BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Schubartgymnasium Aalen

gegründet 1912

 

Abiturjahrgang 1914

 

____________________________________________________________________

 

 

 

Otto Mecheels

Abiturjahrgang 1914

_____________

 

Erinnerungen

eines Aalener Abiturienten

des Jahres 1914

_____________

 

Diesen „Aufsatz“ schreibe ich aus Dankbarkeit. Wenn man in der glücklichen Lage ist, bedeutende Menschen aus einer langen Sicht heraus zu beurteilen, so erkennt man häufig, wie sehr bestimmte Leitbilder und damit eigene Entschlüsse auf Lehrer, Eltern oder andere Persönlichkeiten aus der Jugendzeit zurückzuführen sind. So ergeht es mir mit unseren Lehrern aus der Aalener Oberschule. Wenn ich im späteren Leben oft Arbeiten durchzuführen hatte, deren Bewältigung nicht immer leicht war, wie dies in jedem Leben der Fall ist, so konnte ich mich immer wieder an das halten, was ich in dem Jahre der ersten Oberprima in Aalen von meinen Lehrern gelernt hatte. Wir hatten die Fähigkeit erworben, zu Fragen des Lebens Stellung zu nehmen.

Im Jahre 1913 trat ich in die Oberprima des Realgymnasiums und der Oberrealschule Aalen ein. Ich fand schon eine recht sympathische kleine Klasse vor, welche mich von Anfang an kameradschaftlich aufnahm. Ich stellte auch nach dem Besuch anderer Oberschulen fest, daß die Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern in Aalen besonders erfreulich waren und auf einem gegenseitigen Vertrauensverhältnis beruhten. Im Jahre 1914 sollte das erste „Maturum“ dieser zur Vollschule aufgestiegenen Anstalt stattfinden und dafür war die aufgerückte Oberprima vorzubereiten.

Ich glaube, im Namen der heute noch lebenden Oberprimaner zu sprechen, wenn ich unserer Lehrer herzlich dankbar gedenke. Für die Abiturientenabschlußfeier war eine Postkarte, die in der Abbildung beigefügt ist, erschienen.

 

 

Vorne rechts mit Schnurrbart und Zwicker steht Rektor Fleisch­mann. Er war ein weiser Pädagoge, der uns mit fester Hand behutsam und sicher führte, also das, was man unter einem Lehrer versteht, den man das ganze Leben nicht vergißt.

Rechts von ihm mit der Sportmütze steht Prof. Dr. Wundt, ein Mathematiker mit Humor, welcher uns manche trockene Formel mit recht klugen Kurzformulierungen würzte.

Hierauf folgt Prof. Mahler [von 1911 bis 1952 am SG, nach dem 2. Weltkrieg als Rektor], unser verehrter Physiker. Er hat uns den physikalischen Unterricht manchmal geradezu feierlich gestaltet und ihn mit viel Spannung erteilt. Als wir Schüler die photographische Gesellschaft Helios gründeten, benützte er diese Gelegenheit, um uns außerhalb des Unterrichts über die Physik der Photographie, die Optik und die Methoden der Bilddarstellung zu unterrichten. Sicher haben sich viele seiner Schüler oft seiner erinnert, wenn sie physikalische Fragen beantworten mußten.

Der Mann mit Spitzbart, welcher sich über das gefährliche Netz beugt, ist Prof. Bihl, ein Altphilologe, welcher den lateinischen Unterricht so gab, daß dabei die Beziehungen zwischen Sprache und Kultur klar wurden. Seine lateinische Stunde war sogar für uns junge Menschen interessant. Neben ihm auf der linken Seite des Bildes steht Prof. Müller, der Geschichts- und Deutschlehrer. Er hat uns durch sehr geschickte Aufsatzthemen zu Gedankengängen gezwungen, welche zunächst nicht nahe lagen. Vor allem liebte er es, volkstümliche Sprichwörter kritisch zu betrachten und wir waren höchst erstaunt zu sehen, daß sich manches, was als allgemein gültig galt, bei einem entsprechenden kritischen Durchdenken oft ganz anders darstellte. Stilfehler bekämpfte er. Er hatte dabei die Gabe, diese Fehler zu dramatisieren, wodurch sie plötzlich lächerlich wurden.

An der linken unteren Ecke befindet sich schließlich Prof. Grunsky. Er hat uns neue Sprachen beigebracht. Er verlangte sehr viel, bemühte sich aber bis zur Selbstaufopferung, uns auch wirklich etwas beizubringen. Er wurde nicht müde, sprachliche Originalitäten zu betonen und damit gleichzeitig auf die Eigenart und die Mentalität des betreffenden Volkes hinzuweisen.

Nicht auf der Abbildung zu sehen ist unser Philosoph Ober­reallehrer Widmann. Bei ihm konnten wir psychologische Teste durchführen, wie sie heute recht modern sind, damals aber durchaus noch nicht zu dem Handwerkszeug des Philosophen gehörten.

Ebenfalls nicht auf dem Bild, jedoch unvergessen ist unser Zeichenlehrer, Oberreallehrer Zeller. Sein Zeichenunterricht hat uns sehen gelernt und dies ist, glaube ich, die Hauptaufgabe dieser Sparte in der Ausbildung des jungen Menschen.

Ebenfalls nicht auf dem Bild ist Rektor Rommel [Vater von Erwin Rommel]. Dieser Mann starb im Verlaufe des Schuljahres. Ich habe ihn aber noch recht gut kennengelernt, denn er hat mich aufgenommen und wir haben oft während seiner schweren Erkrankung den Unterricht in seiner Wohnung von ihm erteilt bekommen. Rektor Rommel war für uns junge Menschen ein Vorbild und eine Idealgestalt, streng im Fachlichen, gerecht und überaus gütig im Menschlichen. Er war es, welcher den einmaligen guten Ton an der Schule geschaffen hatte. Es war für mich überraschend zu sehen, daß es überhaupt keine Spannungen zwischen Lehrern und Schülern gab. Für die damalige Zeit ein Wunder. Sein tragischer Tod hat uns junge Menschen tief ergriffen und wir haben wohl zum ersten Mal den Flügelschlag des Schicksals über uns gefühlt.

Die Kandidaten, welche im Bilde über das Netz krabbeln, sind die sieben Kandidaten der Klasse, darunter auch der Zeichner des Bildes, Richard Maier. Er ist leider im Kriege gefallen. Ich erinnere mich nur noch, daß er schon als Abiturient klare Vorstellungen über die physiologischen Unterschiede zwischen einem Speiseessig und einer synthetischen Essigsäure hatte. Ich bin überzeugt, daß er, falls ihm das Schicksal den Weg gegönnt hätte, ein recht bedeutender Chemiker geworden wäre. Ebenfalls im Kriege gefallen ist Richard Stützel, ein musisch begabter Mensch, mit genialem Einschlag. Für ihn war die Beziehung Körper und Seele schon als Abiturient ein interessantes Studien- und Denkgebiet, und ich weiß noch, daß er uns an mancher späten Stunde darüber Überraschendes mitteilte.

 

Otto Mecheels                                     Walter Schieber

 

Ein anderer dieser jungen Leute war Walter Schieber. Er hat später die Fertigung von Chemiefasern im Großen weltweit beeinflußt. Er war ein Chemiker, welcher auf dem technischen Klavier virtuos spielen konnte und die von ihm eingerichteten und geleiteten großen Werke werden immer von seinem Können Zeugnis ablegen.

Vielleicht der Turner, der im Vordergrund seinen sieghaften Aufschwung nimmt, war August Glucker. Er wurde ein berühmter Verfechter der wissenschaftlichen Gymnastik, der physiologisch richtigen Atmung und der den Geist schärfenden körperlichen Ertüchtigung.

Ein weiterer guter Kamerad war Friedrich Pahl, das ausgleichende Element in unserem charakterlich recht verschiedenen temperamentvollen Kreis. Wenn sich zwei Kampfhähne verbissen hatten, so fand er in aller Ruhe und Gelassenheit ein treffendes humorvolles Wort mit recht ernsthaftem Hintergrund. Friedrich Pahl wäre wahrscheinlich ein großer Menschenführer geworden, wenn ihn das Schicksal am Leben gelassen hätte. Voll Seelengüte und Klugheit war auch unser Mitschüler Norbert Tugendhat, ein Könner auf dem Gebiete der Papiertechnik und ein geborener Organisator. Er hat uns schon damals gesagt, daß eine richtige Organisation, heute würde man sagen Arbeitsvorbereitung, für jede wissenschaftliche und technische Leistung die Grundlage darstelle. Wir hatten deshalb sorgfältige Arbeitspläne für unsere Abiturvorbereitung aufgestellt.

Schließlich ist noch meine Wenigkeit zu erwähnen. Ich habe das Gedicht unter dem Bild verfaßt und böse Zungen behaupteten, derjenige, welcher von Rektor Fleischmann so liebevoll gestützt werde, sei ich. Wenn diese Zeilen zeigen, wie lebendig Schulerlebnisse noch nach Jahrzehnten sein können und wie wichtig es ist, gerade in dem aufgeschlossenen jugendlichen Alter das Wirken erfahrener Lehrer in sich aufzunehmen, so haben sie ihren Zweck erfüllt.

 

Prof. Dr. Otto Mecheels

Forschungsinstitut Hohenstein

 

[aus: 50 Jahre Schubart-Gymnasium, Aalen: 1914 – 1964,

Hrsg.: Friedrich Heintzeler, Aalen: Schubart-Gymnasium, 1964, S. 125-128]