BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Erster Theil. I. Abtheilung.

 

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Neuntes Capitel.

 

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Nachahmung des französischen Geistes.

 

Durch die Ausrottung des Feudalgeistes, und des ehemaligen Lebens auf Schlössern und Burgen, die dieser Geist zur Folge hatte, ist bei dem Adel eine große Zeitleere entstanden. Die Lücke mußte ausgefüllt werden; das gesellschaftliche Leben trat ein; und die Franzosen, bekanntlich das erste Volk der Welt in der Kunst zu schwatzen 1), machten sich dadurch in Europa zu Herren der Meinung, oder vielmehr zu Herren der Mode, die so leicht die öffentliche Meinung vertritt. Seit Ludwig XIV. setzte die sogenannte schöne Welt des Continents von Europa, Italien und Spanien ausgenommen, ihre Ehre darin, sich den Franzosen nachzubilden. In England giebt es einen beständigen Gegenstand der Unterhaltung, nehmlich das politische Interesse, worin alle und jede ihr besonderes Interesse suchen und finden. Im Süden [75] von Europa giebt es keine Gesellschaften; die schöne Sonne, die schönen Künste, die Liebe füllen dort das Leben aus. In Paris unterhält man sich gewöhnlich über die Literatur, und das sich immer mit neuen Stücken bereichernde Schauspiel, giebt zu witzigen, scharfsinnigen Bemerkungen Anlaß und Stoff. In allen übrigen großen Städten besteht der Hauptinhalt aller Unterhaltungen in Anecdoten, in täglichen Urtheilen und Anmerkungen über diejenigen, welche zur großen Welt gehören. Es ist ein gewöhnliches Gewäsche, nur daß die Namen vornehmer klingen; im Grunde sind es Klatschereien, wie in den niedrigsten Volksklassen: denn bei aller Eleganz der Formen, bei aller Wahl der Ausdrücke, läuft doch alles auf die Chronik von der Nachbarschaft hinaus.

Der wahrhaft liberale Stoff zur Unterhaltung, sind Ideen und Thatsachen von allgemeinem Interesse. Die zur Gewohnheit gewordene Medisance, weil sie doch einmal die Gedankenleere und die Dürftigkeit des Verstandes in den Gesellschaften zum nothwendigen Bedürfnisse gemacht hat, kann zwar mehr oder weniger durch Herzensgüte gemildert werden, doch nie so sehr, daß man nicht mit jedem Schritte, mit jedem Worte kleine, ärgerliche Anecdoten hören sollte, deren Gesumme, wie das der Fliegen, selbst den Löwen in die Länge beunruhigen könnten. In Frankreich bedient man sich der furchtbaren Waffe des Lächerlichen, sich gegenseitig zu bekämpfen, und den Boden zu erobern, auf welchem man den Sieg der Eigenliebe davon zu tragen hofft. In andern Ländern läßt man es bei einem harmlosen Geschwätze bewenden, das den Geist abnutzt, und alle Spannkraft in jeder Gattung der Verstandesübungen hemmt. [76]

Eine leichte Unterhaltung, worin eigentlich von Nichts die Rede ist, und alles auf den Reiz der Worte und Wendungen ankommt, kann großes Vergnügen gewähren; und man darf es ohne Anmaßung behaupten, Frankreich allein stelle diese Gattung von Unterhaltung auf. Man kann sie als eine gefährliche, aber einladende Uebung ansehen, worin jeder kleine Gegenstand, so zu sagen, zum Federball wird, den man sich einander zuwirft, und der im genau berechneten Augenblick aus einer Hand in die andere fliegen muß.

Der Ausländer, der hier die Franzosen nachahmen will, trägt die Unmoralität stärker auf, zeigt sich leichtsinniger als sie, damit ja sein Ernst nicht die Grazie verdränge, damit es ja seinen Aeusserungen und Einfällen nicht an dem Pariser Salz und Accent fehle.

Die Oestreicher verbinden im Allgemeinen zu viel Steifes mit zu viel Aufrichtigkeit, um sich fremdes Wesen anpassen zu wollen. Nur sind sie auch nicht deutsch genug, und in der deutschen Literatur zu wenig bewandert. Man hält es in Wien für Sache des guten Geschmacks, französisch zu sprechen; da doch der Ruhm, und sogar das Gefällige jedes Landes im Nationalgeist und Nationalcharacter besteht.

Die Franzosen haben sich in Europa, und vor allem in Deutschland, durch ihre Kunst, Lächerlichkeiten aufzufassen und auffallend zu machen, furchtbar gemacht. In den Worten Eleganz und Grazie lag eine geheime magische Kraft, die für die Eigenliebe ein unwiderstehlicher Sporn war. Es war nicht anders, als wären die Gefühle, die Handlungen, als wäre das ganze Leben dieser überfeinen Gesetzgebung des Weltgebrauchs unterworfen, als sey diese Gesetzgebung ein Vertrag [77] zwischen der Eigenliebe des Einzelnen und der Eigenliebe der bürgerlichen Gesellschaft, ein Vertrag, kraft dessen die respectiven Eitelkeiten eine republikanische Constitution unter sich errichtet haben, wo die Strafe des Ostracismus gegen alles verhängt wird, was scharf gezeichnet und stark ausgesprochen ist. Diese, dem Schein nach leichte, im Grunde aber despotische Formen und Verabredungen, entscheiden über das ganze Wesen des Menschen; sie haben allmählig und stufenweise alles untergraben, die Liebe, den Enthusiasmus, die Religion; alles, außer den Egoismus, den der Stachel der Ironie nicht erreichen kann, weil er sich zwar dem Tadel, nie aber dem Spotte bloß giebt.

Der deutsche Geist verträgt sich weit weniger, als jeder andere, mit jener berechneten Kleingeistigkeit; er ist kaum auf der Oberfläche sichtbar, er muß tief eindringen, um zu begreifen; er hascht nichts im Fluge. Vergebens würden die Deutschen, (und o wie schade!) es versuchen wollen, ihren natürlichen Eigenschaften und Gefühlen zu entsagen; an der Gründlichkeit würden sie verlieren, und in der leichten Form nicht gewinnen; sie würden aufhören, Deutsche von Werth und Verdienst zu seyn, ohne sich in liebenswürdige Franzosen umzuschaffen.

Ich bin weit entfernt, ihnen die Grazie absprechen zu wollen; sobald sie sich nur ihrer natürlichen Stimmung hingeben, geht sie aus ihrer Einbildungskraft, aus ihrer Empfindung hervor. Ihre muntere Laune (und es fehlt ihnen, besonders den Oestreichern, keinesweges daran) hat aber mit der französischen Lustigkeit nichts gemein. Die Tyroler Possen, woran in Wien die Großen wie das Volk, so großen Geschmack finden, haben weit mehr Aehnlichkeit mit dem italienischen, als mit [78] dem französischen komischen Spott. Sie bestehen in lächerlichen Auftritten, in stark aufgetragenen Caricaturen, die die menschliche Natur zwar mit Wahrheit, aber die Gesellschaft nicht mit Feinheit darstellen. Gleichwohl ziehe ich diese Lustigkeit, mit ihrem groben Anstrich, der Nachahmung einer fremden Grazie vor; man kann diese Grazie allenfalls entbehren, aber in diesem Fach ist die Vollkommenheit allein – etwas.

„Das Ueberwiegende der Franzosen äußeren Art und Manier, hat vielleicht das Ausland auf den Wahn vorbereitet, sie für unüberwindlich zu halten. Es giebt nur ein Mittel, diesem Uebergewicht entgegen zu arbeiten; und dieses Mittel besteht in einer scharf gezeichneten, festen Nationalweise und Wendung.“ 2)

Sobald man die Franzosen nachzuahmen sucht, tragen sie über alle und in allem, den Sieg davon.

Die Engländer fürchten sich keinesweges vor dem französischen Spott; sie kehren ihn sogar bisweilen gegen diejenigen um, die sich so gut auf den Gebrauch dieser Waffen verstehen; und weit entfernt, daß die englische Art in Frankreich Mißfallen erregen sollte, wurde sie von den allgemein nachgeahmten Franzosen nachgeahmt, und England war seit langer Zeit Mode in Paris, wie Paris im übrigen Europa Mode war.

Es hängt bloß von den Deutschen ab, sich eine Gesellschaft zu verschaffen, die eben so viel Unterricht gewähren würde, als sie selbst dem Nationalgeschmack und dem Nationalcharacter angemessen [79] wäre. Wien ist die Hauptstadt von Deutschland, die Stadt, wo sich alles, was zum Vergnügen des Lebens gehört, zusammen findet. Wien hätte längst dem deutschen Geist die ersprießlichsten Dienste leisten können, wenn sich die Fremden nicht in den beinahe ausschließlichen Besitz der guten Gesellschaft gesetzt hätten. Aber was geschah? der größte Theil der östreichischen Nation, der sich der französischen Sprache und den französischen Sitten nicht anfügen konnte, zog sich aus der großen Lebenswelt zurück; und so kam es, daß sich dieser Theil der Nation nicht durch den weiblichen Umgang abschliff, zugleich blöde und roh blieb, alles verschmähte, was man gemeinhin durch Grazie versteht, und gleichwohl insgeheim diesen Mangel empfindlich fühlte; so kam es, daß unter dem Vorwand eines militärischen Berufs, ein großer Theil der Nation seine Geistesbildung vernachläßigte, und dabei diesem Berufe selbst nur mit Trägheit nachhing, weil er nie etwas hörte, was ihm den Werth und den Reiz des Ruhms anschaulich gemacht hätte. Man hielt sich für einen ächten Deutschen, sobald man sich von Gesellschaften ausschloß, wo der Ausländer das erste Wort führte, ohne darauf bedacht zu seyn, die Lücke durch andere Gesellschaften auszufüllen, worin Geist und Seele die nothwendige Bildung hätten erhalten können.

Die Polen und Russen machten in Wien die Seele der guten Gesellschaft aus. Dadurch, daß sie bloß französisch sprachen, trugen sie viel zur Verbannung der deutschen Sprache in den höhern Zirkeln bei. Die Polinnen haben ein unendlich verführisches Wesen; sie verbinden orientalische Einbildungskraft mit der Geschmeidigkeit und der Lebhaftigkeit des französischen Geistes. Gleichwohl ist, selbst bei den Völkern slavischen Ursprungs, die [80] unter allen der größten Geschmeidigkeit fähig sind, die Nachahmung der französischen Art zuletzt ermüdend. So lassen sich z. B. die französischen Verse, deren Verfasser Russen oder Polen sind, bei wenigen Ausnahmen, mit den lateinischen Versen des Mittelalters vergleichen. Eine lebende Sprache ist immer in mancher Hinsicht für Ausländer eine todte Sprache. Nichts ist zu gleicher Zeit leichter und schwerer, als französische Verse zu machen. Es ist bloßes Gedächtnißwerk, einen halben Vers mit einem andern Halbverse zu verbinden, der sich dem ersten von selbst anzuschmiegen scheint; aber, um in einer Landessprache poetisch schildern zu können, was man dachte, fühlte, litt und genoß, muß man die Luft dieses Landes eingeathmet haben. Die Ausländer setzen ihre ganze Eigenliebe darin, das Französische fehlerfrei zu sprechen; daher dürfen sie unsere Schriftsteller nicht anders beurtheilen, als sie vor dem Richterstuhle der literarischen Critik beurtheilt werden. Man will sich nicht dem Vorwurfe aussetzen, als verstände man sie nicht; daher lobt man in ihren Werken mehr die Schreibart als die Gedanken, weil die Gedanken das Eigenthum aller Nationen sind, und die Franzosen allein Richter des Styls in ihrer eigenen Sprache seyn können.

So oft man im Auslande auf einen Nationalfranzosen stößt, freut man sich, mit ihm über die französische Literatur ein Gespräch anknüpfen zu können; man fühlt sich wie zu Hause, man unterhält sich, so zu sagen, von häuslichen Geschäften. Nicht so mit einem französirenden Ausländer; ein solcher erlaubt sich keine Meinung, keine Sprachwendung , die nicht den Stempel der Orthodoxie mit sich führe; und nicht selten ist es eine Orthodoxie von ehedem, die er für die Meinung des Tages ansieht. In manchen nordischen Ländern [81] bleibt man noch immer bei den Anecdoten der Regierung Ludwigs XIV. stehen. Man hört Ausländer, die es den Franzosen gern nachthun möchten, und die Hofstreitigkeiten der Madame de Montespan und der Mademoiselle de Fontanges mit einer Weitläufigkeit und mit Umständen erzählen, die ermüden müßten, wenn auch von einem Ereigniß von gestern die Rede wäre. Diese kleinliche Lesegelehrsamkeit, dieses eigensinnige Ankleben an einigen allgemein gangbaren Ideen, welches aus der Schwierigkeit entsteht, seinen Vorrath von Zeit zu Zeit zu ergänzen, bringt Langeweile hervor, und wird mit der Zeit dem Lande nachtheilig; denn die wahre Kraft eines Landes besteht in dessen natürlichem Character; und die Nachahmung des Auslandes, sey's worin es wolle, zeugt von einem Mangel an Patriotismus.

Dem geistreichen Franzosen ist es auf Reisen nicht angenehm, bei fremden Nationen den französischen Geist zu finden. Er sieht es weit lieber, wenn er auf Männer trifft, die mit der individuellen, die National-Originalität verbinden. Die Modehändlerinnen in Frankreich pflegen den Bodensatz ihres Waarenlagers nach den Colonien, nach Deutschland, nach dem Norden zu schicken. Gleichwohl suchen sie sich auf alle mögliche Weise die Nationaltrachten eben dieser Länder zu verschaffen, und stellen sie mit Recht als elegante Nachahmungsmuster auf. Was von der Naturverzierung gilt, gilt ebenfalls vom Geiste. Wir senden ganze Ladungen von Calembourgs, von Vaudevilles ins Ausland, wenn wir ihrer in Frankreich überdrüßig sind; aber in der fremden Literatur liebt der Franzose nur, was nicht französisch, was einheimische Schönheit ist. In der Nachahmung giebt es weder Leben noch Natur, und man könnte im Allgemeinen [82] auf alle diese Aftergeburten des Geistes, auf alle diese Werke französischer Nachahmung, das Lob anwenden, welches, im Ariost, Roland, dem Pferde beilegt, das er hinter sich schleppt: „Mein Pferd, (so heißt dieses Lob) vereinigt alle mögliche gute Eigenschaften; es hat nur einen einzigen Fehler; den, daß es todt ist“!

 

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1) Causer. Ehemals nannte man dieses in Deutschland kosen; das gleichnamige Wort für causer. Schade, daß der Gebrauch es verstieß, und uns das ausdruckslose schwatzen, plaudern, dafür gab! Causer. ist eigentlich reden um zu reden; causari sine causa (Anm. d. Uebers.) 

2) Von der Censur gestrichen.