BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Lautensack

1881 - 1919

 

Das Heimliche Theater

 

1912

 

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Das Heimliche Theater

Ein Weg zur Überwindung des Zensors

 

Um aus den letzten zehn Jahren bloß diese zwei Beispiele zu nehmen:

Wir alle haben's kürzlich wieder mitangesehn, wie die berliner Privat-Gesellschaft «Pan», die mit Umgehung der Zensur Theatervorstellungen veranstalten wollte, sogleich von der Behörde erdrosselt wurde; und ich selber hab's einstmals hart miterlebt, wie man unsern heimeligen Fuchsbau, genannt die münchener Elf Scharfrichter, nach nicht allzu langer Zeit uns gründlich zerstörte.

Ja sogar, dem Pan ging's unlängst schneller an den Kragen als seinerzeit den münchener Elf. Was den wenigen, die's noch nicht wissen sollten, beweisen mag, daß die Härte der Zensur in den letzten Jahren durchaus nicht abgenommen hat, sondern vielmehr nur noch grimmiger geworden ist.

Was tun? Die Zensur ist ein öffentliches Unglück – ein solcher oder ähnlicher Satz gelingt leicht einem jeden Anfänger-Raisonneur. Was aber tun? Die Kalamitosen Wedekind Frank, Borngräber Otto, Dülberg Franz, Ilgenstein und Lautensack Heinrich (diese Liste macht keinen Anspruch auf Vollständigkeit) bilden einen einzigen schreienden Haufen – nützt dann das zu was? Es nützt, ach, gleichfalls zu nichts. Es nützt eben weder räsonieren, noch auch glückt es, wenn wir Betroffenen uns vor Jammer und Wut heiser schreien. All das hat noch um keines Haares Breite zur womöglichen Abschaffung der Zensur vorwärts gebracht; denken wir also –

Denken wir also lieber rückwärts und sinnen uns eine wirkliche Privat-Gesellschaft aus à la Pan, d. h. eine, die nicht sogleich erdrosselt werden kann, und einen Fuchsbau, einen heimlichen, ähnlich den Elf Scharfrichtern, bloß daß der dann in Wahrheit unzerstörbar sein soll.

Baldowern – ei ja: baldowern – wir uns eine Gelegenheit aus, dergegenüber die Polizei einmal ohnmächtig ist mit ihrer ewigen und schnell bereiten Umstellung und Aushebung, als ob's faktisch das infamste Verbrechernest gälte.

Mit einem Wort (welches ich mir keineswegs groß schmeichle gefunden zu haben): gründen wir das Heimliche Theater.

 

Denn – ich will all das, was man gegen die Zensur bis zum heutigen Tage vorgebracht hat, an dieser Stelle doch noch einmal in zwei Hauptpunkten zusammenfassen, selbst auf die Gefahr hin, daß ich unbewußt vom Goethe-Bund abschreibe – denn was soll

1. aus den von einem Verbot heimgesuchten Schriftstellern und deren Werken werden, wenn wir allemiteinander uns in christlicher Geduld üben wollen, bis die Zensur ein Einsehen bekommt und sich in ihren eigenen Rotstift stürzt? – Wir können ebensowenig annähernd abschätzen, wieviel künftighin rein durch die leidige Zensur ungeschrieben bleiben wird, als wir bei weitem zu ermessen vermögen, was seit Jahrzehnten bereits von unsern produzierenden Mitmenschen durch die ewige kalte Douche des Zensors nur mit einer Gänsehaut behaftet auf die Welt kam.

Und – 2. – was soll inzwischen aus uns werden? aus uns andern? aus uns Publikum? aus uns Parkettgenossen? Wir möchten doch um Gottes willen Teil haben daran, daß dies und jenes Werk in unseren Tagen ausgerechnet entstanden ist! daß es an einem Schreibtisch geschaffen wurde, der etwa nur zwei, drei Straßen von unserer Wohnung oder unserem Bureau entfernt steht! möchten um's Himmels und aller Heiligen willen Teil haben an einem Werk, das zumindest in einer Stadt wie München ausgedacht und hingeschrieben wurde, einer Stadt wie München, mit der wir uns hier von Berlin aus doch sonst – doch sonst binnen einer kurzen Viertelstunde telephonisch verbinden lassen können! – Ei ja – und dieser zweite Punkt ist m. E. bis dato viel zu wenig herausgekehrt worden – wir heute in diesem Zeichen des Verkehrs sollen einzig auf die endliche Aufführung eines Werkes, das die Zensur durch ihr Verbot (mit einer Treffsicherheit, die Prof. Dr. Ed. Engel anzuwünschen wäre) noch dazu vor sovielen andern gebührendst hervorgehoben hat, warten, warten, warten, warten, bis wir ins Grab sinken?

Das war zu aller Zeit ein gar blödes Argument gegen die Zensur: daß sie sich das eine oder andere Mal irrte und ein ganz harmloses Stück verbot. – Im geraden Gegenteil haut die Zensur fast niemals daneben; sie ist nur ihrer ganzen Veranlagung nach so rückständig, die öffentliche Herausbringung von Werken, an denen wirklich endlich wieder einmal etwas dran ist, sofort als (staats-, religions-, sitten-) gefährlich zu verhindern.

Und darum, Herrschaften, laßt uns das Heimliche Theater auftun und das Wort «heimlich» dabei so auf unsere Zungen nehmen, daß wir einen Geschmack davon abkriegen – heimliches Gericht, heimliche Feme!

Wie denn auch: – wir würden uns ja anders zu sehr sträflichen Mitschuldigen machen an jenem öffentlichen Unglück, welches die Zensur ist.

 

Wie dieses Heimliche Theater (ein jeder Leser darf sich derweil getrost ein noch besseres Epitheton ausdenken) nun aber inszeniert werden soll? – Jetzt schäm ich mich wahrhaftig fast, daß ich es sein soll und nur grad ich, dem dieses eingefallen ist, und ich kann es immer noch nicht recht für möglich halten, daß nicht längst schon andere vor mir auf den Gedanken gekommen sind. – Doch, nun endlich frei herausgesagt, ist das Ei des Kolumbus dieses:

Du und ich und noch etwer, Freunde, Mitkämpfer der «Aktion» machen einen Verein und laden die und die Leute zu einer Aufführung von (dieser Anfang ist beschlossene Sache) Frank Wedekinds Totentanz durchaus gratis ein. Das will heißen: wir verzichten auf jene naiven Praktiken, durch die nach längerer oder kürzerer Zeit, so die Elf Scharfrichter, so der Pan, elendiglich gleich Froschverbindungen aufgeflogen sind, auf jene Mittelchen, Manöverchen: beileibe keinen Eintritt und jedennoch dafür eine Garderobengebühr von neun Mark neunundneunzig Pfennigen oder einen so oder so angemessenen Mitgliedermonats- oder Jahresbeitrag zu erheben. Nein also, wir verzichten darauf! wir bedanken uns schönstens dafür! wir haben derlei großmütig genug nicht nötig! und soviel ist uns – sublimst – die Hetz oder Gaudi wert! Und wenn wir – jetzt kommt mich wahrlich etwas Pathos an – und wenn wir den heiligen Christ gleich ein zweites Mal nur im geringsten Stall von Bethlehem gebären müßten: wir, du und ich und noch etwer wollen uns die Portoauslagen zu den Einladungen an das halbe Berlin W. ausschließlich von unseren mageren Schriftstellerhonoraren abknapsen

- und was benötigen wir denn für den Anfang (gemeint ist immer der einzige Frank Wedekind'sche Totentanz) groß noch weiter?

Dazu brauchen wir zumindest noch einen Stall, sagst Du, eine Krippen?

Darauf entgegne ich dir: Wenn wir diesen Stall und diese Krippen ebenfalls bereits hätten – hm?

Da überschlägst du in deinem Gedächtnis schnell die Bilanz, die da heißt Berliner Theaterdirektoren, und triumphierst: Ausgeschlossen! aus ... ge ... schlossen! – Und fährst mit mir gleich darauf in meine immer noch stolze Parade: Aber selbst gesetzt den unmöglichen Fall, ein berliner Theaterdirektor u.s.w. u.s.f.: wo wollt ihr «for bechinem» die Schauspieler herkriegen? Schauspieler und for bechinem??

 

Mich dünkt, ich hab dem Pessimisten und Allesmiesmacher längst einen allzu breiten Raum eingeräumt. In diesem einzigen Wedekind'schen Totentanz, der die Eröffnung des Heimlichen Theaters bilden würde, liegt die Sache so, daß ich mir in der Tat bereits ein «Lokal» weiß. Und falls wider alles Erwarten der «Lokalbesitzer» – durch Warnungen, ja Drohungen von seiten des Zensors – doch noch zurückzuppen sollte, hat sich ein reicher Freund von mir willens erklärt, das dadurch entstehende Loch zuzumachen. Und was das Schauspielermaterial anbetrifft, übernehmen Herr und Frau Wedekind die Hauptrollen ... und außerdem (unkt jene Unke) sollen im heutigen Berlin nicht zwei Schauspielkräfte vorhanden sein, die herzlich gern umsonst die beiden restierenden Sprechrollen übernehmen? In eben diesen Tagen, wo die Bühnengenossenschaft noch dazu wirksam darauf aus ist, durch Eröffnung von soundsovielen Saalbühnen die hier engagementslos sich herumtreibenden Mimen auf ein Minimum reduzieren.

 

Diese Einwände alle – sind sie nicht Kleinig- und Unnützigkeiten? Kaffeehausdebatten, mit denen wir uns die längste Zeit lächerlich gemacht haben sollten? – Und warum sollten vierzehn Tage etwa nach diesen unsern Weihnachten nicht ebenfalls drei Heiligedreikönige, nicht einmal besonders stark nach amerikanischen Multimillionären duftende Kaspar, Melchior und Balthasare angezogen kommen, die uns 100 Dollar darbringen? Oder gar 300 Dollar?

Sehen wir vor allen Dingen zu, ob dieser unserige projizierte Waffenstillstand mit der Zensur (wie man es, weniger feindlich und zähneknirschend und mehr verbindlich grinsend, schließlich gleichfalls nennen könnte) überhaupt möglich ist und ob es überhaupt sein kann, daß dieser Stern uns aufgeht und leuchtet.

 

Vorbesprechungen (weshalb ich nicht so ausführlich zu sein brauche und hier frühzeitig schließen kann) mit Rechtsanwälten, Schauspielern, Theaterdirektoren, Bühnenvertriebsvorständen, verbotenen und nicht verbotenen Autoren, wohlhabenden Dilettanten, dito Dramaturgen, Theaterkritikern, auch nicht zu vergessen Prof. Dr. Ed. Engel, Zensurbeiräten und mit Zensoren selbst, Polizeipräsidenten, Staatsanwälten usw. usw. von heute ab in jeder Nummer der «Aktion», d. h. es soll eine publike Debatte eröffnet werden und eine Rundfrage. Alles zusammen über – in allen größeren Städten Deutschlands – das Heimliche Theater!

Heinrich Lautensack

 

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Ich räume diesem tatbedeutenden Aufsatz die Stelle des politischen Leitartikels ein: es ist eine eminent politische, eine kulturpolitische Frage, die hier gelöst werden soll. Es gilt eine Kulturtat. Was bedeuten daneben all die Stichwahlgeschäftssorgen der Berufspolitiker? (Franz Pfemfert)