BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Wilhelm Weitling

1808 -1871

 

Die Menschheit, wie sie ist

und wie sie sein sollte

 

1839

 

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Drittes Kapitel.

 

Constitution des großen Familienbundes

der Menschheit

 

Die zwei wesentlichen Bedingungen des menschlichen Lebens, des persönlichen so wie des gesellschaftlichen, sind Arbeit und Genuß; und das vollkommenste gesellschaftliche Zusammenleben besteht in der gleichen Vertheilung dieser beiden Bedingungen unter alle zur Gesellschaft gehörende, nach den Gesetzen der Natur und christlichen Liebe handelnde Glieder.

Die gesellschaftliche Gleichheit, als das höchste Ideal und die festeste Basis irdischen Glückes und gottähnlicher Vollkommenheit, besteht nach den zwei wesentlichen Bedingungen des menschlichen Lebens, nämlich der Arbeit und des Genusses, in zwei Ordnungen, in welchen jedes einzelne Glied des großen Bundes, nach den Gesetzen der allgemeinen Gleichheit zu handeln verpflichtet ist. Die eine ist die Familienordnung, oder die Ordnung des Genusses; die andre die Geschäftsordnung.

 

 

Die Familienordnung

 

Sie besteht aus Familien unter der Aufsicht der Familienältesten.

Ungefähr 1.000 Familien bilden einen Familienverein, und wählen eine Vereinsbehörde.

10 Familienvereine bilden einen Familienkreis, und wählen gemeinschaftlich wie die ersten, oder auch durch Wahlen ihrer Vereinsbehörden, eine Kreisbehörde.

Jede Kreisbehörde wählt einen Abgeordneten in den Congreß des großen Familienbundes; und dieser Congreß einen Senat, welcher die höchste gesetzgebende Behörde des großen Familienbundes ist.

 

 

Die Geschäftsordnung

 

Sie besteht aus dem Bauern-, Werk- und Lehrstande und der industriellen Armee.

Der Bauernstand

10 Bauern bilden einen Zug, und wählen als Aufseher und Leiter ihrer Arbeiter einen Zugführer. 10 Zugführer wählen einen

Ackermann. Er ist der Geschäftsführer über 100, und hat die ihm angewiesene Arbeit unter die Zugführer gleich zu vertheilen, so wie über die treue und pünktliche Verrichtung derselben zu wachen. 10 Ackermänner wählen einen von ihnen in den

Landwirthschaftsrath. Dieser wählt in jedem Zweige der Land­wirthschaft, als Getreide-, Wein- und Hopfenbau; Obst-, Bienen- und Schafzucht u.dgl. einen Präsidenten in das Ministerium des großen Bundes.

Dieses besteht aus den auf diese Art vorn Bauern-, Werk- und Lehrstande gewählten Präsidenten.

Der Werkstand

Zu dieser Classe gehören alle, welche sich mit Handwerken, Künsten, Maschinen und Fabrikarbeiten beschäftigen.

Sie wählen, wie der Bauernstand, zu 10 ihren Geschäftsführer, zu 100 ihren Meister; und je 10 Meister ihren Werkvorstand.

In einem Bezirk von 100 Werkvorständen besteht eine Meister­compagnie, welche aus Arbeitern gebildet ist, die eine dem Wohle des ganzen nützende Erfindung gemacht haben. Die Meistercompagnien wählen im Verein mit je 100 Werkvorständen ihres Bezirks einen Mann in den Gewerbsausschuß, welcher dasselbe für den Werkstand, was der Landwirthschaftsrath für den Bauernstand ist; und dieser Gewerbsausschuß von jedem besonderen Geschäfte einen Präsidenten in das Ministerium des großen Bundes.

Jeder Mensch gehört durch die in den Erziehungsanstalten empfangenen Vorkenntnisse diesen beiden Ständen zugleich an, in welchen er nach seinen Neigungen in den verschiedenen Zweigen arbeitet. Darum kann es sich treffen, daß Jemand, der in einem Gewerbe Werkvorstand ist, zur Erntezeit, oder wenn es sonst nothwendig ist, bei der Feldarbeit als einfacher Arbeiter mitarbeitet.

Jeder kann sich nach seinem Belieben einem oder mehreren Geschäften zugleich widmen. Zu dem Ende werden die Arbeiten alle 2 Stunden abgewechselt.

Der Lehrstand

Ihm ist die Besetzung aller, ein mehrjähriges Studium erforderlichen Stellen in den 3 Zweigen der Geschäftsordnung anvertraut.

Zu diesem Zwecke hat jeder Familienvercin eine Erziehungsanstalt; jeder Familienkreis außer mehreren Kunst- und Gewerbeschulen eine hohe Schule, und je 10 Familienkreise oder je eine Million Menschen eine Universität.

Die Professoren des großen Familienbundes wählen von jeder Fakultät einen Präsidenten in das Ministerium.

Außer diesen wählt noch jede Universität, nämlich die Studirenden derselben, welche einen großen Grad von Gelehrsamkeit erreicht haben, 10 ihrer Mitglieder in den Gelehrtenausschuß.

Dieser bleibt wie der Landwirthschaftsrath und der Gewerbs­ausschuß bis zu den neuen Wahlen beisammen.

Der Senat wählt aus dem Gelehrtenausschuß die Professoren, und besetzt mit ihnen alle durch den Lehrstand zu besetzenden wichtigen Stellen. Ebenso wählt er aus dem Landwirthschaftsrath seine Direktoren oder Aufseher von je einer Million Menschen, und aus dem Gewerbsausschuß die Vorsteher und Buchhalter großer Gewerbslager.

Jeder aus dem Lehrfache ist verpflichtet, sich die Praktik irgend einer Handarbeit eigen zu machen, mit welchen er seine Arbeitszeit ausfüllt, wenn das Fach, das er bekleidet, dieselbe nicht ganz in Anspruch nimmt.

Jeder ohne Unterschied kann nach seinen Neigungen an dem Unterricht Theil nehmen.

Der Unterricht in den Universitäten und hohen Schulen wird nur ausgezeichneten Schülern als Arbeitszeit angerechnet.