BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Lautensack

1881 - 1919

 

Alfred de Musset

Die Geschichte einer weißen Amsel

 

Übersetzt von Heinrich Lautensack

 

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VIII.

 

Aber aller Entschluß und alle erkünstelte Ruhe machten mich nicht glücklich. Was ich nun war, schien mir nicht weniger mühevoll zu sein als alles, wodurch ichs geworden. Und mich befiel ein Grauen, wenn ich dachte, daß ich nun mein ganzes Leben in diesem Zölibat hinleben müsse. Die Wiederkehr des Frühlings insbesondere marterte mich auf den Tod und ich sank von neuem in tiefste Traurigkeit, als etwas Unvorhergesehenes über mein ganzes Leben entscheiden sollte.

Es ist klar, daß meine Schriften über das Ärmelmeer hinüber bekannt wurden, und daß sich die Engländer um das Buch rissen. Die Engländer reißen sich ja um alles, außer um das, was sie begreifen ... Ich erhielt einen Brief aus London, von einer jungen Amselin:

«Ich las Ihre Dichtung, schrieb sie, und die Bewunderung reifte in mir den Entschluß, Ihnen meine Hand und mein Leben anzubieten. Gott hat uns füreinander geschaffen! Ich bin wie Sie, ich bin eine weiße Amsel....»

Man kann sich meine Überraschung und meine Freude vorstellen. Eine weiße Amsel! sagte ich mir, ists möglich? Ich bin also nicht allein auf der Welt. Sofort schrieb ich an meine schöne Unbekannte und zwar so, daß sie mit Leichtigkeit ersehen konnte, wie sehr mir ihr Vorschlag gefiel. Ich bestürmte sie, nach Paris zu kommen, oder mir zu erlauben, daß ich hin zu ihr flöge. Sie antwortete mir, sie würde lieber zu mir kommen, ihre Eltern langweilten sie, sie würde nur noch einige Angelegenheiten regeln und ich solle sie baldigst sehen.

Und sie kam wirklich einige Tage darauf. Oh Glück, sie war das schönste Amselchen der Welt und noch weißer als ich.

– Oh Fräulein, rief ich, oder vielmehr Madame, denn ich betrachte Sie jetzt schon als meine rechtmäßige Gemahlin, wie ist es möglich, daß ein so reizendes Geschöpf auf Erden ist, ohne daß der Ruf von seiner Existenz bis zu mir kam? Ich segne die Leiden, die ich erlitten, und die Schnabelhiebe, die mir mein Vater austeilte, da der Himmel mir einen so unerhofften Trost bereitete! Bis zu diesem Tage wähnte ich zu ewiger Einsamkeit verdammt, und das war offen gesagt, eine schwere Last. Aber je mehr ich Sie ansehe, fühle ich in mir alles Zeug zu einem Familienvater. Nehmen sie ohne Aufschub meine Hand, lassen Sie uns auf Englisch heiraten! Ohne allen Bimbam! Und nach der Schweiz auswandern....

– Nicht also, antwortete da die junge Amselin. Ich wünsche unsere Hochzeit mit allem Pomp und dazu alles, was an Amseln in Frankreich ein bißchen von Geburt ist, feierlich geladen. Leute unseres Schlages sind es ihrer Ehre schuldig, nicht so wie die Katzen auf der Dachrinne zu heiraten. Ich habe einen Vorrat von Banknoten mitgebracht. Verschicken Sie die Einladungen. Gehen Sie zu Ihren Kaufleuten und knausern Sie mir nicht mit Erfrischungen.

Ich gehorchte blind den Befehlen der weißen Amsel. Unsere Hochzeitsfeierlichkeiten geschahen in einem tödlichen Luxus; zehntausend Fliegen wurden verspeist. Den Hochzeitssegen erteilte Hochwürden Vater Kormoran, Erzbischof in partibus. Ein glänzender Ball beschloß den Tag. Nichts fehlte mir mehr zu meinem Glück.

Je tiefer ich in das Wesen meiner reizenden Frau eindrang, um so größer wurde meine Liebe zu ihr. In diesem kleinen Persönchen vereinigten sich alle Mustereigenschaften des Leibes und der Seele. Nur ein bißchen spröde Zierpuppe war sie. Aber ich schrieb das dem Einfluß des Londoner Nebels zu und zweifelte nicht, daß die französische Luft diese Kleinigkeit beseitigen würde.

Nur eines beunruhigte mich ernsthafter. Das war eine Art Heimlichtuerei. So ab und zu. So sonderbar. Und rücksichtslos. Wie sie sich da mit ihren Zofen einschloß. Und stundenlang Toilette machte. Nach ihrer Behauptung.... Ehemänner lieben solche Fantastereien in ihrer Häuslichkeit nicht. Es passierte mir wohl zwanzigmal, daß ich bei meiner Frau anklopfte, ohne daß mir aufgemacht ward. Das quälte mich grausam. Unter anderem beharrte ich eines Tages mit derart schlechter Laune darauf, daß sie nicht anders als nachgeben konnte und mir ein wenig vorschnell aufmachte, nicht ohne sich über meine Zudringlichkeit zu beklagen. Ich sah beim Eintreten eine große Flasche stehen, mit einer Art Kleister aus Mehl und Spanisch-Weiß darin. Fragte meine Frau, was sie mit dieser Apothekerware anfinge. Und da sagte sie mir, das sei ein Opiat gegen Frostbeulen.

 

 

Es schien mir schon nicht ganz richtig. Aber wie kam ich eigentlich dazu, einem so süßen und gescheiten Weibchen zu mißtrauen, das sich mir mit einer solchen Begeisterung und soviel Aufrichtigkeit hingegeben hatte? Ich wußte anfangs nicht, daß meine Inniggeliebte eine Frau der Feder war; nach einiger Zeit gestand sie es mir ein und zeigte mir das Manuskript eines Romans, der nach Walter Scott und Scarron zugleich war. Man kann sich meine freudige Überraschung denken. Nicht nur, daß ich eine unvergleichliche Schönheit mein eigen nannte, ich war auch noch sicher, daß mir die Genossin in jedem Punkt kongenial war. Welch eine Eroberung! Von dem Augenblick ab arbeiteten wir zusammen. Während ich meine Dichtungen verfaßte, schrieb sie bogenweise, riesweise herunter. Ich las ihr meine Verse laut vor, aber das störte sie nicht im mindesten am Weiterschreiben. Sie legte ihre Romaneier mit einer Leichtigkeit, die der meinigen gleichkam. Dabei wählte sie immer die dramatischsten Stoffe. Vatermorde, Entführungen, Blutvergießen. Sie verstieg sich bis zu reinen Beutelschneidereien, verfehlte aber nie, im Vorbeigehen die Regierung anzugreifen und Amselemanzipation zu predigen. Mit einem Wort, ihr Geist bewältigte mühelos, ihre Schamhaftigkeit spielend. Ohne eine Silbe zu streichen. Ohne jeden Entwurf. Der Typus einer schriftstellernden Amsel.

Einmal, als sie ihrer Arbeit mit einem unerhörten Feuer oblag, sah ich, daß sie in großen Tropfen schwitzte. Und ich war ganz erstaunt, als ich sodann auf ihrem Rücken einen großen schwarzen Klex sah.

Sie schien erst ein wenig erschrocken, ja, verdutzt. Aber als eine Dame von Welt war sie bald darüber hinweg und wurde wieder königinnengleich wie sonst. Und sie sagte mir, das sei ein Tintenfleck, in den Augenblicken der Inspiration eine sehr üble Angewohnheit von ihr.

– Sollte meine Frau sich färben? fragte ich mich da im Stillen. Der Gedanke ließ mich nicht mehr schlafen. Der Kleistertopf fiel mir neu ein. – Himmel, Himmel, was ein Argwohn! rief ich aus. Sollte dieses göttliche Geschöpf bloß eine Malerei sein und bloß Mörtel? Sollte sie sich lackieren, um mich zu täuschen? ... Ich wollte eine Geistesschwester, das einzig für mich geschaffene Wesen an mein Herz drücken und habe doch nur Mehlpappe geheiratet?

Von diesem entsetzlichen Zweifel verfolgt, beschloß ich, mich freizumachen. Ich kaufte ein Barometer und verfolgte begierig, ob schlecht Wetter würde. An einem zweifelhaften Tag wollte ich meine Frau ausführen und mit ihr die Probe auf die Regenlauge anstellen. Aber es war Mitte Juli und schauderhaft schönes Wetter.

Das vorgeschminkte Glück und das angestrengte Schreiben hatten meine Nerven angegriffen. Naiv wie ich war, begegnete es mir nun unterm Arbeiten öfter, daß das Gefühl den Gedanken überwältigte und ich in der Erwartung eines Reimes zu weinen anfing. Meine Frau hatte das sehr gerne: jede männliche Schwäche entzückt den weiblichen Hochmut. Eines Nachts, als ich ganz nach dem Rezept Boileaus an einer Verbesserung feilte, tat sich mein Herz auf.

– Oh, Du! sagte ich zu meiner geliebten Amselin, Du, allein und zumeist Geliebte! Du, ohne die mein Leben ein Traum wäre, Du, von der mir ein Blick, ein Lächeln die ganze Welt ist, mein Herzschlag Du, weißt Du, wie sehr ich Dich liebe? Wenn ich einen banalen, von andern Dichtern längst abgenutzten Gedanken in Verse bringen will, brauche ich nur ein wenig Nachdenken und Aufmerksamkeit, und ich habe die Worte. Aber woher soll mir der Ausdruck dafür kommen, wie Deine Schönheit auf mich einwirkt? Alle Erinnerung an all meine einstigen Leiden bringt mir nicht ein Wort auf, das mein Glück mit Namen nennen könnte! Eh Du zu mir kamst, war ich einsam wie ein ausgestoßener Waisenknabe, heute ist meine Einsamkeit die eines Königs. In diesem schwachen Leibe, der an Dich erinnert, bis der Tod ihn zertrümmert ... in diesem kleinen entzündeten Gehirn, drin ein eitler Gedanke gärt, ... weißt Du, mein Engel, begreifst Du, meine Schönste, daß nichts sein und werden kann, das nicht Dir gehört? Hör, was mein Gedanke Dir sagt, und fühl, wie viel meine Liebe größer ist! Oh! daß mein Genie eine Perle und Du Kleopatra wärest!

Indem ich so faselte, weinte ich auf meine Frau hernieder, und sie färbte sichtbar ab. Mit jeder Träne, die aus meinem Auge rollte, erschien ein Federchen, nicht ganz schwarz, sondern mehr rotgelb (ich glaube, sie hatte sich früher schon einmal anders gefärbt). Nach einigen Minuten Schluchzen und Klagen hatte ich einen Vogel vor mir, der entkleistert, entmehlt, absolut der gewöhnlichsten und gemeinsten Amsel gleich sah.

Was tun? was sagen? wie verhalten?.... Da half kein Vorwurf mehr. Das wäre ja wohl Scheidungsgrund genug gewesen ... aber die Schande auch noch öffentlich werden lassen? Wars so nicht gerade Unglück genug? Ich machte mich auf und davon, fort, fort, raus aus der Schriftstellerlaufbahn, in eine Wüste, wenn möglich, niemals jemanden mehr sehen und so wie Alkest suchen.

... Die fernste Küste, wo man in Wahrheit weiße Amsel ist!