BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Dorothea Schlegel

1763 - 1839

 

Die Geschichte des Zauberers Merlin

 

1804

 

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Neunzehntes Kapitel.

 

Nach beendigter Schlacht und König Pendragons Tode, fiel das Reich seinem Bruder Uter mit Recht zu. Er ließ nun alle auf dem Schlachtfelde gebliebene Christen auf einen Ort zusammen tragen, und legte daselbst einen Begräbnißplatz an; auf jedem ward ein Grabmal [149] errichtet mit dem Namen dessen, der darunter lag. Seinen Bruder Pendragon ließ er mitten inne legen, und ihm ein höheres Grabmal errichten als den übrigen, seinen Namen aber ließ er nicht daran schreiben; denn, sagte er, der müßte sehr thöricht seyn, der nicht gleich an der Größe des Grabmals sähe, daß hier der Herr der übrigen alle begraben ist. Nachdem ein jeder seinen Verwandten oder Freund begraben hatte, begab Uter sich nach London, wo die Bischöfe und Prälaten ihn salbten und ihm die Krone aufsetzten; darauf nabm er die Lehnseide und Huldigung aller seiner Unterthanen an.

 

Die Krönung Uters

 

Sechszehn Tage nachher kam Merlin an Uters Hof, und dieser empfing ihn mit Freuden und großer Ehre. Einige Zeit darauf sagte Merlin dem Könige, daß der Drache am Tage der Schlacht, Pendragons Tod und Uters Erhaltung bedeutet habe, bat darum den König, daß er sich ins künftige zum Andenken dieses Ereignisses, und um seines Bruders Willen, Uterpendragon nennen möchte. Der König [150] willigte ein, und ward fortan Uterpendragon genannt. Merlin ließ ihm ein Panier mit einem Drachen machen, der Feuer ausströmte, und verlangte vom Könige, daß er denselben in allen künftigen Schlachten vor sich her tragen ließe.

Nachdem Uter lange in Frieden regiert, und in einer seiner Städte mit Merlin zusammen lebte, fragte dieser ihn einmal, ob er denn nichts mehr wolle am Begräbnißplatze machen lassen, wo sein Bruder ruhe? – Was willst du, daß ich machen lasse? sage es, und es soll geschehen. – – Sende zehn oder zwölf von deinen Schiffen nach Irland, und laß von den Steinen dort welche nach Salisbury schiffen, so will ich erfüllen, was ich deinem Bruder versprach, und das Grabmal so erbauen; ich will auch mit deinen Leuten hinfahren und ihnen die Steine zeigen, die sie nehmen sollen. Die Schiffe wurden gerüstet, und Merlin mit den Leuten hingesendet, der ihnen die Steine zeigte, die sich einschiffen sollten. Als die Leute die großen Steine sahen, [151] die sie fortbringen sollten, sahen sie verwundert einander an; denn die ganze Welt, sagten sie, bringt nicht einen solchen Stein vom Ort, Merlin muß toll seyn, daß er verlangt, wir sollen diese Steine mit ins Schiff nehmen; kehrten darauf mit ihren Schiffen zurück, und ließen Merlin in Irland.

 

Die Reise nach Irland

 

Als die Schiffer wieder zum König Uterpendragon kamen, und ihm erzählten, warum sie weder die Steine noch den Merlin wieder zurückgebracht hätten, sandte der König noch ein Schiff nach Irland, und ließ ihn abholen. Deine Leute, sagte Merlin, als er vor den König kam, haben nicht gethan, was du ihnen befahlst, aber ich will mein Wort halten, und die Steine nach Salisbury schaffen. Darauf brachte er es mit seiner Kunst dahin, daß den andern Morgen der ganze Gottesacker voll der entsetzlich großen Steine lag, daß es wie ein ungeheuer großer Berg zu sehen war. Als der König und sein Volk diese Steine sahen, waren sie alle des größten Erstaunens voll, denn ein jeder mußte einsehen, daß alle Menschen [152] in der Welt nicht im Stande wären, einen dieser Steine von der Stelle zu bewegen; wußte auch niemand zu errathen, wie Merlin es angefangen habe, sie zusammen zu bringen. – Merlin sprach zum Könige: Sire, so wie die Steine hier liegen, dienen sie zu nichts, sie müssen geordnet und über einander gesetzt werden. Ey wer sollte dieß wohl thun, entgegnete der König, Gott allein kann ein solches Werk zu Stande bringen. – Nun so entferne dich, sagte Merlin, und ich will dieß Werk vollenden, so wie ich es unternommen. Merlin begann nun das Werk, welches niemals wird vergessen werden. Diese Steine sind noch jetzt so wie Merlin die ordnete, und sie werden so bleiben, so lange die Welt stehen wird. Es war ein vortreffliches kunstreiches Werk, worüber die ganze Welt sich verwunderte. Uterpendragon liebte den Merlin um dieses Werkes willen noch weit mehr als sonst, behielt ihn lange Zeit an einem Hofe, und that nichts ohne seinen Rath.

 

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