B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Wilhelm Waiblinger
1804 -1830
     
   


D i e   B r i t e n   i n   R o m

N o v e l l e
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Text:
Wilhelm Waiblinger,
Mein flüchtiges Glück. Eine Auswahl
Hrsg.: W. Hartwig, Berlin/DDR 1974


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     Der Abend kam, es waren einige Stunden vor Mitternacht, als ein Wagen nach dem andern vor dem Hause des Lord M. anrasselte und sich nach und nach der halbe Spanische Platz mit Karossen anfüllte. Der Vater selbst mit dem Sohne empfing die Gäste, meist vornehme Briten und Britinnen, unter denen wir bald unsern trefflichen Irländer an der Seite des Herrn Ironius erkennen, und sofort wurde man der Lady vorgestellt, welche an der Seite ihres jungfräulichen Augapfels saß und diesmal durch eine ungeheure Masse falscher Locken und den allerbarocksten abenteuerlichsten Putz ihrem Gesicht etwas besonders Ledernes gegeben hatte, so daß Ironius zu dem Irländer hinflüsterte: „Ich weiß nicht, Sir Thomas, warum, aber es ist gewiß, sooft ich das zähe, widrige, fade Gesicht dieser Lady sehe, so denk ich immer unwillkürlich an das, was die Italiener baccalà und die Deutschen Stockfisch nennen.“ Der Irländer geriet in Verlegenheit und half sich durch eine dumme Gebärde.
     Die Damen, welche erschienen, hatten auch nur einen Gesichtscharakter; ob sie hübsch oder häßlich waren, so trugen sie doch den Nationalstempel unverkennbar auf den Mund gedrückt, weswegen Ironius oft sagte: „Die Engländer haben alle einen Mund, Mann und Weib; daran sind sie sogleich zu erkennen! Er scheint von der Natur für die Sprache organisiert zu sein und kontrastiert schreiend gegen den Mund des Italieners, der für den Klang der reinsten Vokale geschaffen ist! Auch die hölzerne Form des Kopfes, die oft harte und vordrückende, ziegenartige Stirne, unter der ein Auge voll geistreichem, modernem Wesen, oft raffiniert, oft naiv, oft hämisch, liegt, sind charakteristische Zeichen für den Insulaner.“
     Jetzt aber trat eine Gesellschaft Italiener herein, und unter ihnen Camilla Mognaschi. Ihr Vater, ein robuster, schwarzbärtiger, großäugiger Römer, führte sie, und einige Paini oder Corsostutzer folgten, junge Herrchen voll Eleganz, blaß und schwächlich; eine schwarze Locke gegens Auge hingekräuselt, gab ihnen ein gar schmächtiges Aussehn, und ihre bewegliche Figur überhaupt bildete einen interessanten Gegensatz zu den englischen oder ägyptischen Osirisstatuen, von denen der Saal erfüllt war.
     Unser Henry suchte sich so artig zu bücken, als er nur vermochte, und brachte Camillen zu seiner Mutter und Schwester, welche ihr eine höchst gnädige Verbeugung machten und sie baten, sich niederzulassen. Die Römerin, nach einigen höflichen Redensarten, worauf jene bloß mit yes antworteten, nahm neben Miß Rebekka Platz, und Henry stellte sich in nicht unbedeutender Verlegenheit neben sie, nicht wissend, was er sprechen, wie er den Cavaliere servente oder gar den amante spielen solle.
     „Bemerken Sie auch einen Unterschied“, flüsterte Ironius zu seinem Irländer, „zwischen jenen beiden an Jahren ziemlich gleichen Damen? Miß Rebekka ist schön, ihre Farbe ist schneeweiß und ihr Gesicht wahrhaft elfenbeinern, so fein und modern poliert, als nur möglich ist; zwischen dem Mäulchen und den studierten blauen Augen sitzt ein kleines, geistreiches, schnippisches Näschen, ihr Haar ist rötlich und steht ihr gut, ihr Anzug einfach und geeignet, den schlanken, langen Riesenwuchs ihres Leibes zu zeigen; wie alles geistig an ihr ist, so fehlt auch Busen und Hüfte, Nacken und alles; ja man könnte sie mit einer Hand bequem umspannen. Sehen Sie dagegen die Römerin neben ihr! Wollte nicht die Natur eben das Gegenteil von jener zustandebringen oder, besser gesagt, scheint jene nicht die Arbeit einer trefflichen Kunstfabrik, einer neuen Erfindung, ein Sujet für ein Modejournal zu sein und diese das reine Geschöpf der Natur? Sehen Sie das Oval dieses Kopfes, diese kräftig und keck gezeichneten Züge, diese ausdrucksvollen, plastischen Formen, dieses warme, gesättigte Kolorit, dies üppige, glänzende Haar, dies unwiderstehliche schwarze Auge! Welch eine gedrängte, kräftige Fülle! Welch eine entzückende Wellenlinie über die Schultern zu der Wölbung des Nackens hinunter, welch ein Busen, welch eine ausgebildete, üppige Gestalt! Sehen Sie, dort bei der Britin wollte die Kunst die Natur erreichen, polierte, schnitzelte, modellierte, aber umsonst! Sieht sie nicht gegen die Römerin aus wie eine britannische Sandfläche gegen einen vollblühenden frascatanischen Lorbeerhain? Die Fabrik suchte die Natur sogar noch zu überbieten, daher das Geistreiche, Sentimentale, Gelehrte, Steife, Schnippische in jenem Gesicht, während hier nichts als die einfachsten Leidenschaften eines feurigen, gesunden Temperaments hervortreten. Jene Britin, welche selbst nur, wie die Dampfmaschine, das Werk einer genialen Erfindung zu sein scheint, ist darum auch nur für die erfundene künstliche, nicht für die natürliche Liebe geeignet, während diese schlicht und einfach ihrem Instinkt folgt und mit Leib und Seele zu dem hinreißt, wozu ein Weib geboren ist. Das ist ein Busen, um ein frisches, kräftiges Kind zu nähren, das ist ein Mund zum Kusse, das ist ein Nacken zum Umschlingen! Erlauben Sie mir ein anderes Bild, so ist Miß Rebekka eine Modellfigur zum Studium der Anatomie oder lieber eine bloße Drahtpuppe zum Studium der Draperie, und die Italienerin ist eine vollkommene Antike oder lieber eine glühend lebendige Venus.“
     Das war freilich kein Gespräch für den Irländer, und Ironius sagte im Ernst das alles auch nur für den Leser.
     Unterdessen hatte sich eine Schar Engländer um den Onkel gesammelt, über die er alle gleich einem Obeliskus emporragte. Man beklagte sich, wie gewöhnlich, über das Ungemach einer Reise durch Italien, und einer erzählte, daß er sich lange in Tivoli aufgehalten. Weil ihm nun der Tempel der Sibylle, der so malerisch auf dem Felsen am Abgrund der niederdonnernden Fluten steht, besonders gefallen, so hab er getrachtet, ihn in seine Gewalt zu bringen, ihn zu kaufen, abtragen und nach England schiffen zu lassen. Mit einer horrenden Summe hab er endlich den Tempel überkommen, allein denke man sich die italienische Spitzbüberei, der tiburtinische Senat erklärte, daß er allerdings sein sei, aber daß er auf dem Platze stehenbleiben müsse, wo er seit alten Römerzeiten gestanden.
     Ironius mischte sich ebenfalls unter sie, und einer sprach: „Man muß nur verstehen, in Italien zu reisen, dann ist's leicht, und man kommt billig durch. Ich zahle jedesmal nur die Hälfte dessen, was gefordert wird, und dieser Rat eines erfahrnen Freundes hat mir schon viel genützt. So will ich unlängst von der Peterskirche nach Hause fahren, und der Kutscher verlangt unverschämterweise zwei Zechinen!“
     Ein allgemeines Murren entstand, man verwunderte sich über die Maßen, und der Erzählende fuhr fort: „Aber bekannt mit der Art, wie man solche Schelme behandeln muß, biet ich die Hälfte und komme so um zwei Piaster nach Hause. Es will Ortskenntnis, es will Erfahrung und Gewandtheit, dann ist man außer Sorgen.“
     Nun gut, dachte Ironius, du hast noch tüchtig als Engländer bezahlt, du bist der Mann, um einen Italiener zu behandeln! Trotzdem, daß du die Hälfte bezahltest, hast du doch noch zehnmal mehr geben müssen, als der Brauch unter andern Christen ist!
     Inzwischen standen die römischen Stutzer beisammen, im Gespräch mit einigen Franzosen. Da hörte man denn: „Wie gefällt Ihnen die neue Rossinische Oper? Ah, die ‹Mathilde Shabran› ist eine Musik von solcher Herrlichkeit, von solcher hinreißenden Schönheit, daß ich sie dem ‹Moses›, der ‹Semiramis›, dem ‹Barbier von Sevilla› gleichstelle! Und welche Partien für die Primadonna, den Engel, unsere unsterbliche, göttliche Boccabadati! Ah, welche Gänge, welche Triller, wahrlich zum Verschmachten süß und herrlich! Wie einzig ist das bekannte, so sehr applaudierte — —“ Dabei wurde eine Melodie ganz leise angegeben. — „Beim Himmel, Rossini ist der erste Kompositeur der Welt!“ — Ein anderer brachte den unsterblichen Sgricci auf, „Haben Sie ihn gehört? Er hat in Arezzo eine Akademie gegeben und eine Tragödie improvisiert. Sie glückte unsäglich, das Florentiner Blatt ist voll von ihm, und Italien nennt ihn sein erhabenstes Dichtergenie! Welche Begeisterung, welch ein Schwung! welche Darstellung der Leidenschaften, welche unschätzbaren Reden und Sentenzen! Er hält den klassischen Stil von Alfieri fest!“ — Ein Dritter: „Haben Sie Rosa Taddei schon gehört? Sie hat im Karneval mehrere Akademien gegeben und zu Harfenbegleitung improvisiert, zwar keine Tragödien, aber doch Ottaven und Anakreontika, zum Teil auf sehr schwierige Themen. Ich gab auf: ‹Wer war tugendhafter, Regulus oder Cato? ›, und sie führte das Thema, das durchs Los getroffen wurde, wirklich vortrefflich zugunsten des erstern aus.“ — Ein Vierter: „Die letzte Musikunterhaltung in der Philharmonika war göttlich! Rossinis ‹Zelmira› konnte nicht besser von Dilettanten aufgeführt werden! Welche Stimme hat doch die Primadonna! und der erste Baß!“ Dann sprach man weiter vom Caffè Ruspoli, vom Korsofahren, von den bald zu erwartenden Feuerwerken und Nachtbeleuchtungen im Mausoleum des Augustus, von den Dichtern Monti, Parini, Ugo Foscolo, Pindemonti, Passaroni, Manzoni, Niccolini und von den Schauspielern im Valle.
     Die Briten, unter denen Ironius stand, unterhielten sich jetzt über den Karneval. „Wie gefällt es Ihnen?“ fragte einer den Irländer. — „Ich hab ihn noch nicht gesehen“, antwortete er, „aber er wird schön sein, sehr schön, außerordentlich schön!“ Einer erzählte, daß er jeden Tag wenigstens drei, vier Skudi für Konfetti ausgegeben, und Ironius ergriff das Wort und sagte: „Der römische Karneval wäre ein armseliges Vergnügen ohne die Fremden und besonders ohne Ihre vortreffliche Nation. Die Römer sind arm und werfen höchstens einige Paule für Konfetti hinaus, der Engländer schüttet Körbe über die Menge her, läßt hageln und stürmen, sitzt wie ein Gott in seiner Karosse, die eine Hand in einer Wanne voll Zucker und die andere mit der Lorgnette am Auge! Ja, sie sind eigentlich die Herren des Karnevals! Ihre Damen sind die ersten! Sie sind's, die einen Skudo für Blumensträuße ausgeben und ihren Landsmänninnen zuwerfen! Sie verstehen dieses Fest so gut, betragen sich so karnevalsmäßig, sind so geistreich, so witzig, ohne den Ernst und die Würde ihrer Nation zu verlieren, daß man sie auch trotz der Maske kennt, daß es gleichsam unmöglich für sie ist, sich zu verstecken. So erinnere ich mich zum Beispiel, diesen Herrn im Festino gesehen zu haben; er ging als Türke kostümiert, und wiewohl er über und über in den kostspieligsten Putz gehüllt war, wiewohl ihn hundert italienische Arlecchine, Bajazzi, Pulcinelle, Doktoren und Grafen anredeten, ohne daß er auch nur eine Antwort gab, wette ich doch, daß er es gewesen.“
     Aber suchen wir die Hauptpersonen auf, unsern guten Henry und seine Römerin. Sie saßen nebeneinander, und der verliebte Brite konnte sich nicht satt an dem glutatmenden Geschöpf sehen, mit dem er doch eben nicht recht sprechen konnte. „Sie sind wieder sehr melancholisch“, sagte Camilla, „Sir Henry! In der Tat, man sollte glauben, Sie wären so alt und ehrwürdig als das Kolosseum!“
     „Wer auch nur immer heitern Humors sein kann!“ entgegnete der Engländer. „Camilla —“
     „Ei die Jugend! Ich für meine Person, warum sollt ich's nicht sagen, habe wenig trübe Stunden, und wenn mich dies oder jenes auch ein wenig in Wut bringt, so kühl ich mir das Mütchen und singe mich aus und bin wieder wie zuvor.“
     „Camilla — hören Sie —“
     „Öfters kommt Herr Luigi, der so einzig Klavier spielt, und wir machen einige Sonaten zusammen, oder er begleitet mich auch wohl zum Gesang.“
     „Camilla, Sie hören nicht —“
     „Und welch ein himmlisch Vergnügen, einen Gesang aus Tasso oder Ariost zu rezitieren —“
     „Aber Camilla, aber, liebe Camilla, Sie bringen mich zur Verzweiflung. Versprechen Sie mir eines, nur eines —“
     „Und was soll ich Ihnen denn versprechen? Wissen Sie, was ich Ihnen versprechen will? Ich schwöre Ihnen, nichts von alledem auszusagen, was die vielen Herrn hier englisch reden.“
     „Die Schwermut drückt mich nieder —“
     „Reiten Sie spazieren!“
     „Ich bin so allein!“
     „Suchen Sie Gesellschaft!“
     „Ich ennuyiere mich!“
     „So gehen Sie aufs Land!“
     „Dann bin ich Ihnen fern, schöne Camilla!“
     „Was liegt daran? Wenn Sie sich doch immer mit Grillen plagen!“
     „Sie sind so kalt, so unzärtlich, so fühllos —“
     „Im Gegenteil, Sir Henry, der Vater schilt mich täglich, daß ich zu sensibel sei, und nennt mich einen unerträglichen Hitzkopf!“
     „Ein liebend Herz könnte mich selig machen.“
     „So heiraten Sie!“
     „Aber wen?“
     „Ein Frauenzimmer!“
     „Camilla, Sie sind grausam! Und wenn ich nicht überzeugt bin, daß ich geliebt werde, wie dann?“
     „So heiraten Sie ohne Liebe!“
     „Und das sagen Sie mir?“
     „Nun, so heiraten Sie gar nicht —“
     „Camilla, ist's Ihr Ernst?“
     „Signor Enrico, Sie machen mich lachen, indem Sie mich zwingen zu sagen, so heiraten Sie eine andere! Es gibt so viele schöne, geistreiche junge Mädchen in der Welt, so viele hübsche, liebenswürdige Männer —“
     Das letztere hörte Miß Rebekka und sah die Mutter kopfschüttelnd an. In diesem Augenblick kam der Lord und bat Camillen, ans Klavier zu treten. Sie erhob sich, Henry folgte, und Rebekka konnte sich Luft machen! „Guter Himmel“, sagte sie, „welche Lebensart! welche feine Weltsitte. Spricht von — nein, Mutter, es ist zu schrecklich! —, spricht von heiraten, ohne nur ein bißchen rot zu werden! O wie ist Henry doch so blind! Es ist ja eine Qual, neben ihr zu sitzen! Jeden Augenblick ein Wort, worüber man sich für sie zu schämen hat.“
     Henry war der Verzweiflung nahe, und wer dächte auch warum? Er wollte, daß sich Camilla durchaus nicht hören lasse, es war ihm im Innersten zuwider, es schien ihm unweiblich, unwürdig zu sein oder lieber, er hatte nun einmal die Grille!
     Aber wie es verhindern? Wie mit Camilla nur sprechen? Schon hatte sich einer der Römer ans Klavier gesetzt und blätterte in den Noten; Henry trat außer sich zu Camillen hin und sagte so leise als nur möglich, aber mit dem Ausdruck eines Verzweifelten: „Camilla, ich beschwöre Sie, wenn Ihnen meine Liebe etwas gilt, singen Sie nicht, singen Sie nicht! Stellen Sie sich unwohl!“
     Die Römerin sah ihn an, wie man einen betrachtet, den man für verrückt halten möchte. Sie griff in aller Ruhe nach dem Notenblatte und setzte sich in Bereitschaft, zu singen. Alles hatte sich jetzt um sie her versammelt und sah die schöne Gestalt, den edeln Kopf an, dessen großen Charakterzügen, dessen lebensfrohem, mutigem Geiste die Nachtbeleuchtung einen höchst reizenden Ausdruck gab. Henry konnte nicht weiter in sie dringen, er mußte es zulassen; er stampfte im Grimm auf den Boden, er verfluchte diesen Augenblick und war entrüstet über Camillen.
     Aber die präludierenden Töne klangen, und sie hub an mit einem Affekt, mit einer Empfindung, mit einer Wahrheit und Kraft zu singen, daß ihr ganzes Wesen verändert wurde, daß ihr großes Strahlenauge bald in Zärtlichkeit verschmachten, bald in Flammen einer Begeisterten ausbrechen wollte, daß ihr Busen wild aufatmete und jede Bewegung nur Leidenschaft zu verraten schien.
     Es saß neben der Lady M. eine ältliche Britin, bei deren Gesicht man gar nichts denken konnte, war sie dumm oder geistreich, gut oder bös, stolz oder demütig, roh oder gebildet, das konnte man nicht in der ganz und gar ausdruckslosen Physiognomie lesen; worüber man allein Gewißheit hatte, das war ihre Häßlichkeit und ihr rotes Haar. Zu dieser sprach die Lady: „Diese Italienerin wäre schön? Welch ein grobes, derbes Gesicht! welche große, breite Nase! welche stiere, freche Augen!“
     „Sie haben recht, Mylady“, erwiderte die Rotbehaarte, „alles nach grobem Schnitt, Gesicht, Haar, Figur und Kleidung. Sehen Sie Ihre liebenswürdige Rebekka an, scheint sie nicht fast ein übersinnliches Wesen gegen jene zu sein? Und die Römerin wäre gut gewachsen? Aber stille, man hört uns!“
     „Welch ein plumper Wuchs!“ fuhr die Lady fort. „Rebekka ist eine Lilie dagegen. Welch ein dicker Oberleib! Wie ist sie weit um die Hüften! Welches struppige, unfeine Haar!“
     „Und ihre Gebärden, Mylady, wie affektiert, wie ausgelassen!“
     „Und ihre Kleidung, recht wie eine Türkin! Ein rotes Barett in den Haaren!“
     „Wie sie mit ihrem Nacken prahlt, der doch gar nichts Zartes und Schönes hat! Und dieser Gesang!“
     „Affektiert, affektiert! — aber stille!“
     Der Eindruck bei den übrigen Gästen war höchst verschieden. So gewiß ist es, daß man nicht vernünftig tut, nach anderer Urteil zu fragen, indem uns nur höchst selten die Sache selbst, meist nur die Eigentümlichkeit der Person daraus klar wird, welche urteilt. Der Onkel flüsterte, sich von seiner Höhe zu einem Landsmann neben ihm herabbückend: „Italienische Schnörkel, Übertreibung, Karikatur!“ — Die römischen Stutzer stießen ein schmachtendes Bene! und Bravo! nach dem andern aus und meinten, daß Baccabadati im Valle nicht mit mehr Empfindung singe, und der Irländer sagte, indem er eine Prise in seine große Kupfernase schob: „Schön, ganz schön, außerordentlich schön!“ Henry stand auf glühenden Kohlen und verging fast vor Wut.
     Camilla endete, und ein gewaltiger Applaus erfolgte von großbritannischen und römischen Händen. Der Lord sagte ihr höchst schmeichelhafte Dinge, wie er ihr denn überhaupt wohlwollte und sie gern als seine Schwiegertochter gesehen hätte, wenn die grämliche Lady, welche ihn stark unter dem Pantoffel hielt, ihr nicht so abgeneigt gewesen wäre.
     Henry wollte der Sängerin etwas sagen, der Übermut wollt ihm den Busen sprengen, aber er fand sie so umgeben von Italienern, Franzosen und Engländern, welche ihr huldigten, daß nicht daran zu denken war, so daß nur seine Eifersucht noch erregt wurde.
     Man schlürfte Tee, man teilte sich wieder in kleinere Kreise, und in der Gruppe, die sich um die Lady und ihr Engelskind versammelte, beschloß man, morgen die Peterskuppel zu ersteigen.
     Henry sah Camillen in ununterbrochenem Gespräche mit ihren Römern und war umsonst bemüht, ein heimliches Wort an sie zu richten, und weil er lieber gar nichts sagen wollte als etwas Alltägliches, so schwieg er, stellte sich neben sie, glaubte angeredet zu werden, aber umsonst, die Römerin plauderte und lachte, scherzte und ließ sich huldigen und verließ den Saal mit einer vornehmen Verbeugung gegen Henry.
     „Ich hätt es nicht länger ausgehalten“, sagte sie im Wagen zu ihrem Vater, „noch sausen mir die Ohren von dem ewigen eintönigen Zwitschern und dem entsetzlichen ‹what, what, what!›.“
     Schleichen wir uns nun auch mit unserm Irländer und Ironius aus dieser Gesellschaft, in der wir uns ohne das Bild der jungen Mognaschi sicher gelangweilt hätten, und gehen wir mit jenem um Mitternacht nach Hause, wo ihn die hübsche Plebejerin mit einem Licht erwartete.
     Dem alten Herrn schien es aber gar nicht von Natur gegeben zu sein, mit Mädchen umgehen zu können; er wußte nicht, was er sprechen sollte, besonders da er im Italienischen noch keine großen Fortschritte gemacht hatte. Er wußte nichts anders zu tun, als mit den kleinen Äuglein zu blinzeln und zu sagen: „Ihr seid doch gar hübsch, recht hübsch, außerordentlich hübsch!“
     Die Minente machte sich nicht wenig lustig über ihn und ließ ihn sodann allein. Sir Thomas holte ein Fläschchen Est, est aus dem Schranke, setzte sich auf das Sofa und sagte zu sich selbst: „Morgen will ich weiter gehen, morgen will ich's probieren, ich will sehn, daß ich sie morgen ein wenig ums Kinn streicheln kann.“
     Schon wankte sein Haupt in Schlaftrunkenheit, als er einen Mandolinenklang auf der Straße hörte. Er öffnete das Fenster und schaute hinaus. Es war ein junger Bursche in trasteverinischer Tracht, der ein Liedchen abklimperte, aber zugleich bemerkte er, daß Rosa zum Fenster hinaussah.
     Wäre das vielleicht ihr Liebhaber? dachte der Irländer. Indem schlug Rosa das Fenster zu, und in kurzem hört' er an seine Türe klopfen. Es war die Plebejerin. „Ist das Euer Liebster“, rief der Irländer schmunzelnd, „der Mandolinspieler drunten?“ — „Ei behüte Gott!“ antwortete sie, „das ist ein junger Mensch, der den Fremden in Rom zuweilen ein Ständchen bringt! Es ist so Sitte hier, und die Herren Engländer geben ihm immer einen Skudo.“
     „Einen Skudo?“ rief Sir Thomas, „und mir das Ständchen?“
     „Ei, gewiß! fragt ihn nur selbst. Er ist der beste Spieler in Rom.“
     „Nun, weil Ihr so wollt, so soll er einen haben, aber nur Euch zuliebe, versteht Ihr? Bringt ihm die Piaster und sagt, daß ich nicht musikalisch sei und daß ich ihn nicht mehr hören wolle.“
     Die Minente nahm den Skudo und lief davon. Thomas war aber doch neugierig, schaute zum Fenster hinaus und bemerkte, daß die beiden etwas lange zusammen sprachen.
     Er schöpfte Verdacht, und nicht mit Unrecht. „Was zum Teufel“, rief er hinab, „flüstert ihr euch ins Ohr?“
     „O lieber Herr Engländer“, antwortete das Mädchen, „er sagt, daß Ihr ihm zuwenig gegeben und daß er immer fünfzehn Paul bekommen. Ihr werdet doch nicht schmutzig sein —“
     Thomas griff abermals nach dem Beutel, nahm einen andern halben Skudo, wickelte ihn ein und warf ihn hinab. „Aber jetzt ist's richtig“, rief er, „gute Nacht!“, und schlug das Fenster zu.
     Der Mandolinspieler aber nahm vom Liebchen lachend Abschied, sah zu Thomas' Fenster hinauf, drückte sich den Finger ans Auge und rief: „Gute Nacht, Engländer! du mußt mit meinem Mädchen nicht scherzen wollen!“

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