BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Schubartgymnasium Aalen

gegründet 1912

 

Aus den Zeiten der Lateinschule

 

Dr. Hermann Stützel

Erinnerungen eines alten Lateinschülers

 

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Est edendum

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Nach zwei Jahren zog man in die dritte Klasse zu Präzeptor Veitinger. Herr Veitinger war noch jung und verlobt. Am Samstag, wenn er zu seiner Braut fuhr, war er immer besonders gut aufgelegt, was den Schülern sehr zugute kam. Jeden Morgen vor Beginn des Unterrichts wurde gebetet, und zwar las der Klassenordner das Gebet vor. Der Vorgänger von Herrn Veitinger war Präzeptor Kramer, ein Lehrer, der bei den Schülern in besonders hohem Ansehen stand, weil er ein Universalgenie war. Er war nicht nur ein sehr guter Pädagoge, sondern ein Spezialist für Strick-, Näh- und Häkelarbeiten sowie für Klavier und Geige. Zu ihm konnte jeder in der schulfreien Zeit kommen und gratis Handarbeit-, Bastel- oder Musikstunden nehmen. Den Stock hatte er abgeschafft und in wöchentlichem Wechsel einen Schüler bestimmt, der die Stunden ansagen mußte, z. B. um 12 Uhr: „est edendum“, um 4 Uhr: „est bibendum“, worauf Herr Kramer sofort sein Buch zuklappte. Mußte einer austreten, war die Bitte: „peto veniam abeundi“. Herr Kramer ist früh gestorben. An seiner Beerdigung blieb bei den Schülern kein Auge trocken.

Wie bescheiden damals gelebt wurde, geht aus Folgendem hervor: Zum Vesper brachte jeder Bub ein Stück trockenes Brot, vielleicht mit einem Apfel, oder einen Wecken mit. Manche kauften sich auch beim „Bäckenbub“ einen „Kümmicher“ oder eine Brezel. Eines Tages zog ein Bub in der Vormittagspause einen dick mit Butter beschmierten Wecken aus der Tasche. Diese unglaubliche Angeberei empörte die andern so sehr, daß sie den armen Butterbrotbesitzer während der ganzen Pause hänselten und belästigten, so daß er seinen Butterwecken nicht essen konnte und ihn wieder einstecken mußte.

Der Stadtbach, der vom „Katzengumpen“ nach dem Marktplatz fließt, lief früher offen, etwa 1,5 m breit am Realschulgebäude vorbei. Da war nun in der Pause ein besonders beliebter Sport das „Bachfangerles“. Der Verfolger und der Verfolgte mußten dabei dauernd über den Bach hinüber- und herüberspringen. Natürlich kam es nicht selten vor, daß einer in den Bach tappte und dann mit nassen Schuhen und Strümpfen bei der folgenden Stunde in der Klasse sitzen mußte. Soviel ich mich erinnere, ist aber dabei nie einer krank geworden.

Mit 12 oder 13 Jahren kam man schließlich in die 5. Klasse zu Herrn Oberpräzeptor Memminger. Herr Memminger genoß den Ruf eines ausgezeichneten Lehrers für die Vorbereitung auf das Landexamen. Tatsächlich hatten seine Kandidaten fast immer Erfolg. Bevor Herr Memminger das Schulhaus betrat, stand immer ein Bub am Fenster Posten und beobachtete, wie der Herr Oberpräzeptor den Hut aufgesetzt hatte. Saß der Hut hoch über der freien Stirn, so bedeutete dies gutes Wetter; war aber der Hut tief ins Gesicht hereingedrückt, so war Gewitter im Anzug. Leider erkrankte Herr Memminger für längere Zeit. Die vielen Vertretungen waren der weiteren Fortbildung nicht förderlich. Die ganze Schulzeit in der Lateinschule ist dem Schreiber dieser Zeilen eine liebe, angenehme Erinnerung, wenn es auch ohne „Tatzen“ nicht abging. Er möchte nur wünschen, daß die Besucher des jetzigen Schubart-Gymnasiums später ebenso gerne an ihre Schulzeit zurückdenken.