BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Karl Simrock

1802 - 1876

 

Das Nibelungenlied

 

Vorrede 1827

 

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Vorrede

zur ersten Auflage der Uebersetzung.

 

Schon vor manchen Jahren, als ich das Lied der Nibelungen zuerst kennen lernte und mit Staunen die Wirkungen wahrnahm, die das herrliche Gedicht auf mein Gemüth hervorbrachte, entstand in mir der Wunsch, diese reinen kräftigen Töne in neuhochdeutscher Dichtersprache widerhallen zu hören. Um so mehr wunderte ich mich bei dem Fleiße, welchen Männer wie Voss, Schlegel, Tieck u.A. ausländischen Dichterwerken widmeten, ja bei der Pflege, welche sogar einem niederdeutschen Gedichte zu Theil ward, daß keiner unserer Dichter das Nibelungenlied einer gleichen Aufmerksamkeit würdigte. Denn Tieck hatte seinen früher angekündigten Vorsatz einer Uebertragung desselben nicht zur That reifen laßen und Uebersetzungen von Philologen, wie Von der Hagen und Büsching, entsprachen den künstlerischen Anforderungen nicht. Die Hagensche steht namentlich der Sprache der Urschrift für den Zweck der Verständlichkeit allzunahe, und die Büschingsche ist fast nur eine prosaische mit beibehaltenen Endreimen. Lange harrte ich daher vergebens, ob nicht einer unserer gefeierten Sänger, von denen mir besonders Uhland, Rückert und Gustav Schwab zu einem solchen Unternehmen berufen schienen, der gegen das Gedicht einreißenden und durch die bisherigen Bearbeitungen nur gesteigerten Gleichgültigkeit des größern Publikums steuern werde. Mögen es also die Kunstrichter, wenn sie können, entschuldigen, daß ein ruhmloser Jünger der Kunst, dessen Name vor ihren kritischen Stühlen kaum noch erscholl, seine geringen Kräfte an einer Arbeit versucht hat, deren fast unüberwindliche Schwierigkeiten so viele erprobte und fähigere Männer abgeschreckt zu haben scheint.

Eine Rechtfertigung des Unternehmens von Seiten der Nützlichkeit bedarf es nicht. Es ist albern zu glauben, daß eine Uebersetzung dem Studium des Originals Abbruch thun werde, vielmehr wird sie es erleichtern und befördern, und die gegenwärtige ist durch ihre Leichtverständlichkeit und Wohlfeilheit darauf berechnet, denselben recht viele Theilnehmer zu gewinnen. Hoffentlich wird Mancher, der bis jetzt die poetische Schönheit des Gedichts nicht geahnt hatte, und sie nun erst durch die Uebersetzung kennen lernt, sich das Studium des Originals nicht verdrießen laßen, während er früher die damit verbundene Anstrengung scheute, weil er nicht wuste ob er dafür durch einen entsprechenden geistigen Genuß werde entschädigt werden. Bei diesem Studium selbst bietet ihm die Uebersetzung abermals ein willkommenes Hülfsmittel dar. Eben so wenig Berücksichtigung verdient der andere Einwurf, daß sich das Original ohne Beihülfe einer Uebersetzung verstehen laße, und wenn Manche (wie A.W. von Schlegel) sogar meinen, es müste dahin kommen, daß jeder Bürger und Bauer sein Nibelungenlied in der Ursprache lese, wie jeder Grieche seinen Homer, so sind das Träume, die, wenn sie je in Erfüllung gehen sollten, nur durch Uebersetzungen, die das Volk erst belehrten, welchen Schatz es an dem Gedichte besitzt, verwirklicht werden könnten.

Wenn das Titelblatt die Uebersetzung eines mittelhochdeutschen Gedichts ankündigt, so kann darunter allerdings nur eine Uebertragung in die neuhochdeutsche Sprache verstanden werden; allein man darf darum nicht fordern, daß auch jedes darin zugelaßene Wort neuhochdeutsch sein solle: vielmehr genügte, im Ganzen die Formen der neuhochdeutschen Grammatik zu Grunde zu legen, was von den frühern Uebersetzern nicht geschehen war, und die Anforderung allgemeiner Verständlichkeit nie unberücksichtigt zu laßen. Man kann auch die neuhochdeutsche Sprache noch von der Sprache unserer neuern Dichter unterscheiden, in welche Manches aufgenommen ist, was mehr der mittelhochdeutschen anzugehören scheint. Eben dieß aber kam mir bei der Uebersetzung wesentlich zu Gute, indem ohne dieß die kindliche Naivetät, die treuherzige Einfalt des Ausdrucks verloren gegangen wäre, und die alterthümliche Farbe des Gedichts völlig hätte verwischt werden müßen. Alles freilich was sich neuhochdeutsche Dichter der letzten Zeit wohl erlaubt haben, verbot die Rücksicht auf allgemeine Faßlichkeit zu benutzen; Worte aber wie Degen, Recke, Minne, und Fügungen wie "Schwester mein", statt meine Schwester werden nirgend Anstoß erregen. Das beste Muster einer dem Mittelhochdeutschen angenäherten und doch mit alterthümlichen Anklängen nicht überladenen Sprache schienen mir Uhlands Romanzen darzubieten, und man wird finden, daß ich mich bestrebt habe, ihm nachzufolgen; Tiecks Behandlung aber dünkte mich zu gewaltthätig und namentlich enthalten seine Romanzen von Siegfried Freiheiten, die weder die heutige noch die ältere deutsche Sprache verstattete. Dieß mit Achtung vor dem Genius des Dichters.

Was die Versart der Urschrift betrifft, die sich der Uebersetzer bemüht hat so genau als möglich nachzubilden, so darf man nicht vergeßen, daß in den Nibelungen weder wie bei uns heutzutage die Verse nach Füßen gemeßen, noch wie bei unsern Nachbarn die Sylben gezählt werden. Vielmehr zählt man bloß die Hebungen, deren in jedem Halbvers drei, in der zweiten Hälfte des vierten Verses jeder Strophe aber gewöhnlich vier vorkommen, ohne daß ihnen eine gleiche Anzahl von Senkungen zu entsprechen brauchte. Es geschieht daher häufig, daß die Hebungen in aufeinander folgende Sylben zu stehen kommen, wie dieß gleich im zweiten Verse der Uebersetzung

 

Von préiswérthen Helden, von kühnem Wágespiel

 

der Fall ist, obgleich sich dieselbe Erscheinung im Original erst in der andern Hälfte des Verses zeigt. Dagegen hat gleich der fünfte Vers:

 

Es wúchs in Búrgónden ein édel Mägdelein

 

die Hebungen auf derselben Stelle wie das Original nebeneinander. Wie groß daher der Unterschied des eigentlichen Nibelungenverses von dem sei, was man gewöhnlich dafür ausgiebt, und wie sehr dieses an Wohllaut und Mannigfaltigkeit von jenem übertroffen wird, kann die Vergleichung des zweiten der in der "Einleitung" mitgetheilten Gedichte mit der "Weihe" lehren. Am Schluß der Verse bloß männliche Reime zu gestatten, wie der Urtext nur "stumpfe" zuläßt und die "klingenden" ausschließt, war nicht thunlich, weil die Pflicht, so viel als mit der neuhochdeutschen Sprache verträglich von dem Urtext zu retten, manche Schlußreime des Originals beizubehalten gebot, diese aber wegen des kurzen Vocals in der ersten Sylbe, welcher die erste stumm macht, nach mittelhochdeutscher Verskunst für stumpfe (männliche) Reime galten, während sie nach den unsrigen für weibliche, oder wenn man so sagen soll, für klingende gehalten werden.

Hinsichtlich des Textes bedarf es bloß der Angabe, daß ich in der Regel dem Lachmannschen gefolgt bin, auf welchen sich auch die Strophenzahlen beziehen; daß ich aber auch weniger alte und verbürgte Strophen anderer Ausgaben aufgenommen, jedoch mit einem Sternchen bezeichnet habe.

Man wird mir schwerlich vorwerfen können, allzufrei übertragen zu haben. Worttreue ist keine Pflicht: sie gleicht der Treue Eulenspiegels zu seinem Meister dem Schneider. Wie vieler Verbeßerungen aber die Uebersetzung noch fähig wäre, fühlt Niemand lebhafter als ich, der, obgleich ich das Manuscript kurz vor dem Drucke einer nochmaligen strengen Durchsicht unterwarf, schon jetzt an dem mir vorliegenden ersten Aushängebogen wieder Tausenderlei auszustellen hätte ohne darum an dem Unternehmen irre zu werden; denn wann dürfte bei einem solchen Werke die kritische Feile ruhn? Die Aufnahme, die diesem ersten Versuche seitens des großen Publicums zu Theil werden wird, und die Nachhülfe, die ich von belehrenden Kritiken sachkundiger Männer erwarte, mögen darüber entscheiden, ob ich ihn dereinst in vollendeterer Gestalt der Welt vorlegen werde. Möchte der Leser nur einen Theil des Genußes empfinden, welchen die Arbeit dem Uebersetzer gewährte!

 

Berlin, den 12. December 1826.