BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Gotthilf Heinrich Schubert

1780 - 1860

 

Die Abentheuer

des Fiedlers zu Schiras

 

Erschienen in Kleists «Phöbus»,

Viertes und Fünftes Stück, S. 25-44, 1808

Quelle: Faksimileausgabe des Phoebus

(Universitätsbibliothek Bielefeld)

 

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{25}

Die Abentheuer des Fiedlers zu Schiras.

 

In einen der öffentlichen Gärten zu Schiras trat eines Abends ein junger Fremdling, dessen reiche Kleidung und edler Anstand ein gutes Herkommen verriethen. Obgleich am Anfang der schönen Zeit, wo die wiederaufblühenden Gebüsche von dem Gesange der Nachtigallen tönen, und die Rosenlauben sich mit neuen Knospen schmücken, fand er doch alle grünen Gänge, alle Lauben leer, und die Gäste hatten sich alle nach den Eingang des Gartens hingezogen, wo sie den Liedern eines jungen Saitenspielers horchten. Der Fremde hatte noch nie mit einer so schönen Stimme singen gehört, und mehr noch setzte ihn die Gestalt des Singenden in Erstaunen, welche mit dem groben Kleide und schlechten Turban wenig zusammenstimmte.

«Wie kommts, ihr Bürger zu Schiras, daß ihr in der Zeit, wo jene neublühenden Gänge euch mit tausend duftenden Zungen zur Liebe und zu dem Vergnügen der kühlen Nächte einladen, hier am Eingange steht, und euch unter einander selber mit Gesängen ergötzt? Wer ist dieser junge Mann, dessen Stimme jene Nachtigallen der Gebüsche so beschämte, daß sie in seiner Gegenwart nicht mehr wagen, der jungen Rosenknospe von ihrer Liebe zu singen, und daß sie eifersüchtig in andre Gärten zogen? Ohnfehlbar ist es einer eurer edelsten Bürger, der sich scherzend in diese ärmliche Kleidung geworfen, denn eine so schöne Gestalt und solchen Anstand sahe ich noch nie bei solchem Gewerbe.»

«Es ist kein edler Bürger aus Schiras, antwortete ihm einer der Nahestehenden, der dich hier so wie uns mit seinen Gesängen und seinen Augen so bezaubert. Es sind kaum etliche Monate, seit er hieher kam, und wir halten ihn dem ganzen Ansehen nach für keinen Perser, obgleich er der Sprache und der Gebräuche des Landes vollkommen kundig scheint. Mit seinem schönen und edlen Aussehen, stimmt wenigstens sein äußres Glück nicht überein, denn er sitzt hier täglich auf diesem Steine, ums Geld singend, und macht, daß nach dem Abendgebet alle andre öffentliche Orte leer stehen, und Alles sich nur hier um ihn versammlet.»

Der Fremde wurde, je länger er hörte, desto mehr bezaubert, und vergaß, nahe bei dem Saitenspieler stehend, die Müdigkeit der Reise und seinen Durst. Endlich hörte jener auf zu singen, und nahm mit edlem Anstand die Geschenke, die ihm der Herr des Gartens überreichen ließ. Es war spät in der Nacht, und die Anwesenden fiengen an sich zu zerstreuen, da trat der Fremde, voll Sorge, jener möchte sich entfernen, zu dem Sänger hin, und «schöner Saitenspieler, sprach er, laß uns, wenn dir es nicht verdrießlich ist, diese schöne Frühlingsnacht dort in jenen Rosenlauben bei deinen Gesängen und einem Becher edlem Schiraswein zubringen. Ich komme zwar ohnlängst vom Schiffe, wo uns die Frühlingsstürme und die Arbeit der Wellen wohl ermüdet haben, und neuerdings bin ich, ohne nur eine Stunde auszuruhen, zu {26} Cameele gesessen, aber bei deinen Liedern habe ich Müdigkeit und Schlaf vergessen, und bald hätte ich auch vergessen, den Wein dieser Stadt, der in aller Welt so hoch gepriesen ist, zu kosten, ehe ich sie am frühen Morgen wieder verlasse.

Der Andre verbeugte sich bescheiden, und folgte dem Fremden in eine entfernte Laube, in der Mitte des Gartens. Hier saßen sie einsam, denn alle Anwesende hatten sich zerstreut, und jener konnte nicht satt werden, diesen singen zu hören. Wenn er das Lied des Avari von dem schönen Palmbaum im Garten Irem gesungen hatte, nun singe mir auch, sprach jener, die Gesänge des Hafez von der Liebe. Wenn dieser jetzt von blühenden Rosen sang und der Morgenröthe schönen Wangen, nun singe mir auch, sprach jener, das Lied von dem traurenden Jüngling und der Nachtigall. So ergötzten sich diese, so lange die Nacht währte, bis endlich der Fremde dem jungen Sänger selber Einhalt that.

Laß nun, sprach er, schöner Jüngling, deine Saiten ruhen. Siehe, dort über den Oelbäumen erhebt sich der Morgen, der erröthend wie eine Neuvermählte, die zum erstenmale aus dem Brautgemach hervorgieng, unter diese erst seit gestern blühenden Frühlingslauben eintritt. Der Mond verweilt noch am Himmel, da er heute deinem himmlischen Gesange lauschend, seinen Weg verspätete. Laß nun auch die Nachtigallen, die, so lange deine Lieder tönten, beschämt schwiegen, der eben aufgeblüheten Rose ihr Lied der Liebe singen, und den Morgenthau von ihrem Busen küssen. Die Sterne haben nicht gewagt, zu erscheinen, da dein Auge beim Gesang so schön leuchtete, so laß nun wenigstens den Glanz des Morgens unverdunkelt unter diese neugebohrnen Kinder des Frühlings eintreten. Siehe, wo noch gestern kaum Knospen waren, da küssen sich heute blühende Hyazinthen und Purpurlilien, die dein Gesang so frühe zum Blühen gebracht. Du hast mich wohl ergötzt, so laß dein Herz nun auch mit mir vergnügt sein.

So, und mit andern freundlichen Worten, suchte der Fremde den jungen Sänger zu erheitern, dieser aber schien von irgend einem geheimen Kummer zurückgehalten. Seine Lippen berührten kaum den Becher mit Weine, seine Augen suchten oft den Boden, und selbst die Freundlichkeit seines Gefährten konnte ihn nur wenig zum Sprechen bringen.

Endlich faßte ihn dieser bei der Hand, und, was bedeutets, sprach er, daß du so in der besten Zeit des Frühlings und der Jugend, dich in die Dämmrung des Mißmuths einhüllest? Bist du ein so strenger Moslem, daß du den duftenden Becher, der dir hier so mit Liebe geboten wird, unberührt lässest, und kann dich mein liebevolles Geschwätz nicht einmal zum Lächeln bewegen? Vergnügt dich vielleicht in schönen Frühlingsnächten die Gesellschaft der Jungfrauen besser, siehe der Herr des Gartens hat schöne Sclavinnen, die vermuthlich gegen Fremde nicht streng sind, gefällt es dir, so rufe ich sie, daß sie vor uns singen. Oder drückt dich die Liebe zu einer edleren Bürgerin dieser Stadt, und Armuth und Stand halten dich gebunden, {27} wohlan! mit meiner Aussteuer freie ich sie dir noch heute. Es ist mir nicht entgangen, wie sich gestern Abend unter den Marmorsäulen jenes nahen Bades viele edle Frauen drängten, unter denen wohl manche Schöne war, daß sie dich, du schöner Jüngling, durch's Gitter sähen, und dich singen hörten. Was auch die Ursache deines Kummers sei, die laß mich wissen. Siehe ich gebe dir Seele um Seele, was mein ist, sei dein, so wohl hast du meinem Herzen gleich beim ersten Anblick gefallen.

Jener suchte sich etwas zu erheitern. Nicht eine so geringe oder neue Liebe ist es, sprach er, die mich bei so früher Lebenszeit betrübte, obwohl Liebe der vorzüglichste Grund meines Kummers ist. Mein Unglück ist fast mit mir aufgewachsen, und wohnt so tief in mir, daß selbst dein gütiges Wohlwollen, großmüthiger Fremdling, es nicht zu lindern vermag. Darum möge deine Güte nicht weiter in mich dringen. Ein so altes und tiefes Leiden schämt sich, den Frohsinn eines erst seit gestern gefundenen Bruders zu betrüben.

Der Fremde aber, vom Weine, und von dem Reiz dieser neuen Freundschaft erhitzt, drang, durch diese Weigerung immer noch begieriger gemacht, immer heftiger in ihn, bis jener endlich, mehr genöthigt als freiwillig seine Geschichte, wie folgt, begann:

Ich bin nicht von so geringem Herkommen, als die jetzige Farbe meines Äußeren zu verrathen scheint. Vielmehr rühme ich mich eines der ersten Geschlechter im Königreiche Delhi, und meine Voreltern kamen aus königlichem Geblüte. Mein Vater verlor, als ich noch Kind war, das Erbtheil seiner Vorfahren, und seinen hohen Rang, durch ein geringes Versehen, womit er unwissend seinen König beleidigte, und war erfreut, sich und mich, der sein einziger männlicher Erbe war, mit eingen Kostbarkeiten, und dem treuesten Theil unsrer Sclaven, vor dem Zorn des strengen Fürsten zu retten, während meine Mutter, die dem regierenden König nahe verwandt war, mit meinen beiden Schwestern gewaltsam zurückbehalten wurde. In Multan, am palmenreichen Ufer des Indus, war nun ein geringes Landgut der einzige Ersatz für so viel verlornes Glück. Doch bildete mich mein Vater sorgfältig zu Allem, was dem Stande, den wir gezwungen verlassen, geziemt, er starb aber früher als meine noch unreife Jugend diese einzige Stütze missen konnte.

Ich stand noch in jenen Jahren, denen selbst ein tiefer Kummer nicht lange Stand hält, darum verkaufte ich, nicht lange nach meines Vaters Tode, das geringe Landgut, das uns bisher ernährte, und nahm so Alles, was mein war, zusammen, um in der Welt auf gut Glück ein Loos zu suchen, welches meiner Geburt und meinen innern Wünschen angemessener wäre. Ich kam zuerst nach Aschmir, von wo mich Aussichten, die mir eine ungefähre Bekanntschaft gegeben, nach Agra zogen. Nachdem ich hier einen Theil meines Geldes verwendet, um mit einigem äußern Anstand zu erscheinen, wurde ich bald mit jungen Leuten meines Alters und Standes bekannt, {28} die, mit guten Aussichten und Hoffnungen mich vertröstend, mich bald in die Vergnügungen unsrer Jahre hineinzogen. So geschahe es, trotz jenen guten Hoffnungen, daß ich, mit 10 Sclaven und einem Elephanten nach Agra gekommen, bald nachher zu Fuße, und mit nur Einem Sclaven nach Benares zog.

Ich lebte hier von dem geringen Überrest meiner Güter in einer verdrüßlichen Eingezogenheit, doch immer von irgend einem unverhofften Glücke träumend, das mir wohl plötzlich entgegen käme, versäumte ich nie, mich am Morgen unter das Volk auf dem Markte, am Abend unter die Thore zu begeben, und meine dürftige Gestalt an öffentlichen Festen der versammleten Menge zu zeigen. So schmolzen unter solchen Träumen und Aussichten auch die letzten Trümmer meines geringen Vermögens, bis mir zuletzt außer meinen Hoffnungen nichts geblieben als ein Kleid von wenigem Werthe, das ich trug. So gieng ich einst etwas trübsinnig vor der Stadt an dem Strom hinauf, unentschlüssig, ob ich wieder nach der Stadt zurückkehren, oder den nächsten besten Weg einschlagen solle, um vielleicht anderwärts einem günstigern Zufall zu begegnen. Es war eben der Tag vor dem ersten Frühlingsfeste, der Schnee der Gebirge war vorüber, und die fröhliche Jugend sammelte von dem neugrünenden Gesträuche die ersten Blüthen. Ihre Fröhlichkeit stimmte wenig mit meinem Trübsinn überein, ich hatte mich deshalb an einen einsamen grünen Rand gelehnt, das Auge nachsinnend nach dem angeschwollenen Strome gesenkt, als mich ein naher seltsamer Gesang aus meinem Nachdenken weckte.

Wer ist glückseliger, war sein Inhalt, als der arme Jogi, dessen Wohnung das immergrünende Gebirge, dessen Dach der hohe Himmel ist.

Gestern kam der Wind vom Meere und fand die Hügel noch von Blumen leer, die Blüthen der Palmen noch verhüllet, heute kehrt er wieder, die Schwinge beladen mit den Düften der Palmenblüthen, mit dem Geruch der grünen Hügel; gelobt sei Brahmas wunderbare Macht!

Die Lotosblume sah herauf aus ihrem Strome: was weilst du Jogi noch bei deiner Hütte, vorüber ist der Schnee der Berge, mein Strom erzählt vom neuen Grün der Hügel; gelobt sei Brahmas wunderbare Macht!

Wohlauf zur Wallfahrt nach den heiligen Bergen! Siehe die Gazellen kehren zurück zu ihren Felsen; wie Schaaren der Pilger ziehen jene Palmenwälder, die schlanken Häupter neigend, hinauf nach den Höhen, geschmückt als Braut der blühende Oelbaum unter ihnen! Gelobt sei Brahmas wunderbare Macht!

O süße Ruhe auf des Hügels Blumen, du hoher Schmuck der palmenreichen Quellen, die nie der Lärm der niedern Welt berührte! Der Vogel Latak sieht die Freudenthräne, und küßt sie freundlich von des Jogis Wange, gesellig zeigen sich des Waldes Thiere, und wagen nicht, dem Büßenden zu schaden; gelobt sei Brahmas wunderbare Macht!

{29} Der Jogi geht zurück zu seinem Felsen, vorüber zieht er fröhlich eurer Wohnung, ihr aber schüttet etwas Reis in seine Hände, ein wenig Wasser, seinen Durst zu löschen, daß Brahmas wunderbare Macht euch segne.

Auf mich hatte, in meiner damaligen Stimmung, der Inhalt dieses Gesanges und die abentheuerliche Gestalt des Jogi, um den sich jetzt das Volk herdrängte, um seinen Segen zu empfangen, einen ungewöhnlichen Eindruck gemacht. Mein Kummer und mein besorgtes Nachsinnen waren auf einmal vorüber. Was hinderts, sprach ich bei mir selber, daß ich nicht, wie ich bin, ohne weitres Umsehen nach einem zweifelhaften Loos in der großen Welt, den glückseligen Stand eines Jogi erwähle? Wer ist freier, sorgenloser und beglückter, als ein solcher Pilger, dem ohne Bedürfniß einer schwerfälligen äußern Pracht, der erste beste Baum seine Rinde zum Gewand, der nächste Hügel seinen grünen Boden zum Lager giebt, dem jeder Baum des Feldes, jede Hütte, die nöthige Nahrung darbietet? Wer verlangt von einem Büßenden, daß er Sclaven oder Cameele besitze, daß er der Welt durch einen theuren Schmuck gefalle? Wohlauf, laß mich in der anspruchslosen Gestalt eines Jogi die Welt sehen! Viele Könige der Vorwelt haben nach den alten Sagen diesen Stand freiwillig erwählt. Gefällt es dem Glück auf irgend eine Weise, die Ansprüche meiner Geburt zu erfüllen, so kann kein Stand hierzu bessere Gelegenheit geben, als der eines Büßenden, welcher von den Pallästen der Könige bis zu den Hütten des Landvolks, wohl geachtet, die Welt von einem Ende zum andern als freier Zuschauer durchwandelt, und so dem Schicksal nach allen Seiten Thor und Thüre öffnet, ihn zu beglücken.

In meiner Lage blieb mir keine lange Wahl, kein langes Hin- und Hersinnen übrig, das ohnehin nie in meiner Natur gelegen. Ich hatte mich schon unter jenem Selbstgespräch weiter von der Stadt entfernt, und jetzt war ich entschlossen, gerade zu nach dem gepriesenen Himalehgebirge hinauf zu pilgern, und mich in den heiligen Stand der Büßenden einweihen zu lassen. Mein Entschluß wurde gleich am ersten Abend auf die Probe gestellt, da mir auf der Straße einer meiner vorigen Bekannten aus Agra, mit einem prächtigen Gefolge begegnete, der, seitdem zu einem hohen Posten erhöht, in einer wichtigen Angelegenheit nach Benares zog. Dieser mochte mich, trotz meiner ärmlichen Kleidung, bald erkennen, er rief mich beim Namen, und bat mich dringend, mit ihm nach Benares zurück zu kehren, und an allem seinen äußern Glück Theil zu nehmen. Mein rascher Vorsatz war indeß für heute noch zu neu und zu warm, und ich machte mich von jenem unter dem Vorwand einer nothwendigen Reise los.

Fröhlich träumend zog ich meines Weges. Am Abend gaben mir die Pagoden am Wege, oder gastfreie Hütten ein Nachtlager, und ein leichtes Pilgermahl; am Morgen erweckte mich schon das erste Geräusch der vorüberziehenden Reisenden zum Weitergehen; am heißen Mittag kühlte ich mich in dem Schatten der hohen Palmenhaine, oder in dem Bad der frischen Ströme, die mir von dem Schneegebirge abwärts entgegen kamen.

{30} So war ich dem hochgerühmten Gebirge, dem erhabenen Wohnort der Heiligen, näher gekommen. Die Hütten wurden schon seltener, die Wege wurden immer undeutlicher und verloren sich zuletzt ganz. Ich suchte auf ein gutes Ohngefähr den Weg nach dem Wohnsitz der Einsiedler, und drang immer tiefer in das wüste Gebirge ein. Eines Tages führte mich auch der selber gewählte Weg durch eine felsigte Einöde, die nirgends Spuren zeigte, daß sie jemals von Menschen berührt sei. Der Vorrath an Reis, mit welchem mich die Gastfreundlichkeit meiner letzten Wirthe versorgt hatte, war gänzlich aufgezehrt, und die dürren Klippen, die mir bei dem mühsamen Ersteigen so viel Hunger und Müdigkeit erweckt hatten, schienen nirgends eine nährende Wurzel oder Frucht, nirgends einen kühlen Schatten anzubieten. Indem ich mich so mißmutig unter den nackten, nur mit bittrer Aloe bewachsnen Gebirgsränder umsahe, über welchen kaum einige einsame Raubvogel schwebten, bemerkte ich zuletzt ein altes Gemäuer, das von irgend einer Pagode der Vorzeit übrig schien. Ich nähere mich, um dort wenigstens einen Schutz gegen die Gluth der Mittagssonne zu suchen, und indem ich in die verfallenen Hallen eintrete, sehe ich dort einen eisgrauen Alten, der eifrig an den alten Mauern arbeitet. Er schien mich nicht eher zu bemerken, bis ich neben ihm stehend um ein wenig Speise und frisches Getränke bat. Freundlich wendete sich der Alte zu mir, und lud mich in das innre Gewölbe des ehemaligen Gebäudes ein, das er sich zu einer Wohnung eingerichtet hatte. Indeß ich mich an der reichlich angebotenen Mahlzeit erquickte, betrachtete mich jener aufmerksam, endlich als er bemerkte, daß ich meinen fast zwei Tage alten Hunger gestillt hatte, redete er mich so an:

Welches glückliche Ohngefähr, oder vielleicht welches Mißgeschick hat dich, du Sohn des erhabenen Aliti, von deinem väterlichen Landgut in Multan hieher geführt in diese felsigte Einöde? Hat das Schicksal, das schon in Delhi das langverjährte Glück deines fürstlichen Hauses zerstörte, noch nicht abgelassen, den Stamm des Aliti zu verfolgen, und hat es dich auch von dem letzten Zufluchtsort vertrieben? Welches neue Loos begehrst du hier in dieser Wildniß? Meine Einsamkeit ist in dem langen Zeitraum, welchen ich hier zugebracht, noch durch keinen Andern unterbrochen worden, und diese schwarzen Bergzinnen wollen selbst den Thieren der Wüste nicht gefallen, die sich, wenn sie sich hieher verirrten, brüllend wegwenden; und nur selten läßt der Adler, wenn er vom Raube zurückkehrend hier vorüberfährt, sein einsames Geschrei vernehmen.

Ich war erstaunt, mich in dieser Ferne von meiner Heimath, und hier in dem menschenleeren Gebirge von einem völlig Unbekannten mit meinem Familiennamen nennen zu hören, und nachdem ich Jenem, der schon so viel von meiner Geschichte wußte, auch das Übrige kurz berichtet, dringe ich in ihm, mir nun auch seinerseits zu sagen, woher er mich kenne? Doch schien jener nicht geneigt, für diesmal meine Neugierde zu befriedigen, obwohl er an der tiefen Theilnahme, die er bei meiner Erzählung, besonders bei der Nachricht von meines Vaters Tode blicken ließ, ein inni-{31}geres Interesse an den Schicksalen meines Hauses verrieth, als von einem gänzlich Fremden zu erwarten war. «Vergönne, sprach er, daß ich heute, so gern ich auch reden möchte, noch schweige. Gehe jetzt hin, deinen frommen Vorsatz auszuführen, und nur wenn er dich, ehe du von selbst Alles das gefunden, was du von mir forschest, plötzlich gereuen sollte, kehre zurück zu mir, und erwarte alsdann von mir die gewünschten Aufschlüsse. Hier ganz in der Nähe sind die Wohnungen einiger Einsiedler, die zwar erst kürzlich aus der Welt gekommen, an Frömmigkeit keinen andern Bewohnern dieser Gebirge nachstehen. Zu ihnen möge jetzt dein Weg gehen, um die Weihe des Standes zu finden, den du freiwillig erwählt hast.»

Dieses geheimnißvolle Wesen des Alten, seine Verschwiegenheit, die mir hier am unrechten Orte schien, beengten mich zuletzt so sehr, daß ich trotz allen Einladungen nicht einmal die Nacht dort zuzubringen beschloß, sondern mich gleich nach den heißen Mittagsstunden wieder aufmachte, lieber im wüsten Gebirge zu bleiben gesonnen, als bei einem solchen räthselhaften Wirth. Jener schickte sich zuletzt, da er meinen Ernst, weiter zu gehen, erkannte, an, mich zu begleiten, und zeigte mir die Richtung, die ich nach den Einsiedlerhütten zu nehmen hätte, die kaum eine halbe Tagereise entfernt waren. Er bat mich beim Abschied nochmals, zu ihm zurück zu kehren, wenn ich, meines Vorsatzes reuig, wieder in die Welt treten wolle, welche Bitte, so wie alle Freundlichkeit des Alten ich nur mit halben Herzen beantwortete.

Ich war fast froh, wie ich mich von dem gespensterhaften Greise wieder frei sahe. Ich kam eben bei Einbruch der Nacht in einem weiten Gebrirgsthale, rings von Wald umschlossen, an, wo sich an dem Ufer eines schnellen Wassers etliche Hütten fanden. Nach der Beschreibung meines Alten, mußte dies der Aufenthalt jener Brahmen sein, deren Gesellschaft ich suchte. Ich klopfte an einigen Thüren an, endlich trat aus der einen Hütte ein junges Mädchen hervor, welches heftig weinte, «Wolle nicht, o edler Fremdling, redete sie mich an, dich durch das Eingehen in ein Trauerhaus verunreinigen, das seit heute von Kindern ohne Vater bewohnt wird, vielmehr wende dich dorthin, wo der Waldstrom sich zwischen jenen zween einzelnen Felsen hindurchdrängt, und einige Ketten die gegenseitigen Ufer verbinden. Jenseits wirst du die Wohnung frommer Männer finden, welche dir alle Pflichten der Gastfreundschaft, vorgeschrieben in dem heiligen Wedam, erweisen werden.» Indem ich mich entferne, bemerkte ich mehrere Gesichter, die sich, wie es schien, begierig mich zu sehen, nach der Thüre drängen, welche Neugierde mir den Hütten der Einsiedler wenig zu ziemen schien.

Ich nähere mich langsam den beiden Klippen, die mir das Mädchen gezeigt hatte. Endlich sahe ich fröhlich, denn ich sehnte mich nach Ruhe, am jenseitigen Ufer eine Hütte, auf deren Heerd das Feuer gastlich loderte. Ich glaubte mich nur noch um einige Minuten von dort entfernt, als ich von den Klippen hinunter den wilden {32} Bergstrom erblickte, der mich noch von dem jenseitigen Ufer trennte. Der Mond beleuchtete zween Ketten, die von der einen Seite zur andern über die Felsen geschlagen waren, und deren unterer Theil in den Strom hineinhängend, in einer unaufhörlichen schwankenden Bewegung war. Das Wasser war hier so wild und reißend, und von der Felsenkluft so zusammengedrängt, diese Art von Brücke, die mir noch neu war, erschien so gefährlich, daß ich einige Zeit unentschlossen da stand, nicht wissend, ob ich nicht lieber den Rückweg antreten, und das Hinübergehn bis an den Morgen versparen, oder ob ich noch heute bei Nacht einen Versuch wagen solle. Indem ich noch so sinne, höre ich schon vom jenseitigen Ufer Stimmen, welche riefen: «er muß schon am andern Ufer stehn, auf! geht ihm schnell entgegen!» und zu gleicher Zeit kamen einige Männer über die Kettenbrücke, die mich wie einen langerwarteten Gast begrüßten, und mich leicht, eines solchen Weges schon gewohnt, hinüberleiteten.

Ich vermuthete, daß man von den Hütten aus, die ich eben verlassen, den frommen Einsiedlern, die mich so freundlich aufnahmen, meine Ankunft schon voraus verkündiget habe, denn ich fand alle Vorbereitungen, einen Gast aufzunehmen. Das einfache Einsiedlermahl, womit mich die guten Leute bewirtheten, wurde durch die ungemein liebevolle und zärtliche Theilnahme gewürzt, die mich aus allen Gesichtern ansprach. Ja jene hätten nicht fröhlicher und liebevoller sein können, wenn sie eben einen Bruder oder Sohn, welcher lange Jahre abwesend war, bei sich empfangen hätten, und sie schienen sich fast Gewalt anthun zu müssen, daß ihre Freude und ihre Liebe, die sich aus allen Gebärden blicken ließ, nicht laut ausbrachen. Mich wunderte allerdings diese Bewegung, welche die Ankunft eines völlig Fremden unter meinen guten Wirthsleuten hervorbrachte, ich schrieb sie indeß der Neuheit und Seltenheit eines Besuchs zu, da vielleicht diese Bewohner des abgelegenen Gebirges selten oder nie Fremde zu sehen gewohnt sind. Sei es die ungewohnte Freundlichkeit meiner Wirthsleute, die mir, der sich seit langer Zeit unter kalten Fremdlingen herumgetrieben, so wohl that, oder sei es meine damalige Stimmung, die mich alle Umgebungen in einem fremden Lichte sehen ließ, ich glaubte wirklich in den Gesichtern dieser Hüttenbewohner längst bekannte Züge, die mir in früher Kindheit lieb gewesen, wieder zu finden, und mir selber ward unter ihnen so wohl wie einst im väterlichen Hause. Noch an diesem Abend entdeckte ich ihnen meinen Entschluß, unter ihnen zu leben, der mit Freuden aufgenommen wurde.

Ich blieb hier einige Tage ganz vergnügt, an den Arbeiten der Einsiedler Theil nehmend, und glaubte schon die fröhliche Welt vergessen zu haben, von der ich hier nichts sahe, glaubte mich schon am Anfange der Lehrjahre, im Besitz, ich weiß nicht welcher? Entsagungen und Tugenden,als zweie von den Einsiedlern, die eine ferne Wallfahrt vorhatten, mich zu ihrem Gefährten wählten. Gekleidet wie jene, in dem einfachen Mantel von Bast, die Füße unbekleidet, kehrte ich jetzt in die Welt zurück, in der ich einst so glänzend zu erscheinen gesucht. Meine jetzige Bestimmung war, {33} meinen Gefährten den Vorrath nachzutragen, und wenn er verzehrt war, in den nahe liegenden Hütten neuen einzusammlen. So lange der Weg durchs einsame Gebirge gieng, ließ ich mir dieses wohl gefallen, als ich aber in den Städten wieder das rüstige und fröhliche Leben der Menschen gesehen, schien es mir öfters, als wolle das Gewand eines Büßenden, das ich jetzt trug, meine jungen Jahre nicht kleiden, meine Füße fiengen an sich zu sträuben, sich so nackt an dem heißen Sande zu sengen, und die magre Kost der Eindsiedler wollte mir nicht mehr schmecken. So zog ich, etwas mismüthig mit meinen Gefährten fort, als ich eines Tages, da jene, ich weiß nicht welche? einsame Berathschlagung halten wollten, fortgeschickt wurde, um in einem nahen Ort neue Lebensmittel einzukaufen.

Wir befanden uns jetzt in Delhi, dem Lande meiner Väter, das mich so früh verstoßen hatte. Träumend von meinem vormaligen Glück, gieng ich durch eine einsame Gegend. Der Tag war heiß, und ich hatte mich, um Schatten zu suchen, vielleicht zu weit von dem rechten Weg entfernt, den ich jetzt vergeblich suchte. Ermattet von dem langen Gehen und vom Hunger, legte ich mich in den grünen Schatten eines anmuthigen Waldes, an dessen Rand eine große Straße hinlief. Der Duft der Wiesenblumen und der Gesang der Vögel wiegten mich bald in einen süßen Schlummer. Ich mochte aber nicht lange gelegen haben, als mich jemand etwas unsanft aus dem Schlaf rüttelte. Indem ich mir noch den Schlaf aus den Augen reibe, ruft mich jener schon mit rauher Stimme an: auf Bettler! suche dir für diesmal einen andern Ruheort und mache hier den Zelten und dem Gefolge meiner Gebieterin Platz!

Es ist unbillig, Balsomar! unterbrach jenen eine sanfte weibliche Stimme, daß dieser arme Pilger um meinetwillen seinen Ruheort, dessen Kühlung er, ermüdet von der frommen Wallfahrt, mehr als ich bedarf, verlassen sollte. Laß ihn ruhen wo er ist; die Gegenwart eines frommen Jogis beleidigt die Sittsamkeit meines Geschlechtes nicht.

Indem ich mich neugierig nach dem Orte wende, wo diese Stimme herkam, hatte ich meine Schläfrigkeit so sehr vergessen, die Müdigkeit meiner Augen war so schnell vergangen, daß ich jetzt unaufhörlich mit weit offenen Augen ewig nur hätte wachen und sehen mögen. Eine junge fürstlich gekleidete Dame, von einer Menge Dienerinnen umgeben, betrat eben den Rasenplatz, auf welchem ich Glückseliger ruhete, und ihre Diener waren beschäftigt Tische und Zelte aufzuschlagen. Ich wollte ihr für ihre Güte danken, aber die Stimme versagte mir, meine Brust war von einem mir neuen Gefühl gedrückt, das mich wie der betäubende Duft eines blühenden Rosengartens zugleich ergötzte und beengte, und ich hätte in tiefen aufmerksamen Schweigen, gern nur jene Stimme hören mögen. Auf mich, im Bettlergewand, achtete niemand, und so durften meine Augen kühn bald auf ihren Wangen, bald auf ihren dunklen Augen oder den Purpurlippen ruhen, meine Seele durfte sich wie die kühlenden Lüfte, welche die Dienerinnen ihr zuweheten, an ihr himmlisches Angesicht schmiegen, mit {34} den Erfrischungen, die ihr gereicht wurden, ihre süßen Lippen berühren, oder wie der sanfte Schleier sich an ihren weißen Arm legen. Wie war doch alles, was den heutigen Tag vorangieng, seit diesem Erwachen in einem neuen Leben, vergessen, wie ein Traum! und dieser Augenblick war mehr als alles Glück, das ich erst im Glanz der Städte, dann in der Einsamkeit der Gebirge, vergeblich gesucht hatte.

Diese süßen Mittagsstunden vergiengen wie ein Augenblick, und ich sahe mit einem Schmerz, wie ich noch nie gefühlt, die Zelte wieder abbrechen, die Tische aufheben und die junge Fürstin wieder auf ihr Thier steigen. Meine ganze Seele war mit ihr, und was konnte der zurückgebliebene Überrest meines Wesens anders, als ihr nachfolgen? Ich ließ die Speisen, womit mich die Diener der Prinzessin, auf ihr Geheiß versorgt hatten, unberührt stehen, so sehr ich erst der Speisen bedurft hatte, und machte mich schnell auf, jenen nachzueilen. Aber sie reisten so schnell, daß ich bald selbst den Staub ihrer Cameele aus dem Auge verlor.

Doch ließ ich mich durch nichts von meinem Wege abbringen, bis auf einmal ein Bewaffneter zu Pferd, der das Gesicht etwas verhüllt hatte, mich schnell einholte, und nachdem er mich gefragt: ob ich vom Gebirge und von welchem Ort ich käme, über meine Antwort fröhlich, mich bat, ihm den Weg dahin zu zeigen. Ich mochte antworten was ich wollte, meine eigne Unbekanntschaft mit dem Wege, mein jetziges Geschäft und die Nothwendigkeit der Reise vorschützen, jener mochte nie gewohnt sein, sich eine Bitte versagen zu lassen, und weder Bitten noch Gewalt vermochten ihn von jenem Ungestüm, womit er mich mit zudringlicher Güte, und mit gebieterischen Bitten zu sich aufs Pferd nöthigte, abzubringen. Ich entschloß mich endlich, Jenem so gut ich wüßte den Weg zu zeigen, bis sich ein andrer Wegweiser fände. Dieser fand sich auch zu meiner Freude noch vor Abends, und mein aufgedrungener Reisegefährte ließ mich ungehindert gehen.

Anfangs, da ich mich wieder in Freiheit sahe, war ich unschlüssig, ob ich jetzt sogleich wieder zu den Nachforschungen, die mir so sehr am Herzen lagen, zurückkehren, oder ob ich nicht, woran mich mein Gewissen erinnerte, meine beiden Einsiedler vor allen Dingen aufsuchen sollte, die heute meiner so lange vergeblich warteten. Doch jener Wunsch behielt zuletzt die Oberhand. «Meine Gefährten, sprach ich bei mir selber, werden ohnfehlbar des langen Wartens müde, mich auf der nämlichen Straße aufgesucht haben, wohin ich mich jetzt wende. Es ist wahrscheinlich daß wir uns dort begegnen; warum wollte ich also, da sich beide Absichten so schön vereinen, meine Nachforschungen nach der schönen Prinzessin aufgeben, wäre es auch aus keiner andern Absicht als ihren Namen zu erforschen, damit ich doch weiß, wer diese schönste Blume der Welt, an welcher mein ganzes Glück ruht, sei, wenn ich mich ihr auch nie wieder nähern dürfte!»

So begab ich mich noch bei Nacht auf den Weg. Ich kam spät an den grünenden Wald zurück, wo ich heute so glückselig war. Einige Stunden ruhete ich hier unter {35} demselben Baum, der ihrer blühenden Gestalt Schatten gab, und schon die früheste Morgenröthe weckte mich aus meinen Träumen.

Ich war aber schon einen großen Theil des Tages gegangen, ohne eine Spur von der schönen Prinzessin zu finden. Vergebens frug ich bei jeder Hütte, bei jedem Wanderer nach ihr und ihrem Gefolge, das ich genau beschrieb, und es schien nur zu gewiß, daß ich in meiner gestrigen Gemüthsbewegung den Weg zu wenig bemerkt hatte, den sie genommen, und daß ich heute einen falschen eingeschlagen hatte. Mein Gewissen ermahnte mich von neuem, zu den beiden Gebirgsbewohnern, meinen gütigen Reisegefährten, zurückzukehren, und unentschlossen zwischen zween Winden, stand ich einige Zeit nachsinnend. Zuletzt rief ich entschlossen aus: Wozu noch länger bei einem Irrweg verweilen, auf den ich zufällig gerieth? Fürwahr es scheint mir immer mehr, als ob ich mich zum geistlichen Stande wenig schicke. Diese Gebete und Büßungen der Brahminen, ihre magre Kost und schlechte Kleidungen, wollen mir, dem Sohne eines Kriegers, wenig zusagen, und ich fühle nur zu sehr, wie meine jungen Kräfte abnehmen, mein frisches Fleisch sich verlor, seitdem ich ein Pilger bin. Die Welt steht mir besser an, als solche unnöthige Büßungen in der frohen Zeit der Jugend. Wenn, wie alte Sagen erzählen, die Könige der Vorwelt sich in einem solchen abgezogenen Leben gefallen konnten, so muß damals die Welt noch nicht so schön und anlockend, oder ihre Natur anders gewesen sein als die meine. Lebe wohl, du genügsamer Mantel von Bast, rief ich, indem ich ihn von mir warf, lieber will ich mich im leichten Unterkleide in die Welt zurück betteln, als nun noch länger für einen Jogi gelten.

So gieng ich froh und leicht der Straße nach, auf der ich mich befand. Ich beschloß, wenn ich die Prinzessin heute und morgen nicht fände, dann unverzüglich meine Mutter, selbst mit Gefahr meines Lebens, aufzusuchen, die sich noch in Delhi befinden mußte. Gegen Abend gelangte ich bei einem Landhause an, das zwischen einigen einsamen Hügeln lag. Meine dünne Kleidung machte mich heute eines Obdaches mehr als sonst bedürftig, ich beschloß deshalb die Gastfreundschaft der Bewohner um ein Nachtlager zu ersuchen. Doch herrschte in dem ganzen Hause eine Stille, wie über Gräbern, und so sehr ich nach allen Seiten forsche, läßt sich keine Seele blicken. Zuletzt begegne ich einigen Dienern, die mit allen Zeichen einer tiefen Betrübniß, wie Taube und Blinde an mir vorüber giengen, ohne auf mich zu merken. Ich folge ihnen hinaus in den Garten, wo ich dieselbe traurige Stille fand, der ich eben in dem Hause entgangen war. Die Diener waren nirgends zu sehen, und der ganze Garten schien so ohne Menschen, wie das Haus. Zuletzt fand ich in einer marmornen Halle eine Menge Leute, welche Diener schienen, um einen reichgekleideten Greis versammelt, der wie ein tief Betrübter in sich selber versunken, da saß, und alle Umstehenden schienen von einer gleichen Betrübniß ergriffen. Einige von diesen, wie Reuter gekleidet, und von Staub und Schweiß bedeckt, schienen eben von einem eiligen Wege gekommen, und nach ihren Mienen zu schließen, war die Bot-{36}schaft, die sie dem Alten mitgebracht hatten, nicht fröhlich. Niemand hatte hier Zeit auf mich zu achten, und man ließ mich, ohne an Bewirthung zu denken, hungrig und müde stehen. Unwillig wende ich mich endlich von jenen weg, um irgend ein andres Unterkommen zu suchen, als mich schon beim Hinausgehen aus dem Landhaus, eine alte Sclavin zurück ruft.

Vergieb es unsrer tiefen Betrübniß, nothleidender Fremdling! redete sie mich an, wenn man dir so wenig Aufmerksamkeit erwiesen, und laß mich jetzt das Vergehen der Andern wieder gut machen.

Sie nöthigte mich bei diesen Worten wieder zu sich hinein, wo sie mich freundschaftlich bewirthete. Ich erfuhr von ihr die Ursache des allgemeinen Kummers, welcher auf den Bewohnern dieses Hauses ruhete. Der einzige Sohn des alten Herrn, den ich in der Halle sitzend gefunden, war seit einigen Tagen aus der Hauptstadt, wo er von frühester Jugend an erzogen war, zurück erwartet worden. Schon waren einige Diener zurück gekommen, die seine nahe Ankunft verkündigten; alle Vorbereitungen zu dem Empfange eines so theuren Gastes waren gemacht, als endlich sein Gefolge traurig und ohne ihn ankam. Er hatte sich auf der letzten Tagereise von seinen Leuten verloren, und schon seit einiger Zeit hatte man eine tiefe Zerstreuung, wie bei Einem, der sich mit andern Entschlüssen trägt, bemerkt. Gestern kamen seine Begleiter in dem Landhause an, die seinem alten Vater diesen Kummer statt der gehofften Freude mitbrachten. Zwar zerstreute man sich sogleich nach allen Seiten, um den Verlornen wieder zu finden, aber bis jetzt war alles Suchen vergebens. Einige fürchteten, daß ihm irgend ein Unglück zugestoßen sei, Andre, welche die Verhältnisse dieser Familie kannten, vermutheten, daß der Alte, der von außerordentlich strengem Charakter war, dem jungen Menschen durch einen neuen Beweis seiner Strenge die Lust benommen hätte, zu ihm zurückzukehren, und daß sich der Jüngling freiwillig bei Seite gemacht. Was aber jetzt das Unglück des ganzen Hauses noch vermehrte, war, daß die Mutter des so Verloren-Gegangenen eben gefährlich krank lag, und daß man mit Recht für ihr Leben fürchten mußte, sobald sie diese traurige Nachricht erführe, da sich ihr Zustand seit etlichen Tagen schon durch das vergebliche Erwart[e]n des seit seiner Kindheit nicht gesehenen Sohnes offenbar verschlimmert hatte. Bis jetzt hatte man ihr zwar noch die Flucht des Sohnes verheimlicht, da sie sich eben auf einem andern Landgute, eine halbe Tagereise von diesem entfernt, befand; länger aber würde es nun nicht möglich sein, die Sehnsucht der armen Mutter zu täuschen, besonders da ihr etwas voreilig jene Leute aus seinem Gefolge, die seiner Ankunft vorausgeeilt waren, seine Nähe schon angekündigt hatten.

Mir blieb kein Zweifel, daß der flüchtig gewordene Jüngling der nämliche sei, der mich gestern so gegen meinen Willen zum Wegweisen nach dem Gebirge gewonnen hatte, und ich theilte meine Vermuthung der Alten mit. Diese schien aus meiner Nachricht neue Hoffnung zu schöpfen, obwohl es unmöglich war, den schnell {37} berittnen Jüngling vor dem Verlauf von fast zwei Monaten aus dem fernen Himalehgebirge zurückzuführen, selbst wenn er noch an jenem Wohnort der Einsiedler, nach welchem er mich so angelegentlich frug, verweilen sollte. Dies machte die Alte von neuem traurig, weil dann für das Leben der Mutter wenig zu hoffen blieb. Endlich schien sie, indem sie mich schweigend betrachtete, auf einmal neue Hoffnung zu schöpfen. Ihre Mienen erheiterten sich, und sie eilte aus dem Zimmer hinaus.

Nach einiger Zeit kam sie fröhlich wieder zurück. Endlich habe ich, rief sie, ein Mittel gefunden, wie das Leben der Mutter gerettet, oder wie sie doch bis zur Zurückkunft ihres Sohnes bei gutem Muthe erhalten werden könne. Wohlauf! du sollst dir jetzt einen guten Lohn, und unsern freundlichsten Dank verdienen, wenn du dich zu einer Verkleidung willig finden lässest, die dir auf keine Weise lästig werden soll. Wir sind gedrungen, die Mutter zu täuschen, um sie zu retten. Mein ehemaliger Pflegling hatte mit dir, wie ich mich deutlich erinnere, ob ich ihn gleich seit dreizehn Jahren nicht gesehen, eine große Ähnlichkeit, auch scheinst du mit ihm von gleichem Alter. Man wird dich der kranken Mutter noch diese Nacht als den eben angekommenen Sohn darstellen. Weile dort nur einige Tage, und unter irgend einem Vorwand sollst du dann gern wieder entlassen werden.

Ich war, ich wußte selbst nicht warum? sogleich sehr geneigt, diesen abentheuerlichen Vorschlag anzunehmen. Die Alte ließ mich in ein Bad führen, dann mit köstlichen Kleidern versehn, und schien etwas zu erstaunen da sie mich jetzt in der natürlichen Gestalt meines angebornen Standes wieder zu sich hineintreten sahe. «Wahrhaftig,» rief sie, «du machst der Rolle eines Prinzen vollkommen Ehre, und das scharfsichtigste Auge wird hinter diesen Kleidern nicht den dürftigen Bettler suchen.» Sie führte mich hierauf zu dem ehrwürdigen Greis, dem sie, ihrer eignen List sich freuend, mich vorstellte. Jener sah mich schweigend und mit ernstem Blicke an, und winkte hierauf, wir möchten uns entfernen.

Es war schon alles zu meiner Abreise zugerüstet. Vorher unterrichtete mich noch die Alte von den Namen und Familienverhältnissen des Hauses, in welchem ich jetzt eine so wichtige Person vorstellen sollte. Ich erinnerte mich nun des Namens dieser fürstlichen Familie wohl, deren Glieder ich in meiner Kindheit öfters gesehen, und die ich noch später von meinem Vater öfters nennen hörte. Ja der nämliche Jüngling, dessen Stelle ich jetzt vertrat, war in der Kindheit mein liebster Gespiele gewesen, und unsre Väter waren die vertrautesten Freunde. In den Zeiten des ehemaligen Glanzes meines väterlichen Hauses, hatte sich die Familie nicht mit ihm messen können, jetzt aber, wie aus Allem schien, was mir die Alte berichtete, gab sie an Glanz und äußerm Glück dem gesunkenen Hause der Alitis nichts nach. Außer der Mutter sollte ich blos noch eine Schwester finden, die erst neuerlich von einer frommen Erzieherin zurückgekehrt, ihren Bruder seit eben so langer Zeit nicht gesehen hatte, als die Mutter. So mit Namen, Charakter und allen frühesten Verhältnissen der andern {38} Glieder der Familie, zu dem jungen Prinzen, als welcher ich eingeführt wurde, wohl unterrichtet, nahm ich von der Alten Abschied.

Wir kamen ziemlich spät bei Nacht, von Fackeln geführt, in dem Schlosse an. Freudig wurde ich empfangen und nach dem Zimmer der Mutter geführt. Diese ehrwürdige Frau, von einem langen Krankenlager ermattet, schien bei meinem Anblick neue Kräfte zu bekommen, und umschlang mich mit tausend Freudenthränen, so daß ich selbst tief gerührt, die eines solchen Augenblickes unwürdige Täuschung sogleich aufgegeben hätte, wenn nicht eben auch wieder die Theilnahme an der liebevollen Mutter, zu deren Rettung ich dieses Spiel unternommen, mich zurückgehalten hätte. Doch wurde mir bald darauf die Rolle, die ich spielte, so lieb, daß ich sie gern mit meinem eignen Leben eingetauscht hätte, obgleich die Fassung, die ich bei dem Gruß der Mutter erhalten hatte, in noch größre Gefahr gerieth. Die Tochter der Kranken, meine erdichtete Schwester, trat jetzt herein, und sank in meine Arme, und war keine andre – als Jene, die, seitdem ich sie sahe, so tief in meiner innersten Seele wohnte. Wie vermöchte ich dir, wenn du vielleicht nie geliebt hast, zu beschreiben, wie mir jetzt war, als sie mich mit ihren Armen umschlungen, ihre Brust an die meine gelegt, als ihre Wange die meine, mein Mund den ihrigen berührte, und ein solches unaussprechliches Glück so unvermuthet und so ganz auf einmal kam! Ich stammelte, ich weiß nicht welche ungereimte Worte, die mich, wenn sie deutlicher, oder vor aufmerksamern Ohren wären gesprochen worden, hätten verrathen müssen; so aber wurde meine tiefe Gemüthsbewegung, die mich gegen Alles, außer nur gegen sie, etwas taub und blind machte, dem Wiedersehen nach so langer Zeit, zugeschrieben, und bei der eignen Rührung übersehen.

Ich weiß nicht wie lange ich gebraucht, ehe ich wieder zu einiger Fassung kam, die mir allerdings sehr nöthig war, da jetzt Mutter und Schwester mit mir über Dinge sprachen, die mir meist ganz unbekannt waren. Nur der Unterricht der Alten half mir über Einiges aus, obgleich er in Vielen nicht hinreichte. Denn wenn jetzt meine schöne Schwester, deren Anblick ja auch das wirklich geschehene vergessen machte, kleine Jugendgeschichten, die doch eigentlich mir begegnet waren, genauer wußte als ich selber, wenn mir dann die Mutter Vorfälle, die sich, wie ich selber nach Hause berichtet hatte, e[r]st ganz kürzlich mit mir zugetragen, genau mit allen Nebenumständen ins Gedächtniß rufen mußte, ehe ich mich selber darauf besinnen konnte, so war dies freilich nur mit den Geschäften und Zerstreuungen der großen Stadt zu entschuldigen, in der ich gelebt hatte, die mich manches als unbedeutend hatten vergessen lassen, was jene bei ihrem einförmigen Leben leicht behalten konnten. Übrigens waren beide so weit entfernt, einigen Verdacht zu hegen, daß sie vielmehr öfters bewunderten, wie ich mir doch so ungemein ähnlich geblieben, und wie wenig ich in Gebärden und Äußeren verändert sei. Sogar eine kleine Narbe, die ich auf meiner Reise nach dem Gebirge, an der linken Hand bekommen, mußte dieselbe sein, die ich einige Tage vor meiner Trennung aus Liebe zu meiner Schwester erhalten {39} hatte, der ich, als sie mit kindischer Sehnsucht eine einzelne Spätblüthe von dem äußersten Ende eines Dewabaumes verlangte, diese nur durch jene Wunde zu erkaufen vermochte, und diese zufällige Narbe trug mir noch jetzt einen Kuß ein, welchen ich gern mit allen Wunden in der Welt bezahlt hätte. Dann schien meine Schwester, deren Blick mit demselben Wohlgefallen auf mir ruhete, als der meinige auf ihr, sich auf einmal an etwas zu erinnern. O sieh doch, rief sie einer ihrer Dienerinnen zu, welche auffallende Ähnlichkeit jener junge dürftige Pilger, dem wir neulich am Waldrande begegneten, mit meinem Bruder hatte; sieh doch, wie beide diese herrlichen Augen, die mit allem Glanz der Welt wetteifern, beide dieses Angesicht, strahlend von einer mehr als irdischen Schönheit, gemeinschaftlich haben, und wie die Natur sich gefallen, zwei solche Gestalten zu gleicher Zeit hervorzubringen. Ja, mein Bruder, sprach sie zu mir, der seine Verlegenheit kaum verbarg, du darfst dich nicht schämen, einem armen Jogi zu gleichen, der nach dem Ausspruch aller meiner Begleiterinnen der schönste Mann sein sollte, den sie sahen. Mir fiel wohl erst eben jetzt ein, wie schön er war, und wie fromm er aussahe; und ich lobe ihn nur, weil er dir glich.

So vergieng die Nacht in den innigsten Liebkosungen wie ein Augenblick. Der Morgen war vielleicht nicht mehr fern, als uns endlich eine Krankenwärterin, noch immer sehr zur ungelegenen Zeit, daran erinnerte, daß die Kranke und auch wohl ich nach der Reise, der Ruhe bedürften.

Ich ruhete nur kurze Zeit in süßen Träumen, zu noch süßeren aus. Wie vermöchte ich meine Rührung zu beschreiben, da ich mich beim Erwachen in demselben Zimmer des väterlichen Hauses fand, wo ich meine erste Kindheit zubrachte, da ich denselben Garten vor den Fenstern erkannte, in dem ich als Kind so oft gespielt hatte. Nur die Nacht und meine gestrige Gemüthsbewegung hatten mich das so wohl bekannte Zimmer und das väterliche Schloß verkennen lassen, in welches ich – wie sonderbar! jetzt wieder als Kind im Hause zurückgekehrt war.

Ich kleidete mich schnell an und eilte, da ich es im Schlosse noch zu früh glaubte, hinunter in den Garten. Ja hier stunden noch die Blüthensträuche, die ich als Kind mit eignen Händen pflanzte, und die jetzt der angehende Herbst mit Purpurfrüchten schmückte. Dort war noch dieselbe Laube, die für mich und meine beiden Schwestern gebaut war, dort der Brunnen, an dessen kühlem Rande ich so oft mit meiner Mutter gesessen hatte. Hier unter diesen Bäumen hatte ich meine jungen Kräfte oft im Ringen und Bogenschießen geübt; dort stand noch, unverändert, meines Vaters liebstes Gartenhaus. Ich sahe dieses Alles nicht ohne Thränen, ein armer Fremdling in dem rechtmäßigen Hause meiner Väter! und nur daß Sie, die mir mehr als mein eignes Leben, jetzt hier wohnte, konnte mich mit dem ungerechten Schicksal aussöhnen.

Indem ich hier fröhlich und traurig zugleich, in den süßen Erinnerungen einer frühen Vergangenheit verweilte, rufte mich eine sanfte weibliche Stimme in die noch {40} schönere Gegenwart zurück. Sie war es, die mich schon früh im Garten aufsuchte. Mit einem Entzücken, das sie in ihrer Unbefangenheit nicht verbergen konnte, schlang sie ihre Arme um mich, erzählte mir, wie sie heute die Freude nicht schlafen lassen, und gab mir ein Bildniß ihrer Gemüthsbewegung, das ich, seit ich liebte, wohl kannte, und das nur sie in ihrer Unschuld für schwesterliche Zuneigung hielt. In einer grünen Laube, innig umschlungen, tausend Küsse wechselnd, saßen wir, und wer uns gesehen, hätte in uns nicht liebende Geschwister, sondern das, was wir waren, innig Liebende, in den ersten süßen Stunden der Liebe, erkannt. So empfieng ich an diesem Orte, dessen sich meine erste Kindheit erfreute, eine neue schönere Jugend, ein neues Leben, davon ein einziger Augenblick meine ganz so bunt abwechselnde Vergangenheit aufwog. Wir hätten beide in dem seeligen Rausch der ersten Liebe vergessen, daß eine zärtliche Mutter uns erwarte, wenn nicht eine Sclavin, von ihr abgesendet, uns daran erinnert hätte. Hand in Hand eilten wir zu ihr.

Die Kranke war heute bei weitem besser als gestern, und hatte offenbar durch die Freude des vermeinten Wiedersehens, an Kräften gewonnen. Ihre Züge waren so heiter, ihr Aussehen wieder so jugendlich, daß ich sie, die einst so oft bei meiner Mutter war, ganz wieder erkannte. Wir saßen hier in Liebkosungen und freundlichen Gesprächen, als wir auf einmal Reuterei ins Schloß hineinsprengen hörten. Es war der Vater meiner Geliebten, der sich, vielleicht mit Recht über den Erfolg des listigen Handels unruhig, so früh aufgemacht hatte. Mir hätte seine Ankunft nie ungelegener kommen können. Fröhlich bewillkommten ihn die Seinen, und auch ich begrüßte ihn, vielleicht mit innigerer Wärme, als er es vermuthete, als Vater. So erfreut er anfangs war, seine Gemahlin so unvermuthet viel besser zu finden, schien ihn doch bald die Weise, wie dieses bewirkt war, nicht mehr zu erfreuen, als er die unverstellte Zärtlichkeit seiner Tochter gegen mich bemerkte. Diese, in ihrer süßen Unbefangenheit, hörte nicht auf mir die Hände zu drücken, jetzt im vertraulichen Gespräch ihre Arme auf meine Schultern zu legen, während ich in der Gegenwart des finstren Alten allen ihren himmlischen Liebkosungen nur mit ängstlicher Verlegenheit begegnete.

Dieses falsche Spiel mochte der Alte zuletzt nicht mehr ruhig ansehen können; nur die Gegenwart seiner Gemahlin, um derentwillen die Täuschung noch einige Zeit fortgeführt werden mußte, hielt ihn ab, seinen Zorn laut ausbrechen zu lassen. Er rief seine Tochter unter dem Vorwand eines Geschäfts, mit finstern Blicken mit sich hinaus, und kam einige Zeit nachher allein zurück. Ich sahe sie diesen ganzen Tag nicht wieder, so oft auch meine liebenden Blicke und selbst die Mutter nach ihr fragten, und dieser Tag, der so selig begonnen, endete hernach desto trauriger. Jene saß indeß, wie ich später von ihr erfuhr, tief betrübt über die Aufschlüsse und Verweise, die ihr der Vater gegeben, weinend in ihrem Zimmer, vielleicht mit einem nicht minder liebekranken Herzen als das meinige war. –

Da für die Gesundheit der Mutter mein Hierbleiben noch nöthig schien, blieb ich heute noch ungestört in meiner Rolle. Am andern Morgen gieng ich, trübsinniger {41} als gestern, durch die Gänge des ehemaligen väterlichen Gartens. Mit innigem Sehnen nahete ich mich jener Laube, wo ich gestern so glückselig war, als ich beim Hereintreten Sie selber, die innig Geliebte, erblickte, ihr Haupt traurig auf den weißen Arm gestützt, die Augen, aus denen sich heiße Thränen ergossen, an den Boden geheftet. Einige Augenblicke betrachtete ich sie schweigend, ohne daß sie mich bemerkte, bis auf einmal ihre Augen auf mich fielen. Sie schien zu erschrecken, und wollte entfliehen, aber meine traurige bittende Miene hielt sie zurück.

Wir betrachteten uns einige Zeit mit schwermüthigem Stillschweigen, welches zuletzt ich unterbrach. Woher kömmt nur, redete ich sie an, Du, die ich tausendfach inniger liebe als meine eigne Seele, dieser tiefe Schmerz? Weinst du vielleicht, daß der Sommer vorübergieng, und daß alle schönen Blumen, deine Schwestern, am Anfange der thaubringenden Jahreszeit welkten? O! siehe diese Gärten vermissen die belebenden Frühlingslüfte nicht, seitdem dein süßer Athem seufzend sie berührte. Laß nur einmal dein Lächeln über diesen grünen Garten schauen, und alle Gebüsche werden sich mit einem neuen Frühling schmücken! Oder weinst du vielleicht, weil Einer, der dir nur ein Bettler scheint, mit den Zeichen deiner schwesterlichen Liebe beglückt war? So wisse denn, daß ich nicht das bin, wofür mich jene hielten, und daß sich das Haus deiner Väter des Meinigen nicht schämen darf, da ich aus einem nicht minder erlauchten Geschlecht dieses Landes bin. Laß deine Augen nur noch einmal freundlich auf mich lächeln, und ich eile muthig, deine Gunst nicht als Bruder, sondern als Gatte zu verdienen, indem ich, es sei durch welche Kämpfe es wolle, zu dem angebornen Stand, den ich gezwungen verlassen, zurückkehre.

Das herrliche Mädchen sahe mich bei diesen Worten zärtlich und freundlich an, und jetzt hielt ich mich nicht länger, ich bedeckte ihre Hand mit Küssen, und wagte zuletzt, ihren Lippen alle jene heißen Küsse zu wiederholen, die sie mir gestern gewährten.

Doch diese süße Stunde meines Lebens wurde nur zu rauh unterbrochen. Indem wir uns mit Seufzen, Küssen und abgebrochnen Worten Liebe und Gegenliebe bekennen, stürzt auf einmal der Alte mit fürchterlichem Zorn herein. Ich weiß nicht, was er gesprochen, so betäubt war ich. Nur meine ohnmächtige Geliebte, wie sie die Diener von meiner Seite trugen, während andre mich hielten, nur das bloße Schwerdt des Alten, welches mehrere Male über meinem Haupte schwebte, sind mir als dunkle Bilder geblieben. Zuletzt wurde ich etwas unsanft von zwei Sclaven aus dem Garten hinausgeführt, den sie hinter mir verschlossen.

Lange Zeit wußte ich nichts von mir selber. Nur meine heißen Thränen riefen mich wieder ins Bewußtsein. Hier, von der Thüre des geliebten Gartens wäre {42} ich nie gewichen, wäre nicht zuletzt ein Sclave von meinem gewesenen Gefolge zu mir gekommen, der Mitleiden mit mir zu haben schien, und der mich bat, mich doch von hier zu entfernen, weil ich sonst bei der heftigen Gemüthsart des Alten nicht allein mich, sondern auch die Prinzessinn in Lebensgefahr bringen würde, wenn ich länger verweilte. Dieses wirkte. Sage deinem grausamen Herrn, sprach ich noch im Weggehen zu dem Sclaven, daß er heute keinen dürftigen Bettler hier so gemishandelt hat, sondern den Prinzen des einst so erhabenen als unglücklichen Aliti, seines Jugendfreundes, und daß ich ihn um dieser Freundschaft meines Vaters willen flehe, seiner Tochter nicht den Zorn fühlen zu lassen, den nur ich verdiente.

Ich eilte hinweg, und entzog mich den Blicken des erstaunten Sclaven in einem Wäldchen, das an die Mauer des Gartens anstieß. Ich kam hier, nachdem ich einige Zeit gegangen, an ein kleines Haus, das damals einem treuen Diener meines Vaters, der mich in meiner Kindheit ganz vorzüglich lieb hatte, angehörte. Ich beschloß bei ihm, wenn er noch lebte, Erkundigung über meine Mutter und Schwestern einzuziehen; denn jene war, wie ich am Anfang erwähnte, als eine Verwandte des Königs, bei meines Vaters Verbannung und Flucht gewaltsam mit ihren Töchtern zurückgehalten worden. Ich fand den Alten noch am Leben, der mich, sobald ich ihm mich zu erkennen gegeben, mit tausend Thränen bewillkommte. Ich erfuhr nun von ihm, daß meine Mutter schon seit fast zwei Jahren nicht mehr in Delhi sei, sondern daß sie sich den Augen des Tirannen entzogen, als dieser die zurückgebliebene Familie meines alten Oheims, der mit meinem Vater zugleich verbannt wurde, aus dem Lande vertrieben, weil sie sich zu angelegentlich und vielleicht unter der Hand nach gewaltsameren Maßregeln sich umsehend, für unsre Unschuld verwendete. Allem Anschein nach war sie mit ihren Töchtern, deren eine mit dem Sohne meines Oheims verlobt war, mit den Verbannten zugleich entflohen, und seitdem hatte man nichts wieder von ihr vernommen. Doch sei der alte König, der so streng an meiner Familie verfahren, seit einigen Monaten todt, und vielleicht sei von dem neuen Regenten eine mildere Gesinnung, und die Zurückberufung der unschuldigen Familie der Alitis zu erwarten.

Ich hörte diese Nachricht traurig an, da nun auch meine Hoffnung, meine Mutter zu begrüßen, vereitelt war. Indem wir noch sprachen, hörten wir nahebei ein Pferdegetrappel. Der Alte gieng hinaus und kam nach einiger Zeit vor Furcht blaß zurück. Herr, rief er, verweile nicht länger an diesem Ort, der dir mit neuen Gefahren droht. Eine Schaar von Bewaffneten sucht dich im ganzen Wald, und nur mit Mühe ist mir's gelungen, ihre Nachforschungen von meiner Wohnung noch abzulenken. Doch kehren sie, wenn sie dich anderwärts nicht fanden, gewiß in Kurzem zurück, darum so verziehe keinen Augenblick, wirf dich auf dieses schnelle Pferd, und eile aus dem gefährlichen Wald hinaus.

So wenig mir an meinem Leben lag, gab ich doch den Bitten des guten Mannes nach, und entflohe. Ich ritt diesen ganzen Tag, und noch einen Theil des folgenden {43} in der Irre herum. Dann aber hielt ich mich nicht länger, die Liebe war mächtiger als alle Bedenklichkeit, und ich war schon auf dem Wege, nach dem Hause der Geliebten zurückzukehren, als ich auf der Straße unter ein prächtiges Gefolge gerathe. Ich sahe mich tief bekümmert wenig nach jenen um, als mich auf einmal einer von ihnen beim Namen nannte. Da siehe, erkenne ich wieder den verwünschten Bekannten aus Agra, der mir neulich am Anfange meiner Wallfahrt bei Benares begegnete. Er wunderte sich, mich heute so prächtig gekleidet wieder zu sehen, ich aber hörte wenig auf das, was er sprach, bis er auf einmal in freudiger Geschwätzigkeit ausrief:

Und du, du wirst dich wundern, was ich hier in Delhi in so stattlichem Aufzuge suche? so wisse denn, daß ich als bestimmter Bräutigam die schönste Prinzessin des Landes heimhole. Hierauf nennt er mir den Namen meiner Geliebten. Ich aber vor Zorn und Schmerz außer mir, Verwünschungen stammlend, werde von jenem für fieberkrank gehalten. Doch hatte ich keine Lust, die Hülfe anzunehmen, die mir jener anbot, keine Lust mehr, zu der Geliebten, ach! die nun ohne Hoffnung verloren war, zurückzukehren. Ich eilte, mich den Augen Aller, die mich kannten, zu entziehen, und kam zuletzt, von der innern Noth getrieben, hieher, wo ich in der dürftigen Gestalt, worin du mich gefunden, meine elenden Tage mit gezwungenem Singen hinbringe, immer noch thöricht, ich weiß nicht worauf? hoffend, bis meine treue Liebe und der Kummer ein solches unwürdiges Leben endigen werden[.]

Hiermit schloß der Saitenspieler seine Geschichte, die der Fremde mit immer steigendem Interesse und mit unverkennbarer Gemüthsbewegung angehört hatte. Jetzt stürzte er jenem in die Arme, und rief: Nun wohlauf! daß ich dich endlich gefunden, den ich seit etlichen Monaten vergeblich suchte. Ja ich bin der erste Gespiele deiner Kindheit, bin der Ungestüme, der dich mit Gewalt zum Wegweiser machte, bin der Bruder deiner Braut, und noch mehr, bin der Gemahl deiner Schwester. Auf! komme mit mir zu Schiffe! und daß dich doch ein günstiger Wind so schnell als möglich in die Arme meiner Schwester zurückführte, die deiner mit inniger Liebe und krank an Sehnsucht wartet. Denn daß aus der Vermählung mit deinem Bekannten aus Agra, die ohnehin nicht so nahe war als jener vorgab, nichts geworden, würdest du ohne meine Versicherung glauben, wenn du wüßtest, wie treu und tief meine Liebe zu dir war, und noch mehr, wenn du wüßtest, wie die Reuter meines Vaters, die dich zuletzt aus Delhi verscheuchten, dich zurückbringen sollten, weil mein Vater, der deinen wahren Namen jetzt erfahren, sein Vergehen an dem Sohn seines Jugendfreundes wieder gut machen, und dir die Hand seiner Tochter geben wollte. Dein Schicksal hätte sich dann früher entschieden. Denn an demselben Tag, wo du so ungestüm aus dem eignen Garten hinausgeworfen wurdest, hatte mein Vater die Nachricht empfangen, daß eure Verbannung aufgehoben, eure Güter euch wiedergegeben wären. Und daß deiner Familie diese Gerechtigkeit vom neuen Regenten wiederfahren, war zum Theil auch mein Werk. Ja wisse, jene Reise ins Gebirge, wo du mir Wegweiser warst, führte mich in die Arme deiner jüngsten Schwester, seit {44} etlichen Monaten meine Gemahlinn, die ich schon vor der Flucht deiner Mutter aus Delhi gekannt und geliebt hatte. Sie war das junge Mädchen, das dir aus der Hütte der Einsiedler entgegen kam, weinend, weil sie den Tod deines und ihres Vaters, davon du die Nachricht nach dem Gebirge gebracht, schon auf einem kürzeren Wege als der deinige war, durch deinen alten Oheim erfahren. Ja eben der Alte, den du im verfallenen Gebäude gefunden, war dein Oheim, der dich an einer Kette, die an deinem Busen aus dem geöffneten Gewand sichtbar wurde, und an deinen Gesichtszügen erkannte. Die Einsiedler verbargen dir, wer sie waren, damit du, der doch offenbar unschuldig als Kind verbannt war, für dich allein, ohne von einer Gemeinschaft mit der erst neulich verbannten Familie deines Oheims, gegen die der Zorn des Königs noch frisch war, selber etwas zu wissen, deine Sache führen könntest. Es war schon Alles eingeleitet, wie man dich in deiner natürlichen Unbefangenheit bei Hofe einführen, und wie man dich bei diesem letzten Schritte, wobei Alles zu wagen und zu gewinnen war, zugleich sichern wollte, als du, schon mitten in Delhi, deinen beiden Begleitern, den Söhnen deines Oheims entflohest.

Doch du sollst bald Alles ausführlicher erfahren. Jetzt aber siehe! erinnert uns der Westwind, welcher dort die Frühlingswolken vom Meere heraufführt, an eine schnelle Abreise.

rstu.