BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Arthur Rosenberg

1889 - 1943

 

Demokratie und Klassenkampf

im Altertum

 

1921

 

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2.

Sklaven, Leibeigene, Proletarier:

drei unterdrückte Stände im Altertum.

 

Mancher Leser des ersten Kapitels unseres Buches wird sich gewundert und sich die Frage vorgelegt haben: Hat es denn im Altertum wirklich freie Proletarier in nennenswerter Anzahl gegeben? Ist nicht damals alle schwere Arbeit von Sklaven getan worden? In der Tat findet man oft die Auffassung, das Altertum sei die Zeit der Sklavenarbeit gewesen, die folgende Periode, ungefähr bis zum Jahre 1800, habe im Zeichen der Leibeigenschaft gestanden, und dann sei die Zeit der freien Lohnarbeiter herangebrochen. Diese Scheidung der drei Zeitabschnitte ist an sich richtig: im Altertum spielte die Sklaverei, und im Mittelalter und der sogenannten Neuzeit (1500-1800) die Leibeigenschaft eine bedeutsame Rolle, und das Anbrechen des Maschinenzeitalters schob dann die freie Lohnarbeiterschaft in den Vordergrund. Indessen muß man sich hüten, diese drei Entwicklungsstufen allzu einseitig aufzufassen: im Altertum hat es neben den Sklaven auch sehr viele Leibeigene und noch mehr freie Proletarier gegeben. Die Lehre, daß das Wesen aller Geschichte in Klassenkämpfen besteht, bestätigt sich gerade bei der Betrachtung des Altertums vollkommen. Aber es ist nicht gerade der Klassenkampf des Freien und des Sklaven, der das Wichtigste in der alten Geschichte darstellt, sondern andere Klassengegensätze hatten noch größere Bedeutung. [6]

Die Sklaverei wurde im Altertum dadurch möglich, daß damals, wie schon oben betont wurde, nördlich der Kulturländer Italien und Griechenland, in Europa eine Unmenge wilder Stämme hausten. Diese wilden Völker, die Gallier in Frankreich und den Alpenländern, die Thraker und Illyrer auf dem Balkan, die Skythen in Rußland, die Germanen in Deutschland usw., lagen ständig miteinander im Krieg. Ein Dorf überfiel das andere, brannte es nieder und schleppte die Einwohner weg, die dann auf den Sklavenmarkt wanderten. Unternehmende Sklavenhändler brachten darauf diese Menschenware in die Kulturländer. Es waren also ähnliche Zustände wie beim Negerhandel bis tief ins 19. Jahrhundert hinein. In den letzten Jahrhunderten vor Christus sind dann die meisten wilden und halbwilden Völker Europas unmittelbar von den römischen Heeren besucht und niedergeworfen worden. Infolge dieser grausigen römischen Raubkriege sind viele Hunderttausende von Menschen in die Sklaverei geschleppt worden.

Neben den Wilden Nord- und Mitteleuropas hatten die Römer und Griechen noch mit einer anderen Gruppe von Nationen zu tun: das waren die Völker des alten Orients, die Ägypter, die Syrer, die Kleinasiaten, die Perser, die Babylonier in Mesopotamien und andere mehr. Diese Orientalen, deren Eigenart auch weitere Kreise aus dem Alten Testament kennen, waren gebildet und hatten festgefügte Staaten. Es war daher nicht möglich, z.B. in Kleinasien und Ägypten ständige Sklavenjagden zu veranstalten. Aber aus Gründen, die sich an dieser Stelle nicht weiter ausführen lassen, löste sich im 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. in weiten Teilen des Orients, besonders von Syrien und Kleinasien, die staatliche Ordnung auf, und diesen Zustand benutzten allerhand Spekulanten, Abenteurer und Verbrecher, um auch in diesen Ländern Menschenjagden in großem Stil abzuhalten. Die unglücklichen Orientalen trafen sich dann in den Sklavenkerkern Italiens mit den eingefangenen Wilden des Nordens. Niemals sind der antiken Kulturwelt mehr Sklaven zugeführt worden als in der Zeitspanne von 200 bis 30 v. Chr., weil gleichzeitig die römischen Heere im Norden und die Agenten der römischen Spekulanten im Orient die Menschen einfingen. Danach versiegte aber allmählich die Sklavenzufuhr. Die römische Republik ging nämlich unter, und an ihre Stelle trat das Kaiserreich. Man muß es den römischen Kaisern nachrühmen, daß sie in dem gewaltigen Gebiet von England bis Ägypten Ordnung und Frieden geschaffen haben. [7] Mit der Raubwirtschaft der späten Republik hörten auch die Sklavenjagden auf. So bekamen die Griechen und Römer nur noch wenige Sklaven von außen her, und die vorhandenen Sklavenmengen nahmen durch massenhafte Freilassungen reißend ab. So ist die Bedeutung der Sklaverei im Ausgang des Altertums immer geringer geworden, und man kann wahrlich nicht sagen, daß die antike Kultur an der Sklaverei zugrunde gegangen sei; denn die Sklaverei ist ja schon im Laufe des Altertums selbst zusammengeschrumpft. Es sei übrigens noch betont, daß Griechen und Römer selbst nur in seltenen Ausnahmefällen, unter ganz besonderen Umständen, zu Sklaven geworden sind.

Wie groß war nun aber die Sklavenzahl in der Blütezeit des Altertums im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung? Jedermann wird einsehen, daß dies die entscheidende Frage ist. War die Sklavenzahl erheblich größer als die Anzahl der Freien, so wurde die Hauptmasse der produktiven Arbeit eben von den Sklaven geleistet, und die Freien existierten im wesentlichen dank der Leistung der Sklaven. War es aber umgekehrt, das heißt, hatten die Freien die große Mehrheit, dann mußten sie auch selbst kräftig zufassen, um sich zu erhalten, und man kann von „Sklavenstaaten“ des Altertums nur in beschränktem Sinne reden.

Die moderne Forschung hat gezeigt, daß die letztere Auffassung die richtige ist. Im Staat Athen lebten z. B. um das Jahr 350 v. Chr. gegen 170 000 Menschen. Davon waren nach der wahrscheinlichsten Berechnung 120000 Freie und 50000 Sklaven. Athen war aber damals die größte Handels- und Industriestadt der Griechen, und nirgends in Griechenland gab es im Verhältnis mehr Sklaven als dort. Ja, im Gegenteil, in den meisten Landschaften Griechenlands überwogen damals noch durchaus die Landwirtschaft und das Handwerk, und in solchen Gegenden gab es nur wenige Sklaven, ein paar Hundertstel der Gesamtbevölkerung. Die Stadt Rom der Kaiserzeit hatte gegen 800 000 Einwohner, darunter, trotz des Sklavenluxus der Reichen mit ihrer ungezählten Dienerschaft, höchstens eine Viertelmillion Sklaven. Selbst im Italien der späten Republik, wo doch so viele Sklaven aus allen Himmelsrichtungen zusammenströmten, betrug die Anzahl der Freien gegen Dreiviertel der Gesamtbevölkerung. Man sieht also, daß zu allen Zeiten, bei den Griechen wie bei den Römern im Altertum, die Hauptmasse der produktiven Arbeit nicht von den Sklaven geleistet worden ist. Eine Ausnahme machte nur die Insel Sizilien in den beiden letzten Jahrhunderten v. Chr. Dort war durch fürchterliche Kriege der alte Besitzerstand zugrunde [8] gerichtet worden und der Grund und Boden in die Hand römischer Kapitalisten gekommen, die ihre Güter mit Hilfe importierter Sklavenherden bestellten. In dieser sozialen Hölle des Altertums übertraf die Sklavenzahl die Menge der Freien!

Neben den Sklaven darf man aber auch die Leibeigenen des Altertums nicht vergessen, also solche Bauern, die an die Scholle gebunden waren und ihrem Gutsherrn Frondienste und Abgaben leisten mußten. In Griechenland hat es um das Jahr 400 v. Chr. wahrscheinlich mehr Leibeigene als Sklaven gegeben; denn in den großen Landschaften Thessalien, Lakonien und Messenien befanden sich die Landleute in einer derartigen, vielfach jammervollen Lage. Aber die fortschreitende politische und soziale Entwicklung räumte mit der Leibeigenschaft auf. Noch im 4. Jahrhundert v. Chr. erfolgte die Bauernbefreiung in Thessalien und Messenien. Nur in Lakonien behauptete sich zunächst noch die Herrenkaste, die berühmten oder berüchtigten Spartaner. Erst im 3. Jahrhundert kam auch hier der Zusammenbruch, aber dafür in besonders radikalen Formen. In Italien befanden sich die Bauern im 6. und 5. Jahrhundert v. Chr. gleichfalls in weiten Teilen des Landes in einem Zustand, welcher der Leibeigenschaft zumindest sehr ähnlich war. Aber auch dort brachte die politische Entwicklung im 4. Jahrhundert den Sturz des feudalen Junkertums und die Bauernbefreiung. So haben die Griechen wie die Römer in ihrer Aufwärtsbewegung die Leibeigenschaft überwunden. Aber im Ausgang des Altertums setzte mit dem allgemeinen politischen Niedergang auch auf diesem Gebiet wieder eine rückläufige Bewegung ein. Die römische Staatsgewalt im Bund mit den Großgrundbesitzern zwang den Bauern seit dem 4. Jahrhundert n. Chr. die Leibeigenschaft wieder auf: eine Vergewaltigung der armen Bevölkerung, die sich am Ende an ihren Urhebern bitter rächen sollte; denn die Unterdrückung und Verbitterung der Bauern hat wesentlich zum Zusammenbruch des Römischen Reichs im Abendland beigetragen.

In solchen Gebieten und Zeiten des Altertums, wo die Leibeigenschaft vorherrschte, gab es nur wenige oder gar keine freien Proletarier. Dagegen standen die freien Besitzlosen und die Sklaven stets nebeneinander. Ein Zusammengehörigkeitsgefühl war zwischen ihnen jedoch nicht vorhanden. Denn der Proletarier war ja auch ein Grieche oder Römer, der Sklave dagegen entweder ein Wilder des Nordens, ein „Barbar“, wie man damals zu sagen pflegte, oder ein Orientale: also auf jeden Fall ein Mensch, der dem Griechen und Römer in Sprache und Sitte ganz fern stand. Das Verhältnis [9] des athenischen Proletariers zu den Sklaven war ungefähr dasselbe wie heute das Empfinden des weißen Arbeiters der Vereinigten Staaten gegenüber dem Neger. Als die Proletarier in Athen die politische Macht eroberten, haben sie zwar für menschliche Behandlung der Sklavenarbeiter Sorge getragen; aber der Gedanke einer Sklavenbefreiung lag ihnen fern. Ebenso haben an den großen Sklavenaufständen der späten römischen Republik auch einzelne arme Freie teilgenommen, ohne daß dadurch der Charakter der Bewegung sich wesentlich veränderte.

 

Fragen im Anschluß an Kapitel 2.

 

1. Wo stammten die Sklaven des Alterums her?

2. Wie ist die Sklaverei des Altertums untergegangen?

3. Gab es in Athen mehr Sklaven als freie Arbeiter?

4. Wo gab es im Altertum verhältnismäßig am meisten Sklaven?

5. Existierten auch Leibeigene im Altertum?

6. Was sind „Leibeigene“?

7. Wie verhielt sich im Altertum der freie Proletarier zum Sklaven?