B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Peter Altenberg
1859 - 1919
     
   


W i e   i c h   e s   s e h e

1 8 9 6 / 1 9 0 4

______________________________________________


S e e - U f e r
(Studien-Reihe)

 
Neun und elf

     Margueritta stand nahe bei Ihm.
     Sie lehnte sich an Ihn.
     Sie nahm seine Hand in ihre kleinen Hände und hielt sie
fest. Manchesmal drückte sie sie sanft an ihre Brust.
     Und doch war sie erst elf Jahre alt.
     «Margueritta ist die Menschenfreundin» sagte die Mutter zu dem jungen Manne, «Rositta ist anders - -. Sie liebt die Einsamkeit, die Natur und die Thiere. Jetzt hat sie ihr Herz einem gelben Dachshund geschenkt, Herrn von Bergmann. Sie hatte das Glück, ihm gestern vorgestellt zu werden. Sie hat heute die Taschen voll Würfelzucker für ihn - - - aber es ist eine unglückliche Liebe.»
     «Wieso unglücklich - -?!» sagte das Kind, «ich liebe ihn ja! Ich denke immer an ihn - -. Das macht mich doch glücklich?!»
     Rositta war neun Jahre alt, zart und bleich. Margueritta sagte: «O, Rositta ist übertrieben -!» «Wieso?!» fragte die Schwester und erbleichte-. «Ja, du bist übertrieben - -! Sie will Sennin werden am Patscherkofl und Cither lernen!»
     Rositta: «Der Wirth in Igls hat so schön Cither gespielt und gesungen! Und er hat gar nicht gewusst, dass er schön singt - -! Er ist dagesessen und hat gesungen - - -.»
     Margueritta: «Rosie hat eine Altstimme und dichtet sich selber die Lieder. In der Früh singt sie manchmal: «O, meine Berge, meine Berge - -!» Aber übertrieben ist sie doch - - -!»
     Die Mutter sagte: «Das ist doch kein Lied: «O meine Berge - -!?»»
     Rosie sah ihre Schwester an. Sie war erstaunt, verlegen.
     Margit sagte: «O ja, das ist ein Lied - -! Mama, das verstehst du nicht, das verstehen nur wir. Ein Lied ist es, nicht wahr, Herr - - -?!»
     Der junge Mann sagte: «Ja!»
     Er dachte: «Es ist eine tönende Menschenseele - - ein Lied!»
     Er blickte in die Welt zweier Kinderseelen.
     Margueritta war die rosige Morgenröthe - - man konnte es nicht anders sagen.
     Aber die Andere, die Sennin am Patscherkofl, die bleiche zarte, die Cither lernen wollte und die mit einer Altstimme sang: «O meine Berge, meine Berge» - -?!
     Es wurde Abend.
     Er sass zwischen den beiden Kindern auf einer Bank an der Esplanade.
     Margueritta legte ihr blondes Köpfchen auf seinen Schooss und schlief ein - -.
     Rosie sass da und blickte auf den See hinaus - - Beide weisse süsse Kinderseelen waren ihm zugeflogen.
     Aber wirklich liebte ihn nur Margueritta und wirklich liebte er nur sie.
     Was ist das «wirklich»?!
     Über der Anderen schwebte das Schicksal. In ihr sang es: «O, meine Berge - - -». Und doch küsste sie ihn so sanft und sagte: «Du, Herr Albert - - -»
     Aber den Herrn von Bergmann mit dem gelben Fellchen und den krummen Beinchen und den riesigen Ohren - - - den liebte sie «wirklich»!
     Wenn er vorüberwatschelte, hatte sie eine tiefe Sehnsucht - - -. Sie stand da mit ihren verschmähten Zuckerstückchen und warf sie in's Wasser - -
     Der junge Mann fühlte die Tiefe.
     Die Mutter sagte einfach: «Rositta ist schwer zu behandeln. Ich sehe darauf, dass sie viel schläft. Ich möchte Aufregungen von ihr ferne halten - - -.
     Auch das Mutterherz fühlte das «schwebende Schicksal.»
     Der junge Mann behandelte Beide gleich. Beide küsste er, mit Beiden ging er Hand in Hand über die Esplanade, mit beiden ruderte er in den Abendstunden langsam auf und ab - - -. Beiden schenkte er zum Abschied, im Herbst, zwei goldene Kuhglöckchen als Brosche, mit dem eingeätzten Worte «See-Ufer».
     Rositta sang am nächsten Morgen in der Stadt mit ihrer Altstimme: «O meine Berge, meine Berge -!»
     Es war doch ein Lied - - ein Lied!
     Margueritta hörte zu und dachte: «Du Dichterin, Du Sängerin - - -!»
     Dann sagte sie einfach: «Rosie, Du bist übertrieben - - -!»
 

Zwölf

     «Das Fischen muss sehr langweilig sein» sagte ein Fräulein, welche davon so viel verstand wie die meisten Fräulein.
     «Wenn es langweilig wäre, thäte ich es ja nicht» sagte das Kind mit den braunblonden Haaren und den Gazellenbeinen.
     Sie stand da, mit dem grossen unerschütterlichen Ernst des Fischers. Sie nahm das Fischlein von der Angel und schleuderte es zu Boden.
     Das Fischlein starb - - -
     Der See lag da, in Licht gebadet und flimmernd. Es roch nach Weiden und dampfenden verwesenden Sumpfgräsern. Vom Hôtel her hörte man das Geräusch von Messern, Gabeln und Tellern. Das Fischlein tanzte am Boden einen kurzen originellen Tanz wie die wilden Völker - - - und starb.
     Das Kind angelte weiter mit dem grossen unerschütterlichen Ernst des Fischers.
     «Je ne permettrais jamais, que ma fille s'adonnât à une occupation si cruelle» sagte eine Dame, welche in der Nähe sass.
     Das Kind nahm das Fischlein von der Angel und schleuderte es wieder zu Boden, in die Nähe der Dame.
     Das Fischlein starb - - -. Es schnellte empor und fiel todt nieder - - ein einfacher sanfter Tod! Es vergass sogar zu tanzen, es marschierte ohne weiteres ab - - -.
     «Oh - - -» sagte die Dame.
     Und doch lag im Antlitz des grausamen braunblonden Kindes eine tiefe Schönheit und eine künftige Seele - - -.
     Das Antlitz der edlen Dame aber war verwittert und bleich - - -.
     Sie wird Niemandem mehr Freude geben, Licht und Wärme - - -.
     Darum fühlte sie mit dem Fischlein.
     Warum soll es sterben, wenn es noch Leben in sich hat - - -!?
     Und doch schnellt es empor und fällt todt nieder - - - ein einfacher sanfter Tod.
     Das Kind angelt weiter, mit dem grossen unerschütterlichen Ernst des Fischers. Es ist wunderschön, mit seinen grossen starren Augen, seinen braunblonden Haaren und seinen Gazellenbeinen.
     Vielleicht wird es auch einst das Fischlein bemitleiden und sagen: «Je ne permettrais jamais, que ma fille s'adonnât à une occupation si cruelle - - -!»
     Aber diese zarten Regungen der Seele erblühen erst auf dem Grabe aller zerstörten Träume, aller getödteten Hoffnungen - - -.
     Darum angle weiter, liebliches Mädchen!
     Denn, nichts bedenkend, trägst du noch dein schönes Recht in
dir - - -!
     Tödte das Fischlein und angle!
 

Neunzehn

     Sie wohnte in dem wunderschönen Hôtel am See-Ufer.
     Abends speiste sie unter den grünen Laubengängen, die in elektrischem Lichte schimmerten.
     Der Tag war lang - - bis zum Abend.
     Sie stand spät auf - -. Dann sass sie auf der schattigen Promenade auf einer Bank -.
     Nach dem Speisen ging sie in ihr kühles Zimmer. Um fünf, um sechs, machte sie einen Spaziergang mit den Eltern, den Geschwistern. Abends speiste die Familie unter grünen Laubengängen, die in elektrischem Lichte schimmerten.
     Der Tag war lang bis zum Abend - - -.
     Hie und da kam ein Jüngling zu Besuch, der sie liebte - - -.
     Müde und ruhig widmete sie ihm die Stunden, die er ihretwegen dort verbrachte. Er ruderte sie auf den See hinaus - - er fühlte sich sehr glücklich.
     Sie sass am Steuersitze.
     Wie in einem sammtenen oder seidenen Fauteuil in einer reichen dumpfen Stadtstube sass sie da - - -.
     Sie hatte ein wunderschönes Kleid an aus rostrother Seide mit einem breiten gewirkten dunkelgoldenen Gürtel und einen Florentiner Strohhut mit weissen Veilchen und einem langen seidenen Bande, das unter dem Kinn in eine Masche gebunden war.
     Der See lag in den matten Abendfarben - - -. Vom Walde her kam Laubduft.
     Das graue Seeschloss und das weisse Landschloss schwammen im Wasserdunste - -.
     An den Rudern glitten weissgrüne Perlen herunter - -.
     Die Ruder sangen: Plúk-Prlúk, Plúk-Prlúk, Plúk.
     Prlúk - - -.
     Am Tage vor ihrer Abreise, im Herbst, erhielt sie einen Strauss von wunderbaren dunklen Rosen. Auf einer Karte stand:
     «Dem Ideale menschlicher Schönheit.»
     Ein «Grieche».
     Nacht.
     Sie liess ihr Nachtgewand herabgleiten und stand splitternackt vor dem grossen Spiegel.
     Es war das «Ideal menschlicher Schönheit».
     Auf dem Tische dufteten die Rosen - - -.
     Da wich für einen Augenblick die dumpfe müde Langweile von ihr und wie eine jubelnde junge Siegerin zog die Hoffnung in ihr ein - -.
     Als sie im Coupé sass und in den Herbst, in den Winter hineinfuhr, in fröstelnder Langweile, dachte sie: «Perikles, Sophokles, Themistokles, Sokrates - - -.»
     Da hatte sie eine dunkle Empfindung von dem schönen unvergänglichen Geiste Griechenland's - - -.
 

Siebzehn bis dreissig

     Ich kam einmal zu dem ersten Friseur der Residenz.
     Es roch nach Eau de Cologne, nach frisch gewaschenen Leinenmänteln und zartem Cigarettenrauch - - Sultan flor, Cigarrettes des Prinzesses égyptiennes.
     An der Kassa sass ein ganz junges Mädchen, mit hellblonden seidenen Haaren.
     «Ah,» dachte ich, «ein Graf wird dich verführen, du
Wunderschöne - - -!»
     Sie sah mich an, mit einem Blick, der sagte: «Wer du auch seist, Einer unter Tausenden, ich sage Dir, das Leben liegt vor mir, das Leben - - -! Weisst Du das?!»
     Ich wusste es.
     «Ah,» dachte ich, «es kann aber auch ein Fürst sein - - -!»
     Sie heiratete einen Cafétier, der in einem Jahre zu Grunde ging.
     Sie war gebaut wie eine Gazelle. Seide und Sammt erhöhten nicht ihre Schönheit - - am schönsten war sie wahrscheinlich nackt.
     Der Cafétier ging zu Grunde.
     Ich traf sie auf der Strasse mit einem Kinde.
     Sie sah mich an, mit einem Blick, der sagte: «Ich habe das Leben dennoch vor mir, das Leben, weisst Du das - -?!»
     Ich wusste es.
     Ein Freund von mir hatte den Thyphus. Er war Junggeselle, reich und bewohnte die See-Villa.
     Als ich ihn besuchte, machte eine junge Dame, mit hellblonden seidenen Haaren, die Eisumschläge. Ihre zarten Hände waren ganz aufgerissen vom Eiswasser. Sie blickte mich an: «Das ist das Leben - -! Ich habe Ihn lieb - -! Weil das das Leben ist - -!»
     Als er genesen war, überliess er die Dame einem anderen reichen jungen Manne - - -.
     Er trat sie einfach ab, ganz einfach - - -.
     Das war im Sommer.
     Später überfiel ihn die Sehnsucht - - im Herbst. Sie hatte ihn gepflegt, sich an ihn angeschmiegt mit ihrem süssen Gazellenleibe - - -.
     Er schrieb ihr: «Komm' zu mir - - -!»
     Eines Abends im Oktober, sah ich sie mit ihm in den wunderschönen Hausflur treten, in dem acht Säulen aus rothem Mamor schimmerten.
     Ich grüsste sie.
     Sie blickte mich an: «Das Leben liegt hinter mir, das Leben - -! Weisst Du das?!»
     Ich wusste es.
     Ich kam zu dem ersten Friseur der Residenz.
     Es roch noch immer nach Eau de Cologne, nach frisch gewaschenen Leinenmänteln und zartem Cigarrettenrauch - - Sultan flor, Cigarrettes des Princesses -.
     An der Kassa sass wieder ein Junges Mädchen, mit braunen welligen Haaren.
     Sie blickte mich an mit dem grossen Triumphblick der Jugend - - - profectio Divae Augustae Victricis - - -: «Wer Du auch seist. Einer unter Tausenden, ich sage Dir, das Leben liegt vor mir, das Leben - - -! Weisst Du das?!»
     Ich wusste es.
     «Ah», dachte ich, «ein Graf wird Dich verführen - - - es kann aber auch ein Fürst sein!»
 

Die Natur

     Er trug auf dem Spaziergang ihre Jacke. Diese war aussen hellbraun, innen lila Seide. Der Duft der Seide berauschte ihn, wiegte ihn ein - - -.
     Er athmete diesen Duft ein, der von ihrem süssen warmen ambrafarbigen Leib in die weiche Seide geflossen war, extrait fleure d'Anita - - -.
     «Warum haben Sie die Jacke getragen?!» fragte Frau v.E., «macht Ihnen das Vergnügen?! Wozu - -?!»
     «Aus Höflichkeit - -», sagte er, «es ist eine Jacke wie eine andere, man muss das thun - - -».
     Bei dem kleinen Gasthofe am See-Ufer, auf der Wiese mit den Birnbäumen war eine Schaukel.
     «Schaukeln Sie mich - - -» sagte das Fräulein.
     Wenn sie an ihn heranschwebte, hatte er die Empfindung einer ungeheuren Nähe, manchmal berührte er ihr Kleid, einmal sogar - - -.
     «Warum haben Sie das Fräulein geschaukelt -?!» fragte Frau v.E., «es ist kindisch, so etwas gibt es in den Bilderbüchern, ich habe es von Erwachsenen nie gesehen - - -.»
     Er schwieg.
     «Er ist ein Gymnasiast - -» dachte Frau E.
     Als er oben am Hügel mit dem jungen Mädchen auf dem kurzen trockenen warmen Grase lag, in der Abendsonne, berührte er leise ihre Hand. Der Wind wehte lau. Ein Vogel machte «hi hi hi hi hia - - -.» Dann versank die Sonne. Der Wind wehte kalt.
     «Wie war es - - -?! fragte Frau E. den Herrn. «O schön - - -. Es ist warm und trocken, dann sinkt das Thermometer, die Abendsonne funkelt herüber, der See hat kupferrothe und flaschengrüne Streifen; plötzlich wird er bleigrau, das Thermometer sinkt und die Wiesen beginnen zu duften und feucht zu werden - - -.»
     «Poët - - -» sagte Frau E.
     Am nächsten Abende ruderte Frau E. allein in einem kleinen
Boote - - -.
     Sie fuhr langsam das Ufer entlang - - -.
     Da kam die dunkelgrüne dicke Linie der Kastanienbäume an den grauen cyclopischen Quai-Mauern, dann eine kleine hölzerne Villa, in der ein sterbender Dichter lag, dann eine grosse aus Stein mit schmiedeeisernen Kandelabern, in der eine sterbende Ehe lag und zwei blühende Kinder, dann kam der Garten der Herzogin, die einen Sohn verloren hatte, den sie nie besessen hatte. Da hingen schwarze Haselstauden in's Wasser. Dann kamen Wiesen mit feinen Sumpfgräsern und goldenem Löwenzahn, dann kam Schilf mit hellbraunen Federbüschen, das raschelte. Der Märchendichter würde sagen: «Und es raunte sich Geschichten zu, Geschichten - - -!»
     Dann kamen Wiesen, die ganz still dalagen - - -.
     Frau v.E. sass, ein bischen gebückt, in ihrem kleinen Boote und genoss den Abendfrieden - - -.
 

P. A. und T. K.

     P. A. lehnte an einer gelben glänzenden Marmorsäule des Tanzsälchens und betrachtete die jungen Mädchen.
     Er dachte: «Diese gemachte Lustigkeit - - -! Wie kann ein Mädchen lustig sein, sich amüsiren, wenn sie nicht schön, fast tadellos ist - -?! Wie kann sie froh sein, wenn sie nicht fühlt: «ah, ich gefalle, ich bin sehr hübsch, ich bin ein kleiner Mittelpunkt, ich halte Cercle wie eine Prinzessin - - -»?!»
     «Herr v. S., bitte, wer ist diese junge Dame?!» sagte er.
     «Teresa K. - - soll ich Sie vorstellen?!»
     «Danke - - -.»
     Später sah er sie in einem Haine von Orangenbäumchen sitzen. Sie hielt Cercle wie eine Prinzessin -
     Als sie «Sir Roger» tanzte, lehnte er wieder an einer gelben glänzenden Marmorsäule.
     Er dachte: «Diese gemachte Lustigkeit - - -!» Und dennoch war sie schön, fast tadellos - - -.
     Er dachte: «Teresa K., mit deiner müden Gracie, ritardando, in dieser «Circus-Frechheit» des Sir Roger - Teresa K.!»
     Plötzlich glitt sie aus, fiel nieder - - -.
     Ihr süsses wunderbares Antlitz nahm den Schmerzenszug der Madonnen an. Es war wie wenn sie sagen würde: «O, ich passe nicht hierher, ich weiss es - -. Aber wohin passe ich denn, bitte?! Vielleicht bin ich doch nur für das Vergnügen geschaffen und kann ihm nur nicht Stand halten - - -.»
     Bald lächelte sie wieder, flog hin, duckte sich auf die Kniee, klatschte in die Hände, freudig und erhitzt - - -. Ihr Antlitz schimmerte feucht, aber es blieb bleich - - -.
     P. A. lehnte an der gelben glänzenden Marmorsäule: «Mit Dir, Edle, Wunderbare, in einer lieben häuslichen Stube zu sitzen und über die Enttäuschungen des Lebens zu sprechen, über den Sommer und über den Herbst, über Kinderseelen und Dichterseelen - -! In stiller sanfter Begeisterung zu sagen: Ich liebe die Japanische Kunst und ihre Vögel, ihre Blumen, ihre Farben, ich liebe die Buchenwälder im Oktober, die christliche Begeisterung des Léo Tolstoi und die «Musik-Gedanken» des Parsifal - - -!
     Aber da stehst Du in der Circus-Frechheit des Sir Roger - - -!»
     Er lehnte unbeweglich an der gelben glänzenden Marmorsäule, bis der Ball zu Ende war und die elektrischen Glühlichter verlöschten.
     Zwei Jahre lang sagte er: «Mein Ideal ist Teresa K. - - -.»
     Das kam ihr zu Ohren.
     «Warum lässt er sich nicht vorstellen?! Fürchtet er sich vor mir??»
     Im dritten Jahre, im Sommer, auf dem blaugrauen See, unter der weissen sonnenheissen Plache des Salondampfers, wurde er ihr vorgestellt.
     «P. A. - Teresa K.!»
     Sie sprachen mit einander.
     Sie sagte: «Ich liebe den See nicht, ich liebe das Lawn-tennies - - -. Ich kann es Stunden lang spielen, Tage lang - - -.»
     Er erwiderte: «Ich liebe das Lawn-tennies nicht, ich liebe den See - -. Ich kann ihn Stunden lang betrachten, Tage lang - -.»
     «Da passen Wir zusammen» sagte sie lächelnd, «Wir ergänzen
Uns - -!»
     Eines Abends sass er bei ihr, in ihrem Zimmer.
     Draussen regnete es und der See brauste an die Ufer - - -.
     Er sprach über die Enttäuschungen des Lebens, über den Sommer und über den Herbst, über Kinderseelen und Dichterseelen - - -. Er sprach über Japanische Kunst, über die Buchenwälder im Oktober und die Musik-Gedanken des Parsifal.
     Sie dachte: «Wir ergänzen Uns - - -. Ich denke Nichts und Du denkst Alles - - -.»
     Draussen regnete es und der See brauste an die Ufer - - -.
     Sie sass an ihrem kleinen Tische und stützte den Kopf in die Hände.
     Was war sie, was - - -?!
     Sie spielte gern Lawn-tennies und tanzte gern Sir Roger. Es war eine Sehnsucht in ihr nach naturgemässer mechanischer Bewegung, die das Blut an die Oberfläche treibt und diese rosig macht und die müden Nerven in eine Art von stürmischen äusseren Rausch versetzt.
     Hie und da träumte sie: «O, ein schwarzes seidenes, rund ausgeschnittenes Kleid mit entblössten Schultern und einem breiten, riesig breiten Gürtel aus Reihen von milchblauen durchscheinenden Glasperlen - - -! Oder ein heliotropefarbiges seidenes mit einem Gürtel aus Wachsperlen oder ein weissblaues mit Bronzeperlen, oder gar ein schneeweisses mit granatrothen Perlen!»
     Das waren die «Traum-Phantasieen» - - -.
     Oft dachte sie: «Bin ich schön oder hübsch, schön oder hübsch - -?! Diese Männer lügen! Sie könnten es so sagen, dass es den Zweifel tödten würde. Sie müssten es schweigend sagen. Aber Sie flüstern es mit einer affektirten vibrirenden süsslichen Stimme: «ah,
Fräulein - - -.»»
     Einmal ging sie mit diesem jungen Herren da spazieren. Es war ein kühler Abend und Nebel. «Oh, ein Monsieur wird sich verkühlen» sagte sie und band ihm ihr weisses seidenes Tuch um den Hals.
     «Sie sind so gut, so aufmerksam» sagte der junge Mann, der die geliebte Hand an seinem Halse vorbeistreifen fühlte.
     «Das ist doch das Wenigste, was wir für Die thun müssen, die zu uns halten. Wenn Sie krank werden und sterben, können Sie mir nicht mehr den Hof machen» sagte sie lächelnd.
     Aber gleich setzte sie hinzu: «Sehen Sie, so Eine bin ich - -! Nein, es ist ein dummer Scherz, es ist unanständig von mir - - -. Bitte verzeihen Sie mir!»
     Ihr Leben zog an ihr vorüber, dieses Leben, das die Seele in kleine Stücke zersplitterte und auseinander warf, statt alles Gute und Weiche zusammenzuhalten für - - -, für was, das wusste sie nicht.
     Sie sass da und sann - - -.
     Er aber blickte hin und seine Seele dichtete: «Guiccioli Teresa - - -!»
     Wie im Künstlergeiste brannte eine Welt in ihm voll Liebe und Begeisterung, entzündet und genährt an eigenem Feuer - - -.
     Und was war sie?!
     Sein eigenes, das aus seiner Fülle selbst in die Welt hinausgestellte «Lebendige-Natürliche» in ihm, sein eig'ner Theil, der, losgelöst von ihm und seiner Denk-Last, in reiner Kraft nun in die Sterne zog - -.
     Sie aber sass da und stützte die Ellbogen auf die Tischplatte und die edle weisse Stirne in die Hände und horchte in die leere Welt
hinaus - - -.
     Und wie sie so dasass und hinaushorchte in die leere Welt, ohne zu suchen, ohne zu finden - - da verstand er sie.
     Es war des Lebens Noth, der Drang des Sein's - -.
     Und da erkannte er: «Nicht was Ihr seid, seid Ihr! Doch was Wir dichten, dichtet Ihr in Uns! So seid Ihr uns're Dichter, uns're Dichtung, der Lieder Sänger und das Lied zugleich!
     Teresa K., fremd bleibst Du mir und fern - - und doch mein Lied!
     Nicht was Ihr seid, seid Ihr - - -!
     In Uns allein feiert Ihr ewig euer heiliges Fest der Wiederauferstehung aus des Lebens Noth!
     Aus unsern weissen Flammen steigt Ihr auf - -! In unsern Seelen werdet Ihr geboren!»
     So sann er - - -.
     Da schaute sie auf, weil es so still geworden war und sie sah - - - einen Menschen!
     Leise, leise fühlte sie die göttliche Kraft, die von ihr ausströmte in tausend weissen Strahlen und die in geheimnisvoller Zeugung den «Gott Mann», wenn auch für Augenblicke in Ihm schuf - - -. Und da empfand sie: «Nicht was Ihr seid, seid Ihr!
     Durch Uns allein feiert Ihr ewig euer heiliges Fest der Wiederauferstehung aus des Lebens Noth!»
     Sie sass da, gerade, aufrecht, mit ihrem schönen edlen Haupte und streckte die Arme auf der Tischplatte aus und spreizte die schneeweissen Finger aus und lächelte - -.
     Sie war Weib-Königin geworden!
     Draussen regnete es und der See brauste an die Ufer - - -.
 

No age

     Der Herr trug immer eine breite weisse Flanellhose, ein weites weisses Flanellhemd und eine offene hellgraue Flanelljacke.
     Er sah aus wie ein Akrobat, gehüllt in Noblesse. Einmal tanzte er im Cursaal «Sirr Roger» mit der schönsten Dame von der Welt. Er bewegte sich wie ein Clown. Aber Alles war gleichsam gedämpft und zurückgedrängt durch die Nähe der schönen Frau.
     Und doch sah man einen edlen Körper aus Stahl- Muskeln, in geölten Stahl-Scharnieren, gelenkt von Witz und Grazie - - -.
     Es war die «Idee» des Tanzes: «Spielende Kraft.» Es ist wie das Schachspiel - -! Dort die That des Geistes im Zwecklosen, hier die des Bewegungssystem's.
     Es ist der herrliche Überfluss der Kraft - - -!
     Wie wenn eine edle Dampfmaschine ein Ventil öffnet und weissen Dampf ausströmt - - -.
     Vormittags fuhr er immer in einem kleinen Canoe am See, mit seinen drei braunlockigen Töchtern: 4 Jahre, 5 Jahre, 6 Jahre - - -; Evelyn, Mildred and Dorothy - - -.
     Sie sassen am Boden des gedeckten Bootes.
     Alle hatten doppelte Ruder und legten im Takte ein - - -.
     Der Herr sagte «stop» und «go». Die Kinder gehorchten wie die kaiserlichen Fusstruppen.
     Man sah nur die lieblichen Köpfchen, die Schultern, die Ellbogen, die Händchen und die weissen Ruder.
     Stop, go - - stop, go - - stop!
     Die jungen Damen gehorchten wie die kaiserlichen Fusstruppen - -; sie hätten auch rufen können: «Es lebe unser gutes gerechtes
Väterchen - -!» Aber dazu waren sie zu wohlerzogen; es war bei ihnen nur so ein innerer Jubel - - -.
     Eines Abends trug er miss Dorothy mit ihren nackten rosigen Beinen rittlings auf seinen Schultern und galoppirte über die Esplanade, vor allen Leuten - - -.
     «O, mister Bigloff, was ist das - -?» sagte eine wunderschöne Dame.
     «Das ist das feinste Pferd von der Welt, missis Bigloff - - -! Sie können darauf wetten - - es schlägt Alle - - -.»
     Er liess das Fräulein absitzen und küsste der wunderschönen Dame die Hand.
     Ein bleiches junges Mädchen mit einem heiligen Antlitz sagte: «Die Welt ist leer - - -. Ich habe einen Mann gesehen, einen Menschen, einen wirklichen Menschen - - -! A real man! Er hat eine edle Frau und drei Engerln - - -. Aber es giebt nur einen Amerikaner und so viele Mädchen, die ihn träumen - - -!
     Ah, missis Bigloff - - -!»
 

Fünfundzwanzig

     Jeden Nachmittag um 5 Uhr erschien sie auf der Esplanade.
     Die Musik spielte in einem gelben Holz-Pavillon und die Damen trugen wunderschöne Kleider und Hüte.
     An den meisten Tischen auf dem in den See rund vorspringenden Plateau schimmerte es weiss und lila oder weiss und grün. Das waren die Modefarben. Aber es gab auf dieser weiten Fläche von feinen Stoffen, gelbem Stroh, französischen Blumen, Eulen- und Straussfedern, auch rostrothe und stahlblaue seidene Flecken und ganz hellbraune aus Rohseide wie Milchkaffee, mit matten schottischen Bändern - - -.
     Die junge Frau, die täglich um fünf Uhr auf der Esplanade erschien, war wunderbar schön und trug wunderbare Kleider. Zum Beispiel eines aus braunrosa Seide mit weisser und hellgrüner Stickerei.
     Aber ihr schönster Schmuck war das Kind, das mit der Bonne an ihrer Seite ging.
     L'enfant russe, Katja.
     Das ist Schönheit, Gracie, süsse Heiterkeit und weisses leuchtendes bezauberndes Licht. Das ist der Mensch, wie ihn die Ideale träumende Natur ersehnt. Das ist die Dichtung der alten Mutter Erde - - -.
     Reiche elegante Herren sassen bei der jungen Dame - - -, aber nie zusammen. Zum Beispiel der Herr Graf T. und dann später der Herr von A. und dann der Rittmeister Baron; - - oder auch umgekehrt. Die Reihenfolge wurde nicht eingehalten.
     Manche blickten auch nur hin, ohne zu grüssen und lächelten. Andere grüssten, wie wenn sie sagen würden: «Ich grüsse Dich! Ho! Warum denn nicht?! Es ist ja ein Kur-Ort, ein Rendez-vous der Welt!»
     Katja sass da, mit ihren goldenen Haaren und den wunderbaren sanften Augen - - - - -.
     Niemand kümmerte sich um sie.
     Die Frau Mama, die schöne Frau Mama, stützte die Ellbogen auf den Tisch und schaute auf die Bäume mit den breiten Blättern, auf den schimmernden See, in die Augen des Herrn von - - -.
     Um sieben Uhr schickte man Katja schlafen.
     Sie sagte sanft: «adieu Mami- - -.»
     Die junge Dame antwortete nicht - - -. Sie stützte die Ellbogen auf den Tisch und schaute auf die Bäume mit den breiten Blättern, auf den schimmernden See, in die Augen des Herrn von - - -.
     Die Esplanade wurde dunkel.
     Die wunderschöne junge Dame ging langsam die Allee entlang - - -.
     Niemand kümmerte sich um sie. Bis dahin Prinzessin des Lebens und jetzt, wenn der Abend kommt, einsam - - -! Und in der Nacht vielleicht wieder Prinzessin, Königin, Göttin - - -.
     Abenddämmerung, Frieden - - -.
     Eltern sitzen auf den Bänken, ein wenig ermüdet von den Landparthieen; Kinder denken ernst an das Souper und junge Menschen, die sich lieb haben, führen leise Gespräche und fühlen sich riesig glücklich - - -. Sie haben die Empfindung: «Es ist eine unvergessliche Stunde in meinem Leben - - -.»
     Immer haben sie solche unvergessliche Stunden, diese jungen Leute, die sich lieb haben.
     Die jungen Mädchen denken: «Vielleicht wird es so sein - - -. Ich werde einst sagen: «Weisst Du noch, wie wir damals Abend's auf der Esplanade sassen?! Da sagte ich: «Wie der See im Dunkel verschwimmt und dennoch leuchtet - -!» Und Du sagtest: «Wie
Du - - -!» Damals warst Du wie ein Dichter!»
     Und dann kommt die Mutter, dieses unseelige Geschöpf, das vor der Seele Schildwache steht und sagt: «Ellie» oder «Marion» oder «Riquetta», «ich glaube, es wird kühl», oder «es ist spät, ich glaube, wir gehen nach Hause - - -.»
     Und die jungen Männer sagen: «auf Wiedersehen Fräulein, kommen Sie morgen Früh auf die Esplanade?!»
     Und die Fräulein sagen «vielleicht - - -.»
     Die Fräulein sagen immer «vielleicht», aber sie meinen
«bestimmt!» - - -
     Die Esplanade wurde leer.
     Eine junge wunderschöne Dame setzte sich auf eine Bank.
     Der See sang ein sanftes Lied - - -.
     Da sang ihre müde stolze Seele mit, den einzigen Laut der Liebe, den sie hatte: «adieu Mami - -.»
 

Fünfunddreissig

     Ein gelbbrauner Strohhut mit Veilchensträusschen und Veilchenblättern an langen dünnen grünen Stielen. Das Kleid aus Rohseide, mit einem breiten hellbraunen Sammtgürtel Der Griff des Schirmes ein Bergkristall, Oktaëder, an einem braunen Zuckerrohr. Flachsblonde Haare. Schnürstiefel aus rothem Juften. Das fünfzehnjährige Töchterchen hat braunrothe Haare, braune Augen und wunderbare Hände.
     Der Gatte fährt mit dem Töchterchen am See.
     Die Dame mit den flachsblonden Haaren bleibt allein zurück.
     Sie stützt das Kinn in die Hand und blickt auf die Seefläche
hinaus - - -.
     Sie fühlt, dass ich sie bewundere - - -.
     Plötzlich aus den Grenzen schönen Familienlebens hinausgezerrt in das Meer des grossen Lebens, mit seinem grossen Mysterium - - -!
     «Ich bin wie die Natur» fühlte sie. «Der See, der Wald, die gelbgefleckte Dillkrautwiese und ich -!
     Etwas wird aus dem Mann - - -! Er bekommt Flügel und fliegt aus der Welt - - -. Aber er nimmt Uns mit, den schimmernden See, den ernsten dunklen Wald, die berauschend duftende Wiese und Uns - - Uns! Wir werden ein Theil seiner Seele und fliegen mit, in die Höhe, in die Ferne - - -.»
     Der Gatte und das Töchterchen kamen zurück.
     Die Dame legte um die Schultern des Mädchens einen weissen Shawl und machte rückwärts einen Knoten.
     «Du bist erhitzt vom Rudern» sagte sie.
     Dann legte sie ihre Hand auf die des Gatten und sagte scherzend: «Du alter Matrose - - -!»
     Dann blickte sie mich an: «Du hast mich mitgenommen auf deine luftige Fahrt, du junger Matrose - ich danke Dir.
     Mein guter edler Gatte, mein liebliches süsses Töchterchen - - -! Ich habe selber Flügel bekommen - -! Aber dahin fliegst Du nicht mit, du schwerfälliger Himmelsflieger - - -!»
     Aber als sie am Arm des Gatten, das Töchterchen zärtlich an der Hand haltend, den Platz verliess, wandte sie sich um - - -.
     Ich fühlte wie sie bat: «Nimm' mich noch einmal mit, du junger Matrose - - -!»
     Und ich nahm sie mit, indem ich ihr einen Blick gab voll Bewunderung und Freundschaft - - -.
 

Roman am Lande

     Georg, der wunderschöne Gärtnerbursche beim Handelsgärtner, liebt Frau R., villa R. mit dem Linden- Parke.
     Seit vier Jahren verlässt er den Platz nicht, der vis- à-vis ist.
     Morgens, Abends, kommen die Winde mit Lindengeruch - - -.
     Der Platz ist schlecht, das Essen ist schlecht, der Herr ist schlecht - -.
     Georg schläft im Glashaus. Alles ist offen und es duftet gut bei Nacht - -.
     Verdammt! Seine Herrin kann nicht schlafen und im Glashaus blüht, athmet die Jugend - - -.
     Er hat nur einen Gedanken: «Linden-Prinzessin» und «wann» und «wie» - - -!?
     Da klirrt die Glashaus-Thüre - - - - - verdammt! Die Herrin!
     Sie aber, die Prinzessin im Lindenpark, eilt ihm unaufhaltsam entgegen, auf dem Wege der Enttäuschungen, der Weisheit, der
Zeit - - -.
     «Sie hat mir Cigaretten gegeben», sagte er einmal, «ich habe ihr die Hand geküsst - -.»
     Dann schaut er wieder aus «vom Söller des Lebens» und sieht den weiten endlosen Weg - - -.
     Verdammt! Die Herrin kann nicht schlafen und im Glashaus blüht, athmet die Jugend - - -.
     Frau R. schläft, schläft - - -.
     Verdammt - - -!
     Morgens, Abends, kommen die Winde mit Lindengeruch - - -.
 

Sanct Wolfgang

     Station Zahnradbahn, Schafbergbahn.
     Weisser dicker Schotter bis an die Wiesen der Bauernhäuser. Kleine dünne Ahornbäume sind längs der Strecke hingepflanzt, mit Grasringen, auf welchen rothe Mohnblumen wachsen.
     Die schiefe Lokomotive ist quasi zusammengeduckt, wie Einer, der sich grässlich anstrengt - - -
     La femme incomprise mit den rothbraunen Haaren und dem seidenen lila-grün changirenden Kleide sass da und fuhr den Fichten-Berg hinauf und auf die gelblichen Alm-Wiesen mit dem Duft nach Ziegen, Kühen und feuchtem Moos, zwischen schwarzgrünen Legföhren hindurch bis dorthin wo das braunrothe Gerölle anfängt - - -. Sie sass da in ihrem lila-grün changirenden seidenen Kleide - - -.
     Dann stand sie oben an dem Eisengeländer und sah auf die siebzehn Seen - - -.
     Die Sonne ging unter und als Jemand sagte: «Der helle Streifen ist der Chiemsee - -», sagte sie: «ah - - -?!»
     Zwischen ihr, der lebendig gewordenen Natur und dieser todten im Abendglanze war keine Liebe - -!
     Unten, an der Station der Zahnradbahn, auf dem weissen dicken Schotter, der wie ein Lammfell über den grünen Boden gebreitet schien, vor den kleinen dünnen Ahornbäumen mit den Grasringen, stand ein junges Mädchen mit einem weissen Flanellkleide und pflückte die rothen Mohnblumen - - -.
     Sie sah dem kleinen zusammengeduckten Ungeheuer nach, das sich in den Fichten-Berg eingrub.
     Schreckliche Rauchwolken verbreiteten einen Gestank, wie ihn die Fabelthiere zurückliessen - - -.
     Das junge Mädchen warf einen Blick auf den wunderbar reinen Berggipfel - - -.
     Sie ging auf die Terrasse des Hôtels, band das dicke Mohnblumenbouquet an das seidene Moiré- Gürtelband und sass still da - -.
     Sie sah auf das einfache Holzgeländer der Terrasse, das harzig duftete, auf das gelbe stille Stationsgebäude, auf den weissen Schotter längs des Bahngeleises, auf die mageren Ahornbäumchen mit den künstlichen Grasringen, auf den braunen Weg mit den gelblichen Birken, auf die Wiesen mit den schwarzen Maulwurfshügeln, auf die weisse Tafel «Station Zahnradbahn» - - -.
     Dann sah sie zärtlich auf ihr Bouquet herab und ordnete es mit den wunderbar feinen Händen - -.
     Zwischen ihr, der lebendig gewordenen Natur und dieser todten im Abendschatten war Liebe - - -!
 

Assarow und Madame Oyasouki

     Ich sass in dem kleinen lieben Café.
     Ich hörte zwei Männer leise sprechen.
     «Enfant - -», sagte der Eine, «je te plains -.» «Adieu - -», sagte der Andere, «Du verstehst mich nicht mehr - -. Niemand versteht
mich - -.»
     Der Freund sah ihn an: «Enfant - - -! Je te plains - -.»
     Ich sass bei «Zehden», Confiseur.
     Da trank Madame Oyasouki Thee mit Rum. Assarow sass da - - l'enfant.
     «Und jetzt nach den verrauschten Stürmen, lieben Sie ihren Mann nicht anders?! Ich meine «am Ziel der Wünsche»?! War es nicht der Sturm, der Kampf, der ihrer Neigung Wärme, Grösse gab?!
Pardon - - -.»
     Sie trank die Tasse aus und fühlte: «Er liebt mich - - -!»
     Wie etwas Selbstverständliches, Angenehmes, Ehrendes fühlte sie das - -.
     «Nein» sagte sie mit einer unermesslichen Sanftmuth, «die ruhige sichere Liebe ist die Liebe. Da hört man auf zu denken, fast zu fühlen. Es ist das Leben selbst geworden, etwas Organisches - -. Wie man nicht fühlt, dass man ein Herz hat und es dennoch schlägt und schlägt und uns erhält - -! Man braucht sich nicht zu kümmern, es ist da!»
     Er sagte: «Sie sind weise, gütig. Man muss Sie lieb haben.»
     Ich blickte die Dame an: «Wie wird es werden - -?!»
     Sie fühlte das - - -.
     «Was wirst Du mit dem «Kinde» machen» fragte ich, «Du Wunderliebliche - -?! Tödte Ihn - -!»
     Da sagte sie: «Oh, ich muss gehen - -, Commissionen machen - -.»
     «Tödte Ihn - -!» sagte ich zu ihr.
     Sie stand da in ihrer braunen Schönheit - -. «Tödte Ihn!»
     Da sagte sie: «Herr Assarow, bitte - -» und gab ihm die Hand.
     Er blickte ihr nach - - -.
     Ich dachte an den Herren, der gesagt hatte «enfant» und «je te plains -». Ich verstand es.
     Frauen treffen nicht wie der Fleischer das Kalb: Ein Zug von rechts nach links und fertig - -. Kein Laut - -. Fertig.
     Die aber stossen zu - -. «So ziehe durch!»
     Da gehen sie, Commissionen machen, werfen das Messer weg, reichen die Hand, gehen wie träumend -.
     Verblute langsam - - -!
     Enfant - -! Je te plains - - -.
 

Spätsommer-Nachmittag

     «Ich kann nur anziehen, nicht fesseln - - -» sagte sie.
     Sie trug ein hellblaues weites Kleid mit weissen winzigen Pünktchen, einen braunen Strohhut mit weissen Nelken - - -.
     «Da oben ist ein schöner Waldweg - - -» sagte Er, «überall kleine Felder von Disteln und lila Blumen und Birken; man geht schnurgerade und unten schlägt der Fluss weissen Schaum - -,»
     Sie sah Ihn an wie wenn man sagt: «Da möchtest Du mit mir sein und den Duft meines Kleides einathmen - - -!?»
     Aber sie gingen nicht den schnurgeraden Weg mit den kleinen Lichtungen von Disteln, lila Blumen und Birken, sondern sie tranken Kaffee en grande société auf der feuchten Wiese an einem rothbraunen Tische und spielten dann Federball - -.
     Die Haare des jungen Mädchen wurden feucht und zarte Ringellöckchen schwebten an den Schläfen - -.
     Sie war sehr schön - - -.
     Es begann zu regnen - - -.
     Die ungemähten Wiesen rochen stark wie Waldmeister im Mai. Die braunen Wege begannen zu glänzen wie Glasererkitt. Die Kieselhaufen an der Strasse wurden reingewaschen und die Pappeln erzitterten und tranken Regen - - -.
     Sie trug den schönen Strohhut mit den weissen Nelken in der Hand und Er hielt den Schirm über ihre braunen Haare wie eine gute sorgsame Mama -
     Dann gingen sie in das Klavierzimmer des Casino.
     Ein kahler dunkler Raum, der nach Keller roch - - -.
     Der Bruder des Mädchens spielte Chopin, étude As dur.
     Es war wie See-Wellen, die singen, herangleiten und zerrinnen - - -.
     Es wurde ganz dunkel.
     Draussen an dem Fenster verneigten sich die Kastanienblätter vor den Windstössen und der Sturm machte: sch sch sch - -. In der Ferne schimmerte eine Glaslaterne - -.
     Drinnen glitt die As dur-Etüde heran, legte sich an die Herzen und zerrann - - -.
     Der Herr und die Dame rauchten - -.
     Man sah nur die glühenden Spitzen der Cigarretten - -.
     Er sass ganz nahe bei ihr und bebte - - -.
     «Tanzen wir - - -» sagte sie.
     Draussen verneigten sich die Kastanienblätter vor den Windstössen, die Cigarretten leuchteten auf dem Fensterbrett, der Bruder spielte und die Zwei tanzten im Dunkel langsam, lautlos dahin - - -.
     Später sagte sie: «Wie heisst diese Etüde, die Du da früher gespielt hast. - - -?!»
     «Chopin As dur - -» sagte der Klavierspieler. Dann fügte er hinzu: «Robert Schumann sagt Wunderbares über dieselbe. Warum fragst Du?!» «Nur so - - -.»
     Der junge Mann aber war wie in einer andern Welt - -. Er fühlte auch Wunderbares über die As dur-Etüde, aber er konnte es nicht ausdrücken wie Schumann - - -. Er sagte nur leise zu dem Mädchen: «meine gütige Königin - - - - -!»
 

Landparthie

     Er überreichte ihr diese goldgelben Blumen, die aussehen wie kleine bronzirte Lilien - - -.
     «Bei mir verwelken alle Blumen - -» sagte sie und steckte das Bouquet in das braunseidene Gürtelband.
     Dann stiegen sie in den Wagen und fuhren in den frischen Morgen hinein - - -.
     Frisch war der Morgen, frisch - - -.
     Der junge Mann sang: «den Finken des Waldes die Nachtigall
ruft - -, von Geigenstrich hallt es goldrein durch die Luft - -»
     «Singen Sie nicht - - -» sagte sie.
     Er schwieg - - -.
     «Singen Sie, wenn es Ihnen Vergnügen macht -», sagte sie, «Sie haben eine hübsche Stimme - -. Singen Sie die letzte Strophe: «auf blumiger Höh' - - -.»»
     Er schwieg und blickte in dieses süsse geliebte Antlitz - - -.
     Sie lächelte - -. Dann sah sie gleichgiltig in die Natur. Mit der konnte man nicht spielen. Die war kalt, gelassen und lächelte selbst - - -.
     Lärchen mit hellgrünem Flor standen da auf hellbraunem Boden. An sonnigen Stellen auf kurzgrasigen Wiesen standen Blumen im Herbstkleid wie grauseidene Watta und dunkelgelbe Compositen auf graugrünen Stengeln.
     Im marmorweissen Bachgerölle standen dunkle Weidengruppen und längs des Weges hellrothe Berberitzen - - -.
     Es kam ein steiles Stück.
     Der Kutscher stieg ab und ging neben dem Wagen.
     Der junge Mann, das junge Mädchen stiegen aus - - -.
     Sie pflückte heliotropfarbigen Enzian und band ihn zu den Blumen.
     Er empfand das wie eine Auszeichnung. So wenig braucht man - -. Er sagte: «Wie Sie das gestern Abends gesagt haben - - -: «Sie werden morgen nicht mitfahren, Sie bleiben zu Hause, monsieur, wenn Sie so sind - - -.» Dann wandten Sie den Kopf um, weil ich zurückblieb, von ihrer Seite wich. Sie lächelten - - -. Sie lächelten wie wenn man sagt: «Nein, Du darfst mitfahren, ich bin wieder gut, aber sei nur nicht so dumm, bist Du denn ein Mann oder ein ganz kleines Baby?! Vielleicht möchtest Du sogar weinen - -?!»»
     Diese Art sich auszudrücken, die Seele plastisch hinzustellen, verstand sie gar nicht - - -.
     Sie wurde nervös und sagte: «Sie, lassen Sie mich in Ruhe mit Ihren überspannten Sachen - - -.»
     Dann sagte sie ein bischen schüchtern, unsicher: «Sie, monsieur, wie heissen diese rothen Beeren - -?! Sie wissen doch Alles - - -.»
     «Berberitzen, Weinscharl - -» sagte er und hatte ein Gefühl wie Blei-Schwere.
     Und sie: «Die sind hübsch - -.»
     Das hiess: «Siehst Du, ich bin gar nicht so, ich führe mit Dir liebenswürdige Conversation - - -!»
     Dann sagte sie: Ich kann nicht mehr gehen, steigen wir ein zu den Anderen - - -.»
     Sie gab ihm den écrüseidenen Schirm zu halten und blickte ihn an wie wenn man sagt: «Bist Du böse -?!»
     Der müde Zug verschwand aus seinem Antlitz. Er sah aus wie ein Zwanzigjähriger, der blonde Locken schüttelt und jauchzt - - -. Aber er war viel älter und es ging vorüber - - -.
     Tannen in Trauer, Lärchen mit grünem Flor; Lärchen mit grünem Flor, Tannen in Trauer; Lärchen, Tannen, Tannen, Lärchen - -.
     Der junge Mann summte das Cello-Motiv aus Manon. Dann sang er es sanft wie der Cellist in der Hofoper - - -.
     Auf sumpfigen patschigen leuchtenden Wiesen standen weisse Sternblumen und gelbe Dotterblumen - -.
     Wiesen, Wiesen - - -. Irgendwo begann ein Zaun und grenzte Sumpf ab - - -.
     Plötzlich lag der See da, milchblau, mare austriacum - - -
     Man stieg aus. Man badete im See und dinirte auf der Terrasse - - -. Spät Abends war die Rückfahrt. Alle nahmen Plaid's.
     Der junge Mann sass ihr gegenüber - - -.
     Sie hatte nicht mehr den triumphirenden Lach- Blick. Sie war
müde - - -.
     Die Wagenlaternen beleuchteten hellbraune kerzengerade Stämme und gelblichgrüne verwaschene Teppiche - - -.
     Wie wenn man die Natur aus dem Schlafe weckte mit einem grellen Lichte - - -. Sie hat nicht mehr den triumphirenden Lach-Blick - - -.
     Der Wagen fuhr langsam, vorsichtig, durch den dunklen, kalten Wald - - -.
     Da dachte der Herr an die Stunden, in welchen die Dame sich mit ihm spielte wie mit einem Püppchen, Hündchen und quasi in die Händchen klatschte und jauchzte über ihre riesigen
Ungezogenheiten - - -.
     Es war wie eine Sehnsucht in ihm nach diesem goldenen Zeitalter - -. Es war die Jugend, das leichte launige Glück - - -.
     Aber der Wagen fuhr langsam durch den kalten Wald und sie hatte den triumphirenden Blick verloren und war müde - - -.
     «Singen Sie das Cello-Motiv aus Manon - - -» sagte sie sanft.
     Er schwieg.
     Aber sie fühlte, dass er es innerlich sang, mit lauter süsser Stimme, wie wenn die erste Begegnung im Gasthofe darin läge zwischen Des Grieux und Manon und alles Andere und der Tod auf fremder Erde, wo er sie begrub - - -.
     Der Wagen fuhr langsam durch den kalten dunklen Wald -.
 

Flirt

     Sie trug ein Kleid von der mattgrünen Farbe der Diamant-Käfer und gab einem Cavalier Rosenblätter zu essen, welche sie abzupfte.
     «Ambrosia - - -» sagte der Cavalier.
     Später sass sie immer allein. Ihr mattgrünes Kleid schimmerte wie Phosphor. Sie zupfte langsam Rosenblätter ab, gab sie Niemandem zu essen.
     Eine Thräne fiel auf ihr Kleid.
     Aber Niemand sagte: «Nektar!»
 

Fleiss

     Sie sass auf der Esplanade, stickte an einer gelben Arbeit in haariger Perser-Wolle.
     Der Himmel war blau, der Schönberg war wie leuchtende Durchsichtigkeit.
     Sie stickte.
     Kleine rundliche weisse Wolken schwammen daher, der Schönberg wurde wie weisse Kreide.
     Sie stickte.
     Ein junger Dichter ging vorüber, grüsste - - -.
     Alles war grau wie Blei, der Schönberg war verschwunden.
     Sie nahm ihre gelbe Arbeit zusammen und ging.
     Der Himmel war wieder blau, der Schönberg war wie leuchtende Durchsichtigkeit.
     Sie sass auf der Esplanade und stickte an einer gelben Arbeit in haariger Perser-Wolle.
     Ein junger Dichter ging vorüber, grüsste - - -.
     Der Himmel war schwarz, mit einer Million weisser Sterne.
     Sie sass in ihrem Zimmer und stickte an ihrer gelben Arbeit in haariger Perser-Wolle.
     Der junge Dichter blickte in den schwarzen Himmel und in die Million weisser Sterne!
 

Friede

     Hell war sie, hell, die kleine Königin! Wie die gelbe Sonne waren ihre Haare und ihr Antlitz wie ein Rosenblatt!
      «Ich fürchte, ich werde mich in Niemanden verlieben - - -» sagte sie einmal auf der Esplanade.
     «Warum?!» sagte ein Herr sanft zu ihr.
     «Ich bin zu ruhig, ich geniesse den Sommer wie eine Grille und wie die See-Schwäne. Aber es giebt Störer, in der Ferne, am Horizonte. Was werden sie machen aus uns?! Wir werden wahrscheinlich den Sommer nicht mehr geniessen können wie die Grille und wie die See-Schwäne.»
     «Gute, Süsse - -» murmelte der Herr.
     «Was haben Sie gesagt?!»
     «Nichts - -».
     Und sie genoss den Sommer wie die Grille und wie die
See-Schwäne - - -!
 

Wie es geht

     Sie war eine ganz kleine Schauspielerin des Sommertheaters, hatte Himmels-Augen und hungerte.
     «Ich möchte Ihnen einmal Jeane Eyre vorspielen» sagte sie zu einem jungen Schriftsteller.
     «Kommen Sie zu mir» sagte er.
     «Oh», sagte sie, «erlauben Sie es mir?!»
     Sie spielte es ihm vor.
     Er lobte sie, brachte sie in eine glückliche Stimmung.
     Dann küsste er sie, drückte sie an sich - - -.
     «Gott beschütze mich» sagte sie und überliess sich dem Schicksale.
     Sie behielt ihre Himmels-Augen, hungerte und deklamirte Jeane Eyre, ihre Glanzrolle - - -.
 

Fromont

     «Es ist eine österreichische Comtesse der Ebner-Eschenbach» sagte ein junger Mann auf der Esplanade von ihr.
     «Worin liegt es?» erwiderte eine Dame.
     «In der adeligen Seele, welche den Gesammt-Organismus durchleuchtet. Man bekommt einen durchscheinenden beweglichen Körper, wie die Meeres-Quallen, welche leuchten - - -.»
     «Vielleicht ist Anmuth nichts Anderes als mit Seele imprägnirte Materie!», sagte die Dame, «vielleicht ist es aber auch der Turnlehrer, der Tanzlehrer?!»
     Abends sass die Ebner-Eschenbachische Comtesse in dem kleinen Theater in einer Parterre-Loge. Ihre Schwestern sassen rechts und links. Die Eine hatte einen braunen Fächer und hielt ihn geschlossen an die Lippen. Die Andere hatte einen gelben Fächer und hielt ihn ausgebreitet wie ein welkes Ahornblatt.
     Das junge Mädchen sass zwischen ihren Schwestern und
leuchtete - - -.
     Im dritten Akte sagte Fromont zu Sidonie, welche in einem weissen seidenen Schlafrocke auf der Chaiselongue lag: «Wem verdanken Sie Ihren Reichthum, Madame?! Ihrem Gatten oder Ihrem Geliebten?!»
     «Beiden - - -» erwiderte Sidonie.
     Die junge Comtesse erlosch. Sie verschwamm gleichsam mit dem dunkelbraunen seidenen Hintergrunde der Loge, wurde wie Dämmerung, zerrann, verlöschte. Die Schwester links breitete ihren braunen Fächer aus wie ein welkes Kastanienblatt. Die Schwester rechts hielt den gelben Fächer geschlossen an die Lippen.
     Im letzten Akte deklamirte die süsse Désiré: «Ich liebe dich - - - ich liebe dich.»
     Die junge Comtesse sass da und leuchtete - - -.
     Der braune Fächer und der gelbe Fächer lagen geschlossen in dem Schoosse der Schwestern.
 

Es geht zu Ende

     Sonniger Herbsttag - - -. An sonnigen Stellen Wärme, Hitze - - an schattigen Stellen Keller-Kälte. Es duftet nach welken Blättern und frischer feuchter Erde. Auf den Uferwiesen stehen kurze dünne helliotropefarbige Striche, Colchicum autumnale.
     Braune Libellen baden im Sonnenlichte - - -. Auf der weissen Strasse zwischen den dunkelbraunen Holzbirnbäumen, fährt der Herzog mit seinem Sohne in einer offenen Equipage. Ein Tigerfell liegt über ihre Füsse. Wie sie an dem kleinen sonnengebadeten Friedhofe vorbeikommen, ziehen sie tief die Hüte ab.
     Der Diener am Bock macht das Kreuz.
     Nur der fette Kutscher sitzt unbeweglich - - er ist im Amte. Er starrt auf die weisse sonnige Strasse mit den Herbstblättern - - -.
     Im Garten einer Villa blühen rothe und gelbe Georginen.
     Auf einer Bank, in der Herbstsonne, sitzt ein junges Mädchen.
     Es träumt: «Wird man heuer die Ballkleider rund ausgeschnitten tragen?!»
     Die Georginen werden in allen Farben gezogen - das sind die Harmonieen der Kultur.
     Im herzoglichen Garten stehen sie in dicken Büschen, roth und gelb gesprenkelt, weiss und lila, rosa und rostroth, wie Bordeaux-Wein und Safran, wie Alpenglühen und Zimmtfarbe - - -.
     Die Equipage fährt ein durch das schmiedeeiserne Gitterthor mit den goldenen Rosetten, der Diener springt vom Bock. Der alte Herzog und der junge Herzog steigen aus. Der Diener verbeugt sich tief.
     Nur der fette Kutscher sitzt unbeweglich. Er starrt auf die weisse sonnige Allee mit ihren Herbstblättern - - -. Er ist im Amte.
     Die hellen Birken zittern. In den Lüften schreien die Krähen «kraa - - kraa!»
     Die Georginen stehen da in allen Farben, die hellen glänzen wie Butter, die dunklen sind matt wie Sammt.
     Hochadel und Villenbesitzer! Ihr sitzt noch in den Gärten in der Herbstsonne und fahrt auf den Landstrassen in den Equipagen - - -! Ihr dürft noch die goldenen Lichter der letzten Herbsttage trinken, Ihr, die Georginen und die Krähen - - - kraa!
 

Herbstabend

     Die Wellen des See's pritscheln leise an den Ufersteinen - - -.
     Das wunderschöne Hôtel am See-Ufer schläft den langen Herbstschlaf, den Winderschlaf. Die weissen Fensterläden sind geschlossen. Der grüne Laubengang ist ein bischen gelb geworden und durchsichtig - - -.
     Wo ist das Fräulein?! Wo der liebende Jüngling?! Wo ist der «Grieche»?! Wo sind Margueritta und Rositta und der Herr von Bergmann mit den krummen Beinchen?!
     Wo ist die braunblonde Fischerin?! Wo der Amerikaner und die Russin?! Wo ist die Dame und ihr «Familienglück»?!
     Der Herbst hat sie verweht wie die gelben Blätter im Parke der Königin - - -!
     Die Wellen des See's pritscheln leise an den Ufersteinen - -. Und die 38 Schwäne ruhen im Kreise nebeneinander auf der glattgeschliffenen schwarzen Onyxfläche - - -.
     Sie schreien hie und da in die Nacht hinaus: «irrra irrra - - - -.»
     Aber in den Sommernächten haben sie es sanft gesungen: «irrra irrra - - -.»
     Sie wissen eben auch, dass die Saison zu Ende ist - - - irrra!
 

At Home

     Grillparzerstrasse, eine breite lichte Gasse, welche Oktobersonne trank und in die gelben Flächen der Häuser einschlürfte, dass die Sonnentropfen auf den Spiegelfenstern spritzten. Das Holzstöckelpflaster erinnerte den Fuss an feste braune Waldwege.
     In dem dumpfigen Stiegenhause stampften müde Männer in milchblauen Blousen. Oben im zweiten Stock waren die Thüren weit geöffnet. Es roch nach Thüranstrich und Dienstbotenkaffee.
     In den Débâcles der Hauswirthschaft sitzen die Dienstboten ruhig auf Sesseln aus weichem Holz und trinken Punkt fünf den Jausenkaffee aus dicken weissen Schalen.
     Und wenn einst Alles in Trümmer sinkt und Asche, wird sich aus dem Schutt des Hauses noch das hellbraune Rauchwölkchen des Dienstbotenkaffee's friedlich emporschlängeln!
     Die Dienstboten! Hasserfüllt verlassen sie im Frühjahr die Stadt und ziehen mit stupider Hoffnung in die Wälder, in die Berge - - -.
     So verlassen sie hasserfüllt im Herbst das elende Land und ziehen mit stupider Hoffnung in den Stadtkerker ein -.
     Die Wohnung schläft, eingehüllt in graue Tücher und moosgrünen Organtin, ungewaschen, unfrisirt, im dumpfen Schlaf des Naphtalin-Rausches.
     Plötzlich rasseln im Oktober die weissen Jalousieen hinauf.
     Die Hausfrau betrachtet die Schläferin mit feindlichen Blicken: «Dich zu neuem gemüthlichem Leben erwecken, dumpfe
Sybaritin - - -?!»
     Jedesfalls bindet sie sich das rothseidene Tuch um den Kopf - - -.
     Fräulein Margarethe sitzt in ihrem Zimmerchen mit der kühlen Oktoberluft, den dunkelbraunen Tapeten mit den tausend gepressten goldenen Chrysanthemen und dem staubigen hellbraunen Thonofen mit den Goldlinien.
     Auf ihrem Antlitz liegen die Farben des «pleinair». Sie schält mit einem goldenen Messerchen eine Isenbartbirne und reiht die feuchten saftigen Stückchen auf ein weisses Tellerchen. Dann steckt sie eins nach dem anderen in den Mund, lässt sie zerschmelzen, vergehen und feiert eine edle stille Orgie der Geschmacksnerven.
     Um sie herum tobt die Schlacht.
     Thüren donnern, krachen, graue fetzige Standarten fliegen, das Regiment «Milchbau» stampft todesmuthig heran - - -.
     «Stossen Sie nicht den Thüranstrich ab - -» schreit der Feldherr mit dem rothseidenen Helme und ist, wie man sich auszudrücken pflegt, «überall und nirgends» - - -.
     In ungeheurer Ruhe sitzt das junge holde Geschöpf in seinen Zimmerchen mit der kühlen Oktoberluft, den dunkelbraunen Tapeten mit den tausend gepressten goldenen Chrysanthemen und dem staubigen hellbraunen Thonofen mit den Goldlinien.
     Die Birne auf dem weissen Tellerchen ist verschwunden - - -. Das junge Mädchen erhebt sich langsam, geht zum Fenster, stützt die Ellbogen auf und den Kopf in die Hände - - -.
     Dämmerung.
     Drüben, an der riesigen braunen Wand des Hauses schimmern hellerleuchtete Fenster.
     Weissgrünes Leuchten vom Auerlicht, goldgelbes von den kleinen elektrischen Glasbirnen, mattes flackerndes vom traurigen Gas, rosenrothes und flaschengrünes von den riesigen seidenen Schirmen der englischen Stehlampen - - -.
     Von den Stadtgärten und Wiesen zieht ein matter Duft in die Strasse herein - -.
     Wie Land-Melancholie, wie ein letzter Gruss vom
Sommerfrieden - - -!
     «Wo ist mein Bett, meine Decke, mein Polster, mein
Plümeau - - -?!» sagt das Fräulein und wendet sich nach dem Stubenmädchen um.
     «Ich werde heute zeitlich schlafen gehen, ich bin müde - - -.»
     Sie hat feucht schimmernde Augen - - -.
     Allmählich verstummt der Donner der Geschütze und das Regiment «Milchblau» zieht ab.
     Der Abend senkt den Frieden über das Schlachtfeld. Der siegreiche Feldherr nimmt das rothseidene Kopftuch ab und die Lagerfeuer der Lampen und Kerzen erglänzen durch die stille Nacht - - -.
     Das Fräulein träumte: «Adieu Sommer - - -!»