jetzt dürft ihr nur nachsehen, ob es mit dem, was sie jetzt spricht, übereintrift. Du sprichst die Wahrheit, antwortete der Einsiedler, du weißt auch wahrlich mehr als wir andern alle. Hierauf sagten die beiden Weiber, die mit ihr im Thurme gesessen hatten, die Stunde und den Tag aus, nach welcher sie, wie sie vorgegeben, betrogen worden, und diese stimmte genau mit der zusammen, welche der Einsiedler aufgeschrieben hatte. Dieß alles spricht sie nicht los, sagte der Richter, sie muß [37] durchaus den Vater des Kindes nennen, damit wir ihn bestrafen können.

Da rief das Kind Merlin ganz erzürnt und heftig: Herr, ich kenne meinen Vater besser, als Ihr den Eurigen; Ihr wißt nicht, wer Euer Vater ist, aber Eure Mutter weiß genauer, wer Euch gezeugt hat, als meine Mutter weiß, wer mich erzeugte. Da rief der Richter ergrimmt: weißt du etwas über meine Mutter zu sagen, so sprich! Ja, antwortete das Kind, wenn Ihr über Eure Mutter eben so wollt Gericht halten, denn sie hat viel eher den Tod verdient, als meine Mutter! Wenn ich Euch etwas über Eure Mutter sagen werde, das sie eingestehen wird, werdet Ihr alsdenn meine Mutter lossprechen? denn ich sage Euch noch einmal, sie ist unschuldig und hat den Tod nicht verdient; sie kennt wirklich den, der mich erzeugt hat, nicht. Der Richter, voll Zorn, seine Mutter vor allem Volke so geschmäht zu sehen, sagte: Kannst du das thun, wessen du dich berühmt, so soll deine Mutter frey seyn; aber wisse, wenn du etwas sagt über meine [38] Mutter, das nicht die Wahrheit ist, und sie es nicht bezeugt, so wirst du sammt deiner Mutter verbrannt. So sende hin, und laß deine Mutter herholen, sagte Merlin.

Der Richter sandte hin; Mutter und Kind wurden wieder ins Gefängniß geführt und genau bewacht, nach fünf Tagen sollten sie wieder vor Gericht erscheinen; der Richter selber war unter den Wächtern. Oft wurde nun während dieser Zeit das Kind von seiner Mutter sowohl als von andern ausgefragt, und versucht, ihn zum sprechen zu bringen; aber es war umsonst, es redete nicht ein einziges Wort bis am fünften Tage, da die Mutter des Richters anlangte. Hier ist nun meine Mutter, sagte er zum Knaben Merlin, von welcher du so vieles sagtest, jetzt komm her und sprich; sie wird dir auf alles, was du willst, antworten. Sogleich antwortete Merlin und sagte: Es ist nicht vernünftig von Euch, daß Ihr nicht zuerst mit Eurer Mutter in Geheim redet, und sie selber befragt, geht und schließt Euch erst mit ihr ein, mit Euren vertrautesten [39] Räthen: so wie auch ich die Räthe meiner Mutter befragen will, diese sind keine andern als der allwissende Gott und der fromme Einsiedler. Alle Anwesende erschracken, als sie das Kind mit so vieler Weisheit reden hörten, und der Richter sah wohl ein, daß er recht geredet hatte. Darauf fragte das Kind noch einmal die Richter und alle Anwesende: wenn ich meine Mutter diesesmal von der gedrohten Strafe und Schande errette, wird sie dann auch auf immer frey seyn, und keiner ihr weiter etwas anhaben? Sie soll frey ausgehen, antworteten alle, und in Ruhe bleiben. Darauf entfernte sich der Richter mit seiner Mutter, die Räthe und Anverwandte folgten ihm, und sie blieben die ganze Nacht hindurch in ein besonderes Zimmer eingeschlossen. Den andern Morgen ließ der Richter den Merlin ins Geheim zu sich kommen: was wollt Ihr von mir? fragte Merlin. Höre, sagte der Richter, wenn du eingestehen willst, daß du nichts von meiner Mutter zu sagen weißt, so soll deine Mutter frey seyn; doch mir ins Geheim [40] mußt du alles erzählen, was du weißt. Hat deine Mutter nichts verbrochen, sagte Merlin, so werde ich nichts von ihr zu sagen haben, denn ich will weder meine Mutter noch sonst jemand gegen Recht und Gerechtigkeit vertheidigen. Meine Mutter hat nie die Strafe verdient, die ihr zuerkannt worden ist von Euch, ich will nichts, als daß ihr Recht geschehe. Folgt mir, laßt sie frey, und wir wollen niemals mehr von dieser Sache, als einer sehr verdrüßlichen und verwickelten Sache reden; es soll dann von Eurer Mutter gar nicht mehr die Rede seyn. So kommst du nicht davon, sagte der Richter, du mußt uns noch ganz andere Dinge entdecken, wenn du deine Mutter befreyen willst; und wir sind hier dazu versammelt, sie von dir zu vernehmen. Da antwortete das Kind und sprach: Ich sage Euch, meine Mutter weiß es nicht, wer mich erzeugte, doch weiß ich es, und kenne meinen Vater sehr wohl. Ihr aber kennt nicht den, der Euch erzeugte, obgleich Eure Mutter ihn sehr wohl kennt. Wenn sie die Wahrheit reden [41] wollte, so könnte sie Euch sagen, wessen Sohn Ihr eigentlich seyd; meine Mutter aber kann Euch nicht sagen, wer mich erzeugte, denn sie weiß es nicht. Werthe Mutter, sagte der Richter, indem er sich zu ihr wandte, bin ich denn nicht der Sohn Eures Ehrenwerthen Gemahls und Herrn? O Gott, mein lieber Sohn! antwortete die Mutter, wessen Sohn könntest du wohl seyn, als der meines theuren Eheherrn, der gestorben ist, Gott sey seiner Seele gnädig. Hierauf sagte Merlin, ich werde mich sicher nur an die Wahrheit halten; wird Euer Sohn mich und meine Mutter losgeben, so sage ich nicht ein Wort, will er aber nicht, so werde ich alles entdecken, sowohl was vorhergegangen, als was nachher geschehen. Ich will nun, rief der Richter, daß du alles saget, was du über diese Sache weißt. Besinne dich wohl, sagte Merlin, was du thut, denn Dein Vater, den ich Dir nennen werde, lebt noch, und soll meine Aussage selber bezeugen. Da die Räthe ihn so reden hörten, riefen sie Wunder, und machten ein Kreuz über [42] sich. Nun Dame, sagte Merlin zur Mutter des Richters, bekennt eurem Sohn die Wahrheit, und sagt ihm, wer sein Vater ist, denn ich weiß, wer er ist, und wo er anzutreffen ist. Du Satan, Teufel aus der Hölle, fing die Dame an, habe ich es dir nicht schon einmal gesagt? – Ey, erwiederte ihr Merlin, ihr wißt es gar wohl, daß er nicht der Sohn des Mannes ist, den er bis jetzt für seinen Vater gehalten. – Nun, wessen Sohn ist er denn? frug die Dame ganz bestürzt. – Er ist eures Beichtvaters Sohn, und das wißt ihr selber recht sehr wohl, denn ihr selber sagtet ihm, nachdem er das erstemal bey Euch gewesen war, ihr fürchtetet schwanger von ihm zu seyn. Er sagte darauf, es könnte nicht seyn, schrieb sich aber den Tag und die Stunde auf, in welcher er euch beygewohnt hatte, damit ihr ihn nicht betrügen und mit andern zu thun haben könntet, denn damals war euer Herr und Gemahl unzufrieden mit euch, und ihr lebtet lange Zeit in Zwist mit ihm. Als ihr euch aber schwanger fühltet, eiltet ihr euch mit ihm zu [43] versöhnen, wozu der Beichtvater euch verhalf. Ist es nicht so? Sagt nein, wenn ihr dürft, denn wenn ihr es nicht gesteht, so will ich es den Beichtvater selber gestehen lassen. – Der Richter gerieth in großen Zorn, als er Merlin so mit seiner Mutter reden hörte, und fragte sie, ob es wahrsey? Die Mutter war ganz erschrocken, und sagte, o Gott willst du, mein lieber Sohn, diesen Erbfeinde glauben? – Werdet ihr nicht so gleich die Wahrheit eingestehen, sagte Merlin, so will ich noch andre Dinge sagen, die euch auch bekannt sind. Die Dame schwieg, und Merlin fing wieder an; nachdem ihr euch mit Hülfe des Beichtvaters mit eurem Eheherrn ausgesöhnt hattet, so daß er mit euch wieder lebte, und euren Sohn, mit dem ihr schwanger waret, für den seinigen halten konnte, und auch wirklich dafür hielt, so wie alle die andern Personen, die euch kannten, habt ihr das Verständniß mit dem Beichtvater, und euer Leben mit ihm fortgeführt, und noch jetzt, noch täglich lebt ihr mit ihm in Vertraulichkeit. Den Morgen noch ehe ihr [44] hieher reistet, hat er euch umarmt, hat euch eine gute Strecke weit begleitet, und beym Abschied sagte er lachend; "Gnädige Frau thut ja alles, was euer Sohn von euch begehrt, und was er wünscht." Denn er weiß wohl, daß er für seinen eignen Sohn redete.

Die Dame ängstete sich, und erschrack sehr, als das Kind dieß erzählte, denn sie fürchtete sich, nun statt der andern verurtheilt zu werden. Da redete der Richter sie an und sagte: Geliebte Mutter, wer auch mein Vater seyn mag, so bleibe ich doch immer euer Sohn, und werde euch als meine Mutter behandeln. So erbarme dich meiner um Gotteswillen, mein lieber Sohn, rief die Dame, denn ich kann dir die Wahrheit nicht länger verbergen, dieß Kind weiß alles, und es hat die lautere Wahrheit erzählt. Ey, sagte der Richter, er hat es mir wohl gesagt, daß er meinen Vater besser kenne als ich; ich kann also von Rechtswegen seine Mutter nicht verurtheilen, weil ich die meinige nicht bestrafe. Ich bitte dich Merlin, fuhr er fort, im Namen Gottes, und um deiner, [45] und deiner Mutter Ehre willen, nenne mir deinen Vater, damit ich deine Mutter vor dem Volke rechtfertigen kann. – Gerne will ich ihn dir entdecken, antwortete Merlin, viel lieber freywillig als gezwungen. So wisse denn, ich bin der Sohn des Teufels, der meine Mutter durch List hinterging, und sie während sie schlief, bezwang, so daß sie von ihm mit mir schwanger ward. Wisse auch, daß ich seine Macht besitze, sein Gedächtniß und seinen Geist, wodurch mir denn alle geschehene Dinge, und alles was gesprochen ward, bekannt ist, daher ich auch alles das weiß, was deine Mutter gethan hat. Weil aber meine Mutter gleich gebeichtet, mit Leib und Seele Buße gethan, und die Absolution ihrer Sünden von dem frommen Einsiedler empfangen hatte, so hat Gott um meiner Mutter willen mir die Gabe verliehen, daß ich die Zukunft und die Gegenwart weiß, so daß ich mehr Macht, und höhere Gaben besitze, als sonst die Menschen von der Natur empfangen. Auch wirst du über ein Kurzes von allem, was ich sagte, überzeugt [46] werden. – Wie das? fragte der Richter. Da nahm ihn Merlin bey Seite und sagte ihm heimlich: Deine Mutter wird dem, der dich erzeugte, alles wieder erzählen was hier vorgegangen; drauf wird er aus Furcht vor dir entfliehen, und der böse Geist, der noch immer viel Gewalt über ihn hat, wird ihn zu einem Fluß treiben, da wird er sich hinein stürzen und sich ertränken. Du wirst also erfahren, ob ich nicht alles Zukünftige weiß. Wenn dieß wirklich geschieht, sagte der Richter, so sollst du und deine Mutter auf immer von aller Verantwortung frey seyn.

Hierauf kamen Merlin, der Richter, seine Mutter, und alle seine Räthe heraus zum Volke; und der Richter sprach laut und vernehmlich, so daß ihn jeder verstehen konnte : Hört mich, Ihr Männer und Mitbürger, ich hatte die Mutter des Knaben Merlin fälschlich und ohne Recht verurtheilt; durch eine große Weisheit und Wissenschaft aber hat er mir die wahren Begebenheiten seiner Mutter entdeckt, und sie dadurch von der Todesstrafe [47] befreit. Wegen der Weisheit, und der Schuldlosigkeit des Knaben also, habe ich seine Mutter freigesprochen; auch befehle ich hiemit , daß man die Mutter sowohl als ihren Knaben auf immer in Frieden lasse und verbiete bey harter Strafe, einem jeden unter euch, ihnen etwas zu Leide zu thun oder sie zur Verantwortung zu ziehen, denn meiner Einsicht nach wird man niemals einen weisern Menschen als diesen sehen. Das versammelte Volk rief einstimmig, Gott sey Lob und Dank! Denn die Mutter war beliebt beym ganzen Volke, und sie hatten sie wegen ihres Unglücks sehr beklagt.

Der Richter schickte hierauf seine Mutter wieder zurück und zwei Frauen zu ihrer Begleitung, denen er heimlich Befehl gegeben, auf alles genau Acht zu geben, und ihm wieder zu sagen, was bey seiner Mutter geschehen würde. Sobald sie bey sich angelangt war, ließ sie den Beichtvater holen, und erzählte ihm Wort für Wort, was sich bey ihrem Sohn zugetragen, und alles was Merlin gesprochen [48] hatte. Darüber entsetzte sich der Beichtvater gewaltig, und konnte kein Wort hervorbringen. Er ging auch sogleich, ohne Abschied von ihr zu nehmen, aus der Stadt hinaus, und gerade nach dem Fluß hin, denn er dachte, geblendet vom Satan und verzweifelnd, der Richter würde ihn gefangen nehmen und schimpflich hinrichten lassen. Er zog es also vor, sich selber den Tod zu geben, stürzte sich in den Fluß und ertrank. Als der Richter dieß von den beyden Weibern erfuhr, war er erstaunt, ging auch sogleich zu Merlin, und sagte ihm, er habe wahr gesagt. Ich lüge niemals, erwiederte ihm Merlin, aber ich bitte dich, gehe zu dem frommen Einsiedler Meister Blasius und theile ihm diese Nachricht mit. Der Richter that es sogleich, worauf Merlin, seine Mutter, und ihr Beichtvater Meister Blasius sich in Frieden zurück begaben nach ihrer Behausung.

 

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