BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Lautensack

1881 - 1919

 

Zwischen Himmel und Erde

 

1913

 

____________________________________________________

 

 

 

Der dritte Akt

 

47.

Am Abend desselbigen Tages. Unten – ratlos alles wie zuvor. Man bringt Essen. Inge schlägt's aus. Nimmt nur zu trinken. Wobei man – an ihrer Gier – recht merken soll, welchen Durst sie all die Zeit erlitten hat.

48.

«Gegen das entsetzliche Durstgefühl soll Rauchen gut sein. Also teilen wir meine beiden – notabene letzten – Zigarren!» Das sagt – oben auf der Spitze – Erdmannsdorf. Und tut nach seinen Worten. Olaf kämpft einen Kampf, ob er annehmen soll. Endlich siegt das Durstgefühl und er akzeptiert. Feuerzeug tritt in Aktion; man macht die ersten Züge. Dann redet Olaf, aber immer rauchend dabei. So daß es mehr nach Konversation denn nach Unterhandlung aussieht. Und dann gewahrt man, wie Erdmannsdorf selber gespannt wird. – Und dann diese Schrift: «.Ein Rettungsfaden!» Und Olaf zieht die Drachenschnur. Zeigt sie. Steht auf (und alles fiebert an ihm). Winkt nach unten. Ruft.

49.

... Als man unten das Winken und Rufen gewahr wird – die Aufregung läßt sich denken!

50.

Und wieder oben: Wie Olaf nun – fiebernd ist schon gar kein Ausdruck mehr – die Schnur herabläßt!

51.

Und wieder unten: Wie das Ende der Schnur endlich! endlich!! endlich!!! herunterlangt; – die Freude von allen.

52.

Aber da – – – – und zwar wieder oben: Olaf, in seiner Gutgläubigkeit, nimmt längst an, daß diese seine ganze Praktik auch sehr im Einverständnis mit Erdmannsdorf, der ja elf Stunden Zeit zur Überlegung hatte, geschähe. Indes, kann Erdmannsdorf denn nun noch überhaupt zurück, selbst wenn er auch wollte?!

Und so hat der Verwalter dem allem mit teuflischster Miene zugeschaut, um in letzter Sekunde, nachdem die Verbindung mit der Erde bereits erreicht ist, einen umso gräßlicheren Strich durch die Rechnung zu machen: oh! er windet dem ahnungslosen Olaf das Spagatende mit einem Griff aus der Hand und läßt's fallen.

53.

Unten – der Schrei des Entsetzens dann –!

54.

Oben – wie die beiden auf ein Neues recht wie Kampfhähne gegeneinander stehen! D. h. wie Olaf sich nun gar nicht mehr halten kann und auf Erdmannsdorf losstürzen will. Aber da zieht Erdmannsdorf erstens einmal seinen Browning. Und zweitens ... ein Notizbuch. Reißt einen Zettel heraus. Schreibt. Und faltet das Schreiben und wirft es hinunter.

55.

Unten – der Zettel wird gefunden, geöffnet, gelesen: «Jedem Eingriff von dritter Seite in diesen unsern regulären Zweikampf begegne wirkungsvoll genug mit meinem Revolver!! – Also geht schlafen da unten; wir hier oben tun's auch!

Erdmann v. Erdmannsdorf.»

56.

Und es hat – wieder oben – allen Anschein, als ob der Verwalter nach diesen seinen soeben geschriebenen Worten tun wollte. Wenigstens macht er alle Anstalten dazu, sich regulär schlafen zu legen, wobei er außerdem in nicht mißzuverstehender Weise mit seinem Browning umgeht. «Gut' Nacht!» Und er legt sich wirklich richtig hin, ... derweil Olaf bald am Galgen lehnt und in das Dämmerige hinuntersieht, bald den Brief Inges zieht und seine Lippen auf ihre Schriftzüge preßt...

57.

Herr von Britz versucht Inge zu bewegen, schon um des Knaben willen, nach Hause zu kommen. Vergebens! – Vielmehr richtet sich Inge sozusagen häuslich ein hier für die Nacht.

58.

Das Chloroform als Retter!

... Das muß in den Bewegungen alles etwas schlechtweg Raubtierartiges haben: Wie Olaf, der sich zu Anfang des Bildes gleichfalls schlafend gestellt hat, späht, ob der andere schläft ... das Fläschchen zieht und sein Taschentuch mit dessen Inhalt tränkt... und seinen Gegner dann, weniger fachgemäß als vor allem auf die Wirksamkeit bedacht, narkotisiert. Sodann, nachdem das Betäubungswerk anscheinend gelungen, kleine kurze Stricke vom Galgen löst und sie als Fesseln gebraucht. Und schließlich – aus dem eroberten Browning des schachmatt gesetzten Erdmannsdorf – einen, zwei, drei Schüsse alarmierend hoch in die Luft abfeuert.

59.

Das Entsetzen derer da unten, als da oben Schüsse knallen. Denn sie können ja kaum mehr etwas sehen, so abendlich ist es.

60.

Derweil reißt Olaf oben aus dem gleichfalls annektierten Notizbuch des Verwalters Seiten heraus und kritzelt sie – halbblind – voll. Und macht dann einen ganzen Papierballen aus ihnen und schlingt den in sein Taschentuch und beugt sich über die Brüstung und ruft und wirft den großen Knäuel, womöglich noch mit einem Viertelmauerstein beschwert, hinab.

61.

Dieses letzte Bild wirkte gegen die untergehende Sonne hin als Silhouette. Drunten Nacht. Die Botschaft mit viel Glück sogleich gefunden. Inge: «Licht! Licht!!» Und dann lesen:

«Habe E. in berechtigter Notwehr mit Chloroform betäubt und sodann gefesselt so gut es ging, ~ Morgen beim ersten Frühwind laßt bitte Drachen steigen. Olaf.»

– Inges Triumph!

62.

Und nun noch einmal oben: Olaf, der sich einfach auf die Knie wirft und dem Himmel danken zu müssen glaubt ...

63.

Am andern Morgen. Unten – auf einer Wiese am Wasser und die ganzen Fabrikbaulichkeiten zum Hintergrund –, läßt man den Drachen steigen.

64.

Und wie das Spielzeug höher steigt.

65.

Und noch höher!

66.

Und nun erst wieder oben: Olaf, der den Drachen fängt! – Dann, wie an die mit vieler Mühe nach oben geleitete dünne Schnur –

67.

unten nun eine dickere befestigt wird.

68.

Und sodann gleich, wie Olaf sich an einem verhältnismäßig dicken Seil durch das Innere des Schornsteins hinabläßt. – Nachdem er noch einen letzten entsetzten Blick auf den ... auf den entseelten und erstarrten Körper Erdmannsdorfs geworfen hat. –

69.

Olafs Ankunft unten und ... Inge auf ihn zu! Olaf: – als ob er den Gebrauch der Füße verlernt hätte ... Inge umhalst ihn und küßt wieder und wieder sein ergrautes Haar. – Und Stärkungsmittel, so gereicht werden!

70.

Aufstieg zweier Arbeiter, die –

71.

– die, oben angelangt, einfach ihre Hüte abnehmen.

72.

Schluß-Vignette. Inge und Olaf in einem schönen Segelboot ...

 

Ende.