BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Friedrich Gundolf

1880 - 1931

 

Gedichte

 

1930

 

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Rufe

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SHAKESPEARES TOTENMASKE

War dies der gott der ruhvoll erden schuf

Der mensch der alle höllen dulden mußte?

Bist du gebannt in diese bleiche kruste

Und trifft dich unser scheuer liebesruf?

 

5

Unfaßbares untragbares gesicht

Die ganze welt als qual und traum und wissen

Dringt stumm aus diesen kalten finsternissen

Nachglanz von tiefster glut und hellstem licht.

 

 

Wahrhaft kann ich nur verkünden

Was ich selber tat und litt.

Tauche ein bis zu den gründen,

Leichtes herz und bebe mit!

 

5

Schnell zufrieden mit gedanken

Vorwitz, satt von blick und wort,

Bis zum grausen müßt ihr wanken,

Stöhnen aus dem tiefsten tort.

 

Drinnen sein und dann noch oben

10

Dann noch loben was geschah!

Bis zum unsein sich erproben

Und noch beten «Gott ist da!»

 

 

Schon setzen im ersoffnen schacht

Sich goldne adern, starrn und träufen

In die geduldige erdennacht

Bis wieder echte graber täufen!

 

5

Noch ist die not nicht bis zum kerne

Des mürben lebens vorgefault.

Noch haben sie die letzten sterne

Nicht aus dem himmel weggemault.

 

Noch sind sie list- und lästerredig

10

Und zehren vom gehäuften wahn.

Eh Gott des alten leibes ledig

Wirkt er sich nicht den neuen an.

 

 

GLÜCKHAFT SCHIFF

Nun ist es blühzeit! Blühwind fegt die trift

Blühpulse klopfen in den rosigen sprossen

Blühherzen segeln fromm und aufgeschlossen

Ins blütenvolle meer hinausgeschifft.

 

5

Die strände überfliegt der weite ruch -

Viel hundert inseln schimmern durch die sunde

Ein dröhnend funkeln dringt vom purpurgrunde

Dem kiele nach bei jedem wellenbruch.

 

Wir tragen maie mit und maienbrut.

10

Auf allen masten glitzerts von gefiedern,

Delphine glitzern drunten und erwidern

Den sang aus lüften mit dem sang aus flut.

 

Kein landen gilt: wir sind das land das schwimmt

Beladen mit den erden und den wogen

15

Hinfahrend auf der kugel kühnem bogen

Der in sich mündend ewig anfang nimmt.

 

 

Das eine was ich bin und in dir fühle

Muß ich in taten worte wünsche spalten.

Du bist in mir, ich bin in dir enthalten,

Doch halt ich nichts . . nicht brot noch feld, nur mühle.

 

5

Dein ganzes such ich wie der kreis den punkt,

Durch den er umläuft . . so umlauf ich sehend

Dein herz ein immer neues das sich drehend

In strahlen bricht, in farbenspiel zerfunkt.

 

 

Du hast gefragt ich hab erlaubt

Du hast die frucht gegessen.

Hättest du heimlich sie geraubt

So wärst du nicht besessen.

 

5

Du hast dich meiner näh entrückt

Und merkst erst in der ferne

Das siegel das ich aufgedrückt

Den wurm in deinem kerne.

 

Du wähntest, sei ich nur verstummt,

10

Werd ich mich nimmer regen.

Jetzt stiert mein schweigen dir vermummt

Aus jedem loch entgegen.

 

Verrammelt hast du mir das tor,

Umflort den zauberspiegel.

15

Ich bin das bild, ich bin der flor

Der schlüssel und der riegel.

 

 

Heb du dein herz zu allen höhn

Und frage nicht was sie erwidern.

Woran es leidet wird es schön

und glänzt geheim aus deinen lidern.

 

5

Die kraft die dich zu seufzen drängt

Kann dich nicht haben, dich nicht missen.

Du gibst dich hin und sie empfängt

Dein wesen ohne wunsch und wissen.

 

Begreif: das eine das bestimmt

10

In deine augen lacht und lodert

Ist nur das andre das dich nimmt

Und deine dunkeln opfer fordert.

 

 

Gibt es noch taten, sich zu wehren

Ein wort vom unbefleckten mund

In diesem brüllenden verheeren

Ein wesen außer wahn und schwund?

 

5

Kein sieg, kein ruhm, kein dank der erben

Beim einzug ins verheißne land . .

Im eignen dunkel müßt ihr sterben

Und keiner weiß von eurem brand.

 

Doch liebe bleibt . . an allen dochten

10

Entzündet sich das stillste licht,

Bis in die grüfte angefochten

Stöhnt sie und haucht «mich tilgt ihr nicht».

 

Noch unter stürzendem gemäuer

Umfaß ich das erwählte du

15

Und heb es im verhüllten feuer

Dem zeitenlosen himmel zu

 

 

Aus meiner bahn kann ich nicht fallen

Wenn gnade war was mich gelenkt

Und treu notwendig bin ich allen

Gedanken die sie in mir denkt.

 

5

Doch solche liebe die mich rühret

Ist eins mit meines herzens stern

Und spräche Gott daß sie verführet

So muß ich lieben trotz dem Herrn.

 

Ich will nichts eignes: doch mein alles

10

Will dich . . mein herz mein stern mein rang,

Und wär es zeichen meines falles

So will ich auch den untergang.

 

 

Die fratzen der vergängnis künden euch

Siechtum aus eurem wandel. Kein gescheuch

Mit stein und belfern rettet euch ins heil.

Inwendig wacht, nicht flüchtig und nicht geil.

 

5

Was war und kommt stellt ihr zum horizont:

Die fertigen götter, von der sucht besonnt

Erloschner schrecken, und den spuk des neids,

Die eitelkeit mit geiferndem gebeiz . .

 

Die weisen, die gesetze auf und ab

10

Hoffärtig fingern, schmähn verheißnes grab

Und werfen aus den priesterhänden kot

Nach dem verhängnis das sie angedroht,

 

Froh schuldige zu schaun, und beifallsgeck

Auf trümmern . Doch der tod hat andren zweck

15

Als euren spiegel . . nicht aus fluchermund

Noch juchzermund tut sich die wende kund.

 

Wozu ihr eure weltgeschichte braucht

Braucht sie euch selbst, euch einzeln. Preist und faucht

Nicht völker, zeiten, schichten: jeder tag

20

Ist Jüngster Tag kraft jedes herzens schlag.

 

 

Aus dem dasein schrumpft die veste in ein pochen.

Nur das herz weiß noch und graust

Wenn - ein jäher pulsschlag - jahre, monde, wochen

Schwingen und verschwinden . . wie ein sturmwind saust

5

Bildlos zeitlos, durch geschwirre von geknickten

Ästen, zäunen, schindeln . . durch gekreisch

Von möven und raben. Vor den erstickten

Augen verwest die welt. Geripp und fleisch

Löst sich in falben schleim.

10

Drüben warst du, wirst du. Jed gefängnis

Bröckelt in schutt und spuk. Aus der vergängnis

Tastest du nicht mehr heim.

 

 

Schließ aug und ohr für eine weil

Vor dem getös der zeit,

Du heilst es nicht und hast kein heil

Als wo dein herz sich weiht.

 

5

Dein amt ist hüten harren sehn

Im tag die ewigkeit.

Du bist schon so im weltgeschehn

Befangen und befreit.

 

Die stunde kommt da man dich braucht.

10

Dann sei du ganz bereit

Und in das feuer das verraucht

Wirf dich als letztes scheit.

 

 

Ihr ladet die bürde

Des wankenden alls

Vom eigenen hals

Auf Gott oder nichts,

5

Umprunkt mit der würde

Des heimlichen knechts . .

Nun zittert und lügt ihr dem wahne.

 

Gebet und geächz

Verlocken ihn halb

10

Zum tanz um das kalb . .

Halb seid ihr was ihr euch feiert.

Dann schielt ihr und blinzt

Ins bunte gespinst:

Erschein uns und bleibe verschleiert.

 

15

Des jüngsten gerichts

Gewärtigen dröhnt

Verflucht und versöhnt

Ein einzelner schrei durch orkane.

Der nu ohne rat

20

Kreischt tote zur tat

Und bauscht über grüften die fahne.

 

 

Ich schau in die bereite nacht

Die stündlich enden mag

Und spür mich liebevoll bewacht

Von meinem ewigen tag.

 

5

Dem tod der vor der türe steht

Geb ich mich willig hin.

Er ist vom odem der mich weht

Vom wesen das ich bin.

 

Und der notwendige liebesgeist

10

Hält mich auch hier in bann.

Ich tu wie er mich unterweist

Und frage nimmer wann.

 

Mit tiefem stillem atemzug

Empfind ich was er gab.

15

Ob jetzt ob einst - es ist genug

Für ewigkeit und grab.

 

 

Wer sein selbst verlor

Im atmen der gewalten

Durchwandelt flor

Zerfahrender gestalten,

5

Noch aug, nerv, ohr,

Doch ohne hand zum halten,

Schaudernd zwischen geballten

Schwaden die keiner beschwor.

 

Nur des herzens gebot

10

Bannt den Gott welcher welt

Wirkt und ent-stellt.

Manchmal will er sie tot -

Aus nachtgrün und frührot

Drin es spricht, singt und bellt,

15

Aus schein der unsein erhellt

Erlöst vom geschaffenen kot.

 

Doch sein geschöpf das Ihn muß

Ringt ihn schwach

Aus seinem eigenen schluß.

20

Verzweifeltes ach,

Sinnlöschender kuß

Schöpft Gottes überfluß

Einmal und tausendfach

In sein selbst wieder wach.

 

 

Blind und leer

Tastet, knirscht, droht

Was mir einst welt erschien,

Rings um mich her.

5

Morgen- und abendrot

Nur verglommener kien,

Dunst und gezisch

Sterbender kerzen.

 

Liebes, gib mir die waffe

10

Wider den spuk des warum.

Daß ich das stumm

Wartende All wieder schaffe!

Deinetwegen vermag ichs

Deinem auge nur wag ichs.

15

Herz bleibe wach! Erlisch

Du nicht, herz mir im herzen!

 

 

Stündlich brandet die qual

Der geschöpfe durch mich -

Einen der endlosen zahl

Der in die bilder entwich

5

Dem tun und dem leid.

 

Gibt man den gästen bescheid

Schütteln und flüchten sie sich

Oder verschwelgen beim mahl

Lüsternen schauens das graun.

 

10

Helf ich dem nächsten, so staun

Näher millionen - ein gischt

Wehrlosen jammers . . gemischt

Aus dem verronnenen schwall

Zum wirbel der droht.

 

15

Blick oder griff in das all

Wirkt sich am fragen zu tod,

Am umsonst, am wozu . .

Oder betäubt sich im du . .

 

Bis du vom herzen und schoß

20

Trunken dich wirfst in den sinn

Der das entsetzliche will

Schaffend und wissend «ich bin

Grund deines abgrunds - sei still.»

 

 

Der wahnwitz wächst mit stumpfem lauern

Durch wust und lärm der klugen zeit.

Verwirrt in gleisen rädern mauern

Würgt er sein werk, verschreit und speit.

 

5

Die geilen augen herzen nüstern

Wittern beklommen frischen fraß.

Giftige scheine schwirren im düstern.

Die grelle straße stinkt nach aas.

 

Gelähmt vom wissen und zerknittert

10

Von gieriger angst irrt das geschlecht

Auf götterleichen, knirscht und zittert

Im windig faulen schwammgeflecht.

 

Das tier, von martern wach geworden

Erkennt den tod, und will und denkt,

15

Sucht sumpf und schluchten sich zu morden.

Im dickicht hat es sich erhenkt.

 

 

Da ich dem tag entfuhr,

Gewerke und natur

Besessen übersteige,

Die welt zerschweige

5

In nichts, tod oder Gott,

Dringt ding, not, amt und trott

Immer genauer -

Möbel und mauer -

Zum beklommenen nerv.

10

Was ich wähl und verwerf

Im bangen grübeln

Schüttet mit kübeln

Bleckt wie mit rattenzahn:

«Krieche aus wust und wahn

15

Pflichtig zurück ins hier!

Wir allein wesen. Wir

Winkend gewimmel

Heften die himmel.

Bleib uns mit hand und fuß.»

20

Ich seh den trug . . und tus.

 

 

Auf blütenbühlen lichtgrün schwingt

Die schöpferstunde, scheint und singt,

Verwischt beginn und end im wind -

Gott weht gewächs, getier und kind.

 

5

Herz, sternher wieder zugewandt

Mit holdem bangen deinem land,

Allein und eins mit flor und grund,

Strahlst deine lieb in wahn und schwund

 

Des seligen nu aus lust und graun,

10

Verkriechst im busch, verfliegst im blaun,

Dämmerst im himmel abendlich,

Erwachst in schwarze nacht als ich:

 

Das wallende all zum winzigen punkt

Zurückgetrunken, eingetunkt

15

Dem ursprung draus von wurm zu Christ

Dir qual um qual flucht daß du bist.

 

 

Halte den schein!

Tauch in tat oder sicht

Deiner vergängnisse ein

Wie flut, wind, sand und licht

5

In das gewächs Einer stunde.

 

Aber verlösche dir nicht

Die so erlittene kunde,

Die aus dem all dir allein

Zuspricht und widerspricht,

10

Ehe du heimsinkst zum grunde.

 

 

Der klostergang, verstrickt von reben,

Braut aus den früchten schwülen tags

Ewigen schlaftrunk. Spinneweben

Dämpfen den ruf des stundenschlags.

5

Zum wildwuchs modert das gehäuse,

Gebälk verkehrt sich zu gebein

Der eulen und der fledermäuse,

Rückwesend in den tod hinein.

 

Du hörst noch wie verschollne laute

10

Der mönche seufzen, litanei . .

Und der jahrtausendlang gestaute

Innig erwürgte schöpfungsschrei

Schwingt lüstern und geheim im schweigen

Beharrlichen sommers, im getrill

15

Balzender stare. Nackter reigen

Heiliger leiber wandelt still

 

Umher, hinunter . . über fliesen

Blind schleichend zwischen kot und moos

Zur flöte, die stein, büsche, wiesen

20

Zerspukt - hinfälliges gekos

Des mittagsgottes der erinnern

Ersehnt. Er sucht es mit musik

Von stummen mächten, tauben minnern

Im all-erloschenen augenblick.

 

 

Meine jugend war gelenkt

Dumpf, dann willig von dem Meister

Bis ein Stärkerer mich entschränkt:

Wahrer schreit ich, als verwaister,

5

Ohne stab, geleis und strang

Wissend nur noch Gott und Liebe

Durch das schütternde geschiebe

Den vom Tod gewiesnen gang.

 

(15. 12. 1929)

 

 

Hol vom nächtigen tann

Über das birkengrün

Odem hügelan . . .

Noch ein wurzeln, ein blühn

5

Dann zersprühn -

Staub oder tau

In das blau.

 

Star, schwalbe, biene verschwirrn,

Singen und surren die erden-

10

Bürde zum fernsten gestirn . . .

Laß dich mit ihnen entwerden

Deinem malmenden Hier

Das dich birgt, lügt und zeigt.

Sing in den un-schein ihr «wir»

15

Bis es schweigt.