BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Karl Simrock

1802 - 1876

 

Das Nibelungenlied

 

Fünfundzwanzigstes Abenteuer

 

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Wie die Könige zu den Heunen fuhren.

 

1561

Wie man dort gebarte, | vernahmt ihr nun genug.

Wohl kamen nie gefahren | in solchem stolzen Zug

So hochgemuthe Degen | in eines Königs Land;

Sie hatten, was sie wollten, | beides, Waffen und Gewand.

1562

Der Vogt vom Rheine kleidete | aus seinem Heergeleit

Der Degen tausend sechzig, | so gab man uns Bescheid,

Und neuntausend Knechte | zu dem Hofgelag;

Die sie zu Hause ließen, | beweinten es wohl hernach.

1563

Da trug man ihr Geräthe | zu Worms übern Hof.

Wohl sprach da von Speier | ein alter Bischof

Zu der schönen Ute: | «Unsre Freunde wollen fahren

Zu dem Gastgebote: | möge Gott sie da bewahren.»

1564

Da sprach zu ihren Söhnen | Ute, die Fraue gut:

«Ihr solltet hier verbleiben, | Helden hochgemuth.

Geträumt hat mir heute | von ängstlicher Noth,

Wie all das Gevögel | in diesem Lande wäre todt.»

1565

«Wer sich an Träume wendet,» | sprach dawider Hagen,

«Der weiß noch die rechte | Kunde nicht zu sagen,

Wie es mög am Besten | um seine Ehre stehn:

Es mag mein Herr nur immer | mit Urlaub hin zu Hofe gehn.

1566

«Wir wollen gerne reiten | in König Etzels Land:

Da mag wohl Köngen dienen | guter Helden Hand,

So wir da schauen sollen | Kriemhildens Hochzeit.»

Hagen rieth die Reise; | doch ward es später ihm leid.

1567

Er hätt es widerrathen, | nur daß Gernot

Mit ungefügen Reden | ihm Spott entgegenbot.

Er mahnt' ihn an Siegfried, | Frau Kriemhildens Mann:

Er sprach: «Darum steht Hagen | die große Reise nicht an.»

1568

Da sprach von Tronje Hagen: | «Nicht Furcht ist's, daß ich's thu.

Gebietet ihr es, Helden, | so greift immer zu:

Gern will ich mit euch reiten | in König Etzels Land.»

Bald ward von ihm zerhauen | mancher Helm und Schildesrand.

1569

Die Schiffe standen fertig | zu fahren überrhein;

Was sie an Kleidern hatten, | trugen sie darein.

Sie fanden viel zu schaffen | bis zur Abendzeit;

Sie huben sich von Hause | zur Reise freudig bereit.

1570

Sie schlugen auf im Grase | sich Hütten und Gezelt

Jenseits des Rheines, | wo das Lager war bestellt.

Da bat noch zu verweilen | Gunthern sein schönes Weib;

Sie herzte nachts noch einmal | des Mannes waidlichen Leib.

1571

Flöten und Posaunen | erschollen morgens fruh

Den Aufbruch anzukündigen: | da griff man bald dazu.

Wem Liebes lag im Arme, | herzte des Freundes Leib;

Mit Leid trennte Viele | des König Etzel Weib.

1572

Der schönen Ute Söhne | die hatten einen Mann,

Der kühn war und bieder; | als man die Fahrt begann,

Sprach er zu dem Könige | geheim nach seinem Muth.

Er sprach: «Ich muß wohl trauern, | daß ihr die Hofreise thut.»

1573

Er war geheißen Rumold, | ein Degen auserkannt.

Er sprach: «Wem wollt ihr laßen | Leute nun und Land?

Daß Niemand doch euch Recken | wenden mag den Muth!

Die Mären Kriemhildens | dauchten mich niemals gut.»

1574

«Das Land sei dir befohlen | und auch mein Söhnelein;

Und diene wohl den Frauen: | das ist der Wille mein.

Wen du weinen siehest, | dem tröste Herz und Sinn;

Es wird uns nichts zu Leide | Kriemhild thun, die Königin.»

1575

Eh man schied von dannen, | berieth der König hehr

Sich mit den höchsten Mannen; | er ließ nicht ohne Wehr

Das Land und die Burgen: | die ihrer sollten pflegen,

Zum Schutze ließ er denen | manchen auserwählten Degen.

1576

Die Rosse standen aufgezäumt | den Mannen wie den Herrn:

Mit minniglichem Kusse | zog da Mancher fern,

Dem noch in hohem Muthe | lebte Seel und Leib;

Das muste bald beweinen | manches waidliche Weib.

1577

Wehruf und Weinen | hörte man genug;

Auf dem Arm die Königin | ihr Kind dem König trug:

«Wie wollt ihr so verwaisen | uns beide auf ein Mal?

Verbleibet uns zu Liebe,» | sprach sein jammerreich Gemahl.

1578

«Frau, ihr sollt nicht weinen | um den Willen mein,

Ihr mögt hier ohne Sorgen | in hohem Muthe sein:

Wir kommen bald euch wieder | mit Freuden wohl gesund.»

Sie schieden von den Freunden | minniglich zur selben Stund.

1579

Als man die schnellen Recken | sah zu den Rossen gehn,

Fand man viel der Frauen | in hoher Trauer stehn.

Daß sie auf ewig schieden, | sagt' ihnen wohl der Muth:

Zu großem Schaden kommen, | das thut Niemanden gut.

1580

Die schnellen Burgunden | begannen ihren Zug.

Da ward in dem Lande | das Treiben groß genug;

Beiderseits des Rheines | weinte Weib und Mann.

Wie auch das Volk gebarte, | sie fuhren fröhlich hindann.

1581

Niblungens Helden | zogen mit ihnen aus

In tausend Halsbergen: | die hatten dort zu Haus

Viel schöne Fraun gelaßen | und sahn sie nimmermehr.

Siegfriedens Wunden | die schmerzten Kriemhilden sehr.

1582

Nur schwach in jenen Zeiten | war der Glaube noch:

Es sang ihnen Messe | ein Kaplan jedoch:

Der kam gesund zurücke, | obwohl aus großer Noth;

Die andern blieben alle | dort im Heunenlande todt.

1583

Da lenkten mit der Reise | auf den Mainstrom an

Hinauf durch Ostfranken | Die Gunthern unterthan.

Hagen war ihr Führer, | der war da wohlbekannt.

Ihr Marschall war Dankwart, | der Held von Burgundenland.

1584

Da sie von Ostfranken | durch Schwalefelde ritten,

Da konnte man sie kennen | an den herrlichen Sitten,

Die Fürsten und die Freunde, | die Helden lobesam.

An dem zwölften Morgen | der König an die Donau kam.

1585

Da ritt von Tronje Hagen | den andern all zuvor:

Er hielt den Nibelungen | zumal den Muth empor.

Bald sprang der kühne Degen | nieder auf den Strand,

Wo er sein Ross in Eile | fest an einem Baume band.

1586

Die Flut war ausgetreten, | die Schifflein verborgen:

Die Nibelungen kamen | da in große Sorgen,

Wie sie hinüber sollten: | das Wasser war zu breit.

Da schwang sich zur Erde | mancher Ritter allbereit.

1587

«Uebel,» sprach da Hagen, | «mag dir wohl hier geschehn,

König an dem Rheine; | du magst es selber sehn:

Das Wasser ist ergoßen, | zu stark ist seine Flut:

Ich fürchte, wir verlieren | noch heute manchen Recken gut.»

1588

«Hagen, was verweist ihr mir?» | sprach der König hehr, |

«Um eurer Hofzucht willen | erschreckt uns nicht noch mehr.

Ihr sollt die Furt uns suchen | hinüber an das Land,

Daß wir von hinnen bringen | beides, Ross' und Gewand.»

1589

«Mir ist ja noch,» sprach Hagen, | «mein Leben nicht so leid,

Daß ich mich möcht ertränken | in diesen Wellen breit:

Erst soll von meinen Händen | ersterben mancher Mann

In König Etzels Landen, | wozu ich gute Lust gewann.

1590

«Bleibet bei dem Wasser, | ihr stolzen Ritter gut.

So geh ich und suche | die Fergen bei der Flut,

Die uns hinüber bringen | in Gelfratens Land.»

Da nahm der kühne Hagen | seinen festen Schildesrand.

1591

Er war wohl bewaffnet: | den Schild er bei sich trug;

Sein Helm war aufgebunden | und glänzte hell genug.

Ueberm Harnisch führt' er | eine breite Waffe mit,

Die an beiden Schärfen | aufs allergrimmigste schnitt.

1592

Er suchte hin und wieder | nach einem Schiffersmann.

Da hört' er Wasser rauschen; | zu lauschen hub er an.

In einem schönen Brunnen | that das manch weises Weib:

Die gedachten da im Bade | sich zu kühlen den Leib.

1593

Hagen ward ihrer inne, | da schlich er leis heran;

Sie eilten schnell von hinnen, | als sie den Helden sahn.

Daß sie ihm entrannen, | des freuten sie sich sehr.

Da nahm er ihre Kleider | und schadet' ihnen nicht mehr.

1594

Da sprach das eine Meerweib, | Hadburg war sie genannt: |

«Hagen, edler Ritter, | wir machen euch bekannt,

Wenn ihr uns dagegen | die Kleider wiedergebt,

Was ihr auf dieser Reise | bei den Heunen erlebt.»

1595

Sie schwammen wie die Vögel | schwebend auf der Flut.

Da daucht ihn ihr Wißen | von den Dingen gut:

So glaubt' er um so lieber, | was sie ihm wollten sagen.

Sie beschieden ihn darüber, | was er begann sie zu fragen.

1596

Sie sprach: «Ihr mögt wohl reiten | in König Etzels Land:

Ich setz euch meine Treue | dafür zum Unterpfand:

Niemals fuhren Helden | noch in ein fremdes Reich

Zu so hohen Ehren: | in Wahrheit, ich sag es euch.»

1597

Der Rede war da Hagen | im Herzen froh und hehr!

Die Kleider gab man ihnen | und säumte sich nicht mehr.

Als sie umgezogen | ihr wunderbar Gewand,

Vernahm er erst die Wahrheit | von der Fahrt in Etzels Land.

1598

Da sprach das andre Meerweib | mit Namen Siegelind:

«Ich will dich warnen, Hagen, | Aldrianens Kind.

Meine Muhme hat dich | der Kleider halb belogen:

Und kommst du zu den Heunen, | so bist du übel betrogen.

1599

«Wieder umzukehren, | wohl wär es an der Zeit,

Dieweil ihr kühnen Helden | also geladen seid,

Daß ihr müßt ersterben | in der Heunen Land:

Wer da hinreitet, | der hat den Tod an der Hand.»

1600

Da sprach aber Hagen: | «Ihr trügt mich ohne Noth:

Wie sollte das sich fügen, | daß wir alle todt

Blieben bei dem Hofgelag | durch Jemandes Groll?»

Da sagten sie dem Degen | die Märe deutlich und voll.

1601

Da sprach die Eine wieder: | «Es muß nun so geschehn,

Keiner wird von euch allen | die Heimat wiedersehn

Als der Kaplan des Königs: | das ist uns wohlbekannt,

Der kommt geborgen wieder | heim in König Gunthers Land.»

1602

Ingrimmen Muthes | sprach der kühne Hagen:

«Das ließen meine Herren | schwerlich sich sagen,

Wir verlören bei den Heunen | Leben all und Leib;

Nun zeig uns übers Wasser, | allerweisestes Weib.»

1603

Sie sprach: «Willst du nicht anders | und soll die Fahrt geschehn,

So siehst du überm Wasser | eine Herberge stehn:

Darin ist ein Ferge | und sonst nicht nah noch fern.»

Weiter nachzufragen, | des begab er nun sich gern.

1604

Dem unmuthsvollen Recken | rief noch die Eine nach:

«Nun wartet, Herr Hagen, | euch ist auch gar zu jach;

Vernehmt noch erst die Kunde, | wie ihr kommt durchs Land.

Der Herr dieser Marke | der ist Else genannt.

1605

«Sein Bruder ist geheißen | Gelfrat der Held,

Ein Herr im Baierlande: | nicht so leicht es hält,

Wollt ihr durch seine Marke: | ihr mögt euch wohl bewahren

Und sollt auch mit dem Fergen | gar bescheidentlich verfahren.

1606

«Der ist so grimmes Muthes, | er läßt euch nicht gedeihn,

Wollt ihr nicht verständig | bei dem Helden sein.

Soll er euch überholen, | so bietet ihm den Sold;

Er hütet dieses Landes | und ist Gelfraten hold.

1607

«Und kommt er nicht bei Zeiten, | so ruft über Flut

Und sagt, ihr heißet Amelrich; | das war ein Degen gut,

Der seiner Feinde willen | räumte dieses Land:

So wird der Fährmann kommen, | wird ihm der Name genannt.»

1608

Der übermüthge Hagen | dankte den Frauen hehr

Des Raths und der Lehre; | kein Wörtlein sprach er mehr.

Dann gieng er bei dem Wasser | hinauf an dem Strand,

Wo er auf jener Seite | eine Herberge fand.

1609

Laut begann zu rufen | der Degen über Flut:

«Nun hol mich über, Ferge,» | sprach der Degen gut,

«So geb ich dir zum Lohne | eine Spange goldesroth;

Mir thut das Ueberfahren, | das wiße, wahrhaftig Noth.»

1610

Es brauchte nicht zu dienen | der reiche Schiffersmann, |

Lohn nahm er selten | von Jemandem an;

Auch waren seine Knechte | zumal von stolzem Muth.

Noch immer stand Hagen | dießseits allein bei der Flut.

1611

Da rief er so gewaltig, | der ganze Strom erscholl

Von des Helden Stärke, | die war so groß und voll:

«Mich Amelrich hol über; | ich bin es, Elses Mann,

Der vor starker Feindschaft | aus diesen Landen entrann.»

1612

Hoch an seinem Schwerte | er ihm die Spange bot,

Die war schön und glänzte | von lichtem Golde roth,

Daß er ihn überbrächte | in Gelfratens Land.

Der übermüthge Ferge | nahm selbst das Ruder an die Hand.

1613

Auch hatte dieser Ferge | habsüchtgen Sinn:

Die Gier nach großem Gute | bringt endlich Ungewinn;

Er dachte zu verdienen | Hagens Gold so roth,

Da litt er von dem Degen | hier den schwertgrimmen Tod.

1614

Der Ferge zog gewaltig | hinüber an den Strand.

Welcher ihm genannt war, | als er den nicht fand,

Da hub er an zu zürnen: | als er Hagen sah,

Mit grimmem Ungestüme | zu dem Helden sprach er da:

1615

«Ihr mögt wohl sein geheißen | mit Namen Amelrich;

Doch seht ihr dem nicht ähnlich, | des ich versehen mich.

Von Vater und von Mutter | war er der Bruder mein:

Nun ihr mich betrogen habt, | so müßt ihr dießhalben sein.»

1616

«Nein! um Gotteswillen,» | sprach Hagen dagegen.

«Ich bin ein fremder Recke, | besorgt um andre Degen.

So nehmet denn freundlich | hin meinen Sold

Und fahrt uns hinüber: | ich bin euch wahrhaftig hold.»

1617

Da sprach der Ferge wieder: | «Das kann einmal nicht sein.

Viel der Feinde haben | die lieben Herren mein.

Drum fahr ich keinen Fremden | hinüber in ihr Land:

Wenn euch das Leben lieb ist, | so tretet aus an den Strand.»

1618

«Das thu ich nicht,» sprach Hagen, | «traurig ist mein Muth.

Nehmt zum Gedächtniß | die goldne Spange gut

Und fahrt uns über, tausend Ross' | und auch so manchen Mann.»

Da sprach der grimme Ferge: | «Das wird nimmer gethan.»

1619

Er hob ein starkes Ruder, | mächtig und breit,

Und schlug es auf Hagen | (es ward ihm später leid),

Daß er im Schiffe nieder | strauchelt' auf die Knie.

Solchen grimmen Fergen | fand der von Tronje noch nie.

1620

Noch stärker zu erzürnen | den kühnen Fremdling, schwang

Er seine Ruderstange, | daß sie gar zersprang,

Auf das Haupt dem Hagen; | er war ein starker Mann:

Davon Elses Ferge | bald großen Schaden gewann.

1621

Mit grimmigem Muthe | griff Hagen gleich zur Hand

Zur Seite nach der Scheide, | wo er ein Waffen fand:

Er schlug das Haupt ihm nieder | und warf es auf den Grund.

Bald wurden diese Mären | den stolzen Burgunden kund.

1622

Im selben Augenblicke, | als er den Fährmann schlug,

Glitt das Schiff zur Strömung; | das war ihm leid genug.

Eh er es richten konnte, | fiel ihn Ermüdung an:

Da zog am Ruder kräftig | König Gunthers Unterthan.

1623

Er versucht' es umzukehren | mit manchem schnellen Schlag,

Bis ihm das starke Ruder | in der Hand zerbrach.

Er wollte zu den Recken | sich wenden an den Strand;

Da hatt er keines weiter: | wie bald er es zusammen band

1624

Mit seinem Schildriemen, | einer Borte schmal.

Hin zu einem Walde | wandt er das Schiff zu Thal.

Da fand er seinen Herren | sein harren an dem Strand;

Es giengen ihm entgegen | viel der Degen auserkannt.

1625

Mit Gruß ihn wohl empfiengen | die edeln Ritter gut:

Sie sahen in dem Schiffe | rauchen noch das Blut

Von einer starken Wunde, | die er dem Fergen schlug:

Darüber muste Hagen | fragen hören genug.

1626

Als der König Gunther | das heiße Blut ersah

In dem Schiffe schweben, | wie bald sprach er da:

«Wo ist denn, Herr Hagen, | der Fährmann hingekommen?

Eure starken Kräfte haben | ihm wohl das Leben benommen.»

1627

Da sprach er mit Verläugnen: | «Als ich das Schifflein fand

Bei einer wilden Weide, | da löst' es meine Hand.

Ich habe keinen Fergen | heute hier gesehn;

Leid ist auch Niemand | von meinen Händen geschehn.»

1628

Da sprach von Burgunden | der König Gernot:

«Heute muß ich bangen | um lieber Freunde Tod,

Da wir keinen Schiffmann | hier am Strome sehn:

Wie wir hinüber kommen, | darob muß ich in Sorgen stehn.»

1629

Laut rief da Hagen: | «Legt auf den Boden her,

Ihr Knechte, das Geräthe: | ich gedenke, daß ich mehr

Der allerbeste Ferge war, | den man am Rheine fand:

Ich bring euch hinüber | gar wohl in Gelfratens Land.»

1630

Daß sie desto schneller | kämen über Flut,

Trieb man hinein die Mähren; | ihr Schwimmen ward so gut,

Daß ihnen auch nicht eines | der starke Strom benahm.

Einige trieben ferner, | als sie Ermüdung überkam.

1631

Sie trugen zu dem Schiffe | ihr Gut und ihre Wehr,

Nun einmal ihre Reise | nicht zu vermeiden mehr.

Hagen fuhr sie über; | da bracht er an den Strand

Manchen zieren Recken | in das unbekannte Land.

1632

Zum ersten fuhr er über | tausend Ritter hehr

Und seine sechzig Degen; | dann kamen ihrer mehr:

Neuntausend Knechte, | die bracht er an das Land.

Des Tags war unmüßig | des kühnen Tronejers Hand.

1633

Das Schiff war ungefüge, | stark und weit genug:

Fünfhundert oder drüber | es leicht auf einmal trug

Ihres Volks mit Speise | und Waffen über Flut:

Am Ruder muste ziehen | des Tages mancher Ritter gut.

1634

Da er sie wohlgeborgen | über Flut gebracht,

Da war der fremden Märe | der schnelle Held bedacht,

Die ihm verkündet hatte | das wilde Meerweib:

Dem Kaplan des Königs gieng es | da schier an Leben und Leib.

1635

Bei seinem Weihgeräthe | er den Pfaffen fand,

Auf dem Heiligthume | sich stützend mit der Hand:

Das kam ihm nicht zu Gute, | als Hagen ihn ersah;

Der unglückselge Priester, | viel Beschwerde litt er da.

1636

Er schwang ihn aus dem Schiffe | mit jäher Gewalt.

Da riefen ihrer Viele: | «Halt, Hagen, halt!»

Geiselher der junge | hub zu zürnen an;

Er wollt es doch nicht laßen, | bis er ihm Leides gethan.

1637

Da sprach von Burgunden | der König Gernot:

«Was hilft euch wohl, Herr Hagen, | des Kaplanes Tod?

Thät dieß anders Jemand, | es sollt ihm werden leid.

Was verschuldete der Priester, | daß ihr so wider ihn seid?»

1638

Der Pfaffe schwamm nach Kräften: | er hoffte zu entgehn,

Wenn ihm nur Jemand hülfe: | das konnte nicht geschehn,

Denn der starke Hagen, | gar zornig war sein Muth,

Stieß ihn zu Grunde wieder; | das dauchte Niemanden gut.

1639

Als der arme Pfaffe | hier keine Hülfe sah,

Da wandt er sich ans Ufer; | Beschwerde litt er da.

Ob er nicht schwimmen konnte, | doch half ihm Gottes Hand,

Daß er wohlgeborgen | hinwieder kam an den Strand.

1640

Da stand der arme Priester | und schüttelte sein Kleid. |

Daran erkannte Hagen, | ihm habe Wahrheit,

Unmeidliche, verkündet | das wilde Meerweib.

Er dachte: «Diese Degen | verlieren Leben und Leib.»

1641

Als sie das Schiff entladen | und ans Gestad geschafft, |

Was darauf beseßen | der Könge Ritterschaft,

Schlug Hagen es in Stücke | und warf es in die Flut;

Das wunderte gewaltig | die Recken edel und gut.

1642

«Bruder, warum thut ihr das?» | sprach da Dankwart,

«Wie sollen wir hinüber | bei unsrer Wiederfahrt,

Wenn wir von den Heunen | reiten an den Rhein?»

Hernach sagt' ihm Hagen, | das könne nimmermehr sein.

1643

Da sprach der Held von Tronje: | «Ich thats mit Wohlbedacht:

Haben wir einen Feigen | in dieses Land gebracht,

Der uns entrinnen möchte | in seines Herzens Noth,

Der muß an diesen Wogen | leiden schmählichen Tod.»

1644

Sie führten bei sich Einen | aus Burgundenland,

Der ein gar behender Held | und Volker ward genannt.

Der redete da launig | nach seinem kühnen Muth:

Was Hagen je begangen, | den Fiedler dauchte das gut.

1645

Als der Kaplan des Königs | das Schiff zerschlagen sah, |

Ueber das Wasser | zu Hagen sprach er da:

«Ihr Mörder ohne Treue, | was hatt ich euch gethan,

Daß mich unschuldgen Pfaffen | eur Herz zu ertranken sann?»

1646

Zur Antwort gab ihm Hagen: | «Die Rede laßt beiseit:

Mich kümmert, meiner Treue, | daß ihr entkommen seid

Hier von meinen Händen, | das glaubt ohne Spott.»

Da sprach der arme Priester: | «Dafür lob ich ewig Gott.

1647

«Ich fürcht euch nun wenig, | des dürft ihr sicher sein:

Fahrt ihr zu den Heunen, | so will ich über Rhein.

Gott laß euch nimmer wieder | nach dem Rheine kommen,

DaswünschicheuchvonHerzen:|schierdasLebenhabtihrmirgenommen.»

1648

Da sprach König Gunther | zu seinem Kapellan:

«Ich will euch alles büßen, | was Hagen euch gethan

Hat in seinem Zorne, | komm ich an den Rhein

Mit meinem Leben wieder: | des sollt ihr außer Sorge sein.

1649

«Fahrt wieder heim zu Lande; | es muß nun also sein.

Ich entbiete meine Grüße | der lieben Frauen mein

Und meinen andern Freunden, | wie ich billig soll:

Sagt ihnen liebe Märe, | daß wir noch alle fuhren wohl.»

1650

Die Rosse standen harrend, | die Säumer wohl geladen;

Sie hatten auf der Reise | bisher noch keinen Schaden

Genommen, der sie schmerzte, | als des Königs Kaplan:

Der must auf seinen Füßen | sich zum Rheine suchen Bahn.