BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Dorothea Schlegel

1763 - 1839

 

Die Geschichte des Zauberers Merlin

 

1804

 

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Vierzehntes Kapitel.

 

Vortigern aber ließ gleich, nachdem Merlin ihm die Ankunft der Söhne des Constans prophezeiet, durch sein ganzes Reich ausrufen, daß ein jeder sich und seine Waffen auf den Tag über drey Monde bereithalte; versammelte alsdann alle Gewapneten, und ließ sie nach dem Hafen von Winchester ziehen, um ihn zu vertheidigen, sagte ihnen aber nicht, gegen wen sie diesen Hafen vertheidigen sollten, auch nicht, warum sie versammelt und in Waffen wären; niemand wußte es, als die in seinem Rathe saßen. [102]

König Vortigern ging selber mit seinem Heer an den Hafen, und an demselben Tag, den Merlin ihm vorhergesagt, erblickte er im Meere die Flaggen der Schiffe, auf welchen die Prinzen waren; sogleich gab er Befehl, daß ein jeder sich rüste und den Hafen vertheidige. Die Söhne des Constans landeten im Hafen, nicht fern von einem Thurm, den sie hernach belagerten; da aber die, welche den Hafen bewachen sollten, die Standarten und Flaggen in der Sonne leuchten sahen, und das Wappen des Königs Constans darauf erblickten, waren sie so erstaunt darüber, daß sie sich nicht vertheidigten, und so lief das erste Schiff, worauf die Söhne des Constans sich befanden, glücklich in den Hafen; und als diese nun aus den Schiffen ans Land stiegen, fragten jene sie, wem denn diese Schiffe, diese Standarten und Flaggen zugehörten? – Pendragon und Uter, die Söhne des Königs Constans, sind wir, antworteten sie; Aurelius Ambrosius ist mit uns, wir kommen dieses Land wieder zu erobern, das uns eigenthümlich zugehört, und welches der falsche [103] verrätherische Vortigern uns zurückhält, der unsern Bruder höchst ungerecht hat ermorden lassen. Nun kommen wir, unser Recht von ihm zu fordern. – Da nun die im Hafen vernahmen, daß es die Söhne des Constans wären, wollten sie nicht gegen sie fechten, bedachten auch, wie es ihnen wohl Schaden bringen könnte, da jener Macht viel stärker war, als die ihrige; sie gingen zu Vortigern und verkündeten es ihm. Da nun Vortigern sah und erfuhr, daß die meisten seiner Leute ihn verließen und zu den Prinzen übergingen, überfiel ihn eine Angst, und er befahl seinen treuesten Männern den Thurm zu besetzen, welches auch geschah. Nun liefen die übrigen Schiffe in den Hafen ein, und die Ritter und die andern, die darin waren, stiegen ans Land. Da nun die Herren des Landes sahen, daß es ihre Fürsten waren, gegen welche sie kämpfen sollten, seufzten sie im Herzen, wollten sich auch nicht gegen sie vertheidigen; sondern die meisten unter ihnen gingen zu ihnen über, und waren erfreut, sie wieder zu sehen, wurden [104] auch von Pendragon, und von Uter, seinem Bruder, mit Freuden aufgenommen; und nun gingen sie alle zusammen, den Thurm zu belagern, in welchen Vortigern und seine treuen Anhänger sich verschanzt hatten. Sie vertheidigten sich mit aller Macht gegen die Angreifenden, und thaten ihnen mit häufigen Ausfällen und tapferer Gegenwehr vielen Schaden.

 

Die Angreifer legen Feuer, wobei auch Vortigern umkommt

 

Da endlich Aurelius einsah, daß er den Thurm nicht mit dem Schwerdt erobern konnte, ließ er Feuer herum anlegen, und verbrannte den Thurm, nebst allen, die darin waren, worunter auch Vortigern war, der so mit verbrennen mußte, wie Merlin es vorher gesagt. Nachher kamen alle und ergaben sich dem Pendragon und seinem Bruder Uter, als ihren rechtmäßigen Herren, halfen ihnen auch das ganze Land wieder erobern, denn Hangius und seine Heiden hielten noch die meisten Städte und festen Plätze. Das Volk aber war voller Freuden, seine rechtmäßigen Herren zu sehen, und aus allen Orten kamen sie ihnen entgegen, und empfingen sie mit großer Freude und vieler [105] Ehre. Nunmehr ließ Aurelius Ambrosius, Pendragon, den ältesten Sohn des Königs Constans, zum Könige krönen, und ihm von allen Edeln des Landes huldigen und Treue schwören, und so hatte Aurelius den König Pendragon, und seinen Bruder Uter, wohl zum Ziele geleitet.

 

Vortigerns Männer ergeben sich und überbringen den Schlüssel der Burg

 

Hangius aber hielt mit seinen Heiden noch immer viele feste Plätze, und that dem Lande vielen Schaden. Da versammelte König Pendragon den geheimen Rath und die Edeln des Landes, und befragte sie, wie man sich von diesen Heiden wohl befreyen möchte? Es waren noch einige von den Räthen, die sich des Merlin erinnerten, und wie dieser dem Vortigern mit solcher Weisheit gerathen, und alles vorher gesagt hatte; sie erzählten also dem Könige Pendragon alle die Wunder, die sie von Merlin hatten verrichten sehen, und sagten ihm, wenn er diesen fragen könnte, würde er gewiß die beste und weiseste Antwort auf seine Frage erhalten; denn Merlin, sagten sie, ist sicher der weiseste Mensch in der Welt. Und [106] wo soll ich ihn aufsuchen lassen? fragte Pendragon. Er muß noch im Lande seyn, sagten sie, denn es ist noch nicht lange, daß er von Vortigern weg ging. Der König schickte sogleich Boten aus im ganzen Lande, mit dem Befehl, nicht eher zurückzukommen, bis sie den Merlin gefunden. Man wisse, daß Merlin, so bald der König diesen Befehl gegeben, es sogleich wußte, und zum Meister Blasius sagte: er müsse sich sogleich nach einer nicht weit abliegenden Stadt begeben, sagte ihm aber nicht die Ursache davon; er aber wußte sehr wohl, daß er daselbst die Boten des Königs Pendragon treffen würde, die ihn zu suchen ausgingen.

 

Merlin und die Boten des Königs Pendragon

 

Unterweges nahm er die Gestalt eines alten Hirten an; an seinem Hals hing eine große Keule, ohne Schuhe an seinen Füßen, ein altes ganz zerrissenes Kleid um ihn herhängend, auch trug er einen langen ganz struppigten Bart. So kam er in die Stadt und in das Wirthshaus an, wo die Boten saßen, er fand sie gerade beym Mittagsessen. Die Boten, als sie ihn hereinkommen sahen, sagten, seht, [107] das ist ein wilder Mann. Merlin aber sah sie an, und sagte: Ihr Herren Abgesandten seyd eben nicht sehr bekümmert, Eure Botschaft auszurichten; Ihr bringet Eure Zeit sehr gut mit Essen und Trinken zu, sucht aber den Merlin nicht. Wäre es mir aufgetragen ihn zu suchen, so wie Euch, ich würde ihn besser zu finden wissen. – Da erhoben sich die Boten von ihren Sitzen, redeten ihn an, und fragten ihn, ob er wisse, wo Merlin sey, und ob er ihn gesehen habe? – Ja, wahrlich ich kenne ihn und weiß auch, wo er sich verbirgt. Er selber sagte mir, daß Ihr ihn zu holen gekommen seyd, daß er aber nicht mit Euch gehen würde, wenn Ihr ihn auch wirklich fändet, daß Ihr aber dem Könige sagen solltet, er würde die Schlösser nie erobern, so lange Hangius noch lebe. Wisset auch, daß von denen, die dem Könige riethen, Merlin holen zu lassen, nur noch einer im Lager des Königs ist. Es sind überhaupt nur noch drey vom großen Rath des Königs am Leben, diesen und dem Könige selbst dürft Ihr sagen: daß, wenn sie selber [108] herkommen wollen den Merlin zu suchen, werden sie ihn im Felde das Vieh hütend finden. Kommt der König aber nicht selber, so wird er gar nicht gefunden.

Die Boten sahen erstaunt einander an, und wußten vor Erstaunen nicht, was sie sagen sollten; als sie sich wieder umsahen, und den Mann mit ihren Augen suchten, um ferner mit ihm zu reden, war er nicht mehr da, und sie wußten nicht, wo er hingekommen war. Laßt uns gehen, sagten sie, und dem Könige diese merkwürdige Geschichte erzählen.

 

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