BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Schubartgymnasium Aalen

gegründet 1912

 

Aus den Zeiten der Lateinschule

 

Dr. Hermann Stützel

Erinnerungen eines alten Lateinschülers

 

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Die alte Lateinschule

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Das Schubart-Gymnasium, das in diesen Tagen sein 50jähriges Bestehen feiert, ist bekanntlich aus der Zusammenlegung der ehemaligen Lateinschule und der Realschule hervorgegangen. Die Lateinschule hatte bereits 1447 existiert, während die Realschule 1841 gegründet wurde. Beide Schularten hatten ursprünglich nur je sechs Klassen. Im Jahre 1893 trat ich in die 1. Klasse der Lateinschule ein.

Bevor man in diese höhere Schule aufgenommen wurde, mußte man zwei Jahre die Volksschule besuchen. Heute müssen die Schüler 4 Jahre die Grund- oder Volksschule durchlaufen, um die Reife für die Oberschule zu erlangen. Daraus den Schluß zu ziehen, daß die Kinder heute weniger begabt seien als damals, wäre ein wenig freundlicher Trugschluß!

Mit sechs Jahren zog man also in das damals (man schrieb 1891) noch relativ neue Schulhaus an der Gartenstraße ein. Die Inneneinrichtung der Klassenzimmer war nicht besonders vornehm. Lauter lange, aus rohem Tannenholz gezimmerte Bänke für je vier Schüler. Die Schreibpulte waren fest mit den Bänken verbunden. Die Sitzflächen waren keineswegs splittersicher und dabei so breit, daß man kaum mit gestreckten Beinen stehen konnte. Ein Katheder auf hohem Podest, eine Wandtafel und eine sogenannte „Rechenmaschine“ vervollständigten die Einrichtung.

 

 

An der ersten Klasse der Volksschule wirkte ein sehr guter Lehrer, der spätere Rektor Oesterle. Er verstand es ausgezeichnet, den kleinen Abc-Schützen Lesen, Schreiben und elementares Rechnen beizubringen. Wohl gehörte zu seinem Instrumentarium außer einer Geige auch ein Meerrohr, das sicher bei einer Klasse von 62 Buben nicht überflüssig war, das er aber nie im Ärger oder ungerecht benützte.

Unter den Schulkameraden war einer besonders beliebt. Es war der kleine Karl. Eines Tages brachte Karl eine Tasche voll Birnen mit in die Schule und begann, während des Unterrichts die Birnen zu verzehren. Herr Oesterle bemerkte dies natürlich und ging langsam auf Karls Bank zu. Karl, nichts Gutes ahnend, lief schnurstracks auf den Lehrer zu, streckte ihm eine Birne entgegen und rief: „Witt au oine?“ Ob dieser Schlagfertigkeit mußten nicht nur die Schüler, sondern auch der Lehrer lachen, und das Gewitter verzog sich rasch.

Da Karl ab und zu mit dem Meerrohr Bekanntschaft machte, hoffte er weiteres Unheil von sich abwenden zu können, indem er dem Herrn Lehrer ein Blumenstöckle brachte. Aber es nützte nichts. In der nächsten Stunde war wiederum wegen irgendeiner Missetat „Hosen­spannes“ fällig. Und während der Stock auf Karlchens Hosenboden klatschte, schrie Karl aus Leibeskräften: „Wenn i no mei Stöckle wieder hätt'! I bring Dir scho kei Stöckle meh'!“

Die zwei Jahre in der Volksschule gingen rasch vorbei; dann kam die Aufnahmeprüfung in die Lateinschule. Zu den Aalenern kamen noch einige auswärtige Schüler (meist solche, die Pfarrer werden wollten), so daß schließlich im Durchschnitt etwa zehn Buben in die erste Klasse eintraten.

Die Lateinschule umfaßte sechs Klassen mit insgesamt drei Lehrern: ein Kollaborator, ein Präzeptor und ein Oberpräzeptor. Jeder mußte also 2 Klassen übernehmen. Das ging ohne Weiteres, denn die Klassen waren ziemlich klein. Von den 62 Schülern unserer Volksschulklasse traten nur 6 in die Lateinschule ein. Dazu kamen noch einige auswärtige Schüler (meist solche, die Pfarrer werden wollten), so daß schließlich im Durchschnitt etwa zehn Buben in die erste Klasse eintraten.

In der 1. Klasse gab es noch keinen Lateinunterricht. Trotzdem mußten wir nachmittags, ausgenommen Mittwoch und Samstag, zur Schule gehen, oft bis 5 Uhr (17 Uhr). Die Einrichtung der Schulzimmer war auch nicht besser als in der Volksschule.

 

 

Der Herr Kollaborator Waldmüller, der an den ersten beiden Klassen unterrichtete, war ein untersetzter Mann mit struppigem Vollbart. Zum Frühstück mußte ich ihm immer eine Flasche Most aus seiner Wohnung und häufig ein Paar warme Saitenwürste vom Metzger Bezler holen.

Der Unterricht umfaßte neben Lesen und Rechnen vor allem Schönschreiben, Naturkunde und Sprachlehre. Wenn ich heute noch etwas von deutscher Grammatik weiß, so verdanke ich dies dem damaligen gründlichen Unterricht. Jeden Dienstag wurde nach dem Ergebnis eines deutschen Diktats „gesetzt“, d. h. die Sitzordnung festgestellt.

In der 2. Klasse gab es dann jeden Tag Latein, meist zwei Stunden nacheinander. Gesetzt wurde nach einem lateinischen „Proloco“, einer lateinischen Klassenarbeit. Das Latein wurde gründlich gelehrt. Die ersten zwei Stunden fast jeden Tages waren dieser Sprache gewidmet.