BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Rudolf Diesel

1858 - 1913

 

Genossenschaftliche Eigenproduktion

 

Vortrag, gehalten auf dem

1. ordentlichen Genossenschaftstag

des Zentralverbandes deutscher Konsumvereine

am 14. Juni 1904 in Hamburg

 

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Meine sehr verehrten Genossen!

 

Meine Ausführungen sollen eigentlich nicht eine Diskussion der höchst interessanten Ausführungen des Herrn Referenten sein, sondern ein unabhängiger Beitrag zu derselben Frage der genossenschaftlichen Eigenproduktion. Leider kann ich mein Thema in den von der Geschäftsordnung festgesetzten zehn Minuten nicht so ausführlich behandeln, wie ich es für notwendig und wünschenswert erachte. Ich erlaube mir deshalb, eine kleine Broschüre verteilen zu lassen, welche meine Vorschläge vollständig enthält und begnüge mich hier mit einer ganz kurzen Inhaltsangabe derselben. 1)

Wie kann der organisierte Konsum den Uebergang zur Eigen­produktion beschleunigen? so lautet das Thema. Die Ausführungen des Herrn Lorenz bei Gelegenheit der Generalversammlung der Groß­einkaufs-Gesellschaft am 6. März zu Chemnitz haben ziffernmäßig bewiesen, daß zweifellos ein ausreichender Umsatz für den Uebergang zur Eigenproduktion in einer Anzahl von Artikeln vorhanden ist, und Sie haben der Gründung einer ersten Fabrik für Seife mit Begeisterung Ihre Zustimmung gegeben. Der Stein ist im Rollen! Die notwendigen Voraussetzungen zu einem rascheren Tempo in der Eigenfabrikation sind demnach zweifellos gegeben, ebenso ist die Bedürfnisfrage in bejahendem Sinne beantwortet; es handelt sich also in letzter Linie nur noch um die Frage der Kapitalbeschaffung. Sollen die Produk­tionsbetriebe ganz allmählich auf Grund angesammelter Ersparnisse der Konsumvereine errichtet werden oder gibt es noch andere Wege?

Wie haben die Produktionsbetriebe ihr Kapital zu beschaffen? Meine Antwort lautet: Wie die gesamte heutige Industrie, durch Aufnahme einer Anleihe beim Anlage suchenden Gesamtpublikum.

Wenn eine Aktiengesellschaft gegründet wird, so werden Aktien ausgegeben; trotzdem das große Publikum die Direktoren und Aufsichtsräte meist nicht kennt, trotzdem die Aktiengesellschaft in offenen Konkurrenzkampf tritt mit anderen Gesellschaften gleicher Art und infolgedessen alle Gefahren und Unsicherheiten eines großen Risikos in sich schließt, trotzdem die Aktien häufig mit ganz ungerechtfertigten Agios ausgegeben werden, findet sich immer ein Publikum zur Hergabe des Kapitals, lediglich gelockt durch die Aussicht auf eine eventuell höhere Verzinsung als der laufende Normalzinsfuß.

Warum sollte dieses Publikum nicht auch zu haben sein für einen Betrieb, welcher unter keinen Umständen in den allgemeinen Konkur­renzkampf eintritt, sondern nur für einen im voraus bekannten, festen Absatz produziert, dessen Personal von unserer eigenen, allgemeines Vertrauen genießenden Großeinkaufs-Gesellschaft sorgfältig ausge­wählt ist und unter deren ständiger Verwaltung und Kontrolle steht; wenn ferner nicht Anteilscheine oder Aktien ausgegeben werden, deren Wert und Verzinsung allen Zufälligkeiten preisgegeben ist, sondern festverzinsliche Schuldscheine zum wirklichen Nennwert, ohne jedes Agio und ohne Möglichkeit eines Wertwechsels durch Börsenspekulationen?!

Warum sollte sich dieses Publikum nicht noch in vermehrtem Maße finden, wenn eine große, reiche Bank – wir wollen sie etwa als Zentral-Genossenschaftsbank bezeichnen – auf diesen Anteilscheinen vermerkt:

Die Zentral-Genossenschaftsbank Deutscher Konsumvereine bürgt für Kapital und Zins dieses Schuldscheines unter allen Umständen, gleichgültig, welche inneren oder äußeren Wirren, welche Konjunkturen und Krisen auftreten.“

Und wird dieses Publikum nicht die Kassen der Bank mit Kapitalangeboten bestürmen, wenn bekannt wird, daß dieser unter allen Umständen garantierte Zinsfuß wesentlich höher ist als der laufende Normalzinsfuß oder der dreiprozentige Zinsfuß der öffentlichen Sparkassen, wenn derselbe z. B. 4 oder 4½ pZt. beträgt. Keine andere Anlage bietet gleiche Sicherheit und Stabilität bei gleich hohem Zinserträgnis! Ja, keine andere Anlage bietet gleiche Bequemlichkeit. Sie finden ein Muster der Schuldscheine in der Broschüre. Es würde zu lange dauern, diese Schuldscheine hier eingehend zu diskutieren; ich will nur erwähnen, daß dieselben durch erste Autoritäten sowohl in finanztechnischer als juristischer Hinsicht geprüft und als richtig befunden wurden. Die betreffenden Erörterungen befinden sich ausführlich in der Broschüre.

Kurz zusammengefaßt sei nun folgendes bemerkt: die Schuldscheine der Produktionsbetriebe können mit ihren Zinsscheinen als Anla­gepapier aufbewahrt werden; da sie aber auf den Namen des Beleihers oder dessen Ordre lauten, so können sie, in blanko indossiert, auch von Hand zu Hand wandern, wobei der jeweils fällige Zins, welcher für jeden Tag des Jahres in der Tabelle auf der Rückseite vermerkt ist, mit eingelöst wird; der Zinsschein für das ganze Jahr wird dann am Ende desselben von dem jeweiligen Inhaber des Scheins an den genannten Kassen zur Einlösung präsentiert. Hierfür können auch alle Konsum­vereinskassen mitverwendet werden. Da hierbei der Schuldschein selbst vorgelegt werden muß, so hat der Produktionsbetrieb damit alle Jahre die Möglichkeit, den Schein gegen Geld zu pari einzulösen. Diese Bestimmung hat einen doppelten Zweck, nämlich einerseits, die Börsenspekulation sowohl mit den Scheinen als mit den Coupons tatsächlich unmöglich zu machen, anderseits dem Produk­tionsbetriebe die Möglichkeit zu bieten, alljährlich einen bestimmten Teil seiner Anleihe durch Einlösung einer Anzahl Scheine an laufenden Mitteln zu ermöglichen.

Diese Schuldscheine gewähren also nur Vorteile, für den Produktionsbetrieb sowohl wie für das anlegende Publikum.

Für den Produktionsbetrieb wird dadurch das Kapital unwandelbar stabil; es ist nicht mehr, wie das Kapital der Konsumvereine, der Kündigung der Anteilscheinbesitzer, oder einer Massenabhebung bei Krisen, oder ähnlichen Schwankungen ausgesetzt; es ist auch nicht mit langen Fristen kündbar, da es überhaupt unkündbar ist und lediglich allmählich abbezahlt wird.

Für das anlegende Publikum absolute Sicherheit für Kapital und Zins; höherer Zins als anderwärts; Möglichkeit, die Anlage zinstragend zu behalten oder jederzeit ohne weiteres weiterzugeben; Ausschluß jeder Gefährdung und Schwankung durch Börsenspekulationen. Und da sollte das Publikum nicht kommen?!

Nur eine Frage wird es stellen: Womit bürgt die Zentral-Genos­senschaftsbank Deutscher Konsumvereine für Kapital und Zins des Produktionsbetriebes? Welche materiellen Grundlagen hat diese Bürg­schaft?

Die Beantwortung dieser Frage ist sehr einfach; jeder Konsumverein, welcher den Vorschlägen zustimmt, schreibt an die Zentral-Genossenschaftsbank einen Brief folgenden Inhalts: „Wir erklären uns mit der Errichtung eines Eigenbetriebes für Teigwaren (oder sonst einer Ware) einverstanden und verpflichten uns, für das Kapital und die Kapitalzinsen dieses Betriebes bis zur Summe von 1000 M. zu haften.“

Diese Erklärungen werden bei der Zentralbank gesammelt, welche nunmehr weiß, welches Kapital sie in ihre Betriebe investieren kann, bezw. bis zu welcher Höhe sie für ihre Haftungserklärung auf den Schuldscheinen durch die einzelnen Konsumvereine gedeckt ist.

Da die Produktion unserer Betriebe nur für einen jeweils vorher bekannten festen Absatz stattfindet, so ist die Folge, daß die Konsum­vereine mit ihrer Bürgschaft weder Risiko noch Verpflichtungen über­nehmen; eine wirkliche Inanspruchnahme der zur Haftung bestimmten Fonds ist niemals nötig; die Haftung der Konsumvereine ist daher ein rein moralischer Willensakt, welcher aber den Produktionsbetrieben den unbeschränkten Kredit des Publikums sichert.

Also, deutsche Konsumvereine, wenn wir das Ziel unserer Sehnsucht, die Eigenbetriebe, rasch und sicher erreichen wollen, laßt uns das Tempo der Bewegung durch neue Gedanken vervielfältigen; die Zeiten sind andere, raschere geworden, laßt uns mit unserer Zeit gehen; wir sind heute schon mächtig genug, die Kraftprobe zu wagen, ob auf Grund unserer vereinten Bürgschaftserklärung Kapital für Produk­tionsbetriebe seitens unserer Mitglieder und des gesamten Publikums hereinzubekommen ist, ohne erst das langsame Ansammeln von Er­sparnissen abzuwarten. Angesichts der durch die Zölle zu erwartenden Verteuerung aller Lebensmittel sind wir, die große Masse, gezwungen, durch innere Organisationen eine möglichste Verbilligung dieser Lebensmittel herbeizuführen. Angesichts des nun zur Wirklichkeit gewordenen Bundes der Arbeitgeber bleibt uns, der großen Masse der Konsumenten, gar kein anderer Ausweg, als auch uns zu verbünden und das, was wir konsumieren, selbst zu produzieren.

Wir leben in dem Zeichen des Zusammenschlusses des Kapitals und der Konzentration der einzelnen Interessengruppen und Betriebe; je größer das verfügbare Kapital, desto größer die Macht und der Einfluß der betreffenden Gruppe. Diesem Gesetz kann sich kein Unternehmen entziehen, auch nicht das genossenschaftliche; wenn wir aus den heutigen wirtschaftlichen Formen die richtige Lehre, nämlich die solidaristische Union der großen Masse, ziehen, dann wird sie der Ansporn zum größten Fortschritt aller Zeiten. Als praktische Menschen müssen wir dem Zeitgeist Rechnung tragen, und da dieser nun einmal kapitalistisch ist, so nützt der genossenschaftliche Gedanke allein der großen Masse nichts, wenn sie ihn nicht durch entsprechende einheitliche zielbewußte Organisation ihrer gewaltigen Kapitalmacht stützen kann, wie jedes andere Unternehmen sich auch auf seiner Kapitalmacht aufbaut. Wir müssen neben die enormen wirtschaftlichen Interessengebilde, die sich heute überall zusammenballen, unsere eigene, ebenso mächtige oder mächtigere Interessengruppe stellen.

Ja, es darf wohl ausgesprochen werden, daß die bei uns in Betracht kommenden Bevölkerungskreise, wenn sie einig sind, das Kapital zu ihrer wirtschaftlichen Befreiung heute schon besitzen; die Mitglieder der Konsumvereine rekrutieren sich aus denselben Schichten wie die Mitglieder der öffentlichen Sparkassen, und es ist erwiesen, daß die kleinen Sparer Deutschlands, als Gesamtheit genommen, schon heute eine Kapitalmacht besitzen wie keine andere noch so mächtige Kapitalgruppe der alten oder neuen Welt. So besitzen die öffentlichen und nicht öffentlichen Sparkassen Deutschlands 12–14 Milliarden Mark Sparein­lagen, deren überwiegender Teil kleinsten, kleinen und mittleren Sparern, d. h. der großen Masse gehört.

Die Aufgabe der Organisation der Kapitalkraft dieser Masse ist nun, das enorme, schon angesammelte Kapital dem Genossenschaftsgedanken nutzbar zu machen. Die große Masse kann schon heute als der größte Unternehmer und Kapitalist auftreten, wenn sie es nur will und dazu richtig geführt wird!

Nur ein Punkt bleibt dabei noch aufzuklären, nämlich folgender:

Wenn der kleine Sparer seine Ersparnisse zur öffentlichen Sparkasse bringt, so kann er dieselben jederzeit ganz oder teilweise wieder abholen, sobald er das Geld braucht. Wie aber, wenn er seine Ersparnisse in einem Schuldschein eines Produktivbetriebes anlegt? Letzterer ist nicht zur jederzeitigen und sofortigen Rückzahlung verpflichtet, da er sein Kapital im Laufe von 50 Jahren ganz allmählich zurückbezahlt. Wenn auch der hohe Zinssatz den kleinen Sparer anlocken würde, so wird ihn die Unmöglichkeit des Abhebens von dieser Anlageform fernhalten.

Das wäre richtig, wenn es sich um wenige Sparer handelte, es sind aber deren, soweit sie heute schon den Konsumvereinen angehören, nicht nur Tausende, sondern Hunderttausende, und sie vermehren sich alljährlich wieder um Zehn- oder Hunderttausende. Unter diesen Umständen hatten die Abhebungen und Einzahlungen sich ungefähr die Wagschale, und die Summe der konstanten Spareinlagen schwankt nur wenig.

Dieser natürliche Ausgleich wird auch bei uns eintreten; wenn derartige Schuldscheine an den Kassen vieler hierfür besonders bezeichneter deutscher Konsumvereine aufliegen, so wird ein täglicher Ein- und Ausgang in solchen Scheinen stattfinden, welcher, bei einem gewissen Niveau angelangt, ungefähr zur Stabilität kommt.

Noch einmal Konsumvereine Deutschlands. Macht die Probe aufs Exempel! Eure Mitglieder werden gar bald erkennen, daß es keinen anderen Weg gibt, ihre eigenen, sauer verdienten Ersparnisse ihren eigenen Zwecken und ihrer eigenen wirtschaftlichen Befreiung zuzuführen!

Ich möchte nur noch einige Worte über die Organisation beifügen. Voraussetzung dabei ist das Bestehen der Zentral-Genossenschaftsbank deutscher Konsumvereine. Diese muß erst errichtet werden z. B. durch eine Anzahl größerer Konsumvereine und die Großeinkaufs-Gesellschaft als Teilhaber in Form einer Aktiengesellschaft oder Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Diese Bank deckt sich mit derjenigen, welche auch Herr Kaufmann in dem schönen geschichtlichen Werk über die Konsumvereinsbewegung, welches den Kongreßmitgliedern gewidmet wurde, eindringlich fordert.

Das Kapital dieser Bank kann sehr gering sein, da sie ja nur eine Verwaltungsstelle ist; die Produktivbetriebe werden ja mit öffentlichen Anleihen und nicht mit dem Kapital dieser Bank errichtet. Die Ver­waltung dieser Bank soll von den Organen unseres Zentralverbandes in Personalunion mit der Großeinkaufs-Gesellschaft erfolgen. Aufgabe der Bank ist die Sammlung der Haftungserklärungen der Konsumvereine, die Organisation der Anleihen der Produktivbetriebe und alle hiermit zusammenhängenden Geldgebarungen; ich denke mir aber auch, daß diese Bank nach und nach zu einer Zentralstelle des gesamten Geldverkehrs der deutschen Konsumvereine und der Großeinkaufs-Gesellschaft werden soll, gleichzeitig auch Sammelstelle und Sparkasse für alle überschüssigen Gelder der Konsumvereine und ihrer Mitglieder.

Durch eine solche Zentralstelle wird auch naturgemäß und ohne Zwang die Zentralisierung des Bezuges, die Kanalisierung nach den Produktivbetrieben bezw. der Großeinkaufs-Gesellschaft in die Wege geleitet, wie sie Herr Lorenz eben in so eindringlicher Weise gefordert hat.

Nachdem die Zentral-Genossenschaftsbank vielleicht mit Hülfe des Zentralverbandes und der Einzelverbände in der geschilderten Weise die finanzielle Grundlage für eine Anzahl von Eigenbetrieben ge­schaffen hat, beauftragt sie die Großeinkaufs-Gesellschaft mit der Errichtung dieser Betriebe.

Für jeden einzelnen Betrieb werden die leitenden Personen engagiert und mit ihnen die Dienstverträge abgeschlossen. Die Direktion jedes Betriebes wird ermächtigt, eine Anleihe bis zu einer bestimmten Höhe aufzunehmen und gibt dafür Schuldscheine in der vorhin vorgelegten Form aus, auf welchen die Zentralbank ihre Bürgschaftsklausel vermerkt. Nachdem die Direktion ihr Geld beisammen hat, geht sie an die Errichtung ihres Betriebes heran, genau wie die Direktion einer Aktiengesellschaft mit den durch die Aktienemission beschafften Mitteln ihre Betriebe gründet.

Und nun kommt die große Frage der Arbeitsbedingungen in diesen Betrieben. Als Ingenieur und Techniker habe ich mein Leben in Fabriken und mit Arbeitern zugebracht und deshalb ist es natürlich, daß mein Interesse sich ganz besonders auf das Arbeitsverhältnis richtet, welches unsere genannte Bewegung herbeizuführen imstande ist. Die Konsum­vereine sollen nicht bloß Arbeitgeber sein, sie sollen musterhafte Arbeitgeber sein, d. h. ihren Zweck, die wirtschaftliche Hebung der Arbeitenden, nicht bloß versprechen, sondern erfüllen! Wenn wir das nicht ehrlich wollen, verehrte Genossen, dann lassen wir lieber die Finger davon!

Diese Frage scheint mir weniger schwierig zu lösen, als es den Anschein haben mag. Bleiben wir als praktische Geschäftsleute auf ganz realem Boden, d. h. gehen wir vom Bekannten aus unter Ausmerzung aller unbestimmten Momente und sagen wir einfach so:

Die Konsumvereine beziehen, wie schon gesagt wurde, die Waren der Produktionsbetriebe zu denselben Preisen, die sie für dieselben Waren anderwärts bezahlen; damit ist für die Konsumvereine zunächst sicher, daß sie keinesfalls irgend welche Nachteile auf sich nehmen.

Die Produktionsbetriebe dagegen verpflichten sich ihren Arbeitenden ge­genüber, als Minimalleistung ganz einfach zur Einhaltung der gewerk­schaftlichen Arbeits- und Lohnbedingungen. Die Arbeiter unserer Eigenbe­triebe sollen nicht etwa den Gewerkschaften entzogen werden; im Gegenteil, ihr Anschluß bleibt bestehen, ja es ist dringend erwünscht, die Arbeitsbedingungen mit den Gewerkschaften gemeinsam zu regeln; von diesen ist dabei zuver­sichtlich zu erwarten, daß sie im Rahmen praktischer Möglichkeiten bleiben werden, um nicht durch übertriebene Forderungen das mächtige Bündnis mit den vereinigten Konsumenten zu gefährden. Nach der begeisterten Begrüßung, welche Herr Adolf von Elm im Aprilheft der sozialistischen Monatshefte der Errichtung unseres ersten Produktionsbetriebes, der Seifenfabrik in Aken, widmete, ist anzu­nehmen, daß die gewerkschaftlichen Kreise die weittragende Bedeutung dieses Bündnisses erkannt haben, und wir Konsumvereinler begrüßen ebenfalls freudig dieses Zusammenarbeiten, diese Bereinigung, welche sich notwendig aus der Lage ergibt.

Es ist nun klar, daß zwischen den so festgestellten normalen Ausgaben für den Betrieb und dem normalen Fabrikpreis, welchen die Konsumvereine bezahlen, ein Unterschied herausgewirtschaftet wird, welcher im gewöhnlichen Wirtschaftsleben Profit oder Unterneh­mergewinn ist. Für die beteiligten Konsumvereine aber ist es weder Profit noch Gewinn, sondern die Erübrigung; diese müßte nach den Grundsätzen des organisierten Konsums, nach Maßgabe des Umsatzes an die einzelnen Vereine zurückvergütet werden. Ob aber dieses Prinzip der ganzen, rückhaltlosen Rückvergütung für die hehren Zwecke unserer Organisation das alleinseligmachende ist, darüber sind ja selbst in Konsumvereinskreisen die Meinungen sehr geteilt. Bei manchen führenden Geistern unserer Bewegung faßt der Gedanke immer festeren Fuß, daß es besser wäre, die Summen, welche die Erübrigungen in ihrer Gesamtheit bilden, als ungeheure Kapitalmacht zur Förderung der Gesamtbewegung zu verwenden, als in winzigen Beträgen an die Abertausende von Einzelmitgliedern zu verzetteln.

Es würde viel zu weit führen, hier auseinanderzusetzen, in welcher Weise diese Summen zum Wohle des Ganzen verwendet werden könnten; ich persönlich vertrete die Meinung, daß möglichst viel davon für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Produktionsbetrieben über das vorhin als Minimum bezeichnete Maß hinaus verwendet werden soll, damit der organisierte Konsum seine soziale Mission erfülle, gerechtere Arbeitsbedingungen zu schaffen!

Es wird übrigens Ihnen allen, als praktische Geschäftsleute, rationell erscheinen, wenn von der Erübrigung, ehe sie hierzu oder zu Verteilungen verwendet wird, ein recht großer Prozentsatz von vornherein als Reservefonds in Abzug gebracht und der Zentralbank zur Verwaltung übergeben wird. In deren Händen sammelt sich so nach und nach ein Kapital, welches sie unabhängig von den einzelnen Konsumvereinen für weitere Produktionsbetriebe verwenden kann. Diese Reserven, anfangs klein, allmählich zu bedeutender Höhe anwachsend, sollen dem Ausbau des Eigenproduktionssystems dienen in dem Sinne, wie es unseren Ausführungen entspricht.

Meine verehrten Genossen, ich begnüge mich für heute mit dem Beweise, daß wir so mächtig sind, wie wir eben sein wollen, daß wir nicht notwendig haben, immer den Staat anzuflehen, gegen andere Interessengruppen einzugreifen, daß wir in der Lage sind, dieselben Mittel wie sie anzuwenden, um zu eigener, gewaltiger Machtentfaltung zu gelangen. Glauben Sie ja nicht, ich wollte nun, daß wir in überstürzter Weise, Schlag auf Schlag, Betrieb an Betrieb reihen, im Gegenteil, ich bin für weise Mäßigung und enthalte mich daher eines positiven Antrages; ich will zunächst nur diese Vorschläge der Oeffentlichkeit unterbreiten, aus deren Feuer sie hoffentlich fest gefügt und geschmiedet, wie Siegfrieds Schwert, hervorgehen werden.

Der menschliche Fortschritt ist nie das Spiel zufälliger Kräfte, sondern immer das Resultat eines zielbewußten und konzentrierten Willens. Darum laßt uns wollen! Der Sieg ist unser, rascher als uns scheinen möchte!

(Beifall.)

 

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1) Titel dieser Broschüre: Genossenschaftliche Eigenproduktion. Wie kann der organisierte Konsum den Übergang zur Eigenproduktion beschleunigen? Nach einem Vortrag, gehalten auf dem 1. ordentlichen Genossenschaftstag des Zentralverbandes deut­scher Konsumvereine am 14. Juni 1904 in Hamburg. Reinhardt-Verlag, München 1904.