BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Max Stirner

1806 - 1856

 

Der Einzige und sein Eigentum

 

1845

 

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[226]

II.

Der Eigner.

 

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Ich – komme Ich zu Mir und dem Meinigen durch den Libera­lismus?

Wen sieht der Liberale für Seinesgleichen an? Den Menschen! Sei Du nur Mensch – und das bist Du ja – so nennt der Liberale Dich seinen Bruder. Er fragt nach deinen Privatmeinungen und Privatnarrheiten sehr wenig, wenn er nur den „Menschen“ in Dir erblicken kann.

Da er aber dessen wenig achtet, was Du privatim bist, ja bei strenger Befolgung seines Princips gar keinen Werth darauf legt, so sieht er in Dir nur das, was Du generatim bist. Mit andern Worten; er sieht in Dir nicht Dich, sondern die Gattung, nicht Hans oder Kunz, sondern den Menschen, nicht den Wirklichen oder Einzigen, sondern dein Wesen oder deinen Begriff, nicht den Leibhaftigen, sondern den Geist.

Als Hans wärest Du nicht Seinesgleichen, weil er Kunz, also nicht Hans, ist; als Mensch bist Du dasselbe, was er ist. Und da Du als Hans für ihn, soweit er nämlich ein [227] Liberaler und nicht unbewußter Weise Egoist ist, so gut als gar nicht existirst, so hat er sich die „Bruderliebe“ wahrlich sehr leicht gemacht: er liebt in Dir nicht den Hans, von welchem er nichts weiß und wissen will, sondern den Menschen.

In Dir und Mir nichts weiter zu sehen, als „Menschen“, das heißt die christliche Anschauungsweise, wonach einer für den andern nichts als ein Begriff (z. B. ein zur Seligkeit Berufener u. s. w.) ist, auf die Spitze treiben.

Das eigentliche Christenthum sammelt Uns noch unter einem minder allgemeinen Begriffe: Wir sind da „Kinder Gottes“ und „der Geist Gottes treibet Uns“ 1). Nicht Alle jedoch können sich rühmen Gottes Kinder zu sein, sondern „derselbige Geist, welcher Zeugniß giebt unserem Geiste, daß Wir Gottes Kinder sind, der offenbart auch, welche die Kinder des Teufels sind“  2). Mithin mußte ein Mensch, um Gottes Kind zu sein, nicht ein Kind des Teufels sein; die Kindschaft Gottes excludirte gewisse Menschen. Dagegen brauchen Wir, um Menschenkinder, d. h. Menschen zu sein, nichts als zu der Menschengattung zu gehören, brauchen nur Exemplare derselben Gattung zu sein. Was Ich als dieses Ich bin, das geht Dich als guten Liberalen nichts an, sondern ist allein meine Privatsache; genug, daß Wir beide Kinder ein und derselben Mutter, nämlich der Menschengattung, sind: als „Menschenkind“ bin Ich Deinesgleichen.

Was bin Ich Dir nun? Etwa dieses leibhaftige Ich, wie Ich gehe und stehe? Nichts weniger als das. Dieses leibhaftige Ich mit seinen Gedanken, Entschlüssen und Leidenschaften [228] ist in deinen Augen eine „Privatsache“, welche Dich nichts angeht, ist eine „Sache für sich“. Als eine „Sache für Dich“ existirt nur mein Begriff, mein Gattungsbegriff, nur der Mensch, der, wie er Hans heißt, eben so gut Peter oder Michel sein könnte. Du siehst in Mir nicht Mich, den Leibhaftigen, sondern ein Unwirkliches, den Spuk, d. h. einen Menschen.

Zu „Unsersgleichen“ erklärten Wir im Laufe der christlichen Jahrhunderte die Verschiedensten, aber jedesmal nach Maaß desjenigen Geistes, den Wir von ihnen erwarteten, z. B. Jeden, bei dem der Geist der Erlösungsbedürftigkeit sich voraussetzen läßt, dann später Jeden, der den Geist der Rechtschaffenheit hat, endlich Jeden, der menschlichen Geist und ein menschlich Antlitz zeigt. So variirte der Grundsatz der „Gleichheit“.

Indem man nun die Gleichheit als Gleichheit des menschlichen Geistes auffaßt, hat man allerdings eine alle Menschen einschließende Gleichheit entdeckt; denn wer könnte leugnen, daß Wir Menschen einen menschlichen, d. h. keinen andern Geist als einen menschlichen haben!

Aber sind Wir darum nun weiter als im Anfange des Christenthums? Damals sollten Wir einen göttlichen Geist haben, jetzt einen menschlichen; erschöpfte Uns aber der göttliche nicht, wie sollte der menschliche ganz das ausdrücken, was Wir sind? Feuerbach z. B. meint, wenn er das Göttliche vermenschliche, so habe er die Wahrheit gefunden. Nein, hat Uns der Gott gequält, so ist „der Mensch“ im Stande, Uns noch martemder zu pressen. Daß Wir's kurz sagen: daß Wir Menschen sind, das ist das Geringste an Uns und hat nur Bedeutung, in so fern es eine unserer Eigenschaften, [229] d. h. unser Eigenthum ist. Ich bin zwar unter anderm auch ein Mensch, wie Ich z. B. ein lebendiges Wesen, also animal oder Thier, oder ein Europäer, ein Berliner u. dergl. bin; aber wer Mich nur als Menschen oder als Berliner achten wollte, der zollte Mir eine Mir sehr gleichgültige Achtung. Und weshalb? Weil er nur eine meiner Eigenschaften achtete, nicht Mich.

Gerade so verhält sich's mit dem Geiste auch. Ein christlicher, ein rechtschaffener und ähnlicher Geist kann wohl meine erworbene Eigenschaft, d. h. mein Eigenthum, sein, Ich aber bin nicht dieser Geist: er ist mein, Ich nicht sein.

Wir haben daher im Liberalismus nur die Fortsetzung der alten christlichen Geringachtung des Ich's, des leibhaftigen Hansen. Statt Mich zu nehmen, wie Ich bin, sieht man lediglich auf mein Eigenthum, meine Eigenschaften und schließt mit Mir einen ehrlichen Bund, nur um meines – Besitzthums willen; man heirathet gleichsam, was Ich habe, nicht was Ich bin. Der Christ hält sich an meinen Geist, der Liberale an meine Menschlichkeit.

Aber ist der Geist, den man nicht als das Eigenthum des leibhaftigen Ich's, sondern als das eigentliche Ich selbst betrachtet, ein Gespenst, so ist auch der Mensch, der nicht als meine Eigenschaft, sondern als das eigentliche Ich anerkannt wird, nichts als ein Spuk, ein Gedanke, ein Begriff.

Darum dreht sich auch der Liberale in demselben Kreise wie der Christ herum. Weil der Geist des Menschenthums, d. h. der Mensch, in Dir wohnt, bist Du ein Mensch, wie Du, wenn der Geist Christi in Dir wohnt, ein Christ bist; aber weil er nur als ein zweites, wenngleich als dein eigentliches oder „besseres“ Ich, in Dir wohnt, so bleibt er Dir [230] jenseitig, und Du mußt streben, ganz der Mensch zu werden. Ein eben so fruchtloses Streben, als das des Christen, ganz seliger Geist zu werden!

Jetzt, nachdem der Liberalismus den Menschen proclamirt hat, kann man es aussprechen, daß damit nur die letzte Consequenz des Christenthums vollzogen wurde, und daß das Christenthum in Wahrheit sich von Haus aus keine andere Ausgabe stellte, als „den Menschen“, den „wahren Menschen“ zu realisiren. Daher denn die Täuschung, es lege das Christenthum dem Ich einen unendlichen Werth bei, wie z.B. in der Unsterblichkeitslehre, in der Seelsorge u. s. w. an den Tag kommt. Nein, diesen Werth ertheilt es allein dem Menschen. Nur der Mensch ist unsterblich, und nur, weil Ich Mensch bin, bin auch Ich's. In der That mußte das Christenthum lehren, daß Keiner verloren gehe, wie eben auch der Liberalismus Alle als Menschen gleichgestellt; aber jene Ewigkeit, wie diese Gleichheit, betraf nur den Menschen in Mir, nicht Mich. Nur als der Träger und Beherberger des Menschen sterbe Ich nicht, wie bekanntlich „der König nicht stirbt“. Ludwig stirbt, aber der König bleibt; Ich sterbe, aber mein Geist, der Mensch, bleibt. Um nun Mich ganz mit dem Menschen zu identificiren, hat man die Forderung erfunden und gestellt: Ich müsse ein „wirkliches Gattungswesen“ werden. 3)

Die menschliche Religion ist nur die letzte Metamorphose der christlichen Religion. Denn Religion ist der Liberalismus darum, weil er mein Wesen von Mir trennt und über Mich stellt, weil er „den Menschen“ in demselben Maaße erhöht, wie irgend eine andere Religion ihren Gott oder Götzen, [231] weil er das Meinige zu einem Jenseitigen, weil er überhaupt aus dem Meinigen, aus meinen Eigenschaften und meinem Eigenthum, ein Fremdes, nämlich ein „Wesen“ macht, kurz, weil er Mich unter den Menschen stellt und Mir dadurch einen „Beruf“ schafft; aber auch der Form nach erklärt sich der Liberalismus als Religion, wenn er für dieß höchste Wesen, den Menschen, einen Glaubenseifer fordert, „einen Glauben, der endlich auch einmal seinen Feuereifer beweisen wird, einen Eifer, der unüberwindlich sein wird.“ 4) Da der Liberalismus aber menschliche Religion ist, so verhält sich der Bekenner derselben gegen den Bekenner jeder anderen (katholischen, jüdischen u. s. w.) tolerant, wie Friedlich der Große gegen Jeden sich verhielt, der seine Unterthanenpfiichten verrichtet, welcher Facon des Seligwerdens er auch zugethan sein mochte. Diese Religion soll jetzt zur allgemein üblichen erhoben und von den andern als bloßen „Privatnarrheiten“, gegen die man übrigens sich wegen ihrer Unwesentlichkeit höchst liberal verhält, abgesondert werden.

Man kann sie die Staatsreligion, die Religion des „freien Staates“ nennen, nicht in dem bisherigen Sinne, daß sie die vom Staate bevorzugte oder privilegirte sei, sondern als diejenige Religion, welche der „freie Staat“ von jedem der Seinigen, er sei privatim Jude, Christ oder was sonst, zu fordern nicht nur berechtigt, sondern genöthigt ist. Sie thut nämlich dem Staate dieselben Dienste, wie die Pietät der Familie. Soll die Familie von jedem der Ihrigen in ihrem Bestande anerkannt und erhalten werden, so muß ihm das Band des Blutes heilig, und sein Gefühl dafür das der Pietät, des [232] Respectes gegen die Blutsbande, sein, wodurch ihm jeder Blutsverwandte zu einem Geheiligten wird. So auch muß jedem Gliede der Staatsgemeinde diese Gemeinde heilig, und der Begriff, welcher dem Staate der höchste ist, gleichfalls der höchste sein.

Welcher Begriff ist aber dem Staate der höchste? Doch wohl der, eine wirklich menschliche Gesellschaft zu sein, eine Gesellschaft, in welcher Jeder als Glied Aufnahme erhalten kann, der wirklich Mensch, d. h. nicht Unmensch, ist. Gehe die Toleranz eines Staates noch so weit, gegen einen Unmenschen und gegen das Unmenschliche hört sie auf. Und doch ist dieser „Unmensch“ ein Mensch, doch ist das „Unmenschliche“ selbst etwas Menschliches, ja nur einem Menschen, keinem Thiere, möglich, ist eben etwas „Menschenmögliches“. Obgleich aber jeder Unmensch ein Mensch ist, so schließt ihn doch der Staat aus, d. h. er sperrt ihn ein, oder verwandelt ihn aus einem Staatsgenossen in einen Gefängnißgenossen (Irrenhaus- oder Krankenhausgenossen nach dem Communismus).

Mit dürren Worten zu sagen, was ein Unmensch sei, hält nicht eben schwer: es ist ein Mensch, welcher dem Begriffe Mensch nicht entspricht, wie das Unmenschliche ein Menschliches ist, welches dem Begriffe des Menschlichen nicht angemessen ist. Die Logik nennt dieß ein „widersinniges Urtheil“. Dürfte man wohl dieß Urtheil, daß einer Mensch sein könne, ohne Mensch zu sein, aussprechen, wenn man nicht die Hypothese gelten ließe, daß der Begriff des Menschen von der Existenz, das Wesen von der Erscheinung getrennt sein könne? Man sagt: der erscheint zwar als Mensch, ist aber kein Mensch. [233]

Dieß „widersinnige Urtheil“ haben die Menschen eine lange Reihe von Jahrhunderten hindurch gefällt! Ja, was noch mehr ist, in dieser langen Zeit gab es nur – Unmenschen. Welcher Einzelne hätte seinem Begriffe entsprochen? Das Christenthum kennt nur Einen Menschen, und dieser Eine – Christus – ist sogleich wieder im umgekehrten Sinne ein Unmensch, nämlich ein übermenschlicher Mensch, ein „Gott“. Wirklicher Mensch ist nur der – Unmensch.

Menschen, die keine Menschen sind, was wären sie anders als Gespenster? Jeder wirkliche Mensch ist, weil er dem Begriffe „Mensch“ nicht entspricht, oder weil er nicht „Gattungsmensch“ ist, ein Spuk. Aber bleibe Ich auch dann noch ein Unmensch, wenn Ich den Menschen, der nur als mein Ideal, meine Aufgabe, mein Wesen oder Begriff über Mich hinausragte und Mir jenseitig blieb, zu meiner Mir eigenen und inhärenten Eigenschaft herabsetze, so daß der Mensch nichts anderes ist, als meine Menschlichkeit, mein Menschsein, und alles, was Ich thue, gerade darum menschlich ist, weil Ich's thue, nicht aber darum, weil es dem Begriffe „Mensch“ entspricht? Ich bin wirklich der Mensch und Unmensch in Einem; denn Ich bin Mensch und bin zugleich mehr als Mensch, d. h. Ich bin das Ich dieser meiner bloßen Eigenschaft.

Es mußte endlich dahin kommen, daß man Uns nicht mehr bloß zumuthete, Christen zu sein, sondern Menschen zu werden; denn obwohl Wir auch Christen niemals wirklich werden konnten, sondern immer „arme Sünder“ blieben (der Christ war ja eben auch ein unerreichbares Ideal), so kam dabei doch die Widersinnigkeit nicht so zum Bewußtsein und die Täuschung war leichter, als jetzt, wo an Uns, die Wir Menschen sind und menschlich handeln, ja gar nicht anders können, als [234] dieß zu sein und so zu handeln, die Forderung gestellt wird: Wir sollen Menschen sein, „wirkliche Menschen“.

Unsere heutigen Staaten bürden zwar, weil ihnen von ihrer kirchlichen Mutter noch allerhand anklebt, den Ihrigen noch mancherlei Verpflichtungen auf (z. B. kirchliche Religiosität), die sie, die Staaten, eigentlich nichts angehen; aber sie verleugnen doch im Ganzen ihre Bedeutung nicht, indem sie für menschliche Gesellschaften angesehen werden wollen, in welchen der Mensch als Mensch ein Glied sein kann, wenn er auch minder privilegirt ist als andere Mitglieder; die meisten lassen Anhänger jeder religiösen Secte zu, und recipiren die Leute ohne Racen- oder Nationalunterschied: Juden, Türken, Mohren u. s. w. können französische Bürger werden. Der Staat sieht also bei der Aufnahme nur darauf, ob einer ein Mensch sei. Die Kirche, als eine Gesellschaft von Gläubigen, konnte nicht jeden Menschen in ihren Schooß aufnehmen; der Staat, als eine Gesellschaft von Menschen, kann es. Aber wenn der Staat sein Princip, bei den Seinigen nichts vorauszusetzen, als daß sie Menschen seien, rein vollzogen hat (bis jetzt setzen selbst die Nordamerikaner bei den Ihrigen noch voraus, daß sie Religion, wenigstens die Religion der Rechtschaffenheit, der Honettetät, haben), dann hat er sich sein Grab gegraben. Während er wähnen wird, an den Seinigen lauter Menschen zu besitzen, sind diese mittlerweile zu lauter Egoisten geworden, deren jeder ihn nach seinen egoistischen Kräften und Zwecken benutzt. An den Egoisten geht die „menschliche Gesellschaft“ zu Grunde; denn sie beziehen sich nicht mehr als Menschen auf einander, sondern treten egoistisch als ein Ich gegen ein von Mir durchaus verschiedenes und gegnerisches Du und Ihr auf. [235]

Wenn der Staat auf unsere Menschlichkeit rechnen muß, so ist's dasselbe, wenn man sagt: er müsse auf unsere Sittlichkeit rechnen. In einander den Menschen sehen und gegen einander als Menschen handeln, das nennt man ein sittliches Verhalten. Es ist das ganz und gar die „geistige Liebe“ des Christenthums. Sehe Ich nämlich in Dir den Menschen, wie Ich in Mir den Menschen, und nichts als den Menschen sehe, so sorge Ich für Dich, wie Ich für Mich sorgen würde, denn Wir stellen ja beide nichts als den mathematischen Satz vor: A=C und B=C, folglich A=B, d. h. Ich nichts als Mensch und Du nichts als Mensch, folglich Ich und Du dasselbe. Die Sittlichkeit verträgt sich nicht mit dem Egoismus, weil sie nicht Mich, sondern nur den Menschen an Mir gelten läßt. Ist aber der Staat eine Gesellschaft der Menschen, nicht ein Verein von Ichen, deren jedes nur sich im Auge hat, so kann er ohne Sittlichkeit nicht bestehen und muß auf Sittlichkeit halten.

Darum sind Wir beide, der Staat und Ich, Feinde. Mir, dem Egoisten, liegt das Wohl dieser „menschlichen Gesellschaft“ nicht am Herzen, Ich opfere ihr nichts, Ich benutze sie nur; um sie aber vollständig benutzen zu können, verwandle Ich sie vielmehr in mein Eigenthum und mein Geschöpf, d. h. Ich vernichte sie und bilde an ihrer Stelle den Verein von Egoisten.

Also es verräth der Staat seine Feindschaft gegen Mich dadurch, daß er fordert, Ich soll Mensch sein, was voraussetzt, daß Ich es auch nicht sein und ihm für einen „Unmenschen“ gelten könne: er legt Mir das Menschsein als eine Pflicht auf. Ferner verlangt er, daß Ich nichts thue, wobei er nicht bestehen könne; sein Bestand also soll Mir heilig [236] sein. Dann soll Ich kein Egoist, sondern ein „honetter, rechtschaffener“, d. h. sittlicher Mensch sein. Genug, Ich soll gegen ihn und seinen Bestand ohnmächtig und respectvoll sein u. s. w.

Dieser Staat, allerdings nicht ein gegenwärtiger, sondern des Erschaffens erst noch bedürftig, ist das Ideal des fortschreitenden Liberalismus. Es soll eine wahrhafte „Menschengesellschaft“ entstehen, worin jeder „Mensch“ Platz findet. Der Liberalismus will „den Menschen“ realisiren, d. h. ihm eine Welt schaffen, und dieß wäre die menschliche Welt oder die allgemeine (communistische) Menschengesellschaft. Man sagte: „Die Kirche konnte nur den Geist, der Staat soll den ganzen Menschen berücksichtigen“ 5). Aber ist „der Mensch“ nicht „Geist“? Der Kern des Staates ist eben „der Mensch“, diese Unwirklichkeit, und er selber ist nur „Menschengesellschaft“. Die Welt, welche der Gläubige (gläubige Geist) schafft, heißt Kirche, die Welt, welche der Mensch (menschliche oder humane Geist) schafft, heißt Staat. Das ist aber nicht meine Welt. Ich verrichte nie in abstracto Menschliches, sondern immer Eigenes, d. h. meine menschliche That ist von jeder andern menschlichen verschieden und ist nur durch diese Verschiedenheit eine wirkliche, Mir zugehörige That. Das Menschliche an ihr ist eine Abstraction, und als solches Geist, d. h. abstrahirtes Wesen.

Br. Bauer spricht es z. B. Judenfr. S. 84. aus, daß die Wahrheit der Kritik die letzte, und zwar die vom Christenthum selber gesuchte Wahrheit sei, nämlich „der Mensch“. Er sagt: „die Geschichte der christlichen Welt ist die Geschichte [237] des höchsten Wahrheitskampfes, denn in ihr – und nur in ihr! – handelt es sich um die Entdeckung der letzten oder der ersten Wahrheit – des Menschen und der Freiheit.“

Wohlan, lassen Wir Uns diesen Gewinn gefallen, und nehmen Wir den Menschen für das endlich gefundene Resultat der christlichen Geschichte und überhaupt des religiösen oder idealen Strebens der Menschen. Wer ist nun der Mensch? Ich bin es! Der Mensch, das Ende und Ergebniß des Christenthums, ist als Ich der Anfang und das auszunutzende Material der neuen Geschichte, einer Geschichte des Genusses nach der Geschichte der Aufopferungen, einer Geschichte nicht des Menschen oder der Menschheit, sondern – Meiner. Der Mensch gilt als das Allgemeine. Nun denn, Ich und das Egoistische ist das wirklich Allgemeine, da Jeder ein Egoist ist und sich über alles geht. Das Jüdische ist nicht das rein Egoistische, weil der Jude sich noch an Jehova hingiebt, das Christliche ist es nicht, weil der Christ von der Gnade Gottes lebt und sich ihm unterwirft. Es befriedigt als Jude wie als Christ ein Mensch nur gewisse seiner Bedürfnisse, nur eine gewisse Nothdurft, nicht sich: ein halber Egoismus, weil der Egoismus eines halben Menschen, der halb er, halb Jude, oder halb sein Eigenthümer, halb ein Sklave ist. Darum schließen Jude und Christ sich auch zur Hälfte immer aus, d. h. als Menschen erkennen sie sich an, als Sklaven schließen sie sich aus, weil sie zweier verschiedener Herren Diener sind. Könnten sie vollkommene Egoisten sein, so schlössen sie sich ganz aus und hielten um so fester zusammen. Nicht daß sie sich ausschließen, ist ihre Schmach, sondern daß dieß nur halb geschieht. Dagegen meint Br. Bauer, als „Menschen“ können sich Juden und Christen erst betrachten und gegenseitig behan [238] deln, wenn sie das besondere Wesen, welches sie trennt und zu ewiger Absonderung verpflichtet, aufgeben, das allgemeine Wesen „des Menschen“ anerkennen und als ihr „wahres Wesen“ betrachten.

Nach seiner Darstellung liegt der Fehler der Juden wie der Christen darin, daß sie etwas „Apartes“ sein und haben wollen, statt nur Menschen zu sein und Menschliches zu erstreben, nämlich die „allgemeinen Menschenrechte“. Er meint, ihr Grundirrthum bestehe in dem Glauben, sie seien „privilegirt“, besäßen „Vorrechte“, überhaupt in dem Glauben an das Vorrecht. Dagegen hält er ihnen das allgemeine Menschenrecht vor. Das Menschenrecht! –

Der Mensch ist der Mensch überhaupt und insofern Jeder, der Mensch ist. Nun soll Jeder die ewigen Menschenrechte haben, und in der vollkommenen „Demokratie“ oder, wie es richtiger heißen müßte – Anthropokratie, nach der Meinung der Communisten sie genießen. Aber nur Ich habe Alles, was Ich Mir – verschaffe; als Mensch habe Ich nichts. Man möchte jedem Menschen alles Gute zufließen lassen, bloß weil er den Titel „Mensch“ hat. Ich aber lege den Accent auf Mich, nicht daraus, daß Ich Mensch bin.

Der Mensch ist nur etwas als meine Eigenschaft (Eigenthum), wie die Männlichkeit oder Weiblichkeit. Die Alten fanden das Ideal darin, daß man im vollen Sinne Mann sei; ihre Tugend ist virtus und arete, d. h. Männlichkeit. Was soll man von einem Weibe denken, die nur vollkommen „Weib“ sein wollte? Das ist nicht jeder gegeben und Manche würde sich damit ein unerreichbares Ziel setzen. Weiblich dagegen ist sie ohnehin, von Natur, die Weiblichkeit ist ihre Eigenschaft, und sie braucht der „ächten Weiblich [239] keit“ nicht. Ich bin Mensch, gerade so, wie die Erde Stern ist. So lächerlich es wäre der Erde die Aufgabe zu stellen, ein „rechter Stern“ zu sein, so lächerlich ist's, Mir als Beruf aufzubürden, ein „rechter Mensch“ zu sein.

Wenn Fichte sagt: „Das Ich ist Alles“, so scheint dieß mit meinen Aufstellungen vollkommen zu harmoniren. Allein nicht das Ich ist Alles, sondern das Ich zerstört Alles, und nur das sich selbst auflösende Ich, das nie seiende Ich, das – endliche Ich ist wirklich Ich. Fichte spricht vom „absoluten“ Ich, Ich aber spreche von Mir, dem vergänglichen Ich.

Wie nahe liegt die Meinung, daß Mensch und Ich dasselbe sagen, und doch sieht man z. B. an Feuerbach, daß der Ausdruck „Mensch“ das absolute Ich, die Gattung, bezeichnen soll, nicht das vergängliche, einzelne Ich. Egoismus und Menschlichkeit (Humanität) müßten das Gleiche bedeuten, aber nach Feuerbach kann der Einzelne (das „Individuum“) „sich nur über die Schranken seiner Individualität erheben, aber nicht über die Gesetze, die positiven Wesensbestimmungen seiner Gattung“. 6) Allein die Gattung ist nichts, und wenn der Einzelne sich über die Schranken seiner Individualität erhebt, so ist dieß vielmehr gerade Er selbst als Einzelner, er ist nur, indem er sich erhebt, er ist nur, indem er nicht bleibt, was er ist: sonst wäre er fertig, todt. Der Mensch ist nur ein Ideal, die Gattung nur ein Gedachtes. Ein Mensch sein, heißt nicht das Ideal des Menschen erfüllen, sondern sich, den Einzelnen, darstellen. Nicht, wie Ich das allgemein Menschliche realisire, braucht meine Ausgabe zu sein, sondern wie Ich Mir selbst genüge. Ich bin meine Gattung, [240] bin ohne Norm, ohne Gesetz, ohne Muster u. dgl. Möglich, daß Ich aus Mir sehr wenig machen kann; dieß Wenige ist aber Alles und ist besser, als was Ich aus Mir machen lasse durch die Gewalt Anderer, durch die Dressur der Sitte, der Religion, der Gesetze, des Staates u. s. w. Besser – wenn einmal von Besser die Rede sein soll – besser ein ungezogenes, als ein altkluges Kind, besser ein widerwilliger als ein zu Allem williger Mensch. Der Ungezogene und Widerwillige befindet sich noch auf dem Wege, nach seinem eigenen Willen sich zu bilden; der Altkluge und Willige wird durch die „Gattung“, die allgemeinen Anforderungen u. s. w. bestimmt, sie ist ihm Gesetz. Er wird dadurch bestimmt: denn, was ist ihm die Gattung anders, als seine „Bestimmung“, sein „Beruf“? Ob Ich auf die „Menschheit“, die Gattung, blicke, um diesem Ideal nachzustreben, oder auf Gott und Christus mit gleichem Streben: wie wäre darin eine wesentliche Verschiedenheit? Höchstens ist jenes verwaschener, als dieses. Wie der Einzelne die ganze Natur, so ist er auch die ganze Gattung.

Durch das, was Ich bin, ist allerdings alles bedingt, was Ich thue, denke u. s. w., kurz meine Aeußerung oder Offenbarung. Der Jude z. B. kann nur so oder so wollen, kann nur so „sich geben“; der Christ kann sich nur christlich geben und offenbaren u. s. w. Wäre es möglich, daß Du Jude oder Christ sein könntest, so brächtest Du freilich nur Jüdisches oder Christliches zu Tage; allein es ist nicht möglich, Du bleibst beim strengsten Wandel doch ein Egoist, ein Sünder gegen jenen Begriff, d. h. Du bist nicht – Jude. Weil nun immer das Egoistische wieder durchblickt, so hat man nach einem vollkommneren Begriffe gefragt, der wirklich ganz [241] ausdrückte, was Du bist, und der, weil er deine wahre Natur ist, alle Gesetze deiner Bethätigung enthielte. Das Vollkommenste der Art hat man im „Menschen“ erreicht. Als Jude bist Du zu wenig und das Jüdische ist nicht deine Aufgabe; ein Grieche, ein Deutscher zu sein, reicht nicht aus. Aber sei ein – Mensch, dann hast Du alles; das Menschliche sieh' als deinen Beruf an.

Nun weiß Ich, was Ich soll, und der neue Katechismus kann abgefaßt werden. Wieder ist das Subject dem Prädicate unterworfen, der Einzelne einem Allgemeinen; wieder ist einer Idee die Herrschaft gesichert und zu einer neuen Religion der Grund gelegt. Es ist dieß ein Fortschritt im religiösen, und speciell im christlichen Gebiete, kein Schritt über dasselbe hinaus.

Der Schritt darüber hinaus führt ins Unsagbare. Für Mich hat die armselige Sprache kein Wort, und „das Wort“, der Logos, ist Mir ein „bloßes Wort“.

Man sucht mein Wesen. Ist's nicht der Jude, der Deutsche u. s. w., so doch – der Mensch. „Der Mensch ist mein Wesen.“

Ich bin Mir zuwider oder widerwärtig; Mir graut und ekelt vor Mir, Ich bin Mir ein Gräuel, oder Ich bin Mir nie genug und thue Mir nie genug. Aus solchen Gefühlen entspringt die Selbstauflösung oder Selbstkritik. Mit der Selbstverleugnung beginnt, mit der vollendeten Kritik schließt die Religiosität.

Ich bin besessen und will den „bösen Geist“ loswerden. Wie fange Ich's an? Ich begehe getrost die Sünde, welche dem Christen die ärgste scheint, die Sünde und Lästerung wider den heiligen Geist. „Wer den heiligen Geist lästert, der [242] hat keine Vergebung ewiglich, sondern ist schuldig des ewigen Gerichts!“ 7) Ich will keine Vergebung und fürchte Mich nicht vor dem Gerichte.

Der Mensch ist der letzte böse Geist oder Spuk, der täuschendste oder vertrauteste, der schlaueste Lügner mit ehrlicher Miene, der Vater der Lügen.

Indem der Egoist sich gegen die Anmuthungen und Begriffe der Gegenwart wendet, vollzieht er unbarmherzig die maaßloseste – Entheiligung. Nichts ist ihm heilig!

Es wäre thöricht zu behaupten, es gäbe keine Macht über der meinigen. Nur die Stellung, welche Ich Mir zu derselben gebe, wird eine durchaus andere sein, als sie im religiösen Zeitalter war: Ich werde der Feind jeder höheren Macht sein, während die Religion lehrt, sie Uns zur Freundin zu machen und demüthig gegen sie zu sein.

Der Entheiliger spannt seine Kraft gegen jede Gottesfurcht, denn Gottesfurcht würde ihn in allem bestimmen, was er als heilig bestehen ließe. Ob am Gottmenschen der Gott oder der Mensch die heiligende Macht übe, ob also etwas um Gottes oder um des Menschen (der Humanität) willen heilig gehalten werde, das ändert die Gottesfurcht nicht, da der Mensch so gut als „höchstes Wesen“ verehrt wird, als auf dem speciell religiösen Standpunkte der Gott als „höchstes Wesen“ unsere Furcht und Ehrfurcht verlangt, und beide Uns imponiren.

Die eigentliche Gottesfurcht hat längst eine Erschütterung erlitten, und ein mehr oder weniger bewußter „Atheismus“, [243] äußerlich an einer weit verbreiteten „Unkirchlichkeit“ erkennbar, ist unwillkührlich Ton geworden. Allein, was dem Gott genommen wurde, ist dem Menschen zugesetzt worden, und die Macht der Humanität vergrößerte sich in eben dem Grade, als die der Frömmigkeit an Gewicht verlor: „der Mensch“ ist der heutige Gott, und Menschenfurcht an die Stelle der alten Gottesfurcht getreten.

Weil aber der Mensch nur ein anderes höchstes Wesen vorstellt, so ist in der That am höchsten Wesen nichts als eine Metamorphose vor sich gegangen und die Menschenfurcht bloß eine veränderte Gestalt der Gottesfurcht.

Unsere Atheisten sind fromme Leute.

Trugen Wir in der sogenannten Feudalzeit Alles von Gott zu Lehen, so findet in der liberalen Periode dasselbe Lehnsverhältniß mit dem Menschen statt. Gott war der Herr, jetzt ist der Mensch der Herr; Gott war der Mittler, jetzt ist's der Mensch; Gott war der Geist, jetzt ist's der Mensch. In dieser dreifachen Beziehung hat das Lehnsverhältniß eine Umgestaltung erfahren. Wir tragen jetzt nämlich erstens von dem allmächtigen Menschen zu Lehen unsere Macht, die, weil sie von einem Höheren kommt, nicht Macht oder Gewalt, sondern „Recht“ heißt: das „Menschenrecht“; Wir tragen ferner von ihm unsere Weltstellung zu Lehen, denn er, der Mittler, vermittelt unsern Verkehr, der darum nicht anders als „menschlich“ sein darf; endlich tragen Wir von ihm Uns selbst zu Lehen, nämlich unseren eigenen Werth oder alles, was Wir werth sind, da Wir eben nichts werth sind, wenn er nicht in Uns wohnt, und wenn oder wo Wir nicht „menschlich“ sind. – Die Macht ist des Menschen, die Welt ist des Menschen, Ich bin des Menschen. [244]

Wie aber, bleibt Mir's nicht unbenommen, Mich zum Berechtiger, zum Mittler und zum eigenen Selbst zu erklären? Dann lautet es also:

Meine Macht ist mein Eigenthum.

Meine Macht giebt Mir Eigenthum.

Meine Macht bin Ich selbst und bin durch sie mein Eigenthum.

 

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1.  Meine Macht.

 

Das Recht ist der Geist der Gesellschaft. Hat die Gesellschaft einen Willen, so ist dieser Wille eben das Recht: sie besteht nur durch das Recht. Da sie aber nur dadurch besteht, daß sie über die Einzelnen eine Herrschaft übt, so ist das Recht ihr Herrscherwille. Aristoteles sagt, Gerechtigkeit sei der Nutzen der Gesellschaft.

Alles bestehende Recht ist – fremdes Recht, ist Recht, welches man Mir „giebt“, Mir „widerfahren läßt“. Hätte Ich aber darum Recht, wenn alle Welt Mir Recht gäbe? Und doch, was ist das Recht, das Ich im Staate, in der Gesellschaft, erlange, anders, als ein Recht von Fremden? Wenn ein Dummkopf Mir Recht giebt, so werde Ich mißtrauisch gegen mein Recht; Ich mag sein Rechtgeben nicht. Aber auch wenn ein Weiser Mir Recht giebt, habe Ich's darum doch noch nicht. Ob Ich Recht habe, ist völlig unabhängig von dem Rechtgeben des Thoren und des Weisen.

Gleichwohl haben Wir bis jetzt nach diesem Rechte getrachtet. Wir suchen Recht und wenden Uns zu dem Zwecke [245] ans Gericht. An welches? An ein königliches, ein päpstliches, ein Volksgericht u. s. w. Kann ein sultanisches Gericht ein anderes Recht sprechen, als dasjenige, welches der Sultan zu Recht verordnet hat? Kann es Mir Recht geben, wenn Ich ein Recht suche, das nicht mit dem Sultansrechte stimmt? Kann es Mir z. B. den Hochverrath als ein Recht einräumen, da er doch nach des Sultans Sinne kein Recht ist? Kann es als Censurgericht Mir die freie Meinungsäußerung als Recht gewähren, da der Sultan von diesem meinem Rechte nichts wissen will? Was suche Ich also bei diesem Gerichte? Ich suche sultanisches Recht, nicht mein Recht; Ich suche – fremdes Recht. So lange dieß fremde Recht mit dem meinigen übereinstimmt, werde Ich freilich auch das letztere bei ihm finden.

Der Staat läßt nicht zu, daß man Mann an Mann an einander gerathe; er widersetzt sich dem Zweikampf. Selbst jede Prügelei, zu der doch keiner der Kämpfenden die Polizei ruft, wird gestraft, es sei denn, daß nicht ein Ich auf ein Du losprügele, sondern etwa ein Familienhaupt auf das Kind: die Familie ist berechtigt, und in ihrem Namen der Vater, Ich als Einziger bin es nicht.

Die Vossische Zeitung präsentirt Uns den „Rechtsstaat“. Da soll Alles durch den Richter und ein Gericht entschieden werden. Das Ober-Censur-Gericht gilt ihr für ein „Gericht“, wo „Recht gesprochen wird“. Was für ein Recht? Das Recht der Censur. Um die Rechtssprüche jenes Gerichts für Recht anzuerkennen, muß man die Censur für Recht halten. Man meint aber gleichwohl, dieß Gericht biete einen Schutz. Ja Schutz gegen den Irrthum eines einzelnen Censors: es schützt nur den Censurgesetzgeber vor falscher Auslegung seines [246] Willens, macht aber gegen die Schreibenden sein Gesetz um so fester durch die „heilige Macht des Rechts.“

Ob Ich Recht habe oder nicht, darüber giebt es keinen andern Richter, als Mich selbst. Darüber nur können Andere urtheilen und richten, ob sie meinem Rechte beistimmen, und ob es auch für sie als Recht bestehe.

Fassen Wir inzwischen die Sache noch anders. Ich soll das sultanische Recht verehren im Sultanat, das Volksrecht in Republiken, das kanonische Recht in katholischer Gemeinde u. s. w. Diesen Rechten soll Ich Mich unterordnen, soll sie für heilig halten. Ein „Rechtssinn“ und „rechtlicher Sinn“ solcher Art steckt den Leuten so fest im Kopfe, daß die Revolutionairsten unserer Tage Uns einem neuen „heiligen Rechte“ unterwerfen wollen, dem „Rechte der Gesellschaft“, der Societät, dem Rechte der Menschheit, dem „Rechte Aller“ u. dergl. Das Recht „Aller“ soll meinem Rechte vorgehen. Als ein Recht Aller wäre es allerdings auch mein Recht, da Ich zu Allen mitgehöre; allein, daß es zugleich ein Recht Anderer oder gar aller Andern ist, das bewegt Mich nicht zur Aufrechthaltung desselben. Nicht als ein Recht Aller werde Ich es vertheidigen, sondern als mein Recht, und jeder Andere mag dann zusehen, wie er sich's gleichfalls bewahre. Das Recht Aller (z. B. zu essen) ist ein Recht jedes Einzelnen. Halte sich Jeder dieß Recht unverkümmert, so üben es von selbst Alle; aber sorge er doch nicht für Alle, ereifere er sich dafür nicht als für ein Recht Aller.

Aber die Socialreformer pretigen Uns ein „Gesellschaftsrecht“. Da wird der Einzelne der Sklave der Gesellschaft, und hat nur Recht, wenn ihm die Gesellschaft Recht giebt, d. h. wenn er nach den Gesetzen der Gesellschaft [247] lebt, also – loyal ist. Ob Ich loyal bin in einer Despotie oder in einer Weitlingschen „Gesellschaft“, das ist dieselbe Rechtlosigkeit, insofern Ich in beiden Fällen nicht mein, sondern fremdes Recht habe.

Beim Rechte fragt man immer: „Was oder Wer giebt Mir das Recht dazu?“ Antwort: Gott, die Liebe, die Vernunft, die Natur, die Humanität u. s. w. Nein, nur deine Gewalt, deine Macht giebt Dir das Recht (deine Vernunft z. B. kann Dir's geben).

Der Communismus, welcher annimmt, daß die Menschen „von Natur gleiche Rechte haben“, widerlegt seinen eigenen Satz dahin, daß die Menschen von Natur gar kein Recht haben. Denn er will z. B. nicht anerkennen, daß die Aeltern „von Natur“ Rechte gegen die Kinder haben oder diese gegen jene: er hebt die Familie auf. Die Natur giebt den Aeltern, Geschwistern u. s. w. gar kein Recht. Ueberhaupt beruht dieser ganze revolutionnaire oder Babeufsche Grundsatz 8) einer religiösen, d. h. falschen Anschauung. Wer kann, wenn er sich nicht auch auf dem religiösen Standpunkte befindet, nach dem „Rechte“ fragen? Ist „das Recht“ nicht ein religiöser Begriff, d. h. etwas Heiliges? „Rechtsgleichheit“, wie sie die Revolution aufstellte, ist ja nur eine andere Form für die „christliche Gleichheit“, die „Gleichheit der Brüder, der Kinder Gottes, der Christen u. s. w.“, kurz fraternité. Alle und jede Frage nach dem Rechte verdient mit Schillers Worten gegeißelt zu werden:

 

Jahre lang schon bedien' ich mich meiner Nase zum Riechen;

Hab' ich denn wirklich an sie auch ein erweisliches Recht? [248]

 

Als die Revolution die Gleichheit zu einem „Rechte“ stempelte, flüchtete sie ins religiöse Gebiet, in die Region des Heiligen, des Ideals. Daher seitdem der Kampf um die „heiligen, unveräußerlichen Menschenrechte“. Gegen das „ewige Menschenrecht“ wird ganz natürlich und gleichberechtigt das „wohlerworbene Recht des Bestehenden“ geltend gemacht: Recht gegen Recht, wo natürlich eines vom andern als „Unrecht“ verschrieen wird. Das ist der Rechtsstreit seit der Revolution.

Ihr wollt gegen die Andern „im Rechte sein“. Das könnt Ihr nicht, gegen sie bleibt Ihr ewig „im Unrecht“; denn sie wären ja eure Gegner nicht, wenn sie nicht auch in „ihrem Rechte“ wären: sie werden Euch stets „Unrecht geben“. Aber euer Recht ist gegen das der Anderen ein höheres, größeres, mächtigeres, nicht so? Mit Nichten! Euer Recht ist nicht mächtiger, wenn Ihr nicht mächtiger seid. Haben chinesische Unterthanen ein Recht auf Freiheit? Schenkt sie ihnen doch, und seht dann zu, wie sehr Ihr Euch darin vergriffen habt: weil sie die Freiheit nicht zu nutzen wissen, darum haben sie kein Recht darauf, oder deutlicher, weil sie die Freiheit nicht haben, haben sie eben das Recht dazu nicht. Kinder haben kein Recht auf die Mündigkeit, weil sie nicht mündig sind, d. h. weil sie Kinder sind. Völker, die sich in Unmündigkeit halten lassen, haben kein Recht auf Mündigkeit; hörten sie auf, unmündig zu sein, dann erst hätten sie das Recht, mündig zu sein. Dieß heißt nichts anderes, als: was Du zu sein die Macht hast, dazu hast Du das Recht. Ich leite alles Recht und alle Berechtigung aus Mir her; Ich bin zu allem berechtigt, dessen Ich mächtig bin. Ich bin berechtigt, Zeus, Jehova, Gott u. s. w. zu stürzen, wenn Ich's kann; kann [249] Ich's nicht, so werden diese Götter stets gegen Mich im Rechte und in der Macht bleiben, Ich aber werde Mich vor ihrem Rechte und ihrer Macht fürchten in ohnmächtiger „Gottesfurcht“, werde ihre Gebote halten und in Allem, was Ich nach ihrem Rechte thue, Recht zu thun glauben, wie etwa die russischen Grenzwächter sich für berechtigt halten, die entrinnenden Verdächtigen todt zu schießen, indem sie „auf höhere Autorität“, d. h. „mit Recht“ morden. Ich aber bin durch Mich berechtigt zu morden, wenn Ich Mir's selbst nicht verbiete, wenn Ich selbst Mich nicht vorm Morde als vor einem „Unrecht“ fürchte. Diese Anschauung liegt Chamisso's Gedichte „das Mordthal“ zu Grunde, wo der ergraute indianische Mörder dem Weißen, dessen Mitbrüder er gemordet, Ehrfurcht abzwingt. Ich bin nur zu Dem nicht berechtigt, was Ich nicht mit freiem Muthe thue, d. h. wozu Ich Mich nicht berechtige.

Ich entscheide, ob es in Mir das Rechte ist; außer Mir giebt es kein Recht. Ist es Mir recht, so ist es recht. Möglich, daß es darum den Andern noch nicht recht ist; das ist ihre Sorge, nicht meine: sie mögen sich wehren. Und wäre etwas der ganzen Welt nicht recht, Mir aber wäre es recht, d. h. Ich wollte es, so früge Ich nach der ganzen Welt nichts. So macht es Jeder, der sich zu schätzen weiß, Jeder in dem Grade, als er Egoist ist, denn Gewalt geht vor Recht, und zwar – mit vollem Rechte.

Weil Ich „von Natur“ ein Mensch bin, habe Ich ein gleiches Recht auf den Genuß aller Güter, sagt Babeuf. Müßte er nicht auch sagen: weil Ich „von Natur“ ein erstgeborener Prinz bin, habe Ich ein Recht auf den Thron? Die Menschenrechte und die „wohlerworbenen Rechte“ kommen [250] auf dasselbe hinaus, nämlich auf die Natur, welche Mir ein Recht giebt, d.h. auf die Geburt (und weiter die Erbschaft u. s. w.). Ich bin als Mensch geboren ist gleich: Ich bin als Königssohn geboren. Der natürliche Mensch hat nur ein natürliches Recht, weil Macht, und natürliche Ansprüche: er hat Geburtsrecht und Geburtsansprüche. Die Natur aber kann Mich zu dem nicht berechtigen, d. h. befähigen oder gewaltig machen, wozu Mich nur meine That berechtigt. Daß das Königskind sich über andere Kinder stellt, das ist schon seine That, die ihm den Vorzug sichert, und daß die anderen Kinder diese That billigen und anerkennen, das ist ihre That, die sie würdig macht – Unterthanen zu sein.

Ob Mir die Natur ein Recht giebt, oder Gott, die Volkswahl u. s. w., das ist Alles dasselbe fremde Recht, ist ein Recht, das Ich Mir nicht gebe oder nehme.

So sagen die Communisten: die gleiche Arbeit berechtige die Menschen zu gleichem Genusse. Früher warf man die Frage auf, ob nicht der „Tugendhafte“ auf Erden „glücklich“ sein müsse. Die Juden folgerten auch wirklich so: „Auf daß Dir's wohlgehe auf Erben.“ Nein, die gleiche Arbeit berechtigt Dich nicht dazu, sondern der gleiche Genuß allein berechtigt Dich zum gleichen Genuß. Genieße, so bist Du zum Genuß berechtigt. Hast Du aber gearbeitet und lässest Dir den Genuß entziehen, so – „geschieht Dir Recht“.

Wenn Ihr den Genuß nehmt, so ist er euer Recht; schmachtet Ihr hingegen nur darnach, ohne zuzugreifen, so bleibt er nach wie vor ein „wohlerworbenes Recht“ derer, welche für den Genuß privilegirt sind. Er ist ihr Recht, wie er durch Zugreifen euer Recht würde. [251]

In heftiger Bewegung schwankt der Streit um das „Recht des Eigenthums“. Die Communisten behaupten 9): „die Erde gehört rechtlich demjenigen, der sie bebaut, und die Producte derselben denjenigen, die sie hervorbringen.“ Ich meine, sie gehört dem, der sie zu nehmen weiß, oder, der sie sich nicht nehmen, sich nicht darum bringen läßt. Eignet er sie sich an, so gehört ihm nicht bloß die Erde, sondern auch das Recht dazu. Dieß ist das egoistische Recht, d.h. Mir ist's so recht, darum ist es Recht.

Sonst hat eben das Recht „eine wächserne Nase“. Der Tiger, der Mich anfällt, hat Recht, und Ich, der ihn niederstößt, habe auch Recht. Nicht mein Recht wahre Ich gegen ihn, sondern Mich.

Da das menschliche Recht immer ein Gegebenes ist, so läuft es in Wirklichkeit immer auf das Recht hinaus, welches die Menschen einander geben, d. h. „einräumen“. Räumt man den neugeborenen Kindern das Recht der Existenz ein, so haben sie das Recht; räumt man's ihnen nicht ein, wie dieß bei den Spartanern und alten Römern der Fall war, so haben sie's nicht. Denn geben oder „einräumen“ kann es ihnen nur die Gesellschaft, nicht sie selbst können es nehmen oder sich geben. Man wird einwenden: die Kinder hatten dennoch „von Natur“ das Recht zu existiren; nur versagten die Spartaner diesem Rechte die Anerkennung. Aber so hatten sie eben kein Recht auf diese Anerkennung, so wenig als sie ein Recht darauf hatten, daß die wilden Thiere, denen sie vorgeworfen wurden, ihr Leben anerkennen sollten. [252]

Man spricht so viel vom angebornen Rechte und klagt:

 

Vom Rechte, das mit uns geboren ist,

Von dem ist leider nicht die Frage.

 

Was für ein Recht wäre denn mit Mir geboren? Das Recht, Majoratsherr zu werden, einen Thron zu erben, eine prinzliche oder adlige Erziehung zu genießen, oder auch, weil Mich arme Aeltern zeugten, – Freischule zu bekommen, aus Almosenbeiträgen gekleidet zu werden, und endlich in den Kohlenbergwerken oder am Weberstuhle Mir mein Brod und meinen Hering zu verdienen? Sind das nicht angeborene Rechte, Rechte, die von meinen Aeltern her durch die Geburt auf Mich gekommen sind? Ihr meint: nein; Ihr meint, dieß seien nur mißbräuchlich sogenannte Rechte, es seien eben jene Rechte, welche Ihr durch das wirklich angeborene Recht abzuschaffen trachtet. Dieß zu begründen, geht Ihr auf das Einfachste zurück und behauptet, Jeder sei durch die Geburt dem Andern gleich, nämlich ein Mensch. Ich will Euch zugeben, daß Jeder als Mensch geboren werde, mithin die Neugeborenen einander darin gleich seien. Warum sind sie's? Nur deshalb, weil sie sich noch als nichts Anderes zeigen und bethätigen, als eben als bloße – Menschenkinder, nackte Menschlein. Dadurch sind sie aber sogleich verschieden von denen, welche bereits etwas aus sich gemacht haben und nicht mehr bloße „Menschenkinder“ sind, sondern – Kinder ihrer eigenen Schöpfung. Die letzteren besitzen mehr als bloß angeborene Rechte: sie haben Rechte erworben. Welch' ein Gegensatz, welch' ein Kampffeld! Der alte Kampf der angeborenen Menschenrechte und der wohlerworbenen Rechte. Beruft Euch immerhin auf eure angeborenen Rechte; man wird nicht ermangeln, die wohlerworbenen Euch entgegenzustellen. [253]

Beide stehen auf dem „Rechtsboden“, denn jeder von beiden hat ein „Recht“ gegen den Andern, der Eine das angeborene oder natürliche, der Andere das erworbene oder „wohlerworbene“.

Bleibt Ihr auf dem Rechtsboden, so bleibt Ihr bei der – Rechthaberei 10). Der Andere kann Euch euer Recht nicht geben, er kann Euch nicht „Recht widerfahren lassen“. Wer die Gewalt hat, der hat – Recht; habt Ihr jene nicht, so habt Ihr auch dieses nicht. Ist diese Weisheit so schwer zu erlangen? Seht doch die Gewaltigen und ihr Thun an! Wir reden hier natürlich nur von China und Japan. Versucht's einmal, Ihr Chinesen und Japanesen, ihnen Unrecht zu geben, und erfahrt's, wie sie Euch in den Kerker werfen. (Verwechselt damit nur nicht die „wohlmeinenden Rathschläge“, die – in China und Japan – erlaubt sind, weil sie den Gewaltigen nicht hemmen, sondern, möglicher Weise, fördern.) Wer ihnen Unrecht geben wollte, dem stünde dazu nur Ein Weg offen, der der Gewalt. Bringt er sie um ihre Gewalt, dann hat er ihnen wirklich Unrecht gegeben, hat sie um ihr Recht gebracht; im andern Falle kann er nichts, als ein Fäustchen in der Tasche machen, oder als ein vorlauter Narr zum Opfer fallen.

Kurz, fragtet Ihr Chinesen und Japanesen nicht nach dem Rechte, fragtet namentlich nicht nach dem Rechte, „das mit Euch geboren ist“, dann brauchtet Ihr auch nichts nach den wohlerworbenen Rechten zu fragen.

Ihr schreckt vor den Andern zurück, weil Ihr neben ihnen das Gespenst des Rechtes zu sehen glaubt, das, wie in [254] den homerischen Kämpfen, als Göttin an ihrer Seite helfend mitzufechten scheint. Was thut Ihr? Werft Ihr den Speer? Nein, Ihr schleicht umher, um den Spuk für Euch zu gewinnen, damit er auf eurer Seite mitfechte: Ihr buhlt um die Gunst des Gespenstes. Ein Anderer früge einfach so: Will Ich, was der Gegner will? „Nein!“ Nun, so mögen tausend Teufel oder Götter für ihn kämpfen. Ich schlage doch drauf los!

Der „Rechtsstaat“, wie ihn unter Andern die Vossische Zeitung vertritt, verlangt, daß die Beamten nur durch den Richter ihres Amtes sollen entsetzt werden können, nicht durch die Administration. Eitle Illusion. Wenn gesetzlich bestimmt würde, ein Beamter, der einmal trunken gesehen wird, soll sein Amt verlieren, so müßte der Richter auf Aussage der Zeugen ihn verurtheilen u.s.w. Kurz, der Gesetzgeber dürfte nur alle möglichen Gründe genau angeben, welche den Verlust des Amtes nach sich ziehen, möchten sie auch noch so lächerlich sein (z.B. wer seinen Vorgesetzten ins Gesicht lacht, wer nicht sonntäglich in die Kirche geht, wer nicht alle vier Wochen zum Abendmahl geht, wer Schulden macht, wer unanständigen Umgang hat, wer keine Entschlossenheit zeigt u.s.w., soll entsetzt werden. Diese Dinge könnte der Gesetzgeber z.B. bei einem Ehrengerichte aufzustellen sich einfallen lassen), so hätte der Richter lediglich zu untersuchen, ob Beklagter sich jene „Vergehen“ habe „zu Schulden kommen lassen“, und müßte nach erfolgtem Beweis gegen ihn „von Rechtswegen“ die Absetzung aussprechen.

Der Richter ist verloren, wenn er aufhört, mechanisch zu sein, wenn er „von den Beweisregeln verlassen wird“. Dann hat er nur noch eine Meinung, wie jeder Andere, und [255] entscheidet er nach dieser Meinung, so ist das keine Amtshandlung mehr; er darf als Richter nur nach dem Gesetze entscheiden. Da lobe Ich Mir noch die alten französischen Parlamente, die, was Rechtens sein sollte, selbst prüfen und nach eigener Zustimmung erst registriren wollten. Die richteten wenigstens nach eigenem Rechte und mochten sich nicht zu Maschinen des Gesetzgebers hergeben, wenn gleich sie als Richter freilich ihre eigenen Maschinen werden mußten.

Man sagt, die Strafe sei das Recht des Verbrechers. Allein die Straflosigkeit ist ebenso sein Recht. Gelingt ihm sein Unternehmen, so geschieht ihm Recht, und gelingt's nicht, so geschieht ihm gleichfalls Recht. Wie Du Dich bettest, so schläfst Du. Begiebt sich Jemand tollkühn in Gefahren und kommt dann um, so sagen Wir wohl: es geschieht ihm Recht, er hat's nicht besser gewollt. Besiegte er aber die Gefahren, d. h. siegte seine Macht, so hätte er auch Recht. Spielt ein Kind mit dem Messer und schneidet sich, so geschieht ihm Recht; aber schneidet sich's nicht, so geschieht ihm auch Recht. Dem Verbrecher widerfährt daher wohl Recht, wenn er leidet, was er riskirte; warum riskirte er's auch, da er die möglichen Folgen kannte! Aber die Strafe, welche Wir über ihn verhängen, ist nur unser Recht, nicht das seine. Unser Recht reagirt gegen das seinige, und er „behält Unrecht“, weil – Wir die Oberhand gewinnen.

 

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Was aber Recht, was in einer Gesellschaft Rechtens ist, das kommt auch zu Worte – im Gesetze.

Wie auch das Gesetz sei, es muß respectirt werden vom – loyalen Bürger. So wird der gesetzliche Sinn Old Englands [256] gerühmt. Dem entspricht ganz jenes euripideische Wort (Orestes, 412): „Den Göttern dienen Wir, was immer auch die Götter sind.“ Gesetz überhaupt, Gott überhaupt, so weit sind Wir heute.

Man bemüht sich, Gesetz von willkührlichem Befehl, von einer Ordonnanz zu unterscheiden: jenes gehe von einer berechtigten Autorität aus. Allein ein Gesetz über menschliches Handeln (ethisches Gesetz, Staatsgesetz u. s. w.) ist immer eine Willenserklärung, mithin Befehl. Ja, wenn Ich das Gesetz Mir auch selbst gäbe, es wäre doch nur mein Befehl, dem Ich im nächsten Augenblick den Gehorsam verweigern kann. Es mag Jemand wohl erklären, was er sich gefallen lassen wolle, mithin durch ein Gesetz das Gegentheil sich verbitten, widrigenfalls er den Uebertreter als seinen Feind behandeln werde; aber über meine Handlungen hat Niemand zu gebieten. Keiner Mir mein Handeln vorzuschreiben und Mir darin Gesetze zu geben. Ich muß Mir's gefallen lassen, daß er Mich als seinen Feind behandelt; allein niemals, daß er mit Mir als seiner Creatur umspringt, und daß er seine Vernunft oder auch Unvernunft zu meiner Richtschnur macht.

Es dauern die Staaten nur so lange, als es einen herrschenden Willen giebt, und dieser herrschende Wille für gleichbedeutend mit dem eigenen Willen angesehen wird. Des Herrn Wille ist – Gesetz. Was helfen Dir deine Gesetze, wenn sie Keiner befolgt, was deine Befehle, wenn sich Niemand befehlen läßt? Es kann der Staat des Anspruches sich nicht entschlagen, den Willen des Einzelnen zu bestimmen, darauf zu speculiren und zu rechnen. Für ihn ist's unumgänglich nöthig, daß Niemand einen eigenen Willen habe; hätte ihn Einer, so müßte der Staat diesen ausschließen (einsperren, [257] verbannen u. s. w.); hätten ihn Alle, so schafften sie den Staat ab. Der Staat ist nicht denkbar ohne Herrschaft und Knechtschaft (Unterthanenschaft); denn der Staat muß der Herr sein wollen Aller, die er umfaßt, und man nennt diesen Willen den „Staatswillen“.

Wer, um zu bestehen, auf die Willenlosigkeit Anderer rechnen muß, der ist ein Machwerk dieser Anderen, wie der Herr ein Machwerk des Dieners ist. Hörte die Unterwürfigkeit auf, so wär's um die Herrschaft geschehen.

Der eigene Wille Meiner ist der Verderber des Staats; er wird deshalb von letzterem als „Eigenwille“ gebrandmarkt. Der eigene Wille und der Staat sind todfeindliche Mächte, zwischen welchen kein „ewiger Friede“ möglich ist. So lange der Staat sich behauptet, stellt er den eigenen Willen, seinen stets anfeindenden Gegner, als unvernünftig, böse u. s. w. dar, und jener läßt sich das einreden, ja er ist es wirklich schon deshalb, weil er sichs noch einreden läßt: er ist noch nicht zu sich selbst und zum Bewußtsein seiner Würde gekommen, mithin noch unvollkommen, noch beschwatzbar u. s. w. Jeder Staat ist eine Despotie, sei nun Einer oder Viele der Despot, oder seien, wie man sich's wohl von einer Republik vorstellt, Alle die Herren, d. h. despotisire Einer den Andern. Es ist dieß nämlich dann der Fall, wenn das jedesmal gegebene Gesetz, die ausgesprochene Willensmeinung etwa einer Volksversammlung fortan für den Einzelnen Gesetz sein soll, dem er Gehorsam schuldig ist, oder gegen welches er die Pflicht des Gehorsams hat. Dächte man sich auch selbst den Fall, daß jeder Einzelne im Volke den gleichen Willen ausgesprochen hätte und hiedurch ein vollkommener „Gesammtwille“ zu Stande gekommen wäre: die Sache bliebe dennoch [258] dieselbe. Wäre Ich nicht an meinen gestrigen Willen heute und ferner gebunden? Mein Wille in diesem Falle wäre erstarrt. Die leidige Stabilität! Mein Geschöpf, nämlich ein bestimmter Willensausdruck, wäre mein Gebieter geworden. Ich aber in meinem Willen, Ich, der Schöpfer, wäre in meinem Flusse und meiner Auflösung gehemmt. Weil Ich gestern ein Narr war, müßte Ich's zeitlebens bleiben. So bin Ich im Staatsleben besten Falls – Ich könnte eben so gut sagen: schlimmsten Falls – ein Knecht Meiner selbst. Weil Ich gestern ein Wollender war, bin Ich heute ein Willenloser, gestern freiwillig, heute unfreiwillig.

Wie zu ändern? Nur dadurch, daß Ich keine Pflicht anerkenne, d. h. Mich nicht binde oder binden lasse. Habe Ich keine Pflicht, so kenne Ich auch kein Gesetz.

„Allein man wird Mich binden!“ Meinen Willen kann Niemand binden, und mein Widerwille bleibt frei.

„Es müßte ja Alles drunter und drüber gehen, wenn Jeder thun könnte, was er wollte!“ Wer sagt denn, daß Jeder Alles thun kann? Wozu bist Du denn da, der Du nicht Alles Dir gefallen zu lassen brauchst? Wahre Dich, so wird Dir Keiner was thun! Wer deinen Willen brechen will, der hat's mit Dir zu thun und ist dein Feind. Verfahre gegen ihn als solchen. Stehen hinter Dir zum Schutze noch einige Millionen, so seid Ihr eine imposante Macht und werdet einen leichten Sieg haben. Aber wenn Ihr dem Gegner auch als Macht imponirt, eine geheiligte Autorität seid Ihr ihm darum doch nicht, er müßte denn ein Schächer sein. Respect und Achtung ist er Euch nicht schuldig, wenn er sich auch vor eurer Gewalt in Acht nehmen wird. [259]

Wir pflegen die Staaten nach der verschiedenen Art, wie „die höchste Gewalt“ vertheilt ist, zu classificiren. Hat sie ein Einzelner – Monarchie, Alle – Demokratie u. s. w. Also die höchste Gewalt! Gewalt gegen wen? Gegen den Einzelnen und seinen „Eigenwillen“. Der Staat übt „Gewalt“, der Einzelne darf dieß nicht. Des Staates Betragen ist Gewaltthätigkeit, und seine Gewalt nennt er „Recht“, die des Einzelnen „Verbrechen“. Verbrechen also, so heißt die Gewalt des Einzelnen, und nur durch Verbrechen bricht er die Gewalt des Staates, wenn er der Meinung ist, daß der Staat nicht über ihm, sondern er über dem Staate sei.

Nun könnte Ich, wollte Ich lächerlich handeln, als ein Wohlmeinender Euch ermahmen, keine Gesetze zu geben, welche meine Selbstentwicklung, Selbstthätigkeit, Selbstschöpfung beeinträchtigen. Ich gebe diesen Rath nicht. Denn würdet Ihr ihn befolgen, so wäret Ihr unklug, und Ich wäre um meinen ganzen Gewinn betrogen. Von Euch verlange Ich gar nichts, denn, was Ich auch forderte, Ihr würdet doch gebieterische Gesetzgeber sein und müßt es sein, weil ein Rabe nicht singen, ein Räuber ohne Raub nicht leben kann. Vielmehr frage Ich diejenigen, welche Egoisten sein wollen, was sie für egoistischer halten, sich von Euch Gesetze geben zu lassen, und die gegebenen zu respectiren, oder Widerspenstigkeit, ja völligen Ungehorsam zu üben. Gutmüthige Leute meinen, die Gesetze müßten nur das vorschreiben, was im Gefühl des Volkes als recht und billig gelte. Was aber geht Mich's an, was im Volke und dem Volke gilt? Das Volk wird vielleicht gegen den Gotteslästerer sein; also ein Gesetz gegen Gotteslästerung. Soll Ich darum nicht lästern? Soll Mir dieß Gesetz mehr sein, als ein „Befehl“? Ich frage! [260]

Lediglich aus dem Grundsatze, daß alles Recht und alle Gewalt der Gesammtheit des Volkes angehöre, gehen sämmtliche Regierungsweisen hervor. Denn keine derselben ermangelt dieser Berufung auf die Gesammtheit, und der Despot so gut als der Präsident oder irgend eine Aristokratie u. s. w. handeln und befehlen „im Namen des Staates“. Sie sind im Besitze der „Staatsgewalt“, und es ist völlig gleichgültig, ob, wäre dieß möglich, das Volk als Gesammtheit alle Einzelnen, oder ob nur die Repräsentanten dieser Gesammtheit, seien deren Viele, wie in Aristokratien, oder Einer, wie in Monarchien, diese Staats-Gewalt ausüben. Immer ist die Gesammtheit über dem Einzelnen, und hat eine Gewalt, welche berechtigt genannt, d. h. welche Recht ist.

Der Heiligkeit des Staates gegenüber ist der Einzelne nur ein Gesäß der Unehre, in welchem „Uebermuth, Böswilligkeit, Spott- und Schmähsucht, Frivolität u. s. w.“ übrig bleiben, sobald er jenes Heiligthum, den Staat, nicht anerkennenswerth findet. Der geistliche Hochmuth der Staats- Diener und Staats-Unterthanen hat köstliche Strafen gegen den ungeistlichen „Uebermuth“.

Wenn die Regierung alles Spiel des Geistes gegen den Staat als strafbar bezeichnet, so kommen die gemäßigten Liberalen und meinen: Laune, Satyre, Witz, Humor u. s. w. müßten doch sprudeln dürfen, und das Genie müsse Freiheit genießen. Also zwar nicht der einzelne Mensch, aber doch das Genie soll frei sein. Ganz in seinem Rechte sagt da der Staat, oder im Namen desselben die Regierung: Wer nicht für mich ist, ist wider mich. Die Laune, der Witz u. s. w., kurz die Komödirung des Staatswesens hat die Staaten von jeher untergraben: sie ist nicht „unschuldig“. Und ferner, welche [261] Grenzen sollen zwischen schuldigem und unschuldigem Witze u. s. w. gezogen werden? Die Gemäßigten kommen bei dieser Frage in große Verlegenheit und es reducirt sich Alles auf die Bitte, der Staat (Regierung) möge doch nicht so empfindlich, so kitzlich sein; er möge in „harmlosen“ Dingen nicht gleich Böswilligkeit wittern und überhaupt ein wenig „toleranter“ sein. Uebertriebene Empfindlichkeit ist allerdings eine Schwäche, ihre Vermeidung mag eine lobenswerthe Tugend sein; allein in Kriegszeiten kann man nicht schonend sein, und was unter ruhigen Verhältnissen verstattet sein mag, hört auf erlaubt zu sein, sobald der Belagerungszustand erklärt ist. Weil dieß die wohlmeinenden Liberalen wohl fühlen, so beeilen sie sich zu erklären, daß ja bei der „Ergebenheit des Volkes“ keine Gefahr zu fürchten sei. Die Regierung wird aber klüger sein und sich so etwas nicht einreden lassen. Sie weiß zu gut, wie man Einen mit schönen Worten abspeist, und wird sich an diesem Schaugerichte nicht genügen lassen.

Man will aber seinen Spielplatz haben, denn man ist ja ein Kind und kann nicht so gesetzt sein, wie ein Alter: Jugend hat keine Tugend.

Nur um diesen Spielplatz, nur um ein Paar Stunden lustigen Umherspringens feilscht man. Man verlangt nur, der Staat solle nicht, wie ein griesgrämlicher Papa, allzu mürrisch sein. Er solle einige Esels-Processionen und Narrenspiele erlauben, wie im Mittelalter die Kirche sie gestattete. Die Zeiten aber, wo er dieß ohne Gefahr gewähren konnte, sind vorüber. Kinder, die jetzt einmal ins Freie kommen, und eine Stunde ohne Zuchtruthe verleben, wollen nicht mehr in die Klause. Denn das Freie ist jetzt nicht mehr eine Ergänzung zur Klause, nicht eine erfrischende Erholung, sondern sein Gegensatz, [262] ein aut – aut. Kurz der Staat darf sich entweder nichts mehr oder er muß sich Alles gefallen lassen und zu Grunde gehen; er muß entweder durchaus empfindlich, oder, wie ein gestorbener, unempfindlich sein. Mit der Toleranz ist's aus. Reicht er erst den Finger, so nimmt man gleich die ganze Hand. Da ist nicht mehr zu „spaßen“, und aller Spaß, wie Laune, Witz, Humor u. s. w. wird zum bittern Ernst.

Das Geschrei der „Freisinnigen“ um Preßfreiheit läuft gegen ihr eigenes Princip, ihren eigentlichen Willen. Sie wollen, was sie nicht wollen, d.h. sie wünschen, sie möchten gern. Daher fallen sie auch so leicht ab, wenn einmal sogenannte Preßfreiheit erscheint, dann möchten sie Censur. Ganz natürlich. Der Staat ist auch ihnen heilig, ebenso die Sitte u. s. w. Sie betragen sich nur als ungezogene Bälge gegen ihn, als pfiffige Kinder, welche die Schwäche der Aeltern zu benutzen suchen. Der Papa Staat soll ihnen erlauben, Manches zu sagen, was ihm nicht gefällt, aber der Papa hat Recht, ihnen durch einen strengen Blick einen Censurstrich in ihr vorlautes Gewäsch zu ziehen. Erkennen sie in ihm ihren Papa, so müssen sie sich in seiner Gegenwart die Censur der Rede gefallen lassen, wie jedes Kind.

 

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Läßt Du Dir von einem Andern Recht geben, so mußt Du nicht minder Dir von ihm Unrecht geben lassen; kommt Dir von ihm die Rechtfertigung und Belohnung, so erwarte auch seine Anklage und Strafe. Dem Rechte geht das Unrecht, der Gesetzlichkeit das Verbrechen zur Seite. Was bist Du? – Du bist ein – Verbrecher! [263]

„Der Verbrecher ist des Staates eigenstes Verbrechen!“ sagt Bettina 11). Man kann dieses Wort gelten lassen, wenn auch Bettina selbst es nicht gerade so versteht. Im Staate vermag nämlich das zügellose Ich, Ich, wie Ich Mir allein angehöre, nicht zu meiner Erfüllung und Verwirklichung zu kommen. Jedes Ich ist von Geburt schon ein Verbrecher gegen das Volk, den Staat. Daher überwacht er auch wirklich Alle, er sieht in Jedem einen – Egoisten, und vor dem Egoisten fürchtet er sich. Er setzt von Jedem das Schlimmste voraus, und hat Acht, polizeilich Acht, daß „dem Staat kein Schaden geschieht“, ne quid respublica detrimenti capiat. Das zügellose Ich – und das sind Wir ursprünglich, und in unserem geheimen Inneren bleiben Wir's stets – ist der nie aufhörende Verbrecher im Staate. Der Mensch, den seine Kühnheit, sein Wille, seine Rücksichtslosigkeit und Furchtlosigkeit leitet, der wird vom Staate, vom Volke mit Spionen umstellt. Ich sage, vom Volke! Das Volk – Ihr gutherzigen Leute, denkt Wunder, was Ihr an ihm habt – das Volk steckt durch und durch voll Polizeigesinnung. – Nur wer sein Ich verleugnet, wer „Selbstverleugnung“ übt, ist dem Volke angenehm.

Bettina ist im angeführten Buche durchweg gutmüthig genug, den Staat nur für krank zu halten und auf seine Genesung zu hoffen, eine Genesung, welche sie durch die „Demagogen“ 12) bewirken will; allein er ist nicht krank, sondern in voller Kraft, wenn er die Demagogen, die für die Einzelnen, für „Alle“ etwas erwerben wollen, von sich weist. Er ist in [264] seinen Gläubigen mit den besten Demagogen, Volksführern, versehen. Nach Bettina soll 13) „der Staat den Freiheitskeim der Menschheit entwickeln, sonst ist er Rabenmutter und sorgt auch für Rabenfutter!“ Er kann nicht anders, denn eben indem er für die „Menschheit“ sorgt (was übrigens schon der „humane“ oder „freie“ Staat sein müßte), ist der „Einzelne“ für ihn Rabenfutter. Wie richtig spricht dagegen der Bürgermeister 14): „Wie? der Staat habe keine andere Verpflichtung, als bloß der Verpfleger rettungsloser Kranker zu sein? – Das klappt nicht. Von jeher hat der gesunde Staat des kranken Stoffes sich entledigt, aber nicht sich damit gemischt. So ökonomisch braucht er nicht mit seinen Säften zu sein. Die Räuberäste ohne Zagen abgeschnitten, damit die andern blühen. – Man erbebe nicht über des Staates Härte, seine Moral, seine Politik und Religion weisen ihn darauf an; man beschuldige ihn keiner Gefühllosigkeit, sein Mitgefühl sträubt sich dagegen, aber seine Erfahrung findet nur in dieser Strenge Heil! – Es giebt Krankheiten, in welchen nur drastische Mittel helfen. Der Arzt, welcher die Krankheit als solche erkennt, aber zaghaft zu Palliativen greift, wird nie die Krankheit heben, wohl aber den Patienten nach kürzerem oder längerem Siechthum unterliegen machen!“ Die Frage der Frau Rath: „Wenn Sie den Tod als drastisches Mittel anwenden, wie ist da zu heilen?“ klappt nicht. Der Staat wendet den Tod ja nicht gegen sich an, sondern gegen ein ärgerliches Glied; er reißt ein Auge aus, das ihn ärgert u. s. w.

„Für den maladen Staat ist's der einzige Weg der Rettung, [265] den Menschen in ihm gedeihen zu lassen.“ 15) Versteht man hier, wie Bettina, unter dem Menschen den Begriff „Mensch“, so hat sie Recht: der „malade“ Staat wird durch das Gedeihen „des Menschen“ genesen, denn je vernarrter die Einzelnen in „den Menschen“ sind, desto besser steht sich der Staat dabei. Bezöge man's aber auf den Einzelnen, auf „Alle“ (und halb und halb thut dieß die Verfasserin gleichfalls, weil sie über „den Menschen“ im Unklaren stecken bleibt), so klänge es etwa, wie Folgendes: Für eine malade Räuberbande ist's der einzige Weg der Rettung, den loyalen Bürger in ihr gedeihen zu lassen! Darüber ginge ja eben die Räuberbande als Räuberbande zu Grunde, und weil sie das spürt, darum erschießt sie lieber Jeden, der einen Zug hat, ein „ordentlicher Kerl“ zu werden.

Bettina ist in diesem Buche eine Patriotin oder, was wenig mehr, eine Philanthropin, eine Menschenbeglückerin. Sie ist ganz in derselben Weise mit dem Bestehenden unzufrieden, wie es das Titelgespenst ihres Buches nebst Allen ist, die den guten, alten Glauben, und was daran hängt, zurückführen möchten. Nur denkt sie umgekehrt, die Politiker, Staatsdiener und Diplomaten verdürben den Staat, während jene dasselbe den Böswilligen, den „Volksverführern“ in die Schuhe schieben.

Was ist der gewöhnliche Verbrecher anders, als einer, der das verhängnißvolle Versehen begangen hat, nach dem zu streben, was des Volkes ist, statt nach dem Seinen zu suchen. Er hat das verächtliche, fremde Gut gesucht, hat gethan, was die Gläubigen thun: die nach dem trachten, was Gottes ist. Was thut der Priester, der den Verbrecher vermahnt? Er [266] stellt ihm das große Unrecht vor, das vom Staate Geheiligte, das Eigenthum desselben (wozu ja auch das Leben der Staatsangehörigen gerechnet werden muß) durch seine That entweiht zu haben; dafür könnte er ihm lieber vorhalten, daß er sich besudelt habe, indem er das Fremde nicht verachtete, sondern des Raubes werth hielt: er könnte es, wenn er nicht ein Pfaffe wäre. Redet mit dem sogenannten Verbrecher als mit einem Egoisten, und er wird sich schämen, nicht, daß er gegen eure Gesetze und Güter sich verging, sondern daß er eure Gesetze des Umgehens, eure Güter des Verlangens werth hielt; wird sich schämen, daß er Euch mitsammt dem Eurigen nicht – verachtete, daß er zu wenig Egoist war. Aber Ihr könnt nicht egoistisch mit ihm reden, denn Ihr seid nicht so groß wie ein Verbrecher, Ihr – verbrecht nichts! Ihr wißt nicht, daß ein eigenes Ich nicht ablassen kann, ein Verbrecher zu sein, daß das Verbrechen sein Leben ist. Und doch solltet Ihr's wissen, da Ihr glaubt, daß „wir allzumal Sünder sind“; aber Ihr denkt Euch über die Sünde wegzuschwindeln, Ihr begreift's nicht – denn Ihr seid teufelsfürchtig – daß die Schuld der Werth eines Menschen ist. O wäret Ihr schuldig! So aber seid Ihr „Gerechte“. Nun– macht eurem Herrn nur alles hübsch gerecht! Wenn das christliche Bewußtsein oder der Christenmensch ein Criminalgesetzbuch verfaßt, was kann da anders der Begriff des Verbrechens sein, als eben die – Herzlosigkeit. Jede Trennung und Kränkung eines herzlichen Verhältnisses, jedes herzlose Verhalten gegen ein heiliges Wesen ist Verbrechen. Je herzlicher das Verhältniß sein soll, desto schreiender ist seine Verhöhnung, desto strafwürdiger das Verbrechen. Den Herrn soll Jeder, der ihm unterthan ist, lieben: diese Liebe zu verleugnen, ist ein todeswürdiger Hochverrath. [267] Der Ehebruch ist eine strafwürdige Herzlosigkeit, man hat kein Herz, keine Begeisterung, kein Pathos für die Heiligkeit der Ehe. So lange das Herz oder Gemüth Gesetze dictirt, genießt nur der herzliche oder gemüthliche Mensch den Schutz der Gesetze. Daß der Gemüthsmensch die Gesetze gebe, heißt eigentlich nur, der sittliche Mensch gebe sie: was dem „sittlichen Gefühl“ dieser Menschen widerspricht, das verpönen sie. Wie sollte z. B. Untreue, Abfall, Eidbrüchigkeit, kurz alles radicale Abbrechen, alles Zerreißen altehrwürdiger Bande in den Augen derselben nicht heillos und verbrecherisch sein? Wer mit diesen Forderungen des Gemüthes bricht, der hat alle Sittlichen, alle Gemüthsmenschen zu Feinden. Nur die Krummacher und Consorten sind die rechten Leute, um einen Strafcodex des Herzens consequent aufzustellen, wie ein gewisser Gesetzentwurf zur Genüge beweist. Die consequente Gesetzgebung des christlichen Staates muß ganz in die Hände der – Pfaffen gelegt werden, und wird nicht rein und folgerichtig werden, so lange sie nur von – Pfaffendienern, die immer nur halbe Pfaffen sind, ausgearbeitet wird. Dann erst wird jede Ungemüthlichkeit, jede Herzlosigkeit als ein unverzeihliches Verbrechen constatirt werden, dann erst jede Aufregung des Gemüths verdammlich, jede Einrede der Kritik und des Zweifels anathematisirt werden; dann erst ist der eigene Mensch vor dem christlichen Bewußtsein von Haus aus ein überführter – Verbrecher.

Die Revolutionsmänner sprachen oft von der „gerechten Rache“ des Volkes als seinem „Rechte“. Rache und Recht fallen hier zusammen. Ist dieß ein Verhalten eines Ich's zum Ich? Das Volk schreit, die Gegenpartei habe gegen dasselbe „Verbrechen“ begangen. Kann Ich annehmen, daß [268] Einer gegen Mich ein Verbrechen begehe, ohne anzunehmen, daß er handeln müsse, wie Ich's für gut finde? Und dieses Handeln nenne Ich das rechte, gute u. s. w.; das abweichende ein Verbrechen. Mithin denke Ich, die andern müßten auf dasselbe Ziel mit Mir losgehen, d. h. Ich behandele sie nicht als Einzige, die ihr Gesetz in sich selbst tragen und darnach leben, sondern als Wesen, die irgend einem „vernünftigen“ Gesetze gehorchen sollen. Ich stelle auf, was „der Mensch“ sei, und was „wahrhaft menschlich“ handeln heiße, und fordere von Jedem, daß ihm dieß Gesetz Norm und Ideal werde, widrigenfalls er sich als „Sünder und Verbrecher“ ausweise. Den „Schuldigen“ aber trifft die „Strafe des Gesetzes“! Man sieht hier, wie es wieder „der Mensch“ ist, der auch den Begriff des Verbrechens, der Sünde, und damit den des Rechts zu Wege bringt. Ein Mensch, in welchem Ich nicht „den Menschen“ erkenne, ist „ein Sünder, ein Schuldiger“.

Nur gegen ein Heiliges giebt es Verbrecher; Du gegen Mich kannst nie ein Verbrecher sein, sondern nur ein Gegner. Aber den, der ein Heiliges verletzt, nicht hassen, ist schon ein Verbrechen, wie St. Just gegen Danton ausruft: „Bist Du nicht ein Verbrecher und verantwortlich, daß Du nicht die Feinde des Vaterlandes gehaßt hast?“ –

Wird, wie in der Revolution, das, was „der Mensch“ sei, als „guter Bürger“ gefaßt, so giebt es von diesem Begriffe „des Menschen“ die bekannten „politischen Vergehen und Verbrechen“. In alle dem wird der Einzelne, der einzelne Mensch, als Auswurf betrachtet, und dagegen der allgemeine Mensch, „der Mensch“ honorirt. Je nachdem nun dieß Gespenst benannt wird, wie Christ, Jude, Muselmann, guter Bürger, loyaler Unterthan, Freier, Patriot u. s. w., je nachdem fallen sowohl [269] die, welche einen abweichenden Begriff vom Menschen durchführen möchten, als diejenigen, welche sich durchsetzen wollen, vor dem siegreichen „Menschen“.

Und mit welcher Salbung wird hier im Namen des Gesetzes, des souverainen Volkes, Gottes u. s. w. geschlachtet. Wenn nun die Verfolgten sich vor den strengen, pfäffischen Richtern listig verbergen und wahren, so schilt man sie „Heuchler“, wie St. Just z. B. diejenigen, welche er in der Rede gegen Danton anklagt. 16) Man soll ein Narr sein und sich ihrem Moloch überliefern.

Aus fixen Ideen entstehen die Verbrechen. Die Heiligkeit der Ehe ist eine fixe Idee. Aus der Heiligkeit folgt, daß die Untreue ein Verbrechen ist, und es setzt daher ein gewisses Ehegesetz eine kürzere oder längere Strafe darauf. Aber diese Strafe muß von denen, welche die „Freiheit als heilig“ ausrufen, als ein Verbrechen wider die Freiheit angesehen werden, und nur in diesem Sinne hat auch die öffentliche Meinung das Ehegesetz gebrandmarkt.

Die Gesellschaft will zwar haben, daß Jeder zu seinem Rechte komme, aber doch nur zu dem von der Gesellschaft sanctionirten, dem Gesellschaftsrechte, nicht wirklich zu seinem Rechte. Ich aber gebe oder nehme Mir das Recht aus eigener Machtvollkommenheit, und gegen jede Uebermacht bin Ich der unbußfertigste Verbrecher. Eigener und Schöpfer meines Rechts – erkenne ich keine andere Rechtsquelle als – Mich, weder Gott, noch den Staat, noch die Natur, noch auch den Menschen selbst mit seinen „ewigen Menschenrechten“, weder göttliches noch menschliches Recht. [270]

Recht „an und für sich“. Also ohne Beziehung auf Mich! „Absolutes Recht“. Also getrennt von Mir! Ein an und für sich Seiendes! Ein Absolutes! Ein ewiges Recht, wie eine ewige Wahrheit!

Das Recht soll nach liberaler Vorstellungsweise für Mich verbindlich sein, weil es durch die menschliche Vernunft so eingesetzt ist, gegen welche meine Vernunft die „Unvernunft“ ist. Früher eiferte man im Namen der göttlichen Vernunft gegen die schwache menschliche, jetzt im Namen der starken menschlichen gegen die egoistische, die als „Unvernunft“ verworfen wird. Und doch ist keine andere wirklich als gerade diese „Unvernunft“. Weder die göttliche noch die menschliche Vernunft, sondern allein deine und meine jedesmalige Vernunft ist wirklich, wie und weil Du und Ich es sind.

Der Gedanke des Rechts ist ursprünglich mein Gedanke oder er hat seinen Ursprung in Mir. Ist er aber aus Mir entsprungen, ist das „Wort“ heraus, so ist es „Fleisch geworden“, eine fixe Idee. Ich komme nun von dem Gedanken nicht mehr los; wie Ich Mich drehe, er steht vor Mir. So sind die Menschen des Gedankens „Recht“, den sie selber erschufen, nicht wieder Meister geworden: die Creatur geht mit ihnen durch. Das ist das absolute Recht, das von Mir absolvirte oder abgelöste. Wir können es, indem Wir's als absolutes verehren, nicht wieder aufzehren, und es benimmt Uns die Schöpferkraft; das Geschöpf ist mehr als der Schöpfer, ist „an und für sich“.

Laß das Recht einmal nicht mehr frei umherlaufen, zieh' es in seinen Ursprung, in Dich, zurück, so ist es dein Recht, und recht ist, was Dir recht ist. [271]

 

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Einen Angriff hat das Recht innerhalb seiner, d. h. vom Standpunkte des Rechtes aus erleben müssen, indem von Seiten des Liberalismus dem „Vorrecht“ der Krieg erklärt wurde.

Bevorrechtet und Gleichberechtigt – um diese beiden Begriffe dreht sich ein hartnäckiger Kampf. Ausgeschlossen oder zugelassen – würde dasselbe sagen. Wo gäbe es aber eine Macht, sei es eine imaginäre, wie Gott, Gesetz, oder eine wirkliche, wie Ich, Du, – vor der nicht alle „gleichberechtigt“ wären, d. h. kein Ansehen der Person gölte? Gott ist jeder gleich lieb, wenn er ihn anbetet, dem Gesetze gleich genehm, wenn er nur ein Gesetzlicher ist: ob der Liebhaber Gottes oder des Gesetzes bucklig und lahm, ob arm oder reich u. dergl., das macht Gott und dem Gesetze nichts aus; ebenso wenn Du ertrinken willst, ist Dir als Retter ein Neger so lieb als der trefflichste Caucasier, ja ein Hund gilt Dir in dieser Lage nicht weniger als ein Mensch. Aber wem wäre auch umgekehrt nicht jeder ein Bevorzugter oder Zurückgesetzter? Gott straft die Bösen mit seinem Grimm, das Gesetz züchtigt die Ungesetzlichen, Du lässest Dich vom Einen jeden Augenblick sprechen und weisest dem Andern die Thür.

Die „Gleichheit des Rechts“ ist eben ein Phantom, weil Recht nichts mehr und nichts minder als Zulassung, d. h. eine Gnadensache ist, die man sich übrigens auch durch sein Verdienst erwerben kann: denn Verdienst und Gnade widersprechen einander nicht, da auch die Gnade „verdient“ sein will und unser gnädiges Lächeln nur Dem zufällt, der es Uns abzuzwingen weiß.

So träumt man davon, daß „alle Staatsbürger gleichberechtigt neben einander stehen sollen“. Als Staatsbürger [272] sind sie dem Staate gewiß alle gleich; schon nach seinen besonderen Zwecken aber wird er sie theilen und bevorzugen oder hintansetzen, mehr jedoch muß er sie noch als gute und schlechte Staatsbürger von einander unterscheiden.

Br. Bauer erledigt die Judenfrage von dem Gesichtspunkte aus, daß das „Vorrecht“ nicht berechtigt sei. Weil Jude und Christ, jeder etwas vor dem andern voraushaben, und in diesem Voraushaben ausschließlich sind, darum zerfallen sie vor dem Blick des Kritikers in Nichtigkeit. Mit ihnen trifft der gleiche Tadel den Staat, der ihr Voraushaben berechtigt und zu einem „Vorrecht“ oder Privilegium ausprägt, dadurch aber sich den Beruf, ein „freier Staat“ zu werden, verkümmert.

Etwas hat nun aber Jeder vor dem Andern voraus, nämlich sich selbst oder seine Einzigkeit: darin bleibt Jedermann ausschließlich oder exclusiv.

Und wieder macht Jeder von einem Dritten seine Eigenthümlichkeit so gut als möglich geltend und sucht vor ihm, wenn er anders ihn gewinnen will, diese anziehend erscheinen zu lassen.

Soll nun der Dritte gegen den Unterschied des Einen vom Andern unempfindlich sein? Verlangt man das vom freien Staate oder von der Menschheit? Dann müßten diese schlechterdings ohne eigenes Interesse sein, und unfähig, für irgendwen eine Theilnahme zu fassen. So gleichgültig dachte man sich weder Gott, der die Seinen von den Bösen scheidet, noch den Staat, der die guten Bürger von den schlechten zu trennen weiß.

Aber man sucht eben diesen Dritten, der kein „Vorrecht“ mehr ertheilt. Der heißt dann etwa der freie Staat oder die Menschheit oder wie sonst. [273]

Da Christ und Jude deshalb von Br. Bauer niedrig gestellt werden, weil sie Vorrechte behaupten, müßten sie durch Selbstverleugnung oder Uneigennützigkeit aus ihrem beschränkten Standpunkte sich befreien können und sollen. Streiften sie ihren „ Egoismus“ ab, so hörte das gegenseitige Unrecht und mit ihm überhaupt die christliche und jüdische Religiosität auf: es brauchte nur keiner von ihnen etwas Apartes mehr sein zu wollen.

Gäben sie aber diese Ausschließlichkeit auf, so wäre damit wahrlich der Boden, auf dem ihre Feindschaft geführt wurde, noch nicht verlassen. Sie fänden allenfalls ein Drittes, worin sie sich vereinigen könnten, eine „ allgemeine Religion“, eine „Religion der Menschlichkeit“ u. dergl., kurz eine Ausgleichung, die nicht besser zu sein brauchte als jene, wenn alle Juden Christen würden, wodurch gleichfalls das „Vorrecht“ des Einen vor dem Andern ein Ende nähme. Es wäre zwar die Spannung beseitigt, allein in dieser bestand nicht das Wesen der beiden, sondern nur ihre Nachbarschaft. Als Unterschiedene mußten sie nothwendig gespannt sein, und die Ungleichheit wird immer bleiben. Das ist wahrhaftig nicht dein Fehler, daß Du gegen Mich Dich spannst und deine Absonderlichkeit oder Eigenthümlichkeit behauptest: Du brauchst nicht nachzugeben oder Dich selbst zu verleugnen.

Man faßt die Bedeutung des Gegensatzes zu formell und schwächlich auf, wenn man ihn nur „auflösen“ will, um für ein Drittes „Vereinigendes“ Raum zu machen. Der Gegensatz verdient vielmehr verschärft zu werden. Als Jude und Christ seid Ihr in einem zu geringen Gegensatz und streitet Euch bloß um die Religion, gleichsam um Kaisers Bart, um eine Lappalie. In der Religion zwar Feinde, bleibt Ihr [274] im Uebrigen doch gute Freunde und z.B. als Menschen einander gleich. Gleichwohl ist auch das Uebrige in Jedem ungleich, und Ihr werdet euren Gegensatz erst dann nicht länger bloß verhehlen, wenn Ihr ihn ganz anerkennt, und Jedermann vom Wirbel bis zur Zehe sich als einzig behauptet. Dann wird der frühere Gegensatz allerdings ausgelöst sein, aber nur deshalb, weil ein stärkerer ihn in sich aufgenommen hat.

Nicht darin besteht unsere Schwäche, daß Wir gegen Andere im Gegensatze sind, sondern darin, daß Wir's nicht vollständig sind, d.h. daß Wir nicht gänzlich von ihnen geschieden sind, oder daß Wir eine „Gemeinschaft“, ein „Band“ suchen, daß Wir an der Gemeinschaft ein Ideal haben. Ein Glaube, Ein Gott, Eine Idee, Ein Hut für Alle! Würden Alle unter Einen Hut gebracht, so brauchte freilich keiner vor dem andern den Hut noch abzunehmen.

Der letzte und entschiedenste Gegensatz, der des Einzigen gegen den Einzigen, ist im Grunde über das, was Gegensatz heißt, hinaus, ohne aber in die „Einheit“ und Einigkeit zurückgesunken zu sein. Du hast als Einziger nichts Gemeinsames mehr mit dem Andern und darum auch nichts Trennendes oder Feindliches; Du suchst nicht gegen ihn vor einem Dritten Recht und stehst mit ihm weder auf dem „Rechtsboden“, noch sonst einem gemeinschaftlichen Boden. Der Gegensatz verschwindet in der vollkommenen – Geschiedenheit oder Einzigkeit. Diese könnte zwar für das neue Gemeinsame oder eine neue Gleichheit angesehen werden, allein die Gleichheit besteht hier eben in der Ungleichheit und ist selbst nichts als Ungleichheit: eine gleiche Ungleichheit, und zwar nur für denjenigen, der eine „Vergleichung“ anstellt. [275]

Die Polemik wider das Vorrecht bildet einen Charakterzug des Liberalismus, der gegen das „Vorrecht“ pocht, weil er sich auf das „Recht“ beruft. Weiter als zum Pochen kann er's darin nicht bringen; denn die Vorrechte fallen nicht eher, als das Recht fällt, da sie nur Arten des Rechtes sind. Das Recht aber zerfällt in sein Nichts, wenn es von der Gewalt verschlungen wird, d. h. wenn man begreift, was es heißt: Gewalt geht vor Recht. Alles Recht erklärt sich dann als Vorrecht, und das Vorrecht selber als Macht, als – Uebermacht.

Muß aber der mächtige Kampf gegen die Uebermacht nicht ein ganz anderes Antlitz zeigen, als der bescheidene Kampf gegen das Vorrecht, der vor einem ersten Richter, dem „Rechte“, nach des Richters Sinn auszufechten ist?

 

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Zum Schlusse muß Ich nun noch die halbe Ausdrucksweise zurücknehmen, von der Ich nur so lange Gebrauch machen wollte, als Ich noch in den Eingeweiden des Rechtes wühlte, und das Wort wenigstens bestehen ließ. Es verliert aber in der That mit dem Begriffe auch das Wort seinen Sinn. Was Ich „mein Recht“ nannte, das ist gar nicht mehr „Recht“, weil Recht nur von einem Geiste ertheilt werden kann, sei es der Geist der Natur oder der der Gattung, der Menschheit, der Geist Gottes oder der Sr. Heiligkeit oder Sr. Durchlaucht u. s. w. Was Ich ohne einen berechtigenden Geist habe, das habe Ich ohne Recht, habe es einzig und allein durch meine Macht.

Ich fordere kein Recht, darum brauche Ich auch keins anzuerkennen. Was Ich Mir zu erzwingen vermag, erzwinge [276] Ich Mir, und was Ich nicht erzwinge, darauf habe Ich kein Recht, noch brüste oder tröste ich Mich mit meinem unverjährbaren Rechte.

Mit dem absoluten Rechte vergeht das Recht selbst, wird die Herrschaft des „Rechtsbegriffes“ zugleich getilgt. Denn es ist nicht zu vergessen, daß seither Begriffe, Ideen oder Principien Uns beherrschten, und daß unter diesen Herrschern der Rechtsbegriff oder der Begriff der Gerechtigkeit eine der bedeutendsten Rollen spielte.

Berechtigt oder Unberechtigt – darauf kommt Mir's nicht an; bin Ich nur mächtig, so bin Ich schon von selbst ermächtigt und bedarf keiner anderen Ermächtigung oder Berechtigung.

Recht – ist ein Sparren, ertheilt von einem Spuk; Macht – das bin Ich selbst, Ich bin der Mächtige und Eigner der Macht. Recht ist über Mir, ist absolut, und existirt in einem Höheren, als dessen Gnade Mir's zufließt: Recht ist eine Gnadengabe des Richters; Macht und Gewalt existirt nur in Mir, dem Mächtigen und Gewaltigen.

 

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2.  Mein Verkehr.

 

In der Gesellschaft, der Societät, kann höchstens die menschliche Forderung befriedigt werden, indeß die egoistische stets zu kurz kommen muß.

Weil es kaum Jemand entgehen kann, daß die Gegenwart für keine Frage einen so lebendigen Antheil zeigt, als für die „sociale“, so hat man auf die Gesellschaft besonders [277] sein Augenmerk zu richten. Ja, wäre das daran gefaßte Interesse weniger leidenschaftlich und verblendet, so würde man über die Gesellschaft nicht so sehr die Einzelnen darin aus den Augen verlieren, und erkennen, daß eine Gesellschaft nicht neu werden kann, so lange diejenigen, welche sie ausmachen und constituiren, die alten bleiben. Sollte z. B. im jüdischen Volke eine Gesellschaft entstehen, welche einen neuen Glauben über die Erde verbreitete, so durften diese Apostel doch keine Pharisäer bleiben.

Wie Du bist, so giebst Du Dich, so benimmst Du Dich gegen die Menschen: ein Heuchler als Heuchler, ein Christ als Christ. Darum bestimmt den Charakter einer Gesellschaft der Charakter ihrer Mitglieder: sie sind die Schöpfer derselben. So viel müßte man wenigstens einsehen, wenn man auch den Begriff „Gesellschaft“ selbst nicht Prüfen wollte.

Immer fern davon, Sich zur vollen Entwicklung und Geltung kommen zu lassen, haben die Menschen bisher auch ihre Gesellschaften nicht auf Sich gründen, oder vielmehr, sie haben nur „Gesellschaften“ gründen und in Gesellschaften leben können. Es waren die Gesellschaften immer Personen, mächtige Personen, sogenannte „moralische Personen“, d. h. Gespenster, vor welchen der Einzelne den angemessenen Sparren, die Gespensterfurcht, hatte. Als solche Gespenster können sie am füglichsten mit dem Namen „Volk“ und respective „Völkchen“ bezeichnet werden: das Volk der Erzväter, das Volk der Hellenen u. s. w., endlich das – Menschenvolk, die Menschheit (Anacharsis Cloots schwärmte für die „Nation“ der Menschheit), dann jegliche Unterabtheilung dieses „Volkes“, das seine besonderen Gesellschaften haben konnte und mußte, das spanische, französische Volk u. s. w., innerhalb desselben [278] wieder die Stände, die Städte, kurz allerlei Körperschaften, zuletzt in äußerster Zuspitzung das kleine Völkchen der – Familie. Statt zu sagen, die spukende Person aller bisherigen Gesellschaften sei das Volk gewesen, könnten daher auch die beiden Extreme genannt werden, nämlich entweder die „Menschheit“ oder die „Familie“, beide die „naturwüchsigsten Einheiten“. Wir wählen das Wort „Volk“, weil man seine Abstammung mit dem griechischen Polloi, den „Vielen“ oder der „Menge“ zusammengebracht hat, mehr aber noch deshalb, weil die „nationalen Bestrebungen“ heute an der Tagesordnung sind, und weil auch die neuesten Empörer diese trügerische Person noch nicht abgeschüttelt haben, obwohl andererseits die letztere Erwägung dem Ausdruck „Menschheit“ den Vorzug geben müßte, da man von allen Seiten drauf und dran ist, für die „Menschheit“ zu schwärmen.

Also das Volk, – die Menschheit oder die Familie –, haben seither, wie es scheint, Geschichte gespielt: kein egoistisches Interesse sollte in diesen Gesellschaften aufkommen, sondern lediglich allgemeine, nationale oder Volksinteressen, Standesinteressen, Familieninteressen und „allgemein menschliche Interessen“. Wer aber hat die Völker, deren Untergang die Geschichte erzählt, zu Fall gebracht? Wer anders als der Egoist, der seine Befriedigung suchte! Schlich sich einmal ein egoistisches Interesse ein, so war die Gesellschaft „verdorben“ und ging ihrer Auflösung entgegen, wie z. B. das Römerthum beweist mit seinem ausgebildeten Privatrecht, oder das Christenthum mit der unaufhaltsam hereinbrechenden „vernünftigen Selbstbestimmung“, dem „Selbstbewußtsein“, der „Autonomie des Geistes“ u. s. w.

Das Christenvolk hat zwei Gesellschaften hervorgebracht, [279] deren Dauer mit dem Bestande jenes Volkes ein gleiches Maaß behalten wird: es sind dieß die Gesellschaften: Staat und Kirche. Können sie ein Verein von Egoisten genannt werden? Verfolgen Wir in ihnen ein egoistisches, persönliches, eigenes, oder verfolgen Wir ein volksthümliches (volkliches, d.h. ein Interesse des Christen-Volkes), nämlich ein staatliches und kirchliches Interesse? Kann und darf Ich in ihnen Ich selbst sein? Darf Ich denken und handeln wie Ich will, darf Ich Mich offenbaren, ausleben, bethätigen? Muß Ich nicht die Majestät des Staates, die Heiligkeit der Kirche unangetastet lassen?

Wohl, Ich darf nicht, wie Ich will. Aber werde Ich in irgend einer Gesellschaft eine so ungemessene Freiheit des Dürfens finden? Allerdings nein! Mithin könnten Wir ja wohl zufrieden sein? Mit nichten! Es ist ein Anderes, ob Ich an einem Ich abpralle, oder an einem Volke, einem Allgemeinen. Dort bin Ich der ebenbürtige Gegner meines Gegners, hier ein verachteter, gebundener, bevormundeter; dort steh' Ich Mann gegen Mann, hier bin Ich ein Schulbube, der gegen seinen Cameraden nichts ausrichten kann, weil dieser Vater und Mutter zu Hülfe gerufen und sich unter die Schürze verkrochen hat, während Ich als ungezogener Junge ausgescholten werde und nicht „raisonniren“ darf; dort kämpfe Ich gegen einen leibhaftigen Feind, hier gegen die Menschheit, gegen ein Allgemeines, gegen eine „Majestät“, gegen einen Spuk. Mir aber ist keine Majestät, nichts Heiliges eine Schranke, nichts, was Ich zu bewältigen weiß. Nur was Ich nicht bewältigen kann, das beschränkt noch meine Gewalt, und Ich von beschränkter Gewalt bin zeitweilig ein beschränktes Ich, nicht beschränkt durch die Gewalt außer Mir, sondern [280] beschränkt durch die noch mangelnde eigene Gewalt, durch die eigene Ohnmacht. Allein „die Garde stirbt, doch sie ergiebt sich nicht!“ Vor Allem nur einen leibhaftigen Gegner!

 

Mit jedem Gegner wag' ich's,

Den ich kann sehen und ins Auge fassen,

Der, selbst voll Muth, auch mir den Muth entflammt u. s. w.

 

Viele Privilegien sind freilich mit der Zeit vertilgt worden, allein lediglich um des Gemeinwohls, um des Staates und Staatswohls willen, keineswegs zur Stärkung Meiner. Die Erbunterthänigkeit z. B. wurde nur aufgehoben, damit ein einziger Erbherr, der Herr des Volkes, die monarchische Macht, gestärkt werde: die Erbunterthänigkeit unter dem Einen wurde dadurch noch straffer. Nur zu Gunsten des Monarchen, er heiße: „Fürst“ oder „Gesetz“, sind die Privilegien gefallen. In Frankreich sind die Bürger zwar nicht Erbunterthanen des Königs, dafür aber Erbunterthanen des „Gesetzes“ (der Charte). Unterordnung wurde beibehalten, nur erkannte der christliche Staat, daß der Mensch nicht zweien Herren dienen könne (dem Gutsherrn und dem Fürsten u. s. w.); darum erhielt Einer alle Vorrechte; er kann nun wieder einen über den andern stellen, kann „Hochgestellte“ machen.

Was aber kümmert Mich das Gemeinwohl? Das Gemeinwohl als solches ist nicht mein Wohl, sondern nur die äußerste Spitze der Selbstverleugnung. Das Gemeinwohl kann laut jubeln, während Ich „kuschen“ muß, der Staat glänzen, indeß Ich darbe. Worin anders liegt die Thorheit der politischen Liberalen, als darin, daß sie das Volk der Regierung entgegensetzen und von Volksrechten sprechen? Da soll denn das Volk mündig sein u. s. w. Als könnte [281] mündig sein, wer keinen Mund hat! Nur der Einzelne vermag mündig zu sein. So wird die ganze Frage der Preßfreiheit auf den Kopf gestellt, wenn sie als ein „Volksrecht“ in Anspruch genommen wird. Sie ist nur ein Recht oder besser die Gewalt des Einzelnen. Hat ein Volk Preßfreiheit, so habe Ich, obwohl mitten in diesem Volke, sie nicht: eine Volksfreiheit ist nicht meine Freiheit, und die Preßfreiheit als Volksfreiheit muß ein gegen Mich gerichtetes Preßgesetz zur Seite haben.

Dieß muß überhaupt gegen die heurigen Freiheitsbestrebungen geltend gemacht werden:

Volksfreiheit ist nicht meine Freiheit!

Lassen Wir die Kategorie: Volksfreiheit und Volksrecht gelten, z. B. das Volksrecht, daß Jedermann Waffen tragen darf. Verwirkt man denn nicht ein solches Recht? Sein eigenes Recht kann man nicht verwirken, wohl aber ein Recht, das nicht Mir, sondern dem Volke gehört. Ich kann eingesperrt werden um der Volksfreiheit willen, kann als Sträfling des Waffenrechts verlustig gehen.

Der Liberalismus erscheint als der letzte Versuch einer Schöpfung der Volksfreiheit, einer Freiheit der Gemeinde, der „Gesellschaft“, des Allgemeinen, der Menschheit, der Traum einer mündigen Menschheit, eines mündigen Volkes, einer mündigen Gemeinde, einer mündigen „Gesellschaft“.

Ein Volk kann nicht anders, als auf Kosten des Einzelnen frei sein; denn nicht der Einzelne ist bei dieser Freiheit die Hauptsache, sondern das Volk. Je freier das Volk, desto gebundener der Einzelne: das athenische Volk schuf gerade zur freiesten Zeit den Ostracismus, verbannte die Atheisten, vergiftete den redlichsten Denker. [282]

Wie rühmt man nicht Sokrates über seine Gewissenhaftigkeit, die ihn dem Rache, aus dem Kerker zu entweichen, widerstehen läßt. Er ist ein Thor, daß er den Athenern ein Recht einräumt, ihn zu verurtheilen. Darum geschieht ihm allerdings Recht; warum bleibt er auch mit den Athenern auf gleichem Boden stehen! Warum bricht er nicht mit ihnen? Hätte er gewußt und wissen können, was er war, er hätte solchen Richtern keinen Anspruch, kein Recht eingeräumt. Daß er nicht entfloh, war eben seine Schwachheit, sein Wahn, mit den Athenern noch Gemeinsames zu haben, oder die Meinung, er sei ein Glied, ein bloßes Glied dieses Volkes. Er war aber vielmehr dieses Volk selbst in Person und konnte nur sein eigener Richter sein. Es gab keinen Richter über ihm; wie er selbst denn wirklich einen offenen Richterspruch über sich gefällt und sich des Prytaneums werth erachtet hatte. Dabei mußte er bleiben, und wie er kein Todesurtheil gegen sich ausgesprochen hatte, so auch das der Athener verachten und entfliehen. Aber er ordnete sich unter und erkannte in dem Volke seinen Richter, dünkte sich klein vor der Majestät des Volkes. Daß er sich der Gewalt, welcher er allein unterliegen konnte, als einem „Rechte“ unterwarf, war Verrath an ihm selbst: es war Tugend. Christus, welcher sich angeblich der Macht über seine himmlischen Legionen enthielt, wird dadurch von den Erzählern die gleiche Bedenklichkeit zugeschrieben. Luther that sehr wohl und klug, sich die Sicherheit seines Wormser Zuges verbriefen zu lassen, und Sokrates hätte wissen sollen, daß die Athener seine Feinde seien, er allein sein Richter. Die Selbsttäuschung von einem „Rechtszustande, Gesetze“ u. s. w. mußte der Einsicht weichen, daß das Verhältniß ein Verhältniß der Gewalt sei. [283]

Mit Rabulisterei und Intriguen endigte die griechische Freiheit. Warum? Weil die gewöhnlichen Griechen noch viel weniger jene Consequenz erreichen konnten, die nicht einmal ihr Gedankenheld Sokrates zu ziehen vermochte. Was ist denn Rabulisterei anders, als eine Art, ein Bestehendes auszunutzen, ohne es abzuschaffen? Ich könnte hinzusetzen „zu eigenem Nutzen“, aber es liegt ja in „Ausnutzung“. Solche Rabulisten sind die Theologen, die Gottes Wort „drehen und deuteln“; was hätten sie zu drehen, wenn das „bestehende“ Gotteswort nicht wäre? So diejenigen Liberalen, die an dem „Bestehenden“ nur rütteln und drehen. Alle sind sie Verdreher gleich jenen Rechtsverdrehern. Sokrates erkannte das Recht, das Gesetz an; die Griechen behielten fortwährend die Autorität des Gesetzes und Rechtes bei. Wollten sie bei dieser Anerkenntniß gleichwohl ihren Nutzen, wollte Jeder den seinigen behaupten, so mußten sie ihn eben in der Rechtsverdrehung oder Intrigue suchen. Alcibiades, ein genialer Intriguant, leitet die Periode des atheniensischen „Verfalls“ ein; der Spartaner Lysander und Andere zeigen, daß die Intrigue allgemein griechisch geworden. Das griechische Recht, worauf die griechischen Staaten ruhten, mußte von den Egoisten innerhalb dieser Staaten verdreht und untergraben werden, und es gingen die Staaten zu Grunde, damit die Einzelnen frei wurden, das griechische Volk fiel, weil die Einzelnen aus diesem Volke sich weniger machten, als aus sich. Es sind überhaupt alle Staaten, Verfassungen, Kirchen u. s. w. an dem Austritt der Einzelnen untergegangen; denn der Einzelne ist der unversöhnliche Feind jeder Allgemeinheit, jedes Bandes, d. h. jeder Fessel. Dennoch wähnt man bis auf den heutigen Tag, „heilige Bande“ brauche der Mensch, er, [284] der Todfeind jedes „Bandes“. Die Weltgeschichte zeigt, daß noch kein Band unzerissen blieb, zeigt, daß der Mensch sich unermüdet gegen Bande jeder Art wehrt, und dennoch sinnt man verblendet wieder und wieder auf neue Bande, und meint z. B. bei dem rechten angekommen zu sein, wenn man ihm das Band einer sogenannten freien Verfassung, ein schönes, constitutionnelles Band anlegt: die Ordensbänder, die Bande des Vertrauens zwischen „– – –“ scheinen nachgerade zwar etwas mürbe geworden zu sein, aber weiter als vom Gängelbande zum Hosen- und Halsbande hat man's nicht gebracht.

Alles Heilige ist ein Band, eine Fessel.

Alles Heilige wird und muß verdreht werden von Rechtsverdrehern; darum hat unsere Gegenwart in allen Sphären solche Verdreher in Menge. Sie bereiten den Rechtsbruch, die Rechtlosigkeit vor.

Arme Athener, die man der Rabulisterei und Sophistik, armer Alcibiades, den man der Intrigue anklagt. Das war ja eben euer Bestes, euer erster Freiheitsschritt. Eure Aeschylus, Herodot u. s. w. wollten nur ein freies griechisches Volk haben; Ihr erst ahndetet etwas von eurer Freiheit.

Ein Volk unterdrückt diejenigen, welche über seine Majestät hinausragen, durch den Ostracismus gegen die übermächtigen Bürger, durch die Inquisition gegen die Ketzer der Kirche, durch die – Inquisition gegen die Hochverräther im Staate u. s. w.

Denn dem Volke kommt es nur auf seine Selbstbehauptung an; es fordert „patriotische Aufopferung“ von Jedem. Mithin ist ihm Jeder für sich gleichgültig, ein Nichts, und es kann nicht machen, nicht einmal leiden, was der Einzelne [285] und nur dieser machen muß, nämlich seine Verwerthung. Ungerecht ist jedes Volk, jeder Staat gegen den Egoisten.

So lange auch nur Eine Institution noch besteht, welche der Einzelne nicht auflösen darf, ist die Eigenheit und Selbstangehörigkeit Meiner noch sehr fern. Wie kann Ich z. B. frei sein, wenn Ich eidlich an eine Constitution, eine Charte, ein Gesetz Mich binden, meinem Volke „Leib und Seele verschwören“ muß? Wie kann Ich eigen sein, wenn meine Fähigkeiten sich nur so weit entwickeln dürfen, als sie die „Harmonie der Gesellschaft nicht stören“ (Weitling).

Der Untergang der Völker und der Menschheit wird Mich zum Aufgange einladen.

Horch, eben da Ich dieß schreibe, fangen die Glocken an zu läuten, um für den morgenden Tag die Feier des tausendjährigen Bestandes unseres lieben Deutschlands einzuklingeln. Läutet, läutet seinen Grabgesang! Ihr klingt ja feierlich genug, als bewegte eure Zunge die Ahnung, daß sie einem Todten das Geleit gebe. Deutsches Volk und deutsche Völker haben eine Geschichte von tausend Jahren hinter sich: welch langes Leben! Geht denn ein zur Ruhe, zum Nimmerauferstehen, auf daß Alle frei werden, die Ihr so lange in Fesseln hieltet. – Todt ist das Volk. – Wohlauf Ich!

O Du mein vielgequältes, deutsches Volk – was war deine Qual? Es war die Qual eines Gedankens, der keinen Leib sich erschaffen kann, die Qual eines spukenden Geistes, der vor jedem Hahnenschrei in nichts zerrinnt und doch nach Erlösung und Erfüllung schmachtet. Auch in Mir hast Du lange gelebt, Du lieber – Gedanke, Du lieber – Spuk. Fast wähnte Ich schon das Wort deiner Erlösung gefunden, für den irrenden Geist Fleisch und Bein entdeckt zu haben: da [286] höre Ich sie läuten, die Glocken, die Dich zur ewigen Ruhe bringen, da verhallt die letzte Hoffnung, da summt die letzte Liebe aus, da scheide Ich aus dem öden Hause der Verstorbenen und kehre ein zu den – Lebendigen:

Denn allein der Lebende hat Recht. Fahre wohl, Du Traum so vieler Millionen, fahre wohl, Du tausendjährige Tyrannin deiner Kinder!

Morgen trägt man Dich zu Grabe; bald werden deine Schwestern, die Völker, Dir folgen. Sind sie aber alle gefolgt, so ist – – die Menschheit begraben, und Ich bin mein eigen, Ich bin der lachende Erbe!

 

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Das Wort „Gesellschaft“ hat seinen Ursprung in dem Worte „Sal“. Schließt Ein Saal viele Menschen ein, so macht's der Saal, daß diese Menschen in Gesellschaft sind. Sie sind in Gesellschaft und machen höchstens eine Salon- Gesellschaft aus, indem sie in den herkömmlichen Salon-Redensarten sprechen. Wenn es zu wirklichem Verkehr kommt, so ist dieser als von der Gesellschaft unabhängig zu betrachten, der eintreten oder fehlen kann, ohne die Natur dessen, was Gesellschaft heißt, zu alteriren. Eine Gesellschaft sind die im Saale Befindlichen auch als stumme Personen, oder wenn sie sich lediglich in leeren Höflichkeitsphrasen abspeisen. Verkehr ist Gegenseitigkeit, ist die Handlung, das commercium der Einzelnen; Gesellschaft ist nur Gemeinschaftlichkeit des Saales, und in Gesellschaft befinden sich schon die Statüen eines Museum-Saales, sie sind „gruppirt“. Man pflegt wohl zu sagen: „man habe diesen Saal gemeinschaftlich inne“, es ist aber vielmehr so, daß der Saal Uns inne oder in sich hat. So [287] weit die natürliche Bedeutung des Wortes Gesellschaft. Es stellt sich dabei heraus, daß die Gesellschaft nicht durch Mich und Dich erzeugt wird, sondern durch ein Drittes, welches aus Uns beiden Gesellschafter macht, und daß eben dieses Dritte das Erschaffende, das Gesellschaft Schaffende ist.

Ebenso eine Gefängniß-Gesellschaft oder Gefängniß-Genossenschaft (die dasselbe Gefängniß genießen). Hier gerathen Wir schon in ein inhaltreicheres Drittes, als jenes bloß örtliche, der Saal, war. Gefängniß bedeutet nicht mehr nur einen Raum, sondern einen Raum mit ausdrücklicher Beziehung auf seine Bewohner: es ist ja nur dadurch Gefängniß, daß es für Gefangene bestimmt ist, ohne die es eben ein bloßes Gebäude wäre. Wer giebt den in ihm Versammelten ein gemeinsames Gepräge? Offenbar das Gefängniß, da sie nur mittelst des Gefängnisses Gefangene sind. Wer bestimmt also die Lebensweise der Gefängniß-Gesellschaft? Das Gefängniß! Wer bestimmt ihren Verkehr? Etwa auch das Gefängniß? Allerdings können sie nur als Gefangene in Verkehr treten, d. h. nur so weit, als die Gefängniß-Gesetze ihn zulassen; aber daß sie selbst, Ich mit Dir, verkehren, das kann das Gefängniß nicht bewirken, im Gegentheil, es muß darauf bedacht sein, solchen egoistischen, rein persönlichen Verkehr (und nur als solcher ist er wirklich Verkehr zwischen Mir und Dir) zu verhüten. Daß Wir gemeinschaftlich eine Arbeit verrichten, eine Maschine ziehen, überhaupt etwas ins Werk setzen, dafür sorgt ein Gefängniß wohl; aber daß Ich vergesse, Ich sei ein Gefangener, und mit Dir, der gleichfalls davon absieht, einen Verkehr eingehe, das bringt dem Gefängniß Gefahr, und kann von ihm nicht nur nicht gemacht, es darf nicht einmal zugelassen werden. Aus diesem Grunde beschließt die heilige und [288] sittlich gesinnte französische Kammer, die „einsame Zellenhaft“ einzuführen, und andere Heilige werden ein Gleiches thun, um den „demoralisirenden Verkehr“ abzuschneiden. Die Gefangenschaft ist das Bestehende und – Heilige, das zu verletzen kein Versuch gemacht werden darf. Die leiseste Anfechtung der Art ist strafbar, wie jede Auflehnung gegen ein Heiliges, von dem der Mensch befangen und gefangen sein soll.

Wie der Saal, so bildet das Gefängniß wohl eine Gesellschaft, eine Genossenschaft, eine Gemeinschaft (z. B. Gemeinschaft der Arbeit), aber keinen Verkehr, keine Gegenseitigkeit, keinen Verein. Im Gegentheil, jeder Verein im Gefängnisse trägt den gefährlichen Samen eines „Complotts“ in sich, der unter begünstigenden Umständen aufgehen und Frucht treiben könnte.

Doch das Gefängniß betritt man gewöhnlich nicht freiwillig und bleibt auch selten freiwillig darin, sondern hegt das egoistische Verlangen nach Freiheit. Darum leuchtet es hier eher ein, daß der persönliche Verkehr sich gegen die Gefängnißgesellschaft feindselig verhält und auf die Auflösung eben dieser Gesellschaft, der gemeinschaftlichen Haft, ausgeht.

Sehen Wir Uns deshalb nach solchen Gemeinschaften um, in denen Wir, wie es scheint, gerne und freiwillig bleiben, ohne sie durch Unsere egoistischen Triebe gefährden zu wollen.

Als eine Gemeinschaft der geforderten Art bietet sich zunächst die Familie dar. Aeltern, Gatten, Kinder, Geschwister stellen ein Ganzes vor oder machen eine Familie aus, zu deren Erweiterung auch noch die herbeigezogenen Seitenverwandten dienen mögen. Die Familie ist nur dann eine wirkliche Gemeinschaft, wenn das Gesetz der Familie, die Pietät [289] oder Familienliebe, von den Gliedern derselben beobachtet wird. Ein Sohn, welchem Aeltern und Geschwister gleichgültig geworden sind, ist Sohn gewesen; denn da die Sohnschaft sich nicht mehr wirksam beweist, so hat sie keine größere Bedeutung, als der längst vergangene Zusammenhang von Mutter und Kind durch den Nabelstrang. Daß man einst in dieser leiblichen Verbindung gelebt, das läßt sich als eine geschehene Sache nicht ungeschehen machen, und in so weit bleibt man unwiderruflich der Sohn dieser Mutter und der Bruder ihrer übrigen Kinder; aber zu einem fortdauernden Zusammenhange käme es nur durch fortdauernde Pietät, diesen Familiengeist. Die Einzelnen sind nur dann im vollen Sinne Glieder einer Familie, wenn sie das Bestehen der Familie zu ihrer Aufgabe machen; nur als conservativ halten sie sich fern davon, an ihrer Basis, der Familie, zu zweifeln. Eines muß jedem Familiengliede fest und heilig sein, nämlich die Familie selbst, oder sprechender: die Pietät. Daß die Familie bestehen soll, das bleibt dem Gliede derselben, so lange es sich vom familienfeindlichen Egoismus frei erhält, eine unantastbare Wahrheit. Mit Einem Worte –: Ist die Familie heilig, so darf sich Keiner, der zu ihr gehört, lossagen, widrigenfalls er an der Familie zum „Verbrecher“ wird; er darf niemals ein familienfeindliches Interesse verfolgen, z. B. keine Mißheirath schließen. Wer das thut, der hat „die Familie entehrt“, hat ihr „Schande gemacht“ u. s. w.

Hat nun in einem Einzelnen der egoistische Trieb nicht Kraft genug, so fügt er sich und schließt eine Heirath, welche den Ansprüchen der Familie convenirt, ergreift einen Stand, der mit ihrer Stellung harmonirt u. dergl., kurz er „macht der Familie Ehre.“ [290] Wallt hingegen in seinen Adern das egoistische Blut feurig genug, so zieht er es vor, an der Familie zum „Verbrecher“ zu werden und ihren Gesetzen sich zu entziehen.

Was von beiden liegt Mir näher am Herzen, das Familienwohl oder mein Wohl? In unzähligen Fällen werden beide friedlich mit einander gehen und der Nutzen, welcher der Familie zu Theil wird, zugleich der meinige sein und umgekehrt. Da läßt sich's schwer entscheiden, ob Ich eigennützig oder gemeinnützig denke, und Ich schmeichle Mir vielleicht wohlgefällig mit meiner Uneigennützigkeit. Aber es kommt der Tag, wo ein Entweder – Oder Mich zittern macht, wo Ich meinen Stammbaum zu entehren, Aeltern, Geschwister, Verwandte vor den Kopf zu stoßen im Begriff stehe. Wie dann? Nun wird sich's zeigen, wie Ich im Grunde meines Herzens gesonnen bin; nun wird's offenbar werden, ob Mir die Pietät jemals höher gestanden als der Egoismus, nun wird der Eigennützige sich nicht länger hinter den Schein der Uneigennützigkeit verkriechen können. Ein Wunsch steigt in meiner Seele auf, und wachsend von Stunde zu Stunde wird er zur Leidenschaft. Wer denkt auch gleich daran, daß schon der leiseste Gedanke, welcher gegen den Familiengeist, die Pietät, auslaufen kann, ein Vergehen gegen denselben in sich trägt, ja wer ist sich denn im ersten Augenblick sogleich der Sache vollkommen bewußt! Julie in „Romeo und Julie“ ergeht es so. Die unbändige Leidenschaft läßt sich endlich nicht mehr zähmen und untergräbt das Gebäude der Pietät. Freilich werdet Ihr sagen, die Familie werfe aus Eigensinn jene Eigenwilligen, welche ihrer Leidenschaft mehr Gehör schenken als der Pietät, aus ihrem Schooße; die guten Protestanten haben dieselbe Ausrede gegen die Katholiken mit vielem Erfolg [291] gebraucht und selbst daran geglaubt. Allein es ist eben eine Ausflucht, um die Schuld von sich abzuwälzen, nichts weiter. Die Katholiken hielten auf den gemeinsamen Kirchenverband, und stießen jene Ketzer nur von sich, weil dieselben auf den Kirchenverband nicht so viel hielten, um ihre Ueberzeugungen ihm zu opfern; jene also hielten den Verband fest, weil der Verband, die katholische, d. h. gemeinsame und einige Kirche, ihnen heilig war; diese hingegen setzten den Verband hintan. Ebenso die Pietätslosen. Sie werden nicht ausgestoßen, sondern stoßen sich aus, indem sie ihre Leidenschaft, ihren Eigenwillen höher achten als den Familienverband.

Nun glimmt aber zuweilen ein Wunsch in einem minder leidenschaftlichen und eigenwilligen Herzen, als das der Julie war. Die Nachgiebige bringt sich dem Familienfrieden zum Opfer. Man könnte sagen, auch hier walte der Eigennutz vor, denn der Entschluß komme aus dem Gefühl, daß die Nachgiebige sich mehr durch die Familieneinigkeit befriedigt fühle als durch die Erfüllung ihres Wunsches. Das möchte sein; aber wie, wenn ein sicheres Zeichen übrig bliebe, daß der Egoismus der Pietät geopfert worden? Wie, wenn der Wunsch, welcher gegen den Familienfrieden gerichtet war, auch nachdem er geopfert worden, wenigstens in der Erinnerung eines einem heiligen Bande gebrachten „Opfers“ bliebe? Wie, wenn die Nachgiebige sich bewußt wäre, ihren Eigenwillen unbefriedigt gelassen und einer höhern Macht sich demüthig unterworfen zu haben? Unterworfen und geopfert, weil der Aberglaube der Pietät seine Herrschaft an ihr geübt hat!

Dort hat der Egoismus gesiegt, hier siegt die Pietät, und das egoistische Herz blutet; dort war der Egoismus stark, hier war er – schwach. Die Schwachen aber, das wissen [292] Wir längst, das sind die – Uneigennützigen. Für sie, diese ihre schwachen Glieder, sorgt die Familie, weil sie der Familie angehören, Familienangehörige sind, nicht sich angehören und für sich sorgen. Diese Schwachheit lobt z. B. Hegel, wenn er der Wahl der Aeltern die Heirathspartie der Kinder anheimgestellt wissen will.

Als einer heiligen Gemeinschaft, welcher der Einzelne auch Gehorsam schuldig ist, kommt der Familie auch die richterliche Function zu, wie ein solches „Familiengericht“ z. B. im Cabanis von Wilibald Alexis beschrieben wird. Da steckt der Vater im Namen des „Familienrathes“ den unfolgsamen Sohn unter die Soldaten und stößt ihn aus der Familie aus, um mittelst dieses Strafactes die befleckte Familie wieder zu reinigen. – Die consequenteste Ausbildung der Familien-Verantwortlichkeit enthält das chinesische Recht, nach welchem für die Schuld des Einzelnen die ganze Familie zu büßen hat.

Heutigen Tages indessen reicht der Arm der Familiengewalt selten weit genug, um den Abtrünnigen ernstlich in Strafe zu nehmen (selbst gegen Enterbung schützt der Staat in den meisten Fällen). Der Verbrecher an der Familie (Familien- Verbrecher) flüchtet in das Gebiet des Staates und ist frei, wie der Staatsverbrecher, der nach Amerika entkommt, von den Strafen seines Staates nicht mehr erreicht wird. Er, der seine Familie geschändet hat, der ungerathene Sohn, wird gegen die Strafe der Familie geschützt, weil der Staat, dieser Schutzherr, der Familienstrafe ihre „Heiligkeit“ benimmt und sie profanirt, indem er decretirt, sie sei nur – „Rache“: er verhindert die Strafe, dieß heilige Familienrecht, weil vor seiner, des Staates, „Heiligkeit“ die untergeordnete Heiligkeit der Familie jedesmal erbleicht und entheiligt wird, sobald sie [293] mit dieser höhern Heiligkeit in Conflict geräth. Ohne den Conflict läßt der Staat die kleinere Heiligkeit der Familie gelten; im entgegengesetzten Falle aber gebietet er sogar das Verbrechen gegen die Familie, indem er z. B. dem Sohne aufgiebt, seinen Aeltern den Gehorsam zu verweigern, sobald sie ihn zu einem Staatsverbrechen verleiten wollen.

Nun, der Egoist hat die Bande der Familie zerbrochen und am Staate einen Schirmherrn gefunden gegen den schwer beleidigten Familiengeist. Wohin aber ist er nun gerathen? Geradesweges in eine neue Gesellschaft, worin seines Egoismus dieselben Schlingen und Netze warten, denen er so eben entronnen. Denn der Staat ist gleichfalls eine Gesellschaft, nicht ein Verein, er ist die erweiterte Familie. („Landesvater – Landesmutter – Landeskinder.“)

 

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Was man Staat nennt, ist ein Gewebe und Geflecht von Abhängigkeit und Anhänglichkeit, ist eine Zusammengehörigkeit, ein Zusammenhalten, wobei die Zusammengeordneten sich in einander schicken, kurz gegenseitig von einander abhängen: er ist die Ordnung dieser Abhängigkeit. Gesetzt, der König, dessen Autorität Allen bis zum Büttel herunter Autorität verleiht, verschwände, so würden dennoch Alle, in welchen der Ordnungssinn wach wäre, die Ordnung gegen die Unordnung der Bestialität aufrecht erhalten. Siegte die Unordnung, so wäre der Staat erloschen.

Ist dieser Liebesgedanke aber, sich in einander zu schicken, an einander zu hängen, und von einander abzuhängen, wirklich fähig, Uns zu gewinnen? Der Staat wäre hiernach die realisirte Liebe, das Füreinandersein und Füreinanderleben [294] Aller. Geht über den Ordnungssinn nicht der Eigensinn verloren? Wird man sich nicht begnügen, wenn durch Gewalt für Ordnung gesorgt ist, d. h. dafür, daß Keiner dem Andern „zu nahe trete“, mithin, wenn die Heerde verständig dislocirt oder geordnet ist? Es ist ja dann Alles in „bester Ordnung“, und diese beste Ordnung heißt eben – Staat!

Unsere Gesellschaften und Staaten sind, ohne daß Wir sie machen, sind vereinigt ohne unsere Vereinigung, sind prädestinirt und bestehen oder haben einen eigenen, unabhängigen Bestand, sind gegen Uns Egoisten das unauflösliche Bestehende. Der heurige Weltkampf ist, wie man sagt, gegen das „Bestehende“ gerichtet. Man pflegt dieß jedoch so zu mißverstehen, als sollte nur, was jetzt besteht, mit anderem, besserem Bestehenden vertauscht werden. Allein der Krieg dürfte vielmehr dem Bestehen selbst erklärt sein, d. h. dem Staate (status), nicht einem bestimmten Staate, nicht etwa nur dem derzeitigen Zustande des Staates; nicht einen andern Staat (etwa „Volksstaat“) bezweckt man, sondern seinen Verein, die Vereinigung, diese stets flüssige Vereinigung alles Bestandes. – Ein Staat ist vorhanden, auch ohne mein Zuthun: Ich werde in ihm geboren, erzogen, auf ihn verpflichtet und muß ihm „huldigen“. Er nimmt Mich auf in seine „Huld“, und Ich lebe von seiner „Gnade“. So begründet das selbständige Bestehen des Staates meine Unselbständigkeit, seine „Naturwüchsigkeit“, sein Organismus, fordert, daß meine Natur nicht frei wachse, sondern für ihn zugeschnitten werde. Damit er naturwüchsig sich entfalten könne, legt er an Mich die Scheere der „Cultur“; er giebt Mir eine ihm, nicht Mir, angemessene Erziehung und Bildung, und lehrt Mich z. B. die Gesetze respectiren, der Verletzung des Staatseigenthums (d. h. Privateigenthums) [295] Mich enthalten, eine Hoheit, göttliche und irdische, verehren u. s. w., kurz er lehrt Mich – unsträflich sein, indem Ich meine Eigenheit der „Heiligkeit“ (heilig ist alles Mögliche, z. B. Eigenthum, Leben der Andern u. s. w.) „opfere“. Darin besteht die Art der Cultur und Bildung, welche Mir der Staat zu geben vermag: er erzieht Mich zu einem „brauchbaren Werkzeug“, einem „brauchbaren Gliede der Gesellschaft.“

Das muß jeder Staat thun, der Volksstaat so gut wie der absolute oder constitutionelle. Er muß es thun, so lange Wir in dem Irrthum stecken, er sei ein Ich, als welches er sich denn den Namen einer „moralischen, mystischen oder staatlichen Person“ beilegt. Diese Löwenhaut des Ichs muß Ich, der Ich wirklich Ich bin, dem stolzirenden Distelfresser abziehen. Welchen mannigfachen Raub habe Ich in der Weltgeschichte Mir nicht gefallen lassen. Da ließ Ich Sonne, Mond und Sternen, Katzen und Krokodilen die Ehre widerfahren, als Ich zu gelten; da kam Jehova, Allah und Unser Vater und wurden mit dem Ich beschenkt; da kamen Familien, Stämme, Völker und endlich gar die Menschheit, und wurden als Iche honorirt; da kam der Staat, die Kirche mit der Prätension, Ich zu sein, und Ich sah allem ruhig zu. Was Wunder, wenn dann immer auch ein wirklich Ich dazu trat und Mir ins Gesicht behauptete, es sei nicht mein Du, sondern mein eigenes Ich. Hatte das Gleiche doch der Menschensohn par excellence gethan, warum sollte es nicht auch ein Menschensohn thun? So sah Ich denn mein Ich immer über und außer Mir und konnte niemals wirklich zu Mir kommen.

Ich glaubte nie an Mich, glaubte nie an meine Gegenwart und sah Mich nur in der Zukunft. Der Knabe glaubt, [296] er werde erst ein rechtes Ich, ein rechter Kerl sein, wenn er ein Mann geworden; der Mann denkt, erst jenseits werde er etwas Rechtes sein. Und, daß Wir gleich näher auf die Wirklichkeit eingehen, auch die Besten reden's heute noch einander vor, daß man den Staat, sein Volk, die Menschheit und was weiß Ich Alles in sich aufgenommen haben müsse, um ein wirkliches Ich, ein „freier Bürger“, ein „Staatsbürger“, ein „freier oder wahrer Mensch“ zu sein; auch sie sehen die Wahrheit und Wirklichkeit Meiner in der Aufnahme eines fremden Ich's und der Hingebung an dasselbe. Und was für eines Ich's? Eines Ich's, das weder ein Ich noch ein Du ist, eines eingebildeten Ich's, eines Spuks.

Während im Mittelalter die Kirche es wohl vertragen konnte, daß vielerlei Staaten in ihr vereinigt lebten, so lernten die Staaten nach der Reformation, besonders nach dem dreißigjährigen Kriege, es toleriren, daß vielerlei Kirchen (Confessionen) sich unter Einer Krone sammelten. Alle Staaten sind aber religiöse und respective „christliche Staaten“, und setzen ihre Aufgabe darin, die Unbändigen, die „Egoisten“, unter das Band der Unnatur zu zwingen, d. i. sie zu christianisiren. Alle Anstalten des christlichen Staates haben den Zweck der Christianisirung des Volkes. So hat das Gericht den Zweck, die Leute zur Gerechtigkeit zu zwingen, die Schule den, zur Geistesbildung zu zwingen, kurz den Zweck, den christlich Handelnden gegen den unchristlich Handelnden zu schützen, das christliche Handeln zur Herrschaft zu bringen, mächtig zu machen. Zu diesen Zwangsmitteln rechnete der Staat auch die Kirche, er verlangte eine – bestimmte Religion von Jedem. Dupin sagte jüngst gegen die Geistlichkeit: „Unterricht und Erziehung gehören dem Staate“. [297]

Staatssache ist allerdings alles, was das Princip der Sittlichkeit angeht. Daher mischt sich der chinesische Staat so sehr in die Familienangelegenheit, und man ist da nichts, wenn man nicht vor Allem ein gutes Kind seiner Aeltern ist. Die Familienangelegenheit ist durchaus auch bei Uns Staatsangelegenheit, nur daß unser Staat in die Familien ohne ängstliche Aufsicht – Vertrauen setzt: durch den Ehebund hält er die Familie gebunden, und ohne ihn kann dieser Bund nicht gelöst werden.

Daß der Staat Mich aber für meine Principien verantwortlich macht und gewisse von Mir fordert, das könnte Mich fragen lassen: Was geht ihn mein „Sparren“ (Princip) an? Sehr viel, denn er ist das – herrschende Princip. Man meint, in der Ehescheidungssache, überhaupt im Eherechte, handle sich's um das Maaß von Recht zwischen Kirche und Staat. Vielmehr handelt sich's darum, ob ein Heiliges über den Menschen herrschen solle, heiße dieß nun Glaube oder Sittengesetz (Sittlichkeit). Der Staat beträgt sich als derselbe Herrscher wie die Kirche es that. Diese ruht auf Frömmigkeit, jener auf Sittlichkeit.

Man spricht von der Toleranz, dem Freilassen der entgegengesetzten Richtungen u. dgl, wodurch die civilisirten Staaten sich auszeichnen. Allerdings sind einige stark genug, um selbst den ungebundensten Meetings zuzusehen, indeß andere ihren Schergen auftragen, auf Tabackspfeifen Jagd zu machen. Allein für einen Staat wie für den anderen ist das Spiel der Individuen untereinander, ihr Hin- und Hersummen, ihr tägliches Leben, eine Zufälligkeit, die er wohl ihnen selbst überlassen muß, weil er damit nichts anfangen kann. Manche seigen freilich noch Mücken und verschlucken Kameele, während [298] andere gescheidter sind. In den letzteren sind die Individuen „freier“, weil weniger geschuhriegelt. Frei aber bin Ich in keinem Staate. Die gerühmte Toleranz der Staaten ist eben nur ein Toleriren des „Unschädlichen“, „Ungefährlichen“, ist nur Erhebung über den Kleinlichkeitssinn, nur eine achtungsweithere, großartigere, stolzere – Despotie. Ein gewisser Staat schien eine Zeit lang ziemlich erhaben über die literarischen Kämpfe sein zu wollen, die mit aller Hitze geführt werden durften; England ist erhaben über das Volksgewühl und – Tabackrauchen. Aber wehe der Literatur, die dem Staate selbst an den Leib geht, wehe den Volksrottirungen, die den Staat „gefährden“. In jenem gewissen Staate träumt man von einer „freien Wissenschaft“, in England von einem „freien Volksleben“.

Der Staat läßt die Individuen wohl möglichst frei spielen, nur Ernst dürfen sie nicht machen, dürfen ihn nicht vergessen. Der Mensch darf nicht unbekümmert mit dem Menschen verkehren, nicht ohne „höhere Aufsicht und Vermittlung“. Ich darf nicht Alles leisten, was Ich vermag, sondern nur so viel, als der Staat erlaubt, Ich darf nicht meine Gedanken verwerthen, nicht meine Arbeit, überhaupt nichts Meiniges.

Der Staat hat immer nur den Zweck, den Einzelnen zu beschränken, zu bändigen, zu subordiniren, ihn irgend einem Allgemeinen Unterthan zu machen; er dauert nur so lange, als der Einzelne nicht Alles in Allem ist, und ist nur die deutlich ausgeprägte Beschränktheit Meiner, meine Beschränkung, meine Sklaverei. Niemals zielt ein Staat dahin, die freie Thätigkeit der Einzelnen herbeizuführen, sondern stets die an den Staatszweck gebundene. Durch den Staat [299] kommt auch nichts Gemeinsames zu Stande, so wenig als man ein Gewebe die gemeinsame Arbeit aller einzelnen Theile einer Maschine nennen kann: es ist vielmehr die Arbeit der ganzen Maschine als einer Einheit, ist Maschinenarbeit. In derselben Art geschieht auch Alles durch die Staatsmaschine; denn sie bewegt das Räderwerk der einzelnen Geister, deren keiner seinem eigenen Antriebe folgt. Jede freie Thätigkeit sucht der Staat durch seine Censur, seine Ueberwachung, seine Polizei zu hemmen, und hält diese Hemmung für seine Pflicht, weil sie in Wahrheit Pflicht der Selbsterhaltung ist. Der Staat will aus den Menschen etwas machen, darum leben in ihm nur gemachte Menschen; jeder, der Er Selbst sein will, ist sein Gegner und ist nichts. „Er ist nichts“ heißt so viel, als: der Staat verwendet ihn nicht, überläßt ihm keine Stellung, kein Amt, kein Gewerbe u. dergl.

E. Bauer 17) träumt in den liberalen Bestrebungen II, 50 noch von einer „Regierung, welche aus dem Volke hervorgehend, nie gegen dasselbe in Opposition stehen könne“. Zwar nimmt er (S. 69) das Wort „Regierung“ selbst zurück: „In der Republik gilt gar keine Regierung, sondern nur eine ausführende Gewalt. Eine Gewalt, welche rein und allein aus dem Volke hervorgeht, welche nicht dem Volke gegenüber eine selbständige Macht, selbständige Principien, selbständige Beamten hat, sondern welche in der einzigen, obersten Staatsgewalt, in dem Volke ihre Begründung, die Quelle ihrer Macht und ihrer Principien hat. Der Begriff Regierung paßt also gar nicht [300] in den Volksstaat.“ Allein die Sache bleibt dieselbe. Das „Hervorgegangene, Begründete, Entquollene“ wird ein „Selbständiges“ und tritt, wie ein Kind aus dem Mutterleibe entbunden, gleich in Opposition. Die Regierung, wäre sie nichts Selbständiges und Opponirendes, wäre gar nichts.

„Im freien Staate giebt es keine Regierung u. s. w.“ (S. 94.) Dieß will doch sagen, das Volk, wenn es der Souverain ist, läßt sich nicht leiten von einer oberen Gewalt. Ist's etwa in der absoluten Monarchie anders? Giebt es da etwa für den Souverain eine über ihm stehende Regierung? Ueber dem Souverain, er heiße Fürst oder Volk, steht nie eine Regierung, das versteht sich von selbst. Aber über Mir wird in jedem „Staate“ eine Regierung stehen, sowohl im absoluten als im republikanischen oder „freien“. Ich bin in Einem so schlimm daran, wie im Andern.

Die Republik ist gar nichts anderes, als die – absolute Monarchie: denn es verschlägt nichts, ob der Monarch Fürst oder Volk heiße, da beide eine „Majestät“ sind. Gerade der Constitutionalismus beweist, daß Niemand nur Werkzeug sein kann und mag. Die Minister dominiren über ihren Herrn, den Fürsten, die Deputirten über ihren Herrn, das Volk. Es sind also hier wenigstens schon die Parteien frei, nämlich die Beamtenpartei (sogenannte Volkspartei). Der Fürst muß sich in den Willen der Minister fügen, das Volk nach der Pfeife der Kammern tanzen. Der Constitutionalismus ist weiter als die Republik, weil er der in der Auflösung begriffene Staat ist.

E. Bauer leugnet (S. 56), daß das Volk im constitutionellen Staate eine „Persönlichkeit“ sei; dagegen also in der Republik? Nun, im constitutionellen Staate ist das Volk – [301] Partei, und eine Partei ist doch wohl eine „Persönlichkeit“, wenn man einmal von einer „staatlichen“ (S. 76) moralischen Person überhaupt sprechen will. Die Sache ist die, daß eine moralische Person, heiße sie Volkspartei oder Volk oder auch „der Herr“, in keiner Weise eine Person ist, sondern ein Spuk.

Ferner fährt E. Bauer fort (S. 69): „die Bevormundung ist das Charakteristische einer Regierung,“ Wahrlich noch mehr das eines Volkes und „Volksstaates“; sie ist das Charakteristische aller Herrschaft. Ein Volksstaat, der „alle Machtvollkommenheit in sich vereinigt“, der „absolute Herr“, kann Mich nicht mächtig werden lassen. Und welche Chimäre, die „Volksbeamten“ nicht mehr „Diener, Werkzeuge“ nennen zu wollen, weil sie den „freien, vernünftigen Gesetzeswillen des Volkes ausführen“ (S. 73). Er meint (S. 74): „Nur dadurch, daß alle Beamtenkreise sich den Ansichten der Regierung unterordnen, kann Einheit in den Staat gebracht werden;“ sein Volksstaat soll aber auch „Einheit“ haben; wie wird da die Unterordnung fehlen dürfen, die Unterordnung unter den – Volkswillen.

„Im constitutionellen Staate ist es der Regent und seine Gesinnung, worauf am Ende das ganze Regierungsgebäude beruht.“ (Ebendaselbst S. 130.) Wie wäre das anders im „Volksstaate“? Werde Ich da nicht auch von der Volks- Gesinnung regiert und macht es für Mich einen Unterschied, ob Ich Mich in Abhängigkeit gehalten sehe von der Fürsten-Gesinnung oder von der Volks-Gesinnung, der sogenannten „öffentlichen Meinung“? Heißt Abhängigkeit so viel als „religiöses Verhältniß“, wie E. Bauer richtig aufstellt, so bleibt im Volksstaate für Mich das Volk die höhere Macht, [302] die „Majestät“ (denn in der „Majestät“ haben Gott und Fürst ihr eigentliches Wesen), zu der Ich im religiösen Verhältniß stehe. – Wie der souveraine Regent, so würde auch das souveraine Volk von keinem Gesetze erreicht werden. Der ganze E. Bauersche Versuch läuft auf einen Herren-Wechsel hinaus. Statt das Volk frei machen zu wollen, hätte er auf die einzig realisirbare Freiheit, auf die seinige, bedacht sein sollen.

Im constitutionellen Staate ist endlich der Absolutismus selbst in Kampf mit sich gekommen, da er in eine Zweiheit zersprengt wurde: es will die Regierung absolut sein, und das Volk will absolut sein. Diese beiden Absoluten werden sich aneinander aufreiben.

E. Bauer eifert dagegen, daß der Regent durch die Geburt, durch den Zufall gegeben sei. Wenn nun aber „das Volk die einzige Macht im Staate“ (S. 132) geworden sein wird, haben Wir dann nicht an ihm einen Herrn aus Zufall? Was ist denn das Volk? Das Volk ist immer nur der Leib der Regierung gewesen: es sind Viele unter Einem Hute (Fürstenhut) oder Viele unter Einer Verfassung. Und die Verfassung ist der – Fürst. Fürsten und Völker werden so lange bestehen, als nicht beide zusammenfallen. Sind unter Einer Verfassung mancherlei „Völker“, z. B. in der altpersischen Monarchie und heute, so gelten diese „Völker“ nur als „Provinzen“. Für Mich ist jedenfalls das Volk eine – zufällige Macht, eine Natur-Gewalt, ein Feind, den Ich besiegen muß.

Was hat man unter einem „organisirten“ Volke sich vorzustellen (ebendaselbst S. 132)? Ein Volk, „das keine Regierung mehr hat“, das sich selbst regiert. Also worin kein Ich hervorragt, ein durch den Ostracismus organisirtes Volk. [303] Die Verbannung der Iche, der Ostracismus, macht das Volk zum Selbstherrscher.

Sprecht Ihr vom Volke, so müßt Ihr vom Fürsten reden; denn das Volk, soll es Subject sein und Geschichte machen, muß, wie alles Handelnde, ein Haupt haben, sein „Oberhaupt“. Weitling stellt dieß im „Trio“ dar, und Proud'hon äußert: une société, pour ainsi dire acephale, ne peut vivre. 18)

Die vox populi wird Uns jetzt immer vorgehalten, und die „öffentliche Meinung“ soll über die Fürsten herrschen. Gewiß ist die vox populi zugleich vox dei, aber sind sie beide etwas nutz, und ist die vox principis nicht auch vox dei?

Es mag hierbei an die „Nationalen“ erinnert werden. Von den achtunddreißig Staaten Deutschlands verlangen, daß sie als Eine Nation handeln sollen, kann nur dem unsinnigen Begehren an die Seite gestellt werden, daß achtunddreißig Bienenschwärme, geführt von achtunddreißig Bienenköniginnen, sich zu Einem Schwarme vereinigen sollen. Bie nen bleiben sie alle; aber nicht die Bienen als Bienen gehören zusammen und können sich zusammenthun, sondern nur die unterthänigen Bienen sind mit den herrschenden Weiseln verbunden. Bienen und Völker sind willenlos, und es führt sie der Instinct ihrer Weisel.

Verwiese man die Bienen auf ihr Bienenthum, worin sie doch Alle einander gleich seien, so thäte man dasselbe, was man jetzt so stürmisch thut, indem man die Deutschen auf ihr Deutschthum verweist. Das Deuschthum gleicht ja eben darin ganz dem Bienenthum, daß es die Nothwendigkeit der Spaltungen [304] und Separationen in sich trägt, ohne gleichwohl bis zur letzten Separation vorzudringen, wo mit der vollständigen Durchführung des Separirens das Ende desselben erscheint: Ich meine, bis zur Separation des Menschen vom Menschen. Das Deutschthum trennt sich zwar in verschiedene Völker und Stämme, d. h. Bienenkörbe, aber der Einzelne, welcher die Eigenschaft hat, ein Deutscher zu sein, ist noch so machtlos, wie die vereinzelte Biene. Und doch können nur Einzelne mit einander in Verein treten, und alle Völker-Allianzen und Bünde sind und bleiben mechanische Zusammensetzungen, weil die Zusammentretenden, soweit wenigstens die „Völker“ als die Zusammengetretenen angesehen werden, willenlos sind. Erst mit der letzten Separation endigt die Separation selbst und schlägt in Vereinigung um.

Nun bemühen sich die Nationalen, die abstracte, leblose Einheit des Bienenthums herzustellen; die Eigenen aber werden um die eigen gewollte Einheit, den Verein, kämpfen. Es ist dieß das Wahrzeichen aller reactionairen Wünsche, daß sie etwas Allgemeines, Abstractes, einen leeren, leblosen Begriff herstellen wollen, wogegen die Eigenen das stämmige, lebenvolle Einzelne vom Wust der Allgemeinheiten zu entlasten trachten. Die Reactionairen möchten gerne ein Volk, eine Nation aus der Erde stampfen; die Eigenen haben nur Sich vor Augen. Im Wesentlichen fallen die beiden Bestrebungen, welche heute an der Tagesordnung sind, nämlich die Wiederherstellung der Provinzialrechte, der alten Stammeseintheilungen (Franken, Baiern u. s. w., Lausitz u. s. w.) und die Wiederherstellung der Gesammt-Nationalität in Eins zusammen. Die Deutschen werden aber nur dann einig werden, d. h. sich vereinigen, wenn sie ihr Bienenthum sowohl als [305] alle Bienenkörbe umstoßen; mit andern Worten: wenn sie mehr sind als – Deutsche; erst dann können sie einen „Deutschen Verein“ bilden. Nicht in ihre Nationalität, nicht in den Mutterleib müssen sie zurückkehren wollen, um wiedergeboren zu werden, sondern in sich kehre Jeder ein. Wie lächerlichsentimental, wenn ein Deutscher dem andern den Handschlag giebt und mit heiligem Schauer die Hand drückt, weil „auch er ein Deutscher ist“! Damit ist er was Rechtes! Aber das wird freilich so lange noch für rührend gelten, als man für „Brüderlichkeit“ schwärmt, d. h. als man eine „Familiengesinnung“ hat. Vom Aberglauben der „Pietät“, von der „Brüderlichkeit“ oder „Kindlichkeit“, oder wie die weichmüthigen Pietäts-Phrasen sonst vom Familiengeiste vermögen die Nationalen, die eine große Familie von Deutschen haben wollen, sich nicht zu befreien.

Uebrigens müßten sich die sogenannten Nationalen nur selbst recht verstehen, um sich aus der Verbindung mit den gemüthlichen Deutschthümlern zu erheben. Denn die Vereinigung zu materiellen Zwecken und Interessen, welche sie von den Deutschen fordern, geht ja auf nichts Anderes, als einen freiwilligen Verein hinaus. Carriere ruft begeistert aus 19): „Die Eisenbahnen sind dem tieferblickenden Auge der Weg zu einem Volksleben, wie es in solcher Bedeutung noch nirgends erschienen ist.“ Ganz recht, es wird ein Volksleben sein, das nirgends erschienen ist, weil es kein – Volksleben ist. – So bestreitet denn Carriere S. 10 sich selbst. „Die reine Menschlichkeit oder Menschheit kann nicht besser, als durch ein seine Mission erfüllendes Volk dargestellt werden“. Dadurch stellt [306] sich ja nur die Volksthümlichkeit dar. „Die verschwommene Allgemeinheit ist niedriger, als die in sich geschlossene Gestalt, die ein Ganzes selber ist, und als lebendiges Glied des wahrhaft Allgemeinen, des Organisirten, lebt“. Es ist ja eben das Volk die „verschwommene Allgemeinheit“, und ein Mensch erst die „in sich geschlossene Gestalt“.

Das Unpersönliche dessen, was man „Volk, Nation“ nennt, leuchtet auch daraus ein, daß ein Volk, welches sein Ich nach besten Kräften zur Erscheinung bringen will, den willenlosen Herrscher an seine Spitze stellt. Es befindet sich in der Alternative, entweder einem Fürsten unterworfen zu sein, der nur sich, sein individuelles Belieben verwirklicht – dann erkennt es an dem „absoluten Herrn“ nicht den eigenen, den sogenannten Volkswillen –, oder einen Fürsten auf den Thron zu sehen, der keinen eigenen Willen geltend macht – dann hat es einen willenlosen Fürsten, dessen Stelle ein wohlberechnetes Uhrwerk vielleicht eben so gut versähe –. Deshalb darf die Einsicht nur einen Schritt weiter gehen, so ergiebt sich von selber, daß das Volks-Ich eine unpersönliche, „geistige“ Macht sei, das – Gesetz. Das Ich des Volkes, dieß folgt daraus, ist ein – Spuk, nicht ein Ich. Ich bin nur dadurch Ich, daß Ich Mich mache, d. h. daß nicht ein Anderer Mich macht, sondem Ich mein eigen Werk sein muß. Wie aber ist es mit jenem Volks-Ich? Der Zufall spielt es dem Volke in die Hand, der Zufall giebt ihm diesen oder jenen gebornen Herrn, Zufälligkeiten verschaffen ihm den gewählten; er ist nicht sein, des „souverainen“ Volkes, Product, wie Ich mein Product bin. Denke Dir, man wollte Dir einreden, Du wärest nicht dein Ich, sondern Hans oder Kunz wäre dein Ich! So aber geht's [307] dem Volke, und ihm mit Recht. Denn das Volk hat so wenig ein Ich, als die elf Planeten zusammengerechnet ein Ich haben, obwohl sie sich um einen gemeinsamen Mittelpunkt wälzen.

Bezeichnend ist die Aeußerung Bailly's für die Sklavengesinnung, welche man vor dem souverainen Volke, wie vor dem Fürsten hat. „Ich habe, sagt er, keine Extravernunft mehr, wenn die allgemeine Vernunft sich ausgesprochen. Mein erstes Gesetz war der Wille der Nation: sobald sie sich versammelt hatte, habe ich nichts weiter gekannt, als ihren souverainen Willen.“ Er will keine „Extravernunft“ haben, und doch leistet allein diese Extravernunft Alles. Ebenso eifert Mirabeau in den Worten: „Keine Macht auf Erden hat das Recht, zu den Repräsentanten der Nation zu sagen: Ich will!“

Wie bei den Griechen möchte man den Menschen jetzt zu einem zoon politicon machen, einem Staatsbürger oder politischen Menschen. So galt er lange Zeit als „Himmelsbürger“. Der Grieche wurde aber mit seinem Staate zugleich entwürdigt, der Himmelsbürger wird es mit dem Himmel; Wir hingegen wollen nicht mit dem Volke, der Nation und Nationalität zugleich untergehen, wollen nicht bloß politische Menschen oder Politiker sein. „Volksbeglückung“ strebt man seit der Revolution an, und indem man das Volk glücklich, groß u. dergl. macht, macht man Uns unglücklich: Volksglück ist – mein Unglück.

Welch' leeres Gerede die politischen Liberalen mit emphatischem Anstande machen, das sieht man wieder recht in Nauwerk's „Ueber die Theilnahme am Staate“. Da wird über die Gleichgültigen und Theilnahmlosen geklagt, die nicht im vollen Sinne Staatsbürger seien, und der Verfasser spricht so, als könne man gar nicht Mensch sein, wenn man sich nicht [308] lebendig am Staatswesen betheilige, d. h. wenn man nicht Politiker sei. Darin hat er Recht; denn wenn der Staat für den Hüter alles „Menschlichen“ gilt, so können Wir nichts Menschliches haben, ohne an ihm Theil zu nehmen. Was ist aber damit gegen den Egoisten gesagt? Gar nichts, weil der Egoist sich selbst der Hüter des Menschlichen ist und mit dem Staate nur die Worte spricht: Geh' Mir aus der Sonne. Nur wenn der Staat mit seiner Eigenheit in Berührung kommt, nimmt der Egoist ein thätiges Interesse an ihm. Wenn den Stubengelehrten der Zustand des Staates nicht drückt, soll er sich mit ihm befassen, weil es seine „heiligste Pflicht“ ist? So lange der Staat es ihm nach Wunsche macht, was braucht er da von seinen Studien aufzusehen? Mögen doch diejenigen, welche die Zustände aus eigenem Interesse anders haben wollen, sich damit beschäftigen. Die „heilige Pflicht“ wird nun und nimmermehr die Leute dazu bringen, über den Staat nachzudenken, so wenig als sie aus „heiliger Pflicht“ Jünger der Wissenschaft, Künstler u. s. w. werden. Der Egoismus allein kann sie dazu antreiben, und er wird es, sobald es viel schlechter geworden ist. Zeigtet Ihr den Leuten, daß ihr Egoismus die Beschäftigung mit dem Staatswesen fordere, so würdet Ihr sie nicht lange aufzurufen haben; appellirt Ihr hingegen an ihre Vaterlandsliebe u. dergl., so werdet Ihr lange zu diesem „Liebesdienste“ tauben Heizen predigen. Freilich, in eurem Sinne werden sich die Egoisten überhaupt nicht am Staatswesen betheiligen.

Eine ächt liberale Phrase bringt Nauwerk S. 16: „Der Mensch erfüllt erst damit vollständig seinen Beruf, daß er sich als Mitglied der Menschheit fühlt und weiß, und als solches wirksam ist. Der Einzelne kann die Idee des Menschen [309] thums nicht verwirklichen, wenn er sich nicht auf die ganze Menschheit stützt, nicht aus ihr wie Antäos seine Kräfte schöpft.“

Ebendaselbst heißt es: „Die Beziehung des Menschen zur res publica wird von der theologischen Ansicht zur reinen Privatsache herabgewürdigt, wird somit hinweg geleugnet.“ Als ob die politische Ansicht es mit der Religion anders machte! Da ist die Religion eine „Privatsache“.

Wenn statt der „heiligen Pflicht“, der „Bestimmung des Menschen“, des „Berufes zum vollen Menschenthum“ und ähnlicher Gebote den Leuten vorgehalten würde, daß ihr Eigennutz verkümmert werde, wenn sie im Staate Alles gehen lassen, wie's geht, so würden sie ohne Tiraden so angeredet, wie man sie im entscheidenden Augenblicke wird anreden müssen, wenn man seinen Zweck erreichen will. Statt dessen sagt der Theologenfeindliche Verfasser: „Wenn irgend eine Zeit, so ist es auch die unsrige, in welcher der Staat auf alle die Seinigen Ansprüche macht. – Der denkende Mensch erblickt in der Betheiligung an der Theorie und Praxis des Staates eine Pflicht, eine der heiligsten Pflichten, welche ihm obliegen“ – und zieht dann die „unbedingte Nothwendigkeit, daß Jedermann sich am Staate betheilige“, näher in Betrachtung.

Politiker ist und bleibt in alle Ewigkeit der, welchem der Staat im Kopfe oder im Herzen oder in beiden sitzt, der vom Staate Besessene oder der Staatsgläubige.

„Der Staat ist das nothwendigste Mittel für die vollständige Entwicklung der Menschheit.“ Er ist's allerdings gewesen, so lange Wir die Menschheit entwickeln wollten; wenn Wir aber Uns weiden entwickeln wollen, kann er Uns nur ein Hemmungsmittel sein. [310]

Kann man jetzt noch Staat und Volk reformiren und bessern? So wenig als den Adel, die Geistlichkeit, die Kirche u. s. w.: man kann sie aufheben, vernichten, abschaffen, nicht reformiren. Kann Ich denn einen Unsinn durch Reformiren in Sinn verwandeln, oder muß ihn geradezu fallen lassen?

Es ist fortan nicht mehr um den Staat (die Staatsverfassung u. s. w.) zu thun, sondern um Mich. Damit versinken alle Fragen über Fürstenmacht, Constitution u. .s. w. in ihren wahren Abgrund und ihr wahres Nichts. Ich, dieses Nichts, werde meine Schöpfungen aus Mir hervortreiben.

 

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Zu dem Capitel der Gesellschaft gehört auch „die Partei“, deren Lob man jüngst gesungen hat.

Im Staate gilt die Partei. „Partei, Partei, wer sollte sie nicht nehmen!“ Der Einzelne aber ist einzig, kein Glied der Partei. Er vereinigt sich frei und trennt sich wieder frei. Die Partei ist nichts als ein Staat im Staate, und in diesem kleineren Bienenstaate soll dann ebenso wieder „Friede“ herrschen, wie im größeren. Gerade diejenigen, welche am lautesten rufen, daß im Staate eine Opposition sein müsse, eifern gegen jede Uneinigkeit der Partei. Ein Beweis, wie auch sie nur einen – Staat wollen. Nicht am Staate, sondern am Einzigen zerscheitern alle Parteien.

Nichts hört man jetzt häufiger als die Ermahnung, seiner Partei treu zu bleiben, nichts verachten Parteimenschen so sehr als einen Parteigänger. Man muß mit seiner Partei durch Dick und Dünn laufen und ihre Hauptgrundsätze unbedingt gutheißen und vertreten. Ganz so schlimm wie mit geschlossenen Gesellschaften steht es zwar hier nicht, weil jene ihre Mitglieder [311] an feste Gesetze oder Statuten binden (z. B. die Orden, die Gesellschaft Jesu u. s. w.). Aber die Partei hört doch in demselben Augenblicke auf, Verein zu sein, wo sie gewisse Principien bindend macht und sie vor Angriffen gesichert wissen will; dieser Augenblick ist aber gerade der Geburtsact der Partei. Sie ist als Partei schon eine geborne Gesellschaft, ein todter Verein, eine fix gewordene Idee. Als Partei des Absolutismus kann sie nicht wollen, daß ihre Mitglieder an der unumstößlichen Wahrheit dieses Principes zweifeln; sie könnten diesen Zweifel nur hegen, wenn sie egoistisch genug wären, noch etwas außer ihrer Partei sein zu wollen, d. h. unparteiische. Unparteiisch vermögen sie nicht als Parteimenschen zu sein, sondern nur als Egoisten. Bist Du Protestant und gehörst zu dieser Partei, so darfst Du den Protestantismus nur rechtfertigen, allenfalls „reinigen“, nicht verwerfen; bist Du Christ und gehörst unter den Menschen zur christlichen Partei, so kannst Du nicht als Mitglied dieser Partei, sondern nur dann, wenn Dich dein Egoismus, d. h. Unparteilichkeit, dazu treibt, darüber hinausgehen. Welche Anstrengungen haben die Christen bis auf Hegel und die Communisten herab gemacht, um ihre Partei stark zu machen; sie blieben dabei, daß das Christenthum die ewige Wahrheit enthalten müsse, und man sie nur herauszufinden, festzustellen und zu rechtfertigen brauche.

Kurz die Partei verträgt nicht die Unparteilichkeit, und in dieser eben erscheint der Egoismus. Was schiert Mich die Partei. Ich werde doch genug finden, die sich mit Mir vereinigen, ohne zu meiner Fahne zu schwören.

Wer von einer Partei zur andern übertritt, den schimpft man sofort einen „Ueberläufer“. Freilich fordert die Sittlichkeit, [312] daß man zu seiner Partei halte, und ihr abtrünnig werden, heißt sich mit dem Makel der „Untreue“ beflecken; allein die Eigenheit kennt kein Gebot der „Treue, Anhänglichkeit u. s. w.“, die Eigenheit erlaubt Alles, auch die Abtrünnigkeit, den Uebertritt. Unbewußt lassen sich auch selbst die Sittlichen von diesem Grundsatze leiten, wenn es gilt, einen zu ihrer Partei Uebertretenden zu beurtheilen, ja sie machen wohl Proselyten; sie sollten nur zugleich sich darüber ein Bewußtsein verschaffen, daß man unsittlich handeln müsse, um eigen zu handeln, d. h. hier, daß man die Treue brechen müsse, ja selbst seinen Eid, um sich selbst zu bestimmen, statt von sittlichen Rücksichten bestimmt zu werden. In den Augen der Leute von streng sittlichem Urtheil schillert ein Apostat stets in zweideutigen Farben, und wird nicht leicht ihr Vertrauen erwerben: ihm klebt ja der Flecken der „Untreue“ an, d. h. einer Unsittlichkeit. Bei dem niederen Manne findet man diese Ansicht fast allgemein: die Aufgeklärten gerathen, wie immer, auch hier in eine Unsicherheit und Verwirrung, und der in dem Principe der Sittlichkeit nothwendig begründete Widerspruch kommt ihnen wegen der Confusion ihrer Begriffe nicht zum deutlichen Bewußtsein. Den Apostaten geradehin unsittlich zu nennen, getrauen sie sich nicht, weil sie selbst zur Apostasie, zum Uebertritt von einer Religion zur andern u. s. w. verleiten, und den Standpunkt der Sittlichkeit vermögen sie doch auch nicht aufzugeben. Und doch wäre hier die Gelegenheit zu ergreifen, um aus der Sittlichkeit hinauszuschreiten.

Sind etwa die Eignen oder Einzigen eine Partei? Wie könnten sie Eigne sein, wenn sie die Angehörigen einer Partei wären! [313]

Oder soll man es mit keiner Partei halten? Eben indem man sich ihnen anschließt und in ihren Kreis eintritt, knüpft man einen Verein mit ihnen, der so weit dauert, als Partei und Ich ein und dasselbe Ziel verfolgen. Aber heute theile Ich noch die Tendenz der Partei und morgen schon kann Ich es nicht mehr und werde ihr „untreu“. Die Partei hat nichts Bindendes (Verpflichtendes) für Mich und Ich respectire sie nicht; gefällt sie Mir nicht mehr, so feinde Ich sie an.

In jeder Partei, welche auf sich und ihr Bestehen hält, sind die Mitglieder in dem Grade unfrei oder besser uneigen, sie ermangeln in dem Grade des Egoismus, als sie jenem Begehren der Partei dienen. Die Selbständigkeit der Partei bedingt die Unselbständigkeit der Parteiglieder.

Eine Partei kann, welcher Art sie auch sei, niemals ein Glaubensbekenntniß entbehren. Denn an das Princip der Partei müssen ihre Angehörigen glauben, es muß von ihnen nicht in Zweifel gezogen oder in Frage gestellt werden, es muß das Gewisse, Unzweifelhafte für das Parteiglied sein. Das heißt: Man muß einer Partei mit Leib und Seele gehören, sonst ist man nicht wahrhaft Parteimann, sondern mehr oder minder – Egoist. Hege einen Zweifel am Christenthum und Du bist schon kein wahrer Christ mehr, hast Dich zu der „Frechheit“ erhoben, darüber hinaus eine Frage zu stellen und das Christenthum vor deinen egoistischen Richterstuhl zu ziehen. Du hast Dich am Christenthum, dieser Parteisache (denn z. B. Sache der Juden, einer andern Partei, ist sie doch nicht) – versündigt. Aber wohl Dir, wenn Du Dich nicht schrecken lässest: deine Frechheit verhilft Dir zur Eigenheit.

So könnte ein Egoist also niemals Partei ergreifen oder Partei nehmen? Doch, nur kann er sich nicht von der Partei [314] ergreifen und einnehmen lassen. Die Partei bleibt für ihn allezeit nichts als eine Partie: er ist von der Partie, er nimmt Theil.

 

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Der beste Staat wird offenbar derjenige sein, welcher die loyalsten Bürger hat, und je mehr der ergebene Sinn für Gesetzlichkeit sich verliert, um so mehr wird der Staat dieses System der Sittlichkeit, dieses sittliche Leben selbst, an Kraft und Güte geschmälert werden. Mit den „guten Bürgern“ verkommt auch der gute Staat und löst sich in Anarchie und Gesetzlosigkeit auf. „Achtung vor dem Gesetze!“ Durch diesen Kitt wird das Staatsganze zusammengehalten. „Das Gesetz ist heilig, und wer daran frevelt, ein Verbrecher.“ Ohne Verbrechen kein Staat: die sittliche Welt – und das ist der Staat – steckt voll Schelme, Betrüger, Lügner, Diebe u.s.w. Da der Staat die „Herrschaft des Gesetzes“, die Hierarchie desselben ist, so kann der Egoist in allen Fällen, wo sein Nutzen gegen den des Staates läuft, nur im Wege des Verbrechens sich befriedigen.

Der Staat kann den Anspruch nicht aufgeben, daß seine Gesetze und Anordnungen heilig seien. Dabei gilt dann der Einzelne gerade so für den Unheiligen (Barbaren, natürlichen Menschen, „Egoisten“) gegenüber dem Staate, wie er von der Kirche einst betrachtet wurde; vor dem Einzelnen nimmt der Staat den Nimbus eines Heiligen an. So erläßt er ein Duellgesetz. Zwei Menschen, die beide darüber einig sind, daß sie ihr Leben für eine Sache (gleichviel welche) einsetzen wollen, sollen dieß nicht dürfen, weil's der Staat nicht haben will: er setzt eine Strafe darauf. Wo bleibt da die [315] Freiheit der Selbstbestimmung? Ganz anders verhält es sich schon, wann, wie z. B. in Nordamerika, sich die Gesellschaft dazu bestimmt, die Duellanten gewisse üble Folgen ihrer That tragen zu lassen, z. B. Entziehung des bisher genossenen Credits. Den Credit zu verweigern, das ist Jedermanns Sache, und wenn eine Societät ihn aus diesem oder jenem Grunde entziehen will, so kann sich der Betroffene deshalb nicht über Beeinträchtigung seiner Freiheit beklagen: die Societät macht eben nur ihre eigene Freiheit geltend. Das ist keine Sündenstrafe, keine Strafe für ein Verbrechen. Das Duell ist da kein Verbrechen, sondern nur eine That, wider welche die Societät Gegenmaaßregeln ergreift, eine Abwehr statuirt. Der Staat hingegen stempelt das Duell zu einem Verbrechen, d. h. zu einer Verletzung seines heiligen Gesetzes: er macht es zu einem Criminalfall. Ueberläßt jene Societät es dem Beschlusse des Einzelnen, ob er sich üble Folgen und Ungelegenheiten durch seine Handlungsweise zuziehen wolle, und erkennt sie hierdurch seinen freien Entschluß an, so verfährt der Staat gerade umgekehrt, indem er dem Entschlusse des Einzelnen alles Recht abspricht, und dafür dem eigenen Beschlusse, dem Staatsgesetze, das alleinige Recht zuerkennt, so daß, wer gegen das Gebot des Staates sich vergeht, so angesehen wird, als handle er wider Gottes Gebot; eine Ansicht, welche gleichfalls von der Kirche eingehalten wurde. Gott ist da der Heilige an und für sich, und die Gebote der Kirche wie des Staates sind die Gebote dieses Heiligen, die er der Welt durch seine Gesalbten und Gottesgnaden-Herrn zustellt. Hatte die Kirche Todsünden, so hat der Staat todeswürdige Verbrechen, hatte sie Ketzer, so hat er Hochverräther, jene Kirchenstrafen, er Criminalstrafen, jene inquisitorische [316] Processe, er fiscalische, kurz dort Sünden, hier Verbrechen, dort Sünder, hier Verbrecher, dort Inquisition und hier – Inquisition. Wird die Heiligkeit des Staats nicht gleich der kirchlichen fallen? Der Schauer seiner Gesetze, die Ehrfurcht vor seiner Hoheit, die Demuth seiner „Unterthanen“, wird dieß bleiben? Wird das „Heiligengesicht“ nicht verunziert werden?

Welch' eine Thorheit, von der Staatsgewalt zu verlangen, daß sie mit dem Einzelnen einen ehrlichen Kampf eingehen und, wie man bei der Preßfreiheit sich ausdrückt, Sonne und Wind gleich theilen solle. Wenn der Staat, dieser Gedanke, eine geltende Macht sein soll, so muß er eben eine höhere Macht gegen den Einzelnen sein. Der Staat ist „heilig“ und darf sich den „frechen Angriffen“ der Einzelnen nicht aussetzen. Ist der Staat heilig, so muß Censur sein. Die politischen Liberalen geben das erstere zu und bestreiten die Consequenz. Jedenfalls aber räumen sie ihm die Repressivmaaßregeln ein, denn – sie bleiben dabei, daß Staat mehr sei als der Einzelne und eine berechtigte Rache ausübe, Strafe genannt.

Strafe hat nur dann einen Sinn, wenn sie die Sühne für die Verletzung eines Heiligen gewähren soll. Ist Einem etwas heilig, so verdient er allerdings, wo er es anfeindet, Strafe. Ein Mensch, der ein Menschenleben bestehen läßt, weil es ihm heilig ist, und er eine Scheu vor seiner Antastung trägt, ist eben ein – religiöser Mensch.

Weitling legt die Verbrechen der „gesellschaftlichen Unordnung“ zur Last und lebt der Erwartung, daß unter communistischen Einrichtungen die Verbrechen unmöglich werden, weil die Versuchungen zu denselben, z. B. das Geld, wegfallen. Da indeß seine organisirte Gesellschaft auch zur heiligen und [317] unverletzlichen erhoben wird, so verrechnet er sich bei jener gutherzigen Meinung. Solche, die sich mit dem Munde zur communistischen Gesellschaft bekenneten, unter der Hand hingegen an ihrem Ruin arbeiteten, würden nicht fehlen. Bei „Heilmitteln gegen den natürlichen Rest menschlicher Krankheiten und Schwächen“ muß Weitling ohnehin verbleiben, und „Heilmittel“ kündigen immer schon an, daß man die Einzelnen als zu einem bestimmten „Heil berufen“ ansehen, mithin sie nach Maaßgabe dieses „menschlichen Berufes“ behandeln werde. Das Heilmittel oder die Heilung ist nur die Kehrseite der Strafe, die Heiltheorie läuft parallel mit der Straftheorie; sieht diese in einer Handlung eine Versündigung gegen das Recht, so nimmt jene sie für eine Versündigung des Menschen gegen sich, als einen Abfall von seiner Gesundheit. Das Richtige aber ist, daß Ich sie entweder als eine ansehe, die Mir recht oder Mir nicht recht ist, als Mir feindlich oder freundlich, d. h. daß Ich sie als Mein Eigenthum behandle, welches Ich pflege oder zertrümmere. „Verbrechen“ oder „Krankheit“ ist beides keine egoistische Ansicht der Sache, d. h. keine Beurtheilung von Mir aus, sondern von einem Andern aus, ob sie nämlich entweder das Recht, das allgemeine, oder die Gesundheit theils des Einzelnen (des Kranken), theils des Allgemeinen (der Gesellschaft) verletzt. Das „Verbrechen“ wird mit Unerbittlichkeit behandelt, die „Krankheit“ mit „liebreicher Milde, Mitleid“ u. dergl.

Dem Verbrechen folgt die Strafe. Fällt das Verbrechen, weil das Heilige verschwindet, so muß nicht minder die Strafe in dessen Fall hineingezogen werden; denn auch sie hat nur einem Heiligen gegenüber Bedeutung. Man hat die Kirchenstrafen abgeschafft. Warum? Weil, wie Jemand sich gegen [318] den „heiligen Gott“ benehme, Jedermanns eigene Sache sei. Wie aber diese eine Strafe, die Kirchenstrafe, gefallen ist, so müssen alle Strafen fallen. Wie die Sünde gegen den sogenannten Gott des Menschen eigene Sache ist, so die gegen jede Art des sogenannten Heiligen. Nach unsern Strafrechtstheorieen, mit deren „zeitgemäßer Verbesserung“ man sich vergeblich abquält, will man die Menschen für diese oder jene „Unmenschlichkeit“ strafen und macht dabei das Alberne dieser Theorieen durch ihre Consequenz besonders deutlich, indem man die kleinen Diebe hängt und die großen laufen läßt. Für Eigenthumsverletzung hat man das Zuchthaus, und für „Gedankenzwang“, Unterdrückung „natürlicher Menschenrechte“, nur – Vorstellungen und Bitten.

Der Criminalcodex hat nur durch das Heilige Bestand und verkommt von selbst, wenn man die Strafe aufgiebt. Allerwärts will man gegenwärtig ein neues Strafgesetz schaffen, ohne sich über die Strafe selbst ein Bedenken zu machen. Gerade die Strafe aber muß der Genugthuung den Platz räumen, die wiederum nicht darauf abzielen kann, dem Rechte oder der Gerechtigkeit genug zu thun, sondern Uns ein Genüge zu verschaffen. Thut Uns Einer, was Wir Uns nicht gefallen lassen wollen, so brechen Wir seine Gewalt und bringen die Unsere zur Geltung: Wir befriedigen Uns an ihm und verfallen nicht in die Thorheit, das Recht (den Spuk) befriedigen zu wollen. Nicht das Heilige soll sich gegen den Menschen wehren, sondern der Mensch gegen den Menschen, so wie ja auch nicht mehr Gott sich gegen den Menschen wehrt, dem sonst und zum Theil freilich noch jetzt alle „Diener Gottes“ die Hand boten, um den Lästerer zu strafen, wie sie eben heute noch dem Heiligen ihre Hand leihen. Jene [319] Hingebung an das Heilige bewirkt denn auch, daß man, ohne lebendigen, eigenen Antheil, die Uebelthäter nur in die Hände der Polizei und Gerichte liefert: ein theilnahmloses Ueberantworten an die Obrigkeit, „die ja das Heilige aufs Beste verwalten wird“. Das Volk ist ganz toll darauf, gegen Alles die Polizei zu hetzen, was ihm unsittlich, oft nur unanständig zu sein scheint, und diese Volkswuth für das Sittliche beschützt mehr das Polizeiinstitut, als die Regierung es nur irgend schützen könnte.

Im Verbrechen hat sich seither der Egoist behauptet und das Heilige verspottet: der Bruch mit dem Heiligen, oder vielmehr des Heiligen kann allgemein werden. Eine Revolution kehrt nicht wieder, aber ein gewaltiges, rücksichtsloses, schamloses, gewissenloses, stolzes – Verbrechen, grollt es nicht in fernen Donnern, und siehst Du nicht, wie der Himmel ahnungsvoll schweigt und sich trübt?

 

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Wer sich weigert, seine Kräfte für so beengte Gesellschaften, wie Familie, Partei, Nation zu verwenden, der sehnt sich immer noch nach einer würdigeren Gesellschaft und meint etwa in der „menschlichen Gesellschaft“ oder der „Menschheit“ das wahre Liebesobject gefunden zu haben, dem sich zu opfern seine Ehre ausmache: von nun an „lebt und dient er der Menschheit“.

Volk heißt der Körper, Staat der Geist jener herrschenden Person, die seither Mich unterdrückt hat. Man hat Völker und Staaten dadurch verklären wollen, daß man sie zur „Menschheit“ und „allgemeinen Vernunft“ erweiterte; allein die Knechtschaft würde bei dieser Ausweitung nur noch [320] intensiver werden, und die Philanthropen und Humanen sind so absolute Herrn als die Politiker und Diplomaten.

Neuere Kritiker eifern gegen die Religion, weil sie Gott, das Göttliche, Sittliche u. s. w. außer dem Menschen setze oder zu etwas Objectivem mache, wogegen sie eben diese Subjecte vielmehr in den Menschen verlegen. Allein in den eigentlichen Fehler der Religion, dem Menschen eine „Bestimmung“ zu geben, verfallen jene Kritiker nicht minder, indem auch sie ihn göttlich, menschlich u. dgl. wissen wollen: Sittlichkeit, Freiheit und Humanität u. s. w. sei sein Wesen. Und wie die Religion, so wollte auch die Politik den Menschen „erziehen“, ihn zur Verwirklichung seines „Wesens“, seiner „Bestimmung“ bringen, etwas aus ihm machen, nämlich einen „wahren Menschen“, die eine in der Form des „wahren Gläubigen“, die andere in der des „wahren Bürgers oder Unterthanen“. In der That kommt es auf Eins hinaus, ob man die Bestimmung das Göttliche oder Menschliche nennt.

Unter Religion und Politik befindet sich der Mensch auf dem Standpunkte des Sollens: er soll dieß und das werden, soll so und so sein. Mit diesem Postulat, diesem Gebote tritt nicht nur Jeder vor den Andern hin, sondern auch vor sich selbst. Jene Kritiker sagen: Du sollst ein ganzer, ein freier Mensch sein. So stehen auch sie in der Versuchung, eine neue Religion zu proclamiren, ein neues Absolutes, ein Ideal aufzustellen, nämlich die Freiheit. Die Menschen sollen frei werden. Da könnten selbst Missionaire der Freiheit erstehen, wie das Christenthum in der Ueberzeugung, daß Alle eigentlich dazu bestimmt seien, Christen zu werden, Missionaire des Glaubens aussandte. Die Freiheit würde dann, wie bisher der Glaube als Kirche, die Sittlichkeit als Staat, so als [321] eine neue Gemeinde sich constituiren und von ihr aus eine gleiche „Propaganda“ betreiben. Allerdings läßt sich gegen ein Zusammentreten kein Einwand aufbringen; um so mehr aber muß man jeder Erneuerung der alten Fürsorge, der Heranbildung, kurz dem Principe, aus Uns etwas zu machen, gleichviel ob Christen, Unterthanen oder Freie und Menschen, entgegentreten.

Wohl kann man mit Feuerbach und Andern sagen, daß die Religion das Menschliche aus dem Menschen hinausgerückt und in ein Jenseits so verlegt habe, daß es dort unerreichbar als ein für sich Persönliches, als ein „Gott“ sein eigenes Dasein führte; allein der Irrthum der Religion ist damit keineswegs erschöpft. Man könnte sehr wohl die Persönlichkeit des entrückten Menschlichen fallen lassen, könnte den Gott ins Göttliche verwandeln, und man bliebe dennoch religiös. Denn das Religiöse besteht in der Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen Menschen, d. h. in der Aufstellung einer zu erstrebenden „Vollkommenheit“, in dem „nach seiner Vollendung ringenden Menschen“. 20) („Darum sollt Ihr vollkommen sein, wie Euer Vater im Himmel vollkommen ist“. Matth. V, 48.): es besteht in der Fixirung eines Ideals, eines Absoluten. Die Vollkommenheit ist das „höchste Gut“, der finis bonorum; das Ideal eines Jeden ist der vollkommene Mensch, der wahre, der freie Mensch u. s. w.

Die Bestrebungen der Neuzeit zielen dahin, das Ideal des „freien Menschen“ aufzustellen. Könnte man's finden, gäb's eine neue – Religion, weil ein neues Ideal, gäbe ein [322] neues Sehnen, ein neues Abquälen, eine neue Andacht, eine neue Gottheit, eine neue Zerknirschung.

Mit dem Ideal der „absoluten Freiheit“ wird dasselbe Unwesen getrieben, wie mit allem Absoluten, und nach Heß z. B. soll sie „in der absoluten menschlichen Gesellschaft realisirbar sein“. 21) Ja diese Verwirklichung wird gleich nachher ein „Beruf“ genannt; ebenso bestimmt er dann die Freiheit als „Sittlichkeit“: es soll das Reich der „Gerechtigkeit“ (d. i. Gleichheit) und „Sittlichkeit“ (d. i. Freiheit) beginnen u. s. w.

Lächerlich ist, wer, während Genossen seines Stammes, Familie, Nation u. s. w. viel gelten, – nichts ist als „aufgebläht“ über der Genossen Verdienst; verblendet aber auch derjenige, der nur „Mensch“ sein will. Keiner von ihnen setzt seinen Werth in die Ausschließlichkeit, sondern in die Verbundenheit oder in das „Band“, welches ihn mit Andern zusammenschließt, in die Blutsbande, Nationalbande, Menschheitsbande.

Durch die heurigen „Nationalen“ ist der Streit wieder rege geworden zwischen denen, welche bloß menschliches Blut und menschliche Blutsbande zu haben meinen, und den andern, welche auf ihr specielles Blut und die speciellen Blutsbande pochen.

Sehen Wir davon ab, daß Stolz eine Ueberschätzung ausdrücken könnte, und nehmen Wir's allein für Bewußtsein, so findet sich ein ungeheurer Abstand zwischen dem Stolze darauf, einer Nation „anzugehören“, also ihr Eigenthum zu sein, und dem, eine Nationalität sein Eigenthum zu nennen. Die Nationalität ist meine Eigenschaft, die Nation aber meine Eignerin[323] und Herrin. Hast Du Körperstärke, so kannst Du sie geeigneten Ortes anwenden und auf sie ein Selbstgefühl oder Stolz haben; hat hingegen dein starker Körper Dich, so juckt er Dich überall und am ungeeignetsten Orte, seine Stärke zu zeigen: Du kannst Keinem die Hand geben, ohne sie ihm zu drücken.

Die Einsicht, daß man mehr als Familienglied, mehr als Stammesgenosse, mehr als Volksindividuum u. s. w. sei, hat endlich dahin geführt zu sagen: man ist mehr als alles dieß, weil man Mensch ist, oder: der Mensch ist mehr als der Jude, Deutsche u. s. w. „Darum sei Jeder ganz und allein – Mensch!“ Konnte man nicht lieber sagen: Weil Wir mehr als das Angegebene sind, darum wollen Wir sowohl dieß als auch jenes „mehr“ sein? Also Mensch und Deutscher, Mensch und ein Welfe u. s. w.? Die Nationalen haben Recht; man kann seine Nationalität nicht verleugnen, und die Humanen haben Recht: man muß nicht in der Bornirtheit des Nationalen bleiben. In der Einzigkeit löst sich der Widerspruch: das Nationale ist meine Eigenschaft. Ich aber gehe nicht in meiner Eigenschaft auf, wie auch das Menschliche meine Eigenschaft ist, Ich aber dem Menschen erst durch meine Einzigkeit Existenz gebe.

Die Geschichte sucht den Menschen: er ist aber Ich, Du, Wir. Gesucht als ein mysteriöses Wesen, als das Göttliche, erst als der Gott, dann als der Mensch (die Menschlichkeit, Humanität und Menschheit), wird er gefunden als der Einzelne, der Endliche, der Einzige.

Ich bin Eigner der Menschheit, bin die Menschheit und thue nichts für das Wohl einer andern Menschheit. Thor, der Du eine einzige Menschheit bist, daß Du Dich aufspreizest, für eine andere, als Du selbst bist, leben zu wollen. [324]

Das bisher betrachtete Verhältniß Meiner zur Menschenwelt bietet einen solchen Reichthum an Erscheinungen dar, daß es bei anderen Gelegenheiten wieder und wieder aufgenommen, hier aber, wo es nur im Großen anschaulich gemacht werden sollte, abgebrochen werden muß, um einer Auffassung zweier andern Seiten, nach denen hin es ausstrahlt, Platz zu machen. Da Ich Mich nämlich nicht bloß zu den Menschen, so weit sie den Begriff „Mensch“ in sich darstellen oder Menschenkinder sind (Kinder des Menschen, wie von Kindern Gottes geredet wird), in Beziehung finde, sondern auch zu dem, was sie von dem Menschen haben und ihr Eigenes nennen, also Mich nicht allein auf das, was sie durch den Menschen sind, sondern auch auf ihre menschliche Habe beziehe: so wird außer der Menschenwelt auch die Sinnen- und Ideenwelt in den Kreis der Besprechung zu ziehen und sowohl von dem, was die Menschen an sinnlichen, als dem, was sie an geistigen Gütern ihr eigen nennen, einiges zu sagen sein.

Je nachdem man den Begriff des Menschen entwickelt und sich vorstellig gemacht hatte, gab man Uns denselben als diese oder jene Respectsperson zu achten, und aus dem weitesten Verständniß dieses Begriffes ging endlich das Gebot hervor: „in Jedem den Menschen zu respectiren“. Respectire Ich aber den Menschen, so muß mein Respect sich gleichfalls auf das Menschliche oder das, was des Menschen ist, erstrecken.

Es haben die Menschen Eigenes, und Ich soll dieß Eigene anerkennen und heilig halten. Ihr Eigenes besteht theils in äußerlicher, theils in innerlicher Habe. Jenes sind Dinge, dieses Geistigkeiten, Gedanken, Ueberzeugungen, edle Gefühle u.s.w. Aber immer nur die rechtliche oder menschliche Habe soll Ich respectiren; die unrechtliche und unmenschliche brauche [325] Ich nicht zu schonen, denn der Menschen wirklich Eigenes ist nur das Eigene des Menschen. Innerliche Habe dieser Art ist z. B. die Religion; weil die Religion frei, d. h. des Menschen ist, darum darf Ich sie nicht antasten. Ebenso ist eine innerliche Habe die Ehre; sie ist frei und darf von Mir nicht angetastet werden. (Injurienklage, Carricaturen u. s. w.) Religion und Ehre sind „geistiges Eigenthum“. Im dinglichen Eigenthum steht obenan die Person: meine Person ist mein erstes Eigenthum. Daher Freiheit der Person; aber nur die rechtliche oder menschliche Person ist frei, die andere wird eingesperrt. Dein Leben ist Dein Eigenthum; es ist aber den Menschen nur heilig, wenn es nicht das eines Unmenschen ist.

Was der Mensch als solcher an körperlichen Gütern nicht behaupten kann, dürfen Wir ihm nehmen: dieß der Sinn der Concurrenz, der Gewerbefreiheit. Was er an geistigen Gütern nicht behaupten kann, verfällt Uns gleichfalls: so weit geht die Freiheit der Discussion, der Wissenschaft, der Kritik.

Aber unantastbar sind die geheiligten Güter. Geheiligt und garantirt durch wen? Zunächst durch den Staat, die Gesellschaft, eigentlich aber durch den Menschen oder den „Begriff“, den „Begriff der Sache“: denn der Begriff der geheiligten Güter ist der, daß sie wahrhaft menschliche seien, oder vielmehr, daß sie der Inhaber als Mensch und nicht als Unmensch besitze.

Geistiger Seits ist ein solches Gut der Glaube des Menschen, seine Ehre, sein sittliches, ja sein Anstands-, Schamgefühl u. s. w. Ehrenrührige Handlungen (Reden, Schriften) sind strafbar; Angriffe auf „den Grund aller Religion“; Angriffe auf den politischen Glauben, kurz Angriffe auf Alles, was ein Mensch „mit Recht“ hat. [326]

Wie weit der kritische Liberalismus die Heiligkeit der Güter ausdehnen würde, darüber hat er noch keinen Ausspruch gethan und wähnt auch wohl, aller Heiligkeit abhold zu sein; allein da er gegen den Egoismus ankämpft, so muß er diesem Schranken setzen und darf den Unmenschen nicht über das Menschliche herfallen lassen. Seiner theoretischen Verachtung der „Masse“ müßte, wenn er die Gewalt gewönne, eine praktische Zurückweisung entsprechen.

Welche Ausdehnung der Begriff „Mensch“ erhalte, und was durch ihn dem einzelnen Menschen zukomme, was also der Mensch und das Menschliche sei, darüber liegen die verschiedenen Stufen des Liberalismus aus einander, und der politische, der sociale, der humane Mensch nehmen, der eine immer mehr als der andere, für „den Menschen“ in Anspruch. Wer diesen Begriff am besten gefaßt hat, der weiß am besten, was „des Menschen“ ist. Der Staat faßt diesen Begriff noch in politischer, die Gesellschaft in socialer Beschränktheit, die Menschheit erst, so heißt es, erfaßt ihn ganz oder „die Geschichte der Menschheit entwickelt ihn“. Ist aber „der Mensch gefunden“, dann kennen Wir auch das dem Menschen Eigene, das Eigenthum des Menschen, das Menschliche.

Mag aber der einzelne Mensch darum, weil ihn der Mensch oder der Begriff Mensch, d. h. weil ihn sein Menschsein dazu „berechtigt“, auf noch so viel Rechte Anspruch machen: was kümmelt Mich sein Recht und sein Anspruch? Hat er sein Recht nur von dem Menschen und hat er's nicht von Mir, so hat er für Mich kein Recht. Sein Leben z.B. gilt Mir nur, was Mir's werth ist. Ich respectire weder sein sogenanntes Eigenthumsrecht oder sein Recht auf dingliche Güter, noch auch sein Recht auf das „Heiligthum seines Innern“, [327] oder sein Recht darauf, daß dir geistigen Güter und Göttlichkeiten, seine Götter, ungekränkt bleiben. Seine Güter, die sinnlichen wie die geistigen, sind mein und Ich schalte damit als Eigenthümer nach dem Maaße meiner – Gewalt.

Die Eigenthumsfrage birgt einen weiteren Sinn in sich, als die beschränkte Fragstellung herauszubringen erlaubt. Auf das, was man unsere Habe nennt, allein bezogen, ist sie keiner Lösung fähig; die Entscheidung findet sich erst bei dem, „von welchem Wir Alles haben“. Vom Eigner hängt das Eigenthum ab.

Die Revolution richtete ihre Waffen gegen Alles, was „von Gottes Gnaden“ kam, z.B. gegen das göttliche Recht, an dessen Statt das menschliche befestigt wurde. Dem von Gottes Gnaden Verliehenen wird das „aus dem Wesen des Menschen“ Hergeleitete entgegengestellt.

Wie nun das Verhältniß der Menschen zu einander im Gegensatz zum religiösen Dogma, welches ein „Liebet Euch unter einander um Gottes willen“ gebietet, seine menschliche Stellung durch ein „Liebet einander um des Menschen willen“ erhalten mußte, so konnte die revolutionaire Lehre nicht anders, als, was zunächst die Beziehung der Menschen auf die Dinge dieser Welt betrifft, feststellen, daß die Welt, die bisher nach Gottes Ordnung eingerichtet war, hinfort „dem Menschen“ gehöre.

Die Welt gehört „dem Menschen“, und soll von Mir als sein Eigenthum respectirt werden.

Eigenthum ist das Meinige!

Eigenthum im bürgerlichen Sinne beteutet heiliges Eigenthum, der Art, daß Ich dein Eigenthum respectiren muß. „Respect vor dem Eigenthum!“ Daher möchten die Politiker, daß Jeder sein Stückchen Eigenthum besäße, und [328] haben durch dieß Bestreben zum Theil eine unglaubliche Parcellirung herbeigeführt. Jeder muß seinen Knochen haben, daran er was zu beißen finde.

Anders verhält sich die Sache im egoistischen Sinne. Von deinem und eurem Eigenthum trete Ich nicht scheu zurück, sondern sehe es stets als mein Eigenthum an, woran Ich nichts zu „respectiren“ brauche. Thuet doch desgleichen mit dem, was Ihr mein Eigenthum nennt!

Bei dieser Ansicht werden Wir Uns am leichtesten mit einander verständigen.

Die politischen Liberalen tragen Sorge, daß wo möglich alle Servituten abgelöst werden, und Jeder freier Herr auf seinem Grunde sei, wenn dieser Grund auch nur so viel Bodengehalt hat, als von dem Dünger Eines Menschen sich hinlänglich sättigen läßt. (Jener Bauer heirathete noch im Alter, „damit er vom Kothe seiner Frau profitire.“) Sei es auch noch so klein, wenn man nur Eigenes, nämlich ein respectirtes Eigenthum hat! Je mehr solcher Eigener, solcher Kothsassen, desto mehr „freie Leute und gute Patrioten“ hat der Staat.

Es rechnet der politische Liberalismus, wie alles Religiöse, auf den Respect, die Humanität, die Liebestugenden. Darum lebt er auch in unaufhörlichem Aerger. Denn in der Praxis respectiren eben die Leute nichts, und alle Tage werden die kleinen Besitzungen wieder von größeren Eigenthümern aufgekauft, und aus den „freien Leuten“ werden Tagelöhner.

Hätten dagegen die „kleinen Eigenthümer“ bedacht, daß auch das große Eigenthum das ihrige sei, so hätten sie sich nicht selber respectvoll davon ausgeschlossen, und würden nicht ausgeschlossen worden sein.

Das Eigenthum, wie die bürgerlichen Liberalen es verstehen, [329] verdient die Angriffe der Communisten und Proud'hons: es ist unhaltbar, weil der bürgerliche Eigenthümer wahrhaft nichts als ein Eigenthumsloser, ein überall Ausgeschlossener ist. Statt daß ihm die Welt gehören könnte, gehört ihm nicht einmal der armselige Punkt, auf welchem er sich herumdreht. Proud'hon will nicht den propriétaire, sondern den possesseur oder usufruitier. 22) Was heißt das? Er will, daß der Boden nicht Einem gehöre; aber der Nutzen desselben – und gestände man ihm auch nur den hundertsten Theil dieses Nutzens, dieser Frucht, zu – der ist ja doch sein Eigenthum, mit welchem er nach Belieben schalten kann. Wer nur den Nutzen eines Ackers hat, ist allerdings nicht der Eigenthümer desselben; noch weniger, wer, wie Proud'hon will, von diesem Nutzen so viel abgeben muß, als zu seinem Bedarf nicht nothwendig erfordert wird; allein er ist der Eigenthümer des ihm verbleibenden Antheils. Also negirt Proud'hon nur dieß und jenes Eigenthum, nicht das Eigenthum. Wenn Wir den Grundeigenthümern den Grund nicht länger lassen, sondern Uns zueignen wollen, so vereinigen Wir Uns zu diesem Zwecke, bilden einen Verein, eine société, die sich zur Eigenthümerin macht; glückt es Uns, so hören jene auf, Grundeigenthümer zu sein. Und wie von Grund und Boden, so können Wir sie noch aus manchem andern Eigenthum hinausjagen, um es zu unserm Eigenthum zu machen, zum Eigenthum der – Erobernden. Die Erobernden bilden eine Societät, die man sich so groß denken kann, daß sie nach und nach die ganze Menschheit umfaßt; aber auch die sogenannte Menschheit ist als solche nur ein Gedanke (Spuk); ihre Wirklichkeit sind die [330] Einzelnen. Und diese Einzelnen werden als eine Gesammtmasse nicht weniger willkührlich mit Grund und Boden umgehen, als ein vereinzelter Einzelner, oder sogenannter propriétaire. Auch so bleibt also das Eigenthum bestehen, und zwar auch als „ausschließlich“, indem die Menschheit, diese große Societät, den Einzelnen von ihrem Eigenthum ausschließt (ihm vielleicht nur ein Stück davon verpachtet, zu Lehn giebt), wie sie ohnehin alles, was nicht Menschheit ist, ausschließt, z. B. die Thierwelt nicht zum Eigenthum kommen läßt. – So wird's auch bleiben und werden. Dasjenige, woran Alle Antheil haben wollen, wird demjenigen Einzelnen entzogen werden, der es für sich allein haben will, es wird zu einem Gemeingut gemacht. Als an einem Gemeingut hat Jeder daran seinen Antheil, und dieser Antheil ist sein Eigenthum. So ist ja auch in unseren alten Verhältnissen ein Haus, welches fünf Erben gehört, ihr Gemeingut; der fünfte Theil des Ertrages aber ist eines Jeden Eigenthum. Proud'hon konnte sein weitläuftiges Pathos sparen, wenn er sagte: Es giebt einige Dinge, die nur Wenigen gehören, und auf die Wir übrigen von nun an Anspruch oder – Jagd machen wollen. Laßt sie Uns nehmen, weil man durch's Nehmen zum Eigenthum kommt, und das für jetzt noch uns entzogene Eigenthum auch nur durch's Nehmen an die Eigenthümer gekommen ist. Es wird sich besser nutzen lassen, wenn es in Unser Aller Händen ist, als wenn die Wenigen darüber verfügen. Associiren wir Uns daher zu dem Zwecke dieses Raubes (vol). – Dafür schwindelt er Uns vor, die Societät sei die ursprüngliche Besitzerin und die einzige Eigenthümerin von unverjährbarem Rechte; an ihr sei der sogenannte Eigenthümer zum Diebe geworden. (La propriété c'est le [331] vol); wenn sie nun dem dermaligen Eigenthümer sein Eigenthum entziehe, so raube sie ihm nichts, da sie nur ihr unverjährbares Recht geltend mache. – So weit kommt man mit dem Spuk der Societät als einer moralischen Person. Im Gegentheil gehört dem Menschen, was er erlangen kann: Mir gehört die Welt. Sagt Ihr etwas anderes mit dem entgegengesetzten Satze: „Allen gehört die Welt“? Alle sind Ich und wieder Ich u. s. w. Aber Ihr macht aus den „Allen“ einen Spuk, und macht ihn heilig, so daß dann die „Alle“ zum fürchterlichen Herrn des Einzelnen werden. Auf ihre Seite stellt sich dann das Gespenst des „Rechtes“.

Proud'hon, wie die Communisten, kämpfen gegen den Egoismus. Darum sind sie Fortsetzungen und Consequenzen des christlichen Princips, des Princips der Liebe, der Aufopferung für ein Allgemeines, ein Fremdes. Sie vollenden z. B. im Eigenthum nur, was längst der Sache nach vorhanden ist, nämlich die Eigenthumslosigkeit des Einzelnen. Wenn es im Gesetze heißt: Ad reges potestas omnium pertinet, ad singulos proprietas; omina rex imperio possidet, singuli dominio, so heißt dieß: Der König ist Eigenthümer, denn Er allein kann über „Alles“ verfügen, schalten, er hat potestas und imperium darüber. Die Communisten machen dieß klarer, indem sie jenes imperium der „Gesellschaft Aller“ übertragen. Also: Weil Feinde des Egoismus, darum sind sie – Christen, oder allgemeiner: religiöse Menschen, Gespenstergläubige, Abhängige, Diener irgend eines Allgemeinen (Gottes, der Gesellschaft u. s. w.). Auch darin gleicht Proud'hon den Christen, daß er dasjenige, was er den Menschen abspricht, Gott beilegt. Ihn nennt er (z. B. Seite 90) den Propriétaire der Erde. Hiermit beweist er, daß er den Eigenthümer [332] als solchen nicht wegdenken kann; er kommt zuletzt auf einen Eigenthümer, verlegt ihn aber ins Jenseits.

Eigenthümer ist weder Gott noch der Mensch (die „menschliche Gesellschaft“), sondern der Einzelne.

 

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Proud'hon (auch Weitling) glaubt das Schlimmste vom Eigenthum auszusagen, wenn er es einen Diebstahl (vol) nennt. Ganz abgesehen von der verfänglichen Frage, was gegen den Diebstahl Gegründetes einzuwenden wäre, fragen Wir nur: Ist der Begriff „Diebstahl“ überhaupt anders möglich, als wenn man den Begriff „Eigenthum“ gelten läßt. Wie kann man stehlen, wenn nicht schon Eigenthum vorhanden ist? Was Keinem gehört, kann nicht gestohlen werden: das Wasser, welches Einer aus dem Meere schöpft, stiehlt er nicht. Mithin ist nicht das Eigenthum Diebstahl, sondern durch das Eigenthum erst wird ein Diebstahl möglich. Auch muß Weitling darauf hinauskommen, da er ja Alles als Eigenthum Aller betrachtet: ist Etwas „Eigenthum Aller“, so stiehlt freilich der Einzelne, der sich's zueignet.

Das Privateigenthum lebt von der Gnade des Rechts. Nur im Rechte hat es seine Gewähr – Besitz ist ja noch nicht Eigenthum, er wird erst „das Meinige“ durch Zustimmung des Rechts –; es ist keine Thatsache, nicht un fait. wie Proud'hon meint, sondern eine Fiction, ein Gedanke. Das ist das Rechtseigenthum, rechtliches Eigenthum, garantirtes Eigenthum. Nicht durch Mich ist es mein, sondern durch's – Recht.

Dennoch ist Eigenthum der Ausdruck für die unumschränkte Herrschaft über Etwas (Ding, Thier, Mensch), [333] womit „Ich schalten und walten kann nach Gutdünken“. Nach römischem Rechte freilich ius utendi et abutendi re sua, quatenus iuris ratio patitur, ein ausschließliches und unumschränktes Recht; aber Eigenthum wird durch Gewalt bedingt. Was Ich in der Gewalt habe, das ist mein eigen. So lange Ich Mich als Inhaber behaupte, bin Ich der Eigenthümer der Sache; entgeht Mir's wieder, gleichviel durch welche Macht, z. B. durch mein Anerkenntniß eines Anrechts Anderer an die Sache –, so ist das Eigenthum erloschen. So fällt Eigenthum und Besitz in Eins zusammen. Nicht ein außerhalb meiner Gewalt liegendes Recht legitimirt Mich, sondern lediglich meine Gewalt; habe Ich die nicht mehr, so entschwindet mir die Sache. Als die Römer keine Gewalt mehr gegen die Germanen hatten, gehörte diesen das Weltreich Rom, und es klänge lächerlich, wollte man darauf bestehen, die Römer seien dennoch die eigentlichen Eigenthümer geblieben. Wer die Sache zu nehmen und zu behaupten weiß, dem gehört sie, bis sie ihm wieder genommen wird, wie die Freiheit Dem gehört, der sie sich nimmt. –

Ueber das Eigenthum entscheidet nur die Gewalt, und da der Staat, gleichviel ob Staat der Bürger oder der Lumpe oder der Menschen schlechthin, der allein Gewaltige ist, so ist er allein Eigenthümer; Ich, der Einzige, habe nichts, und werde nur belehnt, bin Lehnsmann und als solcher Dienstmann. Unter der Herrschaft des Staates giebt es kein Eigenthum Meiner.

Ich will den Werth Meiner heben, den Werth der Eigenheit, und sollte das Eigenthum herabsetzen? Nein, wie Ich seither nicht geachtet wurde, weil man Volk, Menschheit und [334] tausend andere Allgemeinheiten darüber setzte, so ist auch bis auf diesen Tag das Eigenthum noch nicht in seinem vollen Werthe anerkannt worden. Auch das Eigenthum war nur Eigenthum eines Gespenstes, z. B. Volkseigenthum; meine ganze Existenz „gehörte dem Vaterlande“: Ich gehörte dem Vaterlande, dem Volke, dem Staate an, darum auch Alles, was Ich mein eigen nannte. Man fordert von den Staaten, sie sollen den Pauperismus beseitigen. Mir scheint, das heißt verlangen, der Staat solle sich selbst den Kopf abschneiden und vor die Füße legen; denn so lange der Staat das Ich ist, muß das einzelne Ich ein armer Teufel, ein Nicht- Ich sein. Der Staat hat nur ein Interesse daran, selbst reich zu sein; ob Michel reich und Peter arm ist, gilt ihm gleich; es könnte auch Peter reich und Michel arm sein. Er sieht gleichgültig zu, wie der Eine verarmt, der Andere reich wird, unbekümmert um dieß Wechselspiel. Als Einzelne sind sie vor seinem Angesichte wirklich gleich, darin ist er gerecht: sie sind beide vor ihm – Nichts, wie Wir „vor Gott allzumal Sünder sind“; dagegen hat er ein sehr großes Interesse daran, daß diejenigen Einzelnen, welche Ihn zu ihrem Ich machen, an seinem Reichthum Theil haben: er macht sie zu Theilnehmern an seinem Eigenthum. Durch Eigenthum, womit er die Einzelnen belohnt, kirrt er sie; es bleibt aber sein Eigenthum, und Jeder hat nur so lange den Nießbrauch davon, als er das Ich des Staates in sich trägt, oder ein „loyales Glied der Gesellschaft“ ist; im Gegenfalle wird das Eigenthum confiscirt oder durch peinliche Processe zu Wasser gemacht. Das Eigenthum ist und bleibt sonach Staatseigenthum, nicht Eigenthum des Ichs. Daß der Staat nicht willkührlich dem Einzelnen entzieht, was er vom Staate hat, [335] ist nur dasselbe, wie dieß, daß der Staat sich selbst nicht beraubt. Wer ein Staats-Ich, d. h. ein guter Bürger oder Unterthan ist, der trägt als solches Ich, nicht als eigenes, das Lehen ungestört. Dieß nennt der Codex dann so: Eigenthum ist, was ich „von Gottes- und Rechtswegen“ mein nenne. Von Gottes- und Rechtswegen ist es aber nur mein, so lange – der Staat nichts dagegen hat.

In den Expropriationen, Waffenablieferungen und Aehnlichem (wie denn z. B. der Fiskus Erbschaften einzieht, wenn die Erben sich nicht zeitig genug melden) springt ja das sonst verdeckte Princip, daß nur das Volk, „der Staat,“ Eigenthümer sei, der Einzelne hingegen Lehnsträger, deutlich in die Augen.

Der Staat, dieß wollte Ich sagen, kann nicht beabsichtigen, daß Jemand um sein selbst willen Eigenthum habe, oder gar reich, ja nur wohlhabend sei, er kann Mir als Mir nichts zuerkennen, zukommen lassen, nichts gewähren. Der Staat kann dem Pauperismus nicht steuern, weil die Pauvretät des Besitzes eine Pauvretät Meiner ist. Wer nichts ist, als was der Zufall oder ein Anderer, nämlich der Staat, aus ihm macht, der hat ganz mit Recht auch nichts, als was ein Anderer ihm giebt. Und dieser Andere wird ihm nur geben, was jener verdient, d. h. was er durch Dienen werth ist. Nicht Er verwerthet sich, sondern der Staat verwerthet ihn.

Die Nationalökonomie beschäftigt sich viel mit diesem Gegenstande. Er liegt indeß weit über das „Nationale“ hinaus und geht über die Begriffe und den Horizont des Staats, der nur Staatseigenthum kennt und nur dieses vertheilen kann. Deshalb knüpft er den Besitz des Eigenthums an Bedingungen, wie er Alles daran knüpft, z. B. die Ehe, indem [336] er nur die von ihm sanctionirte Ehe gelten läßt, und sie meiner Gewalt entreißt. Eigenthum ist aber nur mein Eigenthum, wenn Ich dasselbe unbedingt inne habe: nur Ich, als unbedingtes Ich, habe Eigenthum, schließe ein Liebesverhältniß, treibe freien Handel.

Der Staat bekümmert sich nicht um Mich und das Meine, sondern um Sich und das Seine: Ich gelte ihm nur als sein Kind etwas, als „Landeskind“, als Ich bin Ich gar nichts für ihn. Was Mir als Ich begegnet, ist für den Verstand des Staates etwas Zufälliges: mein Reichthum wie meine Verarmung. Bin Ich aber mit allem Meinigen für ihn ein Zufall, so beweist dieß, daß er Mich nicht begreifen kann: Ich gehe über seine Begriffe, oder sein Verstand ist zu kurz, um Mich zu begreifen. Darum kann er auch nichts für Mich thun.

Der Pauperismus ist die Werthlosigkeit Meiner, die Erscheinung, daß Ich Mich nicht verwerthen kann. Deshalb ist Staat und Pauperismus Ein und dasselbe. Der Staat läßt Mich nicht zu meinem Werthe kommen und besteht nur durch meine Werthlosigkeit: er geht allezeit darauf aus, von Mir Nutzen zu ziehen, d. h. Mich zu exploitiren, auszubeuten, zu verbrauchen, bestände dieser Verbrauch auch nur darin, daß Ich für eine proles sorge (Proletariat); er will, Ich soll „seine Creatur“ sein.

Nur dann kann der Pauperismus gehoben werden, wenn Ich als Ich Mich verwerthe, wenn Ich Mir selber Werth gebe, und meinen Preis selber mache. Ich muß Mich empören, um empor zu kommen.

Was Ich schaffe, Mehl, Leinwand oder Eisen und Kohlen, die Ich der Erde mühsam abgewinne, u. s. w., es ist meine [337] Arbeit, die Ich verwerthen will. Da kann Ich aber lange klagen, meine Arbeit werde Mir nicht nach ihrem Werthe bezahlt: es wird der Bezahlende Mich nicht hören und der Staat gleichfalls so lange apathisch sich verhalten, bis er glaubt, Mich „beschwichtigen“ zu müssen, damit Ich nicht mit meiner gefürchteten Gewalt hervorbreche. Bei dieser „Beschwichtigung“ aber wird es sein Bewenden haben, und fällt Mir mehr zu verlangen ein, so wendet sich der Staat wider Mich mit aller Kraft seiner Löwentatzen und Adlerklauen: denn er ist der König der Thiere, ist Löwe und Adler. Lasse Ich Mir nicht genügen an dem Preise, den er für meine Waare und Arbeit festsetzt, trachte Ich vielmehr, den Preis meiner Waare selbst zu bestimmen, d. h. „Mich bezahlt zu machen“, so gerathe Ich zunächst mit den Abnehmern der Waare in einen Conflict. Löste sich dieser durch ein Uebereinkommen von beiden Seiten, so würde der Staat nicht leicht Einwendungen machen; denn wie die Einzelnen mit einander fertig werden, kümmert ihn wenig, so fern sie ihm dabei nur nicht in den Weg kommen. Sein Schaden und seine Gefahr beginnt erst da, wo sie nicht mit einander auskommen, sondern, weil keine Ausgleichung stattfindet, sich bei den Köpfen fassen. Der Staat kann es nicht dulden, daß der Mensch zum Menschen in einem direkten Verhältnisse stehe; er muß dazwischen treten als – Mittler, muß – interveniren. Was Christus war, was die Heiligen, die Kirche, das ist der Staat geworden, nämlich „Mittler“. Er reißt den Menschen vom Menschen, um sich als „Geist“ in die Mitte zu stellen. Die Arbeiter, welche höheren Lohn verlangen, werden als Verbrecher behandelt, sobald sie ihn erzwingen wollen. Was sollen sie thun? Ohne Zwang bekommen sie ihn nicht, und im Zwange sieht der Staat eine [338] Selbsthülfe, eine vom Ich gesetzte Preisbestimmung, eine wirkliche, freie Verwerthung seines Eigenthums, die er nicht zulassen kann. Was sollen also die Arbeiter anfangen? Auf sich halten und nach dem Staate nichts fragen?

Wie es sich aber mit meiner gegenständlichen Arbeit verhält, so auch mit meiner geistigen. Es erlaubt Mir der Staat alle meine Gedanken zu verwerthen und an den Mann zu bringen (Ich verwerthe sie ja z. B. schon dadurch, daß sie Mir von den Zuhörern Ehre einbringen u. dergl.); allein nur so lange als meine Gedanken – seine Gedanken sind. Hege Ich dagegen Gedanken, welche er nicht approbiren, d. h. zu den seinigen machen kann, so erlaubt er Mir durchaus nicht, sie zu verwerthen, sie in den Austausch, den Verkehr zu bringen. Meine Gedanken sind nur frei, wenn sie Mir durch die Gnade des Staats vergönnt sind, d.h. wenn sie Gedanken des Staats sind. Frei philosophiren läßt er Mich nur, sofern Ich Mich als „Staatsphilosoph“ bewähre: gegen den Staat darf Ich nicht Philosophiren, so gerne er's auch nachsieht, daß Ich ihm von seinen „Mängeln“ helfe, ihn „fördere“. – Also wie Ich Mich nur als ein vom Staate gnädigst verstattetes, als ein mit seinem Legitimitätszeugniß und Polizeipasse versehenes Ich betragen darf, so ist es Mir auch nicht vergönnt, das Meinige zu verwerthen, es sei denn, daß es sich als das Seinige ausweise, welches Ich von ihm zu Lehen trage. Meine Wege müssen seine Wege sein, sonst pfändet er Mich; meine Gedanken seine Gedanken, sonst stopft er Mir den Mund.

Vor nichts hat der Staat sich mehr zu fürchten, als vor dem Werthe Meiner, und nichts muß er sorgfältiger zu verhüten suchen, als jede Mir entgegenkommende Gelegenheit, Mich [339] selbst zu verwerthen. Ich bin der Todfeind des Staates, der stets in der Alternative schwebt: Er oder Ich. Darum hält er strenge darauf, nicht nur Mich nicht gelten zu lassen, sondern auch das Meinige zu hintertreiben. Im Staate giebt es kein – Eigenthum, d. h. kein Eigenthum des Einzelnen, sondern nur Staatseigenthum. Nur durch den Staat habe Ich, was Ich habe, wie Ich nur durch ihn bin, was Ich bin. Mein Privateigenthum ist nur dasjenige, was der Staat Mir von dem Seinigen überläßt, indem er andere Staatsglieder darum verkürzt (privirt): es ist Staatseigenthum.

Im Gegensatze aber zum Staate, fühle Ich immer deutlicher, daß Mir noch eine große Gewalt übrig bleibt, die Gewalt über Mich selbst, d. h. über alles, was nur Mir eignet und nur ist, indem es mein eigen ist.

Was fange Ich an, wenn meine Wege nicht mehr seine Wege, meine Gedanken nicht mehr seine Gedanken sind? Ich halte auf Mich, und frage nichts nach ihm! An meinen Gedanken, die Ich durch keine Beistimmung, Gewährung oder Gnade sanctioniren lasse, habe Ich mein wirkliches Eigenthum, ein Eigenthum, mit dem Ich Handel treiben kann. Denn als das Meine sind sie meine Geschöpfe, und Ich bin im Stande, sie wegzugeben gegen andere Gedanken: Ich gebe sie auf und tausche andere für sie ein, die dann mein neues erkauftes Eigenthum sind.

Was ist also mein Eigenthum? Nichts als was in meiner Gewalt ist! Zu welchem Eigenthum bin Ich berechtigt? Zu jedem, zu welchem Ich Mich – ermächtige. Das Eigenthums-Recht gebe Ich Mir, indem Ich Mir Eigenthum nehme, oder Mir die Macht des Eigenthümers, die Vollmacht, die Ermächtigung gebe. [340]

Worüber man Mir die Gewalt nicht zu entreißen vermag, das bleibt mein Eigenthum; wohlan so entscheide die Gewalt über das Eigenthum, und Ich will Alles von meiner Gewalt erwarten! Fremde Gewalt, Gewalt, die Ich einem Andern lasse, macht Mich zum Leibeigenen: so möge eigene Gewalt Mich zum Eigner machen. Ziehe Ich denn die Gewalt zurück, welche Ich Andern aus Unkunde über die Stärke meiner eigenen Gewalt eingeräumt habe! Sage Ich Mir, wohin meine Gewalt langt, das ist mein Eigenthum, und nehme Ich alles als Eigenthum in Anspruch, was zu erreichen Ich Mich stark genug fühle, und lasse Ich mein wirkliches Eigenthum soweit reichen, als Ich zu nehmen Mich berechtige, d. h. – ermächtige.

Hier muß der Egoismus, der Eigennutz entscheiden, nicht das Princip der Liebe, nicht die Liebesmotive, wie Barmherzigkeit, Mildthätigkeit, Gutmüthigkeit oder selbst Gerechtigkeit und Billigkeit (denn auch die iustitia ist ein Phänomen der – Liebe, ein Liebesproduct): die Liebe kennt nur Opfer und fordert „Aufopferung“.

Der Egoismus denkt nicht daran etwas aufzuopfern, sich etwas zu vergeben; er entscheidet einfach: Was Ich brauche, muß Ich haben und will Ich Mir verschaffen.

Alle Versuche, über das Eigenthum vernünftige Gesetze zu geben, liefen vom Busen der Liebe in ein wüstes Meer von Bestimmungen aus. Auch den Socialismus und Communismus kann man hiervon nicht ausnehmen. Es soll jeder mit hinreichenden Mitteln versorgt werden, wobei wenig darauf ankommt, ob man socialistisch sie noch in einem persönlichen Eigenthum findet, oder communistisch aus der Gütergemeinschaft schöpft. Der Sinn der Einzelnen bleibt dabei derselbe, [341] er bleibt Abhängigkeitssinn. Die vertheilende Billigkeitsbehörde läßt Mir nur zukommen, was ihr der Billigkeitssinn, ihre liebevolle Sorge für Alle, vorschreibt. Für Mich, den Einzelnen, liegt ein nicht minderer Anstoß in dem Gesammtvermögen, als in dem der einzelnen Andern; weder jenes ist das meinige, noch dieses: ob das Vermögen der Gesammtheit gehört, die Mir davon einen Theil zufließen läßt, oder einzelnen Besitzern, ist für Mich derselbe Zwang, da Ich über keins von beiden bestimmen kann. Im Gegentheil, der Communismus drückt Mich durch Aufhebung alles persönlichen Eigenthums nur noch mehr in die Abhängigkeit von einem Andern, nämlich von der Allgemeinheit oder Gesammtheit, zurück, und so laut er immer auch den „Staat“ angreife, was er beabsichtigt, ist selbst wieder ein Staat, ein status, ein meine freie Bewegung hemmender Zustand, eine Oberherrlichkeit über Mich. Gegen den Druck, welchen Ich von den einzelnen Eigenthümern erfahre, lehnt sich der Communismus mit Recht auf; aber grauenvoller noch ist die Gewalt, die er der Gesammtheit einhändigt.

Der Egoismus schlägt einen andern Weg ein, um den besitzlosen Pöbel auszurotten. Er sagt nicht: Warte ab, was Dir die Billigkeitsbehörde im Namen der Gesammtheit – schenken wird (denn solche Schenkung geschah von jeher in den „Staaten“, indem „nach Verdienst“, also nach dem Maaße, als sich's jeder zu verdienen, zu erdienen wußte, Jedem gegeben wurde), sondern: Greife zu und nimm, was Du brauchst! Damit ist der Krieg Aller gegen Alle erklärt. Ich allein bestimme darüber, was Ich haben will.

„Nun, das ist wahrlich keine neue Weisheit, denn so haben's die Selbstsüchtigen zu allen Zeiten gehalten!“ [342] Ist auch gar nicht nöthig, daß die Sache neu sei, wenn nur das Bewußtsein darüber vorhanden ist. Dieses aber wird eben nicht auf hohes Alter Anspruch machen können, wenn man nicht etwa das ägyptische und spartanische Gesetz hierher rechnet; denn wie wenig geläufig es sei, geht schon aus obigem Vorwurf hervor, der mit Verachtung von dem „Selbstsüchtigen“ spricht. Wissen soll man's eben, daß jenes Verfahren des Zugreifens nicht verächtlich sei, sondern die reine That des mit sich einigen Egoisten bekunde.

Erst wenn Ich weder von Einzelnen, noch von einer Gesammtheit erwarte, was Ich Mir selbst geben kann, erst dann entschlüpfe Ich den Stricken der – Liebe; erst dann hört der Pöbel auf, Pöbel zu sein, wenn er zugreift. Nur die Scheu des Zugreifens und die entsprechende Bestrafung desselben macht ihn zum Pöbel. Nur daß das Zugreifen Sünde, Verbrechen ist, nur diese Satzung schafft einen Pöbel, und daß dieser bleibt, was er ist, daran ist sowohl er schuld, weil er jene Satzung gelten läßt, als besonders diejenigen, welche „selbstsüchtig“ (um ihnen ihr beliebtes Wort zurückzugeben) fordern, daß sie respectirt werde. Kurz der Mangel an Bewußtsein über jene „neue Weisheit“, das alte Sündenbewußtsein trägt allein die Schuld.

Gelangen die Menschen dahin, daß sie den Respect vor dem Eigenthum verlieren, so wird jeder Eigenthum haben, wie alle Sklaven freie Menschen werden, sobald sie den Herrn als Herrn nicht mehr achten. Vereine werden dann auch in dieser Sache die Mittel des Einzelnen multipliciren und sein angefochtenes Eigenthum sicher stellen.

Nach der Meinung der Communisten soll die Gemeinde Eigenthümerin sein. Umgekehrt Ich bin Eigenthümer, und [343] verständige Mich nur mit Andern über mein Eigenthum. Macht Mir's die Gemeinde nicht recht, so empöre Ich Mich gegen sie und vertheidige mein Eigenthum. Ich bin Eigenthümer, aber das Eigenthum ist nicht heilig. Ich wäre bloß Besitzer? Nein, bisher war man nur Besitzer, gesichert im Besitz einer Parcelle, dadurch, daß man Andere auch im Besitz einer Parcelle ließ; jetzt aber gehört Alles Mir, Ich bin Eigenthümer von Allem, dessen Ich brauche und habhaft werden kann. Heißt es socialistisch: die Gesellschaft giebt Mir, was Ich brauche, – so sagt der Egoist: Ich nehme Mir, was Ich brauche. Gebärden sich die Communisten als Lumpe, so benimmt sich der Egoist als Eigenthümer.

Alle Pöbelbeglückungs-Versuche und Schwanenverbrüderungen müssen scheitern, die aus dem Principe der Liebe entspringen. Nur aus dem Egoismus kann dem Pöbel Hülfe werden, und diese Hülfe muß er sich selbst leisten und – wird sie sich leisten. Läßt er sich nicht zur Furcht zwingen, so ist er eine Macht. „Die Leute würden allen Respect verlieren, wenn man sie nicht so zur Furcht zwänge“ sagt der Popanz Gesetz im gestiefelten Kater.

Also das Eigenthum soll und kann nicht aufgehoben, es muß vielmehr gespenstischen Händen entrissen und mein Eigenthum werden; dann wird das irrige Bewußtsein verschwinden, daß Ich nicht zu so viel, als Ich brauche, Mich berechtigen könne. –

„Was kann aber der Mensch nicht Alles brauchen!“ Je nun, wer viel braucht und es zu bekommen versteht, hat sich's noch zu jeder Zeit geholt, wie Napoleon den Continent und die Franzosen Algier. Es kommt daher eben nur darauf an, daß der respectvolle „Pöbel“ endlich lerne, sich zu holen, was [344] er braucht. Langt er Euch zu weit, ei, so wehrt Euch. Ihr habt gar nicht nöthig, ihm gutwillig etwas zu – schenken, und wenn er sich kennen lernt, oder vielmehr wer aus dem Pöbel sich kennen lernt, der streift die Pöbelhaftigkeit ab, indem er sich für eure Almosen bedankt. Lächerlich aber bleibt's, daß Ihr ihn für „sündig und verbrecherisch“ erklärt, wenn er nicht von euren Gutthaten leben mag, weil er sich etwas zu Gute thun kann. Eure Schenkungen betrügen ihn, und halten ihn hin. Vertheidigt euer Eigenthum, so werdet Ihr stark sein; wollt Ihr hingegen eure Schenkungsfähigkeit erhalten und etwa gar um so mehr politische Rechte haben, je mehr Ihr Almosen (Armensteuer) geben könnt, so geht das eben so lange, als Euch die Beschenkten so gehen lassen. 23)

Genug, die Eigenthumsfrage läßt sich nicht so gütlich lösen, als die Socialisten, ja selbst die Communisten träumen. Sie wird nur gelöst durch den Krieg Aller gegen Alle. Die Armen werden nur frei und Eigenthümer, wenn sie sich – empören, emporbringen, erheben. Schenkt ihnen noch so viel, sie werden doch immer mehr haben wollen; denn sie wollen nichts Geringeres, als daß endlich – nichts mehr geschenkt werde.

Man wird fragen: Wie wird's denn aber werden, wenn die Besitzlosen sich ermannen? Welcher Art soll denn die Ausgleichung werden? Ebenso gut könnte man verlangen, daß Ich einem Kinde die Nativität stellen solle. Was ein Sklave thun wird, sobald er die Fesseln zerbrochen, das muß man – erwarten. [345]

Kaiser hofft in seiner der Form- wie der Gehaltlosigkeit wegen werthlosen Broschüre („Die Persönlichkeit des Eigenthümers in Bezug auf den Socialismus und Communismus u. s. w.“) vom Staate, daß er eine Vermögensausgleichung bewirken werde. Immer der Staat! der Herr Papa! Wie die Kirche für die „Mutter“ der Gläubigen ausgegeben und angesehen wurde, so hat der Staat ganz das Gesicht des vorsorglichen Vaters.

 

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Aufs genaueste mit dem Princip der Bürgerlichkeit verbunden zeigt sich die Concurrenz. Ist sie etwas Anderes als die Gleichheit (égalité)? Und ist die Egalität nicht eben ein Erzeugniß derselben Revolution, welche vom Bürgerthum oder den Mittelclassen hervorgebracht wurde? Da es Keinem verwehrt ist, mit Allen im Staate (den Fürsten, weil er den Staat selbst vorstellt, ausgenommen) zu wetteifern und zu ihrer Höhe sich hinaufzuarbeiten, ja sie zu eigenem Vortheil zu stürzen oder auszubeuten, sie zu überflügeln und durch stärkere Anstrengung um ihren Wohlstand zu bringen, so dient dieß zum deutlichen Beweise, daß vor dem Richterstuhl des Staats Jeder nur den Werth eines „simplen Individuums“ hat und auf keine Begünstigung rechnen darf. Ueberrennt und überbietet Euch, so viel Ihr mögt und könnt, das soll mich, den Staat, nicht kümmern! Unter einander seid Ihr frei im Concurriren, seid Concurrenten; das ist eure gesellschaftliche Stellung. Vor mir, dem Staate, aber seid Ihr nichts als „simple Individuen“! 24) [346]

Was in principieller oder theoretischer Form als die Gleichheit Aller aufgestellt wurde, das hat eben in der Concurrenz seine Verwirklichung und practische Ausführung gefunden; denn die égalité ist die – freie Concurrenz. Alle sind vor dem Staate – simple Individuen, in der Gesellschaft oder im Verhältniß zu einander – Concurrenten.

Ich brauche nichts weiter als ein simples Individuum zu sein, um mit jedem Andern, außer dem Fürsten und seiner Familie, concurriren zu können, eine Freiheit, welche früher dadurch unmöglich war, daß man nur mittelst seiner Corporation und innerhalb derselben einer Freiheit des Strebens genoß.

In der Zunft und Feudalität verhält sich der Staat intolerant und wählerisch, indem er privilegirt; in der Concurrenz und dem Liberalismus verhält er sich tolerant und gewähren lassend, indem er nur patentirt (dem Bewerber verbrieft, daß ihm das Gewerbe offen [patent] stehe) oder „concessionirt“. Da nun so der Staat alles den Bewerbern überlassen hat, muß er in Conflict mit Allen kommen, weil ja alle und jeder zur Bewerbung berechtigt sind. Er wird „bestürmt“ werden und in diesem Sturme zu Grunde gehen.

Ist die „freie Concurrenz“ denn wirklich „frei“, ja ist sie wirklich eine „Concurrenz“, nämlich der Personen, wofür sie sich ausgiebt, weil sie auf diesen Titel ihr Recht gründet? Sie ging ja daraus hervor, daß die Personen gegen alle persönliche [347] Herrschaft frei wurden. Ist eine Concurrenz „frei“, welche der Staat, dieser Herrscher im bürgerlichen Princip, in tausend Schranken einengt? Da macht ein reicher Fabrikant glänzende Geschäfte, und Ich möchte mit ihm concurriren. „Immerhin, sagt der Staat, ich habe gegen deine Person als Concurrenten nichts einzuwenden.“ Ja, erwiedere Ich, dazu brauche Ich aber einen Raum zu Gebäuden, brauche Geld! „Das ist schlimm, aber wenn Du kein Geld hast, kannst Du nicht concurriren. Nehmen darfst Du Keinem etwas, denn ich schütze und privilegire das Eigenthum.“ Die freie Concurrenz ist nicht „frei“, weil Mir die Sache zur Concurrenz fehlt. Gegen meine Person läßt sich nichts einwenden, aber weil Ich die Sache nicht habe, so muß auch meine Person zurücktreten. Und wer hat die nöthige Sache? Etwa jener Fabrikant? Dem könnte Ich sie ja abnehmen! Nein, der Staat hat sie als Eigenthum, der Fabrikant nur als Lehen, als Besitzthum.

Weil es aber mit dem Fabrikanten nicht geht, so will Ich mit jenem Professor der Rechte concurriren; der Mann ist ein Gimpel, und Ich, der Ich hundertmal mehr weiß, als er, werde sein Auditorium leer machen. „Hast Du studirt und promovirt, Freund?“ Nein, aber was thut das? Ich verstehe, was zu dem Lehrfache nöthig ist, reichlich. „Thut mir leid, aber die Concurrenz ist hier nicht „frei“. Gegen deine Person ist nichts zu sagen, aber die Sache fehlt, das Doctordiplom. Und dieß Diplom verlange ich, der Staat. Bitte mich erst schönstens darum, dann wollen wir zusehen, was zu thun ist.“

Dieß also ist die „Freiheit“ der Concurrenz. Der Staat, mein Herr, befähigt Mich erst zum Concurriren. [348]

Concurriren aber wirklich die Personen? Nein, wiederum nur die Sachen! Die Gelder in erster Reihe u. s. w.

In dem Wettstreit wird immer Einer hinter dem Andern zurückbleiben (z. B. ein Dichterling hinter einem Dichter). Allein es macht einen Unterschied, ob die fehlenden Mittel des unglücklichen Concurrirenden persönliche oder sächliche sind, und ebenso, ob die sächlichen Mittel durch persönliche Kraft gewonnen werden können oder nur durch Gnade zu erhalten sind, nur als Geschenk, und zwar, indem z. B. der Aermere dem Reichen seinen Reichthum lassen, d. h. schenken muß. Muß Ich aber überhaupt auf die Genehmigung des Staates warten, um die Mittel zu erhalten oder zu gebrauchen (z. B. bei der Promotion), so habe Ich die Mittel durch die Gnade des Staates. 25)

Freie Concurrenz hat also nur folgenden Sinn: Alle gelten dem Staate als seine gleichen Kinder, und jeder kann laufen und rennen, um sich die Güter und Gnadenspenden des Staates zu verdienen. Darum jagen auch alle nach der Habe, dem Haben, dem Besitz (sei es von Geld oder Aemtern, Ehrentiteln u. s. w.), nach der Sache.

Nach dem Sinne des Bürgerthums ist Jeder Inhaber oder „Eigenthümer“. Woher kommt es nun, daß doch die Meisten so viel wie nichts haben? Es kommt daher, weil [349] die Meisten sich schon darüber freuen, nur überhaupt Inhaber, sei's auch von einigen Lappen, zu sein, wie Kinder sich ihrer ersten Höschen oder gar des ersten geschenkten Pfennigs freuen. Genauer indeß ist die Sache folgendermaßen zu fassen. Der Liberalismus trat sogleich mit der Erklärung auf, daß es zum Wesen des Menschen gehöre, nicht Eigenthum, sondern Eigenthümer zu sein. Da es hierbei um „den Menschen, nicht um den Einzelnen“ zu thun war, so blieb das Wieviel, welches gerade das specielle Interesse des Einzelnen ausmachte, diesem überlassen. Daher behielt der Egoismus des Einzelnen in diesem Wieviel den freiesten Spielraum, und trieb eine unermüdliche Concurrenz.

Indeß mußte der glückliche Egoismus dem minder beglückten zum Anstoß werden, und dieser, immer noch auf dem Principe des Menschenthums fußend, stellte die Frage nach dem Wieviel des Innehabens auf und beantwortete sie dahin, daß „der Mensch so viel haben müsse als er brauche“.

Wird sich mein Egoismus damit genügen lassen können? Was „der Mensch“ braucht, das giebt keineswegs für Mich und mein Bedürfniß einen Maaßstab her; denn Ich kann weniger oder mehr gebrauchen. Ich muß vielmehr so viel haben, als Ich Mir anzueignen vermögend bin.

Die Concurrenz leidet an dem Uebelstande, daß nicht Jedem die Mittel zum Concurriren zu Gebote stehen, weil sie nicht aus der Persönlichkeit entnommen sind, sondern aus der Zufälligkeit. Die meisten sind unbemittelt und deshalb unbegütert.

Die Socialen fordern daher für Alle die Mittel und erzielen eine Mittel bietende Gesellschaft. Deinen Geldwerth, sagen sie, erkennen Wir nicht ferner als dein Vermögen an, [350] Du mußt ein anderes Vermögen aufzeigen, nämlich deine Arbeitskräfte. Im Besitze einer Habe oder als „Inhaber“ zeigt sich der Mensch allerdings als Mensch, darum ließen Wir auch den Inhaber, den Wir „Eigenthümer“ nannten, so lange gelten. Allein Du hast doch die Dinge nur so lange inne, als Du nicht „aus diesem Eigenthum hinausgesetzt wirst“.

Der Inhaber ist vermögend, aber nur so weit, als die Andern unvermögend sind. Da deine Waare nur so lange dein Vermögen bildet, als Du sie zu behaupten vermagst, d.h. als Wir nichts über sie vermögen, so sieh' Dich nach einem anderen Vermögen um, denn Wir überbieten jetzt durch unsere Gewalt dein angebliches Vermögen.

Es war außerordentlich viel gewonnen, als man es durchsetzte, als Inhaber betrachtet zu werden. Die Leibeigenschaft wurde damit aufgehoben und Jeder, der bis dahin dem Herrn gefrohndet hatte, und mehr oder weniger dessen Eigenthum gewesen war, ward nun ein „Herr“. Allein forthin reicht dein Haben und deine Habe nicht mehr aus und wird nicht mehr anerkannt; dagegen steigt dein Arbeiten und deine Arbeit im Werthe. Wir achten nun deine Bewältigung der Dinge, wie vorher dein Innehaben derselben. Deine Arbeit ist dein Vermögen! Du bist nur Herr oder Inhaber des Erarbeiteten, nicht des Ererbten. Da aber derzeit Alles ein Ererbtes ist und jeder Groschen, den Du besitzest, nicht ein Arbeits-, sondern ein Erbgepräge trägt, so muß alles umgeschmolzen werden.

Ist denn aber wirklich, wie die Communisten meinen, meine Arbeit mein einziges Vermögen, oder besteht dieß nicht vielmehr in allem, was Ich vermag? Und muß nicht die Arbeitergesellschaft selbst dieß einräumen, indem sie z. B. auch [351] die Kranken, Kinder, Greise, kurz die Arbeitsunfähigen unterhält? Diese vermögen noch immer gar manches z. B. ihr Leben zu erhalten, statt es sich zu nehmen. Vermögen sie es über Euch, daß Ihr ihren Fortbestand begehrt, so haben sie eine Gewalt über Euch. Wer platterdings keine Macht über Euch übte, dem würdet Ihr nichts gewähren; er könnte verkommen.

Also was Du vermagst, ist dein Vermögen! Vermagst Du Tausenden Lust zu bereiten, so werden Tausende Dich dafür honoriren, es stände ja in deiner Gewalt, es zu unterlassen, daher müssen sie deine That erkaufen. Vermagst Du keinen für Dich einzunehmen, so magst Du eben verhungern.

Soll Ich nun etwa, der Vielvermögende, vor den Unvermögenderen nichts voraus haben?

Wir sitzen Alle im Vollen; soll Ich nun nicht zulangen, so gut Ich kann, und nur abwarten, wie viel Mir bei einer gleichen Theilung bleibt?

Gegen die Concurrenz erhebt sich das Princip der Lumpengesellschaft, die – Vertheilung.

Für einen bloßen Theil, Theil der Gesellschaft, angesehen zu werden, erträgt der Einzelne nicht, weil er mehr ist; seine Einzigkeit wehrt diese beschränkte Auffassung ab.

Daher erwartet er sein Vermögen nicht von der Zutheilung Anderer, und schon in der Arbeitergesellschaft entsteht das Bedenken, daß bei einer gleichen Vertheilung der Starke durch den Schwachen ausgebeutet werde; er erwartet sein Vermögen vielmehr von sich und sagt nun: was Ich zu haben vermag, das ist mein Vermögen. Welch' Vermögen besitzt nicht das Kind in seinem Lächeln, seinem Spielen, seinem Geschrei, kurz [352] in seinem bloßen Dasein. Bist Du im Stande, seinem Verlangen zu widerstehen oder reichst Du ihm als Mutter nicht die Brust, als Vater so viel von deiner Habe, als es bedarf? Es zwingt Euch, darum besitzt es das, was Ihr das Eure nennt.

Ist Mir an deiner Person gelegen, so zahlst Du Mir schon mit deiner Existenz; ist's Mir nur um eine deiner Eigenschaften zu thun, so hat etwa deine Willfährigkeit oder dein Beistand einen Werth (Geldwerth) für Mich, und Ich erkaufe ihn.

Weißt Du Dir keinen andern, als einen Geldwerth in meiner Schätzung zu geben, so kann der Fall eintreten, von dem Uns die Geschichte erzählt, daß nämlich deutsche Landeskinder nach Amerika verkauft wurden. Sollten sie, die sich verhandeln ließen, dem Verkäufer mehr werth sein? Ihm war das baare Geld lieber, als diese lebendige Waare, die sich ihm nicht kostbar zu machen verstand. Daß er in ihr nichts Werthvolleres entdeckte, war allerdings ein Mangel seines Vermögens; aber ein Schelm giebt mehr als er hat. Wie sollte er Achtung zeigen, da er sie nicht hatte, ja kaum für solches Pack haben konnte!

Egoistisch verfahrt Ihr, wenn Ihr einander weder als Inhaber noch als Lumpe oder Arbeiter achtet, sondern als einen Theil eures Vermögens, als „brauchbare Subjecte“. Dann werdet Ihr weder dem Inhaber („Eigenthümer“) für seine Habe etwas geben, noch dem, der arbeitet, sondern allein dem, den Ihr braucht. Brauchen Wir einen König? fragen sich die Nordamerikaner, und antworten: Nicht einen Heller ist er und seine Arbeit Uns werth.

Sagt man, die Concurrenz stelle Alles Allen offen, so ist der Ausdruck nicht genau, und man faßt es besser so: sie macht [353] Alles käuflich. Indem sie es ihnen preisgiebt, überläßt sie es ihrem Preise oder ihrer Schätzung und fordert einen Preis dafür.

Allein die Kauflustigen ermangeln meistens der Mittel, sich zu Käufern zu machen: sie haben kein Geld. Für Geld sind also zwar die käuflichen Sachen zu haben („Für Geld ist Alles zu haben.“), aber gerade am Gelde fehlt's. Wo Geld, dieß gangbare oder coursirende Eigenthum, hernehmen? Wisse denn, Du hast so viel Geld als Du – Gewalt hast; denn Du giltst so viel, als Du Dir Geltung verschaffst.

Man bezahlt nicht mit Geld, woran Mangel eintreten kann, sondern mit seinem Vermögen, durch welches allein Wir „vermögend“ sind; denn man ist nur so weit Eigenthümer, als der Arm unserer Macht reicht.

Weitling hat ein neues Zahlmittel erdacht, die Arbeit. Das wahre Zahlmittel bleibt aber, wie immer, das Vermögen. Mit dem, was Du „im Vermögen“ hast, bezahlst Du. Darum denke auf die Vergrößerung deines Vermögens.

Indem man dieß zugiebt, ist man jedoch gleich wieder mit dem Wahlspruch bei der Hand: „Einem Jeden nach seinem Vermögen!“ Wer soll Mir nach meinem Vermögen geben? Die Gesellschaft? Da müßte Ich Mir ihre Schätzung gefallen lassen. Vielmehr werde Ich Mir nach meinem Vermögen nehmen.

„Allen gehört Alles!“ Dieser Satz stammt aus derselben gehaltlosen Theorie. Jedem gehört nur, was er vermag. Sage Ich: Mir gehört die Welt, so ist das eigentlich auch leeres Gerede, das nur in so fern Sinn hat, als Ich kein fremdes Eigenthum respectire. Mir gehört aber nur so viel, als Ich vermag oder im Vermögen habe. [354]

Man ist nicht werth zu haben, was man sich aus Schwachheit nehmen läßt; man ist's nicht werth, weil man's nicht fähig ist.

Gewaltigen Lärm erhebt man über das „tausendjährige Unrecht“, welches von den Reichen gegen die Armen begangen werde. Als hätten die Reichen die Armuth verschuldet, und verschuldeten nicht gleicherweise die Armen den Reichthum! Ist zwischen beiden ein anderer Unterschied als der des Vermögens und Unvermögens, der Vermögenden und Unvermögenden? Worin besteht denn das Verbrechen der Reichen? „In ihrer Hartherzigkeit.“ Aber wer hat denn die Armen erhalten, wer hat für ihre Ernährung gesorgt, wenn sie nichts mehr arbeiten konnten, wer hat Almosen gespendet, jene Almosen, die sogar ihren Namen von der Barmherzigkeit (Eleemosyne) haben? Sind die Reichen nicht allezeit „barmherzig“ gewesen, sind sie nicht bis auf den heutigen Tag „mildthätig“, wie Armentaren, Spitäler, Stiftungen aller Art u. s. w. beweisen?

Aber das alles genügt Euch nicht! Sie sollen also wohl mit den Armen theilen? Da fordert Ihr, daß sie die Armuth aufheben sollen. Abgesehen davon, daß kaum Einer unter Euch so handeln möchte, und daß dieser Eine eben ein Thor wäre, so fragt Euch doch: warum sollen die Reichen Haar lassen und sich aufgeben, während den Armen dieselbe Handlung viel nützlicher wäre? Du, der Du täglich deinen Thaler hast, bist reich vor Tausenden, die von vier Groschen leben. Liegt es in deinem Interesse, mit den Tausenden zu theilen, oder liegt es nicht vielmehr in dem ihrigen? – –

Mit der Concurrenz ist weniger die Absicht verbunden, die Sache am besten zu machen, als die andere, sie möglichst [355] einträglich, ergiebig zu machen. Man studirt daher auf ein Amt los (Brodstudium), studirt Katzenbuckel und Schmeicheleien, Routine und „Geschäftskenntniß“, man arbeitet „auf den Schein.“ Während es daher scheinbar um eine „gute Leistung“ zu thun ist, wird in Wahrheit nur auf ein „gutes Geschäft“ und Geldverdienst gesehen. Man verrichtet die Sache nur vorgeblich um der Sache willen, in der That aber wegen des Gewinnes, den sie abwirft. Man möchte zwar nicht gerne Censor sein, aber man will – befördert werden; man möchte nach bester Ueberzeugung richten, administriren u. s. w., aber man fürchtet Versetzung oder gar Absetzung: man muß ja doch vor allen Dingen – leben.

So ist dieß Treiben ein Kampf ums liebe Leben, und in stufenweiser Steigerung um mehr oder weniger „Wohlleben“.

Und dabei trägt doch den Meisten all ihr Mühen und

Sorgen nichts als das „bittere Leben“ und „bittere Armuth“ ein. Dafür all der bittere Ernst!

Das rastlose Werben läßt Uns nicht zu Athem, zu einem ruhigen Genusse kommen: Wir werden unsers Besitzes nicht froh.

Die Organisation der Arbeit aber betrifft nur solche Arbeiten, welche Andere für Uns machen können, z. B. Schlachten, Adern u. s. w.; die übrigen bleiben egoistisch, weil z.B. Niemand an deiner Statt deine musikalischen Compositionen anfertigen, deine Malerentwürfe ausführen u. s. w. kann: Raphaels Arbeiten kann Niemand ersetzen. Die letzteren sind Arbeiten eines Einzigen, die nur dieser Einzige zu vollbringen vermag, während jene „menschliche“ genannt zu werden verdienten, da das Eigene daran von geringem Belang ist, und so ziemlich „jeder Mensch“ dazu abgerichtet werden kann. [356]

Da nun die Gesellschaft nur die gemeinnützigen oder menschlichen Arbeiten berücksichtigen kann, so bleibt, wer Einziges leistet, ohne ihre Fürsorge, ja er kann sich durch ihre Dazwischenkunft gestört finden. Der Einzige wird sich wohl aus der Gesellschaft hervorarbeiten, aber die Gesellschaft bringt keinen Einzigen hervor.

Es ist daher immer fördersam, daß Wir Uns über die menschlichen Arbeiten einigen, damit sie nicht, wie unter der Concurrenz, alle unsere Zeit und Mühe in Anspruch nehmen. In so weit wird der Communismus seine Früchte tragen. Selbst dasjenige nämlich, wozu alle Menschen befähigt sind oder befähigt werden können, wurde vor der Herrschaft des Bürgerthums an Wenige geknüpft und den Uebrigen entzogen: es war ein Privilegium. Dem Bürgerthum dünkte es gerecht, freizugeben Alles, was für jeden „Menschen“ dazusein schien. Aber, weil freigegeben, war es doch Keinem gegeben, sondern vielmehr Jedem überlassen, es durch seine menschlichen Kräfte zu erhaschen. Dadurch ward der Sinn auf den Erwerb des Menschlichen, das fortan Jedem winkte, gewendet, und es entstand eine Richtung, welche man unter dem Namen des „Materialismus“ so laut beklagen hört.

Ihrem Laufe sucht der Communismus Einhalt zu thun, indem er den Glauben verbreitet, daß das Menschliche so vieler Plage nicht werth sei und bei einer gescheidten Einrichtung ohne den großen Aufwand von Zeit und Kräften, wie es zeither erforderlich schien, gewonnen werden könne.

Für wen soll aber Zeit gewonnen werden? Wozu braucht der Mensch mehr Zeit, als nöthig ist, seine abgespannten Arbeitskräfte zu erfrischen? Hier schweigt der Communismus. [357]

Wozu? Um seiner als des Einzigen froh zu werden, nachdem er als Mensch das Seinige gethan hat!

In der ersten Freude darüber, nach allem Menschlichen die Hand ausstrecken zu dürfen, vergaß man, noch sonst etwas zu wollen, und concurrirte frisch drauf los, als wäre der Besitz des Menschlichen das Ziel aller unserer Wünsche.

Man hat sich aber müde gerannt und merkt nachgerade, daß „der Besitz nicht glücklich macht“. Darum denkt man darauf, das Nöthige leichteren Kaufes zu erhalten und nur so viel Zeit und Mühe darauf zu verwenden, als seine Unentbehrlichkeit erheischt. Der Reichthum sinkt im Preise und die zufriedene Armuth, der sorglose Lump, wird zum verführerischen Ideal.

Solche menschliche Thätigkeiten, die sich Jeder zutraut, sollten theuer honorirt und mit Mühe und Aufwand aller Lebenskräfte gesucht werden? Schon in der alltäglichen Redensart: „Wenn Ich nur Minister oder gar der . . . . wäre, da sollte es ganz anders hergehen“ drückt sich jene Zuversicht aus, daß man sich für fähig halte, einen solchen Würdenträger vorzustellen; man spürt wohl, daß zu dergleichen nicht die Einzigkeit, sondern nur eine, wenn auch nicht gerade Allen, so doch Vielen erreichbare Bildung gehöre, d.h. daß man zu so etwas nur ein gewöhnlicher Mensch zu sein brauche.

Nehmen Wir an, daß, wie die Ordnung zum Wesen des Staates gehört, so auch die Unterordnung in seiner Natur gegründet ist, so sehen Wir, daß von den Untergeordneten oder Bevorzugten die Zurückgesetzten unverhältnißmäßig übertheuert und übervortheilt werden. Doch die Letztern ermannen sich, zunächst vom socialistischen Standpunkte aus, später aber gewiß mit egoistischem Bewußtsein, von dem [358] Wir ihrer Rede darum gleich einige Färbung geben wollen, zu der Frage: wodurch ist denn euer Eigenthum sicher, Ihr Bevorzugten? – und geben sich die Antwort: dadurch, daß Wir Uns des Eingriffes enthalten! Mithin durch unsern Schutz! Und was gebt Ihr Uns dafür? Fußtritte und Geringschätzung gebt Ihr dem „gemeinen Volke“; eine polizeiliche Ueberwachung und einen Katechismus mit dem Hauptsatze: Respectire, was nicht dein ist, was Andern gehört! respectire die Andern und besonders die Obern! Wir aber erwiedern: Wollt Ihr unsern Respect, so kauft für den Uns genehmen Preis. Wir wollen euer Eigenthum Euch lassen, wenn Ihr dieses Lassen gehörig aufwiegt. Womit wiegt denn der General in Friedenszeiten die vielen Tausende seiner Jahreseinnahme auf, womit ein Anderer gar die jährlichen Hunderttausende und Millionen? Womit wiegt Ihr's auf, daß Wir Kartoffeln kauen und eurem Austernschlürfen ruhig zusehen? Kauft Uns die Austern nur so theuer ab, als Wir Euch die Kartoffeln abkaufen müssen, so sollt Ihr sie ferner essen dürfen. Oder meint Ihr, die Austern gehörten Uns nicht so gut als Euch? Ihr werdet über Gewalt schreien, wenn Wir zulangen und sie mit verzehren, und Ihr habt Recht. Ohne Gewalt bekommen Wir sie nicht, wie Ihr nicht minder sie dadurch habt, daß Ihr Uns Gewalt anthut.

Doch nehmt einmal die Austern und laßt Uns an unser näheres Eigenthum (denn jenes ist nur Besitzthum), an die Arbeit kommen. Wir plagen Uns zwölf Stunden im Schweiße unseres Angesichts, und Ihr bietet Uns dafür ein Paar Groschen. So nehmt denn auch für eure Arbeit ein Gleiches. Mögt Ihr das nicht? Ihr wähnt, unsere Arbeit sei reichlich mit jenem Lohne bezahlt, die eure dagegen eines Lohnes von [359] vielen Tausenden werth. Schlüget Ihr aber die eurige nicht so hoch an, und ließet Uns die unsere besser verwerthen, so würden Wir erforderlichen Falls wohl noch wichtigere Dinge zu Stande bringen, als Ihr für die vielen tausend Thaler, und bekämet Ihr nur einen Lohn wie Wir, Ihr würdet bald fleißiger werden, um mehr zu erhalten. Leistet Ihr aber etwas, was Uns zehn und hundert Mal mehr werth scheint, als unsere eigene Arbeit, ei, da sollt Ihr auch hundert Mal mehr dafür bekommen; Wir denken Euch dagegen auch Dinge herzustellen, die Ihr Uns höher als mit dem gewöhnlichen Tagelohn verwerthen werdet. Wir wollen schon mit einander fertig werden, wenn Wir nur erst dahin übereingekommen sind, daß Keiner mehr dem Andern etwas zu – schenken braucht. Dann gehen Wir wohl gar so weit, daß Wir selbst den Krüppeln und Kranken und Alten einen angemessenen Preis dafür bezahlen, daß sie nicht aus Hunger und Noth von Uns scheiden; denn wollen Wir, daß sie leben, so geziemt sich's auch, daß Wir die Erfüllung unseres Willens – erkaufen. Ich sage „erkaufen“, meine also kein elendes „Almosen“. Ihr Leben ist ja das Eigenthum auch derer, welche nicht arbeiten können; wollen Wir (gleichviel aus welchem Grunde), daß sie Uns dieß Leben nicht entziehen, so können Wir das allein durch Kauf bewirken wollen; ja Wir werden vielleicht, etwa weil Wir gern freundliche Gesichter um Uns haben, sogar ihr Wohlleben wollen. Kurz, Wir wollen von Euch nichts geschenkt, aber Wir wollen Euch auch nichts schenken. Jahrhunderte haben Wir Euch Almosen gereicht aus gutwilliger – Dummheit, haben das Scherflein der Armen gespendet und den Herren gegeben, was der Herren – nicht ist; nun thut einmal euren Seckel auf, denn von jetzt an steigt unsere Waare [360] ganz enorm im Preise. Wir wollen Euch nichts, gar nichts nehmen, nur bezahlen sollt Ihr besser für das, was Ihr haben wollt. Was hast Du denn? „Ich habe ein Gut von tausend Morgen.“ Und Ich bin dein Ackerknecht und werde Dir deinen Acker fortan nur für 1 Thaler Tagelohn bestellen. „Da nehme Ich einen andern.“ Du findest keinen, denn Wir Ackersknechte thun's nicht mehr anders, und wenn einer sich meldet, der weniger nimmt, so hüte er sich vor Uns. Da ist die Hausmagd, die fordert jetzt auch so viel, und Du findest keine mehr unter diesem Preise. „Ei so muß ich zu Grunde gehen.“ Nicht so hastig! So viel wie Wir wirst Du wohl einnehmen, und wäre es nicht so, so lassen Wir so viel ab, daß Du wie Wir zu leben hast. „Ich bin aber besser zu leben gewohnt.“ Dagegen haben Wir nichts, aber es ist nicht unsere Sorge; kannst Du mehr erübrigen, immerhin. Sollen Wir Uns unterm Preise vermiethen, damit Du wohlleben kannst? Der Reiche speist immer den Armen mit den Worten ab: „Was geht Mich deine Noth an? Sieh, wie Du Dich durch die Welt schlägst; das ist nicht meine, sondern deine Sache.“ Nun, so lassen Wir's denn unsere Sache sein, und lassen Uns von den Reichen nicht die Mittel bemausen, die Wir haben, um Uns zu verwerthen. „Aber Ihr ungebildeten Leute braucht doch nicht so viel.“ Nun, Wir nehmen etwas mehr, damit Wir dafür die Bildung, die Wir etwa brauchen, Uns verschaffen können. „Aber, wenn Ihr so die Reichen herunterbringt, wer soll dann noch die Künste und Wissenschaften unterstützen?“ I nun, die Menge muß es bringen; Wir schießen zusammen, das giebt ein artiges Sümmchen, Ihr Reichen kauft ohnehin jetzt nur die abgeschmacktesten Bücher und die weinerlichen Muttergottesbilder oder ein Paar flinke Tänzerbeine. [361] „O die unselige Gleichheit!“ Nein, mein bester alter Herr, nichts von Gleichheit. Wir wollen nur gelten, was Wir werth sind, und wenn Ihr mehr werth seid, da sollt Ihr immerhin auch mehr gelten. Wir wollen nur Preiswürdigkeit und denken des Preises, den Ihr zahlen werdet, Uns würdig zu zeigen.

Kann einen so sicheren Muth und so kräftiges Selbstgefühl des Hausknechts wohl der Staat erwecken? Kann er machen, daß der Mensch sich selbst fühlt, ja darf er auch nur solch Ziel sich stecken? Kann er wollen, daß der Einzelne seinen Werth erkenne und verwerthe? Halten Wir die Doppelfrage auseinander und sehen Wir zuerst, ob der Staat so etwas herbeiführen kann. Da die Einmüthigkeit der Ackerknechte erfordert wird, so kann nur diese Einmüthigkeit es bewirken, und ein Staatsgesetz würde tausendfach umgangen werden durch die Concurrenz und insgeheim. Kann er es aber dulden? Unmöglich kann er dulden, daß die Leute von Andern, als von ihm, einen Zwang erleiden; er könnte also die Selbsthülfe der einmüthigen Ackerknechte gegen diejenigen, welche sich um geringeren Lohn verdingen wollen, nicht zugeben. Setzen Wir indeß, der Staat gäbe das Gesetz, und alle Ackerknechte wären damit einverstanden, könnte er's dann dulden?

Im vereinzelten Falle – ja; allein der vereinzelte Fall ist mehr als das, er ist ein principieller. Es handelt sich dabei um den ganzen Inbegriff der Selbstverwerthung des Ich's, also auch seines Selbstgefühls gegen den Staat. So weit gehen die Communisten mit; aber die Selbstverwerthung richtet sich nothwendig, wie gegen den Staat, so auch gegen die Gesellschaft, und greift damit über das Commune und Communistische hinaus – aus Egoismus. [362]

Der Communismus macht den Grundsatz des Bürgerthums, daß Jeder ein Inhaber („Eigenthümer“) sei, zu einer unumstößlichen Wahrheit, zu einer Wirklichkeit, indem nun die Sorge um's Erlangen aufhört und Jeder von Haus aus hat, was er braucht. In seiner Arbeitskraft hat er sein Vermögen, und wenn er davon keinen Gebrauch macht, so ist das seine Schuld. Das Haschen und Hetzen hat ein Ende, und keine Concurrenz bleibt, wie jetzt so oft, ohne Erfolg, weil mit jeder Arbeitsregung ein zureichender Bedarf in's Haus gebracht wird. Jetzt erst ist man wirklicher Inhaber, weil Einem, was man in seiner Arbeitskraft hat, nicht mehr so entgehen kann, wie es unter der Concurrenzwirthschaft jeden Augenblick zu entwischen drohte. Man ist sorgloser und gesicherter Inhaber. Und man ist dieß gerade dadurch, daß man sein Vermögen nicht mehr in einer Waare, sondern in der eigenen Arbeit, dem Arbeitsvermögen, sucht, also dadurch, daß man ein Lump, ein Mensch von nur idealem Reichthum ist. Ich indeß kann Mir an dem Wenigen nicht genügen lassen, was Ich durch mein Arbeitsvermögen erschwinge, weil mein Vermögen nicht bloß in meiner Arbeit besteht.

Durch Arbeit kann Ich die Amtsfunctionen eines Präsidenten, Ministers u.s.w. versehen; es erfordern diese Aemter nur eine allgemeine Bildung, nämlich eine solche, die allgemein erreichbar ist (denn allgemeine Bildung ist nicht bloß die, welche Jeder erreicht hat, sondern überhaupt die, welche Jeder erreichen kann, also jede specielle, z. B. medicinische, militairische, philologische Bildung, von der kein „gebildeter Mensch“ glaubt, daß sie seine Kräfte übersteige), oder überhaupt nur eine Allen mögliche Geschicklichkeit.

Kann aber auch Jeder diese Aemter bekleiden, so giebt [363] doch erst die einzige, ihm allein eigene Kraft des Einzelnen ihnen so zu sagen Leben und Bedeutung. Daß er sein Amt nicht wie ein „gewöhnlicher Mensch“ führt, sondern das Vermögen seiner Einzigkeit hineinlegt, das bezahlt man ihm noch nicht, wenn man ihn überhaupt nur als Beamten oder Minister bezahlt. Hat er's Euch zu Dank gemacht und wollt Ihr diese dankenswerthe Kraft des Einzigen Euch erhalten, so werdet Ihr ihn nicht wie einen bloßen Menschen bezahlen dürfen, der nur Menschliches verrichtete, sondern als Einen, der Einziges vollbringt. Thut mit eurer Arbeit doch desgleichen!

Ueber meine Einzigkeit läßt sich keine allgemeine Taxe feststellen, wie für das, was Ich als Mensch thue. Nur über das Letztere kann eine Taxe bestimmt werden.

Setzt also immerhin eine allgemeine Schätzung für menschliche Arbeiten auf, bringt aber eure Einzigkeit nicht um ihren Verdienst.

Menschliche oder allgemeine Bedürfnisse können durch die Gesellschaft befriedigt werden; für einzige Bedürfnisse mußt Du Befriedigung erst suchen. Einen Freund und einen Freundschaftsdienst, selbst einen Dienst des Einzelnen kann Dir die Gesellschaft nicht verschaffen. Und doch wirst Du alle Augenblicke eines solchen Dienstes bedürftig sein und bei den geringfügigsten Gelegenheiten Jemand brauchen, der Dir behülflich ist. Darum verlaß Dich nicht auf die Gesellschaft, sondern sieh' zu, daß Du habest, um die Erfüllung deiner Wünsche zu – erkaufen.

Ob das Geld unter Egoisten beizubehalten sei? – Am alten Gepräge klebt ein ererbter Besitz. Laßt Ihr Euch nicht mehr damit bezahlen, so ist es ruinirt, thut Ihr nichts für dieses Geld, so kommt es um alle Macht. Streicht das [364] Erbe und Ihr habt das Gerichtssiegel des Executors abgebrochen. Jetzt ist ja Alles ein Erbe, sei es schon geerbt oder erwarte es seinen Erben. Ist es das Eure, was laßt Ihr's Euch versiegeln, warum achtet Ihr das Siegel?

Warum aber sollt Ihr kein neues Geld creiren? Vernichtet Ihr denn die Waare, indem Ihr das Erbgepräge von ihr nehmt? Nun, das Geld ist eine Waare, und zwar ein wesentliches Mittel oder Vermögen. Denn es schützt vor der Verknöcherung des Vermögens, hält es im Fluß und bewirkt seinen Umsatz. Wißt Ihr ein besseres Tauschmittel, immerhin; doch wird es wieder ein „Geld“ sein. Nicht das Geld thut Euch Schaden, sondern euer Unvermögen, es zu nehmen. Laßt euer Vermögen wirken, nehmt Euch zusammen, und es wird an Geld – an eurem Gelde, dem Gelde eures Gepräges – nicht fehlen. Arbeiten aber, das nenne Ich nicht „euer Vermögen wirken lassen“. Die nur „Arbeit suchen“ und „tüchtig arbeiten wollen“, bereiten sich selbst die unausbleibliche – Arbeitlosigkeit.

Vom Gelde hängt Glück und Unglück ab. Es ist darum in der Bürgerperiode eine Macht, weil es nur wie ein Mädchen umworben, von Niemand unauflöslich geehelicht wird. Alle Romantik und Ritterlichkeit des Werbens um einen theuren Gegenstand lebt in der Concurrenz wieder auf. Das Geld, ein Gegenstand der Sehnsucht, wird von den kühnen „Industrierittern“ entführt.

Wer das Glück hat, führt die Braut heim. Der Lump hat das Glück; er führt sie in sein Hauswesen, die „Gesellschaft“, ein und vernichtet die Jungfrau. In seinem Hause ist sie nicht mehr Braut, sondern Frau, und mit der Jungfräulichkeit geht auch der Geschlechtsname verloren. Als Hausfrau [365] heißt die Geldjungfer „Arbeit“, denn „Arbeit“ ist der Name des Mannes. Sie ist ein Besitz des Mannes.

Um dieß Bild zu Ende zu bringen, so ist das Kind von Arbeit und Geld wteder ein Mädchen, ein unverehelichtes, also Geld, aber mit der gewissen Abstammung von der Arbeit, seinem Vater. Die Gesichtsform, das „Bild“, trägt ein anderes Gepräge.

Was schließlich noch einmal die Concurrenz betrifft, so hat sie gerade dadurch Bestand, daß nicht Alle sich ihrer Sache annehmen und sich über sie mit einander verständigen. Brod ist z. B. das Bedürfniß aller Einwohner einer Stadt; deshalb könnten sie leicht übereinkommen, eine öffentliche Bäckerei einzurichten. Statt dessen überlassen sie die Lieferung des Bedarfs den concurrirenden Bäckern. Ebenso Fleisch den Fleischern, Wein den Weinhändlern u s. w.

Die Concurrenz aufheben heißt nicht so viel als die Zunft begünstigen. Der Unterschied ist dieser: In der Zunft ist das Backen u. s. w. Sache der Zünftigen; in der Concurrenz Sache der beliebig Wetteifernden; im Verein Derer, welche Gebackenes brauchen, also meine, deine Sache, weder Sache des zünftigen noch des concessionirten Bäckers, sondern Sache der Vereinten.

Wenn Ich Mich nicht um meine Sache bekümmere, so muß Ich mit dem vorlieb nehmen, was Andern Mir zu gewähren beliebt. Brod zu haben, ist meine Sache, mein Wunsch und Begehren, und doch überläßt man das den Bäckern, und hofft höchstens durch ihren Hader, ihr Rangablaufen, ihren Wetteifer, kurz ihre Concurrenz einen Vortheil zu erlangen, auf welchen man bei den Zünftigen, die gänzlich und allein im Eigenthum der Backgerechtigkeit saßen, nicht rechnen konnte. – Was Jeder braucht, an dessen Herbeischaffung und [366] Hervorbringung sollte sich auch Jeder betheiligen; es ist seine Sache, sein Eigenthum, nicht Eigenthum des zünftigen oder concessionirten Meisters.

Blicken Wir nochmals zurück. Den Kindern dieser Welt, den Menschenkindern, gehört die Welt; sie ist nicht mehr Gottes, sondern des Menschen Welt. So viel jeder Mensch von ihr sich verschaffen kann, nenne er das Seinige; nur wird der wahre Mensch, der Staat, die menschliche Gesellschaft oder die Menschheit darauf sehen, daß Jeder nichts anderes zum Seinigen mache, als was er als Mensch, d. h. auf menschliche Weise sich aneignet. Die unmenschliche Aneignung ist die vom Menschen nicht bewilligte, d. h. sie ist eine „verbrecherische“, wie umgekehrt die menschliche eine „rechtliche“, eine auf dem „Rechtswege“ erworbene ist.

So spricht man seit der Revolution.

Mein Eigenthum aber ist kein Ding, da dieses eine von Mir unabhängige Existenz hat; mein eigen ist nur meine Gewalt. Nicht dieser Baum, sondern meine Gewalt oder Verfügung über ihn ist die meinige.

Wie drückt man diese Gewalt nun verkehrter Weise aus? Man sagt, Ich habe ein Recht auf diesen Baum, oder er sei mein rechtliches Eigenthum. Erworben also habe Ich ihn durch Gewalt. Daß die Gewalt fortdauern müsse, damit er auch behauptet werde, oder besser: daß die Gewalt nicht ein für sich Existirendes sei, sondern lediglich im gewaltigen Ich, in Mir, dem Gewaltigen, Existenz habe, das wird vergessen. Die Gewalt wird, wie andere meiner Eigenschaften, z. B. die Menschlichkeit, Majestät u. s. w., zu einem Fürsichseienden erhoben, so daß sie noch existirt, wenn sie längst nicht mehr meine Gewalt ist. Derart in ein Gespenst verwandelt, [367] ist die Gewalt das – Recht. Diese verewigte Gewalt erlischt selbst mit meinem Tode nicht, sondern wird übertragen oder „vererbt“.

Die Dinge gehören nun wirklich nicht Mir, sondern dem Rechte.

Andererseits ist dieß weiter nichts, als eine Verblendung. Denn die Gewalt des Einzelnen wird allein dadurch permanent und ein Recht, daß Andere ihre Gewalt mit der seinigen verbinden. Der Wahn besteht darin, daß sie ihre Gewalt nicht wieder zurückziehen zu können glauben. Wiederum dieselbe Erscheinung, daß die Gewalt von Mir getrennt wird. Ich kann die Gewalt, welche Ich dem Besitzer gab, nicht wieder nehmen. Man hat „bevollmächtigt“, hat die Macht weggegeben, hat dem entsagt, sich eines Besseren zu besinnen.

Der Eigenthümer kann seine Gewalt und sein Recht an eine Sache aufgeben, indem er sie verschenkt, verschleudert u. dergl. Und Wir könnten die Gewalt, welche Wir jenem liehen, nicht gleichfalls fahren lassen?

Der rechtliche Mensch, der Gerechte, begehrt nichts sein eigen zu nennen, was er nicht „mit Recht“ oder wozu er nicht das Recht hat, also nur rechtmäßiges Eigenthum.

Wer soll nun Richter sein und ihm sein Recht zusprechen? Zuletzt doch der Mensch, der ihm die Menschenrechte ertheilt: dann kann er in einem unendlich weiteren Sinne als Terenz sagen: humani nihil a me alienum puto, d. h. das Menschliche ist mein Eigenthum. Er mag es anstellen, wie er will, von einem Richter kommt er auf diesem Standpunkte nicht los, und in unserer Zeit sind die mancherlei Richter, welche man sich erwählt hatte, in zwei todfeindliche Personen gegen einander getreten, nämlich in den Gott und den Menschen. [368] Die Einen berufen sich auf das göttliche, die Andern auf das menschliche Recht oder die Menschenrechte.

So viel ist klar, daß in beiden Fällen sich der Einzelne nicht selbst berechtigt.

Sucht Mir heute einmal eine Handlung, die nicht eine Rechtsverletzung wäre! Alle Augenblicke werden von der einen Seite die Menschenrechte mit Füßen getreten, während die Gegner den Mund nicht aufthun können, ohne eine Blasphemie gegen das göttliche Recht hervorzubringen. Gebt ein Almosen, so verhöhnt Ihr ein Menschenrecht, weil das Verhältniß von Bettler und Wohlthäter ein unmenschliches ist; sprecht einen Zweifel aus, so sündigt Ihr wider ein göttliches Recht. Esset trockenes Brod mit Zufriedenheit, so verletzt Ihr das Menschenrecht durch euren Gleichmuth: esset es mit Unzufriedenheit, so schmäht Ihr das göttliche Recht durch euren Widerwillen. Es ist nicht Einer unter Euch, der nicht in jedem Augenblicke ein Verbrechen beginge: eure Reden sind Verbrechen, und jede Hemmung eurer Redefreiheit ist nicht minder ein Verbrechen. Ihr seid allzumal Verbrecher!

Doch Ihr seid es nur, indem Ihr Alle auf dem Rechtsboden steht, d. h. indem Ihr es nicht einmal wißt und zu schätzen versteht, daß Ihr Verbrecher seid.

Das unverletzliche oder heilige Eigenthum ist auf eben diesem Boden gewachsen: es ist ein Rechtsbegriff.

Ein Hund sieht den Knochen in eines andern Gewalt und steht nur ab, wenn er sich zu schwach fühlt. Der Mensch aber respectirt das Recht des Andern an seinem Knochen. Dieß also gilt für menschlich, jenes für brutal oder „egoistisch“.

Und wie hier, so heißt überhaupt dieß „menschlich“, wenn man in Allem etwas Geistiges sieht (hier das Recht), [369] d. h. alles zu einem Gespenste macht, und sich dazu als zu einem Gespenste verhält, welches man zwar in seiner Erscheinung verscheuchen, aber nicht tödten kann. Menschlich ist es, das Einzelne nicht als Einzelnes, sondem als ein Allgemeines anzuschauen.

An der Natur als solcher, respectire Ich nichts mehr, sondern weiß Mich gegen sie zu Allem berechtigt; dagegen an dem Baume in jenem Garten muß Ich die Fremdheit respectiren (einseitiger Weise sagt man: „das Eigenthum“), muß meine Hand von ihm lassen. Das nimmt ein Ende nur dann, wenn Ich jenen Baum zwar einem Andern überlassen kann, wie Ich meinen Stock u. s. w. einem Andern überlasse, aber nicht von vornherein ihn als Mir fremd, d. h. heilig, betrachte. Vielmehr mache Ich Mir kein Verbrechen daraus, ihn zu fällen, wenn Ich will, und er bleibt mein Eigenthum, auf so lange Ich ihn auch Andern abtrete: er ist und bleibt mein. In dem Vermögen des Banquiers sehe Ich so wenig etwas Fremdes, als Napoleon in den Ländern der Könige: Wir tragen keine Scheu, es zu „erobern“, und sehen Uns auch nach den Mitteln dazu um. Wir streifen ihm also den Geist der Fremdheit ab, vor dem Wir Uns gefürchtet hatten.

Darum ist es nothwendig, daß Ich nichts mehr als Mensch in Anspruch nehme, sondern alles als Ich, dieser Ich, mithin nichts Menschliches, sondem das Meinige, d. h. nichts, was Mir als Mensch zukommt, sondern – was Ich will und weil Ich's will.

Rechtliches oder rechtmäßiges Eigenthum eines Andern wird nur dasjenige sein, wovon Dir's recht ist, daß es sein Eigenthum sei. Hört es auf, Dir recht zu sein, so hat es [370] für Dich die Rechtmäßigkeit eingebüßt und das absolute Recht daran wirst Du verlachen.

Außer dem bisher besprochenen Eigenthum im beschränkten Sinne wird unserem ehrfürchtigen Gemüthe ein anderes Eigenthum vorgehalten, an welchem Wir Uns noch weit weniger „versündigen sollen“. Dieß Eigenthum besteht in den geistigen Gütern, in dem „Heiligthume des Innern“. Was ein Mensch heilig hält, damit soll kein anderer sein Gespötte treiben, weil, so unwahr es immer sein und so eifrig man den daran Hängenden und Glaubenden „auf liebevolle und bescheidene Art“ von einem wahren Heiligen zu überzeugen suchen mag, doch das Heilige selbst allezeit daran zu ehren ist: der Irrende glaubt doch an das Heilige, wenn auch an ein unrichtiges, und so muß sein Glaube an das Heilige wenigstens geachtet werden.

In roheren Zeiten, als die unseren sind, pflegte man einen bestimmten Glauben und die Hingebung an ein bestimmtes Heiliges zu verlangen und ging mit den Andersgläubigen nicht auf's sanfteste um; seit jedoch die „Glaubensfreiheit“ sich mehr und mehr ausbreitete, zerfloß der „eifrige Gott und alleinige Herr“ allgemach in ein ziemlich allgemeines „höchstes Wesen“, und es genügte der humanen Toleranz, wenn nur Jeder „ein Heiliges“ verehrte.

Auf den menschlichsten Ausdruck gebracht, ist dieß Heilige „der Mensch selbst“ und „das Menschliche“. Bei dem trügerischen Scheine, als wäre das Menschliche ganz und gar unser Eigenes und frei von aller Jenseitigkeit, womit das Göttliche behaftet ist, ja als wäre der Mensch so viel als Ich oder Du, kann sogar der stolze Wahn entstehen, daß von einem „Heiligen“ nicht länger die Rede sei, und daß Wir Uns [371] nun überall heimisch und nicht mehr im Unheimlichen, d. h. im Heiligen und in heiligen Schauern fühlten: im Entzücken über den „endlich gefundenen Menschen“ wird der egoistische Schmerzensruf überhört und der so traulich gewordene Spuk für unser wahres Ich genommen.

Aber „Humanus heißt der Heilige“ (s. Göthe), und das Humane ist nur das geläutertste Heilige.

Umgekehrt spricht sich der Egoist aus. Darum gerade, weil Du etwas heilig hältst, treibe Ich mit Dir mein Gespötte und, achtete Ich auch Alles an Dir, gerade dein Heiligthum achte Ich nicht.

Bei diesen entgegengesetzten Ansichten muß auch ein widersprechendes Verhalten zu den geistigen Gütern angenommen werden: der Egoist insultirt sie, der Religiöse (d. h. jeder, der über sich sein „Wesen“ setzt) muß sie consequenter Weise – schützen. Welcherlei geistige Güter aber geschützt und welche ungeschützt gelassen werden sollen, das hängt ganz von dem Begriffe ab, den man sich vom „höchsten Wesen“ macht, und der Gottesfürchtige z. B. hat mehr zu schirmen, als der Menschenfürchtige (der Liberale).

An den geistigen Gütern werden Wir im Unterschiede von den sinnlichen auf eine geistige Weise verletzt, und die Sünde gegen dieselbe besteht in einer directen Entheiligung, während gegen die sinnliche eine Entwendung oder Entfremdung stattfindet: die Güter selbst werden entwerthet und entweiht, nicht bloß entzogen, das Heilige wird unmittelbar gefährdet. Mit dem Worte „Unehrerbietigkeit“ oder „Frechheit“ ist Alles bezeichnet, was gegen die geistigen Güter, d. h. gegen Alles, was Uns heilig ist, verbrochen werden kann, und Spott, Schmähung, Verachtung, Bezweiflung [372] u. dergl. sind nur verschiedene Schattirungen der verbrecherischen Frechheit.

Daß die Entheiligung in der mannigfachsen Art verübt werden kann, soll hier übergangen und vorzugsweise nur an jene Entheiligung erinnert werden, welche durch eine unbeschränkte Presse das Heilige mit Gefahr bedroht.

So lange auch nur für Ein geistiges Wesen noch Respect gefordert wird, muß die Rede und Presse im Namen dieses Wesens geknechtet werden; denn eben so lange könnte der Egoist durch seine Aeußerungen sich gegen dasselbe „vergehen“, woran er eben wenigstens durch die „gebührende Strafe“ verhindert werden muß, wenn man nicht lieber das richtigere Mittel dagegen ergreifen will, die vorbeugende Polizeigewalt, z. B. der Censur.

Welch ein Seufzen nach Freiheit der Presse! Wovon soll die Presse denn befreit werden? Doch wohl von einer Abhängigkeit, Angehörigkeit und Dienstbarkeit! Davon aber sich zu befreien, ist eben die Sache eines Jeden, und es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß wenn Du Dich aus der Dienstbarkeit erlöst hast, auch das, was Du verfassest und schreibst, Dir eigen gehören werde, statt im Dienste irgend einer Macht gedacht und aufgesetzt worden zu sein. Was kann ein Christgläubiger sagen und drucken lassen, das freier wäre von jener Christgläubigkeit, als er selbst es ist? Wenn Ich etwas nicht schreiben kann und darf, so liegt die nächste Schuld vielleicht an Mir. So wenig dieß die Sache zu treffen scheint, so nahe findet sich dennoch die Anwendung. Durch ein Pretzgesetz ziehe oder lasse Ich meinen Veröffentlichungen eine Grenze ziehen, über welche hinaus das Unrecht und dessen Strafe folgt. Ich selbst beschränke Mich. [373]

Sollte die Presse frei sein, so wäre gerade nichts so wichtig, als ihre Befreiung von jedem Zwange, der ihr im Namen eines Gesetzes angethan werden könnte. Und daß es dazu komme, müßte eben Ich selbst vom Gehorsam gegen das Gesetz Mich entbunden haben.

Freilich, die absolute Freiheit der Presse ist wie jede absolute Freiheit ein Unding. Von gar Vielem kann sie frei werden, aber immer nur von dem, wovon auch Ich frei bin. Machen Wir Uns vom Heiligen frei, sind Wir heillos und gesetzlos geworden, so werden's auch unsere Worte werden.

So wenig Wir in der Welt von jedem Zwange losgesprochen werden können, so wenig läßt sich unsere Schrift demselben entziehen. Aber so frei als Wir sind, so frei können Wir auch jene machen.

Sie muß also Unser eigen werden, statt, wie bisher, einem Spuk zu dienen.

Man bleibt sich unklar bei dem Rufe nach Preßfreiheit. Was man angeblich verlangt, ist dieß, daß der Staat die Presse frei geben solle; was man aber eigentlich, und ohne es selbst zu wissen, haben will, ist dieß, daß die Presse vom Staate frei oder den Staat los werde. Jenes ist eine Petition an den Staat, dieses eine Empörung gegen den Staat. Als eine „Bitte um Recht“, selbst als ein ernstes Fordern des Preßfreiheitsrechtes setzt sie den Staat als den Geber voraus und kann nur auf ein Geschenk, eine Zulassung, ein Octroyiren hoffen. Wohl möglich, daß ein Staat so unsinnig handelt, das geforderte Geschenk zu gewähren; es ist aber Alles zu wetten, daß die Beschenkten das Geschenk nicht zu gebrauchen wissen werden, so lange sie den Staat als eine Wahrheit betrachten: sie werden sich an diesem „Heiligen“ [374] nicht vergehen und gegen Jeden, der dieß wagen wollte, ein strafendes Preßgesetz aufrufen.

Mit Einem Worte, die Presse wird von dem nicht frei, wovon Ich nicht frei bin.

Weise Ich Mich hierdurch etwa als einen Gegner der Preßfreiheit aus? Im Gegentheil, Ich behaupte nur, daß man sie nie bekommen wird, wenn man nur sie, die Preßfreiheit, will, d. h. wenn man nur auf eine unbeschränkte Erlaubniß ausgeht. Bettelt nur immerfort um diese Erlaubniß: Ihr werdet ewig darauf warten können, denn es ist Keiner in der Welt, der sie Euch geben könnte. So lange Ihr für den Gebrauch der Presse Euch durch eine Erlaubniß, d. h. Preßfreiheit, „berechtigen“ lassen wollt, lebt Ihr in eitler Hoffnung und Klage.

„Unsinn! Du, der Du solche Gedanken, wie sie in deinem Buche stehen, hegst, kannst sie ja selbst leider nur durch einen glücklichen Zufall oder auf Schleichwegen zur Oeffentlichkeit bringen; gleichwohl willst Du dagegen eifern, daß man den eigenen Staat so lange dränge und überlaufe, bis er die verweigerte Druckerlaubniß giebt?“ Ein also angeredeter Schriftsteller würde aber vielleicht – denn die Frechheit solcher Leute geht weit – Folgendes erwidern: „Erwägt eure Rede genau! Was thue Ich denn, um Mir für mein Buch Preßfreiheit zu verschaffen? Frage Ich nach der Erlaubniß, oder suche Ich nicht vielmehr ohne alle Frage nach Gesetzlichkeit eine günstige Gelegenheit, und ergreife sie in völliger Rücksichtslosigkeit gegen den Staat und seine Wünsche? Ich – es muß das schreckenerregende Wort ausgesprochen werden – Ich betrüge den Staat. Unbewußt thut Ihr dasselbe. Ihr redet ihm von euren Tribünen aus ein, er müsse seine Heiligkeit und Unverletzlichkeit [375] aufgeben, er müsse den Angriffen der Schreibenden sich Preis geben, ohne daß er deshalb Gefahr zu fürchten brauche. Aber Ihr hintergeht ihn; denn es ist um seine Existenz gethan, sobald er seine Unnahbarkeit einbüßt. Euch freilich könnte er die Schreibefreiheit wohl gestatten, so wie England es gethan hat; Ihr seid Staatsgläubige und unvermögend, gegen den Staat zu schreiben, so viel Ihr immer auch an ihm zu reformiren und seinen „Mängeln abzuhelfen“ haben mögt. Aber wie, wenn Staatsgegner das freie Wort sich zu Nutze machten, und gegen Kirche, Staat, Sitte und alles „Heilige“ mit unerbittlichen Gründen losstürmten? Ihr wäret dann die Ersten, welche unter schrecklichen Aengsten die Septembergesetze ins Leben riefen. Zu spät gereute Euch dann die Dummheit, welche Euch früher so bereit machte, den Staat oder die Staatsregierung zu beschwatzen und zu bethören. – Ich aber beweise durch meine That nur zweierlei. Einmal dieß, daß die Preßfreiheit immer an „günstige Gelegenheiten“ gebunden, mithin niemals eine absolute Freiheit sein werde; zweitens aber dieß, daß, wer sie genießen will, die günstige Gelegenheit aufsuchen und wo möglich erschaffen muß, indem er gegen den Staat seinen eigenen Vortheil geltend macht, und sich und seinen Willen für mehr hält als den Staat und jede „höhere Macht“. Nicht im, sondern allein gegen den Staat kann die Preßfreiheit durchgesetzt werden; sie ist, soll sie hergestellt werden, nicht als Folge einer Bitte, sondern als das Werk einer Empörung zu erlangen. Jede Bitte und jeder Antrag auf Preßfreiheit ist schon eine, sei es bewußte oder unbewußte, Empörung, was nur die philisterhafte Halbheit sich nicht gestehen will und kann, bis sie zusammenschauernd es am Erfolge deutlich und unwiderleglich sehen wird. [376]

Denn die erbetene Preßfreiheit hat freilich im Anfange ein freundliches und wohlmeinendes Gesicht, da sie nicht im entferntesten gesonnen ist, jemals die „Preßfrechheit“ aufkommen zu lassen; nach und nach wird aber ihr Herz verhärteter, und die Folgerung schmeichelt sich bei ihr ein, daß ja doch eine Freiheit keine Freiheit sei, wenn sie im Dienste des Staates, der Sitte oder des Gesetzes steht. Zwar eine Freiheit vom Censurzwange, ist sie doch keine Freiheit vom Gesetzeszwange. Es will die Presse, einmal vom Freiheitsgelüste ergriffen, immer freier werden, bis der Schreibende sich endlich sagt: Ich bin doch dann erst gänzlich frei, wenn Ich nach Nichts frage; das Schreiben aber ist nur frei, wenn es mein eigenes ist, das Mir durch keine Macht oder Autorität, durch keinen Glauben, keine Scheu dictirt wird; die Presse muß nicht frei sein – das ist zu wenig –, sie muß mein sein: – Preßeigenheit oder Preßeigenthum, das ist's, was Ich Mir nehmen will.“

„Preßfreiheit ist ja Preßerlaubniß, und der Staat wird und kann Mir freiwillig nie erlauben, daß Ich ihn durch die Presse zermalme.“

„Fassen Wir es nun schließlich, indem Wir die obige, durch das Wort „Preßfreiheit“ noch schwankende Rede verbessern, lieber so: Preßfreiheit, die laute Forderung der Liberalen, ist allerdings möglich im Staate, ja sie ist nur im Staate möglich, weil sie eine Erlaubniß ist, der Erlaubende folglich, der Staat, nicht fehlen darf. Als Erlaubniß hat sie aber ihre Grenze an eben diesem Staate, der doch billiger Weise nicht mehr wird erlauben sollen, als sich mit ihm und seiner Wohlfahrt verträgt: er schreibt ihr diese Grenze als das Gesetz ihres Daseins und ihrer Ausdehnung vor. Daß ein [377] Staat mehr als ein anderer verträgt, ist nur ein quantitativer Unterschied, der jedoch allein den politischen Liberalen am Herzen liegt: sie wollen in Deutschland z.B. nur eine „ausgedehntere, weitere Gestattung des freien Wortes“. Die Preßfreiheit, welche man nachsucht, ist eine Sache des Volkes, und ehe das Volk (der Staat) sie nicht besitzt, eher darf Ich davon keinen Gebrauch machen. Vom Gesichtspunkte des Preßeigenthums aus verhält sich's anders. Mag mein Volk der Preßfreiheit entbehren, Ich suche Mir eine List oder Gewalt aus, um zu drucken – die Druckerlaubniß hole Ich Mir nur von – Mir und meiner Kraft.“

„Ist die Presse mein eigen, so bedarf Ich für ihre Anwendung so wenig einer Erlaubniß des Staates, als Ich diese nachsuche, um meine Nase zu schneutzen. Mein Eigenthum ist die Presse von dem Augenblicke an, wo Mir nichts mehr über Mich geht: denn von diesem Moment an hört Staat, Kirche, Volk, Gesellschaft u. dergl. auf, weil sie nur der Mißachtung, welche Ich vor Mir habe, ihre Existenz verdanken, und mit dem Verschwinden dieser Geringschätzung selbst erlöschen: sie sind nur, wenn sie über Mir sind, sind nur als Mächte und Mächtige. Oder könnt Ihr Euch einen Staat denken, dessen Einwohner allesammt sich nichts aus ihm machen? der wäre so gewiß ein Traum, eine Scheinexistenz, als das „einige Deutschland“.

„Die Presse ist mein eigen, sobald Ich selbst mein eigen, ein Eigener bin: dem Egoisten gehört die Welt, weil er keiner Macht der Welt gehört.“

„Dabei könnte meine Presse immer noch sehr unfrei sein, wie z. B. in diesem Augenblick. Die Welt ist aber groß, und man hilft sich eben, so gut es geht. Wollte Ich vom [378] Eigenthum meiner Presse ablassen, so könnte Ich's leicht erreichen, daß Ich überall so viel drucken lassen dürfte, als meine Finger producirten. Da Ich aber mein Eigenthum behaupten will, so muß Ich nothwendig meine Feinde übers Ohr hauen. „„Würdest Du ihre Erlaubniß nicht annehmen, wenn sie Dir gegeben würde?““ Gewiß, mit Freuden; denn ihre Erlaubniß wäre Mir ein Beweis, daß Ich sie bethört und auf den Weg des Verderbens gebracht habe. Um ihre Erlaubniß ist Mir's nicht zu thun, desto mehr aber um ihre Thorheit und ihre Niederlage. Ich werbe nicht um ihre Erlaubniß, als schmeichelte Ich Mir, gleich den politischen Liberalen, daß Wir beide, sie und Ich, neben und mit einander friedlich auskommen, ja wohl gar einer den andern heben und unterstützen können, sondern Ich werbe darum, um sie an derselben verbluten zu lassen, damit endlich die Erlaubenden selbst aufhören. Ich handle als bewußter Feind, indem Ich sie übervortheile und ihre Unbedachtsamkeit benutze.“

„Mein ist die Presse, wenn Ich über ihre Benutzung durchaus keinen Richter außer Mir anerkenne, d. h. wenn Ich nicht mehr durch die Sittlichkeit oder die Religion oder den Respect vor den Staatsgesetzen u. dergl. bestimmt werde zu schreiben, sondern durch Mich und meinen Egoismus!“ –

Was habt Ihr nun ihm, der Euch eine so freche Antwort giebt, zu erwidern? – Wir bringen die Frage am sprechendsten vielleicht in folgende Stellung: Wessen ist die Presse, des Volkes (Staates) oder mein? Die Politischen ihrerseits beabsichtigen nichts weiter, als die Presse von persönlichen und willkührlichen Eingriffen der Machthaber zu befreien, ohne daran zu denken, daß sie, um wirklich für Jedermann offen zu sein, auch von den Gesetzen, d. h. vom Volkswillen (Staatswillen) [379] frei sein müßte. Sie wollen aus ihr eine „Volkssache“ machen.

Zum Eigenthum des Volkes geworden ist sie aber noch weit davon entfernt, das meinige zu sein, vielmehr behält sie für Mich die untergeordnete Bedeutung einer Erlaubniß. Das Volk spielt den Richter über meine Gedanken, für die Ich ihm Rechenschaft schuldig oder verantwortlich bin. Die Geschworenen haben, wenn ihre fixen Ideen angegriffen werden, eben so harte Köpfe und Herzen, als die stiersten Despoten und deren knechtische Beamten.

In den „Liberalen Bestrebungen“ 26) behauptet E. Bauer, daß die Preßfreiheit im absolutistischen und im constitutionellen Staate unmöglich sei, im „freien Staate“ hingegen ihre Stelle finde. „Hier,“ heißt es, „ist es anerkannt, daß der Einzelne, weil er nicht mehr einzelner, sondern Mitglied einer wahrhaften und vernünftigen Allgemeinheit ist, das Recht hat, sich auszusprechen.“ Also nicht der Einzelne, sondern das „Mitglied“ hat Preßfreiheit. Muß aber der Einzelne sich zum Behuf der Preßfreiheit erst über seinen Glauben an das Allgemeine, das Volk, ausweisen, hat er diese Freiheit nicht durch eigene Gewalt, so ist sie eine Volksfreiheit, eine Freiheit, die ihm um seines Glaubens, seiner „Mitgliedschaft“ willen verliehen wird. Umgekehrt, gerade als Einzelnem steht Jedem die Freiheit offen, sich auszusprechen. Aber er hat nicht das „Recht“, jene Freiheit ist allerdings nicht sein „heiliges Recht“. Er hat nur die Gewalt; aber die Gewalt allein macht ihn zum Eigner. Ich brauche keine Concession zur Preßfreiheit, brauche nicht die Bewilligung des Volkes dazu, brauche nicht das [380] „Recht“ dazu und keine „Berechtigung“. Auch die Preßfreiheit, wie jede Freiheit, muß Ich Mir „nehmen“; das Volk „als eben der einzige Richter“ kann sie Mir nicht geben. Es kann sich die Freiheit, welche Ich Mir nehme, gefallen lassen oder sich dagegen wehren: geben, schenken, gewähren kann es sie nicht. Ich übe sie trotz dem Volke, rein als Einzelner, d.h. Ich kämpfe sie dem Volke, meinem – Feinde, ab, und erhalte sie nur, wenn Ich sie ihm wirklich abkämpfe, d.i. Mir nehme. Ich nehme sie aber, weil sie mein Eigenthum ist.

Sander, gegen welchen E. Bauer spricht, nimmt (Seite 99) die Preßfreiheit „als das Recht und die Freiheit des Bürgers im Staate“ in Anspruch. Was thut E. Bauer anders? Auch ihm ist sie nur ein Recht des freien Bürgers.

Auch unter dem Namen eines „allgemein menschlichen Rechtes“ wird die Preßfreiheit gefordert. Dagegen war der Einwand gegründet: Nicht jeder Mensch wisse sie richtig zu gebrauchen; denn nicht jeder Einzelne sei wahrhaft Mensch. Dem Menschen als solchen verweigerte sie niemals eine Regierung: aber der Mensch schreibt eben nichts, weil er ein Gespenst ist. Sie verweigerte sie stets nur Einzelnen, und gab sie Andern, z.B. ihren Organen. Wollte man also sie für Alle haben, so mußte man gerade behaupten, sie gebühre dem Einzelnen, Mir, nicht dem Menschen oder nicht dem Einzelnen, sofern er Mensch sei. Ein Anderer als ein Mensch (z. B. ein Thier) kann ohnehin von ihr keinen Gebrauch machen. Die französische Regierung z.B. bestreitet die Preßfreiheit nicht als Menschenrecht, sie fordert aber vom Einzelnen eine Caution dafür, daß er wirklich Mensch sei; denn nicht dem Einzelnen, sondern dem Menschen ertheilt sie die Preßfreiheit. [381]

Gerade unter dem Vorgeben, daß es nicht menschlich sei, entzog man Mir das Meinige: das Menschliche ließ man Mir ungeschmälert.

Die Preßfreiheit kann nur eine verantwortliche Presse zuwege bringen, die unverantwortliche geht allein aus dem Preßeigenthum hervor.

 

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Für den Verkehr mit Menschen wird unter allen, welche religiös leben, ein ausdrückliches Gesetz obenangestellt, dessen Befolgung man wohl sündhafter Weise zuweilen zu vergessen, dessen absoluten Werth aber zu leugnen man sich niemals getraut; dieß ist das Gesetz der – Liebe, dem auch Diejenigen noch nicht untreu geworden sind, die gegen ihr Princip zu kämpfen scheinen und ihren Namen hassen; denn auch sie haben der Liebe noch, ja sie lieben inniger und geläuterter, sie lieben „den Menschen und die Menschheit.“

Formuliren Wir den Sinn dieses Gesetzes, so wird er etwa folgender sein: Jeder Mensch muß ein Etwas haben, das ihm über sich geht. Du sollst dein „Privatinteresse“ hintansetzen, wenn es die Wohlfahrt Anderer, das Wohl des Vaterlandes, der Gesellschaft, das Gemeinwohl, das Wohl der Menschheit, die gute Sache u. dgl. gilt! Vaterland, Gesellschaft Menschheit u. s. w. muß Dir über Dich gehen, und gegen ihr Interesse muß dein „Privatinteresse“ zurückstehen; denn Du darfst kein – Egoist sein.

Die Liebe ist eine weitgehende religiöse Forderung, die nicht etwa auf die Liebe zu Gott und den Menschen sich beschränkt, sondern in jeder Beziehung obenansteht. Was Wir auch thun, denken, wollen, immer soll der Grund davon die [382] Liebe sein. So dürfen Wir zwar urtheilen, aber nur „mit Liebe“. Die Bibel darf allerdings kritisirt werden und zwar sehr gründlich, aber der Kritiker muß vor allen Dingen sie lieben und das heilige Buch in ihr sehen. Heißt dieß etwas anderes als: er darf sie nicht zu Tode kritisiren, er muß sie bestehen lassen, und zwar als ein Heiliges, Unumstößliches? – Auch in unserer Kritik über Menschen soll die Liebe unveränderter Grundton bleiben. Gewiß sind Urtheile, welche der Haß eingiebt, gar nicht unsere eigenen Urtheile, sondern Urtheile des Uns beherrschenden Hasses, „gehässige Urtheile“. Aber sind Urtheile, welche Uns die Liebe eingiebt, mehr unsere eigenen? Sie sind Urtheile der Uns beherrschenden Liebe, sind „liebevolle, nachsichtige“ Urtheile, sind nicht unsere eigenen, mithin gar nicht wirkliche Urtheile. Wer vor Liebe zur Gerechtigkeit brennt, der ruft aus: fiat iustitia, pereat mundus. Er kann wohl fragen und forschen, was denn die Gerechtigkeit eigentlich sei oder fordere und worin sie bestehe, aber nicht, ob sie etwas sei.

Es ist sehr wahr „Wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott und Gott in ihm“. (1 Joh. 4, 16.) Der Gott bleibt in ihm, er wird ihn nicht los, wird nicht gottlos, und er bleibet in Gott, kommt nicht zu sich und in seine eigene Heimath, bleibt in der Liebe zu Gott und wird nicht lieblos.

„Gott ist die Liebe! Alle Zeit und alle Geschlechter erkennen in diesem Worte den Mittelpunkt des Christenthums.“ Gott, der die Liebe ist, ist ein zudringlicher Gott: er kann die Welt nicht in Ruhe lassen, sondern will sie beseligen. „Gott ist Mensch geworden, um die Menschen göttlich zu machen.“ 27) Er hat seine Hand überall im Spiele, und nichts [383] geschieht ohne sie; überall hat er seine „besten Absichten“, seine „unbegreiflichen Pläne und Rathschlüsse“. Die Vernunft, welche er selbst ist, soll auch in der ganzen Welt befördert und verwirklicht werden. Seine väterliche Fürsorge bringt Uns um alle Selbständigkeit. Wir können nichts Gescheidtes thun, ohne daß es hieße: das hat Gott gethan! und können Uns kein Unglück zuziehen, ohne zu hören: das habe Gott verhängt; Wir haben nichts, was Wir nicht von ihm hätten: er hat alles „gegeben“. Wie aber Gott, so macht's der Mensch. Jener will partout die Welt beseligen, und der Mensch will sie beglücken, will alle Menschen glücklich machen. Daher will jeder „Mensch“ die Vernunft, welche er selbst zu haben meint, in Allen erwecken: Alles soll durchaus vernünftig sein. Gott plagt sich mit dem Teufel und der Philosoph mit der Unvernunft und dem Zufälligen. Gott läßt kein Wesen seinen eigenen Gang gehen, und der Mensch will Uns gleichfalls nur einen menschlichen Wandel führen lassen.

Wer aber voll heiliger (religiöser, sittlicher, humaner) Liebe ist, der liebt nur den Spuk, den „wahren Menschen“, und verfolgt mit dumpfer Unbarmherzigkeit den Einzelnen, den wirklichen Menschen, unter dem phlegmatischen Rechstitel des Verfahrens gegen den „Unmenschen“. Er findet es lobenswerth und unerläßlich, die Erbarmungslosigkeit im herbsten Maaße zu üben; denn die Liebe zum Spuk oder Allgemeinen gebietet ihm, den nicht Gespenstischen, d. h. den Egoisten oder Einzelnen, zu hassen: das ist der Sinn der berühmten Liebeserscheinung, die man „Gerechtigkeit“ nennt.

Der peinlich Angeklagte hat keine Schonung zu erwarten, und Niemand deckt freundlich eine Hülle über seine unglückliche Blöße. Ohne Rührung reißt der strenge Richter die letzten [384] Fetzen der Entschuldigung dem armen Angeschuldigten vom Leibe, ohne Mitleid schleppt der Kerkermeister ihn in seine dumpfe Wohnung, ohne Versöhnlichkeit stößt er den Gebrandmarkten nach abgelaufener Strafzeit wieder unter die verächtlich anspeienden Menschen, seine guten, christlichen, loyalen Mitbrüder! Ja, ohne Gnade wird ein „todeswürdiger“ Verbrecher auf das Blutgerüst geführt, und vor den Augen einer jubelnden Menge feiert das gesühnte Sittengesetz seine erhabene – Rache. Eines kann ja nur leben, das Sittengesetz, oder der Verbrecher. Wo die Verbrecher ungestraft leben, da ist das Sittengesetz untergegangen, und wo dieses waltet, müssen jene fallen. Ihre Feindschaft ist unzerstörbar.

Es ist gerade das christliche Zeitalter das der Barmherzigkeit, der Liebe, der Sorge, den Menschen zukommen zu lassen, was ihnen gebührt, ja sie dahin zu bringen, daß sie ihren menschlichen (göttlichen) Beruf erfüllen. Man hat also für den Verkehr obenan gestellt: dieß und dieß ist das Wesen des Menschen und folglich sein Beruf, wozu ihn entweder Gott berufen hat oder (nach heutigen Begriffen) sein Menschsein (die Gattung) ihn beruft. Daher der Bekehrungseifer. Daß die Communisten und Humanen mehr als die Christen vom Menschen erwarten, bringt sie keineswegs von demselben Standpunkte weg. Dem Menschen soll das Menschliche werden! War es den Frommen genug, daß ihm das Göttliche zu Theil wurde, so verlangen die Humanen, daß ihm das Menschliche nicht verkümmert werde. Gegen das Egoistische stemmen sich beide. Natürlich, denn das Egoistische kann ihm nicht bewilligt oder verliehen werden (Lehen), sondern er muß es selbst sich verschaffen. Jenes ertheilt die Liebe, dieses kann Mir allein von Mir gegeben werden. [385]

Der bisherige Verkehr beruhte auf der Liebe, dem rücksichtsvollen Benehmen, dem Füreinanderthun. Wie man sich's schuldig war, sich selig zu machen oder die Seligkeit, das höchste Wesen in sich aufzunehmen und zu einer verité (einer Wahrheit und Wirklichkeit) zu bringen, so war man's Andern schuldig, ihr Wesen und ihren Beruf ihnen realisiren zu helfen: man war's eben in beiden Fällen dem Wesen des Menschen schuldig, zu seiner Verwirklichung beizutragen.

Allein man ist weder sich schuldig, etwas aus sich, noch Andern, etwas aus ihnen zu machen: denn man ist seinem und Anderer Wesen nichts schuldig. Der auf das Wesen gestützte Verkehr ist ein Verkehr mit dem Spuk, nicht mit Wirklichem. Verkehre Ich mit dem höchsten Wesen, so verkehre Ich nicht mit Mir, und verkehre Ich mit dem Wesen des Menschen, so verkehre Ich nicht mit den Menschen.

Die Liebe des natürlichen Menschen wird durch die Bildung ein Gebot. Als Gebot aber gehört sie dem Menschen als solchem, nicht Mir; sie ist mein Wesen, von dem man viel Wesens macht, nicht mein Eigenthum. Der Mensch, d.h. die Menschlichkeit, stellt jene Forderung an Mich; die Liebe wird gefordert, ist meine Pflicht. Statt also wirklich Mir errungen zu sein, ist sie dem Allgemeinen errungen, dem Menschen, als dessen Eigenthum oder Eigenheit: „dem Menschen, d.h. jedem Menschen ziemt es zu lieben: Lieben ist die Pflicht und der Beruf des Menschen u.s.w.“

Folglich muß Ich die Liebe Mir wieder vindiciren und sie aus der Macht des Menschen erlösen.

Was ursprünglich mein war, aber zufällig, instinctmäßig, das wurde Mir als Eigenthum des Menschen verliehen; Ich wurde Lehnsträger, indem Ich liebte, wurde der [386] Lehnsmann der Menschheit, nur ein Exemplar dieser Gattung, und handelte liebend nicht als Ich, sondern als Mensch, als Menschenexemplar, d. h. menschlich. Der ganze Zustand der Cultur ist das Lehnswesen, indem das Eigenthum das des Menschen oder der Menschheit ist, nicht das meinige. Ein ungeheurer Lehnsstaat wurde gegründet, dem Einzelnen Alles geraubt, „dem Menschen“ Alles überlassen. Der Einzelne mußte endlich als „Sünder durch und durch“ erscheinen. Soll Ich etwa an der Person des Andern keine lebendige Theilnahme haben, soll seine Freude und sein Wohl Mir nicht am Herzen liegen, soll der Genuß, den Ich ihm bereite, Mir nicht über andere eigene Genüsse gehen? Im Gegentheil, unzählige Genüsse kann Ich ihm mit Freuden opfern. Unzähliges kann Ich Mir zur Erhöhung seiner Lust versagen, und was Mir ohne ihn das Theuerste wäre, das kann Ich für ihn in die Schanze schlagen, mein Leben, meine Wohlfahrt, meine Freiheit. Es macht ja meine Lust und mein Glück aus, Mich an seinem Glücke und seiner Lust zu laben. Aber Mich, Mich selbst opfere Ich ihm nicht, sondern bleibe Egoist und – genieße ihn. Wenn ich ihm Alles opfere, was Ich ohne die Liebe zu ihm behalten würde, so ist das sehr einfach und sogar gewöhnlicher im Leben, als es zu sein scheint; aber es beweist nichts weiter, als daß diese eine Leidenschaft in Mir mächtiger ist, als alle übrigen. Dieser Leidenschaft alle andern zu opfern, lehrt auch das Christenthum. Opfere Ich aber einer Leidenschaft andere, so opfere Ich darum noch nicht Mich, und opfere nichts von dem, wodurch Ich wahrhaft Ich selber bin, nicht meinen eigentlichen Werth, meine Eigenheit. Wo dieser schlimme Fall eintritt, da sieht's um nichts besser mit der Liebe aus, als mit irgend welcher [387] andern Leidenschaft, der Ich blindlings gehorche. Der Ehrgeizige, der vom Ehrgeiz fortgerissen wird und gegen jede Warnung, welche ein ruhiger Augenblick in ihm erzeugt, taub bleibt, der hat diese Leidenschaft zu einer Zwingherrin anwachsen lassen, wider die er jede Macht der Auflösung verloren giebt: er hat sich selbst aufgegeben, weil er sich nicht auflösen, mithin nicht aus ihr erlösen kann: er ist besessen.

Ich liebe die Menschen auch, nicht bloß einzelne, sondern jeden. Aber Ich liebe sie mit dem Bewußtsein des Egoismus; Ich liebe sie, weil die Liebe Mich glücklich macht, Ich liebe, weil Mir das Lieben natürlich ist, weil Mir's gefällt. Ich kenne kein „Gebot der Liebe“. Ich habe Mitgefühl mit jedem fühlenden Wesen, und ihre Qual quält, ihre Erquickung erquickt auch Mich: tödten kann Ich sie, martern nicht. Dagegen sinnt der hochherzige, tugendhafte Philisterfürst Rudolf in den Mysterien von Paris, weil ihn die Bösen „entrüsten“, auf ihre Marter. Jenes Mitgefühl beweist nur, daß das Gefühl der Fühlenden auch das meinige, mein Eigenthum, ist, wogegen das erbarmungslose Verfahren des „Rechtlichen“ (z. B. gegen den Notar Ferrand) der Gefühllosigkeit jenes Räubers gleicht, welcher nach dem Maaße seiner Bettstelle den Gefangenen die Beine abschnitt oder ausreckte: Rudolfs Bettstelle, wonach er die Menschen zuschneidet, ist der Begriff des „Guten“. Das Gefühl für Recht, Tugend u. s. w. macht hartherzig und intolerant. Rudolf fühlt nicht wie der Notar, sondern umgekehrt, er fühlt, daß „dem Bösewicht Recht geschieht“; das ist kein Mitgefühl.

Ihr liebt den Menschen, darum peinigt Ihr den einzelnen Menschen, den Egoisten; eure Menschenliebe ist Menschenquälerei.

Sehe Ich den Geliebten leiden, so leide Ich mit, und es [38 [388]] läßt Mir keine Ruhe, bis Ich Alles versucht habe, um ihn zu trösten und aufzuheitern; sehe Ich ihn froh, so werde auch Ich über seine Freude froh. Daraus folgt nicht, daß Mir dieselbe Sache Leiden oder Freude verursacht, welche in ihm diese Wirkung hervorruft, wie schon jeder körperliche Schmerz beweist, den Ich nicht wie er fühle: ihn schmerzt sein Zahn, Mich aber schmerzt sein Schmerz.

Weil Ich aber die kummervolle Falte auf der geliebten Stirn nicht ertragen kann, darum, also um Meinetwillen, küsse Ich sie weg. Liebte Ich diesen Menschen nicht, so möchte er immerhin Falten ziehen, sie kümmerten Mich nicht; Ich verscheuche nur meinen Kummer.

Wie nun, hat irgendwer oder irgendwas, den und das Ich nicht liebe, ein Recht darauf, von Mir geliebt zu werden? Ist meine Liebe das Erste oder ist sein Recht das Erste? Aeltern, Verwandte, Vaterland, Volk, Vaterstadt u. s. w., endlich überhaupt die Mitmenschen („Brüder, Brüderlichkeit“) behaupten ein Recht auf meine Liebe zu haben und nehmen sie ohne Weiteres in Anspruch. Sie sehen sie als ihr Eigenthum an und Mich, wenn Ich dasselbe nicht respectire, als Räuber, der ihnen entzieht was ihnen zukommt und das Ihre ist. Ich soll lieben. Ist die Liebe ein Gebot und Gesetz, so muß Ich dazu erzogen, herangebildet und, wenn Ich dagegen Mich vergehe, gestraft werden. Man wird daher einen möglichst starken „moralischen Einfluß“ auf Mich ausüben, um Mich zum Lieben zu bringen. Und es ist kein Zweifel, daß man die Menschen zur Liebe aufkitzeln und verführen kann wie zu andern Leidenschaften, z. B. gleich zum Hasse. Der Haß zieht sich durch ganze Geschlechter, bloß weil die Ahnen des einen zu den Guelphen, die des andern zu den Ghibellinen gehörten. [389]

Aber die Liebe ist kein Gebot, sondern, wie jedes meiner Gefühle, mein Eigenthum. Erwerbt, d. h. erkauft mein Eigenthum, dann lasse Ich's Euch ab. Eine Kirche, ein Volk, ein Vaterland, eine Familie u. s. w., die sich meine Liebe nicht zu erwerben wissen, brauche Ich nicht zu lieben, und Ich stelle den Kaufpreis meiner Liebe ganz nach meinem Gefallen.

Die eigennützige Liebe steht weit von der uneigennützigen, mystischen oder romantischen ab. Lieben kann man alles Mögliche, nicht bloß Menschen, sondern überhaupt einen „Gegenstand“ (den Wein, sein Vaterland u. s. w.). Blind und toll wird die Liebe dadurch, daß ein Müssen sie meiner Gewalt entzieht (Vernarrtheit), romantisch dadurch, daß ein Sollen in sie eintritt, d. h. daß der „Gegenstand“ Mir heilig wird, oder Ich durch Pflicht, Gewissen, Eid an ihn gebunden werde. Nun ist der Gegenstand nicht mehr für Mich, sondern Ich bin für ihn da.

Nicht als meine Empfindung ist die Liebe eine Besessenheit – als jene behalte Ich sie vielmehr im Besitz als Eigenthum –, sondern durch die Fremdheit des Gegenstandes. Die religiöse Liebe besteht nämlich in dem Gebote, in dem Geliebten einen „Heiligen“ zu lieben oder an einem Heiligen zu hangen, für die uneigennützige Liebe giebt es absolut liebenswürdige Gegenstände, für welche mein Herz schlagen soll, z. B. die Mitmenschen, oder den Ehegatten, die Verwandten u. s. w. Die heilige Liebe liebt das Heilige am Geliebten, und bemüht sich darum auch, aus dem Geliebten immer mehr einen Heiligen (z. B. einen „Menschen“) zu machen.

Der Geliebte ist ein Gegenstand, der von Mir geliebt werden soll. Er ist nicht Gegenstand meiner Liebe darum, weil oder dadurch, daß Ich ihn liebe, sondern ist Gegenstand [390] der Liebe an und für sich. Nicht Ich mache ihn zu einem Gegenstande der Liebe, sondern er ist von Haus aus ein solcher, denn daß er es etwa durch meine Wahl geworden ist, wie Braut, Ehegatte u. dergl., thut hier nichts zur Sache, da er auch so immer als einmal Erwählter ein eigenes „Recht auf meine Liebe“ erhalten hat, und Ich, weil Ich ihn geliebt habe, auf ewig ihn zu lieben verpflichtet bin. Er ist also nicht ein Gegenstand meiner Liebe, sondern der Liebe überhaupt: ein Gegenstand, der geliebt werden soll. Die Liebe kommt ihm zu, gebührt ihm, oder ist sein Recht, Ich aber bin verpflichtet, ihn zu lieben. Meine Liebe, d.h. die Liebe, welche Ich ihm zolle, ist in Wahrheit seine Liebe, die er nur als Zoll von Mir eintreibt.

Jede Liebe, an welcher auch nur der kleinste Flecken von Verpflichtung haftet, ist eine uneigennützige, und so weit dieser Flecken reicht, ist sie Besessenheit. Wer dem Gegenstande seiner Liebe etwas schuldig zu sein glaubt, der liebt romantisch oder religiös.

Familienliebe z. B., wie sie gewöhnlich als „Pietät“ aufgefaßt wird, ist eine religiöse Liebe; Vaterlandsliebe, als „Patriotismus“ gepredigt, gleichfalls. All' unsere romantische Liebe bewegt sich in demselben Zuschnitt: überall die Heuchelei oder vielmehr Selbsttäuschung einer „uneigennützigen Liebe“, ein Interesse am Gegenstande um des Gegenstandes willen, nicht um Meinet- und zwar allein um Meinetwillen.

Die religiöse oder romantische Liebe unterscheidet sich von der sinnlichen Liebe zwar durch die Verschiedenheit des Gegenstandes, aber nicht durch die Abhängigkeit des Verhaltens zu ihm. In letzterer Beziehung sind beide Besessenheit; in der ersteren aber ist der eine Gegenstand profan, der andere heilig. [391] Die Herrschaft des Gegenstandes über Mich ist in beiden Fällen dieselbe, nur daß er einmal ein sinnlicher, das andere Mal ein geistiger (gespenstischer) ist. Mein eigen ist meine Liebe erst, wenn sie durchaus in einem eigennützigen und egoistischen Interesse besteht, mithin der Gegenstand meiner Liebe wirklich mein Gegenstand oder mein Eigenthum ist. Meinem Eigenthum bin Ich nichts schuldig und habe keine Pflicht gegen dasselbe, so wenig Ich etwa eine Pflicht gegen mein Auge habe; hüte Ich es dennoch mit größter Sorgsamkeit, so geschieht das Meinetwegen.

An Liebe fehlte es dem Alterthum so wenig als der christlichen Zeit; der Liebesgott ist älter, als der Gott der Liebe. Aber die mystische Besessenheit gehört den Neuen an.

Die Besessenheit der Liebe liegt in der Entfremdung des Gegenstandes oder in meiner Ohnmacht gegen seine Fremdheit und Uebermacht. Dem Egoisten ist nichts hoch genug, daß er sich davor demüthigte, nichts so selbständig, daß er ihm zu Liebe lebte, nichts so heilig, daß er sich ihm opferte. Die Liebe des Egoisten quillt aus dem Eigennutz, fluthet im Bette des Eigennutzes und mündet wieder in den Eigennutz.

Ob dieß noch Liebe heißen kann? Wißt Ihr ein anderes Wort dafür, so wählt es immerhin; dann mag das süße Wort der Liebe mit der abgestorbenen Welt verwelken; Ich wenigstens finde für jetzt keines in unserer christlichen Sprache, und bleibe daher bei dem alten Klange und „liebe“ meinen Gegenstand, mein – Eigenthum.

Nur als eines meiner Gefühle hege Ich die Liebe, aber als eine Macht über Mir, als eine göttliche Macht (Feuerbach), als eine Leidenschaft, der Ich Mich nicht entziehen soll, als eine religiöse und sittliche Pflicht – verschmähe Ich sie. [392] Als mein Gefühl ist sie mein; als Grundsatz, dem Ich meine Seele weihe und „verschwöre“, ist sie Gebieterin und göttlich, wie der Haß als Grundsatz teuflisch ist: eins nicht besser als das andere. Kurz die egoistische Liebe, d. h. meine Liebe ist weder heilig noch unheilig, weder göttlich noch teuflisch.

„Eine Liebe, die durch den Glauben beschränkt ist, ist eine unwahre Liebe. Die einzige dem Wesen der Liebe nicht widersprechende Beschränkung ist die Selbstbeschränkung der Liebe durch die Vernunft, die Intelligenz. Liebe, die die Strenge, das Gesetz der Intelligenz verschmäht, ist theoretisch eine falsche, praktisch eine verderbliche Liebe.“ 28) Also die Liebe ist ihrem Wesen nach vernünftig! So denkt Feuerbach; der Gläubige hingegen denkt: die Liebe ist ihrem Wesen nach gläubig. Jener eifert gegen die unvernünftige, dieser gegen die ungläubige Liebe. Beiden kann sie höchstens für ein splendidum vitium gelten. Lassen nicht beide die Liebe bestehen, auch in der Form der Unvernunft und Ungläubigkeit? Sie wagen nicht zu sagen: unvernünftige oder ungläubige Liebe ist ein Unsinn, ist nicht Liebe, so wenig sie sagen mögen: unvernünftige oder ungläubige Thränen sind keine Thränen. Muß aber auch die unvernünftige u. s. w. Liebe für Liebe gelten, und sollen sie gleichwohl des Menschen unwürdig sein, so folgt einfach nur dieß: Liebe ist nicht das Höchste, sondern Vernunft oder Glaube; lieben kann auch der Unvernünftige und der Ungläubige; Werth hat die Liebe aber nur, wenn sie die eines Vernünftigen oder Gläubigen ist. Es ist ein Blendwerk, wenn Feuerbach die Vernünftigkeit der Liebe ihre „Selbstbeschränkung“ nennt; der Gläubige könnte mit demselben Rechte [393] die Gläubigkeit ihre „Selbstbeschränkung“ nennen. Unvernünftige Liebe ist weder „falsch“ noch „verderblich“; sie thut als Liebe ihre Dienste.

Gegen die Welt, besonders gegen die Menschen, soll Ich eine bestimmte Empfindung annehmen, und ihnen von Anfang an mit der Empfindung der Liebe, „mit Liebe entgegenkommen“. Freilich offenbart sich hierin weit mehr Willkühl und Selbstbestimmung, als wenn Ich Mich durch die Welt von allen möglichen Empfindungen bestürmen lasse und den krausesten, zufälligsten Eindrücken ausgesetzt bleibe. Ich gehe vielmehr an sie mit einer vorgefaßten Empfindung, gleichsam einem Vorurtheil und einer vorgefaßten Meinung; Ich habe mein Verhalten gegen sie Mir im Voraus vorgezeichnet, und fühle und denke trotz all' ihrer Anfechtungen nur so über sie, wie Ich zu fühlen einmal entschlossen bin. Wider die Herrschaft der Welt sichere Ich Mich durch den Grundsatz der Liebe; denn was auch kommen mag, Ich – liebe. Das Häßliche z. B. macht auf Mich einen widerwärtigen Eindruck; allein, entschlossen zu lieben, bewältige Ich diesen Eindruck, wie jede Antipathie.

Aber die Empfindung, zu welcher Ich Mich von Haus aus determinirt und – verurtheilt habe, ist eben eine bornirte Empfindung, weil sie eine prädestinirte ist, von welcher Ich selber nicht loskommen oder Mich loszusagen vermag. Weil vorgefaßt, ist sie ein Vorurtheil. Ich zeige Mich nicht mehr gegenüber der Welt, sondern meine Liebe zeigt sich. Zwar beherrscht die Welt Mich nicht, desto unabwendbarer aber beherrscht Mich der Geist der Liebe. Ich habe die Welt überwunden, um ein Sklave dieses Geistes zu werden.

Sagte Ich erst, Ich liebe die Welt, so setze Ich jetzt ebenso hinzu: Ich liebe sie nicht, denn Ich vernichte sie, wie [394] Ich Mich vernichte: Ich löse sie auf. Ich beschränke Mich nicht auf Eine Empfindung für die Menschen, sondern gebe allen, deren Ich fähig bin, freien Spielraum. Wie sollte Ich's nicht in aller Grellheit auszusprechen wagen? Ja, Ich benutze die Welt und die Menschen! Dabei kann Ich Mich jedem Eindruck offen erhalten, ohne von einem derselben Mir selber entrissen zu werden. Ich kann lieben, mit voller Seele lieben und die verzehrendste Gluth der Leidenschaft in meinem Herzen brennen lassen, ohne den Geliebten für etwas Anderes zu nehmen, als für die Nahrung meiner Leidenschaft, an der sie immer von Neuem sich erfrischt. All meine Sorge um ihn gilt nur dem Gegenstande meiner Liebe, nur ihm, den meine Liebe braucht, nur ihm, dem „Heißgeliebten“. Wie gleichgültig wäre er Mir ohne diese – meine Liebe. Nur meine Liebe speise Ich mit ihm, dazu nur benutze Ich ihn: Ich genieße ihn.

Wählen Wir ein anderes naheliegendes Beispiel. Ich sehe, wie die Menschen von einem Schwarm Gespenster in finsterem Aberglauben geängstigt werden. Lasse Ich etwa darum nach Kräften ein Tageslicht über den nächtlichen Spuk einfallen, weil Mir's die Liebe zu Euch so eingiebt? Schreibe Ich aus Liebe zu den Menschen? Nein, Ich schreibe, weil Ich meinen Gedanken ein Dasein in der Welt verschaffen will, und sähe Ich auch voraus, daß diese Gedanken Euch um eure Ruhe und euren Frieden brächten, sähe Ich auch die blutigsten Kriege und den Untergang vieler Generationen aus dieser Gedankensaat aufkeimen: – Ich streute sie dennoch aus. Macht damit, was Ihr wollt und könnt, das ist eure Sache und kümmert Mich nicht. Ihr werdet vielleicht nur Kummer, Kampf und Tod davon haben, die Wenigsten ziehen [395] daraus Freude. Läge Mir euer Wohl am Herzen, so handelte Ich wie die Kirche, indem sie den Laien die Bibel entzog, oder die christlichen Regierungen, welche sich's zu einer heiligen Pflicht machen, den „gemeinen Mann vor bösen Büchern zu bewahren“.

Aber nicht nur nicht um Euret-, auch nicht einmal um der Wahrheit willen spreche Ich aus, was Ich denke. Nein –

 

Ich singe, wie der Vogel singt,

Der in den Zweigen wohnet:

Das Lied, das aus der Kehle dringt,

Ist Lohn, der reichlich lohnet.

 

Ich singe, weil – Ich ein Sänger bin. Euch aber gebrauche Ich dazu, weil Ich – Ohren brauche.

Wo Mir die Welt in den Weg kommt – und sie kommt Mir überall in den Weg – da verzehre Ich sie, um den Hunger meines Egoismus zu stillen. Du bist für Mich nichts als – meine Speise, gleichwie auch Ich von Dir verspeiset und verbraucht werde. Wir haben zu einander nur Eine Beziehung, die der Brauchbarkeit, der Nutzbarkeit, des Nutzens. Wir sind einander nichts schuldig, denn was Ich Dir schuldig zu sein scheine, das bin Ich höchstens Mir schuldig. Zeige Ich Dir eine heitere Miene, um Dich gleichfalls zu erheitern, so ist Mir an Deiner Heiterkeit gelegen, und meinem Wunsche dient meine Miene: tausend Anderen, die Ich zu erheitern nicht beabsichtige, zeige Ich sie nicht.

 

――――

 

Zu derjenigen Liebe, welche sich auf das „Wesen des Menschen“ gründet oder in der kirchlichen und sittlichen Periode als ein „Gebot“ aus Uns liegt, muß man erzogen werden. [396] In welcherlei Art der moralische Einfluß, das Hauptingredienz unserer Erziehung, den Verkehr der Menschen zu regeln sucht, soll hier wenigstens an Einem Beispiele mit egoistischen Augen betrachtet werden.

Die Uns erziehen, lassen sich's angelegen sein, frühzeitig Uns das Lügen abzugewöhnen und den Grundsatz einzuprägen, daß man stets die Wahrheit sagen müsse. Machte man für diese Regel den Eigennutz zur Basis, so würde Jeder leicht begreifen, wie er das Vertrauen zu sich, welches er bei Andern erwecken will, durch Lügen verscherze, und wie richtig sich der Satz erweise: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht. Zu gleicher Zeit würde er jedoch auch fühlen, daß er nur demjenigen mit der Wahrheit entgegenzukommen habe, welchen er befugt, die Wahrheit zu hören. Durchstreicht ein Spion verkleidet das feindliche Lager und wird gefragt, wer er sei, so sind die Fragenden allerdings befugt, nach dem Namen sich zu erkundigen, der Verkleidete giebt aber ihnen das Recht nicht, die Wahrheit von ihm zu erfahren; er sagt ihnen, was er mag, nur nicht das Richtige. Und doch heischt die Moral: „Du sollst nicht lügen!“ Durch die Moral sind jene dazu berechtigt, die Wahrheit zu erwarten; aber von Mir sind sie nicht dazu berechtigt, und Ich erkenne nur das Recht an, welches Ich ertheile. In eine Versammlung von Revolutionairen drängt sich die Polizei ein und fragt den Redner nach seinem Namen; Jedermann weiß, daß die Polizei dazu das Recht hat, allein vom Revolutionair hat sie's nicht, da er ihr Feind ist: er sagt ihr einen falschen Namen und – belügt sie. Auch handelt die Polizei nicht so thöricht, daß sie auf die Wahrheitsliebe ihrer Feinde rechnete; im Gegentheil glaubt sie nicht ohne [397] Weiteres, sondern „recognoscirt“, wenn sie kann, das quästionirte Individuum. Ja der Staat verfährt überall ungläubig gegen die Individuen, weil er in ihrem Egoismus seinen natürlichen Feind erkennt: er verlangt durchweg einen „Ausweis“, und wer sich nicht ausweisen kann, der verfällt seiner nachspürenden Inquisition. Der Staat glaubt und vertraut dem Einzelnen nicht, und stellt sich so selbst mit ihm auf den gen-Comment: er traut Mir nur, wenn er sich von der Wahrheit meiner Aussage überführt hat, wozu ihm oft kein anderes Mittel bleibt als der Eid. Wie deutlich beweist auch dieser, daß der Staat nicht auf unsere Wahrheitsliebe und Glaubwürdigkeit rechnet, sondern auf unser Interesse, unseren Eigennutz: er verläßt sich darauf, daß Wir Uns nicht durch einen Meineid werden mit Gott überwerfen wollen.

Nun denke man sich einen französischen Revolutionair im Jahre 1788, der unter Freunden das bekanntgewordene Wort fallen ließe: die Welt hat nicht eher Ruhe, als bis der letzte König am Darm des letzten Pfaffen hängt. Damals hatte der König noch alle Macht, und als die Aeußerung durch einen Zufall verrathen wird, ohne daß man jedoch Zeugen aufstellen kann, fordert man vom Angeklagten das Geständniß. Soll er gestehen oder nicht? Leugnet er, so lügt er und – bleibt straflos; gesteht er, so ist er aufrichtig und – wird geköpft. Geht ihm die Wahrheit über Alles, wohlan so sterbe er. Nur ein elender Dichter könnte es versuchen, aus seinem Lebensende eine Tragödie herzustellen; denn welches Interesse hat es, zu sehen, wie ein Mensch aus Feigheit erliegt? Hätte er aber den Muth, kein Sklave der Wahrheit und Aufrichtigkeit zu sein, so würde er etwa so fragen: Wozu brauchen die Richter zu wissen, was Ich unter Freunden gesprochen habe? [398]

Wenn Ich wollte, daß sie's wüßten, so würde Ich's ihnen gesagt haben, wie Ich's meinen Freunden sagte. Ich will nicht, daß sie's wissen. Sie drängen sich in mein Vertrauen, ohne daß Ich sie dazu berufen und zu meinen Vertrauten gemacht habe; sie wollen erfahren, was Ich verheimlichen will. So kommt denn heran, Ihr, die Ihr meinen Willen durch euren Willen brechen wollt, und versucht eure Künste. Ihr könnt Mich durch die Folter peinigen, könnt Mir mit der Hölle und ewigem Verdammniß drohen, könnt Mich so mürbe machen, daß Ich einen falschen Schwur leiste, aber die Wahrheit sollt Ihr nicht aus Mir herauspressen, denn Ich will Euch belügen, weil Ich Euch keinen Anspruch und kein Recht auf meine Aufrichtigkeit gegeben habe. Mag der Gott, „welcher die Wahrheit ist“, noch so drohend auf Mich herabsehen, mag das Lügen Mir noch so sauer werden, Ich habe dennoch den Muth der Lüge, und selbst wenn ich meines Lebens überdrüssig wäre, selbst wenn Mir nichts willkommener erschiene, als euer Henkerschwerdt, so sollt Ihr dennoch die Freude nicht haben, an Mir einen Sklaven der Wahrheit zu finden, den Ihr durch eure Pfaffenkünste zum Verräther an seinem Willen macht. Als Ich jene hochverrätherischen Worte sprach, da wollte Ich, daß Ihr nichts davon wissen solltet; denselben Willen behalte Ich jetzt bei und lasse Mich durch den Fluch der Lüge nicht schrecken.

Sigismund ist nicht darum ein jämmerlicher Wicht, weil er sein Fürstenwort brach, sondern er brach das Wort, weil er ein Wicht war; er hätte sein Wort halten können, und wäre doch ein Wicht, ein Pfaffenknecht gewesen. Luther wurde, von einer höhern Macht getrieben, seinem Mönchsgelübde untreu: er wurde es um Gottes willen. Beide brachen ihren Eid als [399] Besessene: Sigismund, weil er als ein aufrichtiger Bekenner der göttlichen Wahrheit, d. h. des wahren Glaubens, des ächt katholischen erscheinen wollte; Luther, um aufrichtig und mit ganzer Wahrheit, mit Leib und Seele, Zeugniß für das Evangelium abzulegen; beide wurden meineidig, um gegen die „höhere Wahrheit“ aufrichtig zu sein. Nur entbanden jenen die Pfaffen, dieser entband sich selbst. Was beachteten beide anders, als was in jenen apostolischen Worten enthalten ist: „Du hast nicht Menschen, sondern Gott gelogen?“ Sie logen den Menschen, brachen vor den Augen der Welt ihren Eid, um Gott nicht zu lügen, sondern zu dienen. So zeigen sie Uns einen Weg, wie man's mit der Wahrheit vor den Menschen halten soll. Zu Gottes Ehre und um Gottes willen ein – Eidbruch, eine Lüge, ein gebrochenes Fürstenwort!

Wie wäre es nun, wenn Wir die Sache ein wenig änderten und schrieben: Ein Meineid und Lüge um – Meinetwillen! Hieße das nicht jeder Niederträchtigkeit das Wort reden? Es scheint allerdings so, nur gleicht es darin ganz und gar dem „um Gottes willen“. Denn wurde nicht jede Niederträchtigkeit um Gottes willen verübt, alle Blutgerüste um seinetwillen erfüllt, alle Autodafes seinetwegen gehalten, alle Verdummung seinetwegen eingeführt, und bindet man nicht noch heute schon bei den zarten Kindern durch religiöse Erziehung den Geist um Gottes willen? Brach man nicht heilige Gelübde um seinetwillen, und ziehen nicht alle Tage noch Missionaire und Pfaffen umher, um Juden, Heiden, Protestanten oder Katholiken u. s. w. zum Verrath am Glauben ihrer Väter zu bringen – um seinetwillen? Und das sollte bei dem um Meinetwillen schlimmer sein? Was heißt denn Meinetwegen? Da denkt man gleich an „schnöden Gewinn“. [400] Wer aber aus Liebe zu schnödem Gewinne handelt, thut das zwar seinetwegen, wie es überhaupt nichts giebt, was man nicht um sein selbst willen thäte, unter andern auch Alles, was zu Gottes Ehre geschieht; jedoch ist er, für den er den Gewinn sucht, ein Sklave des Gewinnes, nicht erhaben über Gewinn, ist Einer, welcher dem Gewinn, dem Geldsack angehört, nicht sich, ist nicht sein eigen. Muß ein Mensch, den die Leidenschaft der Habgier beherrscht, nicht den Geboten dieser Herrin folgen, und wenn ihn einmal eine schwache Gutmüthigkeit beschleicht, erscheint dieß nicht eben nur als ein Ausnahmsfall gerade derselben Art, wie fromme Gläubige zuweilen von der Leitung ihres Herrn verlassen und von den Künsten des „Teufels“ berückt werden? Also ein Habgieriger ist kein Eigener, sondern ein Knecht, und er kann nichts um seinetwillen thun, ohne es zugleich um seines Herrn willen zu thun, – gerade wie der Gottesfürchtige.

Berühmt ist der Eidbruch, welchen Franz II. gegen Kaiser Karl V. beging. Nicht etwa später, als er sein Versprechen reiflich erwog, sondern sogleich, als er den Schwur leistete, nahm ihn König Franz in Gedanken sowohl, als durch eine heimliche, vor seinen Räthen urkundlich unterschriebene Protestation zurück: er sprach einen vorbedachten Meineid aus. Seine Freilassung zu erkaufen zeigte sich Franz nicht abgeneigt, nur schien ihm der Preis, welchen Karl darauf setzte, zu hoch und unbillig. Betrug sich auch Karl knickerig, als er möglichst viel zu erpressen suchte, so war es doch lumpig von Franz, seine Freiheit um ein niedrigeres Lösegeld einhandeln zu wollen, und seine späteren Handlungen, worunter noch ein zweiter Wortbruch vorkommt, beweisen sattsam, wie ihn der Schachergeist geknechtet hielt und zum lumpigen Betrüger machte. Indeß [401] was sollen Wir zu dem Vorwurf seines Meineides sagen? Zunächst doch wieder dieß, daß nicht der Meineid ihn schändete, seine Filzigkeit, daß er nicht Verachtung verdiente für seinen Meineid, sondern des Meineides sich schuldig machte, weil er ein verächtlicher Mensch war. Franzens Meineid aber für sich betrachtet erheischt eine andere Beurtheilung. Man könnte sagen, Franz habe dem Vertrauen, welches Karl bei der Freigebung auf ihn setzte, nicht entsprochen. Allein hätte Karl wirklich ihm Vertrauen geschenkt, so würde er ihm den Preis genannt haben, dessen er die Freilassung werth achte, dann aber hätte er ihn in Freiheit gesetzt und erwartet, daß Franz die Loskaufungssumme bezahle. Karl hegte kein solches Zutrauen, sondern glaubte nur an die Ohnmacht und Leichtgläubigkeit Franzens, die ihm nicht erlauben werde, gegen seinen Eid zu handeln; Franz aber täuschte nur diese – leichtgläubige Berechnung. Als Karl sich durch einen Eid seines Feindes zu versichern glaubte, da gerade befreite er diesen von jeder Verbindlichkeit. Karl hatte dem Könige eine Dummheit, ein enges Gewissen zugetraut, und rechnete, ohne Vertrauen zu Franz, nur auf Franzens Dummheit, d. h. Gewissenhaftigkeit: er entließ ihn nur aus dem Madrider Gefängniß, um ihn desto sicherer in dem Gefängnisse der Gewissenhaftigkeit, dem großen durch die Religion um den Menschengeist gezogenen Kerker, festzuhalten: er schickte ihn, festgeschlossen in unsichtbaren Ketten, nach Frankreich zurück, was Wunder, wenn Franz zu entkommen suchte und die Ketten zersägte. Kein Mensch hätte es ihm verübelt, wenn er aus Madrid heimlich entflohen wäre, denn er war in Feindes Gewalt; jeder gute Christ aber ruft Wehe über ihn, daß er auch aus Gottes Banden sich losmachen wollte. (Der Papst entband ihn erst später seines Eides.) [402] Es ist verächtlich, ein Vertrauen, das Wir freiwillig hervorrufen, zu täuschen; aber Jeden, der Uns durch einen Eid in seine Gewalt bekommen will, an der Erfolglosigkeit seiner zutrauenslosen List verbluten zu lassen, macht dem Egoismus keine Schande. Hast Du Mich binden wollen, so erfahre denn, daß Ich deine Bande zu sprengen weiß.

Es kommt darauf an, ob Ich dem Vertrauenden das Recht zum Vertrauen gebe. Wenn der Verfolger meines Freundes Mich fragt, wohin dieser sich geflüchtet habe, so werde Ich ihn sicherlich auf eine falsche Fährte bringen. Warum fragt er gerade Mich, den Freund des Verfolgten? Um nicht ein falscher, verrätherischer Freund zu sein, ziehe Ich's vor, gegen den Feind falsch zu sein. Ich könnte freilich aus muthiger Gewissenhaftigkeit antworten: Ich wolle es nicht sagen (So entscheidet Fichte den Fall); dadurch salvirte Ich meine Wahrheitsliebe und thäte für den Freund so viel als – nichts, denn leite Ich den Feind nicht irre, so kann er zufällig die rechte Straße einschlagen, und meine Wahrheitsliebe hätte den Freund preisgegeben, weil sie Mich hinderte an dem – Muthe zur Lüge. Wer an der Wahrheit ein Idol, ein Heiliges hat, der muß sich vor ihr demüthigen, darf ihren Anforderungen nicht trotzen, nicht muthig widerstehen, kurz er muß dem Heldenmuth der Lüge entsagen. Denn zur Lüge gehört nicht weniger Muth als zur Wahrheit, ein Muth, an welchem es am meisten Jünglingen zu gebrechen pflegt, die lieber die Wahrheit gestehen und das Schaffot dafür besteigen, als durch die Frechheit einer Lüge die Macht der Feinde zu Schanden machen mögen. Jenen ist die Wahrheit „heilig“, und das Heilige fordert allezeit blinde Verehrung, Unterwerfung und Aufopferung. Seid Ihr nicht frech, nicht Spötter des [403] Heiligen, so seid Ihr zahm und seine Diener. Man streue Euch nur ein Körnchen Wahrheit in die Falle, so pickt Ihr sicherlich darnach, und man hat den Narren gefangen. Ihr wollt nicht lügen? Nun so fallt als Opfer der Wahrheit und werdet – Märtyrer! Märtyrer – wofür? Für Euch, für die Eigenheit? Nein, für eure Göttin, – die Wahrheit. Ihr kennt nur zweierlei Dienst, nur zweierlei Diener: Diener der Wahrheit und Diener der Lüge. Dient denn in Gottes Namen der Wahrheit!

Andere wieder dienen auch der Wahrheit, aber sie dienen ihr „mit Maaß“ und machen z. B. einen großen Unterschied zwischen einer einfachen und einer beschworenen Lüge. Und doch fällt das ganze Kapitel vom Eide mit dem von der Lüge zusammen, da ein Eid ja nur eine stark versicherte Aussage ist. Ihr haltet Euch für berechtigt zu lügen, wenn Ihr nur dazu nicht noch schwört? Wer's genau nimmt, der muß eine Lüge so hart beurtheilen und verdammen als einen falschen Schwur. Nun hat sich aber ein uralter Streitpunkt in der Moral erhalten, der unter dem Namen der „Nothlüge“ abgehandelt zu werden pflegt. Niemand, der dieser das Wort zu reden wagt, kann consequenter Weise einen „Notheid“ von der Hand weisen. Rechtfertige Ich meine Lüge als eine Nothlüge, so sollte Ich nicht so kleinmüthig sein, die gerechtfertigte Lüge der stärksten Bekräftigung zu berauben. Was Ich auch thue, warum sollte Ich's nicht ganz und ohne Vorbehalt (reservatio mentalis) thun? Lüge Ich einmal, warum dann nicht vollständig, mit ganzem Bewußtsein und aller Kraft lügen? Als Spion müßte Ich dem Feinde jede meiner falschen Aussagen auf Verlangen beschwören; entschlossen, ihn zu belügen, sollte Ich plötzlich feige und unentschlossen werden gegenüber dem [404] Eide? Dann wäre Ich von vorn herein zum Lügner und Spion verdorben gewesen; denn Ich gäbe ja dem Feinde freiwillig ein Mittel in die Hände, Mich zu fangen. – Auch fürchtet der Staat den Notheid und läßt deshalb den Angeklagten nicht zum Schwure kommen. Ihr aber rechtfertigt die Furcht des Staates nicht; Ihr lügt, aber schwört nicht falsch. Erweiset Ihr z. B. Einem eine Wohlthat, ohne daß er's wissen soll, er aber vermuthet's und sagt's Euch auf den Kopf zu, so leugnet Ihr; beharrt er, so sagt Ihr: „wahrhaftig nicht!“ Ging's ans Schwören, da würdet Ihr Euch weigern, denn Ihr bleibt aus Furcht vor dem Heiligen stets auf halbem Wege stehen. Gegen das Heilige habt Ihr keinen eigenen Willen. Ihr lügt mit – Maaß, wie Ihr frei seid „mit Maaß“, religiös „mit Maaß“ (die Geistlichkeit soll nicht „übergreifen“, wie jetzt hierfür der fadeste Streit von Seiten der Universität gegen die Kirche geführt wird), monarchisch gesinnt „mit Maaß“ (Ihr wollt einen durch die Verfassung, ein Staatsgrundgesetz, beschränkten Monarchen), Alles hübsch temperirt, lau und flau, halb Gottes, halb des Teufels.

Es herrschte auf einer Universität der Comment, daß von den Studenten jedes Ehrenwort, welches dem Universitäts- Richter gegeben werden mußte, für null und nichtig angesehen wurde. Die Studenten sahen nämlich in der Abforderung desselben nichts als einen Fallstrick, dem sie nicht anders entgehen könnten, als durch Entziehung aller Bedeutsamkeit desselben. Wer ebendaselbst einem Commilitonen sein Ehrenwort brach, war infam; wer es dem Universitäts-Richter gab, lachte im Verein mit eben diesen Commilitonen den Getäuschten aus, der sich einbildete, daß ein Wort unter Freunden und unter [405] Feinden denselben Werth habe. Weniger eine richtige Theorie als die Noth der Praxis hatte dort die Studirenden so zu handeln gelehrt, da sie ohne jenes Auskunftsmittel erbarmungslos zum Verrath an ihren Genossen getrieben worden wären. Wie aber das Mittel praktisch sich bewährte, so hat es auch seine theoretische Bewährung. Ein Ehrenwort, ein Eid ist nur für den eines, den Ich berechtige, es zu empfangen; wer Mich dazu zwingt, erhält nur ein erzwungenes, d. h. ein feindliches Wort, das Wort eines Feindes, dem man zu trauen kein Recht hat; denn der Feind giebt Uns das Recht nicht.

Uebrigens erkennen die Gerichte des Staats nicht einmal die Unverbrüchlichkeit eines Eides an. Denn hätte Ich Einem, der in Untersuchung kommt, geschworen, nichts wider ihn auszusagen, so würde das Gericht trotz dem, daß ein Eid Mich bindet, meine Aussagen fordern und im Weigerungsfalle Mich so lange einsperren, bis Ich Mich entschlösse, – eidbrüchig zu werden. Das Gericht „entbindet Mich meines Eides“; – wie großmüthig! Kann Mich irgend eine Macht des Eides entbinden, so bin Ich selber doch wohl die allererste Macht, die darauf Anspruch hat.

Als Curiosität und um an allerlei übliche Eide zu erinnern, möge hier derjenige eine Stelle finden, welchen Kaiser Paul den gefangenen Polen (Kosciuszko, Potocki, Niemcewicz u. s. w.), als er sie freiließ, zu leisten befahl: „Wir schwören nicht bloß dem Kaiser Treue und Gehorsam, sondern versprechen auch noch, unser Blut für seinen Ruhm zu vergießen; Wir verpflichten Uns, alles zu entdecken, was Wir jemals für seine Person oder sein Reich Gefahrdrohendes erfahren; wir erklären endlich, daß, in welchem Theile des Erdkreises [406] wir uns auch befinden, ein einziges Wort des Kaisers genügen solle, Alles zu verlassen und uns sogleich zu ihm zu begeben.“

 

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In Einem Gebiete scheint das Princip der Liebe längst vom Egoismus überflügelt worden zu sein und nur noch des sichern Bewußtseins, gleichsam des Sieges mit gutem Gewissen, zu bedürfen. Dieß Gebiet ist die Speculation in ihrer doppelten Erscheinung als Denken und als Handel. Man denkt frisch darauf los, was auch herauskommen möge, und man speculirt, wie Viele auch unter unseren speculativen Unternehmungen leiden mögen. Aber wenn es endlich zum Klappen kommt, wenn auch der letzte Rest von Religiosität, Romantik oder „Menschlichkeit“ abgethan werten soll, dann schlägt das religiöse Gewissen und man bekennt sich wenigstens zur Menschlichkeit. Der habgierige Speculant wirft einige Groschen in die Armenbüchse und „thut Gutes“, der kühne Denker tröstet sich damit, daß er zur Förderung des Menschengeschlechts arbeite und daß seine Verwüstung der Menschheit „zu Gute komme“, oder auch, daß er „der Idee diene“; die Menschheit, die Idee ist ihm jenes Etwas, von dem er sagen muß: es geht Mir über Mich.

Es ist bis auf den heutigen Tag gedacht und gehandelt worden um – Gottes willen. Die da sechs Tage durch ihre eigennützigen Zwecke alles niedertraten, opferten am siebenten dem Herrn, und die hundert „gute Sachen“ durch ihr rücksichtsloses Denken zerstörten, thaten dieß doch im Dienste einer andern „guten Sache“ und mußten – außer an sich – noch an einen Andern denken, welchem ihre Selbstbefriedigung zu [407] Gute käme, an das Volk, die Menschheit u. drgl. Dieses Andere aber ist ein Wesen über ihnen, ein höheres oder höchstes Wesen, und darum sage Ich, sie mühen sich um Gottes willen.

Ich kann daher auch sagen, der letzte Grund ihrer Handlungen sei die – Liebe. Aber nicht eine freiwillige, nicht ihre eigene, sondern eine zinspfiichtige, oder des höhern Wesens (d. h. Gottes, der die Liebe selbst ist) eigene Liebe, kurz nicht die egoistische, sondern die religiöse, eine Liebe, die aus ihrem Wahne entspringt, daß sie einen Tribut der Liebe entrichten müssen, d. h. daß sie keine „Egoisten“ sein dürfen.

Wollen Wir die Welt aus mancherlei Unfreiheit erlösen, so wollen Wir das nicht ihret- sondern Unsertwegen: denn da Wir keine Welterlöser von Profession und aus „Liebe“ sind, so wollen Wir sie nur Andern abgewinnen. Wir wollen sie Uns zu eigen machen; nicht Gott (der Kirche), nicht dem Gesetze (Staate) soll sie länger leibeigen sein, sondern unser eigen; darum suchen Wir sie zu „gewinnen“, für Uns „einzunehmen,“ und die Gewalt, welche sie gegen Uns wendet, dadurch zu vollenden und überflüssig zu machen, daß Wir ihr entgegen kommen, und Uns ihr, sobald sie Uns gehört, gleich Uns „ergeben“. Ist die Welt unser, so versucht sie keine Gewalt mehr gegen Uns, sondern nur mit Uns. Mein Eigennutz hat ein Interesse an der Befreiung der Welt, damit sie – mein Eigenthum werde.

Nicht die Isolirtheit oder das Alleinsein ist der ursprüngliche Zustand des Menschen, sondern die Gesellschaft. Mit der innigsten Verbindung beginnt unsere Existenz, da Wir schon, ehe Wir athmen, mit der Mutter zusammenleben; haben Wir dann das Licht der Welt erblickt, so liegen Wir gleich wieder [408] an der Brust eines Menschen, seine Liebe wiegt Uns im Schooße, leitet Uns am Gängelbande und kettet Uns mit tausend Banden an seine Person. Die Gesellschaft ist unser Natur-Zustand. Darum wird auch, je mehr Wir Uns fühlen lernen, der früher innigste Verband immer lockerer, und die Auflösung der ursprünglichen Gesellschaft unverkennbarer. Die Mutter muß das Kind, welches einst unter ihrem Herzen lag, von der Straße und aus der Mitte seiner Spielgenossen holen, um es wieder einmal für sich zu haben. Es zieht das Kind den Verkehr, den es mit Seinesgleichen eingeht, der Gesellschaft vor, in welche es nicht eingegangen, in der es vielmehr nur geboren ist.

Die Auflösung der Gesellschaft aber ist der Verkehr oder Verein. Allerdings entsteht auch durch Verein eine Gesellschaft, aber nur wie durch einen Gedanken eine fixe Idee entsteht, dadurch nämlich, daß aus dem Gedanken die Energie des Gedankens, das Denken selbst, diese rastlose Zurücknahme aller sich verfestigenden Gedanken, verschwindet. Hat sich ein Verein zur Gesellschaft crystallisirt, so hat er aufgehört, eine Vereinigung zu sein; denn Vereinigung ist ein unaufhörliches Sich-Vereinigen; er ist zu einem Vereinigtsein geworden, zum Stillstand gekommen, zur Fixheit ausgeartet, er ist – todt als Verein, ist der Leichnam des Vereins oder der Vereinigung, d. h. er ist – Gesellschaft, Gemeinschaft. Ein sprechendes Exempel dieser Art liefert die Partei.

Daß eine Gesellschaft, z. B. die Staatsgesellschaft, Mir die Freiheit schmälere, das empört Mich wenig. Muß Ich Mir doch von allerlei Mächten und von jedem Stärkeren, ja von jedem Nebenmenschen die Freiheit beschränken lassen, und wäre Ich der Selbstherrscher aller R . . . . . ., Ich genösse doch [409] der absoluten Freiheit nicht. Aber die Eigenheit, die will Ich Mir nicht entziehen lassen. Und gerade auf die Eigenheit sieht es jede Gesellschaft ab, gerade sie soll ihrer Macht unterliegen.

Zwar nimmt eine Gesellschaft, zu der Ich Mich halte, Mir manche Freiheit, dafür gewährt sie Mir aber andere Freiheiten; auch hat es nichts zu sagen, wenn Ich selbst Mich um diese und jene Freiheit bringe (z. B. durch jeden Contract). Dagegen will Ich eifersüchtig auf meine Eigenheit halten. Jede Gemeinschaft hat, je nach ihrer Machtfülle, den stärkeren oder schwächeren Zug, ihren Gliedern eine Autorität zu werden und Schranken zu setzen: sie verlangt und muß verlangen einen „beschränkten Unterthanen-Verstand“, sie verlangt, daß ihre Angehörigen ihr unterthan, ihre „Unterthanen“ seien, sie besteht nur durch Unterthänigkeit. Dabei braucht keineswegs eine gewisse Toleranz ausgeschlossen zu sein, im Gegentheil wird die Gesellschaft Verbesserungen, Zurechtweisungen und Tadel, so weit solche auf ihren Gewinn berechnet sind, willkommen heißen; aber der Tadel muß „wohlmeinend“, er darf nicht „frech und unehrerbietig“ sein, mit andern Worten, man muß die Substanz der Gesellschaft unverletzt lassen und heilig halten. Die Gesellschaft fordert, daß ihre Angehörigen nicht über sie hinausgehen und sich erheben, sondern „in den Grenzen der Gesetzlichkeit“ bleiben, d. h. nur so viel sich erlauben, als ihnen die Gesellschaft und deren Gesetz erlaubt.

Es ist ein Unterschied, ob durch eine Gesellschaft meine Freiheit oder meine Eigenheit beschränkt wird. Ist nur jenes der Fall, so ist sie eine Vereinigung, ein Uebereinkommen, ein Verein; droht aber der Eigenheit Untergang, so ist sie eine Macht für sich, eine Macht über Mir, ein von Mir Unerreichbares, [410] das Ich zwar anstaunen, anbeten, verehren, respectiren, aber nicht bewältigen und verzehren kann, und zwar deshalb nicht kann, weil Ich resignire. Sie besteht durch meine Resignation, meine Selbstverleugnung, meine Muthlosigkeit, genannt – Demuth. Meine Demuth macht ihr Muth, meine Unterwürfigkeit giebt ihr die Herrschaft.

In Bezug aber auf die Freiheit unterliegen Staat und Verein keiner wesentlichen Verschiedenheit. Der Letztere kann eben so wenig entstehen oder bestehen, ohne daß die Freiheit auf allerlei Art beschränkt werde, als der Staat mit ungemessener Freiheit sich verträgt. Beschränkung der Freiheit ist überall unabwendbar, denn man kann nicht alles los werden; man kann nicht gleich einem Vogel fliegen, bloß weil man so fliegen möchte, denn man wird von der eigenen Schwere nicht frei; man kann nicht eine beliebige Zeit unter dem Wasser leben, wie ein Fisch, weil man der Luft nicht entrathen und von diesem nothwendigen Bedürfniß nicht frei werden kann u. dgl. Wie die Religion und am entschiedensten das Christenthum den Menschen mit der Forderung quälte, das Unnatürliche und Widersinnige zu realisiren, so ist es nur als die ächte Consequenz jener religiösen Ueberspanntheit und Ueberschwenglichkeit anzusehen, daß endlich die Freiheit selbst, die absolute Freiheit zum Ideale erhoben wurde, und so der Unsinn des Unmöglichen grell zu Tage kommen mußte. – Allerdings wird der Verein sowohl ein größeres Maaß von Freiheit darbieten, als auch namentlich darum für „eine neue Freiheit“ gehalten werden dürfen, weil man durch ihn allem dem Staats- und Gesellschaftsleben eigenen Zwange entgeht; aber der Unfreiheit und Unfreiwilligkeit wird er gleichwohl noch genug enthalten. Denn sein Zweck ist eben nicht – die [411] Freiheit, die er im Gegentheil der Eigenheit opfert, aber auch nur der Eigenheit. Auf diese bezogen ist der Unterschied zwischen Staat und Verein groß genug. Jener ist ein Feind und Mörder der Eigenheit, dieser ein Sohn und Mitarbeiter derselben, jener ein Geist, der im Geist und in der Wahrheit angebetet sein will, dieser mein Werk, mein Erzeugniß; der Staat ist der Herr meines Geistes, der Glauben fordert und Mir Glaubensartikel vorschreibt, die Glaubensartikel der Gesetzlichkeit; er übt moralischen Einfluß, beherrscht meinen Geist, vertreibt mein Ich, um sich als „mein wahres Ich“ an dessen Stelle zu setzen, kurz der Staat ist heilig und gegen Mich, den einzelnen Menschen, ist er der wahre Mensch, der Geist, das Gespenst; der Verein aber ist meine eigene Schöpfung, mein Geschöpf, nicht heilig, nicht eine geistige Macht über meinen Geist, so wenig als irgend eine Association, welcher Art sie auch sei. Wie Ich nicht ein Sklave meiner Maximen sein mag, sondern sie ohne alle Garantie meiner steten Kritik blosstelle und gar keine Bürgschaft für ihren Bestand zulasse, so und noch weniger verpflichte Ich Mich für meine Zukunft dem Vereine und verschwöre ihm meine Seele, wie es beim Teufel heißt und beim Staate und aller geistigen Autorität wirklich der Fall ist, sondern Ich bin und bleibe Mir mehr als Staat, Kirche, Gott u. dgl., folglich auch unendlich mehr als der Verein.

Jene Gesellschaft, welche der Communismus gründen will, scheint der Vereinigung am nächsten zu stehen. Sie soll nämlich das „Wohl Aller“ bezwecken, aber Aller, ruft Weitling unzählige Male aus, Aller! Das sieht doch wirklich so aus, als brauchte dabei Keiner zurückzustehen. Welches wird denn aber dieses Wohl sein? Haben Alle ein und dasselbe Wohl, [412] ist Allen bei Ein und Demselben gleich wohl? Ist dem so, so handelt sich's vom „wahren Wohl“. Kommen Wir damit nicht gerade an dem Punkte an, wo die Religion ihre Gewaltherrschaft beginnt? Das Christenthum sagt: Seht nicht aus irdischen Tand, sondern sucht euer wahres Wohl, werdet – fromme Christen: das Christsein ist das wahre Wohl. Es ist das wahre Wohl „Aller“, weil es das Wohl des Menschen als solchen (dieses Spuks) ist. Nun soll das Wohl Aller doch auch mein und dein Wohl sein? Wenn Ich und Du aber jenes Wohl nicht für unser Wohl ansehen, wird dann für das, wobei Wir Uns Wohlbefinden, gesorgt werden? Im Gegentheil, die Gesellschaft hat ein Wohl als das „wahre Wohl“ dekretirt, und hieße dieß Wohl z. B. redlich erarbeiteter Genuß, Du aber zögest die genußreiche Faulheit, den Genuß ohne Arbeit vor, so würde die Gesellschaft, die für das „Wohl Aller“ sorgt, für das, wobei Dir wohl ist, zu sorgen sich weislich hüten. Indem der Communismus das Wohl Aller proclamirt, vernichtet er gerade das Wohlsein derer, welche seither von ihren Renten lebten und sich dabei wahrscheinlich wohler befanden, als bei der Aussicht auf die strengen Arbeitsstunden Weitlings. Dieser behauptet daher, bei dem Wohle von Tausenden könne das Wohl von Millionen nicht bestehen, und jene müßten ihr besonderes Wohl aufgeben „um des allgemeinen Wohles willen.“ Nein, man fordere die Leute nicht auf, für das allgemeine Wohl ihr besonderes zu opfern, denn man kommt mit diesem christlichen Anspruch nicht durch; die entgegengesetzte Mahnung, ihr eigenes Wohl sich durch Niemand entreißen zu lassen, sondern es dauernd zu gründen, werden sie besser verstehen. Sie werden dann von selbst darauf geführt, daß sie am besten für ihr Wohl [413] sorgen, wenn sie sich mit Andern zu diesem Zwecke verbinden, d. h. „einen Theil ihrer Freiheit opfern“, aber nicht dem Wohle Aller, sondern ihrem eigenen. Eine Appellation an die aufopfernde Gesinnung und die selbstverleugnende Liebe der Menschen sollte endlich ihren verführerischen Schein verloren haben, nachdem sie hinter einer Wirksamkeit von Jahrtausenden nichts zurückgelassen als die heutige – Misere. Warum denn immer noch fruchtlos erwarten, daß die Aufopferung Uns bessere Zeiten bringen soll; warum nicht lieber von der Usurpation sie hoffen? Nicht mehr von den Gebenden, Schenkenden, Liebevollen kommt das Heil, sondern von den Nehmenden, den Aneignenden (Usurpatoren), den Eignern. Der Communismus und, bewußt oder unbewußt, der den Egoismus lästernde Humanismus zählt immer noch auf die Liebe.

Ist einmal die Gemeinschaft dem Menschen Bedürfniß und findet er sich durch sie in seinen Absichten gefördert, so schreibt sie ihm auch, weil sein Princip geworden, sehr bald ihre Gesetze vor, die Gesetze der – Gesellschaft. Das Princip der Menschen erhebt sich zur souverainen Macht über sie, wird ihr höchstes Wesen, ihr Gott, und als solcher – Gesetzgeber. Der Communismus giebt diesem Princip die strengste Folge, und das Christenthum ist die Religion der Gesellschaft, denn Liebe ist, wie Feuerbach richtig sagt, obgleich er's nicht richtig meint, das Wesen des Menschen, d. h. das Wesen der Gesellschaft oder des gesellschaftlichen (communistischen) Menschen. Alle Religion ist ein Cultus der Gesellschaft, dieses Principes, von welchem der gesellschaftliche (cultivirte) Mensch beherrscht wird; auch ist kein Gott der ausschließliche Gott eines Ich's, sondern immer der einer Gesellschaft oder Gemeinschaft, [414] sei es der Gesellschaft „Familie“ (Lar, Penaten) oder eines „Volkes“ („Nationalgott“) oder „aller Menschen“ („er ist ein Vater aller Menschen“).

Somit hat man allein dann Aussicht, die Religion bis auf den Grund zu tilgen, wenn man die Gesellschaft und alles, was aus diesem Principe fließt, antiquirt. Gerade aber im Communismus sucht dieß Princip zu culminiren, da in ihm Alles gemeinschaftlich werden soll, zur Herstellung der – „Gleichheit“. Ist diese „Gleichheit“ gewonnen, so fehlt auch die „Freiheit“ nicht. Aber wessen Freiheit? die der Gesellschaft! Die Gesellschaft ist dann Alles in Allem, und die Menschen sind nur „für einander“. Es wäre die Glorie des – Liebes-Staates.

Ich will aber lieber auf den Eigennutz der Menschen angewiesen sein, als auf ihre „Liebesdienste“, ihre Barmherzigkeit, Erbarmen u. s. w. Jener fordert Gegenseitigkeit (wie Du Mir, so Ich Dir), thut nichts „umsonst“, und läßt sich gewinnen und – erkaufen. Womit aber erwerbe Ich Mir den Liebesdienst? Es kommt auf den Zufall an, ob Ich's gerade mit einem „Liebevollen“ zu thun habe. Der Dienst des Liebreichen läßt sich nur – erbetteln, sei es durch meine ganze beklagenswerthe Erscheinung, durch meine Hülfsbedürftigkeit, mein Elend, mein – Leiden. Was kann Ich ihm für seine Hülfleistung bieten? Nichts! Ich muß sie als – Geschenk annehmen. Liebe ist unbezahlbar, oder vielmehr: Liebe kann allerdings bezahlt werden, aber nur durch Gegenliebe („Eine Gefälligkeit ist der andern werth“). Welche Armseligkeit und Bettelhaftigkeit gehört nicht dazu, Jahr aus Jahr ein Gaben anzunehmen, ohne Gegendienst, wie sie z. B. vom armen Tagelöhner regelmäßig eingetrieben werden. Was [415] kann der Empfänger für jenen und seine geschenkten Pfennige, in denen sein Reichthum besteht, thun? Der Tagelöhner hätte wahrlich mehr Genuß, wenn der Empfänger mit seinen Gesetzen, seinen Institutionen u. s. w., die jener doch alle bezahlen muß, gar nicht existirte. Und dabei liebt der arme Wicht seinen Herrn doch.

Nein, die Gemeinschaft, als das „Ziel“ der bisherigen Geschichte, ist unmöglich. Sagen Wir Uns vielmehr von jeder Heuchelei der Gemeinschaft los und erkennen Wir, daß, wenn Wir als Menschen gleich sind, Wir eben nicht gleich sind, weil Wir nicht Menschen sind. Wir sind nur in Gedanken gleich, nur wenn „Wir“ gedacht werden, nicht wie Wir wirklich und leibhaftig sind. Ich bin Ich, und Du bist Ich, aber Ich bin nicht dieses gedachte Ich, sondern dieses Ich, worin Wir alle gleich sind, ist nur mein Gedanke. Ich bin Mensch und Du bist Mensch, aber „Mensch“ ist nur ein Gedanke, eine Allgemeinheit; weder Ich noch Du sind sagbar, Wir sind unaussprechlich, weil nur Gedanken sagbar sind und im Sagen bestehen.

Trachten Wir darum nicht nach der Gemeinschaft, sondern nach der Einseitigkeit. Suchen Wir nicht die umfassendste Gemeinde, die „menschliche Gesellschaft“, sondern suchen Wir in den Andern nur Mittel und Organe, die Wir als unser Eigenthum gebrauchen! Wie Wir im Baume, im Thiere nicht Unsersgleichen erblicken, so entspringt die Voraussetzung, daß die Andern Unsersgleichen seien, aus einer Heuchelei. Es ist Keiner Meinesgleichen, sondern gleich allen andern Wesen betrachte Ich ihn als mein Eigenthum. Dagegen sagt man Mir, Ich soll Mensch unter „Mitmenschen“ sein (Judenfrage S. 60); Ich soll in ihnen den Mitmenschen „respectiren“. [416] Es ist Keiner für Mich eine Respectsperson, auch der Mitmensch nicht, sondern lediglich wie andere Wesen ein Gegenstand, für den Ich Theilnahme habe oder auch nicht, ein interessanter oder uninteressanter Gegenstand, ein brauchbares oder unbrauchbares Subject.

Und wenn Ich ihn gebrauchen kann, so verständige Ich wohl und einige Mich mit ihm, um durch die Uebereinkunft meine Macht zu verstärken und durch gemeinsame Gewalt mehr zu leisten, als die einzelne bewirken könnte. In dieser Gemeinsamkeit sehe Ich durchaus nichts anderes, als eine Multiplication meiner Kraft, und nur so lange sie meine vervielfachte Kraft ist, behalte Ich sie bei. So aber ist sie ein – Verein.

Den Verein hält weder ein natürliches noch ein geistiges Band zusammen, und er ist kein natürlicher, kein geistiger Bund. Nicht Ein Blut, nicht Ein Glaube (d.h. Geist) bringt ihn zu Stande. In einem natürlichen Bunde, – wie einer Familie, einem Stamme, einer Nation, ja der Menschheit – haben die Einzelnen nur den Werth von Exemplaren derselben Art oder Gattung; in einem geistigen Bunde – wie einer Gemeinde, einer Kirche – bedeutet der Einzelne nur ein Glied desselbigen Geistes; was Du in beiden Fällen als Einziger bist, das muß – unterdrückt werden. Als Einzigen kannst Du Dich bloß im Vereine behaupten, weil der Verein nicht Dich besitzt, sondern Du ihn besitzest oder Dir zu Nutze machst.

Im Vereine, und nur im Vereine, wird das Eigenthum anerkannt, weil man das Seine von keinem Wesen mehr zu Lehen trägt. Die Communisten führen nur consequent weiter, was während der religiösen Entwicklung und namentlich im [417] Staate längst vorhanden war, nämlich die Eigenthumslosigkeit, d. h. das Feudalwesen.

Der Staat bemüht sich den Begehrlichen zu zähmen, mit andern Worten, er sucht dessen Begierde allein auf ihn zu richten und mit dem sie zu befriedigen, was er ihr bietet. Die Begierde um des Begehrlichen willen zu sättigen, kommt ihm nicht in den Sinn: im Gegentheil schilt er den die ungezügelte Begierde athmenden Menschen einen „egoistischen“, und der „egoistische Mensch“ ist sein Feind. Er ist dieß für ihn, weil die Befähigung, mit demselben zurecht zu kommen, dem Staate abgeht, der gerade den Egoisten nicht „begreifen“ kann. Da es dem Staate, wie nicht anders möglich, lediglich um sich zu thun ist, so sorgt er nicht für meine Bedürfnisse, sondern sorgt nur, wie er Mich umbringe, d. h. ein anderes Ich aus Mir mache, einen guten Bürger. Er trifft Anstalten zur „Sittenverbesserung“. – Und womit gewinnt er die Einzelnen für sich? Mit Sich, d. h. mit dem, was des Staates ist, mit Staatseigenthum. Er wird unablässig thätig sein, Alle seiner „Güter“ theilhaftig zu machen, Alle mit den „Gütern der Kultur“ zu bedenken: er schenkt ihnen seine Erziehung, öffnet ihnen den Zugang zu seinen Kulturanstalten, befähigt sie auf den Wegen der Industrie zu Eigenthum, d. h. zu Lehen zu kommen u. s. w. Für all dieß Lehen fordert er nur den richtigen Zins eines steten Dankes. Aber die „Undankbaren“ vergessen diesen Dank abzutragen – Wesentlich anders nun, als der Staat, kann es die „Gesellschaft“ auch nicht machen.

In den Verein bringst Du deine ganze Macht, dein Vermögen, und machst Dich geltend, in der Gesellschaft wirst Du mit deiner Arbeitskraft verwendet; in jenem lebst [418] Du egoistisch, in dieser menschlich, d. h. religiös, als ein „Glied am Leibe dieses Herrn“: der Gesellschaft schuldest Du, was Du hast, und bist ihr verpflichtet, bist von „socialen Pflichten“ – besessen, den Verein benutzest Du und giebst ihn, pflicht- und treulos, auf, wenn Du keinen Nutzen weiter aus ihm zu ziehen weißt. Ist die Gesellschaft mehr als Du, so geht sie Dir über Dich; der Verein ist nur dein Werkzeug oder das Schwert, wodurch Du deine natürliche Kraft verschärfst und vergrößerst; der Verein ist für Dich und durch Dich da, die Gesellschaft nimmt umgekehrt Dich für sich in Anspruch und ist auch ohne Dich; kurz die Gesellschaft ist heilig, der Verein dein eigen: die Gesellschaft verbraucht Dich, den Verein verbrauchst Du.

Man wird gleichwohl mit dem Einwande nicht zurückhalten, daß Uns die geschlossene Uebereinkunft wieder lästig werden und unsere Freiheit beschränken könne; man wird sagen, Wir kämen auch endlich darauf hinaus, daß „Jeder um des Allgemeinen willen einen Theil seiner Freiheit opfern müsse“. Allein um des „Allgemeinen“ willen fiele das Opfer ganz und gar nicht, so wenig als Ich die Uebereinkunft um des „Allgemeinen“ oder auch nur um irgend eines andem Menschen willen schloß; vielmehr ging Ich auf sie nur um meines eigenen Nutzens willen, aus Eigennutz, ein. Was aber das Opfern betrifft, so „opfere“ Ich doch wohl nur dasjenige, was nicht in meiner Gewalt steht, d. h. „opfere“ gar nichts.

Auf das Eigenthum zurückzukommen, so ist Eigenthümer der Herr. Wähle denn, ob Du der Herr sein willst, oder die Gesellschaft Herrin sein soll! Davon hängt es ab, ob Du ein Eigner oder ein Lump sein wirst: Der Egoist ist Eigner, der Sociale ein Lump. Lumperei aber oder Eigenthumslosigkeit [419] ist der Sinn bei Feudalität, des Lehnswesens, das seit dem vorigen Jahrhundert nur den Lehnsherrn vertauscht hat, indem es „den Menschen“ an die Stelle Gottes setzte und vom Menschen zu Lehen annahm, was vorher ein Lehen von Gottes Gnaden gewesen war. Daß die Lumperei des Communismus durch das humane Princip zur absoluten oder lumpigsten Lumperei hinausgeführt wird, ist oben gezeigt worden, zugleich aber auch, wie nur so die Lumperei zur Eigenheit umschlagen kann. Das alte Feudalwesen wurde in der Revolution so gründlich eingestampft, daß seitdem alle reactionaire List fruchtlos blieb und immer fruchtlos bleiben wird, weil das Todte – todt ist; aber auch die Auferstehung mußte in der christlichen Geschichte sich als eine Wahrheit bewähren und hat sich bewährt: denn in einem Jenseits ist mit verklärtem Leibe die Feudalität wiedererstanden, die neue Feudalität unter der Oberlehnsherrlichkeit „des Menschen“.

Das Christenthum ist nicht vernichtet, sondern die Gläubigen haben Recht, wenn sie bisher von jedem Kampfe dagegen vertrauungsvoll annahmen, daß er nur zur Läuterung und Befestigung desselben dienen könne; denn es ist wirklich nur verklärt worden, und „das Christenthum“ist Christenthum“ ist das – menschliche. Wir leben noch ganz im christlichen Zeitalter, und die sich daran am meisten ärgern, tragen gerade am eifrigsten dazu bei, es zu „vollenden“. Je menschlicher, desto lieber ist Uns die Feudalität geworden; denn desto weniger glauben Wir, daß sie noch Feudalität sei, desto getroster nehmen Wir sie für Eigenheit und meinen unser „Eigenstes“ gefunden zu haben, wenn Wir „das Menschliche“ entdecken.

Der Liberalismus will Mir das Meinige geben, aber nicht unter dem Titel des Meinigen, sondern unter dem des „Menschlichen“ [420] gedenkt er Mir's zu verschaffen. Als wenn es unter dieser Maske zu erreichen wäre! Die Menschenrechte, das theure Werk der Revolution, haben den Sinn, daß der Mensch in Mir Mich zu dem und jenem berechtige: Ich als Einzelner, d. h. als dieser, bin nicht berechtigt, sondern der Mensch hat das Recht und berechtigt Mich. Als Mensch kann Ich daher wohl berechtigt sein, da Ich aber, mehr als Mensch, nämlich ein absonderlicher Mensch bin, so kann es gerade Mir, dem Absonderlichen, verweigert werden. Haltet Ihr hingegen auf den Werth eurer Gaben, haltet sie im Preise, laßt Euch nicht zwingen, unter dem Preise loszuschlagen, laßt Euch nicht einreden, eure Waare sei nicht preiswürdig, macht Euch nicht zum Gespötte durch einen „Spottpreis“, sondern ahmt dem Tapfern nach, welcher sagt: Ich will mein Leben (Eigenthum) theuer verkaufen, die Feinde sollen es nicht wohlfeilen Kaufes haben: so habt Ihr das Umgekehrte vom Communismus als das Richtige erkannt, und es heißt dann nicht: Gebt euer Eigenthum auf! sondern: Verwerthet euer Eigenthum!

Ueber der Pforte unserer Zeit steht nicht jenes apollinische: „Erkenne Dich selbst“, sondern ein: Verwerthe Dich!

Proud'hon nennt das Eigenthum „den Raub“ (le vol). Es ist aber das fremde Eigenthum – und von diesem allein spricht er – nicht minder durch Entsagung, Abtretung und Demuth vorhanden, es ist ein Geschenk. Warum so sentimental als ein armer Beraubter das Mitleid anrufen, wenn man doch nur ein thörichter, feiger Geschenkgeber ist. Warum auch hier wieder die Schuld Andern zuschieben, als beraubten sie Uns, da Wir doch selbst die Schuld tragen, indem Wir die Andern unberaubt lassen. Die Armen sind daran schuld, daß es Reiche giebt. [421]

Ueberhaupt ereifert sich Niemand über sein Eigenthum, sondern über fremdes. Man greift in Wahrheit nicht das Eigenthum an, sondern die Entfremdung des Eigenthums. Man will mehr, nicht weniger, sein nennen können, man will alles sein nennen. Man kämpft also gegen die Fremdheit, oder, um ein dem Eigenthum ähnliches Wort zu bilden, gegen das Fremdenthum. Und wie hilft man sich dabei? Statt das Fremde in Eigenes zu verwandeln, spielt man den Unparteiischen und verlangt nur, daß alles Eigenthum einem Dritten (z. B. der menschlichen Gesellschaft) überlassen werde. Man reclamirt das Fremde nicht im eigenen Namen, sondern in dem eines Dritten. Nun ist der „egoistische“ Anstrich weggewischt und alles so rein und – menschlich!

Eigenthumslosigkeit oder Lumperei, das ist also das „Wesen des Christenthums“, wie es das Wesen aller Religiosität (d. h. Frömmigkeit, Sittlichkeit, Menschlichkeit) ist, und nur in der „absoluten Religion“ am klarsten sich verkündete und als frohe Botschaft zum entwickelungsfähigen Evangelium wurde. Die sprechendste Entwicklung haben Wir im gegenwärtigen Kampfe wider das Eigenthum vor Uns, einem Kampfe, der „den Menschen“ zum Siege führen und die Eigenthumslosigkeit vollständig machen soll: die siegende Humanität ist der Sieg des – Christenthums. Das so „entdeckte Christenthum“ aber ist die vollendete Feudalität, das allumfassende Lehnswesen, d. h. die – vollkommene Lumperei.

Also wohl noch einmal eine „Revolution“ gegen das Feudalwesen? –

Revolution und Empörung dürfen nicht für gleichbedeutend angesehen werden. Jene besteht in einer Umwälzung der Zustände, des bestehenden Zustandes oder status, des Staats [422] oder der Gesellschaft, ist mithin eine politische oder sociale That; diese hat zwar eine Umwandlung der Zustände zur unvermeidlichen Folge, geht aber nicht von ihr, sondern von der Unzufriedenheit der Menschen mit sich aus, ist nicht eine Schilderhebung, sondern eine Erhebung der Einzelnen, ein Emporkommen, ohne Rücksicht auf die Einrichtungen, welche daraus entsprießen. Die Revolution zielte auf neue Einrichtungen, die Empörung führt dahin, Uns nicht mehr einrichten zu lassen, sondern Uns selbst einzurichten, und setzt auf „Institutionen“ keine glänzende Hoffnung. Sie ist kein Kampf gegen das Bestehende, da, wenn sie gedeiht, das Bestehende von selbst zusammenstürzt, sie ist nur ein Herausarbeiten Meiner aus dem Bestehenden. Verlasse Ich das Bestehende, so ist es todt und geht in Fäulniß über. Da nun nicht der Umsturz eines Bestehenden mein Zweck ist, sondern meine Erhebung darüber, so ist meine Absicht und That keine politische oder sociale, sondern, als allein auf Mich und meine Eigenheit gerichtet, eine egoistiche.

Einrichtungen zu machen gebietet die Revolution, sich auf- oder emporzurichten heischt die Empörung. Welche Verfassung zu wählen sei, diese Frage beschäftigte die revolutionairen Köpfe, und von Verfassungskämpfen und Verfassungsfragen sprudelt die ganze politische Periode, wie auch die socialen Talente an gesellschaftlichen Einrichtungen (Phalansterien u. dergl.) ungemein erfinderisch waren. Verfassungslos zu werden, bestrebt sich der Empörer. 29) [423]

Indem Ich zu größerer Verdeutlichung auf einen Vergleich sinne, fällt Mir wider Erwarten die Stiftung des Christenthums ein. Man vermerkt es liberaler Seits den ersten Christen übel, daß sie gegen die bestehende heidnische Staatsordnung Gehorsam predigten, die heidnische Obrigkeit anzuerkennen befahlen und ein „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist“ getrost geboten. Wie viel Aufruhr entstand doch zu derselben Zeit gegen die römische Oberherrschaft, wie aufwieglerisch bewiesen sich die Juden und selbst die Römer gegen ihre eigene weltliche Regierung, kurz wie beliebt war die „politische Unzufriedenheit“! Davon wollten jene Christen nichts wissen; wollten den „liberalen Tendenzen“ nicht beitreten. Die Zeit war politisch so aufgeregt, daß man, wie's in den Evangelien heißt, den Stifter des Christenthums nicht erfolgreicher anklagen zu können meinte, als wenn man ihn „politischer Umtriebe“ bezüchtigte, und doch berichten dieselben Evangelien, daß gerade er sich am wenigsten an diesem politischen Treiben betheiligte. Warum aber war er kein Revolutionair, kein Demagoge, wie ihn die Juden gerne gesehen hätten, warum war er kein Liberaler? Weil er von einer Aenderung der Zustände kein Heil erwartete, und diese ganze Wirthschaft ihm gleichgültig war. Er war kein Revolutionair, wie z.B. Cäsar, sondern ein Empörer, kein Staatsumwälzer, sondern Einer, der sich emporrichtete. Darum galt es ihm auch allein um ein „Seid klug wie die Schlangen“, was denselben Sinn ausdrückt, als im speciellen Falle jenes „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist“; er führte ja keinen liberalen oder politischen Kampf gegen die bestehende Obrigkeit, sondern wollte, unbekümmert um und ungestört von dieser Obrigkeit, seinen eigenen Weg wandeln. Nicht minder gleichgültig [424] als die Regierung waren ihm deren Feinde, denn was er wollte, verstanden beide nicht, und er hatte sie nur mit Schlangenklugheit von sich abzuhalten. Wenn aber auch kein Volksaufwiegler, kein Demagog oder Revolutionair, so war er und jeder der alten Christen um so mehr ein Empörer, der über Alles sich emporhob, was der Regierung und ihren Widersachern erhaben dünkte, und von Allem sich entband, woran jene gebunden blieben, und der zugleich die Lebensquellen der ganzen heidnischen Welt abgrub, mit welchen der bestehende Staat ohnehin verwelken mußte: er war gerade darum, weil er das Umwerfen des Bestehenden von sich wies, der Todfeind und wirkliche Vernichter desselben; denn er mauerte es ein, indem er darüber getrost und rücksichtslos den Bau seines Tempels aufführte, ohne auf die Schmerzen des Eingemauerten zu achten.

Nun, wie der heidnischen Weltordnung geschah, wird's so der christlichen ergehen? Eine Revolution führt gewiß das Ende nicht herbei, wenn nicht vorher eine Empörung vollbracht ist!

Mein Verkehr mit der Welt, worauf geht er hinaus? Genießen will Ich sie, darum muß sie mein Eigenthum sein, und darum will Ich sie gewinnen. Ich will nicht die Freiheit, nicht die Gleichheit der Menschen; Ich will nur meine Macht über sie, will sie zu meinem Eigenthum, d.h. genießbar machen. Und gelingt Mir das nicht, nun, die Gewalt über Leben und Tod, die Kirche und Staat sich vorbehielten, Ich nenne auch sie die – meinige. Brandmarkt jene Officier-Wittwe, die auf der Flucht in Rußland, nachdem ihr das Bein weggeschossen, das Strumpfband von diesem abzieht, ihr Kind damit erdrosselt und dann neben der Leiche verblutet, – [425] brandmarkt das Andenken der – Kindesmörderin. Wer weiß, wie viel dieß Kind, wenn es am Leben blieb, „der Welt hätte nützen“ können! Die Mutter ermordete es, weil sie befriedigt und beruhigt sterben wollte. Dieser Fall sagt eurer Sentimentalität vielleicht noch zu, und Ihr wißt nichts Weiteres aus ihm herauszulesen. Es sei; Ich Meinerseits gebrauche ihn als Beispiel dafür, daß meine Befriedigung über mein Verhältniß zu den Menschen entscheidet, und daß Ich auch der Macht über Leben und Tod aus keiner Anwandlung von Demuth entsage.

Was überhaupt die „Socialpflichten“ anlangt, so giebt Mir nicht ein Anderer meine Stellung zu Andern, also weder Gott noch die Menschlichkeit schreibt Mir meine Beziehung zu den Menschen vor, sondern Ich gebe Mir diese Stellung. Sprechender ist dieß damit gesagt: Ich habe gegen Andere keine Pflicht, wie Ich auch nur so lange gegen Mich eine Pflicht habe (z. B. die der Selbsterhaltung, also nicht Selbstmord), als Ich Mich von Mir unterscheide (meine unsterbliche Seele von meinem Erdendasein u. s. w.).

Ich demüthige Mich vor keiner Macht mehr und erkenne, daß alle Mächte nur meine Macht sind, die Ich sogleich zu unterwerfen habe, wenn sie eine Macht gegen oder über Mich zu werden drohen; jede derselben darf nur eins meiner Mittel sein, Mich durchzusetzen, wie ein Jagdhund unsere Macht gegen das Wild ist, aber von Uns getödtet wird, wenn er Uns selbst anfiele. Alle Mächte, die Mich beherrschen, setze Ich dann dazu herab, Mir zu dienen. Die Götzen sind durch Mich: Ich brauche sie nur nicht von neuem zu schaffen, so sind sie nicht mehr; „höhere Mächte“ sind nur dadurch, daß Ich sie erhöhe und Mich niedriger stelle. [426]

Somit ist denn mein Verhältniß zur Welt dieses: Ich thue für sie nichts mehr „um Gottes willen“, Ich thue nichts „um des Menschen willen“, sondern, was Ich thue, das thue Ich „um Meinetwillen“. So allein befriedigt Mich die Welt, während für den religiösen Standpunkt, wohin Ich auch den sittlichen und humanen rechne, es bezeichnend ist, daß Alles darauf ein frommer Wunsch (pium desiderium), d. h. ein Jenseits, ein Unerreichtes bleibt. So die allgemeine Seligkeit der Menschen, die sittliche Welt einer allgemeinen Liebe, der ewige Friede, das Aufhören des Egoismus u. s. w. „Nichts in dieser Welt ist vollkommen“. Mit diesem leidigen Spruche scheiden die Guten von ihr und flüchten sich in ihr Kämmerlein zu Gott oder in ihr stolzes „Selbstbewußtsein“. Wir aber bleiben in dieser „unvollkommenen“ Welt, weil Wir sie auch so brauchen können zu unserem – Selbstgenuß.

Mein Verkehr mit der Welt besteht darin, daß Ich sie genieße und so sie zu meinem Selbstgenuß verbrauche. Der Verkehr ist Weltgenuß und gehört zu meinem – Selbstgenuß.

 

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3.  Mein Selbstgenuss.

 

Wir stehen an der Grenzscheide einer Periode. Die bisherige Welt sann auf nichts als auf Gewinn des Lebens, sorgte für's – Leben. Denn ob alle Thätigkeit für das diesseitige oder für das jenseitige, für das zeitliche oder für das ewige Leben in Spannung gesetzt wird, ob man nach dem „täglichen Brote“ lechzt („Gieb Uns unser täglich Brot“) oder nach dem „heiligen Brote“ („das rechte Brot vom Himmel;“ [427] das Brot Gottes, das vom Himmel kommt und der Welt das Leben giebt;“ „das Brot des Lebens.“ Joh. 6.), ob man ums „liebe Leben“ sorgt oder um das „Leben in Ewigkeit“: das ändert den Zweck der Spannung und Sorge nicht, der im einen wie im andern Falle sich als das Leben ausweist. Kündigen sich die modernen Tendenzen anders an? Man will, daß Niemand mehr um die nöthigsten Lebensbedürfnisse in Verlegenheit komme, sondern sich darin gesichert finde, und anderseits lehrt man, daß der Mensch sich ums Diesseits zu bekümmern und in die wirkliche Welt einzuleben habe, ohn eitle Sorge um ein Jenseits.

Fassen Wir dieselbe Sache von einer andern Seite auf. Wer nur besorgt ist, daß er lebe, vergißt über diese Aengstlichkeit leicht den Genuß des Lebens. Ist's ihm nur ums Leben zu thun und denkt er, wenn Ich nur das liebe Leben habe, so verwendet er nicht seine volle Kraft darauf, das Leben zu nutzen, d. h. zu genießen. Wie aber nutzt man das Leben? Indem man's verbraucht, gleich dem Lichte, das man nutzt, indem man's verbrennt. Man nutzt das Leben und mithin sich, den Lebendigen, indem man es und sich verzehrt. Lebensgenuß ist Verbrauch des Lebens.

Nun – den Genuß des Lebens suchen Wir auf! Und was that die religiöse Welt? Sie suchte das Leben auf. „Worin besteht das wahre Leben, das selige Leben u. s. w.? Wie ist es zu erreichen? Was muß der Mensch thun und werden, um ein wahrhaft Lebendiger zu sein? Wie erfüllt er diesen Beruf?“ Diese und ähnliche Fragen deuten darauf hin, daß die Fragenden erst sich suchten, sich nämlich im wahren Sinne, im Sinne der wahrhaftigen Lebendigkeit. „Was Ich bin, ist Schaum und Schatten; was Ich sein werde, ist mein [428] wahres Ich.“ Diesem Ich nachzujagen, es herzustellen, es zu realisiren, macht die schwere Aufgabe der Sterblichen aus, die nur sterben, um aufzuerstehen, nur leben, um zu sterben, nur leben, um das wahre Leben zu finden.

Erst dann, wenn Ich Meiner gewiß bin und Mich nicht mehr suche, bin Ich wahrhaft mein Eigenthum: Ich habe Mich, darum brauche und genieße Ich Mich. Dagegen kann Ich Meiner nimmermehr froh werden, so lange Ich denke, mein wahres Ich hätte Ich erst noch zu finden, und es müsse dahin kommen, daß nicht Ich, sondern Christus in Mir lebe oder irgend ein anderes geistiges, d. h. gespenstisches Ich, z. B. der wahre Mensch, das Wesen des Menschen u. dgl.

Ein ungeheurer Abstand trennt beide Anschauungen: in der alten gehe Ich auf Mich zu, in der neuen gehe Ich von Mir aus, in jener sehne Ich Mich nach Mir, in dieser habe Ich Mich und mache es mit Mir, wie man's mit jedem andern Eigenthum macht, – Ich genieße Mich nach meinem Wohlgefallen. Ich bange nicht mehr um's Leben, sondern „verthue“ es.

Von jetzt an lautet die Frage, nicht wie man das Leben erwerben, sondern wie man's verthun, genießen könne, oder nicht wie man das wahre Ich in sich herzustellen, sondern wie man sich aufzulösen, sich auszuleben habe.

Was wäre das Ideal wohl anders, als das gesuchte, stets ferne Ich? Sich sucht man, folglich hat man sich noch nicht, man trachtet nach dem, was man sein soll, folglich ist man's nicht. Man lebt in Sehnsucht und hat Jahrtausende in ihr, hat in Hoffnung gelebt. Ganz anders lebt es sich im – Genuß!

Trifft dieß etwa nur die sogenannten Frommen? Nein, es [429] trifft Alle, die der scheidenden Geschichtsperiode angehören, selbst ihre Lebemänner. Auch ihnen folgte auf die Werkeltage ein Sonntag und auf das Welttreiben der Traum von einer besseren Welt, von einem allgemeinen Menschenglück, kurz ein Ideal. Aber namentlich die Philosophen werden den Frommen gegenübergestellt. Nun, haben die an etwas anderes gedacht, als an das Ideal, auf etwas anderes gesonnen, als auf das absolute Ich? Sehnsucht und Hoffnung überall, und nichts als diese. Nennt es meinetwegen Romantik.

Soll der Lebensgenuß über die Lebenssehnsucht oder Lebenshoffnung triumphiren, so muß er sie in ihrer doppelten Bedeutung, die Schiller im „Ideal und das Leben“ vorführt, bezwingen, die geistliche und weltliche Armuth ecrasiren, das Ideal vertilgen und – die Noth ums tägliche Brot. Wer sein Leben aufwenden muß, um das Leben zu fristen, der kann es nicht genießen, und wer sein Leben erst sucht, der hat es nicht und kann es ebenso wenig genießen: beide sind arm, „selig aber sind die Armen.“

Die da hungem nach dem wahren Leben, haben keine Macht über ihr gegenwärtiges, sondern müssen es zu dem Zwecke verwenden, jenes wahre Leben damit zu gewinnen, und müssen es ganz diesem Trachten und dieser Ausgabe opfern. Wenn an jenen Religiösen, die auf ein jenseitiges Leben hoffen und das diesseitige bloß für eine Vorbereitung zu demselben ansehen, die Dienstbarkeit ihres irdischen Daseins, das sie lediglich in den Dienst des gehofften himmlischen geben, ziemlich scharf einleuchtet, so würde man doch. weit fehl greifen, wollte man die Aufgeklärtesten und Erleuchtetsten für minder aufopfernd halten. Läßt doch im „wahren Leben“ eine viel umfassendere Bedeutung sich finden, als das „himmlische“ auszudrücken [430] vermag. Ist etwa, um sogleich den liberalen Begriff desselben vorzuführen, das „menschliche“ und „wahrhaft menschliche“ nicht das wahre Leben? Und führt etwa Jeder schon von Haus aus dieß wahrhaft menschliche Leben, oder muß er mit saurer Mühe sich erst dazu erheben? Hat er es schon als sein gegenwärtiges, oder muß er's als sein zukünftiges Leben erringen, das ihm erst dann zu Theil wird, wenn er „von keinem Egoismus mehr befleckt ist“? Das Leben ist bei dieser Ansicht nur dazu da, um Leben zu gewinnen, und man lebt nur, um das Wesen des Menschen in sich lebendig zu machen, man lebt um dieses Wesens willen. Man hat sein Leben nur, um sich mittelst desselben das „wahre“, von allem Egoismus gereinigte Leben zu verschaffen. Daher fürchtet man sich, von seinem Leben einen beliebigen Gebrauch zu machen: es soll nur zum „rechten Gebrauche“ dienen.

Kurz man hat einen Lebensberuf, eine Lebensaufgabe, hat durch sein Leben Etwas zu verwirklichen und herzustellen, ein Etwas, für welches unser Leben nur Mittel und Werkzeug ist, ein Etwas, das mehr werth ist, als dieses Leben, ein Etwas, dem man das Leben schuldig ist. Man hat einen Gott, der ein lebendiges Opfer verlangt. Nur die Rohheit des Menschenopfers hat sich mit der Zeit verloren; das Menschenopfer selbst ist unverkürzt geblieben, und stündlich fallen Verbrecher der Gerechtigkeit zum Opfer, und Wir „armen Sünder“ schlachten Uns sebst zum Opfer für „das menschliche Wesen“, die „Idee der Menschheit“, die „Menschlichkeit“ und wie die Götzen oder Götter sonst noch heißen.

Weil Wir aber unser Leben jenem Etwas schulden, darum haben Wir – dieß das Nächste – kein Recht es uns zu nehmen. [431]

Die conservative Tendenz des Christenthums erlaubt nicht anders an den Tod zu denken, als mit der Absicht, ihm seinen Stachel zu nehmen und – hübsch fortzuleben und sich zu erhalten. Alles läßt der Christ geschehen und über sich ergehen, wenn er – der Erzjude – sich nur in den Himmel hineinschachern und schmuggeln kann; sich selbst tödten darf er nicht, er darf sich nur – erhalten, und an der „Bereitung einer zukünftigen Stätte“ arbeiten. Conservatismus oder „Ueberwindung des Todes“ liegt ihm am Herzen: „Der letzte Feind, der aufgehoben wird, ist der Tod.“ 30) „Christus hat dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht durch das Evangelium.“ 31) „Unvergänglichkeit“, Stabilität.

Der Sittliche will das Gute, das Rechte, und wenn er die Mittel ergreift, welche zu diesem Ziele führen, wirklich führen, so sind diese Mittel nicht seine Mittel, sondern die des Guten, Rechten u. s. w. selbst. Unsittlich sind diese Mittel niemals, weil der gute Zweck selbst sich durch sie vermittelt: der Zweck heiligt die Mittel. Diesen Grundsatz nennt man jesuitisch, er ist aber durchaus „sittlich.“ Der Sittliche handelt im Dienste eines Zweckes oder einer Idee: er macht sich zum Werkzeuge der Idee des Guten, wie der Fromme ein Werk- oder Rüstzeug Gottes zu sein sich zum Ruhme anrechnet. Den Tod abzuwarten, heischt das sittliche Gebot als das Gute; ihn sich selbst zu geben, ist unsittlich und böse: der Selbstmord findet keine Entschuldigung vor dem Richterstuhle der Sittlichkeit. Verbietet der Religiöse ihn, weil [432] „du dir das Leben nicht gegeben hast, sondern Gott, der es dir auch allein wieder nehmen kann“ (als ob, auch in dieser Vorstellung gesprochen, Mir's Gott nicht ebensowohl nähme, wenn ich Mich tödte, als wenn Mich ein Dachziegel oder eine feindliche Kugel umwirft: er hätte ja den Todesentschluß auch in mir geweckt!): so verbietet der Sittliche ihn, weil Ich mein Leben dem Vaterlande u. s. w. schulde, „weil ich nicht wisse, ob ich durch mein Leben nicht noch Gutes wirken könne.“ Natürlich, es verliert ja das Gute an mir ein Werkzeug, wie Gott ein Rüstzeug. Bin ich unsittlich, so ist dem Guten mit meiner Besserung gedient, bin Ich „gottlos“, so hat Gott Freude an meiner Bußfertigkeit. Selbstmord ist also sowohl gottlos als ruchlos. Wenn einer, dessen Standpunkt die Religiosität ist, sich das Leben nimmt, so handelt er gottvergessen; ist aber der Standpunkt des Selbstmörders die Sittlichkeit, so handelt er pflichtvergessen, unsittlich. Man quälte sich viel mit der Frage, ob Emilie Galotti's Tod vor der Sittlichkeit sich rechtfertigen lasse (man nimmt ihn, als wäre er Selbstmord, was er der Sache nach auch ist). Daß sie in die Keuschheit, dieß sittliche Gut, so vernarrt ist, um selbst ihr Leben dafür zu lassen, ist jedenfalls sittlich; daß sie aber sich die Gewalt über ihr Blut nicht zutraut, ist wieder unsittlich. Solche Widersprüche bilden in dem sittlichen Trauerspiele den tragischen Conflict überhaupt, und man muß sittlich denken und fühlen, um daran ein Interesse nehmen zu können.

Was von der Frömmigkeit und Sittlichkeit gilt, wird nothwendig auch die Menschlichkeit treffen, weil man dem Menschen, der Menschheit oder Gattung gleichfalls sein Leben schuldig ist. Nur wenn ich keinem Wesen verpflichtet bin, ist [433] die Erhaltung des Lebens – meine Sache. „Ein Sprung von dieser Brücke macht Mich frei!“

Sind Wir aber jenem Wesen, das Wir in Uns lebendig machen sollen, die Erhaltung unseres Lebens schuldig, so ist es nicht weniger unsere Pflicht, dieses Leben nicht nach unserer Lust zu führen, sondern es jenem Wesen gemäß zu gestalten. All mein Fühlen, Denken und Wollen, all mein Thun und Trachten gehört – ihm.

Was jenem Wesen gemäß sei, ergiebt sich aus dem Begriffe desselben, und wie verschieden ist dieser Begriff begriffen oder wie verschieden ist jenes Wesen vorgestellt worden! Welche Forderungen macht das höchste Wesen an den Muhamedaner, und welch' andere glaubt wieder der Christ von ihm zu vernehmen; wie abweichend muß daher beider Lebensgestaltung ausfallen! Nur dieß halten Alle fest, daß das höchste Wesen unser Leben zu richten habe.

Doch an den Frommen, die in Gott ihren Richter und in seinem Wort einen Leitfaden für ihr Leben haben, gehe Ich überall nur erinnerungsweise vorüber, weil sie einer verlebten Entwicklungsperiode angehören und als Versteinerungen immerhin auf ihrem fixen Platze bleiben mögen; in unserer Zeit haben nicht mehr die Frommen, sondern die Liberalen das große Wort, und die Frömmigkeit selbst kann sich dessen nicht erwehren, mit liberalem Teint ihr blasses Gesicht zu röthen. Die Liberalen aber verehren nicht in Gott ihren Richter und wickeln ihr Leben nicht am Leitfaden des göttlichen Wortes ab, sondern richten sich nach dem Menschen: nicht „göttlich“, sondern „menschlich“ wollen sie sein und leben.

Der Mensch ist des Liberalen höchstes Wesen, der Mensch seines Lebens Richter, die Menschlichkeit sein Leitfaden [434] oder Katechismus. Gott ist Geist, aber der Mensch ist der „vollkommenste Geist“, das endliche Resultat der langen Geistesjagd oder der „Forschung in den Tiefen der Gottheit“, d. h. in den Tiefen des Geistes.

Jeder deiner Züge soll menschlich sein; Du selbst sollst es vom Wirbel bis zur Zehe, im Innern wie im Aeußern sein: denn die Menschlichkeit ist dein Beruf.

Beruf – Bestimmung – Aufgabe! –

Was Einer werden kann, das wird er auch. Ein geborener Dichter mag wohl durch die Ungunst der Umstände gehindert werden, auf der Höhe der Zeit zu stehen und nach den dazu unerläßlichen großen Studien ausgebildete Kunstwerke zu schaffen; aber dichten wird er, er sei Ackerknecht oder so glücklich, am Weimarschen Hofe zu leben. Ein geborener Musiker wird Musik treiben, gleichviel ob auf allen Instrumenten oder nur auf einem Haferrohr. Ein geborener philosophischer Kopf kann sich als Universitätsphilosoph oder als Dorfphilosoph bewähren. Endlich ein geborener Dummerjan, der, was sich sehr wohl damit verträgt, zugleich ein Pfiffikus sein kann, wird, wie wahrscheinlich Jeder, der Schulen besucht hat, an manchen Beispielen von Mitschülern sich zu vergegenwärtigen im Stande ist, immer ein vernagelter Kopf bleiben, er möge nun zu einem Büreauchef einexercirt und dressirt worden sein, oder demselben Chef als Stiefelputzer dienen. Ja die geborenen beschränkten Köpfe bilden unstreitig die zahlreichste Menschenklasse. Warum sollten auch in der Menschengattung nicht dieselben Unterschiede hervortreten, welche in jeder Thiergattung unverkennbar sind? Ueberall finden sich Begabtere und minder Begabte.

So blödsinnig sind indeß nur Wenige, daß man ihnen [435] nicht Ideen beibringen könnte. Daher hält man gewöhnlich alle Menschen für fähig, Religion zu haben. In einem gewissen Grade sind sie auch zu andern Ideen noch abzurichten, z. B. zu einigem musikalischen Verständniß, selbst etwas Phisophie u. s. w. Hier knüpft denn das Pfaffenthum der Religion, der Sittlichkeit, der Bildung, der Wissenschaft u. s. w. an, und die Communisten z. B. wollen durch ihre „Volksschule“ Allen alles zugänglich machen. Eine gewöhnliche Behauptung wird gehört, daß diese „große Masse“ ohne Religion nicht auskommen könne; die Communisten erweitern sie zu dem Satze, daß nicht nur die „große Masse“, sondern schlechthin Alle zu Allem berufen seien.

Nicht genug, daß man die große Masse zur Religion abgerichtet hat, nun soll sie gar mit „allem Menschlichen“ sich noch befassen müssen. Die Dressur wird immer allgemeiner und umfassender.

Ihr armen Wesen, die Ihr so glücklich leben könntet, wenn Ihr nach eurem Sinne Sprünge machen dürftet, Ihr sollt nach der Pfeife der Schulmeister und Bärenführer tanzen, um Kunststücke zu machen, zu denen Ihr selbst Euch nimmermehr gebrauchen würdet. Und Ihr schlagt nicht endlich einmal dagegen aus, daß man Euch immer anders nimmt, als Ihr Euch geben wollt. Nein, Ihr sprecht Euch die vorgesprochene Frage mechanisch selber vor: „Wozu bin Ich berufen? Was soll Ich?“ So braucht Ihr nur zu fragen, um Euch sagen und befehlen zu lassen, was Ihr sollt, euren Beruf Euch vorzeichnen zu lassen, oder auch es Euch selbst nach der Vorschrift des Geistes zu befehlen und aufzuerlegen. Da heißt es denn in Bezug auf den Willen: Ich will, was Ich soll.

Ein Mensch ist zu nichts „berufen“ und hat keine „Aufgabe“, [436] keine „Bestimmung“, so wenig als eine Pflanze oder ein Thier einen „Beruf“ hat. Die Blume folgt nicht dem Berufe, sich zu vollenden, aber sie wendet alle ihre Kräfte auf, die Welt, so gut sie kann, zu genießen und zu verzehren, d. h. sie saugt so viel Säfte der Erde, so viel Luft des Aethers, so viel Licht der Sonne ein, als sie bekommen und beherbergen kann. Der Vogel lebt keinem Berufe nach, aber er gebraucht seine Kräfte so viel es geht: er hascht Käfer und singt nach Herzenslust. Der Blume und des Vogels Kräfte sind aber im Vergleich zu denen eines Menschen gering, und viel gewaltiger wird ein Mensch, der seine Kräfte anwendet, in die Welt eingreifen als Blume und Thier. Einen Beruf hat er nicht, aber er hat Kräfte, die sich äußern, wo sie sind, weil ihr Sein ja einzig in ihrer Aeußerung besteht und so wenig unthätig verharren können als das Leben, das, wenn es auch nur eine Sekunde „stille stände“, nicht mehr Leben wäre. Nun könnte man dem Menschen zurufen: gebrauche deine Kraft. Doch in diesen Imperativ würde der Sinn gelegt werden, es sei des Menschen Aufgabe, seine Kraft zu gebrauchen. So ist es nicht. Es gebraucht vielmehr wirklich Jeder seine Kraft, ohne dieß erst für seinen Beruf anzusehen: es gebraucht Jeder in jedem Augenblicke so viel Kraft als er besitzt. Man sagt wohl von einem Besiegten, er hätte seine Kraft mehr anspannen sollen; allein man vergißt, daß, wenn er im Augenblicke des Erliegens die Kraft gehabt hätte, seine Kräfte (z. B. Leibeskräfte) anzuspannen, er es nicht unterlassen haben würde: war es auch nur die Muthlosigkeit einer Minute, so war dieß doch eine minutenlange – Kraftlosigkeit. Die Kräfte lassen sich allerdings schärfen und vervielfältigen, besonders durch feindlichen Widerstand oder befreundeten Beistand; aber wo man [437] ihre Anwendung vermißt, da kann man auch ihrer Abwesenheit gewiß sein. Man kann aus einem Steine Feuer schlagen, aber ohne den Schlag kommt keines heraus; in gleicher Art bedarf auch ein Mensch des „Anstoßes“.

Darum nun, weil Kräfte sich stets von selbst werkthätig erweisen, wäre das Gebot, sie zu gebrauchen, überflüssig und sinnlos. Seine Kräfte zu gebrauchen ist nicht der Beruf und die Aufgabe des Menschen, sondern es ist seine allezeit wirkliche, vorhandene That. Kraft ist nur ein einfacheres Wort für Kraftäußerung.

Wie nun diese Rose von vorn herein wahre Rose, diese Nachtigall stets wahre Nachtigall ist, so bin Ich nicht erst wahrer Mensch, wenn Ich meinen Beruf erfülle, meiner Bestimmung nachlebe, sondern Ich bin von Haus „wahrer Mensch“. Mein erstes Lallen ist das Lebenszeichen eines „wahren Menschen“, meine Lebenskämpfe seine Kraftergüsse, mein letzter Athemzug das letzte Kraftaushauchen „des Menschen“.

Nicht in der Zukunft, ein Gegenstand der Sehnsucht, liegt der wahre Mensch, sondern daseiend und wirklich liegt er in der Gegenwart. Wie und wer Ich auch sei, freudvoll und leidvoll, ein Kind oder ein Greis, in Zuversicht oder Zweifel, im Schlaf oder im Wachen, Ich bin es, Ich bin der wahre Mensch.

Bin Ich aber der Mensch und habe Ich ihn, den die religiöse Menschheit als fernes Ziel bezeichnete, wirklich in Mir gefunden, so ist auch alles „wahrhaft Menschliche“ mein eigen. Was man der Idee der Menschheit zuschrieb, das gehört Mir. Jene Handelsfreiheit z. B., welche die Menschheit erst erreichen soll, und die man wie einen bezaubernden Traum in ihre goldene Zukunft versetzt, Ich nehme sie Mir [438] als mein Eigenthum vorweg und treibe sie einstweilen in der Form des Schmuggels. Freilich möchten nur wenige Schmuggler sich diese Rechenschaft über ihr Thun zu geben wissen, aber der Instinct des Egoismus ersetzt ihr Bewußtsein. Von der Preßfreiheit habe Ich dasselbe oben gezeigt.

Alles ist mein eigen, darum hole Ich Mir wieder, was sich Mir entziehen will, vor allem aber hole Ich Mich stets wieder, wenn Ich zu irgend einer Dienstbarkeit Mir entschlüpfet bin. Aber auch dieß ist nicht mein Beruf, sondern meine natürliche That.

Genug, es ist ein mächtiger Unterschied, ob Ich Mich zum Ausgangs- oder zum Zielpunkte mache. Als letzteren habe Ich Mich nicht, bin Mir mithin noch fremd, bin mein Wesen, mein „wahres Wesen“, und dieses Mir fremde „wahre Wesen“ wird als ein Spuk von tausenderlei Namen sein Gespött mit Mir treiben. Weil Ich noch nicht Ich bin, so ist ein Anderer (wie Gott, der wahre Mensch, der wahrhaft Fromme, der Vernünftige, der Freie u. s. w.) Ich, mein Ich.

Von Mir noch fern trenne Ich Mich in zwei Hälften, deren eine, die unerreichte und zu erfüllende, die wahre ist. Die eine, die unwahre, muß zum Opfer gebracht werden, nämlich die ungeistige; die andere, die wahre, soll der ganze Mensch sein, nämlich der Geist. Dann heißt es: „Der Geist ist das eigentliche Wesen des Menschen“ oder „der Mensch existirt als Mensch nur geistig.“ Nun geht es mit Gier darauf los, den Geist zu fahen, als hätte man sich dann erwischt, und so im Jagen nach sich verliert man sich, der man ist, aus den Augen.

Und wie man stürmisch sich selbst, dem nie erreichten, nachsetzt, so verachtet man auch die Regel der Klugen, die [439] Menschen zu nehmen wie sie sind, und nimmt sie lieber wie sie sein sollen, hetzt deshalb Jeden hinter seinem seinsollenden Ich her und „strebt Alle zu gleich berechtigten, gleich achtbaren, gleich sittlichen oder vernünftigen Menschen zu machen“. 32)

Ja, „wenn die Menschen wären, wie sie sein sollten, sein könnten, wenn alle Menschen vernünftig wären, alle einander als Brüder liebten“, dann wär's ein paradiesisches Leben. 33) – Wohlan, die Menschen sind, wie sie sein sollen, sein können. Was sollen sie sein? Doch wohl nicht mehr als sie sein können! Und was können sie sein? Auch eben nicht mehr als sie – können, d. h. als sie das Vermögen, die Kraft zu sein haben. Das aber sind sie wirklich, weil, was sie nicht sind, sie zu sein nicht im Stande sind: denn im Stande sein heißt – wirklich sein. Man ist nichts im Stande, was man nicht wirklich ist, man ist nichts im Stande zu thun, was man nicht wirklich thut. Könnte ein am Staar Erblindeter sehen? O ja, wenn er sich den Staar glücklich stechen ließe. Allein jetzt kann er nicht sehen, weil er nicht siebt. Möglichkeit und Wirklichkeit fallen immer zusammen. Man kann nichts, was man nicht thut, wie man nichts thut, was man nicht kann.

Die Sonderbarkeit dieser Behauptung verschwindet, wenn man erwägt, daß die Worte „es ist möglich, daß u. s. w.“ fast nie einen andern Sinn in sich bergen, als diesen: „Ich kann Mir denken, daß u. s. w.“ z. B. Es ist möglich, daß alle Menschen vernünftig leben, d. h. Ich kann Mir denken, daß alle u. s. w. Da nun mein Denken nicht bewirken kann, [440] mithin auch nicht bewirkt, daß alle Menschen vernünftig leben, sondern dieß den Menschen selbst überlassen bleiben muß, so ist die allgemeine Vernunft für Mich nur denkbar, eine Denkbarkeit, als solche aber in der That eine Wirklichkeit, die nur in Bezug auf das, was Ich nicht machen kann, nämlich die Vernünftigkeit der Andern, eine Möglichkeit genannt wird. So weit es von Dir abhängt, könnten alle Menschen vernünftig sein, denn Du hast nichts dagegen, ja so weit dein Denken reicht, kannst Du vielleicht auch kein Hinderniß entdecken, und mithin steht auch in deinem Denken der Sache nichts entgegen: sie ist Dir denkbar.

Aber da die Menschen nun doch nicht alle vernünftig sind, so werden sie es auch wohl – nicht sein können.

Ist oder geschieht etwas nicht, wovon man sich vorstellt, es wäre doch leicht möglich, so kann man versichert sein, es stehe der Sache etwas im Wege und sie sei – unmöglich. Unsere Zeit hat ihre Kunst, Wissenschaft u. s. w.: die Kunst mag herzlich schlecht sein; darf man aber sagen, Wir verdienten eine bessere zu haben und „könnten“ sie haben, wenn Wir nur wollten? Wir haben gerade so viel Kunst, als Wir haben können. Unsere heutige Kunst ist die dermalen einzig mögliche und darum wirkliche.

Selbst in dem Verstande, worauf man das Wort „möglich“, zuletzt noch reduciren könnte, daß es „zukünftig“ bedeute, behält es die volle Kraft des „Wirklichen“. Sagt man z. B. Es ist möglich, daß morgen die Sonne aufgeht, – so heißt dieß nur: für das Heute ist das Morgen die wirkliche Zukunft; denn es bedarf wohl kaum der Andeutung, daß eine Zukunft nur dann wirkliche „Zukunft“ ist, wenn sie noch nicht erschienen ist. [441]

Jedoch wozu diese Würdigung eines Wortes? Hielte sich nicht der folgenreichste Mißverstand von Jahrtausenden dahinter versteckt, spukte nicht aller Spuk der besessenen Menschen in diesem einzigen Begriffe des Wörtleins „möglich“, so sollte Uns seine Betrachtung hier wenig kümmern.

Der Gedanke, wurde eben gezeigt, beherrscht die besessene Welt. Nun denn, die Möglichkeit ist nichts anders, als die Denkbarkeit, und der gräßlichen Denkbarkeit sind seither unzählige Opfer gefallen. Es war denkbar, daß die Menschen vernünftig werden könnten, denkbar, daß sie Christum erkennen, denkbar, daß sie für das Gute sich begeistern und sittlich werden, denkbar, daß sie alle in den Schooß der Kirche sich flüchten, denkbar, daß sie nichts Staatsgefährliches sinnen, sprechen und thun, denkbar, daß sie gehorsame Unterthanen sein könnten: darum aber, weil es denkbar war, war es – so lautete der Schluß – möglich, und weiter, weil es den Menschen möglich war (hier eben liegt das Trügerische: weil es Mir denkbar ist, ist es den Menschen möglich), so sollten sie es sein, so war es ihr Beruf; und endlich – nur nach diesem Berufe, nur als Berufene, hat man die Menschen zu nehmen, nicht „wie sie sind, sondern wie sie sein sollen“.

Und der weitere Schluß? Nicht der Einzelne ist der Mensch, sondern ein Gedanke, ein Ideal ist der Mensch, zu dem der Einzelne sich nicht einmal so verhält, wie das Kind zum Manne, sondern wie ein Kreidepunkt zu dem gedachten Punkte, oder wie ein – endliches Geschöpf zum ewigen Schöpfer, oder nach neuerer Ansicht, wie das Exemplar zur Gattung. Hier kommt denn die Verherrlichung der „Menschheit“ zum Vorschein, der „ewigen, unsterblichen“, zu [442] deren Ehre (in maiorem humanitatis gloriam) der Einzelne sich hingeben und seinen „unsterblichen Ruhm“ darin finden muß, für den „Menschheitsgeist“ etwas gethan zu haben.

So herrschen die Denkenden in der Welt, so lange die Pfaffen- oder Schulmeister-Zeit dauert, und was sie sich denken, das ist möglich, was aber möglich ist, das muß verwirklicht werden. Sie denken sich ein Menschen-Ideal, das einstweilen nur in ihren Gedanken wirklich ist; aber sie denken sich auch die Möglichkeit seiner Ausführung, und es ist nicht zu streiten, die Ausführung ist wirklich – denkbar, sie ist eine – Idee.

Aber Ich und Du, Wir mögen zwar Leute sein, von denen sich ein Krummacher denken kann, daß Wir noch gute Christen werden könnten; wenn er Uns indeß „bearbeiten“ wollte, so würden Wir ihm bald fühlbar machen, daß unsere Christlichkeit nur denkbar, sonst aber unmöglich ist: er würde, grinzte er Uns fort und fort mit seinen zudringlichen Gedanken, seinem „guten Glauben“, an, erfahren müssen, daß Wir gar nicht zu werden brauchen, was Wir nicht werden mögen.

Und so geht es fort, weit über die Frömmsten und Frommen hinaus. „Wenn alle Menschen vernünftig wären, wenn Alle das Rechte thäten, wenn Alle von Menschenliebe geleitet würden u. s. w.“! Vernunft, Recht, Menschenliebe u. s. w. wird als der Menschen Beruf, als Ziel ihres Trachtens ihnen vor Augen gestellt. Und was heißt vernünftig sein? Sich selbst vernehmen? Nein, die Vernunft ist ein Buch voll Gesetze, die alle gegen den Egoismus gegeben sind.

Die bisherige Geschichte ist die Geschichte des geistigen Menschen. Nach der Periode der Sinnlichkeit beginnt die [443] eigentliche Geschichte, d. h. die Periode der Geistigkeit, Geistlichkeit, Unsinnlichkeit, Uebersinnlichkeit, Unsinnigkeit. Der Mensch fängt nun an, etwas sein und werden zu wollen. Was? Gut, schön, wahr; näher sittlich, fromm, wohlgefällig u. s. w. Er will einen „rechten Menschen“, „etwas Rechtes“ aus sich machen. Der Mensch ist sein Ziel, sein Sollen, seine Bestimmung, Beruf, Aufgabe, sein – Ideal: er ist sich ein Zukünftiger, Jenseitiger. Und was macht aus ihm einen „rechten Kerl“? Das Wahrsein, Gutsein, Sittlichsein u. dgl. Nun sieht er jeden scheel an, der nicht dasselbe „Was“ anerkennt, dieselbe Sittlichkeit sucht, denselben Glauben hat: er verjagt die „Separatisten, Ketzer, Secten“ u. s. w.

Kein Schaaf, kein Hund bemüht sich, ein „rechtes Schaaf, ein rechter Hund“ zu werden; keinem Thier erscheint sein Wesen als eine Aufgabe, d. h. als ein Begriff, den es zu realisiren habe. Es realisirt sich, indem es sich auslebt, d. h. auflöst, vergeht. Es verlangt nicht, etwas Anderes zu sein oder zu werden, als es ist.

Will Ich Euch rathen, den Thieren zu gleichen? Daß Ihr Thiere werden sollt, dazu kann Ich wahrlich nicht ermuntern, da dieß wieder eine Aufgabe, ein Ideal wäre („Im Fleiß kann Dich die Biene meistern“). Auch wäre es dasselbe, als wünschte man den Thieren, daß sie Menschen werden. Eure Natur ist nun einmal eine menschliche, Ihr seid menschliche Naturen, d. h. Menschen. Aber eben weil Ihr das bereits seid, braucht Ihr's nicht erst zu werden. Auch Thiere werden „dressirt“, und ein dressirtes Thier leistet mancherlei Unnatürliches. Nur ist ein dressirter Hund für sich nichts besseres, als ein natürlicher, und hat keinen Gewinn davon, wenn er auch für Uns umgänglicher ist. [444]

Von jeher waren die Bemühungen im Schwange, alle Menschen zu sittlichen, vernünftigen, frommen, menschlichen u. dgl. „Wesen zu bilden“, d. h. die Dressur. Sie scheitern an der unbezwinglichen Ichheit, an der eigenen Natur, am Egoismus. Die Abgerichteten erreichen niemals ihr Ideal und bekennen sich nur mit dem Munde zu den erhabenen Grundsätzen, oder legen ein Bekenntniß, ein Glaubensbekenntniß, ab. Diesem Bekenntnisse gegenüber müssen sie im Leben sich „allzumal für Sünder erkennen“ und bleiben hinter ihrem Ideal zurück, sind „schwache Menschen“ und tragen sich mit dem Bewußtsein der „menschlichen Schwachheit“.

Anders, wenn Du nicht einem Ideal, als deiner „Bestimmung“, nachjagst, sondern Dich auflösest, wie die Zeit alles auflöst. Die Auflösung ist nicht deine „Bestimmung“, weil sie Gegenwart ist.

Doch hat die Bildung, die Religiosität der Menschen diese allerdings frei gemacht, frei aber nur von einem Herrn, um sie einem andern zuzuführen. Meine Begierde habe Ich durch die Religion bezähmen gelernt, den Widerstand der Welt breche Ich durch die List, welche Mir von der Wissenschaft an die Hand gegeben wird; selbst keinem Menschen diene Ich: „Ich bin keines Menschen Knecht“. Aber dann kommt's: Du mußt Gott mehr gehorchen als dem Menschen. Ebenso bin Ich zwar frei von der unvernünftigen Bestimmung durch meine Triebe, aber gehorsam der Herrin: Vernunft. Ich habe die „geistige Freiheit“, „Freiheit des Geistes“ gewonnen. Damit bin Ich denn gerade dem Geiste unterthan geworden. Der Geist befiehlt Mir, die Vernunft leitet Mich, sie sind meine Führer und Gebieter. Es herrschen die „Vernünftigen“, die „Diener des Geistes“. Wenn Ich aber nicht Fleisch bin, [445] so bin Ich wahrlich auch nicht Geist. Freiheit des Geistes ist Knechtschaft Meiner, weil Ich mehr bin als Geist oder Fleisch.

Ohne Zweifel hat die Bildung Mich zum Gewaltigen gemacht. Sie hat Mir Gewalt über alle Antriebe gegeben, sowohl über die Triebe meiner Natur als über die Zumuthungen und Gewaltthätigkeiten der Welt. Ich weiß und habe durch die Bildung die Kraft dazu gewonnen, daß Ich Mich durch keine meiner Begierden, Lüste, Aufwallungen u. s. w. zwingen zu lassen brauche: Ich bin ihr – Herr; gleicherweise werde Ich durch die Wissenschaften und Künste der Herr der widerspenstigen Welt, dem Meer und Erde gehorchen und selbst die Sterne Rede stehen müssen. Der Geist hat Mich zum Herrn gemacht. – Aber über den Geist selbst habe Ich keine Gewalt. Aus der Religion (Bildung) lerne Ich wohl die Mittel zur „Besiegung der Welt“, aber nicht, wie Ich auch Gott bezwinge und seiner Herr werde; denn Gott „ist der Geist“. Und zwar kann der Geist, dessen Ich nicht Herr zu werden vermag, die mannigfaltigsten Gestalten haben: er kann Gott heißen oder Volksgeist, Staat, Familie, Vernunft, auch – Freiheit, Menschlichkeit, Mensch.

Ich nehme mit Dank auf, was die Jahrhunderte der Bildung Mir erworben haben; nichts davon will Ich wegwerfen und aufgeben: Ich habe nicht umsonst gelebt. Die Erfahrung, daß Ich Gewalt über meine Natur habe und nicht der Sklave meiner Begierden zu sein brauche, soll Mir nicht verloren gehen; die Erfahrung, daß Ich durch Bildungsmittel die Welt bezwingen kann, ist zu theuer erkauft, als daß Ich sie vergessen könnte. Aber Ich will noch mehr.

Man fragt, was kann der Mensch werden, was kann [446] er leisten, welche Güter sich verschaffen, und stellt das Höchste von Allem als Beruf hin. Als wäre Mir alles möglich!

Wenn man Jemand in einer Sucht, einer Leidenschaft u. s. w. verkommen sieht (z. B. im Schachergeist, Eifersucht), so regt sich das Verlangen ihn aus dieser Besessenheit zu erlösen und ihm zur „Selbstüberwindung“ zu verhelfen. „Wir wollen einen Menschen aus ihm machen!“ Das wäre recht schön, wenn nicht eine andere Besessenheit gleich an die Stelle der früheren gebracht würde. Von der Geldgier befreit man aber den Knecht derselben nur, um der Frömmigkeit, der Humanität oder welchem sonstigen Princip ihn zu überliefern und ihn von neuem auf einen festen Standpunkt zu versetzen.

Diese Versetzung von einem beschränkten Standpunkt auf einen erhabenen spricht sich in den Worten aus: der Sinn dürfe nicht auf das Vergängliche, sondern allein auf das Unvergängliche gerichtet sein, nicht auf's Zeitliche, sondern Ewige, Absolute, Göttliche, Reinmenschliche u. s. w. – auf's Geistige.

Man sah sehr bald ein, daß es nicht gleichgültig sei, woran man sein Herz hänge, oder womit man sich beschäftige; man erkannte die Wichtigkeit des Gegenstandes. Ein über die Einzelheit der Dinge erhabener Gegenstand ist das Wesen der Dinge; ja das Wesen ist allein das Denkbare an ihnen, ist für den denkenden Menschen. Darum richte nicht länger Deinen Sinn auf die Dinge, sondern Deine Gedanken auf das Wesen. „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“, d.h. selig sind die Denkenden, denn die haben's mit dem Unsichtbaren zu thun und glauben daran. Doch auch ein Gegenstand des Denkens, welcher Jahrhunderte lang einen wesentlichen Streitpunkt ausmachte, kommt zuletzt dahin, daß er „nicht mehr der Rede werth ist“. Das sah [447] man ein, aber gleichwohl behielt man immer wieder eine für sich gültige Wichtigkeit des Gegenstandes, einen absoluten Werth desselben vor Augen, als wenn nicht die Puppe dem Kinde, der Koran dem Türken das Wichtigste wäre. So lange Ich Mir nicht das einzig Wichtige bin, ist's gleichgültig, von welchem Gegenstande Ich „viel Wesens“ mache, und nur mein größeres oder kleineres Verbrechen gegen ihn ist von Werth. Der Grad meiner Anhänglichkeit und Ergebenheit bezeichnet den Standpunkt meiner Dienstbarkeit, der Grad meiner Versündigung zeigt das Maaß meiner Eigenheit.

Endlich aber muß man überhaupt sich Alles „aus dem Sinn zu schlagen“ wissen, schon um – einschlafen zu können. Es darf Uns nichts beschäftigen, womit Wir Uns nicht beschäftigen: der Ehrsüchtige kann seinen ehrgeizigen Plänen nicht entrinnen, der Gottesfürchtige nicht dem Gedanken an Gott; Vernarrtheit und Besessenheit fallen in Eins zusammen.

Sein Wesen realisiren oder seinem Begriffe gemäß leben zu wollen, was bei den Gottgläubigen so viel als „fromm“ sein bedeutet, bei den Menschheitsgläubigen „menschlich“ leben heißt, kann nur der sinnliche und sündige Mensch sich vorsetzen, der Mensch, so lange er zwischen Sinnenglück und Seelenfrieden die bange Wahl hat, der Mensch, so lange er ein „armer Sünder“ ist. Der Christ ist nichts anderes, als ein sinnlicher Mensch, der, indem er vom Heiligen weiß und sich bewußt ist, daß er dasselbe verletzt, in sich einen armen Sünder sieht: Sinnlichkeit, als „Sündlichkeit“ gewußt, das ist christliches Bewußtsein, das ist der Christ selber. Und wenn nun „Sünde“ und „Sündlichkeit“ von Neueren nicht mehr in den Mund genommen wird, statt dessen aber „Egoismus“, „Selbstsucht“, „Eigennützigkeit“ u. dergl. ihnen zu schaffen [448] macht, wenn der Teufel in den „Unmenschen“ oder „egoistischen Menschen“ übersetzt wurde, ist dann der Christ weniger vorhanden als vorher? Ist nicht der alte Zwiespalt zwischen Gut und Böse, ist nicht ein Richter über Uns, der Mensch, ist nicht ein Beruf, der Beruf, sich zum Menschen zu machen, geblieben? Nennt man's nicht mehr Beruf, sondern „Aufgabe“ oder auch wohl „Pflicht“, so ist die Namensänderung ganz richtig, weil „der Mensch“ nicht gleich Gott ein persönliches Wesen ist, das „rufen“ kann; aber außer dem Namen bleibt die Sache beim Alten.

 

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Es hat Jeder ein Verhältniß zu den Objecten, und zwar verhält sich Jeder anders zu denselben. Wählen Wir als Beispiel jenes Buch, zu welchem Millionen Menschen zweier Jahrtausende ein Verhältniß hatten, die Bibel. Was ist, was war sie einem Jeden? Durchaus nur das, was er aus ihr machte! Wer sich gar nichts aus ihr macht, für den ist sie gar nichts; wer sie als Amulet gebraucht, für den hat sie lediglich den Werth, die Bedeutung eines Zaubermittels; wer, wie Kinder, damit spielt, für den ist sie nichts als ein Spielzeug u.s.w.

Nun verlangt das Christenthum, daß sie für Alle dasselbe sein soll, etwa das heilige Buch oder die „heilige Schrift“. Dieß heißt so viel als daß die Ansicht des Christen auch die der andern Menschen sein soll, und daß Niemand sich anders zu jenem Object verhalten dürfe. Damit wird denn die Eigenheit des Verhaltens zerstört, und Ein Sinn, Eine Gesinnung, als der „wahre“, der „allein wahre“ festgesetzt. Mit der Freiheit, aus der Bibel zu machen, was Ich [449] daraus machen will, wird die Freiheit des Machens überhaupt gehindert, und an deren Stelle der Zwang einer Ansicht oder eines Urtheils gesetzt. Wer das Urtheil fällte, es sei die Bibel ein langer Irrthum der Menschheit, der urtheilte – verbrecherisch.

In der That urtheilt das Kind, welches sie zerfetzt oder damit spielt, der Inka Atahualpa, der sein Ohr daran legt und sie verächtlich wegwirft, als sie stumm bleibt, eben so richtig über die Bibel, als der Pfaffe, welcher in ihr das „Wort Gottes“ anpreist, oder der Kritiker, der sie ein Machwerk von Menschenhänden nennt. Denn wie Wir mit den Dingen umspringen, das ist die Sache unseres Beliebens, unserer Willkühr: Wir gebrauchen sie nach Herzenslust, oder deutlicher, Wir gebrauchen sie, wie Wir eben können. Worüber schreien denn die Pfaffen, wenn sie sehen, wie Hegel und die speculativen Theologen aus dem Inhalte der Bibel speculative Gedanken machen? Gerade darüber, daß jene nach Herzenslust damit gebahren oder „willkührlich damit verfahren“.

Weil Wir aber Alle im Behandeln der Objecte Uns willkührlich zeigen, d. h. so mit ihnen umgehen, wie es Uns am besten gefällt, nach unserem Gefallen (dem Philosophen gefällt nichts so sehr, als wenn er in Allem eine „Idee“ aufspüren kann, wie es dem Gottesfürchtigen gefällt, durch Alles, also z. B. durch Heilighaltung der Bibel, sich Gott zum Freunde zu machen): so begegnen Wir nirgends so peinlicher Willkühr, so fürchterlicher Gewaltthätigkeit, so dummem Zwange, als eben in diesem Gebiete unserer – eigenen Willkühr. Verfahren Wir willkührlich, indem Wir die heiligen Gegenstände so oder so nehmen, wie wollen Wir's da den Pfaffengeistern verargen, wenn sie Uns ebenso willkührlich nach ihrer [450] Art nehmen, und Uns des Ketzerfeuers oder einer andern Strafe, etwa der – Censur, würdig erachten?

Was ein Mensch ist, das macht er aus den Dingen; „wie Du die Welt anschaust, so schaut sie Dich wieder an“. Da läßt sich denn gleich der weise Rath vernehmen: Du mußt sie nur „recht, unbefangen“ u. s. w. anschauen. Als ob das Kind die Bibel nicht „recht und unbefangen“ anschaute, wenn es dieselbe zum Spielzeug macht. Jene kluge Weisung giebt Uns z. B. Feuerbach. Die Dinge schaut man eben recht an, wenn man aus ihnen macht, was man will (unter Dingen sind hier Objecte, Gegenstände überhaupt verstanden, wie Gott, unsere Mitmenschen, ein Liebchen, ein Buch, ein Thier u. s. w.). Und darum sind die Dinge und ihre Anschauung nicht das Erste, sondern Ich bin's, mein Wille ist's. Man will Gedanken aus den Dingen herausbringen, will Vernunft in der Welt entdecken, will Heiligkeit in ihr haben: daher wird man sie finden. „Suchet, so werdet Ihr finden.“ Was Ich suchen will, das bestimme Ich: Ich will Mir z. B. aus der Bibel Erbauung holen: sie ist zu finden; Ich will die Bibel gründlich lesen und prüfen: es wird Mir eine gründliche Belehrung und Kritik entstehen – nach meinen Kräften. Ich erkiese Mir das, wonach mein Sinn steht, und erkiesend beweise Ich Mich – willkührlich.

Hieran knüpft sich die Einsicht, daß jedes Urtheil, welches Ich über ein Object fälle, das Geschöpf meines Willens ist, und wiederum leitet Mich jene Einsicht dahin, daß Ich Mich nicht an das Geschöpf, das Urtheil, verliere, sondern der Schöpfer bleibe, der Urtheilende, der stets von neuem schafft. Alle Prädicate von den Gegenständen sind meine Aussagen, meine Urtheile, meine – Geschöpfe. Wollen sie sich losreißen [451] von Mir, und etwas für sich sein, oder gar Mir imponiren, so habe Ich nichts Eiligeres zu thun, als sie in ihr Nichts, d. h. in Mich, den Schöpfer, zurückzunehmen. Gott, Christus, Dreieinigkeit, Sittlichkeit, das Gute u.s.w. sind solche Geschöpfe, von denen Ich Mir nicht bloß erlauben muß, zu sagen, sie seien Wahrheiten, sondern auch, sie seien Täuschungen. Wie Ich einmal ihr Dasein gewollt und decretirt habe, so will Ich auch ihr Nichtsein wollen dürfen; Ich darf sie Mir nicht über den Kopf wachsen, darf nicht die Schwachheit haben, etwas „Absolutes“ aus ihnen werden zu lassen, wodurch sie verewigt und meiner Macht und Bestimmung entzogen würden. Damit würde Ich dem Stabilitätsprincip verfallen, dem eigentlichen Lebensprincip der Religion, die sich's angelegen sein läßt, „unantastbare Heiligthümer“, „ewige Wahrheiten“, kurz ein „Heiliges“ zu creiren und Dir das Deinige zu entziehen.

Das Object macht Uns in seiner heiligen Gestalt ebenso zu Besessenen, wie in seiner unheiligen, als übersinnliches Object ebenso, wie als sinnliches. Auf beide bezieht sich die Begierde oder Sucht, und auf gleicher Stufe stehen Geldgier und Sehnsucht nach dem Himmel. Als die Aufklärer die Leute für die sinnliche Welt gewinnen wollten, predigte Lavater die Sehnsucht nach dem Unsichtbaren. Rührung wollen die Einen hervorrufen, Rührigkeit die Andern.

Die Auffassung der Gegenstände ist eine durchaus verschiedene, wie denn Gott, Christus, Welt u.s.w. auf die mannigfaltigste Weise aufgefaßt wurden und werden. Jeder ist darin ein „Andersdenkender“, und nach blutigen Kämpfen hat man endlich so viel erreicht, daß die entgegengesetzten Ansichten über ein und denselben Gegenstand nicht mehr als [452] todeswürdige Ketzereien verurtheilt werden. Die „Andersdenkenden“ vertragen sich. Allein warum sollte Ich nur anders über eine Sache denken, warum nicht das Andersdenken bis zu seiner letzten Spitze treiben, nämlich zu der, gar nichts mehr von der Sache zu halten, also ihr Nichts zu denken, sie zu ecrasiren? Dann hat die Auffassung selbst ein Ende, weil nichts mehr aufzufassen ist. Warum soll Ich wohl sagen: Gott ist nicht Allah, nicht Brahma, nicht Jehovah, sondern – Gott; warum aber nicht: Gott ist nichts, als eine Täuschung? Warum brandmarkt man Mich, wenn Ich ein „Gottesleugner“ bin? Weil man das Geschöpf über den Schöpfer setzt („Sie ehren und dienen dem Geschöpf mehr, denn dem Schöpfer“ 34) und ein herrschendes Object braucht, damit das Subject hübsch unterwürfig diene. Ich soll unter das Absolute Mich beugen, Ich soll es.

Durch das „Reich der Gedanken“ hat das Christenthum sich vollendet, der Gedanke ist jene Innerlichkeit, in welcher alle Lichter der Welt erlöschen, alle Existenz existenzlos wird, der innerliche Mensch (das Herz, der Kopf) Alles in Allem ist. Dieß Reich der Gedanken harret seiner Erlösung, harret gleich der Sphinx des ödipischen Räthselwortes, damit es endlich eingehe in seinen Tod. Ich bin der Vernichter seines Bestandes, denn im Reiche des Schöpfers bildet es kein eigenes Reich mehr, keinen Staat im Staate, sondern ein Geschöpf meiner schaffenden – Gedankenlosigkeit. Nur zugleich und zusammen mit der erstarrten, denkenden Welt kann die Christenwelt, das Christenthum und die Religion selbst, zu Grunde gehen; nur wenn die Gedanken ausgehen, giebt es [453] keine Gläubigen mehr. Es ist dem Denkenden sein Denken eine „erhabene Arbeit, eine heilige Thätigkeit“, und es ruht auf einem festen Glauben, dem Glauben an die Wahrheit, Zuerst ist das Beten eine heilige Thätigkeit, dann geht diese heilige „Andacht“ in ein vernünftiges und raisonnirendes „Denken“ über, das aber gleichfalls an der „heiligen Wahrheit“ seine unverrückbare Glaubensbasis behält, und nur eine wundervolle Maschine ist, welche der Geist der Wahrheit zu seinem Dienste aufzieht. Das freie Denken und die freie Wissenschaft beschäftigt Mich – denn nicht Ich bin frei, nicht Ich beschäftige Mich, sondern das Denken ist frei und beschäftigt Mich – mit dem Himmel und dem Himmlischen oder „Göttlichen“, das heißt eigentlich, mit der Welt und dem Weltlichen, nur eben mit einer „andern“ Welt; es ist nur die Umkehrung und Verrückung der Welt, eine Beschäftigung mit dem Wesen der Welt, daher eine Verrücktheit. Der Denkende ist blind gegen die Unmittelbarkeit der Dinge und sie zu bemeistern unfähig: er ißt nicht, trinkt nicht, genießt nicht, denn der Essende und Trinkende ist niemals der Denkende, ja dieser vergißt Essen und Trinken, sein Fortkommen im Leben, die Nahrungssorgen u. s. w. über das Denken; er vergißt es, wie der Betende es auch vergißt. Darum erscheint er auch dem kräftigen Natursohne als ein närrischer Kauz, ein Narr, wenngleich er ihn für heilig ansieht, wie den Alten die Rasenden so erschienen. Das freie Denken ist Raserei, weil reine Bewegung der Innerlichkeit, der bloß innerliche Mensch, welcher den übrigen Menschen leitet und regelt. Der Schamane und der speculative Philosoph bezeichnen die unterste und oberste Sprosse an der Stufenleiter des innerlichen Menschen, des – Mongolen, Schamane und [454] Philosoph kämpfen mit Gespenstern, Dämonen, Geistern, Göttern.

Von diesem freien Denken total verschieden ist das eigene Denken, mein Denken, ein Denken, welches nicht Mich leitet, sondern von Mir geleitet, fortgeführt oder abgebrochen wird, je nach meinem Gefallen. Dieß eigene Denken unterscheidet sich von dem freien Denken ähnlich, wie die eigene Sinnlichkeit, welche Ich nach Gefallen befriedige, von der freien, unbändigen, der Ich erliege.

Feuerbach pocht in den „Grundsätzen der Philosophie der Zukunft“ immer auf das Sein. Darin bleibt auch er, bei aller Gegnerschaft gegen Hegel und die absolute Philosophie, in der Abstraction stecken; denn „das Sein“ ist Abstraction, wie selbst „das Ich“. Nur Ich bin nicht Abstraction allein, Ich bin Alles in Allem, folglich selbst Abstraction oder Nichts, Ich bin Alles und Nichts; Ich bin kein bloßer Gedanke, aber Ich bin zugleich voller Gedanken, eine Gedankenwelt. Hegel verurtheilt das Eigene, das Meinige, die – „Meinung“. Das „absolute Denken“ ist dasjenige Denken, welches vergißt, daß es mein Denken ist, daß Ich denke und daß es nur durch Mich ist. Als Ich aber verschlinge Ich das Meinige wieder, bin Herr desselben, es ist nur meine Meinung, die Ich in jedem Augenblicke ändern, d. h. vernichten, in Mich zurücknehmen und aufzehren kann. Feuerbach will Hegel's „absolutes Denken“ durch das unüberwundene Sein schlagen. Das Sein ist aber in Mir so gut überwunden als das Denken. Es ist mein Sinn, wie jenes mein Denken.

Dabei kommt Feuerbach natürlich nicht weiter, als zu dem an sich trivialen Beweise, daß Ich die Sinne zu Allem brauche oder daß Ich diese Organe nicht gänzlich entbehren [455] kann. Freilich kann Ich nicht denken, wenn Ich nicht sinnlich existire. Allein zum Denken wie zum Empfinden, also zum Abstracten wie zum Sinnlichen brauche Ich vor allen Dingen Mich, und zwar Mich, diesen ganz Bestimmten, Mich diesen Einzigen. Wäre Ich nicht dieser, z. B. Hegel, so schaute Ich die Welt nicht so an, wie Ich sie anschaue, Ich fände aus ihr nicht dasjenige philosophische System heraus, welches gerade Ich als Hegel finde u. s. w. Ich hätte zwar Sinne wie die andern Leute auch, aber Ich benutzte sie nicht so, wie Ich es thue.

So wird von Feuerbach gegen Hegel der Vorwurf aufgebracht 35), daß er die Sprache mißbrauche, indem er anderes unter manchen Worten verstehe, als wofür das natürliche Bewußtsein sie nehme, und doch begeht auch er denselben Fehler, wenn er dem „Sinnlichen“ einen so eminenten Sinn giebt, wie er nicht gebräuchlich ist. So heißt es S. 69: „das Sinnliche sei nicht das Profane, Gedankenlose, das auf platter Hand Liegende, das sich von selbst Verstehende“. Ist es aber das Heilige, das Gedankenvolle, das verborgen Liegende, das nur durch Vermittlung Verständliche – nun so ist es nicht mehr das, was man das Sinnliche nennt. Das Sinnliche ist nur dasjenige, was für die Sinne ist; was hingegen nur denjenigen genießbar ist, die mit mehr als den Sinnen genießen, die über den Sinnengenuß oder die Sinnenempfängniß hinausgehen, das ist höchstens durch die Sinne vermittelt oder zugeführt, d. h. die Sinne machen zur Erlangung desselben eine Bedingung aus, aber es ist nichts Sinnliches mehr. Das Sinnliche, was es auch sei, in Mich [456] aufgenommen, wird ein Unsinnliches, welches indeß wieder sinnliche Wirkungen haben kann, z. B. durch Aufregung meiner Affecte und meines Blutes.

Es ist schon gut, daß Feuerbach die Sinnlichkeit zu Ehren bringt, aber er weiß dabei nur den Materialismus seiner „neuen Philosophie“ mit dem bisherigen Eigenthum des Idealismus, der „absoluten Philosophie“, zu bekleiden. So wenig die Leute sich's einreden lassen, daß man vom „Geistigen“ allein, ohne Brot, leben könne, so wenig werden sie ihm glauben, daß man als ein Sinnlicher schon alles sei, also geistig, gedankenvoll u.s.w.

Durch das Sein wird gar nichts gerechtfertigt. Das Gedachte ist so gut als das Nicht-Gedachte, der Stein auf der Straße ist und meine Vorstellung von ihm ist auch. Beide sind nur in verschiedenen Räumen, jener im luftigen, dieser in meinem Kopfe, in Mir: denn Ich bin Raum wie die Straße.

Die Zünftigen oder Privilegirten dulden keine Gedankenfreiheit, d. h. keine Gedanken, die nicht von dem „Geber alles Guten“ kommen, heiße dieser Geber Gott, Papst, Kirche oder wie sonst. Hat Jemand dergleichen illegitime Gedanken, so muß er sie seinem Beichtvater ins Ohr sagen und sich von ihm so lange kasteien lassen, bis den freien Gedanken die Sklavenpeitsche unerträglich wird. Auch auf andere Weise sorgt der Zunftgeist dafür, daß freie Gedanken gar nicht kommen, vor allem durch eine weise Erziehung. Wem die Grundsätze der Moral gehörig eingeprägt wurden, der wird von moralischen Gedanken niemals wieder frei, und Raub, Meineid, Uebervortheilung u. dgl. bleiben ihm fixe Ideen, gegen die ihn keine Gedankenfreiheit schützt. Er bat seine Gedanken „von oben“ und bleibt dabei. [457]

Anders die Concessionirten oder Patentirten. Jeder muß Gedanken haben und sich machen können, wie er will. Wenn er das Patent oder die Concession einer Denkfähigkeit hat, so braucht er kein besonderes Privilegium. Da aber „alle Menschen vernünftig sind“, so steht jedem frei, irgendwelche Gedanken sich in den Kopf zu setzen, und je nach dem Patent seiner Naturbegabung einen größeren oder geringeren Gedankenreichthum zu haben. Nun hört man die Ermahnungen, daß man „alle Meinungen und Ueberzeugungen zu ehren habe“, daß „jede Ueberzeugung berechtigt sei“, daß man „gegen die Ansichten Anderer tolerant“ sein müsse u. s. w.

Aber „eure Gedanken sind nicht meine Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege“. Oder vielmehr das Umgekehrte will Ich sagen: Eure Gedanken sind meine Gedanken, mit denen Ich schalte, wie Ich will, und die ich unbarmherzig niederschlage: sie sind mein Eigenthum, welches Ich, so Mir's beliebt, vernichte. Ich erwarte von Euch nicht erst die Berechtigung, um eure Gedanken zu zersetzen und zu verblasen. Mich schiert es nicht, daß Ihr diese Gedanken auch die eurigen nennt, sie bleiben gleichwohl die meinigen, und wie Ich mit ihnen verfahren will, ist meine Sache, keine Anmaßung. Es kann Mir gefallen, Euch bei euren Gedanken zu lassen; dann schweige Ich. Glaubt Ihr, die Gedanken flögen so vogelfrei umher, daß sich Jeder welche holen dürfte, die er dann als sein untastbares Eigenthum gegen Mich geltend machte? Was umherfliegt, ist alles – mein.

Glaubt Ihr, eure Gedanken hättet Ihr für Euch und brauchtet sie vor keinem zu verantworten, oder, wie Ihr auch wohl sagt, Ihr hättet darüber nur Gott Rechenschaft abzulegen? [458] Nein, eure großen und kleinen Gedanken gehören Mir, und Ich behandle sie nach meinem Gefallen.

Eigen ist Mir der Gedanke erst, wenn Ich ihn jeden Augenblick in Todesgefahr zu bringen kein Bedenken trage, wenn Ich seinen Verlust nicht als einen Verlust für Mich, einen Verlust Meiner, zu fürchten habe. Mein eigen ist der Gedanke erst dann, wenn Ich zwar ihn, er aber niemals Mich unterjochen kann, nie Mich fanatisirt, zum Werkzeug seiner Realisation macht.

Also Gedankenfreiheit existirt, wenn Ich alle möglichen Gedanken haben kann; Eigenthum aber werden die Gedanken erst dadurch, daß sie nicht zu Herren werden können. In der Zeit der Gedankenfreiheit herrschen Gedanken (Ideen); bringe Ich's aber zum Gedankeneigenthum, so verhalten sie sich als meine Creaturen.

Wäre die Hierarchie nicht so ins Innere gedrungen, daß sie den Menschen allen Muth benahm, freie, d.h. Gott vielleicht mißfällige Gedanken zu verfolgen, so müßte man Gedankenfreiheit für ein ebenso leeres Wort ansehen, wie etwa eine Verdauungsfreiheit.

Nach der Meinung der Zünftigen wird Mir der Gedanke gegeben, nach der der Freidenker suche Ich den Gedanken. Dort ist die Wahrheit bereits gefunden und vorhanden, nur muß Ich sie vom Geber derselben durch Gnade – empfangen; hier ist die Wahrheit zu suchen und mein in der Zukunft liegendes Ziel, nach welchem Ich zu rennen habe.

In beiden Fällen liegt die Wahrheit (der wahre Gedanke) außer Mir, und Ich trachte ihn zu bekommen, sei es durch Geschenk (Gnade), sei es durch Erwerb (eigenes Verdienst). Also 1) Die Wahrheit ist ein Privilegium, 2) Nein, der [459] Weg zu ihr ist Allen patent, und weder die Bibel, noch der heilige Vater, oder die Kirche oder wer sonst ist im Besitz der Wahrheit: aber man kann ihren Besitz – erspeculiren.

Beide, das sieht man, sind eigenthumslos in Beziehung auf die Wahrheit: sie haben sie entweder als Lehen (denn der „heilige Vater“ z. B. ist kein Einziger; als Einziger ist er dieser Sixtus, Clemens u. s. w., aber als Sixtus, Clemens u. s. w. hat er die Wahrheit nicht, sondern als „heiliger Vater“, d. h. als ein Geist), oder als Ideal. Als Lehen ist sie nur für Wenige (Privilegirte), als Ideal für Alle (Patentirte).

Gedankenfreiheit hat also den Sinn, daß Wir zwar alle im Dunkel und aus den Wegen des Irrthums wandeln, Jeder aber auf diesem Wege sich der Wahrheit nähern könne und mithin auf dem rechten Wege sei („Jede Straße führt nach Rom, an's Ende der Welt u. s. w.“). Gedankenfreiheit bedeutet daher so viel, daß Mir der wahre Gedanke nicht eigen sei; denn wäre er dieß, wie wollte man Mich von ihm abschließen?

Das Denken ist ganz frei geworden, und hat eine Menge von Wahrheiten aufgestellt, denen Ich Mich fügen muß. Es sucht sich zu einem System zu vollenden und zu einer absoluten „Verfassung“ zu bringen. Im Staate z. B. sucht es etwa nach der Idee so lange, bis es den „Vernunft-Staat“ herausgebracht hat, in welchem Ich Mir's dann recht sein lassen muß; im Menschen (der Anthropologie) so lange, bis es „den Menschen gefunden hat“.

Der Denkende unterscheidet sich vom Glaubenden nur dadurch, daß er viel mehr glaubt als dieser, der sich seinerseits bei seinem Glauben (Glaubensartikel) viel weniger denkt. Der Denkende hat tausend Glaubenssätze, wo der Gläubige [460] mit wenigen auskommt; aber jener bringt in seine Sätze Zusammenhang und nimmt wiederum den Zusammenhang für den Maaßstab ihrer Würdigung. Paßt ihm einer oder der andere nicht in seinen Kram, so wirft er ihn hinaus.

Die Denkenden laufen in ihren Aussprüchen den Gläubigen parallel. Statt: „Wenn es aus Gott ist, werdet Ihr's nicht tilgen“, heißt's: „Wenn es aus der Wahrheit ist, wahr ist“; statt: „Gebt Gott die Ehre“ – „Gebt der Wahrheit die Ehre“. Es gilt Mir aber sehr gleich, ob Gott oder die Wahrheit siegt; zuvörderst will Ich siegen.

Wie soll übrigens innerhalb des Staates oder der Gesellschaft eine „unbeschränkte Freiheit“ denkbar sein? Es kann der Staat wohl Einen gegen den Andern schützen, aber sich selbst darf er doch nicht durch eine ungemessene Freiheit, eine sogenannte Zügellosigkeit, gefährden lassen. So erklärt der Staat bei der „Unterrichtsfreiheit“ nur dieß, daß ihm Jeder recht sei, der, wie es der Staat, oder faßlicher gesprochen, die Staatsgewalt haben will, unterrichtet. Auf dieß „wie es der Staat haben will“ kommt es für die Concurrirenden an. Will z. B. die Geistlichkeit nicht, wie der Staat, so schließt sie sich selber von der Concurrenz aus (s. Frankreich). Die Grenze, welche im Staate aller und jeder Concurrenz nothwendig gezogen wird, nennt man „die Ueberwachung und Oberaufsicht des Staates“. Indem der Staat die Unterrichtsfreiheit in die gebührenden Schranken weist, setzt er zugleich der Gedankenfreiheit ihr Ziel, weil nämlich die Leute in der Regel nicht weiter denken, als ihre Lehrer gedacht haben.

Man höre den Minister Guizot 36): „Die große Schwierigkeit [461] der heutigen Zeit ist die Leitung und Beherrschung des Geistes. Ehemals erfüllte die Kirche diese Mission, jetzt ist sie dazu nicht hinreichend. Die Universität ist es, von der dieser große Dienst erwartet werden muß, und sie wird nicht ermangeln, ihn zu leisten. Wir, die Regierung, haben die Pflicht, sie darin zu unterstützen. Die Charte will die Freiheit des Gedankens und die des Gewissens.“ Zu Gunsten also der Gedanken- und Gewissensfreiheit fordert der Minister „die Leitung und Beherrschung des Geistes“.

Der Katholicismus zog den Examinanden vor das Forum der Kirchlichkeit, der Protestantismus vor das der biblischen Christlichkeit. Es wäre nur wenig gebessert, wenn man ihn vor das der Vernunft zöge, wie z. B. Ruge will 37). Ob die Kirche, die Bibel oder die Vernunft (auf die sich übrigens schon Luther und Huß beriefen) die heilige Autorität ist, macht im Wesentlichen keinen Unterschied.

Lösbar wird die „Frage unserer Zeit“ noch nicht einmal dann, wenn man sie so stellt: Ist irgend ein Allgemeines berechtigt oder nur das Einzelne? Ist die Allgemeinheit (wie Staat, Gesetz, Sitte, Sittlichkeit u. s. w.) berechtigt oder die Einzelheit? Lösbar wird sie erst, wenn man überhaupt nicht mehr nach einer „Berechtigung“ fragt und keinen bloßen Kampf gegen „Privilegien“ führt. – Eine „vernünftige“ Lehrfreiheit, die „nur das Gewissen der Vernunft anerkennt“ 38), bringt Uns nicht zum Ziele; Wir brauchen vielmehr eine egoistische, eine Lehrfreiheit für alle Eigenheit, worin Ich zu einem Vernehmbaren werde und mich ungehemmt kund geben [462] kann. Daß Ich Mich „vernehmbar“ mache, das allein ist „Vernunft“, sei Ich auch noch so unvernünftig; indem Ich Mich vernehmen lasse und so Mich selbst vernehme, genießen Andere sowohl als Ich selber Mich, und verzehren Mich zugleich.

Was wäre denn gewonnen, wenn, wie früher das rechtgläubige, das loyale, das sittliche u.s.w. Ich frei war, nun das vernünftige Ich frei würde? Wäre dieß die Freiheit Meiner?

Bin Ich als „vernünftiges Ich“ frei, so ist das Vernünftige an Mir oder die Vernunft frei, und diese Freiheit der Vernunft oder Freiheit des Gedankens war von jeher das Ideal der christlichen Welt. Das Denken – und, wie gesagt, ist der Glaube auch Denken, wie das Denken Glaube ist – wollte man frei machen, die Denkenden, d. h. sowohl die Gläubigen als die Vernünftigen, sollten frei sein, für die Uebrigen war Freiheit unmöglich. Die Freiheit der Denkenden aber ist die „Freiheit der Kinder Gottes“ und zugleich die unbarmherzigste – Hierarchie oder Herrschaft des Gedankens: denn dem Gedanken erliege Ich. Sind die Gedanken frei, so bin Ich ihr Sklave, so habe Ich keine Gewalt über sie und werde von ihnen beherrscht. Ich aber will den Gedanken haben, will voller Gedanken sein, aber zugleich will Ich gedankenlos sein, und bewahre Mir statt der Gedankenfreiheit die Gedankenlosigkeit.

Kommt es darauf an, sich zu verständigen und mitzutheilen, so kann Ich allerdings nur von den menschlichen Mitteln Gebrauch machen, die Mir, weil Ich zugleich Mensch bin, zu Gebote stehen. Und wirklich habe Ich nur als Mensch Gedanken, als Ich bin Ich zugleich gedankenlos. [463] Wer einen Gedanken nicht los werden kann, der ist soweit nur Mensch, ist ein Knecht der Sprache, dieser Menschensatzung, dieses Schatzes von menschlichen Gedanken. Die Sprache oder „das Wort“ tyrannisirt Uns am ärgsten, weil sie ein ganzes Heer von fixen Ideen gegen uns aufführt. Beobachte Dich einmal jetzt eben bei deinem Nachdenken, und Du wirst finden, wie Du nur dadurch weiter kommst, daß Du jeden Augenblick gedanken- und sprachlos wirst. Du bist nicht etwa bloß im Schlafe, sondern selbst im tiefsten Nachdenken gedanken- und sprachlos, ja dann gerade am meisten. Und nur durch diese Gedankenlosigkeit, diese verkannte „Gedankenfreiheit“ oder Freiheit vom Gedanken bist Du dein eigen. Erst von ihr aus gelangst Du dazu, die Sprache als dein Eigenthum zu verbrauchen.

Ist das Denken nicht mein Denken, so ist es bloß ein fortgesponnener Gedanke, ist Sklavenarbeit oder Arbeit eines „Dieners am Worte“. Für mein Denken ist nämlich der Anfang nicht ein Gedanke, sondern Ich, und darum bin Ich auch sein Ziel, wie denn sein ganzer Verlauf nur ein Verlauf meines Selbstgenusses ist; für das absolute oder freie Denken ist hingegen das Denken selbst der Anfang, und es quält sich damit, diesen Anfang als die äußerste „Abstraction“ (z. B. als Sein) aufzustellen. Ebendiese Abstraction oder dieser Gedanke wird dann weiter ausgesponnen.

Das absolute Denken ist die Sache des menschlichen Geistes, und dieser ist ein heiliger Geist. Daher ist dieß Denken Sache der Pfaffen, die „Sinn dafür haben“, Sinn für die „höchsten Interessen der Menschheit“, für „den Geist“.

Dem Gläubigen sind die Wahrheiten eine ausgemachte Sache, eine Thatsache; dem frei Denkenden eine Sache, die erst [464] noch ausgemacht werden soll. Das absolute Denken sei noch so ungläubig, seine Ungläubigkeit hat ihre Schranken, und es bleibt doch ein Glaube an die Wahrheit, an den Geist, an die Idee und ihren endlichen Sieg: es sündigt nicht gegen den heiligen Geist. Alles Denken aber, das nicht gegen den heiligen Geist sündigt, ist Geister- oder Gespensterglaube.

Dem Denken kann ich so wenig entsagen, als dem Empfinden, der Thätigkeit des Geistes so wenig als der Sinnenthätigkeit. Wie das Empfinden unser Sinn für die Dinge, so ist das Denken unser Sinn für die Wesen (Gedanken). Die Wesen haben ihr Dasein an allem Sinnlichen, besonders am Worte. Die Macht der Worte folgt auf die der Dinge: erst wird man durch die Ruthe bezwungen, hernach durch Ueberzeugung. Die Gewalt der Dinge überwindet unser Muth, unser Geist; gegen die Macht einer Ueberzeugung, also des Wortes, verliert selbst die Folter und das Schwert seine Uebermacht und Kraft. Die Ueberzeugungsmenschen sind die pfäffischen, die jeder Lockung des Satans widerstehen.

Das Christenthum nahm den Dingen dieser Welt nur ihre Unwiderstehlichkeit, machte Uns unabhängig von ihnen. Gleicherweise erhebe Ich Mich über die Wahrheiten und ihre Macht: Ich bin wie übersinnlich so überwahr. Die Wahrheiten sind vor Mir so gemein und so gleichgültig wie die Dinge, sie reißen Mich nicht hin und begeistern mich nicht. Da ist auch nicht Eine Wahrheit, nicht das Recht, nicht die Freiheit, die Menschlichkeit u. s. w., die vor Mir Bestand hätte, und der ich mich unterwürfe. Sie sind Worte, nichts als Worte, wie dem Christen alle Dinge nichts als „eitle Dinge“ sind. In den Worten und den Wahrheiten (jedes Wort ist eine Wahrheit, wie Hegel behauptet, daß man keine Lüge sagen [465] könne) ist kein Heil für Mich, so wenig als für den Christen in den Dingen und Eitelkeiten. Wie Mich die Reichthümer dieser Welt nicht glücklich machen, so auch die Wahrheiten nicht. Die Versuchungsgeschichte spielt jetzt nicht mehr der Satan, sondern der Geist, und dieser verführt nicht durch die Dinge dieser Welt, sondern durch die Gedanken derselben, durch den „Glanz der Idee“.

Neben den weltlichen Gütern müssen auch alle heiligen Güter entwerthet hingestellt werden.

Wahrheiten sind Phrasen, Redensarten, Worte (λόγος); in Zusam­menhang oder in Reih' und Glied gebracht, bilden sie die Logik, die Wissenschaft, die Philosophie.

Zum Denken und Sprechen brauche Ich die Wahrheiten und Worte, wie zum Essen die Speisen; ohne sie kann Ich nicht denken noch sprechen. Die Wahrheiten sind der Menschen Gedanken, in Worten niedergelegt und deshalb ebenso vorhanden, wie andere Dinge, obgleich nur für den Geist oder das Denken vorhanden. Sie sind Menschensatzungen und menschliche Geschöpfe, und wenn man sie auch für göttliche Offenbarungen ausgiebt, so bleibt ihnen doch die Eigenschaft der Fremdheit für Mich, ja als meine eigenen Geschöpfe sind sie nach dem Schöpfungsacte Mir bereits entfremdet.

Der Christenmensch ist der Denkgläubige, der an die Oberherrschaft der Gedanken glaubt und Gedanken, sogenannte „Principien“ zur Herrschaft bringen will. Zwar prüft Mancher die Gedanken und wählt keinen derselben ohne Kritik zu seinem Herrn, aber er gleicht darin dem Hunde, der die Leute beschnoppert, um „seinen Herrn“ herauszuriechen: aus den herrschenden Gedanken sieht er's allezeit ab. Der Christ kann unendlich viel reformiren und revoltiren, kann die herrschenden [466] Begriffe von Jahrhunderten zu Grunde richten: immer wird er wieder nach einem neuen „Principe“ oder neuen Herrn trachten, immer wieder eine höhere oder „tiefere“ Wahrheit aufrichten, immer einen Cultus wieder hervorrufen, immer einen zur Herrschaft berufenen Geist proclamiren, ein Gesetz für Alle hinstellen.

Giebt es auch nur Eine Wahrheit, welcher der Mensch sein Leben und seine Kräfte widmen müßte, weil er Mensch ist, so ist er einer Regel, Herrschaft, Gesetz u. s. w. unterworfen, ist Dienstmann. Solche Wahrheit soll z. B. der Mensch, die Menschlichkeit, die Freiheit u. s. w. sein.

Dagegen kann man so sagen: Ob Du mit dem Denken Dich des Weiteren befassen willst, das kommt auf Dich an; nur wisse, daß, wenn Du es im Denken zu etwas Erheblichem bringen möchtest, viele und schwere Probleme zu lösen sind, ohne deren Ueberwindung Du nicht weit kommen kannst. Es existirt also keine Pflicht und kein Beruf für Dich, mit Gedanken (Ideen, Wahrheiten) Dich abzugeben, willst Du's aber, so wirst Du wohlthun, das, was Anderer Kräfte in Erledigung dieser schwierigen Gegenstände schon gefördert haben, zu benutzen.

So hat also, wer denken will, allerdings eine Aufgabe, die er sich mit jenem Willen bewußt oder unbewußt setzt; aber die Aufgabe zu denken oder zu glauben hat Keiner. – Im ersteren Falle kann es heißen: Du gehst nicht weit genug, hast ein beschränktes und befangenes Interesse, gehst der Sache nicht auf den Grund, kurz bewältigst sie nicht vollständig. Andererseits aber, so weit Du auch jedesmal kommen magst, Du bist doch immer zu Ende, hast keinen Beruf weiter zu schreiten und kannst es haben, wie Du willst oder vermagst. Es steht damit, wie mit einer andern Arbeit, die Du aufgeben kannst, [467] wenn Dir die Lust dazu abgeht. Ebenso wenn Du eine Sache nicht mehr glauben kannst, so hast Du zum Glauben Dich nicht zu zwingen oder als mit einer heiligen Glaubenswahrheit Dich fortdauernd zu beschäftigen, wie es die Theologen oder Philosophen machen, sondern kannst getrost dein Interesse aus ihr zurückziehen und sie laufen lassen. Die pfäffischen Geister werden Dir freilich diese Interesselosigkeit für „Faulheit, Gedankenlosigkeit, Verstocktheit, Selbsttäuschung“ u. dgl. auslegen. Aber laß Du den Bettel nur dennoch liegen. Keine Sache, kein sogenanntes „höchstes Interesse der Menschheit“, keine „heilige Sache“ ist werth, daß Du ihr dienest, und um ihretwillen Dich damit befassest; ihren Werth magst Du allein darin suchen, ob sie Dir um Deinetwillen werth ist. Werdet wie die Kinder, mahnt der biblische Spruch. Kinder aber haben kein heiliges Interesse und wissen nichts von einer „guten Sache“. Desto genauer wissen sie, wonach ihnen der Sinn steht, und wie sie dazu gelangen sollen, das bedenken sie nach besten Kräften.

Das Denken wird so wenig als das Empfinden aufhören. Aber die Macht der Gedanken und Ideen, die Herrschaft der Theorien und Principien, die Oberherrlichkeit des Geistes, kurz die – Hierarchie währt so lange, als die Pfaffen, d. h. Theologen, Philosophen, Staatsmänner, Philister, Liberale, Schulmeister, Bedienten, Aeltern, Kinder, Eheleute, Proud'hon, George Sand, Bluntschli u. s. w., u. s. w. das große Wort führen: die Hierarchie wird dauern, so lange man an Principien glaubt, denkt, oder auch sie kritisirt: denn selbst die unerbittlichste Kritik, die alle geltenden Principien untergräbt, glaubt schließlich doch an das Princip.

Es kritisirt Jeder, aber das Kriterium ist verschieden. [468] Man jagt dem „rechten“ Kriterium nach. Dieß rechte Kriterium ist die erste Voraussetzung. Der Kritiker geht von einem Satze, einer Wahrheit, einem Glauben aus. Dieser ist nicht eine Schöpfung des Kritikers, sondern des Dogmatikers, ja er wird sogar gewöhnlich aus der Zeitbildung ohne Weiteres aufgenommen, wie z. B. „die Freiheit“, „die Menschlichkeit“ u. s. w. Der Kritiker hat nicht „den Menschen gefunden“, sondern als „der Mensch“ ist diese Wahrheit vom Dogmatiker festgestellt worden, und der Kritiker, der übrigens mit jenem dieselbe Person sein kann, glaubt an diese Wahrheit, diesen Glaubenssatz. In diesem Glauben und besessen von diesem Glauben kritisirt er.

Das Geheimniß der Kritik ist irgend eine „Wahrheit“: diese bleibt ihr energirendes Mysterium.

Aber Ich unterscheide zwischen dienstbarer und eigener Kritik. Kritisire Ich unter der Voraussetzung eines höchsten Wesens, so dient meine Kritik dem Wesen und wird um seinetwillen geführt: bin Ich z. B. besessen von dem Glauben an einen „freien Staat“, so kritisire Ich alles dahin Einschlagende von dem Gesichtspunkte aus, ob es diesem Staate convenirt; denn Ich liebe diesen Staat; kritisire ich als Frommer, so zerfällt Mir Alles in göttlich und teuflisch, und die Natur besteht vor meiner Kritik aus Gottesspuren oder Teufelsspuren (daher Benennungen wie: Gottesgabe, Gottesberg, Teufelskanzel u. s. w.), die Menschen aus Gläubigen und Ungläubigen u. s. w.; kritisire Ich, indem Ich an den Menschen als das „wahre Wesen“ glaube, so zerfällt Mir zunächst Alles in den Menschen und den Unmenschen u. s. w.

Die Kritik ist bis auf den heutigen Tag ein Werk der Liebe geblieben: denn wir übten sie allezeit einem Wesen zu [469] Liebe. Alle dienstbare Kritik ist ein Liebesproduct, eine Besessenheit, und verfährt nach jenem neutestamentlichen: „Prüfer Alles und das Gute behaltet.“ 39) „Das Gute“ ist der Prüfstein, das Kriterium. Das Gute, unter tausenderlei Namen und Gestalten wiederkehrend, blieb immer die Voraussetzung, blieb der dogmatisch feste Punkt für diese Kritik, blieb die – fixe Idee.

Unbefangen setzt der Kritiker, indem er sich an die Arbeit macht, die „Wahrheit voraus, und in dem Glauben, daß sie zu finden sei, sucht er die Wahrheit. Er will das Wahre ermitteln und hat daran eben jenes „Gute“.

Voraussetzen heißt nichts anders, als einen Gedanken voranstellen, oder etwas vor allem Andern denken und von diesem Gedachten aus das Uebrige denken, d. h. es daran messen und kritisiren. Mit andern Worten sagt dieß so viel, daß das Denken mir einem Gedachten beginnen soll. Begönne das Denken überhaupt, statt begonnen zu werden, wäre das Denken ein Subject, eine eigene handelnde Persönlichkeit, wie schon die Pflanze eine solche ist, so wäre freilich nicht davon abzustehen, daß das Denken mit sich anfangen müsse. Allein die Personification des Denkens bringt eben jene unzähligen Irrthümer zu Stande. Im Hegel'schen Systeme wird immer so gesprochen, als dächte und handelte das Denken oder „der denkende Geist“, d. h. das personificirte Denken, das Denken als Gespenst; im kritischen Liberalismus heißt es stets: „die Kritik“ thue das und das, oder auch: „das Selbstbewußtsein“ finde das und das. Gilt aber das Denken für das persönlich Handelnde, so muß das Denken selbst vorausgesetzt sein, [470] gilt die Kritik dafür, so muß gleichfalls ein Gedanke voranstehen. Denken und Kritik könnten nur von sich aus thätig, müßten selbst die Voraussetzung ihrer Thätigkeit sein, da sie, ohne zu sein, nicht thätig sein könnten. Das Denken aber, als Vorausgesetztes, ist ein fixer Gedanke, ein Dogma: Denken und Kritik könnten also nur von einem Dogma ausgehen, d. h. von einem Gedanken, einer fixen Idee, einer Voraussetzung.

Wir kommen damit wieder auf das oben Ausgesprochene zurück, daß das Christenthum in der Entwicklung einer Gedankenwelt bestehe, oder daß es die eigentliche „Gedankenfreiheit“ sei, der „freie Gedanke“, der „freie Geist“. Die „wahre“ Kritik, die Ich die „dienstbare“ nannte, ist daher ebenso die „freie“ Kritik, denn sie ist nicht mein eigen.

Anders verhält es sich, wenn das Deinige nicht zu einem Fürsichseienden gemacht, nicht personificirt, nicht als ein eigener „Geist“ verselbständigt wird. Dein Denken hat nicht „das Denken“ zur Voraussetzung, sondern Dich. Aber so setzest Du Dich doch voraus? Ja, aber nicht Mir, sondern meinem Denken. Vor meinem Denken bin – Ich. Daraus folgt, daß meinem Denken nicht ein Gedanke vorhergeht, oder daß mein Denken ohne eine „Voraussetzung“ ist. Denn die Voraussetzung, welche Ich für mein Denken bin, ist keine vom Denken gemachte, keine gedachte, sondern ist das gesetzte Denken selbst, ist der Eigner des Denkens, und beweist nur, daß das Denken nichts weiter ist, als – Eigenthum, d. h. daß ein „selbständiges“ Denken, ein „denkender Geist“ gar nicht existirt.

Diese Umkehrung der gewöhnlichen Betrachtungsweise könnte einem leeren Spiel mit Abstractionen so ähnlich sehen, [471] daß selbst diejenigen, gegen welche sie gerichtet ist, ihrer harmlosen Wendung sich ergäben, wenn nicht practische Folgen sich daran knüpften.

Um diese in einen bündigen Ausdruck zu bringen, so wird nun behauptet, daß nicht der Mensch das Maaß von Allem, sondern daß Ich dieses Maaß sei. Der dienstbare Kritiker hat ein anderes Wesen, eine Idee, vor Augen, welchem er dienen will; darum schlachtet er seinem Gotte nur die falschen Götzen. Was diesem Wesen zu Liebe geschieht, was wäre es anders, als ein – Werk der Liebe? Ich aber habe, wenn Ich kritisire, nicht einmal Mich vor Augen, sondern mache Mir nur ein Vergnügen, amüsire Mich nach meinem Geschmacke: je nach meinem Bedürfniß zerkaue Ich die Sache, oder ziehe nur ihren Duft ein.

Sprechender noch wird der Unterschied beider Verfassungsarten sich herausstellen, wenn man bedenkt, daß der dienstbare Kritiker, weil ihn die Liebe leitet, der Sache selbst zu dienen meint.

Die Wahrheit oder „die Wahrheit überhaupt“ will man nicht aufgeben, sondern suchen. Was ist sie anders als das être suprême, das höchste Wesen? Verzweifeln müßte auch die „wahre Kritik“, wenn sie den Glauben an die Wahrheit verlöre. Und doch ist die Wahrheit nur ein – Gedanke, aber nicht bloß einer, sondern sie ist der Gedanke, der über alle Gedanken ist, der unumstößliche Gedanke, sie ist der Gedanke selbst, der alle andern erst heiligt, ist die Weihe der Gedanken, der „absolute“, der „heilige“ Gedanke. Die Wahrheit hält länger vor, als alle Götter; denn nur in ihrem Dienste und ihr zu Liebe hat man die Götter und zuletzt selbst den Gott gestürzt. Den Untergang der Götterwelt überdauert [472] „die Wahrheit“, denn sie ist die unsterbliche Seele dieser vergänglichen Götterwelt, sie ist die Gottheit selber.

Ich will antworten auf die Frage des Pilatus: Was ist Wahrheit? Wahrheit ist der freie Gedanke, die freie Idee, der freie Geist; Wahrheit ist, was von Dir frei, was nicht dein eigen, was nicht in deiner Gewalt ist. Aber Wahrheit ist auch das völlig Unselbständige, Unpersönliche, Unwirkliche und Unbeleibte; Wahrheit kann nicht auftreten, wie Du auftrittst, kann sich nicht bewegen, nicht ändern, nicht entwickeln: Wahrheit erwartet und empfängt alles von Dir und ist selbst nur durch Dich: denn sie existirt nur in – deinem Kopfe. Du giebst das zu, daß die Wahrheit ein Gedanke sei, aber nicht jeder Gedanke sei ein wahrer, oder, wie Du's auch wohl ausdrückst, nicht jeder Gedanke ist wahrhaft und wirklich Gedanke. Und woran missest und erkennst Du den wahren Gedanken? An deiner Ohnmacht, nämlich daran, daß Du ihm nichts mehr anhaben kannst! Wenn er Dich überwältigt, begeistert und fortreißt, dann hälst Du ihn für den wahren. Seine Herrschaft über Dich documentirt Dir seine Wahrheit, und wenn er Dich besitzt und Du von ihm besessen bist, dann ist Dir wohl bei ihm, denn dann hast Du deinen – Herrn und Meister gefunden. Als Du die Wahrheit suchtest, wonach sehnte sich dein Herz da? Nach deinem Herrn! Du trachtetest nicht nach deiner Gewalt, sondern nach einem Gewaltigen, und wolltest einen Gewaltigen erhöhen („Erhöhet den Herrn, unsern Gott!“). Die Wahrheit, mein lieber Pilatus, ist – der Herr, und Alle, welche die Wahrheit suchen, suchen und preisen den Herrn. Wo existirt der Herr? Wo anders als in deinem Kopfe? Er ist nur Geist, und wo immer Du ihn wirklich zu erblicken glaubst, da ist er ein – Gespenst; der Herr ist ja bloß ein [473] Gedachtes, und nur die christliche Angst und Qual, das Unsichtbare sichtbar, das Geistige leibhaftig zu machen, erzeugte das Gespenst und war der furchtsame Jammer des Gespensterglaubens.

So lange Du an die Wahrheit glaubst, glaubst Du nicht an Dich und bist ein – Diener, ein – religiöser Mensch. Du allein bist die Wahrheit, oder vielmehr, Du bist mehr als die Wahrheit, die vor Dir gar nichts ist. Allerdings fragst auch Du nach der Wahrheit, allerdings „kritisirst“ auch Du, aber Du fragst nicht nach einer „höhern Wahrheit“, die nämlich höher wäre als Du, und kritisirst nicht nach dem Kriterium einer solchen. Du machst Dich an die Gedanken und Vorstellungen wie an die Erscheinungen der Dinge nur zu dem Zwecke, um sie Dir mundgerecht, genießbar und eigen zu machen, Du willst sie nur bewältigen und ihr Eigner werden, willst Dich in ihnen orientiren und zu Hause wissen, und befindest sie wahr oder siehst sie in ihrem wahren Lichte dann, wenn sie Dir nicht mehr entschlüpfen können, keine ungepackte oder unbegriffene Stelle mehr haben, oder wenn sie Dir recht, wenn sie dein Eigenthum sind. Werden sie nachgehends wieder schwerer, entwinden sie deiner Gewalt sich wieder, so ist das eben ihre Unwahrheit, nämlich deine Ohnmacht. Deine Ohnmacht ist ihre Macht, deine Demuth ihre Hoheit. Ihre Wahrheit also bist Du oder ist das Nichts, welches Du für sie bist und in welches sie zerfließen, ihre Wahrheit ist ihre Nichtigkeit.

Erst als das Eigenthum Meiner kommen die Geister, die Wahrheiten, zur Ruhe, und sie sind dann erst wirklich, wenn ihnen die leidige Existenz entzogen und sie zu einem Eigenthum Meiner gemacht werden, wenn es nicht mehr heißt: die Wahrheit [474] entwickelt sich, herrscht, macht sich geltend, die Geschichte (auch ein Begriff) siegt u. dergl. Niemals hat die Wahrheit gesiegt, sondern stets war sie mein Mittel zum Siege, ähnlich dem Schwerte („das Schwert der Wahrheit“). Die Wahrheit ist todt, ein Buchstabe, ein Wort, ein Material, das Ich verbrauchen kann. Alle Wahrheit für sich ist todt, ein Leichnam; lebendig ist sie nur in derselben Weise, wie meine Lunge lebendig ist, nämlich in dem Maaße meiner eigenen Lebendigkeit. Die Wahrheiten sind Material wie Kraut und Unkraut; ob Kraut oder Unkraut, darüber liegt die Entscheidung in Mir.

Mir sind die Gegenstände nur Material, das Ich verbrauche. Wo Ich hingreife, fasse Ich eine Wahrheit, die Ich Mir zurichte. Die Wahrheit ist Mir gewiß, und Ich brauche sie nicht zu ersehnen. Der Wahrheit einen Dienst zu leisten, ist nirgends meine Absicht; sie ist Mir nur ein Nahrungsmittel für meinen denkenden Kopf, wie die Kartoffel für meinen verdauenden Magen, der Freund für mein geselliges Herz. So lange Ich Lust und Kraft zu denken habe, dient Mir jede Wahrheit nur dazu, sie nach meinem Vermögen zu verarbeiten. Wie für den Christen die Wirklichkeit oder Weltlichkeit, so ist für Mich die Wahrheit „eitel und nichtig“. Sie existirt gerade so gut, als die Dinge dieser Welt fortexistiren, obgleich der Christ ihre Nichtigkeit bewiesen hat; aber sie ist eitel, weil sie ihren Werth nicht in sich hat, sondern in Mir. Für sich ist sie werthlos. Die Wahrheit ist eine – Creatur.

Wie Ihr durch eure Thätigkeit unzählige Dinge herstellt, ja den Erdboden neu gestaltet und überall Menschenwerke errichtet, so mögt Ihr auch noch zahllose Wahrheiten durch euer Denken ermitteln, und Wir wollen Uns gerne daran erfreuen. [475] Wie Ich Mich jedoch nicht dazu hergeben mag, eure neu entdeckten Maschinen maschinenmäßig zu bedienen, sondern sie nur zu meinem Nutzen in Gang setzen helfe, so will Ich auch eure Wahrheiten nur gebrauchen, ohne Mich für ihre Forderungen gebrauchen zu lassen.

Alle Wahrheiten unter Mir sind Mir lieb; eine Wahrheit über Mir, eine Wahrheit, nach der Ich Mich richten müßte, kenne Ich nicht. Für Mich giebt es keine Wahrheit, denn über Mich geht nichts! Auch nicht mein Wesen, auch nicht das Wesen des Menschen geht über Mich! Und zwar über Mich, diesen „Tropfen am Eimer“, diesen „unbedeutenden Menschen“!

Ihr glaubt das Aeußerste gethan zu haben, wenn Ihr kühn behauptet, es gebe, weil jede Zeit ihre eigene Wahrheit habe, keine „absolute Wahrheit“. Damit laßt Ihr ja dennoch jeder Zeit ihre Wahrheit, und erschafft so recht eigentlich eine „absolute Wahrheit“, eine Wahrheit, die keiner Zeit fehlt, weil jede Zeit, wie ihre Wahrheit auch immer sei, doch eine „Wahrheit“ hat.

Soll nur gesagt sein, daß man in jeder Zeit gedacht, mithin Gedanken oder Wahrheiten gehabt hat, und daß diese in der folgenden Zeit andere waren, als in der früheren? Nein, es soll heißen, daß jede Zeit ihre „Glaubenswahrheit“ hatte; und in der That ist noch keine erschienen, worin nicht eine „höhere Wahrheit“ anerkannt worden wäre, eine Wahrheit, der man als „Hoheit und Majestät“ sich unterwerfen zu müssen glaubte. Jede Wahrheit einer Zeit ist die fixe Idee derselben, und wenn man später eine andere Wahrheit fand, so geschah dieß immer nur, weil man eine andere suchte: man reformirte nur die Narrheit und zog ihr ein modernes Kleid an. Denn [476] man wollte doch – wer durfte an der Berechtigung hierzu zweifeln? – man wollte von einer „Idee begeistert“ sein. Man wollte von einem Gedanken beherrscht, – besessen sein! Der modernste Herrscher dieser Art ist „unser Wesen“ oder „der Mensch“.

Für alle freie Kritik war ein Gedanke das Kriterium, für die eigene Kritik bin Ich's, Ich, der Unsagbare, mithin nicht bloß Gedachte; denn das bloß Gedachte ist stets sagbar, weil Wort und Gedanke zusammenfallen. Wahr ist, was mein ist, unwahr das, dem Ich eigen bin; wahr z. B. der Verein, unwahr der Staat und die Gesellschaft. Die „freie und wahre“ Kritik sorgt für die consequente Herrschaft eines Gedankens, einer Idee, eines Geistes, die „eigene“ für nichts als meinen Selbstgenuß. Darin aber gleicht die letztere in der That – und Wir wollen ihr diese „Schmach“ nicht ersparen! – der thierischen Kritik des Instinctes. Mir ist es, wie dem kritisirenden Thiere, nur um Mich, nicht „um die Sache“ zu thun. Ich bin das Kriterium der Wahrheit, Ich aber bin keine Idee, sondern mehr als Idee, d. h. unaussprechlich. Meine Kritik ist keine „freie“, nicht frei von Mir, und keine „dienstbare“, nicht im Dienste einer Idee, sondern eine eigene.

Die wahre oder menschliche Kritik bringt nur heraus, ob etwas dem Menschen, dem wahren Menschen convenire; durch die eigene Kritik aber ermittelst Du, ob es Dir convenirt.

Die freie Kritik beschäftigt sich mit Ideen, und ist deshalb stets theoretisch. Wie sie auch gegen die Ideen wüthen möge, so kommt sie doch von ihnen nicht los. Sie schlägt sich mit den Gespenstern herum, aber sie kann dieß nur, indem [477] sie dieselben für Gespenster hält. Die Ideen, mit denen sie's zu thun hat, verschwinden nicht völlig: der Morgenhauch eines neuen Tages verscheucht sie nicht.

Der Kritiker kann zwar zur Ataraxie gegen die Ideen kommen, aber er wird sie niemals los, d. h. er wird nie bereisen, daß nicht über dem leibhaftigen Menschen etwas Höheres existire, nämlich seine Menschlichkeit, die Freiheit u. s. w. Es bleibt ihm immer noch ein „Beruf“ des Menschen übrig, die „Menschlichkeit“. Und diese Idee der Menschlichkeit bleibt unrealisirt, weil sie eben „Idee“ bleibt und bleiben soll.

Fasse Ich dagegen die Idee als meine Idee, so ist sie bereits realisirt, weil Ich ihre Realität bin: ihre Realität besteht darin, daß Ich, der Leibhaftige, sie habe.

Man sagt, in der Weltgeschichte realisire sich die Idee der Freiheit. Umgekehrt, diese Idee ist reel, sowie ein Mensch sie denkt, und sie ist in dem Maaße reel als sie Idee ist, d.h. als Ich sie denke oder habe. Nicht die Idee der Freiheit entwickelt sich, sondern die Menschen entwickeln sich und entwickeln in dieser Selbstentwicklung natürlich auch ihr Denken.

Kurz der Kritiker ist noch nicht Eigner, weil er mit den Ideen noch als mit mächtigen Fremden kämpft, wie der Christ nicht Eigner seiner „schlechten Begierden“ ist, so lange er sie zu bekämpfen hat: wer gegen das Laster streitet, für den existirt das Laster.

Die Kritik bleibt in der „Freiheit des Erkennens“, der Geistesfreiheit, stecken, und der Geist gewinnt seine rechte Freiheit dann, wenn er sich mit der reinen, der wahren Idee erfüllt; das ist die Denkfreiheit, die nicht ohne Gedanken sein kann. [478]

Es schlägt die Kritik eine Idee nur durch eine andere, z. B. die des Privilegiums durch die der Menschheit, oder die des Egoismus durch die der Uneigennützigkeit.

Ueberhaupt tritt der Anfang des Christenthums in seinem kritischen Ende wieder auf, indem hier wie dort der „Egoismus“ bekämpft wird. Nicht Mich, den Einzelnen, sondern die Idee, das Allgemeine, soll Ich zur Geltung bringen.

Krieg des Pfaffenthums mit dem Egoismus, der geistlich Gesinnten mit den weltlich Gesinnten macht ja den Inhalt der ganzen christlichen Geschichte aus. In der neuesten Kritik wird dieser Krieg nur allumfassend, der Fanatismus vollständig. Freilich kann er auch so erst, nachdem er sich ausgelebt und ausgewüthet hat, vergehen.

 

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Ob, was Ich denke und thue, christlich sei, was kümmert's Mich? Ob es menschlich, liberal, human, ob unmenschlich, illiberal, inhuman, was frag' Ich darnach? Wenn es nur bezweckt, was Ich will, wenn Ich nur Mich darin befriedige, dann belegt es mit Prädikaten wie Ihr wollt: es gilt Mir gleich.

Auch Ich wehre Mich vielleicht schon im nächsten Augenblicke gegen meinen vorigen Gedanken, auch Ich ändere wohl plötzlich meine Handlungsweise; aber nicht darum, weil sie der Christlichkeit nicht entspricht, nicht darum, weil sie gegen die ewigen Menschenrechte läuft, nicht darum, weil sie der Idee der Menschheit, Menschlichkeit und Humanität in's Gesicht schlägt, sondern – weil Ich nicht mehr ganz dabei bin, weil sie Mir keinen vollen Genuß mehr bereitet, weil Ich an dem [479] früheren Gedanken zweifle oder in der eben geübten Handlungsweise Mir nicht mehr gefalle.

Wie die Welt als Eigenthum zu einem Material geworden ist, mit welchem Ich anfange, was Ich will, so muß auch der Geist als Eigenthum zu einem Material herabsinken, vor dem Ich keine heilige Scheu mehr trage. Zunächst werde Ich dann nicht ferner vor einem Gedanken schaudern, er erscheine so verwegen und „teuflisch“ als er wolle, weil, wenn er Mir zu unbequem und unbefriedigend zu werden droht, sein Ende in meiner Macht liegt; aber auch vor keiner That werde Ich zurückbeben, weil ein Geist der Gottlosigkeit, Unsittlichkeit, Widerrechtlichkeit darin wohne, so wenig als der heilige Bonifacius von dem Umhauen der heiligen Heideneiche aus religiöser Bedenklichkeit abstehen mochte. Sind einst die Dinge der Welt eitel geworden, so müssen auch die Gedanken des Geistes eitel werden.

Kein Gedanke ist heilig, denn kein Gedanke gelte für „Andacht“, kein Gefühl ist heilig (kein heiliges Freundschaftsgefühl, Muttergefühl u. s. w.), kein Glaube ist heilig. Sie sind alle veräußerlich, mein veräußerliches Eigenthum, und werden von Mir vernichtet wie geschaffen.

Der Christ kann alle Dinge oder Gegenstände, die geliebtesten Personen, diese „Gegenstände“ seiner Liebe, verlieren, ohne Sich, d. h. im christlichen Sinne seinen Geist, seine Seele, verloren zu geben. Der Eigner kann alle Gedanken, die seinem Herzen lieb waren und seinen Eifer entzündeten, von sich werfen und wird gleichfalls „tausendfältig wieder gewinnen“, weil Er, ihr Schöpfer, bleibt.

Unbewußt und unwillkührlich streben Wir alle der Eigenheit zu, und schwerlich wird Einer unter Uns sein, der [480] nicht ein heiliges Gefühl, einen heiligen Gedanken, einen heiligen Glauben aufgegeben hätte, ja Wir begegnen wohl keinem, der sich nicht aus einem oder dem andern seiner heiligen Gedanken noch erlösen könnte. All unser Streit wider Ueberzeugungen geht von der Meinung aus, daß Wir den Gegner etwa aus seinen Gedankenverschanzungen zu vertreiben fähig seien. Aber was Ich unbewußt thue, das thue Ich halb, und darum werde Ich nach jedem Siege über einen Glauben wieder der Gefangene (Besessene) eines Glaubens, der dann von neuem mein ganzes Ich in seinen Dienst nimmt und Mich zum Schwärmer für die Vernunft macht, nachdem Ich für die Bibel zu schwärmen aufgehört, oder zum Schwärmer für die Idee der Menschheit, nachdem Ich lange genug für die der Christenheit gefochten habe.

Wohl werde Ich als Eigner der Gedanken so gut mein Eigenthum mit dem Schilde decken, wie Ich als Eigner der Dinge nicht Jedermann gutwillig zugreifen lasse; aber lächelnd zugleich werde Ich dem Ausgange der Schlacht entgegensehen, lächelnd den Schild auf die Leichen meiner Gedanken und meines Glaubens legen, lächelnd, wenn Ich geschlagen bin, triumphiren. Das eben ist der Humor von der Sache. Seinen Humor an den Kleinlichkeiten der Menschen auszulassen, das vermag Jeder, der „erhabnere Gefühle“ hat; ihn aber mit allen „großen Gedanken, erhabenen Gefühlen, edler Begeisterung und heiligem Glauben“ spielen zu lassen, das setzt voraus, daß Ich der Eigner von Allem sei.

Hat die Religion den Satz aufgestellt, Wir seien allzumal Sünder, so stelle Ich ihm den andern entgegen: Wir sind allzumal vollkommen! Denn wir sind jeden Augenblick Alles, was Wir sein können, und brauchen niemals mehr zu sein. [481]

Da kein Mangel an Uns haftet, so hat auch die Sünde keinen Sinn. Zeigt Mir noch einen Sünder in der Welt, wenn's Keiner mehr einem Höheren recht zu machen braucht! Brauche Ich's nur Mir recht zu machen, so bin Ich kein Sünder, wenn Ich's Mir nicht recht mache, da Ich in Mir keinen „Heiligen“ verletze; soll Ich dagegen fromm sein, so muß Ich's Gott recht machen, soll Ich menschlich handeln, so muß Ich's dem Wesen des Menschen, der Idee der Menschheit u. s. w. recht machen. Was die Religion den „Sünder“ nennt, das nennt die Humanität den „Egoisten“. Nochmals aber, brauche Ich's keinem Andern recht zu machen, ist dann der „Egoist“, in welchem die Humanität sich einen neumodischen Teufel geboren hat, mehr als ein Unsinn? Der Egoist, vor dem die Humanen schaudern, ist so gut ein Spuk, als der Teufel einer ist: er existirt nur als Schreckgespenst und Phantasiegestalt in ihrem Gehirne. Trieben sie nicht zwischen dem altfränkischen Gegensatz von Gut und Böse, dem sie die modernen Namen von „Menschlich“ und „Egoistisch“ gegeben haben, unbefangen hin und her, so würden sie auch nicht den ergrauten „Sünder“ zum „Egoisten“ aufgefrischt und einen neuen Lappen auf ein altes Kleid geflickt haben. Aber sie konnten nicht anders, denn sie Halten's für ihre Aufgabe, „Menschen“ zu sein. Den Guten sind sie los, das Gute ist geblieben!

Wir sind allzumal vollkommen, und auf der ganzen Erde ist nicht Ein Mensch, der ein Sünder wäre! Es giebt Wahnsinnige, die sich einbilden, Gott Vater, Gott Sohn oder der Mann im Monde zu sein, und so wimmelt es auch von Narren, die sich Sünder zu sein dünken; aber wie jene nicht der Mann im Monde sind, so sind diese – keine Sünder. Ihre Sünde ist eingebildet. [482]

Aber, wirft man verfänglicher Weise ein, so ist doch ihr Wahnsinn oder ihre Besessenheit wenigstens ihre Sünde. Ihre Besessenheit ist nichts als das, was sie – zu Stande bringen konnten, das Resultat ihrer Entwicklung, wie Luthers Bibelgläubigkeit eben Alles war, was er herauszubringen – vermochte. Der Eine bringt sich mit seiner Entwicklung in's Narrenhaus, der Andere bringt sich damit in's Pantheon und um die – Walhalla.

Es giebt keinen Sünder und keinen sündigen Egoismus!

Geh' Mir vom Leibe mit Deiner „Menschenliebe“! Schleiche Dich hinein, Du Menschenfreund, in die „Höhlen des Lasters“, verweile einmal in dem Gewühl der großen Stadt: wirst Du nicht überall Sünde und Sünde und wieder Sünde finden? Wirst Du nicht jammern über die verderbte Menschheit, nicht klagen über den ungeheuern Egoismus? Wirst Du einen Reichen sehen, ohne ihn unbarmherzig und „egoistisch“ zu finden? Du nennst Dich vielleicht schon Atheist, aber dem christlichen Gefühle bleibst Du treu, daß ein Kameel eher durch ein Nadelöhr gehe, als daß ein Reicher kein „Unmensch“ sei. Wie viele siehst Du überhaupt, die Du nicht unter die „egoistische Masse“ würfest? Was hat also deine Menschenliebe gefunden? Lauter unliebenswürdige Menschen! Und woher stammen sie alle? Aus Dir, aus deiner Menschenliebe ! Du hast den Sünder im Kopfe mitgebracht, darum fandest Du ihn, darum schobst Du ihn überall unter. Nenne die Menschen nicht Sünder, so sind sie's nicht: Du allein bist der Schöpfer der Sünder: Du, der Du die Menschen zu lieben wähnst, Du gerade wirfst sie in den Koth der Sünde, Du gerade scheidest sie in Lasterhafte und Tugendhafte, in Menschen und Unmenschen, Du gerade besudelst sie mit dem [483] Geifer deiner Besessenheit; denn Du liebst nicht die Menschen, sondern den Menschen. Ich aber sage Dir, Du hast niemals einen Sünder gesehen, Du hast ihn nur – geträumt. Der Selbstgenuß wird Mir dadurch verleidet, daß Ich einem Andern dienen zu müssen meine, daß Ich Mich ihm verpflichtet wähne, daß Ich Mich zu „Aufopferung“, „Hingebung“, „Begeisterung“ berufen halte. Wohlan, diene Ich keiner Idee, keinem „höheren Wesen“ mehr, so findet sich's von selbst, daß Ich auch keinem Menschen mehr diene, sondern – unter allen Umständen – Mir. So aber bin Ich nicht bloß der That oder dem Sein nach, sondern auch für mein Bewußtsein der – Einzige.

Dir kommt mehr zu, als das Göttliche, das Menschliche u. s. w.; Dir kommt das Deinige zu.

Sieh Dich als mächtiger an, als wofür man Dich ausgiebt, so hast Du mehr Macht; sieh Dich als mehr an, so hast Du mehr.

Du bist dann nicht bloß berufen zu allem Göttlichen, berechtigt zu allem Menschlichen, sondern Eigner des Deinigen, d. h. alles dessen, was Du Dir zu eigen zu machen Kraft besitzest, d.h. Du bist geeignet und befähigt zu allem Deinigen.

Man hat immer gemeint, Mir eine außerhalb Meiner liegende Bestimmung geben zu müssen, so daß man zuletzt Mir zumuthete, Ich sollte das Menschliche in Anspruch nehmen, weil Ich – Mensch sei. Dieß ist der christliche Zauberkreis. Auch Fichte's Ich ist dasselbe Wesen außer Mir, denn Ich ist Jeder, und hat nur dieses Ich Rechte, so ist es „das Ich“, nicht Ich bin es. Ich bin aber nicht ein Ich neben andern Ichen, sondern das alleinige Ich: Ich bin einzig. Daher sind auch meine Bedürfnisse einzig, meine Thaten, kurz Alles an Mir ist einzig. Und nur als dieses einzige Ich nehme Ich Mir Alles zu eigen, wie Ich nur als dieses Mich bethätige und entwickle. Nicht als Mensch und nicht den Menschen entwickle Ich, sondem als Ich entwickle Ich – Mich.

Dieß ist der Sinn des – Einzigen.

 

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1) Röm. 8, 14. 

2) Vergl. mit Röm. 8, 14. – 1 Joh. 3, 10. 

3) Z. B. Marx in den deutsch-franz. Jahrbb. S. 197. 

4) Br. Bauer Judenfr. S. 61.  

5) Heß, Triarchie. S. 76. 

6) Wesen d. Christenth., zweite Auflage. S. 401. 

7) Marc. 3, 29. 

8) Vergl.: „Die Communisten in der Schweiz“, Commissionalbericht. S. 3. 

9) A. Becker, Volksphilosophie. S. 22 f. 

10) „Ich bitte Dich, verschone meine Lunge! Wer Recht behalten will und hat nur eine Zunge, behält's gewiß!“ 

11) Dieß Buch gehört dem König. S. 376. 

12) S. 376. 

13) S. 374. 

14) S. 381. 

15) S. 385. 

16) S. Politische Reden 10. S. 153. 

17) Vom Nachfolgenden gilt, was in der Schlußanmerkung hinter dem humanen Liberalismus gesagt wurde, daß es nämlich ebenfalls gleich nach dem Erscheinen des angeführten Buches niedergeschrieben wurde. 

18) Création de l'ordre p. 485. 

19) Kölner Dom. S. 4. 

20) B. Bauer Lit. Ztg. 8, 22. 

21) E. u. Z. B. S. 89 ff. 

22) Z. B. Qu'est ce que propriété, p. 83. 

23) In einer Registrationsbill für Irland stellte die Regierung den Antrag, Wähler diejenigen sein zu lassen, welche 5 Pfund Sterling Armensteuer entrichten. Also wer Almosen giebt, der erwirbt politische Rechte, oder wird anderwärts Schwanenritter. 

24) Diesen Ausdruck gebrauchte der Minister Stein vom Grafen von Reisach, als er diesen der bairischen Regierung kaltherzig preisgab, weil ihm, wie er sagte, „ein Gouvernement wie Baiern mehr werth sein müsse, als ein simples Individuum“. Reisach hatte im Auftrage Stein's gegen Montgelas geschrieben, und Stein willigte später in die von Montgelas gerade dieses Buchs wegen geforderte Auslieferung Reisachs, S. Hinrichs Politische Vorlesungen I, 280. 

25) Auf Gymnasien und Universitäten u. s. w. concurriren Arme mit Reichen. Aber sie vermögens meist nur durch Stipendien, die – was bedeutend – fast alle aus einer Zeit stammen, wo die freie Concurrenz noch weit davon entfernt war, als Princip zu walten. Das Princip der Concurrenz stiftet keine Stipendien, sondern meint: Hilf Dir selbst, d. h. verschaff Dir die Mittel. Was der Staat zu solchem Zwecke hergiebt, das legt er auf Interessen an, um sich „Diener“ heranzubilden. 

26) II, S. 91. ff. (Siehe meine obige Anmerkung.) 

27) Athanasius. 

28) Feuerbach, Wesen d. Chr. 394. 

29) Um Mich gegen eine Criminalklage zu sichern, bemerke Ich zum Ueberfluß ausdrücklich, daß Ich das Wort „Empörung“ wegen seines etymologischen Sinnes wähle, also nicht in dem beschränkten Sinne gebrauche, welcher vom Strafgesetzbuche verpönt ist. 

30) 1 Cor. 15, 26. 

31) 2 Tim. 1, 10. 

32) Der Communismus in der Schweiz. S. 24. 

33) Ebend. S. 63. 

34) Römer 1, 25. 

35) S. 47 ff. 

36) Pairskammer den 25. April 1844. 

37) Anecdota 1, 120. 

38) Anecdota 1, 127. 

39) 1 Thess. 5, 21.