BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Rosa Luxemburg

1871 - 1919

 

Briefe aus dem Gefängnis

 

1916

Aus Wronke (Posen)

 

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Wronke, 21. 11. 16.

 

Meine geliebte kleine Sonitschka,

 

ich erfuhr von Mathilde 1), daß Ihr Bruder gefallen ist, und bin ganz erschüttert von diesem Schlag, der Sie wieder traf. Was müssen Sie alles in der letzten Zeit ertragen! Und ich kann nicht einmal bei Ihnen sein, um Sie ein wenig zu erwärmen und aufzuheitern! ... Auch bin ich unruhig um Ihre Mutter, wie sie dieses neue Leid ertragen wird. Das sind böse Zeiten, und wir haben alle eine lange Verlustliste im Leben zu verzeichnen. Jeder Monat kann jetzt wahrhaftig wie bei Sebastopol für ein Jahr zählen. Hoffentlich kann ich Sie recht bald sehen, ich sehne mich danach von ganzem Herzen. Wie haben Sie die Nachricht von Ihrem Bruder erhalten, durch die Mutter oder direkt? Und was hören Sie von dem anderen Bruder? Ich wollte Ihnen so gern durch die Mathilde etwas schicken, habe aber hier leider gar nichts, als das kleine bunte Tüchlein; lachen Sie's nicht aus; es sollte Ihnen nur sagen, daß ich Sie sehr liebe. Schreiben Sie bald eine Zeile, damit ich sehe, in welcher Verfassung Sie sind.

Grüßen Sie tausendmal Karl.

Ich umarme Sie herzlichst

Ihre Rosa.

Den Kindern viele Grüße!

 

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1) Mathilde Jacob, Freundin von Rosa Luxemburg, siehe In den Briefen erwähnte Personen