B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Wilhelm Waiblinger
1804 -1830
     
   


D i e   B r i t e n   i n   R o m

N o v e l l e
1 8 2 8

Text:
Wilhelm Waiblinger,
Mein flüchtiges Glück. Eine Auswahl
Hrsg.: W. Hartwig, Berlin/DDR 1974


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     Henry wollte den Abend mit der Mutter über die Mognaschische Angelegenheit sprechen, und er bemühte sich deswegen, sie zuvor willfährig zu stimmen. Er fuhr mit ihr auf die Promenade des Monte Pincio, wo des Winters die großbritannische Reisewelt zusammenkommt. Dort sah man Master A. und Master Z., man nickte sich stolz zu, manches bretterne Gesicht zwang sich zu einem Lächeln, manche Lorgnette glänzte vor dem Auge einer blond- oder rothaarigen Dame, und hie und da begegnete auch eine wespenschlanke Reiterin, in blauem, fliegendem Gewand und grünem Schleier, mit einem Köpfchen und Hütchen, wie eine Holzpuppe; denn das ist die eigentliche Promenade der Engländer, auch des Sommers, solange sie noch in der Stadt sind. Es kam auch vor, daß ein Wagen hielt und sich zwei bis drei dürre, lange Schönen daraus emporrichteten, um mit einem vorüberziehenden Reiter einige Worte zu sprechen, während dieser alsdann anhielt und das Roß nur ein wenig am Schwanze kitzelte, damit es steige und der Herr besser paradieren könne.
     Aber als man nach Hause kam und er nun unumwunden herausrückte, als er sagte, daß sein Lebensglück an die holde Camilla gebunden sei, daß er nächste Woche nicht nach Neapel reisen könne, ohne zuvor feierlich mit der Geliebten verlobt zu sein, so erklärte die Lady, daß sie nie ihre Einwilligung in eine Heirat dieser Art geben werde. Henry bat, beschwor, stellte vor, bestürmte, drohte, aber vergebens; die Lady setzte allen seinen Bitten und Beschwörungen die einfache, stolze Antwort entgegen: „Ich will keine Italienerin in meiner Familie sehen!“
     Was wollte nun unser armer Henry beginnen? Er hatte des Lords Erlaubnis, aber genügte diese, wenn die grämliche Mutter das Gegenteil wollte? Er kannte sie nur allzugut und wußte, daß der Lord zu allem yes sage, was sie befehle. Doch wollte er ihn zuvor noch einmal angehen und dann zu verzweifelten Mitteln greifen, wenn die andern nichts halfen.
     Den andern Morgen ging er früh aus. Der Onkel Kapitän stand eben am Fenster, als er nach einigen Stunden wieder zurückkam, und sah mit Befremdung, daß ein hochbepackter Esel zugleich mit ihm vor der Haustüre anlangte.
     Henry kam herauf und erzählte, daß er einige Kupferstiche eingekauft. „Kupferstiche?“ schrie der Onkel, „was bei allen Himmeln haben Sie wieder getan! Und was für Ware denn? Gott sei uns gnädig, wir bringen keinen Bajoccho mehr aus diesem vermaledeiten Pfaffennest hinaus!“
     „Liebster Onkel“, versetzte Henry, „das tun ja alle Reisende, nicht bloß wir Engländer! Wenn wir nach Hause kommen, wer wird uns denn glauben, daß wir in Italien gewesen, wenn wir nichts aufzuweisen haben? Ich bin ein Verehrer der Kunst und bin hieher gekommen, um sie zu studieren, warum hätt ich mir also nicht die Hauptwerke wenigstens im Kupferstich kaufen sollen, besonders da ich sie nicht alle im Original gesehen?“
     Indem erschien der Facchin, welcher die Last der eingekauften Merkwürdigkeiten heraufbrachte und seine Bezahlung verlangte. Er machte eine enorme Forderung für seine Mühe und erhielt die Hälfte, nachdem er sich lange mit den beiden zähen Briten herumgestritten.
     Was hatte der feine, sachverständige Sinn unseres neuen Yorick auch eingekauft? Ein halb Hundert Veduten aus Rom — Pinellis Kostüme und Volksszenen illuminiert —, die Stanzen und Logen Raffaels, die „Transfiguratione“, den „Girolamo“ des Dominicchino, die „Madonna von Foligno“, die vornehmsten Antiken, die Werke Canovas, Thorwaldsens und des Malers Camuccinis und endlich eine Menge gewaltiger Männer und alter Weiber zwischen architektonischer Zierat. „Was zum Teufel ist denn das?“ fragte sich Henry. — „Die ‹Propheten und Sibyllen› von Michelangelo; nein, wahrlich, diese hab ich nicht gesehen, und wo sind sie denn?“ Er schlug in einem Buche nach und fand: in der Sixtinischen Kapelle. „Ich war doch drin“, rief er, „aber diese Propheten sind mir entgangen, und ich habe, glaub ich, nur das Jüngste Gericht' gesehen! Sehen Sie, lieber Onkel, wie nützlich solche Kupferstiche sind!“
     Sofort zeigte er verschiedene, für Antiken ausgegebene Gemmen, alte Mosaike, eine Schachtel voll Medaillen aus den Kaiserzeiten und eine Menge antiquarischer Seltenheiten.
     „Aber was hat denn das alles gekostet?“ rief der Kapitän voll Schrecken.
     „Ich habe das Geld darauf verwandt, das mir der Vater gab, um ein Pferd zu kaufen.“
     Der Onkel sah ihn an, als ob er nicht bei Sinnen wäre. „Henry, das haben Sie getan?“
     Jetzt kam die Familie herbei. Der Kapitän jammerte und fluchte und deutete auf die Kunst- und Antiquitätensammlung; die Lady und die Miß machten sich drüberher, blätterten, wickelten auf und nahmen Henrys Partie. Der Lord blieb gleichgültig, und Ironius, welcher ebenfalls zugegen war, versicherte, daß Henry sehr wohlfeil eingekauft, daß die Gemmen, Münzen und Mosaiken alle echt seien und daß Henry ebensoviel Urteil als Geschmack und Sachkenntnis in der Auswahl dieser Kostbarkeiten an den Tag gelegt habe.
     Man achtete nicht auf des Onkels Wut, ob er gleich sagte, daß er dieses Schlaraffenleben nicht ansehn könne und daß er lieber allein nach England zurückkehren werde. Noch war man mit der Betrachtung der Kunstwaren beschäftigt, als zum freudigen Schrecken unsers beklommenen Henry und zum äußersten Mißvergnügen seiner Frau Mama die schöne Mognaschi mit ihrem Vater hereintrat.
     Henry ging ihr entgegen und bückte sich, um ihr die Hand zu küssen. Die Lady erhob sich mit steifem Anstande, und ihre ledernen Gesichtszüge gewannen einen Ausdruck, als ob sie den schärfsten spanischen Pfeffer in der Quaresima verschluckt hätte. Derselbe Ausdruck gab sich auch in dem Engelsgesichtchen der Miß zu erkennen, doch nur so, als ob's die Wirkung von einem herben Rettich oder von Senf oder Doppelkümmel oder Wurmpulver wäre.
     Camilla lächelte und verneigte sich tief, indem sie die beiden Engländerinnen sichtbar verhöhnte. Sie trug einen rosenfarbenen Schleier, der mit einem reichen, schimmernden Kamm in den Rabenhaaren hing und zur Seite auf eine Schulter niederwallte, und ein Gürtel voll glänzender Farben, aber freilich weit genug, um beide, die Lady und die Miß, zu umspannen, schlang sich unter dem üppigen Busen hin. In ihrem Angesicht brannte eine so warme, sinnliche Farbe, daß die beiden Gegnerinnen nur mit weißer Kreide gezeichnet zu sein schienen.
     Sie ließ sich der Miß gegenüber nieder, während der Lord den Vater bei der Hand nahm und ihn in ein anderes Zimmer führte. Henry setzte sich ihr zur Seite, und man hub an, von gleichgültigen Dingen, von dem St.-Peters-und-Pauls-Fest, von der Kuppelbeleuchtung St. Peters, von der Girandola zu sprechen. Die Lady, welche bedeutend schwach im Italienischen war, sprach zuweilen, ohne Rücksicht auf die Römerin, englisch.
     Camilla sagte endlich: „Und Sie erwarten nächsten Sonntag Ihren Bräutigam, Miß Rebekka?“
     Die Britin errötete und sah die Lady mit empfindlicher Miene an. Die Mutter drückte sich ihre Brille stärker auf die Nase und versetzte: „Es ist in unserm Vaterlande nicht Sitte, mit einer Dame wie Miß Rebekka von solchen Dingen zu reden. Aber, andere Länder, andere Sitten!“
     „Ja, das merk ich“, antwortete Camilla mit flammendem Auge, „und die englischen scheinen gar sehr verschieden von den unsrigen zu sein!“
     „Allerdings“, zwitscherte die Lady, „es ist erstaunlich, wie sie verschieden sind; ja, vergeben Sie, Signora Mognaschi, wenn man das Volk der niedern Klassen betrachtet, so möchte man meinen, daß es gar keine Sitten habe.“
     Henry saß wie auf glühenden Kohlen und fiel hastig ein: „Die Mutter meint die Domestiken, die Camerieri —“
     „Warum auch nur die Engländer nach Rom kommen!“ versetzte Camilla, spöttisch lächelnd.
     „Das wundervolle Land“, fiel Henry verlegen ein, „die klassischen Erinnerungen,die schöne Natur, die reizenden Mädchen —“
     „Reizende Mädchen“, rief Camilla, „nun das könnte die Männer etwa anlocken, aber die Damen? Sagen Sie mir, was führt denn diese her? Etwa die schöngestalteten Männer?“
     Rebekka stand auf und trat ans Fenster, indem sie ein Buch ergriff. Die Mutter aber biß die Zähne vor Ingrimm zusammen und sagte: „Ei, weder die Männer noch die Weiber suchen wir in Italien!“
     „Das wäre!“ versetzte die Mognaschi. „Ist es wahr, Signor Enrico?“
     Der arme Sohn befand sich in tödlicher Verlegenheit, er sah die Mutter so aufgebracht, daß er fürchten mußte, es werde zu einem öffentlichen Bruch kommen, und von Camilla konnte er überzeugt sein, daß sie kein empfindliches Wort der Mama vergeben werde, wohl aber hitziges Blut genug habe, um es doppelt und dreifach zurückzuzahlen. Wie sollte er es verhüten, wie sich gegen die Lady, wie gegen die Geliebte benehmen?
     Diese Verlegenheit stieg mit jedem Augenblick, und das jetzt eingetretene Schweigen schien ihm nur Vorbote eines um so heftigem Sturms zu sein. Er stammelte: „Signora Camilla, noch wenige Tage, und wir reisen nach Neapel ab. Meine Eltern verlangen, daß ich ihnen folge.“
     „Tun Sie's doch ja“, antwortete sie, „den Eltern muß man auch wider Willen folgen, das ist die Pflicht von uns Kindern, und Sie wissen, daß ich in einem gewissen Verhältnis diese Kindespflicht auch gegen meinen Vater beobachte!“
     „O Camilla“, rief Henry in aufflammender Leidenschaft, „Sie wissen nicht, was uns droht! — Bleiben Sie, Mutter, zürnen Sie nicht — lassen Sie sich erweichen — sehen Sie — werfen Sie einen Blick auf sie, wie sie schön, wie sie unwiderstehlich ist —“
     „Sind Sie von Sinnen, Enrico?“ rief die Römerin, sich aufrichtend und Mutter und Sohn mit großen Augen betrachtend.
     Enrico faßte die Hand der Lady, welcher die Wut im ganzen Gesicht und besonders in der Nase brannte. — „Versprechen Sie mir's, liebe, teure Mutter — willigen Sie ein, Sie gründen das Glück meines Lebens — vergessen Sie diese Vorurteile, diesen Stolz —“
     „Wo bin ich?“ fiel Camilla ein, „doch nicht etwa in einem — Narrenhause?“
     „Im Hause der Lady M. sind Sie, meine Dame“, schrie die Mutter gluterhitzt.
     „Um Gottes willen, Mutter, haben Sie Erbarmen, haben Sie Nachsicht, um meiner Liebe willen; Camilla, besänftigen Sie sich —“
     „So etwas mir?“ sagte diese, die Lady mit ihrem Strahlenauge durchbohrend, „so etwas von meiner künftigen Schwiegermutter?“
     „Schwiegermutter?“ rief jene, „o Sie irren sich, mein schönes Kind, so weit ist's noch nicht — eher keine Mutter sein als Schwiegermutter einer Italienerin.“
     Camilla stand wie erstarrt vor der Britin, an deren Hals das zärtliche Töchterchen hing, um sie zu beruhigen. — In diesem Moment kam der Lord mit Mognaschi herein; Henry stürzte auf ihn zu und rief: „O Vater, jetzt brauchen Sie Ihr Recht, Ihre Gewalt, jetzt zeigen Sie, wie Sie mich lieben, wie Sie mein Glück wollen! Die Mutter ist außer sich —“
     Camilla hatte dem allen zugehört und preßte einen Sturm von wütenden Empfindungen in der Brust zurück, die nun in dem flammenden Auge brannten. Endlich trat sie auf die Engländerin zu und sagte mit dem Ausdruck einer unsäglichen Verachtung: „Lady, es sind hier Männer zugegen, und wir würden uns lächerlich machen, wenn wir Weiber zusammen haderten. Unterdessen haben Sie mich von der Trefflichkeit Ihrer stolzen, englischen Sitten überzeugt, indem Sie mich in Ihrem Hause aufs empfindlichste beleidigten! Ich hoffe, daß Sie so viel Italienisch wissen, um mich zu verstehen. — Frauen können sich nicht aneinander rächen; wenn die eine beleidigt, wie Sie, so kann es die andere nur mit innigem Mitleid erwidern, indem sie mehr der Torheit und Eitelkeit als dem Verstand und bösen Willen die Schuld gibt. In solcher Gesinnung habe ich Ihre Worte aufgenommen, und ich hoffe, Ihnen jetzt eine Probe von römischen Sitten gegeben zu haben.“
     Damit ergriff sie den Vater beim Arm, welcher wie aus dem Himmel gefallen dastand, indem er mit dem Lord unterdessen ganz entgegengesetzte Dinge besprochen. „Laß uns fort, lieber Vater“, sagte die Tochter mit gewaltsam bezähmter Wut. „Ich wünsche Signor Enrico eine Frau wie Mylady!“
     Mognaschi starrte den Lord an, er sah Henry auf einem Sitze die Hände ringen, dennoch folgte er blindlings der heftigen Tochter und verließ unsere britische Familie.
     Im Nachhausegehen erzählte Camilla dem Vater den Vorfall, und dieser fand sich nicht wenig beleidigt. Er schrieb sogleich dem Lord ein Billett, worin er Genugtuung verlangte.
     Kaum waren sie angekommen, als Camilla den Shawl herausnahm, den ihr Henry verehrte, und ihn auf den Boden warf; alles andere, was sie von ihm hatte, folgte diesem nach. „Sehen Sie nun, Vater, was es für Leute sind, diese Engländer?“ sagte sie, „das ist die Folge davon, daß Sie sich ihnen so rücksichtslos hingaben; ich muß es nun büßen, mein ist die Schande und der Verdruß. — O ich will den Augenblick nie vergessen, da diese häßliche Mumie mir so etwas ins Gesicht sagte. Vater, Sie haben Ihr Kind sehr empfindlich verletzt.“
     Dieser lief auf sein Zimmer, in der Absicht, den Lord auf Pistolen zu fordern. Indem erscholl eine bekannte Stimme draußen; Camilla riß die Türe auf, und der junge Limonienhändler stand vor ihr. Noch hing ihr der Schleier in den Haaren, noch war sie nicht angekleidet, noch war sie glutrot vom erlittenen Schimpf.
     Aber wie sie den Geliebten sah, stürzte sie ihm mit einem Freudenruf an den Hals und küßt' ihn mit rasender Inbrunst! „Nun ist's vorüber mit den Engländern“, rief sie, „nun bin ich ganz die Deine, nun soll mich auch kein Brite mehr haben, und wenn sie dem Vater das Kolosseum mit Diamanten ausfüllen — geh's, wie's wolle, nun leb ich nur dir, nur du mußt mein werden, und wenn ich mit dir davonlaufen sollte!“
     Florindo erstaunte, setzte seine Zitronenkörbe zur Erde und fragte. Die Geliebte erzählte so schnell, so wild, als es ihr die Leidenschaft und der flüchtige Moment gebot.
     Der Lombarde erheiterte sein schönes Angesicht, und sein Auge flammte. Camilla konnte nicht satt werden, ihn zu herzen; sie spielte mit seinen schwarzen, üppigen Locken und überdeckt' ihn mit Küssen.
     Da griff er in den Busen und nahm ein Bild heraus. „Gefällt dir dieser Limonienhändler?“ fragte er, die Geliebte ansehend. — „O du bist's“, rief Camilla, „du bist's! Gott! welch ein liebes Gemälde, und du hast's selbst gemacht? Und du gibst mir dein Bild? Dafür, mein Herz, sollst du auch mich selbst haben.“
     Sie war noch überselig vor Freude, als der Vater innen rief. Die Liebenden erschraken, Camilla hatte das Miniaturbild pfeilschnell im Busen verborgen, Mognaschi öffnete die Türe; Florindo griff nach den Limonienkörben, und das listige Mädchen rief: „Ein Dutzend will ich Euch abnehmen, zählt her, aber daß sie auch schön sind!“
     „Es sind neapolitanische“, antwortete der Limonienhändler, bückte sich und nahm ein Dutzend heraus.
     In diesem Moment läutete es an der Türe. Man öffnete, und der arme Henry stand da. Als ihn Camilla erblickte, wandte sie ihm schnell den Rücken und verschwand durch eine Türe.
     Henry ging auf den Vater zu und wollte einige Worte herausstammeln, aber dieser zuckte mit den Schultern und versetzte: „Sie wissen, was vorgefallen. Vor Engländern, die Ihrer Familie gleichen, schließt man in Rom die Türe.“
     Damit ließ ihn Mognaschi stehn und ging. Henry befand sich allein mit dem Zitronenhändler, aber in solcher Betäubung, daß er ihn nicht eher bemerkte, bis er vor ihn hintrat, ihm ins Gesicht sah und fragte: „Kaufen Sie keine Limonien, mein Herr?“
     Henry durchbohrte ihn mit einem Blick der Verzweiflung und stürmte fort. Der Italiener ging ihm langsam nach und hört' ihn die Treppe hinab ein Goddamn nach dem andern rufen.
     Schon waren sie auf der Straße, und der Engländer wollte eben mit großbritannischen Schritten um eine Ecke biegen, als er plötzlich stehenblieb, sich umkehrte und auf den Limonienhändler zurannte.
     „Kommt, kommt“, rief er, „ich will Euch etwas sagen, es soll nicht Euer Schade sein!“ Damit trieb er ihn an, ihm in die andere Straße zu folgen. „Wollt Ihr mir einen Gefallen tun in einer recht wichtigen Sache, wenn ich Euch gut belohne?“
     „Warum nicht?“ antwortete dieser, „unsereiner dient den Herren Engländern gerne, und Ihr habt mir ja schon einmal meine Zitronen abgekauft.“
     „Wollt Ihr mir einen Brief an das Frauenzimmer überliefern, das Ihr eben saht, an die junge Mognaschi? Wollt Ihr? könnt Ihr?“
     Der Italiener kratzte sich in den Haaren, lächelte und sagte: „Ich will's versuchen, aber was gebt Ihr mir?“
     „Was Ihr wollt, sollt Ihr haben, und wenn Ihr mir eine Antwort bringt, will ich Euch in Gold einfassen. Versteht Ihr? Kommt heut abend um Ave Maria auf die Spanische Treppe, und ich geb Euch den Brief. Aber daß es der Vater nicht erfährt! Daß du mich nicht verrätst! Siehe dich vor!“
     „Sorgt nicht, lieber Herr Engländer, ich bin in Liebeshändeln gewandt“, versetzte Florindo, und man trennte sich, nachdem dieser versprochen, zur bestimmten Zeit einzutreffen.
     Henry eilte nach Hause, schloß sich ein und schrieb folgende Worte:
     Meine angebetete Camilla!
     In höchster Eile, durch die Hand eines unwürdigen Limonienhändlers diese Zeilen meiner Verzweiflung! Das Schicksal hat beschlossen, meinen Jammer aufs äußerste zu treiben; aber ich bin auf alles gefaßt, ich bin bereit, der ganzen Welt Trotz zu bieten. So groß ist meine Liebe zu Ihnen, Perle der Weiblichkeit, schönste der Römerinnen! Meine Mutter ist blind, und dennoch sollte man meinen, auch einem Blinden strahle Ihre Schönheit ins Auge! Auf Ihrer Lippe wohnen alle Engelsmelodien des Miserere; in Ihrem Angesicht lächeln alle Blumen physischer Vollkommenheit, in Ihrer Seele alle Blüten des Geistes! O meine Elisa, es ist gewiß, Ihr Yorick kann nicht leben ohne Sie! Ich bin der Storch, der das himmelhohe Nest seines Glückes auf das Heiligtum Ihres jungfräulichen Tempels gebaut, und es ist Sünde, ihn hinwegzutreiben! Ich kann sowenig ohne Sie sein, meine Elisa, als die Welt ohne Licht, als der Mensch ohne Luft, als der Hering ohne Wasser! In den Kohlen Ihres Auges brennt das Element, welches die Dampfmaschine meines Lebens in Bewegung setzt! Ich fühle alle Qualen verschmähter Liebe, ich fühle sie so tief als der unsterbliche Byron! O erbarmen Sie sich mein, Elisa! Hätt ich's damals geahnet, als ich von der Kuppel St. Peters über Rom hinschaute, ich hätte mich hinabgestürzt, und die Donner hätten mir ein Grablied gesungen! Retten Sie mich, Engel der Erde! Geben Sie mir insgeheim Ihre Hand, willigen Sie ein, daß uns ein Priester verschwiegen verbinde, daß uns ein unauflösliches Band umschlinge! Am Montag muß ich Rom verlassen! Erscheinen Sie mir, ich beschwöre Sie, Sonntag nachts am Monte Testaccio, an dem Totenacker, an der Pyramide des Cestius. Dort, vertieft in Youngs „Nachtgedanken“ wart ich Ihrer. Mein Leben hängt von Ihrem Eintreffen ab! Ich bringe einen Priester mit. Über den wenigen Gräbern meiner Landsleute, in schaurig-nächtlicher Stille werde der Bund geschlossen, und die Pyramide der Vorwelt sei der Zeuge unsrer Vermählung. Vertrauen Sie dem Limonienhändler, er ist gemein, aber ehrlich. Ich sehe unter der Marter des Wahnsinns Ihrer Antwort entgegen. Erscheinen Sie an der Pyramide
                Ihrem verzweifelten
                 Henry M.
     Diesen Brief, den unser verliebter Brite mit Hülfe eines englisch-italienischen Wörterbuches geschrieben, brachte er um Ave Maria auf die Spanische Treppe, wo er den Unterhändler wirklich traf. Um ihn für seine Sache ganz zu gewinnen, gab er ihm gleich einige Piaster, und der Italiener versprach ihm Antwort bis morgen um die Mittagsstunde.
     Mit welcher quälenden Unruhe sah Henry diesem verhängnisvollen Moment entgegen! Wird sie mir antworten? und was wird sie antworten? Das waren Fragen seines geängsteten Herzens. Aber er vertraute auf die verzweifelnden Worte, mit denen er die Epistel angefüllt, und es schien ihm unmöglich, daß Camillas Herz so hart, so grausam sein könne, um ihn erbarmungslos in Verzweiflung zu stürzen. Hatte sie ihm einmal das Ja gegeben, so hoffte er sich leicht einen Geistlichen zu verschaffen, der sie traue, und wenn einmal die kirchliche Einsegnung geschehen, so glaubte er, die Mutter werde notgedrungen wohl einwilligen, und im entgegengesetzten Falle konnte ihn ja der Besitz der Angebeteten für alle andern Verluste trösten.
     Zuweilen sagte er auch zu sich selbst: Wieviel hätt ich in frühern Jahren dafür gegeben, wenn das Schicksal mich in ein so originelles Abenteuer verwickelt hätte! Nun, da es sich ereignet, da ich in der berühmtesten Stadt der Welt, da ich unter den Trümmern der römischen Weltherrschaft mit der reizendsten Dame verwickelt bin, welche Italien nur hervorbringen kann, da sich alles vereint, meine Liebe mit dem Stempel des Ungewöhnlichen, des Interessanten zu bezeichnen, da kein Augenblick mehr verstreicht, ohne daß mir etwas Romantisches widerführe, da ich die Aussicht habe, eine Verbindung, die sonst so prosaisch und langweilig ist, unter den seltsamsten Verhältnissen und äußersten Gefahren bei Nacht während dem Donner der Girandola an der Totenpyramide des Cestius, an den Gräbern von Shelley und anderer stravaganten englischen Geister zu schließen; jetzt, da sich gar ein Zitronenhändler auf geheimnisvolle Art in die Verwicklung einschleicht und meine Liebesgeschichte zu einem Roman verzaubert, wie Walter Scott, Cooper und Washington Irving keinen geschrieben und Lord Byron keinen erlebt hat, jetzt sollte ich unzufrieden sein und nicht vielmehr dem Verhängnis danken, daß er meine Person für wichtig genug hält, um sie mit seinen barocksten Launen zu quälen?
     Unter solchen Gedanken kam denn der Mittag heran. Henry eilte an die Scala di Spagna, und der Briefträger überreichte ihm zu seinem höchsten Entzücken einen Brief, den ersten, den er von Camilla nach so langer Zeit vergeblicher Bestürmungen herauspreßte.
     Hastig brach er ihn auf und las folgende Zeilen:
     Lieber Henry!
     Zum erstenmal nenn ich Dich so, weil ich nun das ganze Maß Deiner überschwenglichen Liebe erkannt habe. Vergib mir, wenn ich Deine hohen Worte nicht mit ebendem Schwung erwidern kann, der Dich vor andern Menschenkindern auszeichnet: Du hast es mit einem einfachen, weiblichen Wesen, mit einer Italienerin zu tun, welcher alle jene Vorzüge englischer Erziehung, englischer Bildung fehlen. Ja, ich will Dir willfahren, Du verdienst es, und es wäre grausam, Dich entgelten zu lassen, was Deine Familie verbrach. Du hast viel mit dem Limonienhändler gewagt, aber Du hast Dich an den Rechten gewandt, Dein Brief kam sicher in meine Hände. Jene Erscheinung soll Dir widerfahren, Du sollst Deine Braut, Dein Geliebtestes Sonntagnacht sehen! Aber nicht am Monte Testaccio, in der Longara wirst Du sie treffen. Verlasse Dich darauf, um drei Uhr nach Ave Maria in der Longara! Lebe wohl bis dahin!
                       Ewig Deine
                            Elisa
     Dieses Briefchen wurde hundertmal durchlesen. „Also es wäre entschieden!“ rief Henry freudetrunken. „Endlich das schönste Abenteuer auf der Welt! Eine geheime Verlobung! O darum wird mich Rebekka beneiden!“ Nur mißfiel unserm jungen Empfindler der Ort, an dem ihm die Schöne das Rendezvous geben wollte. Er hatte die Hoffnung gehabt, daß es an der Pyramide des Cestius, daß es an den einsamen Gräbern der Protestanten vor sich gehen werde, und das wäre doch unendlich schön und romanhaft gewesen. Von der Longara wußte er soviel als nichts, und er fragte daher den Briefträger, was es denn für eine Bewandtnis damit habe.
     Der Limonienhändler versetzte: „Das ist der allergeeignetste Ort für eine solche Zusammenkunft. Ich will Euch schon dahin bringen; er liegt in Trastevere!“
     „Aber zum Teufel“, fiel Henry ein, „wer hat Euch denn zum Mitwisser des Geheimnisses gemacht?“
     „Die Mognaschi selbst“, war die Antwort. „Glaubt mir, ohne mich könnt Ihr's gar nicht durchsetzen, und so hat mir das Mädchen alles anvertraut. Ich kenne einen Prediger, der Euch gern um ein paar Doppien einsegnet, und diesen bring ich Euch selbst in der Nacht zu. Vertraut nur auf mich. Aber wohin wollt Ihr denn? Nun, wenn Ihr das Liebchen nur einmal habt, so wird sich's schon finden!“
     Henry drückte dem Italiener eine Börse voll spanischer Piaster in die Hand und sagte im Übermaß der Freude: „Ich will Euch königlich belohnen, wenn wir getraut sind! Ihr sollt von Sonntag an so glücklich sein, als Ihr nur wünschen könnt!“
     Jetzt wurde verabredet, daß Henry sich um zwei Uhr in der Nacht auf dem Spanischen Platze einfinden solle, wo ihn dann der Limonienhändler in einem verschlossenen Wagen nach Trastevere bringen werde. Dort werde man das Liebchen erwarten, dort werde die Trauung geschehen, und dann könne der Engländer tun, was er für ratsam halte. „Wenn wir nur einmal das Mädchen haben“, setzte der Italiener hinzu, „so sind wir guter Dinge. Und die Brautnacht, wo wollt Ihr denn —“
     Henry rief: „O guter Gott, das ist ein Gedanke, wert, daß man nur auf die Welt kommt, um ihn zu denken!“
     „Nun“, fiel der Limonienhändler ein, „wer kann Euch jetzt noch verwehren, ihn zu denken? Der Genuß ist die Hauptsache, und bei Gottes Blut, diese Dame ist so jung und schön, daß sie den Heiligen Vater mitsamt der Kardinalschaft toll machen könnte. Aber ich muß fort, gehabt Euch wohl! Auf Wiedersehn am Sonntag! Und dann in die Longara!“
     Man trennte sich, und Henry rannte, wie wenn er närrisch wäre, die Treppe hinauf und die Passeggiata hinan. Das ging wie geflogen, der Kopf brannte ihm, das Blut wallte, das Herz klopfte. In dieser emphatischen Stimmung hatte er kein Auge mehr, um zu sehen, was auf dem Boden lag, und so kam es denn, daß er, unter den Platanen hinstürmend, über einen halbnackten Kerl stolperte, welcher in der Mittagshitze auf der Erde schlief. Er stürzte zu Boden, und der faule Schwarzbauch brach in ein wieherndes Gelächter aus.
     Henry stand auf und fluchte. Aber mit nicht geringem Schreck sah er, daß er sich bei dem schweren Fall ein bedeutendes Loch in die Beinkleider gerissen. Das war genug, um ihn zu erinnern, daß er sich noch auf der Erde befand. Aber wie nach Hause kommen? Eben noch hing ihm der Himmel voll Rosen- und Myrtenkränze oder, volkstümlich zu sprechen, voll Baßgeigen, eben hatte er geglaubt, zu fliegen und über Raum und Zeit erhaben zu sein, als er schon im nächsten Augenblick über einen römischen Faulenzer herstolpern und sich die wahre Prosa des Lebens, die Beinkleider, zerreißen mußte!
     „Große, unsterbliche Roma“, rief er, über die unübersehbare Stadt wegblickend und dann von der Kuppel St. Peters und den Lusthainen des Ianiculus zurück auf das offene Knie schauend, „welcher deiner Cäsaren und Imperatoren, deiner Scipionen, Camillen und Catonen hat in gleichem Unstern auf dem Monte Pincio gestanden? Goddamn, was beginn ich? Ich kann nicht von der Stelle! O Geliebte meines Herzens, wenn du wüßtest, wie dein Liebster zu Fall kam, wenn du mich in dieser wahrhaft jämmerlichen Lage, in dieser recht eigentlich physischen Erniedrigung gesehen hättest!“
     Der arme Henry dachte hin und her, und es wollte ihm schlechterdings kein Mittel einfallen, sich aus der Verlegenheit zu helfen. Wenn es wenigstens doch Winter wäre, ich könnte mir einen Mantel — doch nein, eine Karosse — aber woher soll ich sie nehmen?
     Man sagt, daß die Liebe zuweilen etwas dumm und unbesonnen mache, und das finden wir auch an unserm Yorick bestätigt, denn er beschloß nach langem Überlegen, den ganzen Nachmittag auf derselben Stelle zu bleiben und den schadhaften Fleck mit dem Hut zu bedecken.
     Er schlich zu einer Bank, setzte sich und verhüllte mit seinem Filz den unglückseligen Riß. Aber langweilen wir uns nicht länger mit ihm, lassen wir ihn sitzen, bis es Nacht wird, und kümmern wir uns nicht weiter um die Gefühle und Gedanken dieses modernen englischen Prometheus.
     Zu Hause wußte man nicht, wo er war. Die Lady und die Miß wurden von Lord L. eingeladen, mit seiner Familie auszufahren, und der Herr Gemahl ritt mit dem Onkel Kapitän aus. Man war übereingekommen, daß man sich um zweiundzwanzig Uhr zu Hause finden wolle, um auf die Promenade zu fahren. Die Damen trafen pünktlich ein und warteten mit Ungeduld der Reiter, aber sie erschienen nicht. Daß Henry nicht erschien, war ihnen ebenso unbegreiflich. Blinde Sterbliche! wie unzählige Dinge ereignen sich doch, aus denen man die leidigsten moralischen Schlüsse für eure usurpierte Halbgötterschaft ziehen kann! Welche erschütternde Beispiele liefert uns die Geschichte, und wer hat in seinem eignen Leben nicht schon erfahren, mit welch stockblindem Kopfe wir gegen die Mauer des Schicksals anrennen! Wer wird leugnen, daß die Lady eine Frau ist, wie sich nicht leicht eine andere für spirituöser und weiser halten kann, und dennoch ahnete sie in diesem Augenblick des Wartens nicht von ferne, daß ihr erstgeborener Sohn auf dem Monte Pincio schon vier oder fünf Stunden im Angesicht von ganz Rom sitze und Verstecken spiele, noch weniger aber hätte sie sich träumen lassen, was dem Herrn Gemahl unterdessen widerfahren war.
     Es mochte wenig mehr zu Ave Maria fehlen, und unser gebannter Henry auf dem Berge sah schon der Dämmerung und seiner nahen Erlösung entgegen, als der Onkel Kapitän vors Haus sprengte, sich mit den großbritannischen Beinen vom Pferde schwang und hinauf eilte.
     „Hol der Henker dieses Rom!“ schrie er, ins Zimmer einstürzend, wo sich die Ladies befanden, „ich bin in Amerika und in Asien gereist und habe nicht soviel Unheil erduldet als in diesem einzigen Pfaffennest!“
     „Wo ist mein Mann? wo ist der Vater?“ riefen ihm die Damen erschrocken entgegen.
     „Danket Gott, der in dieser katholischen Stadt keinen vernünftigen Protestanten mehr zu beschützen scheint, daß er überhaupt noch ist! Aber nur schnell! es ist nicht Zeit zu plaudern! Einen Wagen und frische Kleider —“
     „Aber um Gottes willen, Bruder“, schrie die Lady, „was ist denn geschehen? du machst mir Todesangst.“
     „Kleider her, Kleider und einen Wagen — er ist in den Tiber gefallen.“
     „Hilf Himmel“, rief die Lady, „wo ist er? er — ist, er lebt noch —“
     „Nun ja, es ging gut, aber schnell, es will Eile.“ — Damit eilte der Onkel in des Lords Zimmer, die Mutter nach, man nahm in aller Eile Kleider heraus, man ließ einen Wagen anspannen. Unterdessen stieß der Onkel nur abgebrochene Worte und Flüche über das unglückselige Rom aus, die Miß bestürmte ihn, zu erzählen, aber man brachte nichts aus ihm heraus, als daß der Papa bei Ponte Molle in den Tiber gefallen, daß er nahe daran gewesen zu ertrinken und daß er, der Onkel, morgen nach Neapel gehen werde.
     Lady und Miß setzten sich mit ihm in den Wagen und fuhren in höchster Eile durch die Porta del Popolo nach Ponte Molle.
     „Aber wo ist er denn?“ fragte die Lady.
     „In der Osterie am Tiber außen.“
     „Und wie ging's denn? Sprich doch, Bruder, du bist ja zum Verzweifeln stumm.“
     „Nun, wie's ging? Ins Wasser ging's. Wir ritten von Acqua Acetosa am Tiber hin, auf den verfluchten steilen Hügeln, dicht am Wasser hin, als das Pferd des Lords scheu ward, sich bäumte und zusamt dem Reiter in den Tiber stürzte.“
     „Heiliger Gott!“ riefen die Damen.
     „Was wollt ich machen, ich konnte nicht schwimmen — aber ein Maler, der am Ufer sitzt, wirft seine Kleider ab und springt ins Wasser, der Lord schreit, die Körpermasse hält ihn oben — der junge Mann erreicht ihn — Gottverdammich, er war keck — und faßt ihn und heraus mit ihm aus dem Tiber.“
     „Ein Engel, ein Engel!“ erscholl's aus dem Engelsmunde Rebekkas.
     „Halbtot liegt er am Ufer und speit Wasser und schnappt nach Atem. Eine halbe Stunde geht's so fort, bis er zu sich selbst kommt, wir laden ihn aufs Pferd — das seinige ist ertrunken —und transportieren ihn bis an die Brücke und dann hinüber nach der Osterie.“
     Unter solchen unzusammenhängenden Erzählungen langte man an Ponte Molle an, man flog aus dem Wagen, man eilte in das Campagnenhaus und fand den Lord auf dem Bette. Frau und Tochter stürzten auf ihn zu und riefen: „Sie sind gerettet, Vater, Sie sind gerettet, dem Himmel ewigen Dank!“
     Jetzt erst bemerkten sie einen jungen Mann im Zimmer, und der Lord rief: „Der dort ist's, der hat mich herausgezogen, dem verdank ich mein Leben.“
     „Leider ist's ein Italiener“, brummte der Kapitän zur Lady hin.
     „Kommen Sie, junger Mann“, hub der Lord wieder an, „sehen Sie, Sie haben dieser den Gemahl, jener den Vater gerettet!“
     Eine Italienerin wäre hierbei gewiß dem edelmütigen Mann an den Hals geflogen, zumal da er sehr hübsch war, und hätt ihm in Strömen von Worten und Tränen gedankt; unsere Britinnen aber, welche ihren Stand, ihre Nation nie vergaßen, verneigten sich vor ihm, wie man's etwa bei einer Teevisite macht, um ein Kompliment zu erwidern.
     Der Lord hingegen, der nur zu sehr fühlte, was er dem Italiener verdankte, umarmte ihn unzähligemal, nannte ihn auf englisch seinen Sohn, seinen Wohltäter, seinen Freund und zeigte ein gutes, erkenntliches Herz.
     Er wechselte die Kleider, und als er sich wieder auf den Beinen sah, nahm er den Italiener beim Arm, führte ihn in ein Nebenzimmer und fragte: „Seid Ihr arm?“
     Jener antwortete: „Nun ja, ich bin ein Maler!“
     „Maler sind arm, Ihr habt recht! Aber ich mach Euch reich, so wahr ich Lord M. bin! Ihr seid von heut an mein Sohn! Wollt Ihr mit mir?“
     „Lieber Herr, das ist nicht möglich, ich muß in Rom bleiben!“
     „Gut, so bleibt Ihr in Rom, wie Ihr wollt! Ich will für Euch sorgen. — Wartet — richtig — aber eines versprecht mir, Ihr sagt dem Herrn draußen und auch den Frauen nichts davon.“
     „Ich verstehe Sie nicht, Mylord.“
     „Das werdet Ihr sogleich! Ich geb Euch jährlich achthundert Skudi; wenn Ihr heiratet — doch seid Ihr noch ledig?“
     „Allerdings, Mylord.“
     „Nun, wenn Ihr heiratet, ein gutes Heiratsgeschenk, und in meinem Testament sollt Ihr bedacht sein.“
     „Herr, das ist zuviel — Ihr seid unendlich gütig.“
     „Ihr habt Euer Leben an mich gewagt, und Ihr sollt Euch überzeugen, daß ein Engländer dankbar und großmütig ist. — Aber versteht Ihr, meiner Frau und dem langen Herrn nichts davon gesagt!“
     Indem rief der Lord den Wirt, ließ sich Schreibzeug geben, setzte sich, sudelte einige Linien hin und gab sie dem Italiener. „Das reicht hin“, fügte er hinzu, „und nun laßt uns nach Hause. Ihr speist heut bei mir!“
     Der Jüngling dankte mit Herzlichkeit, entschuldigte sich, daß er des Lords Anerbieten nicht annehmen könne, und versprach, ihn morgen zu besuchen.
     Weil der Wagen schon besetzt war, konnte er nicht mit den Briten nach Hause fahren. Die Damen und der Kapitän verneigten sich stolz vor ihm und stiegen ein. Der Lord flüsterte: „Morgen, versteht Ihr?“
     Der Italiener nickte, der Wagen rollte fort, und unser unbekannter Erretter sah nun das Papierchen an, aber er verstand nichts davon, denn es war englisch geschrieben, als lebenslängliche Pension von achthundert spanischen Piastern, und das konnte hinreichen. Also hurtig nach Rom zurück! Das war eine Goldfischerei ohnegleichen. Gebenedeit sei der Tiber und die Briten, die drin ertrinken wollen!

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