BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Hans Beimler

1895 - 1936

 

Im Mörderlager Dachau

 

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Meine Erkrankung.

 

Am fünften Tag beziehungsweise schon in der vorausgegangenen Nacht hatte ich heftige Bauchschmerzen bekommen und überlegte, ob ich mich krank melden solle. Ich dachte, es hat ja doch keinen Zweck, die Bande hat höchstens Freude daran, wenn ich sage, daß ich krank bin. Als dann die Tür aufgemacht wurde und statt der Bestie Steinbrenner „sein Kollege“ namens Marx vor mir stand, – die Wut packte mich immer, wenn ich an seinen Namen dachte, als ob das eine Ergänzung zur Folter wäre! – fragte ich ihn, ob es im Lager auch einen Arzt gibt. Nachdem er das bejahte, wünschte ich, diesem vorgestellt zu werden. „Ja, ist gut“, sagte er, und nachdem ich mich sogar, und zwar zum erstenmal, waschen konnte, verschwand er wieder. Die Schmerzen wurden immer heftiger, aber von einem Arzt war nichts zu sehen und nichts zu hören. Erst gegen elf Uhr vormittags kam Steinbrenner und ein anderer Gefangener. Ich mußte mich ausziehen, auf die Holzpritsche legen, worauf der mitgekommene Gefangene mich untersuchte.

Ich wurde in das am anderen Ende der gleichen Baracke gelegene Krankenrevier geführt. Nach nochmaliger Untersuchung meinte der Gefangene, von dem ich annahm, daß er irgendeine Hilfskraft des Arztes sei und der letztere erst noch kommen wird, das Fieber sei im Ansteigen und es bestehe die Gefahr einer Blinddarmentzündung. Auf Grund dieser Diagnose wurde die Sanitätskolonne angerufen und ein Auto bestellt. Jetzt erst erfuhr ich von einem Genossen, der im Revier war, daß der Gefangene, der mich untersucht hat, niemand anders war, als Genosse Dr. Katz aus Nürnberg, der, weil er Jude ist, in Schutzhaft genommen wurde, und nun seine „Praxis“ im Lager ausübt. Im Revier selbst lagerte eine Anzahl Gefangener, von denen die meisten so schwer gefoltert worden waren, daß sie in die Krankenabteilung aufgenommen werden mußten, darunter der Landtagsabgeordnete Genosse Fritz Schaper aus Nürnberg und ein junger jüdischer Kaufmann, der sich in der Zelle an den Strick gehängt hat, den ihm der Verwalter Vogel überreicht hatte, „falls er Zweifel bekommen sollte“. Die Bande hat den Jungen vorher fürchterlich geschlagen und dann beobachtet, was er macht. Tatsächlich hatte er sich aufgehängt und wurde noch rechtzeitig „entdeckt“. Damit wollten sie die Öffentlichkeit täuschen, als ob sie gar kein Interesse hätten, daß im Lager ein Gefangener Selbstmord begeht.

Gegen 12 Uhr mittags waren die Sanitäter mit dem Auto gekommen, und man brachte mich in Begleitung eines Sanitäters der Schupo nach München in das Krankenhaus links der Isar. Ich hatte wenig Hoffnung, daß ich dort eine richtige Behandlung erfahren würde, als ich sah, daß jeder der vier Ärzte, die mich untersuchten, das Symbol des Arbeitermordes am Aufschlag seines weißen Mantels trug. Es wurde angeordnet, mich zur Beobachtung in ein „Separatzimmer“ zu bringen, vor dessen Fenster von außen ein schweres Eisengitter angebracht war. Schon nach wenigen Minuten erschienen zwei von der politischen Abteilung abkommandierte SS-Männer, die sich im Zimmer vor mein Bett setzten und die Aufgabe hatten, mich zu bewachen. Die Anweisungen des Arztes, „Heißluft-Umschläge, Einlaufe, Rizinusöl“, und Einhaltung der angeordneten Diät wurden von einem Krankenpfleger besorgt.

Am 1. Mai nachmittags ein Uhr erschienen plötzlich zwei junge Leute in Zivil, das Hakenkreuz angesteckt, und gingen sichtlich nervös ein paarmal im Zimmer auf und ab, ohne etwas zu sagen. Die beiden SS-Leute waren auffälligerweise hinausgegangen. Während ich mir diesen sonderbaren Besuch betrachtete und überlegte, was da los ist, fing der eine von den beiden an: „Also, Beimler, stehen Sie auf und ziehen Sie sich an. Sie kommen jetzt wieder nach Stadelheim in die Krankenabteilung.“

Ich erwiderte, daß ich mich erstens gar nicht anziehen kann, weil ich ja gar keine Kleider habe und zweitens auch nicht gehen kann, worauf er meinte: „Ihre Kleider werden gleich gebracht, und gehen brauchen Sie ja nur bis zum Auto, wir haben einen Personenwagen und bringen Sie damit bis nach Stadelheim.“ Unwillkürlich schreckte ich zusammen, als er mir das Vorstehende darlegte. Gefangenentransport mit Personenauto, das kann nichts Gutes sein, und ich dachte dabei an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die beiden hat man auch mit Personenwagen vom Edenhotel „abgeholt“...

„Nein, ich kann nicht gehen“, antwortete ich ihm und dachte mir, du läßt es schon darauf ankommen. Währenddessen kam der Krankenwärter, um das Thermometer von mir wegzunehmen. „Kann der nicht gehen?“ fragte der eine den Krankenwärter. „Nein, der kann nicht gehen“, war seine Antwort. Ihm hatte ich doch alles erzählt und auch gezeigt, wie sie meinen Körper zugerichtet hatten. Er wußte, daß mich bei der Einlieferung in die Polizei ein Bandit mit der Stiefelspitze gegen das Steißbein gestoßen hatte und selbst die sadistischen Ärzte vorhatten, mich am gleichen Tage zu durchleuchten, weil ich nach wie vor große Schmerzen hatte. Teils wütend und teils enttäuscht erwiderte darauf der Faschist: „Dann muß er halt wieder durch die Sanitäter transportiert werden.“

Beide verließen dann das Zimmer, und schon nach kurzer Zeit kamen tatsächlich zwei Sanitäter, legten mich auf die Tragbahre und brachten mich hinunter zum Sanitätswagen. Wie ich hörte, hatten die Sanitäter die Anweisung, mich vorher zum Polizeipräsidium zu bringen. Das Auto hielt dann auch in der „Löwengrube“, vor dem Einfahrtstor zum Polizeigebäude. Während der eine Sanitäter in das Gebäude ging, blieb der andere bei mir sitzen. Es dauerte eine ganze Zeit, bis der erste wieder zurückkam und – zu meiner Überraschung – zwei andere Kriminalbeamte mitbrachte. Die anderen beiden habe ich nach dem Krankenhausweg nicht mehr gesehen.

In Stadelheim brachte man mich nicht etwa in die Krankenabteilung, ja nicht einmal in die Abteilung der Schutzhaftgefangenen, sondern warf mich in der Abteilung für Kriminelle in eine Zelle. Meine eigenen Kleider nahmen sie weg und brachten mir eine schwarze Zuchthauskleidung. Nicht einmal mein eigenes Taschentuch durfte ich behalten.

Mein Verlangen, in die Krankenabteilung gebracht zu werden, wurde vom Sanitäter (!!) mit der zynischen Bemerkung abgetan: „Ach, hier ist es ja auch nicht schlecht.“ Am ersten Tage schon rief so ein Kerl durch den sogenannten „Spion“ (das Guckloch) in die Zelle: „Schlagt doch den Hund tot!“

Ich habe auch die feste Überzeugung, daß die anderen beiden Gestalten die Aufgabe übernommen hatten – wenn es gelungen wäre, mich mit dem Personenwagen wegzubringen – auf dem Transport zu ermorden. Die Regie hat nicht gut geklappt. Nach drei Tagen brachten sie mich wieder zum Polizeigefängnis. Kaum hatte ich mich hingesetzt, um an meine Kinder und Schwiegereltern einen Brief zu schreiben, mußte ich schon wieder abbrechen, es ging wieder nach Dachau.