BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Erster Theil. I. Abtheilung.

 

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[41]

Drittes Capitel.

 

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Die Frauen.

 

Natur und Geselligkeit sind für die Frauen eine große Schule, wo sie leiden lernen; und es darf, dünkt mich, nicht geläugnet werden, daß sie in unsern Tagen, in der Regel, besser sind, als die Männer. Zu einer Zeit, wo der Egoismus das allgemeine Uebel ist, müssen die Männer, im Besitz aller positiven Vortheile weniger Edelmuth, weniger Gefühl besitzen, als die Frauen. Diese hängen nur durch die Bande des Herzens mit dem Leben zusammen; und selbst, wenn sie sich auf Abwege verirren, sind diese Verirrungen eine Folge des Gefühls, das sie fortzieht. Ihre Persönlichkeit zählt immer zwei, während die des Mannes nur ihn zum Ziel hat. Man huldigt ihnen nur durch die Zuneigungen, die sie einflößen; die zuerst in ihnen entstanden, sind mehrentheils dargebrachte Opfer. Die schönste aller Tugenden, die Hingebung, ist ihr Genuß und ihre Bestimmung; es kann kein Glück für sie geben, das nicht der Wiederschein des Ruhms und des Wohls eines Andern wäre; mit einem Worte, außer sich leben, sey's durch die Ideen, sey's durch Empfindung, sey's vor allem durch die Moralität, ist, was der Seele ein Gewohnheitsgefühl von Größe und Erhabenheit giebt.

In den Ländern, wo die Männer durch politische Einrichtungen berufen sind, alle kriegerische und bürgerliche Tugenden auszuüben, zu welchen die Vaterlandsliebe entflammt, nehmen sie die erste [42] Stelle wieder ein, die ihnen gebührt; hier treten sie mit Glanz wieder in ihre Rechte als Herren der Welt: nur wo sie einigermaßen zur Unthätigkeit oder zur Knechtschaft verdammt sind, sinken sie desto tiefer herab, je höher sie sich zu erheben bestimmt waren. Die Bestimmung der Frauen hingegen bleibt immer dieselbe; sie wird ihnen einzig von ihrem Gemüthe vorgezeichnet, die politischen Umstände tragen nichts dazu bei. Wenn es den Männern an Geschick oder an den Mitteln fehlt, ihr Leben auf eine edle, würdige Art zu benutzen, so rächt sich die Natur an ihnen für die Gaben selbst, die sie ihnen ertheilte; die Thätigkeit ihres Körpers dienet bloß dazu, die Trägheit ihres Geistes auffallender zu machen; die Kraft ihrer Seele wird zur Rauheit; ihre Tage vergehen in gemeinen Uebungen und Vergnügungen; sie beschäftigen sich mit Pferden, mit der Jagd, mit Tischgelagen, lauter Sachen, die als Zerstreuungen Platz finden können, aber als Beschäftigungen, den Menschen zuletzt zum Vieh herabwürdigen. Während dessen bilden die Frauen ihren Verstand, und Empfindung und Nachsinnen erhalten in ihrem Gemüth das Bild des Edeln und Schönen.

Die deutschen Frauen besitzen einen eigenthümlichen Reitz; sie haben eine rührende Stimme, blondes Haar, eine blendende Haut; sie sind bescheiden, wie die Engländerinnen, nur nicht so blöde; man sieht es ihnen an, daß sie seltener auf Männer gestoßen sind, die ihnen überlegen waren, und daß sie überdieß von den strengen Urtheilen des Publikums weniger zu befürchten haben. Sie suchen durch die Empfindsamkeit zu gefallen, durch die Einbildungskraft zu interessiren; die Sprache der Dichtkunst und der schönen Künste ist ihnen geläufig; sie kokettiren mit der Schwärmerei, wie [43] man in Frankreich mit Witz und Scherz Koketterie treibt. Der hohe Grad der Rechtlichkeit, der dem Charakter der Deutschen zum Grunde liegt, macht die Liebe für die Frauen und ihre Ruhe weit weniger gefährlich; vielleicht geben sie sich diesem Gefühl um so zutraulicher hin, da die Liebe in Deutschland die Farbe des Romans trägt, und Verachtung und Untreue hier seltener als irgendwo sind.

In Deutschland ist die Liebe eine Religion, aber eine poetische Religion, welche zu leicht duldet, was sich durch Empfindsamkeit des Herzens entschuldigen läßt. Man kann es nicht in Abrede seyn; der Heiligkeit der Ehe geschieht, in den protestantischen Ländern, durch die Leichtigkeit, womit sie getrennt werden kann, großer Abbruch. Die Frau nimmt sich einen andern Gatten, wie der Dichter eine Nebenscene in seinem Drama abändert. Die Gutmüthigkeit beider Geschlechter macht, daß die Scheidungen leicht und ohne Bitterkeit vor sich gehen; und da es unter den Deutschen mehr Einbildungskraft als wahre Leidenschaft giebt, so ereignen sich bei ihnen die seltsamsten Begebenheiten mit einer seltenen Kaltblütigkeit. Dadurch abe[r] verlieren Sitten und Charakter ihre Festigkeit; der Geist der Paradoxie erschüttert die heiligsten Einsetzungen, und zuletzt giebt es über nichts mehr feststehende Regeln.

Man darf mit Grund über die Lächerlichkeit einiger deutschen Frauen spotten, die ihren Geist unaufhörlich bis zur Ziererei hinaufschrauben, und durch süßlich-gesetzte Worte alles verwischen, was ihren Verstand und ihr Gemüth hervorstechend und vorragend machen könnte; sie sind nicht falsch, aber auch nicht ohne Falsch; sehen und beurtheilen nichts mit dem Lichte der Wahrheit, und die wirklichen [44] Begebenheiten des Lebens tanzen vor ihren Augen vorüber wie phantasmagorische Bilder. Fällt es ihnen ein, sich leicht zu zeigen, so behalten sie auch dann noch den Anstrich von Empfindsamkeit, die in ihrem Vaterlande in so hohen Ehren gehalten wird. Ein deutsches Frauenzimmer sagte mit melancholischem Ernste: „Ich weiß nicht, wie es zugeht; aber die Entfernten schwinden mir gleich aus der Seele.“ Eine Französin würde dem Gedanken eine lachendere Wendung gegeben haben; aber im Grunde wäre es der nämliche gewesen.

Diese kleinen Lächerlichkeiten sind als Ausnahmen anzusehen, und es giebt, ihnen unbeschadet, unter den deutschen Frauen viele, die mit Wahrheit empfinden, und ihre Empfindungen mit Einfachheit ausdrücken. Ihre gebildete Erziehung, ihre natürliche Reinheit der Seele, machen die Herrschaft, die sie ausüben, sanft und gleichförmig. Mit jedem Tage flößen sie uns mehr Theilnahme für alles, was groß und edel ist, ein, mehr Zutrauen in jede Gattung von Hoffnungen, und verstehen sich vorzüglich darauf, den dürren ironischen Spott abzuhalten, der einen Hauch des Todes über alle Genüsse des Herzens verbreitet. Gleichwohl trifft man nur selten bei den deutschen Frauen jene Geistesschnelligkeit an, wodurch die Unterhaltung lebhaft und der Ideengang in rasche Bewegung gesetzt wird; eine Art von Vergnügen, die sich schwerlich anderswo findet, als in den witzigsten und geistvollsten Gesellschaften von Paris. Es bedarf der feinsten Auswahl einer französischen Hauptstadt, diese seltene Unterhaltung zu gewähren; an allen andern Orten findet man gewöhnlich nur Beredsamkeit im öffentlichen, und Herzensgenuß im vertrauten Umgang. Die Unterhaltung, oder vielmehr die Gabe [45] der Unterhaltung, als Talent betrachtet, ist nur in Frankreich einheimisch; in allen übrigen Ländern unterhält man sich aus Höflichkeit, aus Erörterungsgeist, aus Freundschaft; in Frankreich ist die Conversation eine Kunst, wozu unstreitig Einbildungskraft und Seele erforderlich sind, die aber auch, wenn man will, geheime Mittel besitzt, den Mangel und die Abwesenheit dieser beiden Bestandtheile zu ersetzen.