BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Jakob van Hoddis

1887 - 1942

 

Der Todesengel

 

1914

 

Erstausgabe:

in: Die Aktion

Jahrgang 4, Nr. 2 (20. Januar 1914)

 

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Der Todesengel

 

I

 

Mit Trommelwirbeln geht der Hochzeitszug,

In seid'ner Sänfte wird die Braut getragen,

Durch rote Wolken weißer Rosse Flug,

Die ungeduldig gold'ne Zäume nagen.

 

Der Todesengel harrt in Himmelshallen

Als wüster Freier dieser zarten Braut.

Und seine wilden, dunklen Haare fallen

Die Stirn hinab, auf der der Morgen graut.

 

Die Augen weit, vor Mitleid glühend offen

Wie trostlos starrend hin zu neuer Lust,

Ein grauenvolles, nie versiegtes Hoffen,

Ein Traum von Tagen, die er nie gewußt.

 

II

 

Er kommt aus einer Höhle, wo ein Knabe

Ihn als Geliebte wunderzart umfing.

Er flog durch seinen Traum als Schmetterling

Und ließ ihn Meere sehn als Morgengabe.

 

Und Lüfte Indiens, wo an Fiebertagen

Das greise Meer in gelbe Buchten rennt.

Die Tempel, wo die Priester Cymbeln schlagen,

Um Öfen tanzend, wo ein Mädchen brennt.

 

Sie schluchzt nur leise, denn der Schar Gesinge

Zeigt ihr den Götzen, der auf Wolken thront

Und Totenschädel trägt als Schenkelringe,

Der Flammenqual mit schwarzen Küssen lohnt.

 

Betrunkne tanzen nackend zwischen Degen,

Und einer stößt sich in die Brust und fällt.

Und während blutig sich die Schenkel regen,

Versinkt dem Knaben Tempel, Traum und Welt.

 

III

 

Dann flog er hin zu einem alten Manne

Und kam ans Bett als grüner Papagei.

Und krächzt das Lied: „O schmähliche Susanne!“

Die längst vergeßne Jugendlitanei.

 

Der stiert ihn an. Aus Augen glasig blöde

Blitzt noch ein Strahl. Ein letztes böses Lächeln

Zuckt um das zahnlose Maul. Des Zimmers Öde

Erschüttert jäh ein lautes Todesröcheln.

 

IV

 

Die Braut friert leise unterm leichten Kleide.

Der Engel schweigt. Die Lüfte ziehn wie krank.

Er stürzt auf seine Knie. Nun zittern beide.

Vom Strahl der Liebe, der aus Himmeln drang.

 

Posaunenschall und dunkler Donner lachen.

Ein Schleier überflog das Morgenrot.

Als sie mit ihrer zärtlichen und schwachen

Bewegung ihm den Mund zum Küssen bot.

 

 

Erstausgabe in „Die Aktion“ 1914