BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Lautensack

1881 - 1919

 

Altbayrischer Bilderbogen

 

1920

 

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Mai-Andacht

Passauer Impression

 

Nun ist selbst jedes Altwasser

der Donau vom Eise frei.

Stromaufwärts zieht der erste

Salondampfer am ersten Mai:

Wien – Passau . . . Oh! Radschaufeln

in frischem Korallenrot!

Unter Weidenkätzchen am Ufer

bangt sich ein Rudererboot

schon sehr vorm Auf- und Niederschnellen

durch die an Land geschmissenen Wellen!

 

Noch keine sieben . . . und läutet

Mariahilf doch schon zur Nacht?

Hoch läutet's vom Mariahilfsberg

zur ersten Mai-Andacht!

Klimm mit mir die Klostertreppe

empor . . . . Im Ostergrün

der Wiesen zur Rechten, zur Linken

gelb Himmelsschlüssel blühn.

Und in Schleiern von Rauch und Nebel fahl

versinkt uns das Dreiflüssetal.

 

Ach! Auf dem Exerzierplatz

drunten begann ja heut die Dult

mit ihren Kauf- und Schaubuden

und Bierhütten – Gambrinus zum Kult.

Vom Riesen-Wanderkino

die Orgel stromüber braust,

und mit schier menschlicher Stimme

singt eben Gounods Faust –

aber da hören wir schon nichts mehr,

so schwebt ein Marienlied von über uns her.

 

Und von droben aus der Kapelle

setzt ein Klingeln zur Prozession . . .

von der Dampferanlegestelle

herüber ein Glockenton . . . .

Auf der Maidult viel Karusselle,

die machen gleichfalls Geläut . . .

bloß der Porzellanfabrik gelle

Schelle bellt nimmer heut:

weil draußen im «Gasthaus zur neuen Welt»

der Arbeiter seine Maifeier hält! –

 

 

Manuskript des Gedichts