BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Adalbert Stifter

1805 - 1868

 

Der Nachsommer

 

Zweiter Band

 

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2. Die Annäherung

 

Obwohl fast den ganzen Winter hindurch davon die Rede gewesen war, daß mich der Vater in dem nächsten Frühlinge in das Gebirge begleiten werde und daß er bei dieser Gelegenheit den Mann im Rosenhause besuchen wolle, um dessen Seltenheiten und Kostbarkeiten zu sehen, so hatte er doch, als der Frühling gekommen war, nicht Zeit, sich von seinen Geschäften zu trennen, und ich mußte wie in allen früheren Jahren meine Reise allein antreten.

Als ich zu meinem Gastfreunde gekommen war, war das Erste, daß ich ihm von den Wandverkleidungen erzählte. Ich hatte früher ihrer nicht erwähnt, weil ich sie doch nicht für so wichtig gehalten hatte. Ich erzählte ihm, daß ich sie in dem Lauterthale gefunden und gekauft habe und daß sie aus Schnizarbeit von Gestalten und Verzierungen bestanden. Der Vater, dem ich sie gebracht, habe eine große Freude darüber gehabt, habe sie nicht nur mit großem Vergnügen empfangen, sondern habe auch einen Theil eines Nebenbaues unseres Hauses umgebaut, um die Verkleidungen geschickt anbringen zu können. Dieses leztere habe mir erst gezeigt, wie werth der Vater diese Dinge halte, und dies habe mich bestimmt, noch genauer nachzuforschen, ob ich denn die Ergänzungen zu dem Getäfel nicht aufzufinden vermöge; denn das, was der Vater habe, seien nur Bruchstücke, und zwar zwei Pfeilerverkleidungen, das übrige fehle. Ich habe wohl schon Nachforschungen in der besten Art, wie ich glaube, angestellt; aber ich wolle sie doch noch fortsezen und versuchen, ob ich nicht noch neue Mittel und Wege auffinden könne, zu meinem Ziele, wenn es noch vorhanden sei, zu gelangen oder die größtmögliche Gewißheit zu erhalten, daß das Gesuchte nicht mehr bestehe.

Ich beschrieb meinem Gastfreunde, so gut ich es aus der Erinnerung konnte, die Vertäflungen und machte ihn mit dem Fundorte und den Nebenumständen bekannt. Ich verhehlte ihm nicht, daß ich das darum thue, daß er mir einen Rath geben möge, wie ich etwa weiter vorzugehen habe. Es handle sich um einen Gegenstand, der meinem Vater nahe gehe. Nicht vorzüglich, weil diese Dinge schön seien, obwohl dies auch ein Antrieb für sich sein könnte, sondern hauptsächlich darum suche ich darnach zu forschen, weil sie dem Vater Freude machen. Je älter er werde, desto mehr schließe er sich in einem engen Raume ab, sein Geschäftszimmer und sein Haus werden nach und nach seine ganze Welt, und da seien es vorzüglich Werke der bildenden Kunst und die Bücher, mit denen er sich beschäftige und die Wirkung, welche diese Dinge auf ihn machen, wachse mit den Jahren. Er habe sich von dem Schnizwerke in den ersten Tagen kaum trennen können, er habe es in allen Theilen genau betrachtet und sei zulezt so mit demselben bekannt geworden, als wäre er bei dessen Verfertigung zugegen gewesen. Darum wolle ich so vorgehen, daß ich mich nicht in die Lage seze, mir einen Vorwurf machen zu müssen, daß ich in meinen Nachforschungen etwas versäumt habe. Bisher seien sie freilich fruchtlos gewesen.

Mein Gastfreund fragte mich noch um einige Theile des Werkes und seines Auffindens, die ich ihm nicht dargestellt hatte oder die ihm dunkel geblieben waren, und ließ sich die Örtlichkeiten des Auffindens noch einmal auf das Umständlichste beschreiben. Hierauf sagte er mir, ich möge an meinen Vater ungesäumt einen Brief senden und ihn bitten, die genauen Ausmaße des Schnizwerkes nach Außen und nach Innen zu nehmen und mir zu schicken. Ich begriff augenblicklich die Zweckmäßigkeit der Maßregel und schämte mich, daß sie mir selber nicht früher eingefallen war. Er selber wolle vorläufig an Roland schreiben und ihm dann, wenn sie eingelangt wären, die Ausmaße schicken. Auch wolle er seine Geschäftsführer in jener Gegend beauftragen, sich um die Sache zu bemühen. Wenn das Gesuchte zu finden ist, so dürfte Roland der geeignetste Mithelfer sein, und die anderen Männer, die er noch auffordern werde, hätten sich schon in den verschiedensten Gelegenheiten sehr erprobt.

Ich dankte meinem Gastfreunde auf das Verbindlichste für seine Gefälligkeit und versprach, in nichts säumig zu sein.

Am nächsten Morgen trug ein Bote meinen Brief an den Vater und die Briefe meines Gastfreundes an Roland und andere Männer auf die nächste Post. Mein Gastfreund mußte bis in die tiefe Nacht geschrieben haben, denn es war ein ganzes Päckchen von Briefen. Mich rührte diese Güte außerordentlich, denn ich wußte nicht, wie ich sie verdient hatte.

Daß ich in der ersten Zeit meines Aufenthaltes in dem Rosenhause gleich an alle Orte ging, die mir lieb waren, begreift sich.

In dem Zeichnungszimmer Eustachs fand ich den Musiktisch fertig. Es war seit seiner Vollendung erst eine kurze Zeit verflossen, deßhalb stand er noch an dieser Stelle. Ich hatte nicht geahnt, daß das Werk, das ich bei Beginn seiner Wiederherstellung gesehen hatte, sich so darstellen würde, wenn es fertig wäre. Ich hatte Bilder, Bauwerke, Zeichnungen und dergleichen in jüngster Zeit in großer Menge gesehen und selber ähnliche Dinge verfertigt, ich konnte mir daher in solchen Sachen ein kleines Urtheil zutrauen; aber, wenn ich nicht gewußt hätte, daß der Rahmen und das Gestelle des Tisches neu gemacht worden sei, so hätte ich es nie erkannt, so sehr paßte beides im Baue, in der ganzen Art und selbst in der Farbe des Holzes zu der Platte. Das ganze Werk stand rein, glänzend und klar vor den Augen. Die Farbe der verschiedenen Hölzer an den Verzierungen, am Laubwerke, am Obste und an den Geräthen trat unter der Macht des Harzes kräftig und scharf hervor. Selbst die Mißverhältnisse der Größen in den verschiedenen eingelegten Geräthen, zum Beispiele zwischen der Flöte, der Geige, der Trommel, welche mir bei meinem ersten Besuche in dem Schreinerhause Anstoß gegeben hatten, erschienen mir jezt als naiv und hatten etwas Anziehendes für mich, welches mir die Tischplatte lieber machte als wenn sie ganz fehlerfrei oder etwa nach neuen Kunstbegriffen gemacht gewesen wäre. Ich fragte Eustach, wohin der Tisch zu stehen kommen würde. Er konnte es mir nicht sagen. Es sei darüber nichts eröffnet worden, ob er in dem Hause bleiben oder ob er irgend wohin versendet werden würde. Jezt bleibe er hier stehen, damit alle Nachtrocknungen in jener allmählichen Stufenfolge vor sich gehen können, wie sie bei jedem neuverfertigten Geräthe eintreten müssen, daß es nicht Schaden leide. Die meisten der neuverfertigten oder wiederhergestellten Werke seien zu diesem Zwecke in dem Zeichnungszimmer stehen geblieben, wenn sie anders dort Plaz hatten. Ich betrachtete den Tisch noch eine Weile und ging dann zu andern Gegenständen über.

Auch die Gärtnerleute besuchte ich, die Leute des Meierhofes, die Gartenarbeiter, die Dienstleute des Hauses und einige Nachbaren, zu denen wir früher öfter gekommen waren und die ich näher kennen gelernt hatte.

Obwohl ich nach dem Rathe und der Einladung meines Gastfreundes entschlossen war heuer meine Berufsarbeit, wenigstens jenes Berufes, den ich mir selber aufgelegt hatte, ruhen zu lassen, sondern einen Theil des Sommers in dem Rosenhause zu verleben und mich meiner Laune und dem Augenblicke hinzugeben: hatte ich doch nicht den Willen, gar nichts zu thun, was mir die größte Qual gewesen wäre, sondern mich bei meinen Handlungen von meinem Vergnügen und der Gelegenheit leiten zu lassen. Mein Gastfreund hatte mir die nehmlichen zwei Zimmer eingeräumt, welche ich bisher stets inne gehabt hatte, und freute sich, daß ich seinen Rath befolgen und einmal auch anderswohin sehen wolle als immer einseitig auf meine Arbeiten, und daß ich einmal zu einem allgemeineren Bewußtsein kommen wolle, als zu dem ich mich bisher gebannt hätte. Ich hatte viele Bücher und Schriften mitgebracht, hatte alle Werkzeuge zur Ölmalerei bei mir und hatte doch aus Vorsicht auch einige Vorrichtungen zu Vermessungen und dergleichen eingepackt.

Wenn man von dem Rosenhause über den Hügel, auf dem der große Kirschbaum steht, nordwärts geht, so kömmt man in die Wiese, durch welche der Bach fließt, an dem mein Gastfreund jene Erlengewächse zieht, welche ihm das schöne Holz liefern, das er neben anderen Hölzern zu seinen Schreinerarbeiten verwendet. Wir waren öfter zu diesem Bache gekommen und seinen Ufern entlang gegangen. Er floß aus einem Gehölze hervor, in welchem mein Gastfreund einige Wasserwerke hatte aufführen lassen, um die Wiese vor Überschwemmungen zu sichern und die Verwilderung des Baches zu verhindern. Im Innern des Gehölzes befindet sich ein ziemlich großer Teich, eigentlich ein kleiner See, da er nicht mit Kunst angelegt, sondern größtentheils von selber entstanden war. Nur Geringes hatte man hinzu gefügt, um nicht Versumpfungen an seinen Rändern und Überflutungen bei seinem Ausflusse entstehen zu lassen. Das Wasser dieses Waldbeckens ist so klar, daß man in ziemlicher Tiefe noch alle die bunten Steine sehen kann, welche auf dem Grunde liegen. Nur schienen sie grünlich blau gefärbt, wie es bei allen Wässern der Fall ist, die aus unsern Kalkalpen oder in deren Nähe fließen. Rings um dieses Wasser ist das Gezweige so dicht, daß man keinen Stein und kaum einen Uferrand sehen kann, sondern die Zweige aus dem Wasser zu ragen scheinen. Die Bäume, die da stehen, sind eines Theils Nadelholz, das mit seinem Ernste sich in die Heiterkeit mischt, die auf den Ästen, Blättern und Wipfeln der Laubbäume ruht, die den vorherrschenden Theil bilden. Vorzugsweise ist die Erle, der Ahorn, die Buche, die Birke und die Esche vorhanden. Zwischen den Stämmen ist reichliches Wuchergestrippe. Der Bach in der Erlenwiese meines Gastfreundes verdankt dem See sein Dasein; aber da dieser aus Quellzuflüssen lebt, so ist der ausfließende Bach oft so trocken, daß man, ohne sich die Sohle zu nezen, über seine hervorragenden Steine gehen kann. Wo er aus dem See geht, ist eine kleine Hütte erbaut, die den Haupzweck hat, daß die, welche in dem See sich baden wollen, in ihr sich entkleiden können. Der Seegrund geht mit seinen schönen Kieseln so sachte in die Tiefe, daß man ziemlich weit vorwärts gehen und das wallende Wasser genießen kann ohne den Grund zu verlieren. Auch zum Lernen des Schwimmens ist dieser Theil sehr geeignet, weil man an allen Stellen Grund findet und sich unbefangener den Übungen hingeben kann. Weiter draußen beginnt das Gebiet derer, die ihrer Arme und ihrer Bewegungen schon vollständig Herr sind. Gustav ging an Sommertagen fast jeden zweiten Tag mit Eustach oder mit jemand anderm oder zuweilen auch mit meinem Gastfreunde zu dem See hinaus, um in demselben zu schwimmen. Diese Thätigkeit, so wie die andern Körperbewegungen und Übungen, die für ihn in dem Rosenhause angeordnet waren, schienen ihm viele Freude zu machen. Mein Gastfreund hielt auf körperliche Übungen sehr viel, da sie zur Entwicklung und Gesundheit unumgänglich nothwendig seien. Er lobte diese Übungen sehr an den Griechen und Römern, welche beiden Völker er auf eine hervorragende Weise ehrte. Das liege auf der Hand, pflegte er zu sagen, daß, so wie die Krankheit des Körpers den Geist zu etwas anderem mache, als er in der Gesundheit des Körpers ist, ein kräftiger und in hohem Maße entwickelter Körper die Grundlage zu allem dem abgebe, was tüchtig und herzhaft heißt. Bei den alten Römern ist ein großer Theil ihrer Erfolge in der Geschichte und ihres früheren Glückes in der Pflege und Entwicklung ihres Körpers zu suchen. Ihr Glück dauerte auch nur so lange, als die vernünftige Pflege ihrer Leibesübungen dauerte. In neuen Schulen vernachlässige man diese Pflege zu sehr, die bei uns um so nothwendiger wäre, als sich durch das Zusammengehäuftsein in dunstigen und heißen Stuben ohnehin Übel erzeugen, die dem Aufenthalte in freier Luft fremd sind. Darum werden auch die Geisteskräfte von Schülern der neuen Zeit nicht entwickelt wie sie sollten und wie sie es bei Kindern, die in Wald und Feldern schweifen, freilich auf Kosten ihres höheren Wesens, wirklich sind. Daher stamme ein Theil der Schalheit und Trägheit unserer Zeiten. Ich ging mit Gustav jezt, da ich viele Muße hatte, sehr fleißig zu dem Wäldchen, und da ich in der Kunst des Schwimmens eine große Fertigkeit hatte, so sah er an mir ein Vorbild, dem er nachstreben konnte, und lernte Gelenkigkeit und Ausdauer mehr, als er es ohne mich gekonnt hätte.

Überhaupt gewann Gustav eine immer größere Neigung zu mir. Es mochte, wie ich mir schon früher gedacht hatte, zuerst der Umstand eingewirkt haben, daß ich ihm an Alter nicht so sehr ferne stand. Dazu mochte sich gesellt haben, daß ich, der ich eigentlich sehr einsam und abgeschlossen erzogen worden war, viel tiefer in spätere Jahre hinein die Merkmale der Kindheit bewahrt haben mochte als andere Leute, die gleichen Alters mit mir waren, und zulezt konnte jezt auch das wirken, daß ich bei meiner Geschäftlosigkeit viel mehr Berührungspunkte mit ihm fand, als es bei meinen früheren Anwesenheiten in dem Rosenhause der Fall gewesen war.

Ich schrieb nun auf dem Asperhofe mehr Briefe als sonst, ich las in Dichtern, betrachtete alles um mich herum, schweifte oft weit in die Gegend hinaus; aber diese Lebensweise wurde mir bald beschwerlich, und ich suchte etwas hervor, was mich tiefer beschäftigte. Die Dichter als das Edelste, was mir jezt begegnete, riefen wieder das Malen hervor. Ich richtete meine Zeichnungsgeräthe und meine Vorrichtungen zur Malerei in den Stand und begann wieder meine Übungen im Malen der Landschaft. Ich malte je nach der Laune bald ein Stück Himmel, bald eine Wolke, bald einen Baum oder Gruppen von Bäumen, entfernte Berge, Getreidehügel und dergleichen. Auch schloß ich menschliche Gestalten nicht aus und versuchte Theile derselben. Ich versuchte das Antliz des Gärtners Simon und das seiner Gattin auf die Leinwand zu bringen. Die beiden Leute hatten eine große Freude über das Ding, und ich gab ihnen die Bilder in ihre Stube, nachdem ich vorher nette Rahmen dazu bestellt und in der Zeit, bis sie eintrafen, mir Abbilder von den Köpfen für meine eigene Mappe gemacht hatte. Ich malte die Hände oder Büsten verschiedener Leute, die sich in dem Rosenhause oder in dem Meierhofe befanden. Meinen Gastfreund oder Eustach oder Gustav zu bitten, daß sie mir als Gegenstand meiner Kunstbestrebungen dienen sollten, hatte ich nicht den Muth, weil die Erfolge noch gar zu unbedeutend waren.

Gustav nahm unter allen den größten Antheil an diesen Dingen. So wie er im vorigen Jahre Geräthe mit mir gemalt hatte, versuchte er es heuer auch mit den Landschaften. Sein Ziehvater und sein Zeichnungslehrer hatten nichts dagegen, da nur freie Stunden zu diesen Beschäftigungen verwendet wurden, da seine Körperübungen nicht darunter zu leiden hatten und da sich dadurch das Band zwischen mir und ihm noch mehr befestigte, was mein Gastfreund nicht ungern zu sehen schien, da doch zulezt der Jüngling niemanden hatte, an wen er das Gefühl der Freundschaft leiten sollte, das in seinen Jahren so gerne erwacht und das sich in sanftem Zuge an einen Gegenstand richtet. Da unter seiner Hand ein Baum, ein Stein, ein Berg, ein Wässerchen in lieblichen Farben hervorging, hatte er eine unaussprechliche Freude. Bei Eustach hatte er nur größtentheils Bau- und Geräthezeichnungen gesehen, und Roland hatte auch nur Ähnliches von seinen Reisen zurück gebracht. Was von Landschaften in der Gemäldesammlung seines Ziehvaters hing, auf denen er wohl grüne Bäume, weiße Wolken, blaue Berge beobachten konnte, hatte er nie um seine Entstehung angeschaut, sondern die Dinge waren da, wie auch andere Dinge da sind, das Haus, der Getreidehügel, der Berg, der ferne Kirchturm, und er hatte nicht daran gedacht, daß auch er solche Gegenstände hervorzubringen vermochte. Er redete auf Spaziergängen davon, wie dieser Baum sich baue, wie jener Berg sich runde, und er erzählte mir, daß ihm oft von dem Zeichnen lebhaft träume.

Man ließ den Jüngling auch auf größere Entfernungen von dem Rosenhause mit mir gehen. Seine Arbeiten wurden dabei so eingerichtet, daß, wenn sie auch unterbrochen werden mußten, ein wesentlicher Schaden sich nicht einstellen konnte. Dafür gewann er an Gesundheit und körperlicher Abhärtung bedeutend. Wir waren nicht selten mehrere Tage abwesend, und Gustav vergnügte es sehr, wenn wir Abends nach unserem leichten Mahle in einem Gasthause in unser Zimmer gingen, wenn er durch die Fenster auf eine fremde Landschaft hinausschauen konnte, wenn er sein Ränzlein und seine Reisesachen auf dem Tische zurecht richten und dann die ermüdeten Glieder auf dem Gastbette ausstrecken durfte. Wir bestiegen hohe Berge, wir gingen an Felswänden hin, wir begleiteten den Lauf rauschender Bäche und schifften über Seen.

Er wurde stark, und das zeigte sich sichtbar, wenn wir von einer Gebirgswanderung - denn fast immer gingen wir in das Gebirge - zurückkehrten, wenn seine Wangen gebräunt waren, als wollten sie beinahe schwarz werden, wenn seine Locken die dunkle Stirne beschatteten und die großen Augen lebhaft aus dem Angesichte hervor leuchteten. Ich weiß nicht, welcher innere Zug von Neigung mich zu dem Jünglinge hinwendete, der in seinem Geiste zulezt doch nur ein Knabe war, den ich über die einfachsten Dinge täglicher Erfahrung belehren mußte, namentlich, wenn es Wanderungsangelegenheiten waren, und der mir in seiner Seele nichts bieten konnte, wodurch ich erweitert und gehoben werden mußte, es müßte nur das Bild der vollkommensten Güte und Reinheit gewesen sein, das ich täglich mehr an ihm sehen, lieben und verehren konnte.

Ich ging auch einige Male zu dem Lautersee. Ich hatte im vorigen Jahre angefangen, seine Tiefe an verschiedenen Stellen zu messen, um ein Bild darzustellen, in welchem sich die Berge, die den See umstanden, sichtbar auch unter der Wasserfläche fortsezten und nur durch einen tieferen Ton gedämpft waren. Der Reiz, den diese Aufnahme herbei geführt hatte, stellte sich wieder ein, und ich sezte die Messungen nach einem Plane fort, um die Thalsohle des Sees immer richtiger zu ergründen und das Bild einer größeren Sicherstellung entgegen zu führen. Gustav begleitete mich mehrere Male und arbeitete mit den Männern, die ich gedungen hatte, das Schiff zu lenken, die Schnüre auszuwerfen, die Kloben zu richten, an denen sich die Senkgewichte abwickelten, oder andere Dinge zu thun, die sich als nothwendig erwiesen.

Besondere Freude machte es mir, daß ich nach und nach die Feinheiten des menschlichen Angesichtes immer besser behandeln lernte, besonders, was mir früher so schwer war, wenn der leichte Duft der Farbe über die Wangen schöner Mädchen ging, die sich sanft rundeten, schier keine Abwechslung zeigten und doch so mannigfaltig waren. Mir waren die Versuche am angenehmsten, das Liebliche, Sittige, Schelmische, das sich an manchen jungen Land- oder Gebirgsmädchen darstellte, auf der Leinwand nachzuahmen.

Eines Abends, da Blize fast um den ganzen Gesichtskreis leuchteten und ich von dem Garten gegen das Haus ging, fand ich die Thür, welche zu dem Gange des Amonitenmarmors, zu der breiten Marmortreppe und zu dem Marmorsaale führte, offen stehen. Ein Arbeiter, der in der Nähe war, sagte mir, daß wahrscheinlich der Herr durch die Thür hinein gegangen sei, daß er sich vermuthlich in dem steinernen Saale befinden werde, in welchen er gerne gehe, wenn Gewitter am Himmel ständen, und daß die Thür vielleicht offen geblieben sei, damit Gustav, wenn er käme, auch hinaufgehen könnte. Ich blickte in den Marmorgang, sah hinter der Schwelle mehrere Paare von Filzschuhen stehen und beschloß, auch in den steinernen Saal hinauf zu gehen, um meinen Gastfreund aufzusuchen. Ich legte ein Paar von passenden Filzschuhen an und ging den Gang des Amonitenmarmors entlang. Ich kam zu der Marmortreppe und stieg langsam auf ihr empor. Es war heute kein Tuchstreifen über sie gelegt, sie stand in ihrem ganzen feinen Glanze da und erhellte sich noch mehr, wenn ein Bliz durch den Himmel ging und von der Glasbedachung, die über der Treppe war, hereingeleitet wurde. So gelangte ich bis in die Mitte der Treppe, wo in einer Unterbrechung und Erweiterung, gleichsam wie in einer Halle, nicht weit von der Wand die Bildsäule von weißem Marmor steht. Es war noch so licht, daß man alle Gegenstände in klaren Linien und deutlichen Schatten sehen konnte. Ich blickte auf die Bildsäule, und sie kam mir heute ganz anders vor. Die Mädchengestalt stand in so schöner Bildung, wie sie ein Künstler ersinnen, wie sie sich eine Einbildungskraft vorstellen oder wie sie ein sehr tiefes Herz ahnen kann, auf dem niedern Sockel vor mir, welcher eher eine Stufe schien, auf die sie gestiegen war, um herumblicken zu können. ich vermochte nun nicht weiter zu gehen und richtete meine Augen genauer auf die Gestalt. Sie schien mir von heidnischer Bildung zu sein. Das Haupt stand auf dem Nacken, als blühete es auf demselben. Dieser war ein wenig, aber kaum merklich vorwärts gebogen, und auf ihm lag das eigenthümliche Licht, das nur der Marmor hat und das das dicke Glas des Treppendaches hereinsendete. Der Bau der Haare, welcher leicht geordnet gegen den Nacken niederging, schnitt diesen mit einem flüchtigen Schatten, der das Licht noch lieblicher machte. Die Stirne war rein, und es ist begreiflich, daß man nur aus Marmor so etwas machen kann. Ich habe nicht gewußt, daß eine menschliche Stirne so schön ist. Sie schien mir unschuldvoll zu sein und doch der Siz von erhabenen Gedanken. Unter diesem Throne war die klare Wange ruhig und ernst, dann der Mund, so feingebildet, als sollte er verständige Worte sagen oder schöne Lieder singen, und als sollte er doch so gütig sein. Das Ganze schloß das Kinn wie ein ruhiges Maß. Daß sich die Gestalt nicht regte, schien blos in dem strengen, bedeutungsvollen Himmel zu liegen, der mit den fernen stehenden Gewittern über das Glasdach gespannt war und zur Betrachtung einlud. Edle Schatten wie schöne Hauche hoben den sanften Glanz der Brust, und dann waren Gewänder bis an die Knöchel hinunter. Ich dachte es sei Nausikae, wie sie an der Pforte des goldenen Saales stand und zu Odysseus die Worte sagte: «Fremdling, wenn du in dein Land kömmst, so gedenke meiner.» Der eine Arm war gesenkt und hielt in den Fingern ein kleines Stäbchen, der andere war in der Gewandung zum Theile verhüllt, die er ein wenig emporhob. Das Kleid war eher eine schön geschlungene Hülle als ein nach einem gebräuchlichen Schnitte verfertigtes. Es erzählte von der reinen, geschlossenen Gestalt und war so stofflich treu, daß man meinte, man könne es falten und in einen Schrein verpacken. Die einfache Wand des grauen Amonitenmarmors hob die weiße Gestalt noch schärfer ab und stellte sie freier. Wenn ein Bliz geschah, floß ein rosenrothes Licht an ihr hernieder, und dann war wieder die frühere Farbe da. Mir dünkte es gut, daß man diese Gestalt nicht in ein Zimmer gestellt hatte, in welchem Fenster sind, durch die alltägliche Gegenstände herein schauen und durch die verworrene Lichter einströmen, sondern daß man sie in einen Raum gethan hat, der ihr allein gehört, der sein Licht von oben bekömmt und sie mit einer dämmerigen Halle wie mit einem Tempel umfängt. Auch durfte der Raum nicht einer des täglichen Gebrauchs sein, und es war sehr geeignet, daß die Wände rings herum mit einem kostbaren Steine bekleidet sind. Ich hatte eine Empfindung, als ob ich bei einem lebenden schweigenden Wesen stände, und hatte fast einen Schauer, als ob sich das Mädchen in jedem Augenblicke regen würde. Ich blickte die Gestalt an und sah mehrere Male die röthlichen Blize und die graulich weiße Farbe auf ihr wechseln. Da ich lange geschaut hatte, ging ich weiter. Wenn es möglich wäre, mit Filzschuhen noch leichter aufzutreten als es ohnehin stets geschehen muß, so hätte ich es gethan. Ich ging mit dem lautlosen Tritte langsam über die glänzenden Stufen des Marmors bis zu dem steinernen Saale hinan. Seine Thür war halb geöffnet. Ich trat hinein.

Mein Gastfreund war wirklich in demselben. Er ging in leichten Schuhen mit Sohlen, die noch weicher als Filz waren, auf dem geglätteten Pflaster auf und nieder.

Da er mich kommen sah, ging er auf mich zu und blieb vor mir stehen.

«Ich habe die Thür zu dem Marmorgange offen gesehen», sagte ich, «man hat mir berichtet, daß ihr hier oben sein könntet, und da bin ich herauf gegangen, euch zu suchen.»

«Daran habt ihr recht gethan», erwiederte er.

«Warum habt ihr mir denn nicht gesagt», sprach ich weiter, «daß die Bildsäule, welche auf eurer Marmortreppe steht, so schön ist?»

«Wer hat es euch denn jezt gesagt?» fragte er.

«Ich habe es selber gesehen», antwortete ich.

«Nun dann werdet ihr es um so sicherer wissen und mit desto größerer Festigkeit glauben», erwiederte er, «als wenn euch jemand eine Behauptung darüber gesagt hätte.»

«Ich habe nehmlich den Glauben, daß das Bildwerk sehr schön sei», antwortete ich, mich verbessernd.

«Ich theile mit euch den Glauben, daß das Werk von großer Bedeutung sei», sagte er. «Und warum habt ihr denn nie zu mir darüber gesprochen?» fragte ich.

«Weil ich dachte, daß ihr es nach einer bestimmten Zeit selber betrachten und für schön erachten werdet», antwortete er.

«Wenn ihr mir es früher gesagt hättet, so hätte ich es früher gewußt», erwiederte ich.

«Jemandem sagen, daß etwas schön sei», antwortete er, «heißt nicht immer, jemandem den Besiz der Schönheit geben. Er kann in vielen Fällen blos glauben. Gewiß aber verkümmert man dadurch demjenigen das Besizen des Schönen, der ohnehin aus eigenem Antriebe darauf gekommen wäre. Dies sezte ich bei euch voraus, und darum wartete ich sehr gerne auf euch.»

«Aber was müßt ihr denn die Zeit her über mich gedacht haben, daß ich diese Bildsäule sehen konnte und über sie geschwiegen habe?» fragte ich.

«Ich habe gedacht, daß ihr wahrhaftig seid», sagte er, «und ich habe euch höher geachtet als die, welche ohne Überzeugung von dem Werke reden, oder als die, welche es darum loben, weil sie hören, daß es von Andern gelobt wird.»

«Und wo habt ihr denn das herrliche Bildwerk hergenommen?» fragte ich.

«Es stammt aus dem alten Griechenlande», antwortete er, «und seine Geschichte ist sonderbar. Es stand viele Jahre in einer Bretterbude bei Cumä in Italien. Sein unterer Theil war mit Holz verbaut, weil man den Plaz, an dem es stand, und der theils offen, theils gedeckt war, zu häufigem Ballschlagen verwendete, und die Bälle nicht selten in die Bude der Gestalt flogen. Deßhalb legte man von der Brust abwärts einen dachartigen Schuz an, der die Bälle geschickt herab rollen machte und über den sich die Gestalt wie eine Büste darstellte. Es waren in dem Raume, theils an den Bretterbuden, theils an Mauerstücken, aus denen er bestand, noch andere Gestalten angebracht, ein kleiner Herkules, mehrere Köpfe und ein alterthümlicher Stier von etwa drei Fuß Höhe; denn der Plaz wurde auch zu Tänzen benuzt und war an den Stellen, die keine Wand hatten, mit Schlinggewächsen und Trauben begrenzt, an andern war er offen und blickte über Myrten, Lorbeer, Eichen auf die blauen Berge und den heiteren Himmel dieses Landes hinaus. Gedeckt waren nur Theile des Raumes, besonders dort, wo die Gestalten standen. Diese hatten Dächer über sich wie die niedlichen Täfelchen, welche italienische Mädchen auf dem Kopfe tragen. Im Übrigen war die Bedeckung das Gezelt des Himmels. Mich brachte ein günstiger Zufall nach Cumä, und zu diesem Ballplaze, auf dem sich eben junges Volk belustigte. Gegen Abend, da sie nach Hause gegangen waren, besichtigte ich das Mauerwerk, welches aus Resten alter Kunstbauten bestand, und die Gestalten, welche sämmtlich aus Gips waren, wie sie in Italien so häufig alten edlen Kunstwerken nachgebildet werden. Den Herkules kannte ich insbesondere sehr gut, nur war er hier viel kleiner gebildet. Die Büste des Mädchens - für eine solche hielt ich die Gestalt - war mir unbekannt; allein sie gefiel mir sehr. Da ich mich über die reizende Lage dieses Pläzchens aussprach, sagte die Besizerin, eine wahrhaftige altrömische Sibylle, es werde hier in Kurzem noch viel schöner werden. Ihr Sohn, der sich durch Handel Geld erworben, werde den Plaz in einen Saal mit Säulen verwandeln, es werden Tische herum stehen, und es werden vornehme Fremde kommen, sich hier zu ergözen. Die Gestalten müssen weg, weil sie ungleich seien und weil Menschen und Thiere unter einander stehen, ihr Sohn habe schon die schönsten Gipsarbeiten bestellt, die alle gleich groß wären. Sie führte mich zu dem Mädchen und zeigte mir durch eine Spalte der Bretter, daß dasselbe in ganzer Gestalt da stehe und also die andern Dinge weit überrage. Man habe darum an dem oberen Rande der Balken, mit denen die Gestalt umbaut ist, einen hölzernen, bemalten Sockel angebracht, von dem der Oberleib wie eine Büste herab schaue. Dadurch sei die Sache wieder zu den anderen gestimmt worden. Ich fragte, wann ihr Sohn hieherkomme und wann das Umbauen beginnen würde. Da sie mir das gesagt hatte, entfernte ich mich. Zur Zeit des mir von der Alten angegebenen Beginnes des Umbaues fand ich mich auf dem Plaze wieder ein. Ich traf den Sohn der Wittwe - eine solche war sie - hier an, und der Bau hatte schon begonnen. Die alten reizenden Mauerstücke waren zum Theile abgetragen, und ihre Stoffe waren geschichtet, um zu dem neuen Baue verwendet zu werden. Die Schlinggewächse und Reben waren ausgerottet, die Gesträuche vor dem Plaze vernichtet, und man ebnete ihre Stelle, um dort Rosen anzulegen. Auf der Südseite baute man schon die Sockelmauern, auf welche die Säulen von Ziegeln zu stehen kommen sollten. Die Gestalt des Mädchens, von der man die Balkenverhüllung weggenommen hatte, lag in einer Hütte, welche größtentheils Baugeräthe enthielt. Neben ihr lagen der Herkules, der Stier und die Köpfe, die, wie ich jezt sah, alte Römer darstellten. Mir gefiel nun auch die früher nicht gesehene übrige Gestalt des Mädchens, die nicht wesentlich verlezt war, außerordentlich, und ich erhandelte sie, da die Dinge zum Zwecke des Verkaufes in der Bretterhütte lagen. Aber der Verkäufer sagte, er gebe von der Sammlung nichts einzeln weg, und ich mußte den Stier, den Herkules und die Köpfe mit kaufen. Der Kaufschilling war nicht geringe, da mein Gegenmann die Schönheit der Gestalt recht gut kannte und sie geltend machte; aber ich fügte mich. Ich ließ Kisten machen, um die Dinge forzuschaffen. Den Stier, den Herkules und die Köpfe verkaufte ich in Italien um ein Geringes, die Mädchengestalt sendete ich wohlverpackt, daß der Gips nicht leide, an meinen damaligen Aufenthaltsort; ich kann euch den Namen jezt nicht nennen, es war ein kleines Städtchen an dem Gebirge. Mir fiel schon damals auf, daß das Fahrgeld für die Gestalt sehr hoch sei und daß man sich über ihr Gewicht beklagt habe; allein ich hielt es für italienische List, um von mir, dem Fremden, etwas mehr heraus zu pressen. Als ich aber nach Deutschland zurückgekehrt war und als eines Tages die Gipsgestalt, für deren gute Verpackung und Überbringung ich durch mir wohlbekannte Versendungsvermittler gesorgt hatte, in dem Asperhofe ankam, überzeugte ich mich selber von dem ungemeinen Gewichte der Last. Da der Bretterverschlag, in welchem sich die Gestalt befand, nicht so schwer sein konnte, so entstand in mir und Eustach, der damals schon in dem Asperhofe war, der Gedanke, die Gestalt möchte etwa naß geworden sein und durch die Nässe gelitten haben. Wir ließen das Standbild in die hölzerne Hütte schaffen, welche ich theils zu seinem Empfange, theils zur Reinigung von den vielen Schmuzflecken, die es an seinem früheren Standorte erhalten hatte, vor dem Eingange in den Garten hatte aufbauen lassen. Da es dort von den Brettern und von allen seinen andern Hüllen befreit worden war, sahen wir, daß sich unsere Furcht nicht bestätigte. Die Gestalt war so trocken, wie Gips nur überhaupt zu sein vermag. Wir sezten nach und nach die Vorrichtungen in Gebrauch, durch die wir die Gestalt in die Nähe der Glaswand der Hütte auf eine drehbare Scheibe stellen konnten, um sie nach Bequemlichkeit betrachten und reinigen zu können. Da sie auf der Scheibe stand und wir uns von der Sicherheit ihres Standes überzeugt hatten, gingen wir zu ihrer Betrachtung über. Eustach war über ihre Schönheit enzückt und machte mich auf Manches aufmerksam, was mir auf dem Tanz- und Ballplaze bei Cumä und später in der Bauhütte entgangen war. Freilich stand die Gestalt jezt viel vortheilhafter, da durch die reinen Scheiben der Glaswand das klare Licht auf sie fiel und alle Schwingungen und Schwellungen der Gestaltung deutlich machte. Da wir die Überzeugung gewonnen hatten, daß ein edles Werk in das Haus gekommen sei, beschlossen wir, sofort zu dessen Reinigung zu schreiten. Wir nahmen uns vor, dort, wo der Schmuz nur locker auf der Oberfläche liege und dem reinen Wasser und dem Pinsel weiche, auch nur Wasser und den Pinsel anzuwenden. Leichtes Übertünchen und sanftes Glätten würde die lezte Nachhülfe geben. Für tiefer gehende Verunreinigung wurde die Anwendung des Messers und der Feile beschlossen; nur sollte die äußerste Vorsicht beobachtet und lieber eine kleine Verunreinigung gelassen werden, als daß eine sichtbare Umgestaltung des Stoffes vorgenommen würde. Eustach machte in meiner Gegenwart Versuche, und ich billigte sein Verfahren. Es wurde nun sogleich ans Werk geschritten und die Arbeit in der nächsten Zeit fortgesezt. Eines Tages kam Eustach zu mir herauf und sagte, er müsse mich auf einen sonderbaren Umstand aufmerksam machen. Er sei auf dem Schulterblatte mit dem feinen Messer auf einen Stoff gestoßen, der nicht das Taube des Gipses habe, sondern das Messer gleiten mache und etwas wie die Ahnung eines Klanges merken lasse. Wenn die Sache nicht so unwahrscheinlich wäre, würde er sagen, daß der Stoff Marmor sei. Ich ging mit ihm in die Bretterhütte hinab. Er zeigte mir die Stelle. Es war ein Plaz, mit dem die Gestalt häufig, wenn sie gelegt wurde, auf den Boden kam und der daher durch diesen Umstand und zum Theile durch Versendungen, denen die Gestalt ausgesezt gewesen sein mochte, mehr abgenuzt war als andere. Ich ließ das Messer auf dieser Stelle gleiten, ich ließ es an ihr erklingen, und auch ich hatte das Gefühl, daß es Marmor sei, was ich eben behandle. Weil der Plaz, an dem die Versuche gemacht wurden, doch zu augenfällig war, um weiter gehen zu können und ihn etwa zu verunstalten, so beschlossen wir an einem unscheinbareren einen neuen Versuch zu machen. In der Ferse des linken Fußes fehlte ein kleines Stückchen, dort mußte jedenfalls Gips eingesezt werden, dort beschlossen wir zu forschen. Wir drehten die Gestalt mit ihrer Scheibe in eine Lage, in welcher das helle Licht auf die Lücke an der Ferse fiel. Es zeigte sich, daß neben der kleinen Vertiefung noch ein Stückchen Gips ledig sei und bei der leisesten Berührung herab fallen müsse. Wir sezten das Messer an, das Stück sprang weg, und es zeigte sich auf dem Grunde, der blos wurde, ein Stoff, der nicht Gips war. Das Auge sagte, es sei Marmor. Ich holte ein Vergrößerungsglas, wir leiteten durch Spiegel ein schimmerndes Licht auf die Stelle, ich schaute durch das Glas auf sie, und mir funkelten die feinen Kristalle des weißen Marmors entgegen. Eustach sah ebenfalls durch die Linse, wir versuchten an dem Plaze noch andere Mittel, und es stellte sich fest, daß die untersuchte Fläche Marmor sei. Nun begannen wir, um das Unglaubliche völlig zu beweisen oder unsere Meinung zu widerlegen, auch an andern Stellen Untersuchungen. Wir fingen an Stellen an, welche ohnehin ein wenig schadhaft waren und gingen nach und nach zu anderen über. Wir beobachteten zulezt gar nicht mehr so genau die Vorsichten, die wir uns am Anfange auferlegt hatten, und kamen zu dem Ergebnisse, daß an zahlreichen Stellen unter dem Gipse der Gestalt weißer Marmor sei. Der Schluß war nun erklärlich, daß an allen Stellen, auch den nicht untersuchten, der Gips über Marmor liege. Das große Gewicht der Gestalt war nicht der lezte Grund unserer Vermuthung. Durch welchen Zufall oder durch welch seltsames Beginnen die Marmorgestalt mit Gips könne überzogen worden sein, war uns unerklärlich. Am wahrscheinlichsten däuchte uns, daß es einmal irgend ein Besizer gethan habe, damit ein fremder Feind, der etwa seine Wohnstadt und ihre Kunstwerke bedrohte, die Gestalt, als aus werthlosem Stoffe bestehend, nicht mit sich fort nehme. Weil nun doch der Feind die Gestalt genommen habe oder weil ein anderer hindernder Umstand eingetreten sei, habe die Decke nicht mehr weggenommen werden können, und der edle Kern habe undenkbar lange Jahre in der schlechten Hülle stecken müssen. Wir fingen nun auf dem Wirbel des Hauptes an, den Gips nach und nach zu beseitigen. Theils, und zwar im Roheren, geschah es mit dem Messer, theils, und zwar gegen das Ende, wurden Pinsel und das auflösende Mittel des Wassers angewendet. Wir rückten so von dem Haupte über die Gestalt hinunter, und alles und jedes war Marmor. Durch den Gips war der Marmor vor den Unbilden folgender Zeiten geschüzt worden, daß er nicht das trübe Wasser der Erde oder sonstige Unreinigkeiten einsaugen mußte, und er war reiner als ich je Marmor aus der alten Zeit gesehen habe, ja er war so weiß, als sei die Gestalt vor nicht gar langer Zeit erst gemacht worden. Da aller Gips beseitigt war, wurde die Oberfläche, welche doch durch die feinsten zurückgebliebenen Theile des Überzuges rauh war, durch weiche, wollene Tücher so lange geglättet, bis sich der glänzende Marmor zeigte und durch Licht und Schatten die feinste und zartest empfundene Schwingung sichtbar wurde. Jezt war die Gestalt erst noch viel schöner als sie sich in Gips dargestellt hatte, und Eustach und ich waren von Bewunderung ergriffen. Daß sie nicht aus neuer Zeit stamme, sondern dem alten Volke der Griechen angehöre, erkannten wir bald. Ich hatte so viele und darunter die als die schönsten gepriesenen Bildwerke der alten Heidenzeit gesehen und vermochte daher zwischen ihren und den Arbeiten des Mittelalters oder der neuen Zeit zu vergleichen. Ich hatte alle Abbildungen, welche von den Bildwerken der alten Zeit zu bekommen waren, in den Asperhof gebracht, so daß ich neuerdings Vergleichungen anstellen konnte, und daß auch Eustach, welcher nicht so viel in Wirklichkeit gesehen hatte, ein Urtheil zu gewinnen vermochte. Nur nach sehr langen und sehr genauen Untersuchungen gaben wir uns mit Festigkeit dem Gedanken hin, daß das Standbild aus der alten Griechenzeit herrühre. Wir lernten bei diesen Untersuchungen, zu deren größerer Sicherstellung wir sogar Reisen unternahmen, die Merkmale der alten und neuen Bildwerke so weit kennen, daß wir die Überzeugung gewannen, die besten Werke beider Zeiten gleich bei der ersten Betrachtung von einander unterscheiden zu können. Das Schlechte ist freilich schwerer in Hinsicht seiner Zeit zu ermitteln. Merkwürdig ist es, daß völlig Werthloses aus der alten Zeit gar nicht auf uns gekommen ist. Entweder ist es nicht entstanden oder eine kunstbegeisterte Zeit hat es sogleich beseitigt. Wir haben in jener Untersuchungszeit viel über alte Kunst gelernt. Von wem und aus welchem Zeitabschnitte aber unser Standbild herrühre, konnten wir nicht ermitteln. Das war jedoch gewiß, daß es nicht der strengen Zeit angehöre und von der späteren, weicheren stamme. Ehe ich aber das Bild aus der Hütte, in welcher es stand, entfernte, ja ehe ich an den Plaz dachte, auf welchen ich es stellen wollte, mußte etwas anderes geschehen. Ich reiste nach Italien und suchte bei Cumä den Verkäufer meines Standbildes auf. Er war mit den Umänderungen seines Plazes beinahe fertig. Dieser war jezt eine Halle neuer Art, in welcher einige Menschen süßen rothen Wein tranken, in welcher neue Gipsbilder standen, um welche grüner Rasen war und aus welcher man eine schöne Aussicht hatte. Ich erzählte ihm von der Entdeckung, welche ich gemacht hatte und sagte, er möge nun nach derselben den Preis des Bildes bestimmen. Er könnte es zu diesem Zwecke selber in Deutschland besehen oder es besehen lassen. Er fand Beides nicht für nöthig, sondern forderte sogleich eine ansehnliche Summe, die den Werth eines solchen Gegenstandes, deren Preise in den verschiedenen Zeiten sehr wechseln, darstellen mochte. Ich war damals schon in den Besiz meiner größeren Habe gekommen, die mir durch eine Erbschaft zugefallen war, und zeigte mich bereit, die Summe zu erlegen, nur möchte ich mich über das Herkommen des Standbildes noch näher unterrichten und mir die Gewißheit über das Recht verschaffen, das mein Vormann bei so veränderter Sachlage über das Bild habe. Meine Forschungen führten zu nichts weiter, als daß das Bild seit vielen Menschenaltern schon in dem Besize der Familie sei, von welcher ich es habe, daß einmal Überreste eines alten Gebäudes hier gewesen wären, daß man das Gebäude nach und nach abgebrochen habe, daß man aus Wasserbecken, niederen Säulengittern und andern Dingen von weißem Steine Kalk gebrannt, und daß man aus den Resten des Gebäudes und mit dem Kalke Häuser in den Umgebungen gebaut habe. Es seien mehrere Standbilder bei den Trümmern gewesen und seien verkauft worden. Für das weiße Mädchen mit dem Stabe in der Hand habe man einmal einen Mantel aus Holz gemacht, darüber ist ein Streit in Hinsicht der Zahlung entstanden, und die Schrift, welche den Großvater des jezigen Besizers zur Zahlung verurtheilte, ist mir in dem Amte zur Einsicht und beglaubigten Abschrift gewiesen worden. Nachdem ich mir noch einen Kaufvertrag über das Marmorbild von einem Nothar hatte verfassen lassen und mich mit einer gefertigten Abschrift versehen hatte, erlegte ich die geforderte Summe und reiste wieder nach Hause. Hier wurde berathen, wohin das nun mit allem Rechte mein genannte Standbild kommen sollte. Es war nicht schwer, die Stelle auszufinden. Ich hatte auf der Marmortreppe schon einen Absaz errichtet, der einerseits die Treppe unterbrechen und ihr dadurch Zierlichkeit verleihen und andrerseits dazu dienen sollte, daß einmal ein Standbild auf ihm stehe und der Treppe den größten Schmuck verleihe. Nachdem wir uns durch Messungen überzeugt hatten, daß die Gestalt für den Plaz nicht zu hoch sei, wurde der kleine Sockel verfertigt, auf dem sie jezt steht, es wurde eine Vorrichtung gebaut. sie auf den Plaz zu bringen, und sie wurde auf ihn gebracht. Wir standen nun oft vor der Gestalt und betrachteten sie. Die Wirkung wurde statt schwächer immer größer und nachhaltiger, und unter allen Kunstgegenständen, die ich habe, ist mir dieser der liebste. Das ist der hohe Werth der Kunstdenkmale der alten, heitern Griechenwelt, nicht blos der Denkmale der bildenden Kunst, die wir noch haben, sondern auch der der Dichtung, daß sie in ihrer Einfachheit und Reinheit das Gemüth erfüllen und es, wenn die Lebensjahre des Menschen nach und nach fließen, nicht verlassen, sondern es mit Ruhe und Größe noch mehr erweitern und mit Unscheinbarkeit und Gesezmäßigkeit zu immer größerer Bewunderung hinreißen. Dagegen ist in der Neuzeit oft ein unruhiges Ringen nach Wirkung, das die Seele nicht gefangen nimmt, sondern als ein Unwahres von sich stößt. Es sind manche Männer gekommen, das Standbild zu betrachten, manche Freunde und Kenner der alten Kunst, und der Erfolg ist fast immer derselbe gewesen, ein Ernst der Anerkennung und der Würdigung. Wir, Eustach und ich, sind in den Dingen der alten Kunst sehr hiedurch vorgeschritten, und beide sind wir von der alten Kunst erst recht zur Erkenntniß der mittelalterlichen gekommen. Wenn wir die unnachahmliche Reinheit, Klarheit, Mannigfaltigkeit und Durchbildung der alten Gestaltungen betrachtet hatten und zu denen des Mittelalters gingen, bei welchen große Fehler in diesen Beziehungen walten, so sahen wir hier ein Inneres, ein Gemüth voll Ungeziertheit, voll Glauben und voll Innigkeit, das uns fast im Stammeln so rührt wie uns jenes dort im vollendeten Ausdrucke erhobt. Über die Zeit der Entstehung unseres Standbildes können wir auch jezt noch nichts Festes behaupten, auch nicht, ob es mit anderen aus dem Volke von Standbildern, das in Hellas stand, nach Rom gekommen ist, oder ob es unter den Römern von einem Griechen gefertigt worden ist, wie man es in jener Römerzeit, da griechische Kunst mit nicht hinlänglichem Verständnisse über Italien ausgebreitet wurde, in den Siz eines Römers gebracht hat und wie es auf ein ganz anderes, entferntes Geschlecht übergegangen ist.»

Er schwieg nach diesen Worten, und ich sah den Mann an. Wir waren, während er sprach, in dem Saale auf und nieder gegangen. Ich begriff, warum er diesen Saal bei Abendgewittern aufsucht. Durch die hellen Fenster schaut der ganze südliche Himmel herein, und auch Theile des westlichen und des östlichen sind zu erblicken. Die ganze Kette der hiesigen Alpen kann am Rande des Gesichtskreises gesehen werden. Wenn nun ein Gewitter in jenem Raume entsteht - und am schönsten sind Gewitterwände oder Gewitterberge, wenn sie sich über fernhinziehende Gebirge lagern oder längs des Kammes derselben dahin gehen -, so kann er dasselbe frei betrachten, und es breitet sich vor ihm aus. Zu dem Ernste der Wolkenwände gesellt sich der Ernst der Wände von Marmor, und daß in dem Saale gar keine Geräthe sind, vermehrt noch die Einsamkeit und Größe. Wenn nun vollends schon eine schwache Abenddämmerung eingetreten ist, so zeigt die Oberfläche des Marmors den Widerschein der Blize, und während wir so auf und nieder gingen, war einige Male der reine, kalte Marmor wie in eine Glut getaucht, und nur die hölzernen Thüren standen dunkel in dem Feuer oder zeigten ihre düstere Fügung.

Ich fragte meinen Gastfreund, ob er das Marmorstandbild schon lange besize.

«Die Zahl der Jahre ist nicht sehr groß», antwortete er, «ich kann sie euch aber nicht genau angeben, weil ich sie nicht in meinem Gedächtnisse behalten habe. Ich werde in meinen Büchern nachsehen und werde euch morgen sagen, wie lange das Bild in meinem Hause steht.»

«Ihr werdet wohl erlauben», sagte ich, «daß ich die Gestalt öfter ansehen darf und daß ich mir nach und nach einpräge und immer klarer mache, warum sie denn so schön ist und welches die Merkmale sind, die auf uns eine solche Wirkung machen.»

«Ihr dürft sie besehen, so oft ihr wollt», antwortete er, «den Schlüssel zu der Thür des Marmorganges gebe ich euch sehr gerne, oder ihr könnt auch von dem Gange der Gaszimmer über die Marmortreppe hinabgehen, nur müßt ihr sorgen, daß ihr immer Filzschuhe in Bereitschaft habt, sie anzuziehen. Ich freue mich jezt, daß ich den Marmorgang und die Treppe so habe machen lassen, wie sie gemacht sind. Ich habe damals schon immer daran gedacht, daß auf die Treppe ein Bild von weißem Marmor wird gestellt werden, daß dann am besten das Licht von oben darauf herabfällt und daß die umgebenden Wände so wie der Boden eine dunklere, sanfte Farbe haben müssen. Das reine Weiß - in der lichten Dämmerung der Treppe erscheint es fast als ganz rein - steht sehr deutlich von der umgebenden tieferen Farbe ab. Was aber die Merkmale anbelangt, an denen ihr die Schönheit erkennen wollt, so werdet ihr keine finden. Das ist eben das Wesen der besten Werke der alten Kunst, und ich glaube, das ist das Wesen der höchsten Kunst überhaupt, daß man keine einzelnen Theile oder einzelne Absichten findet, von denen man sagen kann, das ist das Schönste, sondern das Ganze ist schön, von dem Ganzen möchte man sagen, es ist das Schönste; die Theile sind blos natürlich. Darin liegt auch die große Gewalt, die solche Kunstwerke auf den ebenmäßig gebildeten Geist ausüben, eine Gewalt, die in ihrer Wirkung bei einem Menschen, wenn er altert, nicht abnimmt, sondern wächst, und darum ist es für den in der Kunst Gebildeten so wie für den völlig Unbefangenen, wenn sein Gemüth nur überhaupt dem Reize zugänglich ist, so leicht, solche Kunstwerke zu erkennen. Ich erinnere mich eines Beispieles für diese meine Behauptung, welches sehr merkwürdig ist. Ich war einmal in einem Saale von alten Standbildern, in welchem sich ein aus weißem Marmor verfertigter, auf seinem Size zurückgesunkener und schlafender Jüngling befand. Es kamen Landleute in den Saal, deren Tracht schließen ließ, daß sie in einem sehr entfernten Theile des Landes wohnten. Sie hatten lange Röcke, und auf ihren Schnallenschuhen lag der Staub einer vielleicht erst heute Morgen vollbrachten Wanderung. Als sie in die Nähe des Jünglings kamen, gingen sie behutsam auf den Spizen ihrer Schuhe vollends hinzu. Eine so unmittelbare und tiefe Anerkennung ist wohl selten einem Meister zu Theil geworden. Wer aber in einer bestimmten Richtung befangen ist und nur die Schönheit, die in ihr liegt, zu fassen und zu genießen versteht, oder wer sich in einzelne Reize, die die neuen Werke bringen, hineingelebt hat, für den ist es sehr schwer, solche Werke des Alterthums zu verstehen, sie erscheinen ihm meistens leer und langweilig. Ihr waret eigentlich auch in diesem Falle. Wenngleich nicht von der neuen, nur bestimmte Seiten gebenden Kunst gefangen, habt ihr doch Abbildungen von gewissen Gegenständen, besonders denen eurer wissenschaftlichen Bestrebungen, zu sehr und zu lange in einer Richtung gemacht, als daß euer Auge sich nicht daran gewöhnt, euer Gemüth sich nicht dazu hingeneigt hätte und ungefüger geworden wäre, etwas anderes mit gleicher Liebe aufzunehmen, das in einer anderen Richtung lag, oder vielmehr, das sich in keiner oder in allen Richtungen befand. Ich habe gar nie gezweifelt, daß ihr zu dieser Allgemeinheit gelangen werdet, weil schöne Kräfte in euch sind, die noch auf keinen Afterweg geleitet sind und nach Erfüllung streben; aber ich habe nicht gedacht, daß dies so bald geschehen werde, da ihr noch zu kraftvoll in dem auf seiner Stufe höchst lobenswerthen Streben nach dem Einzelnen begriffen waret. Ich habe geglaubt, irgend ein großes, allgemeines menschliches Gefühl, das euch ergreifen würde, würde euch auf den Standpunkt führen, auf dem ich euch jezt sehe.»

Ich konnte eine geraume Zeit auf diese lezte Rede meines Gastfreundes nichts antworten. Wir gingen schweigend in dem Saale auf und nieder, und es war um so stiller, als unsere mit weichen Sohlen bekleideten Füße nicht das geringste Geräusch auf dem glänzenden Fußboden machten. Blize zuckten zuweilen in den Spiegelflächen um und unter uns, der Donner rollte gleichsam bei den offenen Fenstern herein und die Wolken bauten sich in Gebirgen oder in Trümmern oder in luftigen Länderstrecken durch den weiten Raum auf, den die Fenster des Saales beherrschten.

Ich sagte endlich, daß ich mich jezt erinnere, wie mein Vater oft geäußert habe, daß in schönen Kunstwerken Ruhe in Bewegung sein müsse.

«Es ist ein gewöhnlicher Kunstausdruck», entgegnete mein Gastfreund, «allein es thäte es auch ohne ihn. Man versteht gewöhnlich unter Bewegung Bewegbarkeit. Bewegung kann die bildende Kunst, von der wir hier eigentlich reden, gar nicht darstellen. Da die Kunst in der Regel lebende Wesen, Menschen, Thiere, Pflanzen - und selbst die Landschaft troz der starrenden Berge ist mit ihren beweglichen Wolken und ihrem Pflanzenschmucke dem Künstler ein Atmendes; denn sonst wird sie ihm ein Erstarrendes - darstellt, so muß sie diese Gegenstände so darstellen, daß es dem Beschauer erscheint, sie könnten sich im nächsten Augenblicke bewegen. Ich will hier wieder aus dem Alterthume ein Beispiel anführen. Alle Stoffe, mit welchen Menschen sich bekleiden, nehmen nach der Art der Bewegungen, denen sich verschiedene Menschen gerne hingeben, verschiedene Gestaltungen an. Ein Freund von mir erkannte einen alten wohlbekannten und trefflichen Schauspieler einmal bei einer Gelegenheit, bei welcher er nur ein Stück des Rockes des Schauspielers sehen konnte. Wenn nun die Gestaltungen der Stoffe, die sich meistens in Falten kund geben, nach der Wirklichkeit nachgebildet werden, nicht nach willkürlichen Zurechtlegungen, die man nach herkömmlichen Schönheitsgesezen an der Gliederpuppe macht, so liegt in diesen nachgebildeten Gestaltungen zuerst eine bestimmte Eigenthümlichkeit und Einzelheit, die den Gegenstand sinnlich hinstellt, und dann drückt die Gestaltung nicht blos den Zustand aus, in dem sie gegenwärtig ist, sondern sie weist auch auf den zurück, der unmittelbar vorher war und von dem sich die Gebilde noch leise vorfinden, und sie läßt zugleich den nächstkünftigen ahnen, zu dem die Bildungen neigen. Dies ist es, was bei Gewandungen ganz vorzüglich für das beschauende Auge den Begriff der Bewegung gibt und mithin der Lebendigkeit. Dies ist es, da die Alten so gerne nach der Natur arbeiteten, was sie dort, wo sie Gewänder anbringen, so meisterhaft handhaben, daß der Spruch entstanden ist, sie stellten nicht nur dar, was ist, sondern auch, was zunächst war und sein wird. Darum bilden sie in der Gewandung nicht blos die Haupttheile, sondern auch die entsprechenden Unterabtheilungen, und dies mit einer solchen Zartheit und Genauigkeit, daß man auf den Stoff des Werkes vergißt und nur den Stoff der Gewandung sieht und ihn zusammenlegen und in der Hand ballen zu können vermeint. Solcher Bildung gegenüber legen manche Neuen sogenannte edle Falten zurecht, bilden sie im Erze oder Marmor nach, vermeiden hiebei in sorglichem Maße zu große Einzelheiten, um nicht unruhig zu werden, und erzielen hiebei, daß man allerdings große, edle Massen von Faltungen sieht, daß aber in der Falte der Stoff des Werkes, nicht des Gewandes herrscht, daß man die marmorne, die erzene Falte sieht, daß das Gemüth erkältet wird und daß man meint, der Mann, der damit angethan ist, könne nicht gehen, weil ihn die erzene Falte hindere. Wie es mit dem Gewande ist, ist es auch mit dem Leibe, der das Gewand der Seele ist, und die Seele allein kann ja nur der Gegenstand sein, welchen der Künstler durch das Bild und Gleichniß des Leibes darstellt. Hier auch ließen sich die Alten von der Natur leiten, und wenn sie Sünden begingen, die das Auge des naturforschenden Zergliederers, strenge genommen, tadeln müßte, so begingen sie keine, die das nicht so stofflich blickende Auge der Kunst zu verdammen gezwungen wäre. Dafür zeigt die Schwingung der Gliederflächen in ihren Theilen und Unterabtheilungen eine solche Ausbildung und Durchführung, daß die Zustände von jezt und von unmittelbar vorher und nachher sichtbar werden, daß die Glieder, wie ich vorher von der Gewandung sagte, die Vorstellung der Beweglichkeit geben und daß sie leben. Wie bei den Gewändern bilden manche Neue auch die Glieder ins Größere, Allgemeinere, weniger Ausgeführte, um nicht krampfig zu werden, und dann gerathen die Muskeln gerne wie glatte, spröde, unbiegsame Glaskörper, und die Gestalt kann sich nicht rühren. Das Gesagte mag ungefähr den Begriff von dem geben, was man in der Kunst unter Bewegung versteht. Was man unter Ruhe begreift, das mag wohl zuerst darin bestehen, daß jeder Gegenstand, den die bildende Kunst darstellt, genau betrachtet, in Ruhe ist. Der laufende Wagen, das rennende Pferd, der stürzende Wasserfall, die jagende Wolke, selbst der zuckende Bliz sind in der Abbildung ein Starres, Bleibendes, und der Künstler kann nur durch die früher von mir angedeuteten Mittel die Bewegung als Bewegbarkeit, als Täuschung des Auges darstellen, wodurch er zugleich seinen Gegenstand über die Grenzen des unmittelbar Dargestellten hinaushebt und ihm eine ungleich größere Bedeutung gibt. Aber die dargestellte Bewegung darf nicht zu gewaltsam sein, sonst helfen die Mittel nicht, der Künstler scheitert und wird lächerlich. Zum Beispiele Pferde, die von einem Felsen durch die Luft hinabstürzen, dürfen nicht in der Luft fallend gemalt werden - wenigstens dürfte dies leichter eine den Verstand befriedigende Zeichnung als ein das ganze Kunstvermögen enzückendes Bild werden. Darum darf der in seinen Gestalten sich stets erneuende Wasserfall mit weit geringerer Gefahr dargestellt werden als eine Flüssigkeit, die aus einem Gefäße gegossen wird, wobei die Einbildungskraft sich mit dem Gedanken quält, daß das Gefäß nicht leer wird. Der in hohen Lüften auf seinen Schwingen ruhende Geier ist im Bilde erhaben, der dicht vor unsern Augen auf seine Beute stürzende kann sehr mißlich werden. Der an Bergen emporsteigende Nebel ist lieblich, der von einer abgefeuerten Kanone aufsteigende Rauch verlezt uns durch sein immerwährendes Bleiben. Es ist begreiflich, daß die Grenzen zwischen dem Darstellbaren in der Bewegung nicht fest zu bestimmen sind und daß größere Begabungen viel weiter hierin gehen dürfen als kleinere. So sah ich schon sehr oft gemalte fahrende Wägen. Die Pferde sind gewöhnlich ihrer Fußstellung nach im schönsten Laufe begriffen, während die Speichen der Wagenräder klar und sichtbar in völliger Ruhe starren. Der größere Künstler wird uns den Nebel der sausenden Speichen darstellen und manches Andere zutun und zusammenstellen, daß wir den Wagen wirklich fahren sehen. Außer dem hier gegebenen Begriffe von stofflicher Ruhe mag wohl unter Ruhe weit öfter die künstlerische zu verstehen sein, die ein Kunstwerk, sei es Bild, Dichtung oder Musik, nie entbehren kann, ohne aufzuhören, ein Kunstwerk zu sein. Es ist diese Ruhe jene allseitige Übereinstimmung aller Theile zu einem Ganzen, erzeugt durch jene Besonnenheit, die in höchster kunstliebender Begeisterung nie fehlen darf, durch jenes Schweben über dem Kunstwerke und das ordnende Überschauen desselben, wie stark auch Empfindungen oder Thaten in demselben stürmen mögen, die das Kunstschaffen des Menschen dem Schaffen Gottes ähnlich macht und Maß und Ordnung blicken läßt, die uns so enzücken. Bewegung regt an, Ruhe erfüllt, und so entsteht jener Abschluß in der Seele, den wir Schönheit nennen. Es ist nicht zu zweifeln, daß sich Andere vielleicht Anderes bei diesen Worten denken, daß dieses Andere gut oder besser als das Meinige sein kann - gewöhnlich geht es mit solchen Gangwörtern so, daß jeder seinen eigenen Sinn hinein legt. Das Beste ist, daß die schaffende Kraft in der Regel nicht nach solchen aufgestellten Säzen wirkt, sondern das Rechte trifft, weil sie die Kraft ist, und es desto sicherer trifft, je mehr sie sich auf ihrem eigenthümlichen Wege naturgemäß ausbildet. Für das Verständniß der Kunst, für solche, welche ihre Werke beschauen und sich darüber besprechen, sind Auslegungen derselben Einkleidung ihres Wesens in Worte eine sehr nüzliche Sache, nur muß man die Worte nicht zum Hauptgegenstande machen und auf einen Sinn, den man ihnen beilegt, nicht so bestehen, daß man alles verdammt, was nicht nach diesem Sinne ist. Sonst müßte man ja den größten und einzigen Künstler am meisten tadeln, Gott, der so unzählige Gestaltungen erschaffen hat und dessen Werke ja wirklich von Menschen untergeordneten Geistes getadelt werden, die meinen, sie hätten es anders gemacht.»

Bei diesen Worten kam Gustav in den Saal. Die Dämmerung hatte schon stark zugenommen, es regnete aber noch immer nicht.

«Dieser steht noch auf demselben Stande, auf welchem ihr früher gestanden seid», sagte mein Gastfreund auf Gustav weisend, der auf ihn zuging.

«Wie meinst du das, Vater?» fragte der Knabe.

«Wir redeten von Kunst», antwortete mein Gastfreund, «und da behaupte ich, daß du noch nicht in der Lage bist, Kunstwerke so erkennen und beurtheilen zu können wie unser Gast hier.»

«Wohl, das behaupte ich selber», sagte Gustav, «er ist darum auch theilweise mein Lehrer, und wenn er in der Erkenntniß der Kunst dir und Eustach und der Mutter nachstrebt, so werde ich meines Theils ihm wieder nachstreben.»

«Das ist gut», sagte mein Gastfreund, «aber das ist es nicht so ganz, wovon wir sprachen, allein es thut nichts zur Sache und gehört auch nicht zur Wesenheit.»

Mit diesen Worten, gleichsam um ferneren Fragen vorzubeugen, trat er an ein Fenster und wir mit ihm.

Wir betrachteten eine Weile die Erscheinung vor uns, die über dem immer dunkler werdenden Gefilde immer großartiger wurde, und gingen dann, da der Abend beinahe in Finsterniß übergehen wollte und die Stunde des Abendessens gekommen war, über die Marmortreppe in das Speisezimmer hinunter.

Das Gewitter war in der Nacht ausgebrochen, hatte einen Theil derselben mit Donnern und einen Theil mit bloßem Regen erfüllt und machte dann einem sehr schönen und heiteren Morgen Plaz.

Das Erste, was ich an diesem Tage that, war, daß ich zu dem marmornen Standbilde ging. Ich hatte es gestern, da wir über die Treppe hinabstiegen, nicht mehr deutlich und nur von einem Blize oberflächlich beleuchtet gesehen. Die Finsterniß war auf der Treppe schon zu groß gewesen. Heute stand es in der ruhigen und klaren Helle des Tages, welche das Glasdach auf die Treppe sendete, schmucklos und einfach da. Ich hatte nicht gedacht, daß das Bild so groß sei. Ich stellte mich ihm gegenüber und betrachtete es lange.

Mein Gastfreund hatte Recht, ich konnte keine eigentliche einzelne Schönheit entdecken, was wir im neuen Sinne Schönheit heißen, und ich erinnerte mich auf der Treppe sogar, daß ich oft von einem Buche oder von einem Schauspiele, ja von einem Bilde sagen gehört hatte, es sei voller Schönheiten, und dem Standbilde gegenüber fiel mir ein, wie unrecht entweder ein solcher Spruch sei oder, wenn er berechtigt ist, wie arm ein Werk sei, das nur Schönheiten hat, selbst dann, wenn es voll von ihnen ist und das nicht selber eine Schönheit ist; denn ein großes Werk, das sah ich jezt ein, hat keine Schönheiten und um so weniger, je einheitlicher und einziger es ist. Ich gerieth sogar auf den Gedanken und auf die Erfahrung, die ich mir nie klar gemacht hatte, daß, wenn man sagt, dieser Mann, diese Frau habe eine schöne Stimme, schöne Augen, einen schönen Mund, eben damit zuleich gesagt ist, das andere sei nicht so schön; denn sonst würde man nicht Einzelnes herausheben. Was bei einem lebenden Menschen gilt, dachte ich, gilt bei einem Kunstwerke nicht, bei welchem alle Theile gleich schön sein müssen, so daß keiner auffällt, sonst ist es eben als Kunstwerk nicht rein und ist im strengsten Sinne genommen keines. Dessenohngeachtet, daß ich, oder vielmehr eben darum, weil ich keine einzelnen Schönheiten an dem Standbilde zu entdecken vermochte, machte es, wie ich mir jezt ganz klar bewußt war, wieder einen außerordentlichen Eindruck auf mich. Der Eindruck war aber nicht einer, wie ich ihn öfter vor schönen Sachen hatte, ja selbst vor Dichtungen, sondern er war, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, allgemeiner, geheimer, unenträthselbarer, er wirkte eindringlicher und gewaltiger; aber seine Ursache lag auch in höheren Fernen, und mir wurde begreiflich, ein welch hohes Ding die Schönheit sei, wie schwerer sie zu erfassen und zu bringen sei als einzelne Dinge, die die Menschen erfreuen und wie sie in dem großen Gemüthe liege und von da auf die Mitmenschen hinausgehe, um Großes zu stiften und zu erzeugen. Ich empfand, daß ich in diesen Tagen in mir um Vieles weiter gerückt werde.

In der nächsten Zeit sprach ich auch mit Eustach über das Standbild. Er war sehr erfreut darüber, daß ich es als so schön erkannte, und sagte, daß er sich schon lange darnach gesehnt habe, mit mir über dieses Werk zu sprechen; allein es sei unmöglich gewesen, da ich selber nie davon geredet habe und eine Zwiesprache nur dann ersprießlich werde, wenn man beiderseitig von einem Gegenstande durchdrungen sei. Wir betrachteten nun miteinander das Bildwerk und machten uns wechselseitig auf Dinge aufmerksam, die wir an demselben zu erkennen glaubten. Besonders war es Eustach, der über das Marmorbild, so sehr es sich in seiner Einfachheit und seiner täglich sich vor mir immer staunenswerther entwickelnden Natürlichkeit jeder Einzelverhandlung zu enziehen schien, doch über sein Entstehen, über die Art seiner Verhältnisse, über seine Gesezmäßigkeit und über das Geheimniß seiner Wirkung sachkundig zu sprechen wußte. Ich hörte begierig zu und empfand, daß es wahr sei, was er sprach, obgleich ich ihn nicht immer so genau verstand wie meinen Gastfreund, da er nicht so klar und einfach zu sprechen wußte wie dieser. Ich schritt in der Erkenntniß des Bildes vor, und es war mir, als ob es nach seinen Worten immer näher an mich heran gerückt würde.

Er suchte viele Zeichnungen hervor, auf denen sich Abbildungen von Standbildern oder andern geschnizten oder auf anderem Wege hervorgebrachten Gestalten des Mittelalters befanden. Wir verglichen diese Gestalten mit der aus dem Griechenthume stammenden.

Auch wirkliche Gestaltungen von kleinen Engeln, Heiligen oder anderen Personen, die sich in dem Rosenhause oder in der Nähe befanden, suchte er zur Vergleichung herbei zu bringen. Es zeigte sich hier für meine Augen, daß das wahr sei, was mein Gastfreund über griechische und mittelalterliche Kunst gesagt hatte. Es war mir wie ein jugendlicher und doch männlich gereifter Sinn voll Maß und Besonnenheit sowie voll herrlicher Sinnfälligkeit, der aus dem Griechenwerke sprach. In den mittelalterlichen Gebilden war es mir ein liebes, einfaches, argloses Gemüth, das gläubig und innig nach Mitteln griff, sich auszusprechen, der Mittel nicht völlig Herr wurde, dies nicht wußte und doch Wirkungen hervorbrachte, die noch jezt ihre Macht auf uns äußern und uns mit Staunen erfüllen. Eis ist die Seele, die da spricht und in ihrer Reinheit und in ihrem Ernste uns mit Bewunderung erfüllt, während spätere Zeiten, von denen Eustach zahlreiche Abbildungen von Bildwerken vorlegte, troz ihrer Einsicht, ihrer Aufgeklärtheit und ihrer Kenntniß der Kunstmittel nur frostige Gestalten in unwahren Flattergewändern und übertriebenen Gebärden hervorbrachten, die keine Glut und keine Innigkeit haben, weil sie der Künstler nicht hatte, und die nicht einmal irgend eine Seele zeigen, weil der Künstler nicht mit der Seele arbeitete, sondern mit irgend einer Überlegung nach eben herrschenden Gestaltungsansichten, weßhalb er das, was ihm an Gefühl abging, durch Unruhe und Heftigkeit des Werkes zu ersezen suchte. Was die Sinnfälligkeit anlangt, so schien mir das Mittelalter nicht nach Vollendung in derselben gestrebt zu haben. Neben einem Haupte, das in seiner Einfachheit und Gegenständlichkeit trefflich und tadellos war, befinden sich wieder Bildungen und Gliederungen, die beinahe unmöglich sind. Der Künstler sah dies nicht; denn er fand den Zustand seines Gemüthes in dem Ausdrucke seines Werkes, mehr hatte er nicht beabsichtigt, und nach Verschmelzung des Sinnenthumes strebte er nicht, weil es ihm, wenigstens in seiner Kunsttätigkeit ferne lag und er einen Mangel nicht empfand. Darum stellt sich auch bei uns die Wirkung der Innerlichkeit ein, obgleich wir, unähnlich dem schaffenden Künstler des Mittelalters, die sinnlichen Mängel des Werkes empfinden. Dies spricht um so mehr für die Trefflichkeit der damaligen Arbeiten.

Es waren recht schöne Tage, die ich mit Eustach in diesen Vergleichungen und diesen Bestrebungen hinbrachte.

Ich wurde auch wieder auf die Gemälde alter und längstvergangener Zeiten zurückgeführt. Ich hatte in meiner frühesten Jugend eine Abneigung vor alten Gemälden gehabt. Ich glaubte, daß in ihnen eine Dunkelheit und Düsterheit herrsche, die dem fröhlichen Reize der Farben, wie er in den neuen Bildern sich vorstellt und wie ich ihn auch in der Natur zu sehen meinte, entgegen und weit untergeordnet sei. Diese Meinung hatte ich zwar fahren gelassen, als ich selber zu malen begonnen und nach und nach gesehen hatte, daß die Dinge der Natur und selber das menschliche Angesicht die heftigen Farben nicht haben, die sich in dem Farbekasten befinden, daß aber dafür die Natur eine Kraft des Lichtes und des Schattens besize, die wenigstens ich durch alle meine Farben nicht darzustellen vermochte. Deßohngeachtet war mir die Erkenntniß dessen, was die Malerkunst in früheren Zeiten hervorgebracht hatte, nicht in dem Maße aufgegangen, als es der Sache nach nothwendig gewesen wäre. Wenn ich gleich im Einzelnen vorgesehritten war und Manches in alten Bildern als sehr schön erkannt hatte, so war ich doch fort und fort zu sehr in meinen Bestrebungen auf dem Gebiete der Natur befangen, als daß ich auf andere Gebilde als die der Natur mit kräftiger Innerlichkeit geachtet hätte. Darum erschienen mir Pflanzen, Faltern, Bäume, Steine, Wässer, selbst das menschliche Angesicht als Gegenstände, die würdig wären, von der Malerkunst nachgebildet zu werden; aber alte Bilder erschienen mir nicht als Nachbildungen, sondern gewissermaßen als kostbare Gegenstände, die da sind und auf denen sich Dinge befinden, die man gewohnt ist als auf Gemälden befindliche zu sehen. Diese Richtung hatte für mich den Nuzen, daß ich bei meinen Versuchen, Gegenstände der Natur zu malen, nicht in die Nachahmung irgend eines Meisters verfiel, sondern daß meine Arbeiten mit all ihrer Fehlerhaftigkeit etwas sehr Gegenständliches und Naturwahres hatten; aber es erwuchs mir auch der Nachtheil daraus, daß ich nie aus alten Meistern lernte, wie dieser oder jener die Farben und Linien behandelt habe und daß ich mir alles selber mühevoll erfinden mußte und in Vielem gar zu einem Ziele nicht gelangte. Obwohl ich später der Betrachtung mittelalterlicher Gemälde mich mehr zuwandte und sogar im Winter viele Zeit in Gemäldesammlungen unserer Stadt zubrachte, so war doch ein früherer Zustand noch mehr oder weniger unbewußt vorherrschend und die Kunst des Pinsels fand von mir nicht die Hingabe, die sie verdient hätte. Als ich jezt mit Eustach die Zeichnungen mittelalterlicher bildender Kunst durchging, als ich mit ihm ein mir wie ein neues Wunder aufgegangenes Werk des alten Griechenthums betrachtete, als ich dieses Werk mit den minder alten unserer Vorfahren verglich und die Unterschiede und Beziehungen einsehen lernte: da fing ich auch an, die Gemälde meines Gastfreundes anders zu betrachten, als ich bisher sie und andere Gemälde betrachtet hatte. Ich ging nicht nur oft in sein Bilderzimmer und verweilte lange Zeit in demselben, sondern ich ließ mir auch das Verzeichniß der Bilder geben, um nach und nach die Meister kennen zu lernen, die er versammelt hatte, ich bath, daß mir erlaubt werde, mir das eine oder andere Bild, wie ich es eben wünschte, auf die Staffelei stellen zu dürfen, um es so kennen zu lernen, wie mich ein innerer Drang trieb, und ich brachte oft mehrere Tage in Untersuchung eines einzigen Bildes zu. Welch ein neues Reich öffnete sich vor meinen Blicken! Wie die Dichter mir eine Welt der Seele aufschlossen, so lag hier wieder eine Welt, es war wieder eine Welt der Seele, wieder dieselbe Welt der hochgehenden Seele der Dichtkunst; aber mit wie ganz anderen Mitteln war sie hier erstrebt und erreicht. Welche Kraft, welche Anmuth, welche Fülle, welche Zartheit, und wie war dem Schöpfer eine ähnliche, eine gleiche, aber menschliche Schöpfung nachgeschaffen. Ich lernte die Beziehungen der alten Malerei - mein Freund hatte fast lauter alte Bilder - zu der Natur kennen. Ich lernte einsehen, daß die alten Meister die Natur getreuer und liebevoller nachahmten als die neuen, ja daß sie im Erlernen der Züge der Natur eine unsägliche Ausdauer und Geduld hatten, vielleicht mehr, als ich empfand, daß ich selber hätte, und vielleicht mehr, als mancher Kunstjünger der Gegenwart haben mag. Ich konnte nicht aburtheilen, da ich zu wenige Werke der Gegenwart kannte und so betrachtet hatte, als ich jezt ältere Bilder betrachtete; aber es schien mir ein größeres Eingehen in das Wesen der Natur kaum möglich. Ich begriff nicht, wie ich das so lange nicht in dem Maße hatte sehen können, als ich es hätte sehen sollen. Wenn aber auch die Alten, wie ich hier mit ihnen umging, sich der Wirklichkeit sehr beflissen und sich ihr sehr hingaben, so ging das doch nicht so weit, als ich bei der Abbildung meiner naturwissenschaftlichen Gegenstände geschritten war, von denen ich alle Einzelheiten, so weit es nur immer möglich gewesen war, zu geben gesucht hatte. Dies wäre, wie ich einsah, der Kunst hinderlich gewesen, und statt einen ruhigen Gesammteindruck zu erzielen, wäre sie in lauter Einzelheiten zerfallen. Die Meister, welche mein Gastfreund in seiner Sammlung besaß, verstanden es, das Einzelne der Natur in großen Zügen zu fassen und mit einfachen Mitteln - oft mit einem einzigen Pinselstriche - darzustellen, so daß man die kleinsten Merkmale zu erblicken wähnte, bei näherer Betrachtung aber sah, daß sie nur der Erfolg einer großen und allgemeinen Behandlung waren. Diese große Behandlung sicherte ihnen aber auch Wirkungen im Großen, die dem entgehen, welcher die kleinsten Gliederungen in ihren kleinsten Theilen bildet. Ich sah erst jezt, welche schöne Gestalten aus dem menschlichen Geschlechte auf der Malerleinwand lebten, wie edel ihre Glieder sind, wie mannigfaltig - strahlend, kräftig, geistvoll, milde - ihr Antliz, wie adelig ihre Gewänder, und wäre es eine Bettlerjacke, und wie treffend die Umgebung. Ich sah, daß die Farbe der Angesichter und anderer Theile das leuchtende Licht menschlicher Gestaltungen ist, nicht der Farbestoff, mit dem der Unkundige seinen Gebilden ein widriges Roth und Weiß gibt, daß die Schatten so tief gehen, wie sie die Natur zeigt, und daß die Umgebung eine noch größere Tiefe hat, wodurch jene Kraft erzielt wird, die sich der nähert, welche die Schöpfung durch wirklichen Sonnenschein gibt, den niemand malen kann, weil man den Pinsel nicht in Licht zu tauchen vermag, eine Kraft, die ich jezt an den alten Bildern so bewunderte. Von der außermenschlichen Natur sah ich leuchtende Wolken, klare Himmelsgebilde, ragende, reiche Bäume, gedehnte Ebenen, starrende Felsen, ferne Berge, helle, dahinfließende Bäche, spiegelnde Seen und grüne Weiden, ich sah ernste Bauwerke und ich sah das sogenannte stille Leben in Pflanzen, Blumen, Früchten, in Thieren und Thierchen. Ich bewunderte das Geschick und den Geist, womit alles zurechtgelegt und hervorgebracht ist. Ich erkannte, wie unsere Vorfahren Landschaften und Thiere malten. Ich erstaunte über den zarten Schmelz, womit einer mittelst Überfarben seinen Gebilden eine Durchsichtigkeit gab, oder über die Stärke, womit ein anderer undurchsichtige Farben hinstellte, daß sie einen Berg bildeten, der das Licht fängt und spiegelt und es so zwingt, das Bild mit zu malen, zu dem ein Licht in dem Farbenkasten nicht war. Ich erkannte, wie der eine in durchsichtigen Farben untermalte und auf diese seine festen, körperigen Farben aufsezte, oder wie ein anderer Farbe auf Farbe mit breitem Pinsel hinstellt und mit ihm die Übergänge vermittelt und mit ihm die Zeichnung umreißt. Daß alte Bilder düsterer sind, erschien mir einleuchtend, da das Öl die Farben nachdunkeln macht und der Firniß eine dunkle bräunliche Farbe erhält. Beides haben umsichtige Meister mehr als voreilige zu vermeiden gewußt, und mein Gastfreund hatte Bilder, die in schöner Pracht und Farbenherrlichkeit leuchteten, obwohl auch bei ihnen die Würde bewahrt blieb, daß sie mehr die Kraft des Tones als auffallende oder etwa gar unwahre Farben brachten. Da ich schon viel mit Farben beschäftigt gewesen war, so verweilte ich oft lange bei einem Bilde, um zu ergründen, wie es gemalt ist und auf welche Weise die Stoffe behandelt worden sind. In dem Rosenzimmerchen Mathildens, wohin mich mein Gastfreund führte, um auch dort die Bilder zu sehen, hingen vier kleine Gemälde, davon zwei von Tizian waren, eines von Dominichino und eines von Guido Reni. Sie waren an Größe fast gleich und hatten gleiche Rahmen. Sie waren die schönsten, die mein Gastfreund besaß. Je mehr man sie betrachtete, desto mehr fesselten sie die Seele. Ich bath ihn fast zu oft, mir diese vier Bildchen zu zeigen, und er ermüdete nicht, mir immer die Frauengemächer aufzuschließen, mich in das Zimmerchen zu führen, mich die Bilder betrachten zu lassen und mit mir darüber zu sprechen. Er nahm sie öfter herab und stellte sie auf dem Tische oder auf einem Sessel so auf, daß sie in dem besten Lichte standen. Ich brachte merkwürdige Tage in jener Zeit in dem Rosenhause meines Freundes zu. Mein Wesen war in einer hohen, in einer edlen und veredelnden Stimmung.

Ich fragte ihn einmal, woher er denn die Bilder erhalten habe.

«Sie sind recht nach und nach in das Haus gekommen, wie es der Sammelfleiß und mitunter auch der Zufall gefügt hat», antwortete er. «Ich habe von einem Oheime mehrere geerbt; sie waren aber nicht die besten, wie ich sie jezt habe, ich verkaufte einen Theil davon, um mir andere, wenn auch wenigere, aber bessere zu kaufen. Ich habe euch schon einmal gesagt, daß ich in Italien gewesen bin. Ich habe drei Reisen in dieses Land gemacht. Da hat sich Manches gefunden. Ich habe stets nach Bildern gesucht, habe Manches gekauft, Manches wieder verkauft, Neues gekauft, und so war ein fortlaufender Wechsel, bis es so wurde, wie es jezt ist. Nun aber verkaufe oder vertausche ich nichts mehr, selbst wenn mir etwas Außerordentliches vorkäme, das ich nicht ohne Weggabe eines Früheren erkaufen könnte. Mit dem Alter wird man so anhänglich an das Gewohnte, daß man es nicht missen kann, wenn es auch verbraucht zu werden beginnt und verschossen und verschollen ist. Ich lege alte Kleider nicht gerne ab, und wenn ich eines der Bilder, die mich nun so lange umgeben, aus dem Hause lassen müßte, so würde ich einem großen Schmerze nicht entgehen. Sie mögen nun bleiben, wie sie sind und wo sie sind, bis ich scheide. Selbst der Gedanke, daß ein Nachfolger die Bilder so lasse und sie ehre, wie sie hier sind, hat für mich etwas sehr Angenehmes, obwohl er töricht ist und ich ihm aus dem Wege gehe; denn darin besteht das Leben der Welt, daß ein Streben und Erringen und darum ein Wandel ist, welcher Wandel auch hier eintreten wird. Ich habe auch längere Zeit schon nichts mehr gekauft, außer einer recht lieben kleinen Landschaft von Ruysdael, die neben der Thür im Bilderzimmer hängt und die ihr so gerne anschaut. Ich würde nur etwas sehr Werthvolles kaufen, in so ferne es meine Kräfte zuließen. Ich habe oft Jahre lang auf ein Bild warten müssen, das mir sehr gefiel und das ich zu haben wünschte, entweder, weil der Besizer eigensinnig war und, obwohl er das Bild weggeben wollte, doch Bedingungen an die Hingabe knüpfte, die nicht zu erfüllen waren, oder weil er sich von dem Bilde nicht trennen wollte, obgleich er es mißhandelte und zu Grunde gehen ließ. Zuweilen mußte ich schlechtere Bilder kaufen, die durch Farbenreiz oder andere Eigenschaften das Auge ansprachen, um einen Vorrath zum Tausche zu haben. Es gibt nehmlich Leute, welche Freude an Bildern haben, welche ältere bedeutende Bilder nicht weggeben, wenn sie solche besizen, sie aber doch nicht erkennen und sie durch schlechte Behandlung Schaden leiden lassen. Sie ziehen ein Gemälde vor, welches sie besser verstehen, welches ihnen mehr gefällt, wenn es auch im Werthe minder ist, und sind zu einem Tausche bereit. Dieser macht ihnen Freude, und wenn ich ihnen darlegte, daß ihr Gemälde einen höheren Werth habe als das meinige, und wenn ich diesen Werth nach genauer Schäzung durch Geld ausglich, so war das Vergnügen noch größer; denn sie zweifelten doch immer, ob ich Recht habe und das alte Bild nicht aus Vorliebe überschäze, da ihnen ja ihre Augen sagten, daß der Unterschied nicht so groß sei. Auf diese Weise bekam ich manches Angenehme, ohne meinem Billigkeitsgefühle nahe treten zu müssen, was bei Bildergeschäften so leicht der Fall wird. Die heilige Maria mit dem Kinde, welche euch so wohl gefällt und welche ich beinahe eine Zierde meiner Sammlung nennen möchte, hat mir Roland auf dem Dachboden eines Hauses gefunden. Er war dorthin mit dem Eigenthümer gestiegen, um altes Eisenwerk, darunter sich mittelalterliche Sporen und eine Klinge befanden, zu kaufen. Das Bild war ohne Blindrahmen und war nicht etwa zusammengerollt, sondern wie ein Tuch zusammengelegt und lag im Staube. Roland konnte nicht genau erkennen, ob es einen Werth habe, und kaufte es dem Manne um ein Geringes ab. Ein Soldat hatte es einmal aus Italien geschickt. Er hatte es als bloße Packleinwand benüzt und hatte Wäsche und alte Kleider in dasselbe gethan, die ihm zu Hause ausgebessert werden sollten. Darum hatte das Bild Brüche, wo nehmlich die Leinwand zusammengelegt gewesen war, an welchen Brüchen sich keine Farbe zeigte, da sie durch die Gewalt des Umbiegens weggesprungen war. Auch hatte man, da wahrscheinlich die Fläche zum Zwecke einer Umhüllung zu groß gewesen war, Streifen von ihr weggeschnitten. Man sah die Schnitte noch ganz deutlich, während die anderen Ränder sehr alt waren und noch die Spuren von den Nägeln zeigten, mit denen sie einst an den Blindrahmen befestigt gewesen waren. Auch war, durch die Mißhandlungen der Zeiten herbeigeführt, an andern Stellen als an denen der Brüche die Farbe verschwunden, so daß man nicht nur den Grund des Gemäldes, sondern hie und da auch die lediglichen nackten Faden der alten Leinwand sehen konnte. So kam das Bild auf dem Asperhofe an. Wir breiteten es zuerst auseinander, wuschen es mit reinem Wasser und mußten dann, um es als Fläche zu erhalten und es betrachten zu können, Gewichte auf seine vier Ecken legen. So lag es auf dem Fußboden des Zimmers vor uns. Wir erkannten, daß es das Werk eines italienischen Malers sei, wir erkannten auch, daß es aus älterer Zeit stamme; aber von welchem Künstler es herrühre oder auch nur aus welcher Zeit es sei, war nach dem Zustande, in welchem die Malerei sich befand, durchaus nicht zu bestimmen. Theile, welche ganz waren, ließen indessen ahnen, daß das Gemälde einen nicht zu geringen Werth haben dürfte. Wir gingen nun daran, ein Brett zu verfertigen, auf welches das Bild geklebt werden könnte. Wir bereiten solche Bretter gewöhnlich aus Eichenholz, das aus zwei übereinander liegenden Stücken, deren Fasern auf einander senkrecht sind, und einem Roste besteht, damit dem sogenannten Werfen oder Verbiegen des Holzes vorgebeugt werde. Als das Brett fertig und die Verkittung an demselben vollkommen ausgetrocknet war, wurde das Gemälde auf dasselbe aufgezogen. Wir hatten dort, wo die Ränder des Bildes weggeschnitten waren, die Holzfläche größer gemacht und die neu entstandenen Stellen mit passender Leinwand gut ausgeklebt, um dem Gemälde annähernd wieder eine Gestalt geben zu können, die es ursprünglich gehabt haben mochte und in der es sich den Augen wohlgefällig zeigte. Hierauf wurde daran gegangen, das Bild von dem alten, hie und da noch vorfindlichen Firnisse und von dem Schmuze, den es hatte, zu reinigen. Der Firniß war durch die gewöhnlichen Mittel leicht wegzubringen, nicht so leicht aber der durch Jahrhunderte veraltete Schmuz, ohne daß man in Gefahr kam, auch die Farben zu beschädigen. Das gereinigte, auf der Staffelei stehende Gemälde wies uns nun eine viel größere Schönheit, als es uns nach der ersten oberflächlichen Waschung gezeigt hatte; aber es war durch die vielen Sprünge, Risse und nackten Stellen noch so verunstaltet, daß eine genaue Würdigung auch jezt nicht möglich war, selbst wenn wir bedeutend größere Erfahrungen gehabt hätten als wir hatten. Roland und Eustach schritten zur Ausbesserung. Kein Ding kann schwieriger sein, und durch keins sind Gemälde so sehr entstellt und entwerthet worden. Ich glaube, wir haben einen nicht unrichtigen Weg eingeschlagen. Eine ursprüngliche Farbe durfte gar nicht bedeckt werden. Zum Glücke hatte das Bild gar nie eine Ausbesserung oder sogenannte Übermalung erhalten, so daß entweder nur die ursprüngliche Farbe vorhanden war oder gar keine. In die farbentblößten Stellen wurde die Farbe, welche die umgrenzenden Ränder zeigten, gleichsam wie ein Stift eingesezt, bis die Grube erfüllt war. Wir nahmen die Farben so trocken als möglich und so dicht gerieben, als es der Laufer auf dem Steine, ohne stecken zu bleiben zuwege bringen konnte. Wenn sich aber doch wieder nach dem Trocknen eine Vertiefung zeigte, wurde dieselbe neuerdings mit der nehmlichen Farbe ausgefüllt und so fortgefahren, bis eine Höhlung nicht mehr entstand. Erhöhungen, die blieben, wurden mit einem feinen Messer gleichgeschliffen. Auch über unausrottbaren Schmuz wurde die Farbe seiner Umgebung gelegt. Wenn die Farbe nach längerer Zeit durch das Öl, das sie enthielt, und durch andere Ursachen, die vielleicht noch mitwirken, nachgedunkelt war und sich in dem Gemälde als Fleck zeigte, wurde mit äußerst trockener Farbe und mit der Spize eines feinen Pinsels die Stelle so lange gleichsam ausgepunktet, bis sie sich von der Umgebung durchaus nicht mehr unterschied. Dieses Verfahren wurde zuweilen mehrere Male wiederholt. Zulezt konnte man mit freien Augen die Pläze, an welchen sich neue Farben befanden, gar nicht mehr erkennen. Nur das Vergrößerungsglas zeigte noch die Ausbesserungen. Wir brachten Jahre mit diesem Verfahren zu, besonders da Zwischenzeiten waren, die mit andern Arbeiten ausgefüllt werden mußten und da unser Vorgehen selber Zwischenzeiten bedingte, in denen die Farben auszutrocknen hatten oder in denen man ihnen Zeit geben mußte, die Veränderungen zu zeigen, die nothwendig bei ihnen eintreten müssen. Dafür aber war an dem vollendeten Gemälde nicht zu merken, daß es nicht in allen Theilen ein altes sei, es hatte die feinen Sprünge alter Bilder und hatte alle die Reinheit und Klarheit des Pinsels, der es ursprünglich geschaffen hatte. Wenn man alte Bilder bei Ausbesserungen übermalt und dadurch stimmt, so ist nicht selten ein Überzug über die feinen Linien, welche die Zeit in alte Bilder sprengt, und dieser Überzug zeigt nicht nur, daß das Bild ausgebessert worden ist, sondern er stellt auch einen feinen Schleier dar, der über die Farben gebreitet ist und sie trüb und undurchsichtig macht. Solche Bilder geben oft einen düstern, unerfreulichen und schwerlastenden Eindruck. Es werden Viele unser Thun in Herstellung alter Bilder unbedeutend und unerheblich nennen, besonders da es so viele Zeit und so viele Anstalten erforderte; uns aber machte es eine große und eine innige Freude. Ihr werdet es gewiß nicht tadeln, da ihr einen so großen Antheil an den Hervorbringungen der Kunst zu nehmen beginnt. Wenn nach und nach die Gestalt eines alten Meisters vor uns aufstand, so war es nicht blos das Gefühl eines Erschaffens, das uns beseelte, sondern das noch viel höhere eines Wiederbelebens eines Dinges, das sonst verloren gewesen wäre und das wir selber nicht hätten erschaffen können. Als schon bereits einige Theile des Bildes fertig waren, zeigte es sich, daß die Farben reiner und glänzender seien, als wir gedacht hatten, und daß das Bild einen vorzüglicheren Werth habe, als Anfangs unsere Vermuthung war. So lange die vielen Sprünge und farblosen Stellen und so lange die unreinen Flecke, die wir nicht hatten beseitigen können, auf dem Gemälde waren, übten sie auch auf das Nichzerstörte und sogar auf das sehr wohl Erhaltene einen Einfluß aus und ließen es im Ganzen mißfärbiger erscheinen, als es war. Nachdem aber in einer ziemlich großen Fläche die widerstreitenden Stellen mit den entsprechenden Farben zugedeckt waren und die neue Farbe die alte, statt ihr zu widersprechen, unterstüzte, so kam eine Reinheit, ein Schmelz, eine Durchsichtigkeit und sogar ein Feuer zu Stande, daß wir in Erstaunen geriethen; denn bei starkbeschädigten Bildern kann man die Folgerichtigkeit der Übergänge nicht beurtheilen, bis man sie nicht vollendet vor sich hat. Freilich mochte der besondere Farbenfluß sich noch höher darstellen, da er von den unverbesserten und widerwärtigen Stellen umgeben und gehoben wurde; aber das war schon vorauszusehen, daß, wenn das ganze Bild fertig sein würde, seine Stimmung einen entschieden künstlerischen Eindruck machen müsse. Ich hatte während der Arbeit viele Mühe darauf verwendet, die ganze Geschichte und die Herkunft des Bildes zu erforschen; allein ich kam zu keinem Ergebnisse. Der Soldat, der die Leinwand aus Italien geschickt hatte, war längst gestorben, und es lebte überhaupt niemand mehr, der in näherer Beziehung zu dem Ereignisse gestanden wäre; denn dasselbe hatte sich weit früher zugetragen, als ich gedacht hatte. Der Großvater des lezten Besizers des Bildes hatte öfter erzählt, daß er sagen gehört habe, daß ein aus dem Hause gebürtiger Soldat einmal seine Strümpfe und Hemden in ein Muttergottesbild eingewickelt aus Welschland nach Hause geschickt habe. Die Wahrheit der Erzählung bestätigte sich dadurch, daß man noch das alte zerstörte Marienbild auf dem Dachboden des Hauses fand. Ich konnte auch nicht ergründen, welche Gelegenheit es gewesen sei, die jenen deutschen Soldaten nach Welschland geführt hatte. Von dem, herauszufinden, aus welcher Gegend Italiens das Bild gekommen sei, konnte nun vollends gar keine Rede mehr sein. Als nach langer Zeit, nach vieler Mühe und mancher Unterbrechung das Gemälde in einem schönen, alterthümlich gearbeiteten Goldrahmen fertig vor uns stand, war es eine Art Fest für uns. Roland war herbei gerufen worden, da er gegen den Schluß des Werkes eine Reise angetreten und die Vollendung seinem Bruder überlassen hatte. Mehrere Nachbaren waren geladen worden, ja ein Freund und Kenner alter Kunst, dem ich die Sache gemeldet hatte, war sogar von ziemlich weiter Entfernung herzugekommen, um die Wiederherstellung zu sehen, und Andere, wenn sie auch nicht geladen waren, hatten sich eingefunden, da sie durch Zufall Kenntniß von der Begebenheit erhalten hatten, und wußten, daß sie auf dem Asperhofe nicht unwillkommen sein würden. Es ist nicht wahr, was man öfter sagt, daß eine schöne Frau ohne Schmuck schöner sei als in demselben; und eben so ist es nicht wahr, daß ein Gemälde zu seiner Geltung nicht des Rahmens bedürfe. Ich hatte zu unserem Marienbilde einen Rahmen nach Zeichnungen aus mittelalterlichen Gegenständen bestellt und hatte dessen Ausführung gelegentlich, wenn mich ein Geschäft oder mein Wille in die Stadt brachte, überwacht. Er war weit eher auf dem Asperhofe angekommen, als das Bild fertig war, und mußte die Zeit über in seiner Kiste verpackt harren. Wir versuchten auch nicht ein einziges Mal das Bild in ihn zu fügen, ehe es fertig war, um den Eindruck nicht zu schwächen. Bei neuen Bildern zeigt freilich der Rahmen erst, daß noch Manches hinzuzufügen und zu ändern ist, und Vieles muß an solchen Bildern erst gemacht werden, wenn man sie bereits in einem Rahmen gesehen hat. Bei alten Bildern, die wiederhergestellt werden, ist das anders, besonders, wenn sie auf unsere Weise hergestellt worden. Da gibt das Vorhandene den Weg der Herstellung an, man kann nicht anders malen, als man malt, und die Tiefe, das Feuer und der Glanz der Farben ist daher durch das bereits auf der Leinwand Befindliche bedingt. Wie dann das Bild in einem Rahmen aussehen werde, liegt nicht in der Willkür des Wiederherstellers, und wenn es in dem Rahmen trefflich oder minder gut steht, so ist das Sache des ursprünglichen Meisters, dessen Werk man nicht ändern darf. Als unsere Maria, welche noch nicht einmal einen Firniß erhalten hatte, aus den alterthümlichen Gestalten des Rahmens, die sehr paßten, heraussah, so war es ein wunderbarer Anblick, und erst jezt sahen wir, welche Lieblichkeit und Kraft der alte Meister in seinem Bilde dargelegt hatte. Obwohl der Rahmen erhabene Arbeit in Blumen, Verzierungen und sogar in Theilen der menschlichen Gestalt enthielt und auf demselben Glanzlichter von starker Wirkung angebracht waren, so erschien das Bild doch nicht unruhig, ja es beherrschte den Rahmen und machte seinen Reichthum zu einer anmuthigen Mannigfaltigkeit, während es selber durch seine Gewalt sich geltend machte und in den erhebenden Farben von würdigem Schmucke umgeben thronte. Ein leiser Ruf entschlüpfte den Lippen aller Anwesenden, und ich freute mich, daß ich mich nicht getäuscht hatte, als ich auf die Macht des Bildes rechnend einen so reichen Rahmen für dasselbe bestellt hatte. Wir standen lange davor und betrachteten die Schönheit der Farbengebung an den entblößten Theilen so wie die der Gewandung und der Gründe, was im Vereine mit der Einfachheit und Hoheit der Linienführung und mit der maßvollen Anordnung der Flächen ein so würdevolles und heiliges Ganzes bildete, daß man sich eines tiefen Ernstes nicht erwehren konnte, der wie wahrhaftige Andacht war. Erst später fingen wir zu sprechen an, beredeten dieses und jenes und kamen, wie es natürlich war, dahin, Vermuthungen über den Meister zu wagen. Es wurde Guido Reni genannt, es wurde Tizian genannt, es wurde die Rafaelische Schule genannt. Für alles hatte man Gründe, und der Schluß war, wie er es auch noch heute ist, daß man nicht wußte, von wem das Bild sei. Roland war außerordentlich vergnügt, daß er die Sache in ihrer Entstehung schon geahnt und durch den Kauf eine so zweckmäßige Handlung ausgeführt habe. Damals war er noch außerordentlich jung, er war bei Weitem nicht so eingeübt wie jezt und war daher seiner Handlung nicht ganz sicher. Eustach sah man es an, daß ihm, wie der Volksausdruck sagt, das Herz vor Freude lache. Eine freundliche Bewirthung meiner Gäste war damals das Ende des Tages. Wir suchten in der folgenden Zeit eine Stelle, an welcher das Bild am vortheilhaftesten aufgehängt werden könnte. Roland erhielt eine Belohnung in einem Werke, das er sich schon lange gewünscht hatte, und Eustach, das sah ich wohl, fand seine schönste Befriedigung darin, daß er näher in unsere Kunstkreise gezogen wurde. Dem Manne, von welchem das Bild in seinem verstümmelten Zustande gekauft worden war, gab ich noch eine Summe, mit welcher er weit über seine Erwartung abgefunden war; denn das Bild hätte er doch nie herstellen lassen können, er wäre auch auf den Gedanken nicht gekommen, und ohne Roland wäre das Bild nicht verkauft worden, bis es immer mehr verfallen und einmal vernichtet worden wäre. Oft stand ich in späteren Zeiten noch davor und hatte manche Freude in Betrachtung des Werkes. Ich sah das Angesicht und die Hände der Mutter an und sah das theils nackte, theils durch schöne Tücher schicklich verhüllte Kind. Ein dem Lande Italien so häufig zukommendes Zeichen ist es, daß das Kind nicht in den Armen der Mutter gehalten wird, sondern daß es mit schönem Hinneigen zu derselben und von ihr leicht und sanft umfaßt auf einem erhöhten Gegenstande vor ihr steht. Der Künstler hat dadurch nicht nur Gelegenheit gefunden, den Körper des Kindes in einer weit schöneren Stellung zu malen, als wenn er von der Mutter an ihren Busen gehalten gewesen wäre, sondern er hat noch den weit höheren Vortheil erreicht, das göttliche Kind in seiner Kraft und in seiner Freiheit zu zeigen, was die Wirkung hat, als ehrten wir gleichsam schon die Macht, mit welcher es einstens handeln wird. Daß südliche Völker den Heiland als Kind in so großer sinnlicher Schönheit malen, hat mich immer enzückt, und wenn auf meinem Bilde das heilige Kind eher wie ein kräftiger, wunderschöner Leib des Südens aussieht, so beirrt mich das nicht, sehen doch die Jesuskinder und die Johanneskinder des herrlichen Rafael auch so aus, und die Wirkung ist doch eine so gewaltige. Daß die Mutter, deren Mund so schön ist, die Augen gegen Himmel wendet, sagt mir nicht ganz zu. Die Wirkung, scheint mir, ist hierin ein wenig überboten, und der Künstler legt in eine Handlung, die er seine Gestalt vor uns vornehmen läßt, eine Bedeutung, von der er nicht machen kann, daß wir sie in der bloßen Gestalt sehen. Wer durch einfachere Mittel wirkt, wirkt besser. Wenn er die Heiligkeit und Hoheit statt in die erhobenen Augen in die bloße Gestalt hätte legen können, wobei die Augen einfach vor sich hinblickten, so hätte er besser gethan. Rafael läßt seine Madonnen ruhig und ernst blicken, und sie werden Himmelsköniginnen, während so manche andere nur betende Mädchen sind. Aus diesem möchte ich auch schließen, daß das Bild nicht aus der Rafaelschen Schule ist, so sehr die herrliche Gestalt des Kindes daran erinnert. Das Bild hängt nicht mehr dort, wo es Anfangs war. Wir haben alle Bilder mehrere Male umgehängt, und es gewährt eine eigene Freude, zu versuchen, ob in einer andern Anordnung die Wirkung des Ganzen nicht eine bessere sei. Auch darüber haben wir ernste Berathungen und vielerlei Versuche angestellt, welche Farbe wir den Wänden geben sollen, daß sich die Bilder am besten von ihnen abheben. Wir blieben dann bei dem röthlichen Braun stehen, das ihr jezt noch in dem Gemäldezimmer findet. Ich lasse nun nichts mehr ändern. Die jezige Lage der Bilder ist mir zu einer Gewohnheit und ist mir lieb geworden, und ich möchte ohne übeln Eindruck die Sache nicht anders sehen. Sie ist mir eine Freude und eine Blume meines Alters geworden. Die Erwerbung der Bilder, die, wie ihr schon aus meinen früheren Worten schließen könnt, nicht immer so leicht war wie die der heiligen Maria, stellt eine eigene Linie in dem Gange meines Lebens dar, und diese Linie ist mit Vielem versehen, was mir theils einen freudigen, theils einen trüben Rückblick gewährt. Wir sind in manche Verhältnisse gerathen, haben manche Menschen kennen gelernt und haben manche Zeit mit Wiederherstellung der Bilder, mit Verwindung von Täuschungen, mit Hineinleben in Schönheiten zugebracht, wir haben auch manche zu Zeichnungen und Entwürfen von Rahmen verwendet; denn alle Gemälde haben wir nach und nach in neue, von uns entworfene Rahmen gethan, und so stehen nun die Werke um mich wie alte, hochverehrungswürdige Freunde, die es täglich mehr werden und die eine Annehmlichkeit und eine Wonne für meine noch übrigen Tage sind.»

Daß ich durch die Erzählung meines Gastfreundes der Sammlung seiner Bilder noch mehr zugewendet wurde, begreift sich.

Ich lenkte meine Aufmerksamkeit nun auch auf die Kupferstiche meines Gastfreundes. Da dieselben nicht unter Glas und Rahmen waren, sondern sich in großen Laden des Tisches im Lesezimmer befanden, so konnte man sie weit bequemer betrachten als die Gemälde. Ich nahm mir zuerst die Mappen nach einander heraus und sah alle Kupferstiche der Reihe nach an. Dann aber ging ich an eine mehr geordnete Betrachtung. So wie mein Gastfreund nicht Bücher aus dem Hause gab, wohl aber einem Gaste in sein Zimmer die verlangten bringen ließ, so that er es auch mit den Kupferstichen, nur gab er immer gleich eine ganze Mappe in ein Zimmer, nicht aber leicht einzelne Blätter. Er that dies der Erhaltung und Schonung willen. Weil ich nun nicht viele Stunden im Lesezimmer ununterbrochen mit Ansehen von Kupferstichen zubringen mochte, so ließ mir mein Gastfreund die einzelnen Mappen nach und nach in meine Wohnung bringen, und ich konnte die in ihnen enthaltenen Werke mit Muße betrachten, konnte diese Beschäftigung auch durch Anderes unterbrechen und konnte, wenn ich die Mappe durch eine beliebige Zeit in meiner Wohnung gehabt hatte, dieselbe durch eine andere ersezen. Später, da ich alle Mappen genau durchsucht hatte, wobei ich mir diejenigen Werke aufzeichnete, die mir ganz besonders gefielen oder die von meinem Gastfreunde und Eustach als vorzüglich bezeichnet waren, schlug ich mir bei Gelegenheit nur die eine oder andere auf, um das eine oder andere mir sehr liebe Werk des Grabstichels zu besehen. Ich merkte mir in meinem Gedenkbuche auch diejenigen an, welche ich mir gleichfalls kaufen wollte, wenn es solche waren, die man noch im Handel bekommen konnte. Ich lernte bei diesen Untersuchungen die Art und Weise des Vortrags verschiedener Meister und verschiedener Zeiten kennen und endlich auch würdigen, und ich fand wieder, wie es bei den Gemälden der Fall ist, daß mit geringen Ausnahmen auch diese Kunst eine schönere Vergangenheit gehabt habe, als sie eine Gegenwart habe, ja bei den Kupferstichen konnte ich dies noch genauer kennen lernen als bei Gemälden, da mein Freund alte und neue Kupferstiche hatte, während in seinem Bilderzimmer nur sehr wenige neue Bilder hingen, die Vergleichung also schwieriger war, und ich mich auf die neuen Bilder weniger erinnerte, welche ich in der Stadt gesehen hatte und welche ich auch mit anderen Augen mochte angeschaut haben. Ich lernte die Feinheiten, die Großartigkeit, die Schönheit, die Ruhe in der Behandlung immer mehr kennen und würdigen und beschloß, da mir Kupferstiche weit leichter zu erwerben waren als Gemälde, vorläufig damit zu beginnen, mir Blätter, die ich für trefflich hielt, zu kaufen und eine Sammlung anzubahnen. Es war eine ziemliche Zeit hingegangen, die ich mit Betrachtung und Einprägung der Kupferstiche und Gemälde verbrachte. Eustach war häufig bei mir, wir sprachen über die Dinge, und ich lernte täglich höher von diesem Manne denken.

Ich kam während dieser Zeit auch öfter in das Schreinerhaus und andere Werkstätten und sah zu, was da verfertiget werde.

Bei diesen Veranlassungen fiel es mir auf, daß mein Gastfreund noch nicht begonnen hatte, aus dem in Wahrheit gewiß außerordentlich schönen Marmor, den ich ihm gebracht hatte, dessen Schönheit ich ganz gewiß zu beurtheilen verstand und der ihm selber viele Freude gemacht zu haben schien, etwas verfertigen zu lassen. Ich konnte auch den Marmor in dem Rosenhause gar nicht auffinden. Er war in dem Vorrathshause gelegen, wo sich auch öfter Steine von mir befunden hatten. Jezt war er nicht mehr dort. War er, um nicht Verlezungen zu erfahren, in einen anderen, sichereren Ort gebracht worden oder hatte man ihn doch irgendwohin gesendet, wo an ihm gearbeitet wurde? Das Lezte war nicht denkbar, da mein Gastfreund alle Dinge aus Holz und Stein in seinem Hause arbeiten ließ, wozu auch nicht nur die Vorrichtungen und Werkzeuge vorhanden waren, sondern wohin auch zu jeder Zeit die etwa noch mangelnden Arbeitskräfte gezogen werden können.

Ich machte eines Tages eine Reise in das Lauterthal und hielt mich einige Zeit in demselben auf. Es war nicht, um meine gewöhnliche Beschäftigung dort vorzunehmen, sondern um nach den Arbeiten mit meinem Marmor zu sehen. In der Nähe des Ahorngasthauses - etwa zwei Wegestunden von demselben entfernt - befand sich die Anstalt, in welcher Marmor gesägt und geschliffen wurde und in welcher man verschiedene Dinge aus Marmor verfertigte. Der Ort hieß das Rothmoor, weßhalb, konnte ich nicht ergründen; denn es war überall Gestein und rauschendes Wasser, und von einem Moore war auf Meilen in der Länge und Breite nichts zu finden; aber der Ort hieß so. Es befanden sich dort mehrere Stücke Marmor von mir, damit aus denselben etwas für den Vater gemacht würde. Das größte Stück war fast rosenroth, und es sollte daraus ein Wasserbecken für den Garten werden. Das Becken aber hatte ich selber entworfen. Aus großer Vorliebe für Gewächse hatte ich seine Gestalt aus dem Gewächsreiche genommen. Es war ein Blatt, welches dem der Einbeere sehr ähnlich war, in welchem die glänzende dunkelschwarze Kugel liegt. Ich hatte das Blatt nach einem wirklichen aus Wachs gebildet, nur die Auszackung machte ich geringer und die Tiefe größer. Das Wachsblatt wurde von einem Arbeiter, der des Gestaltens sehr kundig war, in Gips bedeutend größer nachgebildet, und nach dem Gipsblatte sollte das Marmorbecken gearbeitet werden. In der Tiefe desselben sollte wie bei dem Einbeerenblatte die Kugel liegen, und aus einem Stiele, der sich über das Blatt erhebt, soll das Wasser in einem feinen Strahle in das Blatt springen. Das Blatt selber sollte von Rosenmarmor, der Stamm und Stengel von einem anderen, dunkleren sein. Ich bestrebte mich in dem Rothmoore nachzusehen, wie weit die Arbeit gediehen sei, und versuchte durch Besprechungen für größere Leichtigkeit und Reinheit einzuwirken. Aus anderem Marmor sollten andere Dinge verfertigt werden. Zuerst das Pflaster um die Einbeere herum. Das Blatt sollte sein Wasser auf dieses Pflaster hinabgießen, dasselbe sollte auf seiner Ebene eine sanfte Rinne bilden, um das Wasser weiter zu leiten. Die Farbe des Pflasters sollte blaß gelblich sein. Ich hatte eine erkleckliche Anzahl Stücke hiezu zusammengebracht. Für eine Laube in dem Garten hatte ich die Platte eines Tischchens beabsichtigt. Sonst waren noch kleine Tragsteine, ein paar Simse und Briefbeschwerer im Werke. Die Sachen waren in Arbeit. Als Daraufgabe war ein Nest, in welchem zwei Eier lagen, deren Marmor fast täuschend die Farbe von Kibizeiern hatte.

Ich war mit den Arbeiten, so weit sie jezt gediehen waren, sehr zufrieden. Der Stein zu dem Becken war nicht nur in seine allgemeine Gestalt geschnitten worden, sondern das Blatt war in rohen Umrissen fertig, so daß zur feineren Ausfeilung und zur Glättung geschritten werden konnte. Es arbeiteten zwei Menschen ausschließlich an diesem Gegenstande. Mit dem Gipsvorbilde ließ ich noch einige Veränderungen vornehmen. Es war mir nicht leicht genug und zeigte mir nicht hinlänglich das Weiche des Pflanzenlebens.

Ich ging in die Berge, suchte Pflanzen der Einbeere und brachte sie sammt ihrer Erde in Töpfen zurück, damit sie nicht zu schnell welkten und uns länger als Muster dienen könnten. An diesen Pflanzen suchte ich zu zeigen, was an dem Vorbilde noch fehle. Ich erklärte, wo ein Blattheil sich sanfter legen, ein Rand sich weicher krümmen müsse, damit endlich das Steinbild, wenn es fertig wäre, nicht den Eindruck hervorbringe, als ob es gemacht worden, sondern den, als ob es gewachsen wäre. Da ich mich bemühte, die Sache ohne Verlezung des Mannes, welcher das Gipsvorbild verfertiget hatte, darzulegen und sie eher in das Gewand einer Berathung einzukleiden, so ging man auf meine Ansichten sehr gerne ein, und da die ersten Versuche gelangen und das Becken durch die größere Ähnlichkeit, die es mit dem Blatte erlangte, auch sichtbar an Schönheit gewann, so ging man mit Eifer an die Fortsezung, suchte sich den Pflanzenmerkmalen immer mehr zu nähern und erlebte die Freude, daß endlich das Werk in ungemein edlerer Vollendung dastand als früher. Selbst für künftige Arbeiten hatte man durch dieses Verfahren einen Anhaltspunkt gewonnen, und Hoffnungen geschöpft, sich in schönere und heiterere Kreise zu schwingen. Der Werkmeister sprach unverhohlen mit mir über die Sache. Früher hatte man nach hergebrachten Gestalten und Zeichnungen Gegenstände verfertigt, dieselben versandt und Preise dafür erhalten, die solchen Waaren gewöhnlich zukommen, so daß die Anstalt bestehen konnte, aber einer gehäbigen und wohlhabenden Blüthe doch nicht theilhaftig war. Daß man sich an Pflanzen als Vorbilder wenden könne, war ihnen nicht eingefallen.

Jezt richtete man den Blick auf sie und fand, daß alle Berge voll von Dingen ständen, die ihnen Fingerzeige geben könnten, wie sie ihre Werke zu verfertigen und zu veredeln hätten.

Ich blieb so lange da, bis das Gipsblatt vollkommen fertig war, und bis ich mich darüber beruhigt hatte, welche Werkzeuge zum Messen angewendet würden, damit die Gestalt des Vorbildes mit allen ihren Verhältnissen in die Nachbildung übergehen könnte.

Nachdem ich noch die Bitte um Beschleunigung der Arbeit angebracht hatte, damit ich sie so bald als möglich in den Garten des Vaters bringen könnte, und nachdem ich versprochen hatte, in diesem Sommer noch einen Besuch in der Anstalt zu machen, trat ich den Rückweg in das Rosenhaus wieder an.

Ich bestieg auf meiner Wanderung, die ich in den Bergen zu Fuße machte, das Eiskar, sezte mich auf einen Steinblock und sah beinahe den ganzen Nachmittag in tiefem Sinnen auf die Landschaften, die vor mir ausgebreitet waren, hinaus.

In dem Rosenhause beschäftigte ich mich wieder mit Betrachtung der Bilder. Ich nahm sogar ein Vergrößerungsglas und sah die Gemälde an, wie denn die verschiedenen alten Meister gemalt haben, ob der eine einen stumpfen, starren Pinsel genommen habe, der andere einen langen, weichen, ob sie mit breitem oder spizigem gearbeitet, ob sie viel untermalt haben oder gleich mit den schweren, undurchsichtigen Farben darauf gegangen seien, ob sie in kleinen Flächen fertig gemacht oder das Große vorerst angelegt und es in allen Theilen nach und nach der Vollendung zugeführt hätten.

Mein Gastfreund war in diesen Dingen sehr erfahren und stand mir bei.

Von den Dichtern nahm ich jezt Calderon vor. Ich konnte ihn bereits in dem Spanischen lesen und vertiefte mich mit großem Eifer in seinen Geist.

Wir besuchten mehrere Male den Inghof. Es wurde dort Musik gemacht, es wurde gespielt, wir besuchten die schönsten Theile der Umgebung oder besahen, was der Garten oder der Meierhof oder das Haus Vorzügliches aufzuweisen hatte.

Zur Zeit der Rosenblüthe kamen Mathilde und Natalie auf den Asperhof. Wir wußten den Tag der Ankunft und erwarteten sie. Als sie ausgestiegen waren, als Mathilde und mein Gastfreund sich begrüßt hatten, als einige Worte von den Lippen der Mutter zu Gustav gesprochen worden waren, wendete sie sich zu mir und sprach mit den freundlichsten Mienen und mit dem liebevollsten Blick ihrer Augen die Freude aus, mich hier zu finden, zu wissen, daß ich mich schon ziemlich lange bei ihrem Freunde und ihrem Sohne aufgehalten habe, und zu hoffen, daß ich die ganze schöne Jahreszeit auf dem Asperhofe zubringen werde.

Ich erwiederte, daß ich heuer beschlossen habe, den ganzen Sommer über blos für mein Vergnügen zu leben und daß ich es mit großem Danke anerkennen müsse, daß mir erlaubt sei, auf diesem Size verweilen zu dürfen, der das Herz, den Verstand und das ganze Wesen eines jungen Mannes so zu bilden geeignet sei.

Natalie stand vor mir, da dieses gesprochen worden war. Sie erschien mir in diesem Jahre vollkommener geworden und war so außerordentlich schön, wie ich nie in meinem ganzen Leben ein weibliches Wesen gesehen habe.

Sie sagte kein Wort zu mir, sondern sah mich nur an. Ich war nicht im Stande, etwas aufzufinden, was ich zur Bewillkommnung hätte sagen können. Ich verbeugte mich stumm, und sie erwiederte diese Verbeugung durch eine gleiche.

Hierauf gingen wir in das Haus.

Die Tage verflossen wie die in den vergangenen Jahren. Nur eine einzige Ausnahme trat ein. Man begann nach und nach von den Bildern zu sprechen, man sprach von der Marmorgestalt, welche auf der schönen Treppe des Hauses stand, man ging öfter in das Bilderzimmer und besah Verschiedenes, und man verweilte manche Augenblicke in der dämmerigen Helle der Treppe, auf welche von oben die sanfte Flut des Lichtes hernieder sank, und vergnügte sich an der Herrlichkeit der dort befindlichen Gestalt und der Pracht ihrer Gliederung. Ich erkannte, daß Mathilde in der Beurtheilung der Kunst erfahren sei und daß sie dieselbe mit warmem Herzen liebe. Auch an Natalien sah ich, daß sie in Kunstdingen nicht fremd sei und daß sie in ihrer Neigung etwas gelten. Ich machte also jezt die Erfahrung, daß man in früherer Zeit, da ich mein Augenmerk noch weniger auf Gemälde und ähnliche Kunstwerke gerichtet hatte und dieselben einen tiefen Plaz in meinem Innern noch nicht einnahmen, mich geschont habe, daß man nicht eingegangen sei, in meiner Gegenwart von den in dem Hause befindlichen Kunstwerken zu sprechen, um mich nicht in einen Kreis zu nöthigen, der in jenem Augenblicke noch beinahe außerhalb meiner Seelenkräfte lag. Mir kam jezt auch zu Sinne, daß in gleicher Weise mein Vater nie zu mir auf eigenen Antrieb von seinen Bildern gesprochen habe und daß er sich nur insoweit über dieselben eingelassen, als ich selber darauf zu sprechen kam und um dieses oder jenes fragte. Sie haben also sämmtlich einen Gegenstand vermieden, der in mir noch nicht geläufig war und von dem sie erwarteten, daß ich vielleicht mein Gemüth zu ihm hinwenden würde. Mich erfüllte diese Betrachtung einigermaßen mit Scham, und ich erschien mir gegenüber all den Personen, die nun durch meine Vorstellung gingen, als ungefüg und unbehilflich; aber da sie immer so gut und liebreich gegen mich gewesen waren, so schloß ich aus diesem Umstande, daß sie nicht nachtheilig über mich geurtheilt und daß sie meinen Antheil an dem, was ihnen bereits theuer war, als sicher bevorstehend betrachtet haben. Dieser Gedanke beruhigte mich eines Theiles wieder. Besonders aber gereichte es mir zur Genugtuung, daß sie mit einer Art von Freude in die Gespräche eingingen, die sich jezt über bildende Kunst entspannen, daß also das nicht unsachgemäß sein mußte, was ich in dieser Richtung jezt äußerte, und daß es ihnen angenehm war, mit mir auf einer Lebensrichtung zusammen zu treffen, welche für sie Wichtigkeit hatte.

Eines Tages, da die Blüthe der Rosen schon beinahe zu Ende war, wurde ich unfreiwillig der Zeuge einiger Worte, welche Mathilde an meinen Gastfreund richtete und welche offenbar nur für diesen allein bestimmt waren. Ich zeichnete in einer Stube des Erdgeschosses ein Fenstergitter. Das Erdgeschoß des Hauses hatte lauter eiserne Fenstergitter. Diese waren aber nicht jene großstäbigen Gitter, wie man sie an vielen Häusern und auch an Gefängnissen anbringt, sondern sie waren sanft geschweift und hatten oben und unten eine flache Wölbung, die mitten, gleichsam wie in einen Schlußstein, in eine schöne Rose zusammenlief. Diese Rose war von vorzüglich leichter Arbeit und war ihrem Vorbilde treuer, als ich irgendwo in Eisen gesehen hatte. Außerdem war das ganze Gitter in zierlicher Art zusammengestellt, und die Stäbe hatten nebst der Schlußrose noch manche andere bedeutsam Verzierungen. Es war fast gegen Abend, als ich mich in einer Stube des Erdgeschosses, deren Fenster auf die Rosen hinausgingen, befand, um mir vorläufig die ganze Gestalt des Gitters, die außen zu sehr von den Rosen verdeckt war, zu entwerfen. Die einzelnen Verzierungen, deren Hauptentwicklung nach außen ging, wollte ich mir später einmal von dorther zeichnen. Da ich in meine Arbeit vertieft war, dunkelte es vor dem Fenster, wie wenn die Laubblätter vor demselben von einem Schatten bedeckt würden. Da ich genauer hinsah, erkannte ich, daß jemand vor dem Fenster stehe, den ich aber der dichten Ranken willen nicht erkennen konnte. In diesem Augenblicke ertönte durch das geöffnete Fenster klar und deutlich Mathildens Stimme, die sagte: «Wie diese Rosen abgeblüht sind, so ist unser Glück abgeblüht.»

Ihr antwortete die Stimme meines Gastfreundes, welcher sagte: «Es ist nicht abgeblüht, es hat nur eine andere Gestalt.»

Ich stand auf, entfernte mich von dem Fenster und ging in die Mitte des Zimmers, um von dem weiteren Verlaufe des Gespräches nicht mehr zu vernehmen. Da ich ferner überlegt hatte, daß es nicht geziemend sei, wenn mein Gastfreund und Mathilde später erführen, daß ich zu der Zeit, als sie ein Gespräch vor dem Fenster geführt hatten, in der Stube gewesen sei, der jenes Fenster angehörte, so entfernte ich mich auch aus derselben und ging in den Garten. Da ich nach einer Zeit meinen Gastfreund, Mathilden, Natalie und Gustav gegen den großen Kirschbaum zugehen sah, begab ich mich wieder in die Stube und holte mir meine Zeichnungsgeräthe, die ich dort liegen gelassen hatte; denn der Abend war mittlerweile so dunkel geworden, daß ich zum Weiterzeichnen nicht mehr sehen konnte.

Als die Rosenblüthe gänzlich vorüber war, beschlossen wir, uns auch eine Zeit in dem Sternenhofe aufzuhalten. Da wir den Hügel zu ihm hinan fuhren, sah ich, daß Gerüste an dem Mauerwerke aufgeschlagen waren, und als wir uns genähert hatten, erkannte ich, daß die Arbeiter, die sich auf den Gerüsten befanden, damit beschäftigt waren, die Tünche von den breiten Steinen, welche an die Oberfläche der Mauern gingen, abzunehmen und die Steine zu reinigen. Man hatte vorher an einem abgelegenen Theile des Hauses einen Versuch gemacht, welcher sich bewährte und welcher darthat, daß das Haus ohne Tünche viel schöner aussehen werde.

In dem Sternenhofe wurde ich so freundlich behandelt, wie in der früheren Zeit, ja wenn ich meinem Gefühle trauen durfte und wenn man so feine Unterscheidungen machen darf, noch freundlicher als früher. Mathilde zeigte mir selber alles, von dem sie glaubte, daß es mir von einigem Werthe sein könnte, und erklärte mir bei diesem Vorgange alles, von dem sie glaubte, daß es einer Erklärung bedürfen könnte. Während dieses meines Aufenthaltes erfuhr ich auch, daß Mathilde das Schloß von einem vornehmen Manne gekauft hatte, der selten auf demselben gewesen war und es ziemlich vernachlässigt hatte. Vor ihm war es im Besize einer Verwandten gewesen, deren Großvater es gekauft hatte. In der Zeit vorher war ein häufiger Wechsel der Eigenthümer gewesen, und das Gut war sehr herab gekommen. Mathilde fing damit an, daß sie die zum Schlosse gehörigen Untertanen, welche Zehnte und Gaben in dasselbe zu entrichten hatten, gegen ein vereinbartes Entgelt für alle Zeiten von ihren Pflichten entband und sie zu unbeschränkten Eigenthümern auf ihrem Grunde machte. Das zweite, was sie that, bestand darin, daß sie die Liegenschaften des Schlosses selber zu bewirthschaften begann, daß sie einen geschlossenen Hausstand von Gesinde und ihrer eigenen Familie begründete und mit diesem Hausstande lebte. Sie richtete den Meierhof zurecht und brachte mit Hilfe thätiger Leute, die sie aufnahm, die Felder, die Wiesen und Wälder in einen besseren Stand.

Die schönen Zeilen von Obstbäumen, welche durch die Fluren liefen und die mir bei meinem ersten Aufenthalte schon so sehr gefallen hatten, waren von ihr selber gepflanzt, und wenn sie gute, selbst ziemlich erwachsene Obstbäume irgendwo erhalten konnte, so scheute sie nicht die Zeit und den Aufwand, sie bringen und auf ihren Grund sezen zu lassen. Da die Nachbarn dieses Verfahren allmählich nachahmten, so erhielt die Gegend das eigenthümliche und wohlgefällige Ansehen, das sie von den umliegenden Ländereien unterschied.

Die Gemälde, welche sich in den Wohnzimmern Mathildens und Nataliens befanden, hatten nach meiner Meinung im Ganzen genommen zwar nicht den Werth wie die im Asperhofe, aber es waren manche darunter, welche mir nach meinen jezigen Ansichten mit der größten Meisterschaft gemacht schienen. Ich sagte die Sache meinem Gastfreunde, er bestätigte sie und zeigte mir Gemälde von Tizian, Guido Reni, Paul Veronese, Van Dyck und Holbein. Unbedeutende oder gar schlechte Bilder, wie ich sie, so weit mir jezt dieses meine Rückerinnerung plözlich und wiederholt vor Augen brachte, in manchen Sammlungen, die mir in früheren Jahren zugänglich gewesen waren, gesehen hatte, befanden sich weder in der Wohnung Mathildens noch in dem Asperhofe. Wir sprachen auch hier so wie in dem Rosenhause von den Gemälden, und es gehörte zu den schönsten Augenblicken, wenn ein Bild auf die Staffelei gethan worden war, wenn man die Fenster, die ein störendes Licht hätten senden können, verhüllt hatte, wenn das Bild in die rechte Helle gerückt worden war, und wenn wir uns nun davor befanden. Mathilde und mein Gastfreund saßen gewöhnlich, Eustach und ich standen, neben uns Natalie und nicht selten auch Gustav, welcher bei solchen Gelegenheiten sehr bescheiden und aufmerksam war. Öfter sprach hauptsächlich mein Gastfreund von dem Bilde, öfter aber auch Eustach, wozu Mathilde ihre Worte oder einfachen Meinungen gesellte. Man wiederholte vielleicht oft gesagte Worte, man zeigte sich Manches, das man schon oft gesehen hatte, und machte sich auf Dinge aufmerksam, die man ohnehin kannte. So wiederholte man den Genuß und verlebte sich in das Kunstwerk. Ich sprach sehr selten mit, höchstens fragte ich und ließ mir etwas erklären. Natalie stand daneben und redete niemals ein Wort.

Zur Nymphe des Brunnens, die unter der Eppichwand im Garten war, ging ich auch öfter. Früher hatte ich den wunderschönen Marmor bewundert, desgleichen mir nicht vorgekommen war; jezt erschien mir auch die Gestalt als ein sehr schönes Gebilde. Ich verglich sie mit der auf der Treppe im Hause meines Gastfreundes stehenden. Wenn auch jenes an Hoheit, Würde und Ernst weit den Vorzug in meinen Augen hatte, so war dieses doch auch für mich sehr anmuthig, weich und klar, es hatte eine beschwichtigende Ruhe, wie die Göttin eines Quells sollte, und hatte doch wieder jenes Reine und, ich möchte sagen, Fremde, das ein Gemälde nicht hat, das aber der Marmor so gerne zeigt. Ich wurde mir dieser Empfindung des Fremden jezt klarer bewußt, und ich erfuhr auch, daß sie mich schon in früherer Zeit ergriffen hatte, wenn ich mich Marmorbildwerken gegenüber befand. Es wirkte bei dieser Gestalt noch ein Besonderes mit, was in meiner Beschäftigung der Erdforschung seinen Grund hat, nehmlich, daß der Marmor gar so schön und fast fleckenlos war. Er gehörte zu jener Gattung, die an den Rändern durchscheinend ist, deren Weiße beinahe funkelt und uns verleitet, zu meinen, man sähe die zarten Kristalle wie Eisnadeln oder wie Zuckerkörner schimmern. Diese Reinheit hatte für mich an der Gestalt etwas Erhabenes. Nur dort, wo das Wasser aus dem Kruge floß, den die Gestalt umschlungen hielt, war ein grünlicher Schein in dem Marmor, und der Staffel, auf dem der am tiefsten herabgehende Fuß ruhte, war ebenfalls grün und von unten durch die herauf dringende Feuchtigkeit ein wenig verunreinigt. Der Marmor an dem Bilde meines Freundes war wohl trefflich, es mochte wahrscheinlich parischer sein; aber er hatte schon einigermaßen die Farbe alten Marmors, während die Nymphe wie neu war, als wäre der Marmor aus Carrara. Ich dachte mir wohl auch, und meine Freunde bestätigten es, daß das Bildwerk neueren Ursprunges sei; aber wie bei dem meines Gastfreundes wußte man auch hier den Meister nicht. Ich saß sehr gerne in der Grotte bei dem Bildwerke. Es war da ein Siz von weißem Marmor in einer Vertiefung, die sich seitwärts von der Nymphe in das Bauwerk zurück zog und von der aus man die Gestalt sehr gut betrachten konnte. Es war ein sanftes Dämmern auf dem Marmor, und im Dämmern war es wieder, als leuchtete der Marmor. Man konnte hier auch das leise Rinnen des Wassers aus dem Kruge, das Kräuseln desselben in dem Becken, das Hinabträufeln auf den Boden und das gelegentliche Blizen auf demselben sehen.

Zur Wohnung hatte man mir dieselbe Räumlichkeit gegeben, die ich in den ersten zwei Malen inne hatte, da ich in diesem Schlosse war. Man hatte sie mit allen Bequemlichkeiten ausgestattet, auf die man nur immer denken konnte und deren ich zum größten Theile nicht bedurfte; denn ich war in meinem Reiseleben gewohnt geworden, in den äußeren Dingen auf das Einfachste vorzugehen.

Da wir von dem Sternenhofe Abschied nahmen, sagte mir Mathilde auf die liebe, freundliche Weise Lebewohl, mit der sie mich empfangen hatte.

Wir besuchten auf unserer Rückreise mehrere Landwirthe, welche in der Gegend einen großen Ruf genossen, und besahen, was sie auf ihren Gütern eingeführt hatten und was sie zum Wohle des Landes auszubreiten wünschten. Mein Gastfreund nahm Rebstecklinge, Abtheilungen von Samen und Abbildungen von neuen Vorrichtungen mit nach Hause.

Ehe ich die Rückreise zu den Meinigen antrat, ging ich noch einmal in das Rothmoor, um zu sehen, wie weit die Arbeiten aus meinem Marmor gediehen wären. Von den kleineren Dingen waren manche fertig. Das Wasserbecken und die größeren Arbeiten mußten in das nächste Jahr hinüber genommen werden. Ich billigte diese Anordnung; denn es war mir lieber, daß die Sache gut gemacht würde, als daß sie bald fertig wäre.

Das Vollendete packte ich ein, um es mit nach Hause zu nehmen.

In dem Rosenhause fand ich bei meiner Zurückkunft einen Brief von Roland, der über die Ergebnisse der Nachforschungen nach den Ergänzungen zu den Pfeilerverkleidungen meines Vaters sprach. Es war keine Hoffnung vorhanden, die Ergänzungen zu finden. Im ganzen Gebirge war nichts, was mit den beschriebenen Verkleidungen Ähnlichkeit hatte, überhaupt sind da keine Verkleidungen und Vertäflungen vorhanden gewesen, wohin Roland seit Jahren seine Wanderungen angestellt hatte, sie müßten denn sehr verborgen sein, wornach man ein Auffinden so dem Zufalle anheim geben müsse, wie das durch Zufall entdeckt worden sei, was ich meinem Vater gebracht hätte. In Hinsicht der Vertäflungen aber, um welche es sich hier handle, sei beinahe Gewiß vorhanden, daß sie zerstört worden seien. Die Ausmaße, welche ihm über die in den Händen meines Vaters befindlichen Werke zugesendet worden seien, passen genau auf ein Gemach im Steinhause des Lauterthales, woher gleich Anfangs der Ursprung der Dinge vermuthet worden sei und welches Gemach jezt öde steht. Es habe zwei Pfeiler, an denen die noch vorhandenen Verkleidungen gewesen sein müssen. Die Zwischenarbeiten sind eben so zerstört worden wie Vieles, was sich in jenem steinernen Schlößchen befunden habe; denn sonst mußten sie sich entweder in dem Gebäude oder in der Gegend vorfinden, was beides nicht der Fall ist, oder sie müßten sehr im Verborgenen sein, da doch sonst die Nachforschungen, welche nun schon durch zwei Jahre angestellt und bekannt geworden seien, die Leute veranlaßt haben dürften, die Sachen zum Verkaufe um einen guten Kaufschilling zu bringen. Man müsse also seine Gedanken dahin richten, daß nichts zu finden sei, und wenn doch noch etwas gefunden würde, so müsse man es als eine unverhoffte Gunst ansehen. Mein Gastfreund und ich sagten, daß wir ungefähr auf dieses Ergebniß gefaßt gewesen seien.

Als der Herbst ziemlich vorgesehritten war, begab ich mich auf die Rückreise in meine Heimath. Es war ein sehr heiterer Sonntagsmorgen, den ich zu meiner Ankunft auserwählt hatte, weil ich wußte, daß an diesem Tage der Vater zu Hause sein würde und ich daher den Nachmittag in dem vollen Kreise der Meinigen zubringen konnte. Ich war nicht wie gewöhnlich auf einem Schiffe gekommen, sondern ich hatte meine Wanderung längs des ganzen Gebirges gegen Sonnenaufgang unternommen und war dann mitternachtwärts mit einem Wagen in unsere Stadt gefahren. Den Vater traf ich sehr heiter an, er schien gleichsam um mehrere Jahre jünger geworden zu sein. Die Augen glänzten in seinem Angesichte, als wäre ihm eine sehr große Freude widerfahren. Auch die anderen sahen sehr vergnügt und fröhlich aus.

Nach dem Mittagessen führte er mich in das gläserne Häuschen und zeigte mir, daß sich die Verkleidungen bereits auf den Pfeilern befänden. Es war ein bewunderungswürdiger Anblick, ich hätte nie gedacht, daß sich die Schnizerei so gut darstellen würde. Sie war vollkommen gereinigt und schwach mit Firniß überzogen worden.

«Siehst du», sagte der Vater, «wie sich alles schön gestaltet hat. Die Holzverkleidung fügt sich, als wäre sie für diese Pfeiler gemacht worden. Es ist fast auch so der Fall; wenn nicht die Holzverkleidung für die Pfeiler gemacht worden ist, so sind doch die Pfeiler für die Holzverkleidung gemacht worden. Was aber von weit größerer Bedeutung ist, besteht darin, daß das Holzkunstwerk in das ganze Häuschen so paßt, als wäre sie ursprünglich für dasselbe bestimmt gewesen - und dies freut mich am meisten. Ich kann mich daher auch nicht so betrüben wie du, daß die anderen Theile der Verkleidungen nicht aufzufinden gewesen sind. Ich müßte das ganze Häuschen wieder umbauen, wenn die Ergänzungen zum Vorscheine gekommen wären; denn schwerlich würden sie hieher passen, und zu verstümmeln oder zu vergrößern würden sie ihrer Natur nach nicht sein. Wir wollen daher das Vorhandene genießen, und kömmt durch ein Wunder die Ergänzung zum Vorscheine, so wird sich schon zeigen, was zu thun sei. Du siehst, wir haben uns viele Mühe gegeben, die Lücken auszufüllen und alles in einen natürlichen Zusammenhang zu bringen.»

So war es auch. Über den Verkleidungen befanden sich an den Pfeilern Spiegel eingesezt, deren Rahmen die Verzierungen der Verkleidung fortsezten und zu den Verzierungen der Fensterstäbe und Fensterkreuze hinüber leiteten. Unter den Fenstern waren Simse und Vertäflungen so angebracht, daß sie eine ruhigere Fläche zwischen den Schnizwerken abgaben. Ich sprach gegen meinen Vater meine Bewunderung aus, daß man der Sache eine solche Gestalt zu geben gewußt habe.

«Es ist uns aber auch ein sehr tüchtiger Lehrmeister beigestanden», erwiederte er, «und wir waren in der Lage, nach seinem Rathe noch Manches in unserem begonnenen Werke abzuändern; denn sonst wäre es nicht so geworden, wie es geworden ist. Seze dich zu uns, daß ich es dir erzähle.»

Er saß mit der Mutter auf einer Bank, die aus feinen Rohrstäben geflochten war, die Schwester und ich nahmen ihnen gegenüber auf Sesseln Plaz.

«Dein Gastfreund», fing er an, «hat uns ausgefunden und hat, als du zwei Wochen fort warest, seine Bauzeichnungen und die Zeichnungen vieler anderer Gegenstände hieher gesendet, daß ich sie ansehe. Er hat mir auch den Antrag gemacht, daß ich manche, die mir besonders gefielen, zu meinem Gebrauche nachzeichnen lassen dürfe, nur möchte ich ihm die Blätter vorher alle senden und die bezeichnen, deren Nachbildung ich wünschte, er würde sie mir dann gelegentlich zu diesem Gebrauche zustellen. Ich lehnte diese Erlaubniß ab, nur Einzelnes von Verzierungen oder Stäben ließ ich flüchtig heraus zeichnen, in so fern ich erkannte, daß es mir bei meinen nächsten Anordnungen würde dienlich sein. Den größten Nuzen aber schöpften wir - mein Arbeiter und ich - aus der Anschauung des Ganzen überhaupt. Wir lernten hier neue Dinge kennen, wir sahen, daß es Schöneres gibt, als wir selber haben, so daß wir den Plan und die Ausführung zu den Arbeiten in dem Häuschen hier viel besser machten, als wir sonst beides gemacht haben würden.

Die Zeichnungen von den Bauwerken, Geräthen und anderen Dingen, welche mir dein Gastfreund gesandt hat, sind so schön, daß es vielleicht wenige gleiche gibt. Ich habe wohl in jüngeren Jahren bei meinen Reisen und Wanderungen sehr schöne und hie und da schönere Bauwerke gesehen; aber Zeichnungen von Bauwerken habe ich nie so vollendet klar und rein gesehen. Ich hatte eine große Freude bei dem Anschauen dieser Dinge, und wer in dem Besize einer so trefflichen Sammlung der schönsten, zahlreichen und dabei so mannigfaltigen Gegenstände ist, der kann niemals mehr bei seinen Anordnungen in das Unbedeutende, Leere und Nichtige verfallen, ja er muß bei gehöriger Benüzung, und wenn sein Geist die Dinge in sich aufzunehmen versteht, nur das Hohe und Reine hervorbringen. Das ist eine seltne Gunst des Schicksales, wenn ein Mann die Muße, Mittel und Mitarbeiter hat, solche Werke anlegen zu können. Es gehörte zu meinen schönsten Augenblicken, in diesen Sammlungen blättern zu dürfen und mich in die Anschauung dessen, was mich besonders ansprach, zu vertiefen. Vielleicht gönnt es doch noch einmal eine spätere Gunst, von dem Anerbieten dieses Mannes Gebrauch machen zu können und hie und da etwas zu Stande zu bringen, was nicht ganz ein unwerther Zuwachs zu meinen lezten Tagen ist.

Also gefällt dir das, was wir zu unseren Verkleidungen hatten hinzu machen lassen?»

«Vater, sehr», erwiederte ich; «aber ich habe jezt andere Dinge zu reden; ich kann mich von meinem Erstaunen nicht erholen, daß mein Gastfreund seine Zeichnungen hieher gesendet hat, die er so liebt, die er gewiß nicht weniger liebt als seine Bücher, von denen er doch keines aus seinem Hause gibt. Ich habe eine so große Freude über dieses Ereigniß, daß ich nicht Worte finde, sie nur halb auszudrücken. Vater, mein Gefühl hat in jüngster Zeit einen solchen Aufschwung genommen, daß ich die Sache selber nicht begreife, ich muß mit dir darüber reden, ich habe sehr viele Dinge mit dir zu reden.

Meinem Gastfreunde muß ich auf das Wärmste und Heißeste danken, sobald ich ihn sehe, er hat mir durch die Sendung der Zeichnungen an dich die höchste Gunst erzeigt, die er mir nur zu erzeigen im Stande war.»

«Dann muß ich dich bitten, mit mir zu gehen und noch etwas anzuschauen», sagte mein Vater.

Er führte mich in sein Alterthumszimmer. Die Mutter und die Schwester gingen mit.

An einem Pfeiler, der mit einem langen, alterthümlich gefaßten Spiegel geschmückt war, stand der Tisch mit den Musikgeräthen, den ich im Rosenhause in der Wiederherstellung befindlich und zu Anfang dieses Sommers bereits vollendet gesehen hatte.

Ich konnte vor Verwunderung kein Wort sagen.

Der Vater, der mein Gefühl verstand, sagte. «Der Tisch ist mein Eigenthum. Er ist mir in diesem Sommer gesendet worden, und es war die Bitte beigefügt, ich möge ihn unter meinen andern Dingen als Erinnerung an einen Mann aufstellen, dessen größte Freude es wäre, einem Andern, der seine Neigung gleichen Dingen zuwende wie er, ein Vergnügen zu machen.»

«Da muß ich nun augenblicklich zu meinem Freunde reisen», rief ich.

«Den Dank habe ich ihm wohl schon ausgedrückt», sagte der Vater; «aber wenn du hingehen und es mit dem eigenen Munde thun willst, so freut es mich um desto mehr.»

Die Schwester hüpfte oder sprang beinahe in dem Zimmer herum und rief: «Ich habe es mir gedacht, daß er so handeln wird, ich habe es mir gedacht. O der Freude, o der Freude! Wirst du bald abreisen?»

«Morgen mit dem frühesten Tagesanbruch», erwiederte ich, «heute müssen noch Pferde bestellt werden.»

«Es ist eine späte Jahreszeit und du bist kaum gekommen, mein Sohn», sagte die Mutter; «aber ich halte dich nicht ab. Der Tisch und noch mehr die Gesinnung des Mannes, der ihn sendete, haben auf deinen Vater wie ein Glück gewirkt. Das müssen vortreffliche Menschen sein.»

«Sie haben ihres Gleichen nicht auf Erden», rief ich. Ohne zu säumen schickte ich den Knecht auf die Post, um mir auf den nächsten Morgen um vier Uhr zwei Pferde zu bestellen. Dann sprachen wir noch von dem Tische. Der Vater breitete sich über seine Eigenschaften aus, er erklärte uns dieses und jenes und sezte mir dann in einer längeren Beweisführung auseinander, warum er gerade auf diesem Plaze stehen müsse, auf dem er stehe. Ohne von den Gemälden des Vaters etwas zu sagen, auf welche ich mich sehr gefreut hatte und von denen ich mit dem Vater hatte reden wollen, und ohne auf meinen diesjährigen Sommeraufenthalt näher einzugehen, ließ ich den Rest des Tages verfließen und erwartete mit Ungeduld den Morgen. Nur gelegentliche Fragen des Vaters beantwortete ich und hörte zu, wenn er wieder von dem sprach, was in diesem Sommer ein Ereigniß für ihn gewesen war. Vor dem Schlafengehen nahmen wir Abschied, und ich begab mich auf meine Zimmer.

Um drei Uhr des Morgens war ein leichter Lederkoffer gepackt, und eine halbe Stunde später stand ich in guten Reisekleidern da. In dem Speisezimmer, in welchem noch ein Frühstück für mich bereit stand, erwarteten mich die Mutter und die Schwester. Der Vater, sagten sie, schlummre noch sehr sanft. Das Frühmahl war eingenommen, die Pferde standen vor dem Hausthore, die Mutter verabschiedete sich von mir, die Schwester begleitete mich zu dem Wagen, küßte mich dort auf das Innigste und Freudigste, ich stieg ein und der Wagen fuhr in der noch überall dicht herrschenden Finsterniß davon.

Ich war nie mit eigenen Postpferden gefahren, weil ich die Auslage für Verschwendung hielt. Jezt that ich es, mir ging die Reise noch immer nicht schnell genug, und auf jeder Post, wo ich neue Pferde und einen neuen Wagen erhielt, däuchte mir der Aufenthalt zu lange.

Ich hatte den Vater um den Brief nicht gefragt, der mit den Zeichnungen oder mit dem Tische gekommen war, auch hatte ich mich nicht um die Art erkundigt, wie diese Dinge eingelangt seien. Der Vater hatte ebenfalls nichts davon erwähnt. Ich beschloß, meinem Vorhaben treu zu bleiben und hierüber eine Frage nicht zu stellen.

Nach einer nur durch das nothwendige Essen von mir unterbrochenen Fahrt bei Tag und Nacht kam ich gegen den Mittag des zweiten Tages in dem Rosenhause an. Ich hielt vor dem Gitter, gab einem Knechte, der gar nicht erstaunt war, weil er an mein Gehen und Kommen in diesem Hause gewohnt sein mochte, meinen Koffer, sendete Wagen und Pferde auf die lezte Post, in die sie gehörten, zurück, ging in das Haus und fragte nach meinem Freunde.

Er sei in seinem Arbeitszimmer, sagte man mir.

Ich ließ mich melden und wurde hinaufgewiesen.

Er kam mir lächelnd entgegen, als ich eintrat. Ich sagte, er scheine zu wissen, weßhalb ich komme.

«Ich glaube es mir denken zu können», antwortete er.

«Dann werdet ihr euch nicht wundern», sagte ich, «daß ich in diesem Jahre, für welches ich schon Abschied genommen habe, mittelst einer sehr eiligen Reise noch einmal in euer Haus komme. Ihr habt meinem Vater eine doppelte Freude erwiesen, ihr habt zu mir nichts gesagt, mein Vater hat mir auch nichts geschrieben, wahrscheinlich, um den Eindruck, wenn ich die Sache selber sähe, größer zu machen: ich müßte ein sehr unrechtlicher Mensch sein, wenn ich nicht käme und für den Jubel, der in mein Herz kam, nicht dankte. Ich weiß nicht, wodurch ich es denn verdient habe, daß ihr das gethan habt, was ihr thatet; ich weiß nicht, wie ihr denn mit meinem Vater zusammenhänget, daß ihr ihm ein so kostbares Geschenk macht und daß ihr mit den Zeichnungen so in Liebe an ihn dachtet.

Ich danke euch tausendmal und auf das herzlichste dafür. Ich habe euch für alles Freundliche, was mir in eurem Hause zu Theil geworden ist, in meinem Herzen gedankt, ich habe euch auch mit Worten gedankt. Dieses aber ist das Liebste, was mir von euch gekommen ist, und ich biete euch den heißesten Dank dafür an, der sich am besten aussprechen würde, wenn es mir nur auch einmal gegönnt wäre, für euch etwas thun zu können.»

«Das dürfte sich vielleicht auch einmal fügen», antwortete er, «das Beste aber, was der Mensch für einen andern thun kann, ist doch immer das, was er für ihn ist. Das Angenehmste an der Sache ist mir, daß ich mich nicht getäuscht habe und daß euer Vater an den Sendungen Freude hatte und daß die Freude des Vaters auch euch Freude machte. Im übrigen ist ja alles sehr einfach und natürlich. Ihr habt mir von den alterthümlichen Dingen erzählt, welche euer Vater besizt und welche ihm Vergnügen machen, ihr habt von seinen Bildern gesprochen, ihr habt ihm Schnizwerke gebracht, für welche er eigens einen kleinen Erker seines Hauses umbauen ließ, ihr habt euch große Mühe gegeben, die Ergänzungen zu den Schnizereien zu finden, habt sogar meinen Rath hiebei eingeholt, und es war euch unangenehm, befürchten zu müssen, daß ihr das Gesuchte troz alles Strebens nicht finden würdet. Da dachte ich, daß ich vielleicht mit einem meiner Gegenstände eurem Vater ein Vergnügen machen könnte, besprach mich mit Eustach und sandte den Tisch. Das Übersenden der Zeichnungen war auch ganz folgerichtig. Ihr habt im vorigen Jahre mit vieler Mühe hier und im Sternenhofe Abbildungen von Geräthen gemacht, um eurem Vater nur im Allgemeinen eine Vorstellung von dem zu geben, was hier ist. Wie nahe lag es also, ihm Zeichnungen zu schicken, in denen noch weit mehr, weit Umfassenderes und weit Edleres enthalten ist, obgleich sie nur die Sammlung eines einzelnen Menschen sind und weit hinter dem zurückstehen, was an Prachtwerken hie und da besteht. Wir haben vielerlei an alten Geräthen hier, wir können etwas entbehren, haben schon Manches weggegeben, und geben gerne etwas einem Manne, der damit Freude hat und der es zu pflegen und zu achten versteht.»

«Es wurde mir sehr viel Schmerz machen», sagte ich, «wenn ihr nur im Entferntesten denken könntet, daß ich mit meinen Handlungen auf ein solches Ergebniß habe hinzielen können.»

«Das habe ich nie geglaubt, mein junger Freund», antwortete er, «sonst hätte ich die Sachen gar nicht geschickt. Aber es ist die zwölfte Stunde nahe. Gehet mit mir in das Speisezimmer. Wir wußten zwar von eurer Ankunft nichts; aber es wird sich schon etwas vorfinden, daß ihr nicht Hunger leiden müsset und daß auch wir nicht einen Abbruch leiden.»

Mit diesen Worten gingen wir in das Speisezimmer.

Nach dem Essen wurde ich von Gustav in meine Wohnung geleitet, die immer in reinlichem Stande gehalten wurde und die jezt von einem schwachen Feuer wohltätig erwärmt war. Mir that eine Ruhe etwas noth, und die mäßige Wärme erquickte meine Glieder.

Im Laufe des Nachmittages sagte mein Gastfreund zu mir. «Es ist nie ein so schöner Spätherbst gewesen als heuer, meine Witterungsbücher weisen keinen solchen seit meinem Hiersein aus, und es sind alle Anzeichen vorhanden, daß dieser Zustand noch mehrere Tage dauern wird. Nirgends aber sind solche klare Spätherbsttage schöner als in unseren nördlichen Hochlanden. Während nicht selten in der Tiefe Morgennebel liegen, ja der Strom täglich in seinem Thale Morgens den Nebelstreifen führt, schaut auf die Häupter des Hochlandes der wolkenlose Himmel herab und geht über sie eine reine Sonne auf, die sie auch den ganzen Tag hindurch nicht verläßt. Darum ist es auch in dieser Jahreszeit in dem Hochlande verhältnißmäßig warm, und während die rauhen Nebel in der Tiefgegend schon die Blätter von den Obstbäumen gestreift haben, prangt oben noch mancher Birkenwald, mancher Schlehenstrauch, manches Buchengehege mit seinem goldenen und rothen Schmucke. Nachmittags ist dann gewöhnlich auch die Aussicht über das ganze Tiefland deutlicher als je zu irgend einer Zeit im Sommer. Wir haben daher beschlossen, heuer noch eine Reise in das Hochland zu machen, wie ich es in früherer Zeit schon in manchen Jahren gethan habe. Die Entfernungen sind dort nicht so groß, und sollten sich die Vorboten melden, daß das Wetter sich zur Änderung anschicken so können wir jederzeit den Heimweg antreten und ohne viel Ungemach den Asperhof wieder erreichen. Morgen wird Mathilde und Natalie eintreffen, sie fahren mit uns, auch Eustach begleitet uns. Wolltet ihr nicht auch den Weg mit uns machen und einige Tage der lieblichen Späzeit mit uns genießen? Kömmt dann Schnee oder Regen, wenn wir wieder in meinem Hause angelangt sind, so werdet ihr wohl auf dem Postwagen eure Heimreise machen können und das Wetter wird euch nicht viel anhaben.»

«Es kann mir nie viel anhaben», entgegnete ich, «weil ich gegen seine Einflüsse abgehärtet bin, auch könnte mir in dem Gefühle, welches ich gegen euch habe, keine größere Annehmlichkeit begegnen, als einige Zeit in eurer Gesellschaft zu reisen; aber zu Hause wissen sie nichts davon und erwarten mich wahrscheinlich schon bald.»

«Ihr könntet sie ja in einem Briefe verständigen», sagte er.

«Das kann ich thun», erwiederte ich. «Wenn ich auch gleich nach meiner Ankunft nach einer viele Monate dauernden Abwesenheit wieder fortgereist bin, wenn sie mich auch schon in den nächsten Tagen erwarten, so werden sie doch einsehen, daß ein längerer Aufenthalt in der Gesellschaft eines Mannes, zu welchem ich in einer Angelegenheit wie die zwischen uns vorgefallene gereist bin, nur in der Natur der Sache gegründet ist. Sie würden es weit übler nehmen, wenn ich unter den bestehenden Verhältnissen nach Hause käme, als wenn ich noch eine Weile bei euch bleibe.»

«Ich habe euch meine Frage und mein Anerbieten gestellt», antwortete mein Gastfreund, «handelt nach eurem besten Ermessen. Was ihr thut, wird wohl das Rechte sein.»

«Ich schreibe sogleich den Brief.»

«Gut, und ich werde ihn sofort auf die Post senden.»

Ich ging in meine Zimmer und schrieb einen Brief an den Vater. Es war wohl das Rechte, was ich that. Wie schwer würden es mir Vater, Mutter und Schwester verziehen haben, wenn ich mich nicht mit Freude an einen Mann zu einer kurzen Reise angeschlossen hätte, der so an unserm Hause gehandelt hat.

Als ich mit dem Briefe fertig war, trug ich ihn hinab, und der Knecht, der gewöhnlich zu allen Botengängen verwendet wurde, wartete schon auf ihn, um nebst anderen Aufträgen ihn an den Ort zu bringen, in welchem er auf die Post kommen sollte.

Am anderen Tage, schon im Verlaufe des Vormittages, kamen Mathilde und Natalie. Es schien, daß allen die Ursache, weßhalb ich, nachdem ich schon Abschied genommen hatte, wieder in das Rosenhaus gekommen war, Freude machte. Sie sahen mich freundlicher an. Selbst Natalie, die mich so gemieden hatte, war anders. Ich glaubte einige Male, wenn ich abgewendet war, ihren Blick auf mich gerichtet zu wissen, den sie aber sogleich, wenn ich hinsah, weg wendete. Gustav schloß sich mit ganzem Herzen an mich an und hatte darüber kein Hehl. Ich wußte schon, daß er mir immer seine Neigung in großem Maße zugewendet habe, und ich erwiederte sie aus dem Grunde meiner Seele.

Nachmittags wurden die Vorbereitungen zur Reise gemacht, und am anderen Morgen noch vor Aufgang der Sonne fuhren wir ab. Mit Mathilde fuhren Natalie und ein Dienstmädchen, mit meinem Gastfreunde fuhren Eustach, Gustav und ich. Mit Roland sollten wir irgend wo im Lande zusammen treffen, er sollte eine Strecke mit uns reisen, und für diesen Fall war es dann bestimmt, daß Gustav in dem Wagen der Mutter untergebracht werden mußte. Die eigenthümliche Art des Hochlandes erzeugte einen eigenthümlichen Plan des Reisens. Wir hatten nehmlich beschlossen, über manchen steilen und länger dauernden Berg hinan zu gehen, ebenso über manchen hinab. Dies sollte die ganze Gesellschaft zuweilen zusammen bringen, zuweilen trennen. Man konnte auf diese Art Manches gemeinschaftlich genießen, Manches vereinzelt, sich aber in Kürze davon Mittheilungen machen.

Ehe noch die Sonne den höchsten Punkt ihres Bogens erklommen hatte, waren wir bereits die Dachung empor gekommen, welche das niedrere Land von dem Hochlande trennt, und fuhren nun in das eigentliche Ziel unserer Reise hinein.

Mein Gastfreund hatte Recht. In dem milden, sanften Schimmer der Nachmittagsonne, die hier fast wärmer schien als in den Ebenen und Thälern des Tieflandes, fuhren wir einem lieblichen Schauplaze entgegen. Selbst untergeordnete Umstände vereinigten sich, die Reise angenehm zu machen. Die sandigen Straßen des Oberlandes, welche auch sehr gut gebaut waren, zeigten sich, ohne staubig zu sein, sehr trocken, was von den Wegen in der Tiefe nicht gesagt werden konnte, die theils durch die täglichen Morgennebel getränkt, theils ihres schweren Bodens halber schon in langen Strecken feucht, kühl und schmuzig waren. So rollten wir bequem dahin, alles war klar, durchsichtig und ruhig. Nataliens gelber Reisestrohhut tauchte vor uns auf oder verschwand, so wie ihr Wagen einen leichten Wall hinan ging oder jenseits desselben hinab fuhr.

Die Sonne stand an dem wolkenlosen Himmel, aber schon tief gegen Süden, gleichsam als wollte sie für dieses Jahr Abschied nehmen. Die lezte Kraft ihrer Strahlen glänzte noch um manches Gestein und um die bunten Farben des Gestrippes an dem Gesteine. Die Felder waren abgeerntet und umgepflügt, sie lagen kahl den Hügeln und Hängen entlang, nur die grünen Tafeln der Wintersaaten leuchteten hervor. Die Hausthiere, des Sommerzwanges entledigt, der sie auf einen kleinen Weidefleck gebannt hatte, gingen auf den Wiesen, um das nachsprossende Gras zu genießen, oder gar auf den Saatfeldern umher. Die Wäldchen, die die unzähligen Hügel krönten, glänzten noch in dieser späten Zeit des Jahres entweder goldgelb in dem unverlorenen Schmuck des Laubes oder röthlich oder es zogen sich bunte Streifen durch das dunkle, bergan klimmende Grün der Föhren empor. Und über allem dem war doch ein blasser, sanfter Hauch, der es milderte und ihm einen lieben Reiz gab. Besonders gegen die Thalrinnen oder Tiefen zu war die blaue Farbe zart und schön. Aus diesem Dufte heraus leuchteten hie und da entfernte Kirchtürme oder schimmerten einzelne weiße Punkte von Häusern. Das Tiefland war von den Morgennebeln befreit, es lag sammt dem Hochgebirge, das es gegen Süden begrenzte, überall sichtbar da und säumte weithinstreichend das abgeschlossene Hügelgelände, auf dem wir fuhren, wie eine entfernte, duftige, schweigende Fabel. Von Menschentreiben darin war kaum etwas zu sehen, nicht die Begrenzungen der Felder, geschweige eine Wohnung, nur das blizende Band des Stromes war hie und da durch das Blau gezogen. Es war unsäglich, wie mir alles gefiel, es gefiel mir bei weitem mehr als früher, da ich das erste Mal dieses Land mit meinem Gastfreunde genauer besah. Ich tauchte meine ganze Seele in den holden Spätduft, der alles umschleierte, ich senkte sie in die tiefen Einschnitte, an denen wir gelegentlich hin fuhren, und übergab sie mit tiefem, innerem Abschlusse der Ruhe und Stille, die um uns wartete.

Als wir einmal einen langen Berg empor klommen, dessen Weg einerseits an kleinen Felsstücken, Gestrippe und Wiesen dahinging, andererseits aber den Blick in eine Schlucht und jenseits derselben auf Berge, Wiesen, Felder und entfernte Waldbänder gewährte, als die Wägen voran gingen und die ganze Gesellschaft langsam folgte, vielfach stehen bleibend und sich besprechend, gerieth ich neben Natalien, die mich, nachdem wir eine Weile geschwiegen hatten, fragte, ob ich noch das Spanische betreibe.

Ich antwortete ihr, daß ich es erst seit Kurzem zu lernen begonnen habe, daß ich aber seit der Zeit immer darin fortgefahren sei und daß ich zulezt mich an Calderon gewagt habe.

Sie sagte, von ihrer Mutter sei ihr das Spanische empfohlen worden. Es gefalle ihr, sie werde nicht davon ablassen, so weit nehmlich ihre Kräfte darin ausreichen, und sie finde in dem Inhalte der spanischen Schriften, besonders in der Einsamkeit der Romanzen, in den Pfaden der Maulthiertreiber und in den Schluchten und Bergen eine Ähnlichkeit mit dem Lande, in dem wir reisen. Darum gefalle ihr das Spanische, weil ihr dieses Land hier so gefalle. Sie würde am liebsten, wenn es auf sie ankäme, in diesen Bergen wohnen.

«Mir gefällt auch dieses Land», erwiederte ich, «es gefällt mir mehr, als ich je gedacht hätte. Da ich zum ersten Male hier war, übte es auf mich schier keinen Reiz aus, ja mit seinem raschen Wechsel und doch mit der großen Ähnlichkeit aller Gründe stieß es mich eher ab, als es mich anzog. Da ich mit unserem Gastfreunde später einmal einen größeren Theil bereiste, war es ganz anders, ich fand mich zu dieser Weitsicht und Beschränktheit, zu dieser Enge und Großartigkeit, zu dieser Einfachheit und Mannigfaltigkeit hingeneigt. Ich fühlte mich bewegt, obwohl ich an ganz andere Gestalten gewohnt war und sie liebte, nehmlich an die des Hochgebirges. Heute aber gefällt mir alles, was uns umgibt, es gefällt mir so, daß ich es kaum zu sagen im Stande bin.»

«Seht, das geht immer so», erwiederte sie. «Als ich mit meinem Vater zum ersten Male hier war, freilich befand ich mich noch in den Kinderjahren, war mir das unaufhörliche Auf- und Abfahren so unangenehm, daß ich mich auf das Äußerste wieder in unsere Stadt und in deren Ebenen zurück sehnte. Nach langer Zeit fuhr ich mit der Mutter durch diese Gegenden und später wiederholt in derselben Gesellschaft wie heute, außer euch, und jedes Mal wurde mir das Land und seine Gestaltungen, ja selbst seine Bewohner lieber. Auch das ist eigenthümlich und angenehm, daß man Wagenreisen und Fußreisen verbinden kann. Wenn man, wie wir jezt thun, die Wägen verläßt und einen langen Berg hinan geht oder ihn hinab geht, wird einem das Land bekannter, als wenn man immer in dem Wagen bleibt. Es tritt näher an uns. Die Gesträuche an dem Wege, die Steinmauern, die sie hier so gerne um die Felder legen, ein Birkenwäldchen mit den kleinsten Dingen, die unter seinen Stämmen wachsen, die Wiesen, die sich in eine Schlucht hinab ziehen, und die Baumwipfel, welche aus der Schlucht herauf sehen, hat man unmittelbar vor Augen. In Ebenen eilt man schnell vorbei. Hier ist gerade so eine Schlucht, wie ich sprach.»

Wir blieben ein Weilchen stehen und sahen in die Schlucht hinab. Beide sprachen wir gar nichts. Endlich fragte ich sie, woher sie denn wisse, daß ich die spanische Sprache lerne.

«Unser Gastfreund hat es uns gesagt», erwiederte sie, «er hat uns auch gesagt, daß ihr Calderon leset.»

Nach diesen Worten gingen wir weiter. Die andere Gesellschaft, welche vor uns gewesen war, blieb im Gespräche stehen, und wir erreichten sie. Die Gespräche wurden allgemeiner und betrafen meistens die Gegenstände, welche man eben, entweder in nächster Nähe oder in großer Entfernung, sah.

Weil nach Untergang der Sonne gleich große Kühle eintrat und unsere Reise nicht den Zweck hatte, große Strecken zurück zu legen, sondern das zu genießen, was die Zeit und der Weg bothen, so wurde, als die Sonne hinter den Waldsäumen hinab sank, Halt gemacht und die Nachtherberge bezogen. Die Eintheilung war schon so gemacht worden, daß wir zu dieser Zeit in einem größeren Orte eintrafen. Wir gingen noch ins Freie. Wie schnell war in Kurzem der Schauplaz geändert! Die belebende und färbende Sonne war verschwunden, alles stand einfarbiger da, die Kühle der Luft ließ sich empfinden, in der Tiefe der Wiesengründe zogen sich sehr bald Nebelfäden hin, das ferne Hochgebirge stand scharf in der klaren Luft, während das Tiefland verschwamm und Schleier wurde. Der Westhimmel war über den dunkeln Wäldern hellgelb, manche Rauchsäule stieg aus einer Wohnung gegen ihn auf, und bald auch glänzte hie und da ein Stern, die feine Mondessichel wurde über den Zacken des westlichen Waldes sichtbar, um in sie zu sinken.

Wir gingen nun in ein Zimmer, das für uns geheizt worden war, verzehrten dort unser Abendessen, blieben noch eine Zeit in Gesprächen sizen und begaben uns dann in unsere Schlafgemächer.

Am andere Tage war ein klarer Reif über Wiesen und Felder. Die Nebelfäden unserer Umgebung waren verschwunden, alles lag scharf und funkelnd da, nur das Tiefland war ein einziger wogender Nebel, jenseits dessen das Hochgebirge deutlich mit seinen frischen und sonnigen Schneefeldern dastand.

Kurz nach Aufgang der Sonne fuhren wir fort, und bald waren ihre milden Strahlen zu spüren. Wir empfanden sie, der Reif schmolz weg und in Kurzem zeigte sich uns die Gegend wieder wie gestern.

Wir besuchten eine Kirche, in welcher mein Gastfreund Ausbesserungen an alten Schnizereien machen ließ. Es war aber gerade jezt nicht viel zu sehen. Ein Theil der Gegenstände war in das Rosenhaus abgegangen, ein anderer war abgebrochen und lag zum Einpacken bereit. Die Kirche war klein und sehr alt. Sie war in den ersten Anfängen der gothischen Kunst gebaut. Ihre Abbildung befand sich unter den Bauzeichnungen Eustachs. Als wir alles besehen hatten, fuhren wir wieder weiter.

Nachmittags gesellte sich Roland zu uns. Er hatte uns in einem Gasthause erwartet, in welchem unsere Pferde Futter bekamen.

Ich konnte, da wir uns eine Weile in dem Hause aufhielten, und später bei einer andern Gelegenheit, da wir eine Strecke zu Fuß gingen, wieder bemerken, daß seine Blicke zuweilen auf Natalien hafteten.

Er hatte Zeichnungen in einem Buche, das er bei sich trug, und er hatte Bemerkungen und Vorschläge in sein Gedenkbuch geschrieben. Er theilte von beiden Einiges mit, soweit es die Reise gestattete, und versprach, Abends, wenn wir in der Herberge angelangt sein würden, noch Mehreres vorzulegen.

Am nächsten Tage Nachmittags kamen wir nach Kerberg und besahen die Kirche und den schönen geschnizten Hochaltar. Mir gefiel er jezt viel besser, als da ich ihn in Gesellschaft meines Gastfreundes und Eustachs zum ersten Male gesehen hatte. Ich begriff nicht, wie ich damals mit so wenig Antheil vor diesem außerordentlichen Werke hatte stehen können; denn außerordentlich erschien es mir troz seiner Fehler, die, wie ich wohl sah, in jedem Werke altdeutscher Kunst zu finden sein würden, die ich aber in dem Bildnerwerke, das auf der Treppe meines Freundes stand, nicht fand. Wir blieben lange in der Kirche, und ich wäre gerne noch länger geblieben. Vor der Ruhe, dem Ernste, der Würde und der Kindlichkeit dieses Werkes kam eine Ehrfurcht, ja fast ein Schauer in mein Herz, und die Einfachheit der Anlage bei dem großen Reichthume des Einzelnen beruhigte das Auge und das Gemüth. Wir sprachen über das Werk, und aus dem Gespräche erkannte ich jezt recht deutlich, daß früher auch vor diesem Werke die zwei Männer auf meine Unkenntniß Rücksicht genommen hatten, und ich dankte es ihnen in meinem Herzen. Ich nahm mir vor, einmal von dieser Schnizarbeit ein genaues Abbild zu machen und es meinem Vater zu bringen.

Ich äußerte mich, wie schön, wie groß einmal die Kunst gewirkt habe und wie dies jezt anders geworden scheine.

«Es sind in der Kunst viele Anfänge gemacht worden», sagte mein Gastfreund. «Wenn man die Werke betrachtet, die uns aus sehr alten Zeiten überliefert worden sind, aus den Zeiten der ägyptischen Reiche, des assyrischen, medischen, persischen, der Reiche Indiens, Kleinasiens, Griechenlands, Roms - Vieles wird noch erst in unsern Zeiten aus der Erde zu Tage gefördert, Vieles harrt noch der zukünftigen Enthüllung, wer weiß, ob nicht sogar auch Amerika Schäzenswerthes verbirgt -, wenn man diese Werke betrachtet und wenn man die besten Schriften liest, die über die Entwicklung der Kunst geschrieben worden sind: so sieht man, daß die Menschen in der Erschaffung einer Schöpfung, die der des göttlichen Schöpfers ähnlich sein soll - und das ist ja die Kunst, sie nimmt Theile, größere oder kleinere, der Schöpfung und ahmt sie nach -, immer in Anfängen geblieben sind, sie sind gewissermaßen Kinder, die nachäffen. Wer hat noch erst nur einen Grashalm so treu gemacht, wie sie auf der Wiese zu Millionen wachsen, wer hat einen Stein, eine Wolke, ein Wasser, ein Gebirge, die gelenkige Schönheit der Thiere, die Pracht der menschlichen Glieder nachgebildet, daß sie nicht hinter den Urbildern wie schattenhafte Wesen stehen, und wer hat erst die Unendlichkeit des Geistes darzustellen gewußt, die schon in der Endlichkeit einzelner Dinge liegt, in einem Sturme, im Gewitter, in der Fruchtbarkeit der Erde mit ihren Winden, Wolkenzügen, in dem Erdballe selber und dann in der Unendlichkeit des Alls? Oder wer hat nur diesen Geist zu fassen gewußt? Einige Völker sind sinniger und inniger geworden, andere haben ins Größere und Weitere gearbeitet, wieder andere haben den Umriß mit keuscher und reiner Seele aufgenommen und andere sind schlicht und einfältig gewesen. Nicht ein Einzelnes von diesen ist die Kunst, alles zusammen ist die Kunst, was da gewesen ist und was noch kommen wird. Wir gleichen den Kindern auch darin, daß, wenn sie ein Haus, eine Kirche, einen Berg aus Erde nur entfernt ähnlich ausgeführt haben, sie eine größere Freude darüber empfinden, als wenn sie das um Unvergleichliches schönere Haus, die schönere Kirche oder den schöneren Berg selbst ansehen. Wir haben ein innigeres und süßeres Gefühl in unserem Wesen, wenn wir eine durch Kunst gebildete Landschaft, Blumen oder einen Menschen sehen, als wenn diese Gegenstände in Wirklichkeit vor uns sind. Was die Kinder bewundern, ist der Geist eines Kindes, der doch so viel in der Nachahmung hervorgebracht hat, und was wir in der Kunst bewundern, ist, daß der Geist eines Menschen, uns gleichsam sinnlich greifbar, ein Gegenstand unserer Liebe und Verehrung, wenn auch fehlerhaft, doch dem etwas nachgeschaffen hat, den wir in unserer Vernunft zu fassen streben, den wir nicht in den beschränkten Kreis unserer Liebe ziehen können und vor dem die Schauer der Anbetung und Demüthigung in Anbetracht seiner Majestät immer größer werden, je näher wir ihn erkennen. Darum ist die Kunst ein Zweig der Religion, und darum hat sie ihre schönsten Tage bei allen Völkern im Dienste der Religion zugebracht. Wie weit sie es in dem Nachschaffen bringen kann, vermag niemand zu wissen. Wenn schöne Anfänge da gewesen sind, wie zum Beispiele im Griechenthume, wenn sie wieder zurück gesunken sind, so kann man nicht sagen, die Kunst sei zu Grunde gegangen; andere Anfänge werden wieder kommen, sie werden ganz Anderes bilden, wenn ihnen gleich allen das Nehmliche zu Grunde liegt und liegen wird, das Göttliche; und niemand kann sagen, was in zehntausend, in hunderttausend Jahren, in Millionen von Jahren oder in Hunderten von Billionen von Jahren sein wird, da niemand den Plan des Schöpfers mit dem menschlichen Geschlechte auf der Erde kennt. Darum ist auch in der Kunst nichts ganz unschön, so lange es noch ein Kunstwerk ist, das heißt, so lange es das Göttliche nicht verneint, sondern es auszudrücken strebt, und darum ist auch nichts in ihr ohne Möglichkeit der Übertreffung schön, weil es dann schon das Göttliche selber wäre, nicht ein Versuch des menschlichen Ausdruckes desselben. Aus dem nehmlichen Grunde sind nicht alle Werke aus den schönsten Zeiten gleich schön und nicht alle aus den verkommensten oder rohesten gleich häßlich. Was wäre denn die Kunst, wenn die Erhebung zu dem Göttlichen so leicht wäre, wie groß oder klein auch die Stufe der Erhebung sei, daß sie Vielen, ohne innere Größe und ohne Sammlung dieser Größe bis zum sichtlichen Zeichen, gelänge? Das Göttliche mußte nicht so groß sein, und die Kunst würde uns nicht so enzücken. Darum ist auch die Kunst so groß, weil es noch unzählige Erhebungen zum Göttlichen gibt, ohne daß sie den Kunstausdruck finden, Ergebung, Pflichttreue, das Gebet, Reinheit des Wandels, woran wir uns auch erfreuen, ja woran die Freude den höchsten Gipfel erreichen kann, ohne daß sie doch Kunstgefühl wird. Sie kann etwas Höheres sein, sie wird als Höchstes dem Unendlichen gegenüber sogar Anbetung und ist daher ernster und strenger als das Kunstgefühl, hat aber nicht das Holde des Reizes desselben. Daher ist die Kunst nur möglich in einer gewissen Beschränkung, in der die Annäherung zu dem Göttlichen von dem Banne der Sinne umringt ist und gerade ihren Ausdruck in den Sinnen findet. Darum hat nur der Mensch allein die Kunst, und wird sie haben, so lange er ist, wie sehr die Äußerungen derselben auch wechseln mögen. Es wäre des höchsten Wunsches würdig, wenn nach Abschluß des Menschlichen ein Geist die gesammte Kunst des menschlichen Geschlechtes von ihrem Entstehen bis zu ihrem Vergehen zusammenfassen und überschauen dürfte.»

Mathilde antwortete hierauf mit Lächeln: «Das wäre ja im Großen, was du jezt im Kleinen tust, und es dürfte hiezu eine ewige Zeit und ein unendlicher Raum nöthig sein.»

«Wer weiß, wie es mit diesen Dingen ist», erwiederte mein Gastfreund, «und es wird hier wie überall gut sein: Ergebung, Vertrauen, Warten.»

Eustach öffnete die Mappe, in welcher er die Zeichnung des Altares und die Zeichnungen von Theilen der Kirche, von der Kirche selber und von Gegenständen hatte, die sich in der Kirche befanden.

Wir verglichen die Zeichnung mit dem Altare, es wurde Manches bemerkt, Manches gelobt, Manches zur Verbesserung der Zeichnung vorgeschlagen.

Wir betrachteten auch die Kirche, wir betrachteten Theile derselben, wir besahen Grabmäler und unter ihnen auch den großen rothen Stein, auf welchem der Mann mit der hohen, schönen Stirne abgebildet ist, der die Kirche und den Altar gegründet hatte.

Wie blieben an diesem Tage in Kerberg. Wir stiegen auf den Berg, auf welchem das alte Schloß lag, und sahen das Schloß und den in dem tiefsten herbstlichen Zustande stehenden Garten an. Wir gingen auf den Stellen, auf welchen die alten mächtigen und reichen Leute gegangen waren, die einst hier gewohnt hatten, und auch der Mann, als dessen That die Kirche in dem Thale steht.

«Was alle diese Menschen gethan haben», sagte mein Gastfreund, «wäre zum Theile in den Papieren und Pergamenten enthalten, die in den Schlössern und Häusern dieses Landes und mitunter auch in entfernten Städten liegen. Einige wissen einen Theil dieser Thaten, die meisten sind damit völlig unbekannt, und diejenigen, welche auf den Spuren herum gehen, die ihre Vorfahren getreten haben, wissen oft nicht, wer diese gewesen sind. Es wäre nicht unziemlich, wenn durch Öffnung der Briefgewölbe in allen Ländern auch Einzelgeschichten von Familien und Gegenden verfaßt würden, die unser Herz oft näher berühren und uns greiflicher sind als die großen Geschichten der großen Reiche. Man betritt wohl diesen Weg, aber vielleicht nicht ausreichend und nicht in der rechten Art.»

Von Kerberg aus wendeten wir uns am folgenden Tage den höher gelegenen Theilen des Landes zu, das dichter und ausgebreiteter bewaldet war als die bisher befahrenen Gegenden und von dem uns durch das Dämmer des Vormittages die breiten und weithinziehenden Bergesrücken mit Nadeldunkel und Buchenroth entgegen sahen.

Mein Gastfreund hatte Recht gehabt. Ein Tag wurde immer schöner als der andere. Nicht der geringste Nebel war auf der Erde, auf welcher wir reiseten, nicht das geringste Wölkchen am Himmel, der sich über uns spannte. Die Sonne begleitete uns freundlich an jedem Tage, und wenn sie schied, schien sie zu versprechen, morgen wieder so freundlich zu erscheinen.

Roland blieb drei Tage bei uns, dann verließ er uns, nachdem er vorher noch Zeichnungen und andere Papiere in den Wagen meines Gastfreundes gepackt hatte. Er wollte noch bis zum Eintritte des schlechten Wetters in dem Lande bleiben und dann in das Rosenhaus zurückkehren.

Alles war recht lieb und freundlich auf dieser Reise, die Gespräche waren traulich und angenehm, und jedes Ding, eine kleine alte Kirche, in der einst Gläubige gebetet, eine Mauertrümmer auf einem Berge, wo einst mächtige und gebietende Menschen gehaust hatten, ein Baum auf einer Anhöhe, der allein stand, ein Häuschen an dem Wege, auf das die Sonne schien, alles gewann einen eigenthümlichen sanften Reiz und eine Bedeutung.

Am achten Tage wandten wir unsere Wägen wieder gegen Süden, und am neunten Abend trafen wir in dem Asperhofe ein.

Ehe ich mich zu meiner Heimreise rüstete, sah ich noch einmal Manches der herrlichen Bilder meines Gastfreundes, drückte manches Außerordentliche der Bücher in meine Seele, sah die geliebten Angesichter der Menschen, die mich umgaben, und sah manchen Blick der Landschaft, die sich zu tiefem Ersterben rüstete.

Mein Herz war gehoben und geschwellt, und es war, als breitete sich in meinem Geiste die Frage aus, ob nun ein solches Vorgehen, ob die Kunst, die Dichtung, die Wissenschaft das Leben umschreibe und vollende, oder ob es noch ein Ferneres gäbe, das es umschließe und es mit weit größerem Glück erfülle.