BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Kurt Tucholsky

1890 - 1935

 

Das Lächeln der Mona Lisa

 

Seite 20-26 der Erstausgabe

 

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Was wäre, wenn . . .

 

 

Schlagzeile der ‹B. Z.›. Kommt die Prügelstrafe? –

Wie wir erfahren, ist soeben im Reichsjustizministerium ein Referentenentwurf fertiggestellt worden, der sich mit der Einführung der Prügelstrafe befaßt.

Alle Morgenblätter. Die von einer hiesigen Mittagszeitung verbreitete Meldung von der Wiedereinführung der Prügelstrafe ist falsch. Im Reichsjustizministerium haben allerdings Erwägungen geschwebt über eine gewisse, natürlich partielle und nur für ganz bestimmte wenige Rückfallsdelikte zu verhängende körperliche Züchtigung; doch haben sich diese Erwägungen zu einem Referentenentwurf, wie das betreffende Mittagsblatt behauptet, noch nicht verdichtet.

 

14 Tage Pause

 

Die Nachtausgaben. Die Prügelstrafe ist da! – Der hauende Minister! – Schlagen Sie Ihre Kinder, Herr Minister? – Endlich eine kräftige Maßnahme! – Immer feste druff! – Pfui! – Die Rohrstock-regierung! – Rückkehr zur Ordnung!

Sozialdemokratischer Leitartikel . . . . sich tatsächlich bewahrheitet. Wir finden keine parlamentarischen Ausdrücke, um unsrer flammenden Entrüstung über diese neue Schandtat der Reaktion Ausdruck zu geben. Nicht genug damit, daß dieses Ministerium das Volk mit Steuern überlastet – nein, der deutsche Arbeiter soll nun auch noch, wie es unter dem Regime des Zaren üblich war, mit der Knute abgestraft werden. Die Reichstagsfraktion hat bereits schon jetzt zu verstehen gegeben, daß sie gegen diesen neuen Plan schärfsten Protest . . .

Zentrums-Leitartikel . . . . Jes. Sir. 12, 18. Diese bisher angeführten Bibelstellen scheinen allerdings dafür zu sprechen, und so wird man dem Plan des Ministeriums christliche Gesinnung nicht ganz absprechen können . . . um so mehr, als es den kirchlichen Interessen nicht in allen Punkten zuwiderlaufend ist.

‹Kreuz-Zeitung› . . . . immerhin nicht vergessen, daß auf dem Lande schon lange nach guter altpreußischer Art bei Ungehorsam und offener Widersetzlichkeit der Stock manches Gute getan hat. Wir vermögen nicht einzusehen, warum grade diese Strafe nun so besonders entehrend sein soll. Es ist selbstverständlich, daß ihre Anwendung auf solche Kreise beschränkt bleiben muß, die die Prügelstrafe gewissermaßen von Haus aus gewöhnt sind. Für eine Reinigung unsrer politisch verhetzten Atmosphäre . . .

‹Münchner Neueste Nachrichten› . . . . wir sagen müssen: der erste vernünftige Gedanke, der aus Berlin kommt.

 

5 Monate Pause

 

Volksversammlung. «Eine Schmach und eine Schande! Ich könnte es keinem der Geschlagenen verdenken, wenn sie nachher hingingen und ihren Quälern ihrerseits in die Fresse . . . » (Ungeheure Aufregung im Saal. Die Leute stehen auf, schreien, werfen die Hüte in die Luft und winken mit Taschentüchern. Es werden 34 Portemonnaies geklaut. Redner steht in einer Pfütze von Schweiß.)

Demokratischer Leitartikel . . . . natürlich absolute Gegner der Prügelstrafe sind und bleiben. Es ist allerdings bei der gegenwärtigen Konstellation zu erwägen, ob diese in der großen Politik doch immerhin nebensächliche Frage für die Deutsche Demokratische Partei ein Anlaß sein kann, die unbedingte Unterstützung, die sie der gegenwärtigen Regierungskoalition zugesagt hat, abzublasen – besonders wenn man bedenkt, daß ihr durch die Zusicherung der Straflosigkeit des Tragens von republikanischen Abzeichen doch ein ganz gewaltiges Vorstoßen des republikanischen Gedankens gelungen ist. Andrerseits . . .

Protestversammlung der Kommunisten. (Verboten.)

Tagung des Reichsverbandes der mittleren Unterrichtsbeamten für die obere Leerlaufbahn der Vollgymnasien.

« . . . οἱ παιδεύεται. Schon die alten Griechen, meine Herren . . . »

Telefonzelle im Reichstag. « . . . Halloo! Hallo, Saarbrücken? Allô, allô – Je cause, mais oui, mademoiselle – aber bitte! Ne coupez-pas! Ja, deutsch! Sind Sie da? Also . . . Zusatzantrag der Frau Gertrud Bäumer beraten, haben Sie? dem zufolge das Gesäß der Geprügelten vorher mit einem Lederschurz verhüllt – – hallo! Saarbrücken . . . !»

Telegramme an den Reichspräsidenten . . . . flammenden Protest! Nordwestdeutsche Arbeitsgemeinschaft höherer Volksschullehrer . . . . in zwölfter Stunde inständigst bitten. Reichsverband freidenkerischer Rohköstler . . . . Ansehen Deutschlands im Auslande. Verein der linksgerichteten ziemlich entschiedenen Republikaner . . . . aber auch die nationalen Belange der deutschen Wirtschaft nicht zu vergessen! Verband der Rohrstock-Fabrikanten.

Überschrift eines demokratischen Leitartikels. «Jein –!»

Reichstagsbericht. Gestern wurde unter atemloser Spannung der Tribünen die 1. Lesung des neuen ‹Gesetzes zur Einführung der körperlichen Zwangserzüchtigung›, wie sein amtlicher Titel lautet, durchberaten. Das Haus war bei der vorhergehenden Beratung der Schleusen-Gebühr-Reform für den Bezirk Havelland-Ost sehr gut gefüllt, weil diese Vorlage von allen Parteien als ein Angelpunkt für die drohende Belastung der jetzigen Koalition angesehen wird; ihre Annahme wurde rechts mit Händeklatschen, links mit Zischen begrüßt. Bei der Lesung des Erzüchtigungsgesetzes leerte sich das Haus langsam, aber zusehends. Als erster sprach der Senior der deutschen Kriminalistik, Professor Dr. D. Dr. Dr. hon. Kahl. Er führte aus, daß die Wiedereinführung der Prügelstrafe ihn mit schwerer Besorgnis erfülle, er aber andrerseits eine gewisse Befriedigung nicht zu unterdrücken vermocht habe. Sein alter Kollege Kramer habe ihm schon im Jahre 1684 gesagt . . .

Der sozialdemokratische Abgeordnete Breitscheid verkündigte nach einer ausführlichen Ehrung des Abgeordneten Kahl in außerordentlich glänzender und ironischer Rede das klare Nein seiner Partei. (Siehe jedoch weiter unten: ‹Letzte Nachrichten›.) Unter dem Beifall der Linken bewies Abgeordneter Breitscheid . . .

Es sprach dann, nach entsprechenden Ausführungen des Kommunisten Rothahn, für die Demokraten der Abgeordnete Fischbeck. Seine Partei, so führte er aus, stehe dem Gesetz sympathisch gegenüber. Allerdings hätten wir ja alle schon einmal als Kinder die Hosen stramm gezogen bekommen. (Stürmische, minutenlang anhaltende Heiterkeit.)

 

Inserat

. . . von weiteren Meldungen abzusehen, da die in Aussicht genommenen Stellen für Zuchtbeamte bereits heute achtundneunzigmal überzeichnet sind.

I. A. Heindl, Ober-Regierungsrat

 

Sozialdemokratische Parteikorrespondenz . . . . Wasser auf die Mühle der Kommunisten. Der klassenbewußte Arbeiter ist eben so diszipliniert, daß er weiß, wann es Opfer zu bringen gilt. Hier ist eine solche Gelegenheit! Schweren Herzens hat sich der Parteivorstand dem Gebot der Stunde gebeugt. Es ist eben leichter, vom Schreibtisch her gute Ratschläge zu erteilen, als selber, in hartem realpolitischem Kampf, die Verantwortung . . .

Interview mit dem Reichskanzler . . . . dem Vertreter der ‹World› fast feierlich zugesagt, daß natürlich die Ausführungsbestimmungen der Humanität voll Genüge tun werden. Es wird, wie regierungsseitlicherseits bestimmt zugesagt werden kann, dafür gesorgt werden . . .

 

8 Monate Pause

 

Kleine Nachrichten. Gestern ist im Reichstag das Gesetz für die Einführung der körperlichen Erzüchtigung mit den Stimmen der drei Rechtsparteien gegen die Stimmen der Kommunisten angenommen worden. Sozialdemokraten und Demokraten enthielten sich der Abstimmung.

Demokratischer Nachrichtendienst . . . . Erwartungen, die sich an den Erlaß der Ausführungsbestimmungen knüpften, leider nicht erfüllt. Es ist zu hoffen, daß die den Ländern gegebene Ermächtigung doch noch zu humanitären Verbesserungen . . . unbeugsame Forderung, als Reichserzüchtigungs-Kommissar wenigstens einen Demokraten zu ernennen.

W. T. B. Gestern ist in Celle die erste Prügelstrafe vollstreckt worden. Es handelte sich um einen Arbeiter, Ernst A., der der versuchten Tierquälerei an jungen Maikäfern bezichtigt war. Dem Verurteilten wurden 35 Hiebe verabfolgt. Das Züchtigungspersonal arbeitete einwandfrei; Oberpräsident Noske wohnte der Prozedur persönlich bei. A. ist Mitglied der KPD.

Pressekonferenz . . . . Zahl der Schläge war ursprünglich auf 80 angesetzt. Dem Verurteilten sind indessen auf Grund der Amnestie, die zum 90. Geburtstag des Reichspräsidenten ergangen ist, zwei Hiebe geschenkt worden. Der Verurteilte weinte nach der Exekution vor Rührung.

Pommerscher Frauenbrief. « . . . Dir nicht denken, wie wir gelacht haben! Es war zu reizend! Das Wetter war herrlich, und wir fuhren im Wagen vier Stunden nach Messenthien, wo wir alle kräftig zu Mittag aßen. Otto war auch da – er ist jetzt Oberzuchtmeister geworden und sieht in seiner neuen Uniform famos aus. Ich bin direkt stolz auf ihn, und der Dienst bekommt ihm auch sehr gut. Wir haben gleich eine Fotografie von ihm gemacht, die ich Dir beiliegend . . . »

‹Ärztliche Mitteilungen› . . . . geradezu auffallende Steigerung der unter das Erzüchtigungsgesetz fallenden, meist politischen Delikte, wie Sinzheimer mitteilt, eine eigenartige Aufklärung gefunden. Ein Teil dieser Verurteilten wälzte sich nach Empfangnahme der Prügel verzückt am Boden, schrie: «Weiter! Mehr! Noch!» und konnte nur mit Mühe daran gehindert werden, Stock, Peitschen und Züchtigungsbeamte zu umarmen. Es handelt sich um notorische Masochisten, die auf diese Weise billig ihrer Libido gefrönt haben und denen nun wahrscheinlich der Prozeß wegen rechtswidriger Aneignung von Vermögensvorteilen gemacht werden wird.

 

8. März 1956. « . . . auf die arbeitsreiche Zeit von 25 Jahren zurückblicken. Wenn das Reichserzüchtigungsamt bis heute nur Erfolge gehabt hat, so dankt es das in erster Linie seinem treuen Stab der im Dienst erhauten Beamten, der vollen Unterstützung aller Reichsbehörden sowie dem Reichsverband der Reichserzüchtigungs-beamten. Die bewährte Strafe ist heute nicht mehr wegzudenken. Sie ist eine politische Realität; ihre Einführung beruhte auf dem freien Willen des ganzen deutschen Volkes, dessen Vollstrecker wir sind. Das Gegebene, meine Herren, ist immer vernünftig, und niederreißen ist leichter als aufbauen. In hoc signo vinces! So daß wir also heute voller Stolz ausrufen können:

Das deutsche Volk und seine Prügelstrafe – sie sind untrennbar und ohne einander nicht zu denken!

Das walte Gott!»

 

 

Zuerst erschienen in: Die Weltbühne, 20.09.1927, Nr. 38, S. 445

unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel