BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Dorothea Schlegel

1763 - 1839

 

Die Geschichte des Zauberers Merlin

 

1804

 

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Sechszehntes Kapitel.

 

Merlin beurlaubte sich hierauf vom König Pendragon und seinem Bruder Uter, und ging nach Großbritannien, wo er lange blieb, ehe er wieder kam. Unterdessen führten Pendragon und Uter beständig den Krieg gegen die Heiden, die sich sehr im Lande vermehrt hatten, fanden aber kein Mittel sie aus dem Lande zu vertreiben, bis nach vier Monaten [124] Merlin wieder kam. Die alten Räthe des Königs Vortigern, als sie den Merlin sahen, waren dessen sehr froh, und meldeten ihn dem Könige Pendragon; sie wußten nicht, daß dieser, wie auch Uter sein Bruder, den Merlin schon kannte. Merlin, riefen sie den Könige zu, ist gekommen, dieß ist der weiseste von allen lebenden Menschen, und was dieser euch zu thun räth, dürft ihr sicher thun, denn ihm ist das verborgenste bekannt. Pendragon that wie Merlin es ihm empfohlen hatte, freute sich mit dieser Nachricht, that aber als kennte er ihn noch nicht, und sagte, er wolle dem weisen Mann entgegen gehen. Auf dem Wege erzählten die Räthe ihm alles, was Merlin dem Vortigern prophezeit, und was er bey ihm ausgerichtet hatte; der König hörte diesen Geschichten von den Drachen, und allen diesen Prophezeyungen mit Vergnügen zu, bis Merlin ihm begegnete. Die Räthe stellten ihm denselben vor, und er erzeigte ihm alle Ehre und Höflichkeit, als sähe er ihn zum erstenmal, führte ihn darauf in seinen Palast, wo die alten [125] Räthe dem Könige ins Geheim sagten: Herr König, da ihr nun den Merlin habt, so laßt euch nur von ihm rathen, wie ihr den Krieg glücklich beendigt und den Sieg über eure Feinde davon tragen mögt; was er euch sagt, dürft ihr sicher befolgen. Sie verließen darauf den König, und er blieb mit Merlin allein.

 

Pendragon und Merlin

 

Nachdem er drey Tage lang sich mit ihm ergötzt, und ihm alle Ehre und alles Vergnügen erwiesen, versammelte er eine große Rathsversammlung, und ging in Merlins Begleitung dahin. Er redete den Merlin an, und sagte ihm alles, was die alten Räthe ihm von seiner Weisheit gesagt, bat ihn auch darum, ihm zu rathen, wie er die Heiden wohl aus dem Lande treiben könnte. Wisset, antwortete Merlin, daß, da Hangius ihr Anführer todt ist, so wünschen sie nichts so sehr, als nur aus dem Lande zu seyn. Meine Meinung ist, Ihr sendet ihnen Boten, mit dem Auftrag einen Waffenstillstand von drey Wochen von ihnen zu begehren; sie werden zur Antwort geben, daß dieß Reich ihnen zugehöre, daß sie es von [126] euch zurück verlangen, und werden euch keinen Waffenstillstand verstatten. Darauf laßt ihnen nur zur Antwort wissen, daß wenn sie nicht sogleich die Schlösser und festen Plätze ausliefern würden, ihr sie alle umbringen wolltet.

Der König sandte sogleich den Ritter Ulfin, einen sehr verständigen Mann, nebst noch zwey andern Rittern als Abgesandte zu den Heiden, mit dem Auftrage, wie Merlin ihm vorgeschrieben.

Die Abgesandten kamen vor die obersten Anführer und Hauptleute der Heiden, die in einem der festesten Schlösser des Landes saßen. Diese nahmen die Boten des Königs ehrenvoll auf, und der Ritter Ulfin trug ihnen das Verlangen des Königs vor, daß sie ihm nämlich einen Waffenstillstand von drey Wochen gestatten sollten. Die Heiden verlangten bis den andern Tag sich zu berathen, worauf Ritter Ulfin und seine Begleiter sich entfernten. Die Heiden berathschlagten sich nun die ganze Nacht hindurch, und bedachten; wie sie erstlich durch Hangius Tod den großen Verlust erlitten, [127] hernach wie es ihnen an allen Lebensmitteln in ihren festen Burgen und Schlössern fehle, und das Volk im Lande sie nicht gern sehe; bedachten aber auch andrer Seits wieder, daß da der König um Waffenstillstand ersuchen lasse, es doch mit ihm schwach bestellt seyn müsse. Obgleich sie nun auf jeden Fall nur wünschten, ihr Leben und ihr Gepäck zu retten, weil es nicht gut in einem Lande bleiben ist, wo man nichts zu essen hat, so ließen sie dem Könige dennoch folgendes zur Antwort wissen. Der König überlasse uns das Land, die Städte, und die festen Schlösser in Frieden, dafür wollen wir ihm jedes Jahr dreyßig wohl gerüstete und wohl berittene Ritter geben, nebst zehn Jungfrauen, zehn Damen, und zehn Fräulein, nebst den zubehörigen Dienern und Dienerinnen, wie auch hundert Falken, hundert Rosse, und hundert Zelter.

Die Abgesandten kamen mit diesem Bescheid wieder zum König Pendragon, und erzählten ihn alles bey versammeltem Rath, was ihnen bey den Heiden wiederfahren war, und welchen [128] Bescheid sie gegeben. König Pendragon wandte sich zu Merlin, und fragte ihn, was er nun zu thun habe? – Gestattet ihr ihnen dieses, antwortete Merlin, so thut ihr dem Reiche großen Schaden in der Zukunft. Laßt ihnen sagen, daß sie sogleich ohne Aufschub das Land räumen, und ihr sollt sehen, daß sie es recht gern thun, denn sie haben keine Lebensmittel mehr, und sterben Hungers; schenkt ihnen ihr Leben, sie werden nichts mehr verlangen. Es geschah also wie Merlin es verlangte, und der König ließ ihnen des andern Tages durch dieselben Boten befehlen, sogleich abzuziehen. Die Heiden waren froh, diesen Befehl zu hören, sie versammelten sich sogleich, und zogen sammt und sonders ab, der König schenkte ihnen Schiffe, und sie gingen alle übers Meer fort aus dem Lande.

 

Die Heiden ziehen sich übers Meer zurück

 

So ward durch Merlins Rath das Land von den Heiden befreyt, wodurch er beym Volke zu großen Ehren und Ansehen gelangte. König Pendragon regierte lange Zeit in Frieden, [129] und sein Volk liebte und ehrte ihn überaus, denn er war friedliebend, drückte auch sein Volk auf keine Weise, und that ihm keine Art von Zwang an. Merlin war stets bey ihm, und er that nichts ohne Merlins Beystimmung, keines andern Rath galt bey ihm, als der seinige.

 

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