BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Hans Beimler

1895 - 1936

 

Im Mörderlager Dachau

 

____________________________________________________

 

 

 

Auf der Suche nach dem „Aufstandsplan“.

 

Wie unten im Hofe, war auch oben das „Vorführungszimmer“ wie auch das anschließende in wenigen Minuten überfüllt; es war ein Kommen und Gehen. Wieder wurden meine Kleider durchsucht; Schuhe und Strümpfe mußte ich ausziehen, die Hose herunterlassen – doch es fand sich nicht mehr als schon nach der Durchsuchung bei der Verhaftung. Die Herrschaften waren sichtlich enttäuscht darüber, daß ich nicht den „Aufstandsplan der Weltrevolution“ oder wenigstens eine „schwarze Liste“ mit soundsovielen tausend Namen aller SS- und SA-Führer und eventuell auch ein kleines Maschinengewehr oder einen „Lagerplan über Waffenlager“ usw. bei mir hatte. Inzwischen hatten zwei Sekretäre den sogenannten „Vorführungsbogen“ bereitgelegt. Während einer davon mit Schreibmaschine ausgefüllt werden sollte und bereits in die Maschine eingespannt war, lag ein anderer bereit, um als Original handschriftlich ausgefüllt zu werden. Als ich die Frage: „Welche Funktion in der Partei zuletzt?“ mit „Parteisekretär und Reichstagsabgeordneter“ beantwortete, rief einer gleich dazwischen: „Gewesen!“ Worauf ich antwortete: „Wenn Sie sagen ‚gewesen‘, dann kann ich nur erklären, daß ich, wie schon zweimal, von 60000 Münchener Arbeitern auf der Liste der Kommunistischen Partei auch am 5. März in den Reichstag gewählt worden bin. Wenn ich zur Zeit mein Mandat nicht ausüben kann, dann ändert das nichts an der Tatsache, daß ich von 60000 Münchener Arbeitern gewählt worden bin.“ Darauf erklärte ein anderer lächelnd: „Wir treiben dir deinen Reichstagsabgeordneten schon noch aus!“ Nach Beantwortung einer Anzahl anderer Fragen mußte ich auf den Originalbogen in deutscher Schrift ausfüllen: „Ich bin 1895 geboren, habe die Volksschule besucht und das Schlosserhandwerk gelernt“, und in lateinischer: „Ich bin seit 1918 Mitglied der KPD und hatte zuletzt die Funktion als Parteisekretär und Reichstagsabgeordneter.“ Nun wurde mir eröffnet, daß ich „vorläufig in Schutzhaft“ bleibe, worauf mich ein SS-Mann abführte. Kaum hatten wir das Zimmer verlassen, legte er mir am linken Vorderarm den sogenannten „Achter“ (die eiserne Fessel) an und führte mich den Korridor entlang. Hinter uns gingen außerdem noch zwei andere SS-Leute. Ich war nicht nur der Meinung, daß ich jetzt selbstverständlich in den Aufnahmeraum des Polizeigefängnisses gebracht werde, sondern war auch zugleich überrascht, daß ich, von den Beschimpfungen und ironischen Bemerkungen bei der Verhaftung und Einlieferung abgesehen, „glimpflich“ weggekommen war. Aber unser Weg zum Gefängnis nahm eine andere Richtung als die, die ich in der Vergangenheit öfters geführt worden war. Es wird wohl wenig Kommunisten und noch weniger kommunistische Funktionäre geben, die nicht mit den „Örtlichkeiten“ der Polizeipräsidien „vertraut“ sind. So war ich im Augenblick, da unser Weg nicht die Treppe zum Gefängnis hinunter-, sondern vorbeiführte, auf die kommenden Dinge gefaßt. Blitzschnell wechselten in dieser Situation die Gedanken, und ich glaubte, man würde mich wohl gleich nach Dachau bringen. Inzwischen hatten wir das sogenannte Einwohneramt passiert und waren an diesem vorbei im „Weißen Saal“ angekommen. Dieser „Weiße Saal“, der in der Vergangenheit zu Ausstellungszwecken und zur Auslegung der Wahllisten bei Parlamentswahlen und ähnlichem diente, war zu meiner Überraschung seit dem 10. März zum Schlaf- und Aufenthaltsraum der SA- und Stahlhelmwachen für das Polizeipräsidium und seine nähere Umgebung umgewandelt worden. Kaum hatten wir diesen Saal betreten und die im Saale anwesenden 50 bis 60 SA- und Stahlhelmleute erfahren, wer der Gefesselte war (nämlich „der Beimler“), erhob sich ein wahres Geheul, und es war mir nur möglich, eine Anzahl Schimpfworte und Drohungen zu vernehmen. Wir waren umringt, und die ganze Situation ließ mich das Schlimmste befürchten; während mich mein „Führer“ durch die ganze Horde hindurchführte, folgte uns diese. Als wir an der breiten steinernen Treppe, die zur Neuhauser Straße führte, angekommen waren und schon vier bis fünf Stufen hinter uns hatten, wandte sich der mich führende SS-Mann an die immer noch nachrückende Bande mit einer Bemerkung, von der ich nur die letzten Worte: „... alles andere bleibt zurück!“ verstehen konnte.