BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Erster Theil. I. Abtheilung.

 

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Eilftes Capitel.

 

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Von dem Geist der Unterhaltung.

 

Wenn man sich im Morgenlande einander nichts zu sagen hat, so raucht man Taback zusammen, und begrüßt sich von Zeit zu Zeit mit verschränkten Armen, um sich ein Freundschaftszeichen zu geben; im Abendlande hingegen hat man den ganzen Tag mit einander reden wollen, und die Folge davon ist, daß der Heerd der Seele sich in dieser Unterhaltung zerstreut, worin die Eigenliebe in unabläßiger Bewegung ist, um sowohl nach dem Geschmack des Augenblicks als des Zirkels, in welchem man sich befindet, immer und auf der Stelle zu wirken.

Es dürfte anerkannt seyn, daß von allen Städten der Welt Paris die ist, wo der Geist und Geschmack der Unterhaltung am meisten verbreitet sind; und was man Heimweh nennt – diese unbestimmte Sehnsucht nach dem Vaterlande, die unabhängig ist selbst von den Freunden, welche man daselbst zurückgelassen hat – findet seine Anwendung vorzüglich auf das Vergnügen, mit einander zu schwatzen; ein Vergnügen, das die Franzosen nirgends in demselben Grade antreffen, als bei sich. Volney erzählt, daß Franzosen, welche während der Revolution ausgewandert waren, in Amerika eine Kolonie errichten und Ländereien urbar machen wollten; aber von Zeit zu Zeit verließen sie ihre Beschäftigungen, um, wie sie sagten, in der Stadt mit einander zu schwatzen, und diese Stadt, New-Orleans, war sechs hundert Stunden von ihrem Wohnort entfernt. In [86] allen Volksklassen Frankreichs fühlt man das Bedürfniß zu schwatzen: die Rede ist hier nicht blos, wie anderwärts, das Werkzeug zur Mittheilung von Ideen, Gefühlen, Angelegenheiten; sie ist zugleich ein Werkzeug, womit man spielt, und das die Lebensgeister eben so anfrischt, wie die Musik bei einigen, und die starken Getränke bei andern Völkern.

Die Art des Wohlseyns, welche eine belebte Unterhaltung gewährt, besteht gerade nicht in dem Gegenstande dieser Unterhaltung; nicht die Ideen und die Kenntnisse, die man darin entwickeln kann, bilden das Haupt-Interesse. Dies geht hervor aus einer gewissen Manier auf einander zu wirken, sich gegenseitig und rasch Vergnügen zu machen, so schnell zu sprechen, als man denkt, sich selbst mit Wohlgefallen zu empfinden, Beifall ohne Anstrengung einzuerndten, seinen Verstand in allen Abstufungen durch Ton und Gebehrde und Blick zu offenbaren, und, nach Belieben, eine Art von Zitterstoff hervorzubringen, dessen sprühende Funken die Lebhaftigkeit der Einen mäßigt und die unangenehme Apathie der Andern verbannt.

Diesem Talente aber ist nichts so fremd, wie der Character und die Geistesart der Deutschen. Sie wollen in allen Stücken ein ernstes Ergebniß. Bacon hat bemerkt: die Unterhaltung sey nicht ein Weg, der nach Hause führe, wohl aber ein Pfad, auf welchem man sich auf gut Glück ergeht. Allen Dingen geben die Deutschen die nöthige Zeit; aber in Sachen der Unterhaltung ist das Nöthige die Belustigung; denn, wenn man diese Gränze überschreitet, so verfällt man in die Erörterung, in einen ernsten Gedankentausch, der mehr eine Beschäftigung, als eine angenehme Kunst ist. Eingestehen muß man auch, daß der Geschmack und die [87] Berauschung des Gesellschaftsgeistes unfähig machen zu ernsten Anstrengungen und eigentlichen Studien; so daß die Eigenschaften der Deutschen vielleicht in mehreren Beziehungen mit dem Mangel dieses Geistes zusammenhängen.

Die alten Artigkeitsformeln, noch immer beinahe in ganz Deutschland im Gange, widerstreben der Leichtigkeit und Vertraulichkeit der Unterhaltung. Der magerste Titel (wiewohl dieser sich nicht immer am schnellsten aussprechen läßt) wird zwanzigmal während desselben Mahles gegeben und wiederholt; von allen Gerichten, von allen Weinen muß mit einer Sorgfalt, mit einem Nöthigen angeboten werden, welche den Fremden tödtlich ermüden. Treuherzigkeit ist in allen diesen Gebräuchen; aber sie selbst würden keinen Augenblick in einem Lande stattfinden können, wo man, ohne die Empfindlichkeit zu beleidigen, einen Scherz wagen dürfte. Und doch, wie soll es Anmuth, wie Zauberreiz in der Gesellschaft geben, wenn man sich nicht jene sanfte Spötterei gestattet, welche den Geist aufregt und selbst dem Wohlwollen einen schärferen Ausdruck leihet?

Der Ideen-Cours ist seit einem Jahrhundert gänzlich durch die Unterhaltung bestimmt worden: Man dachte, um zu sprechen, man sprach, um Beifall einzuerndten, und alles, was nicht gesagt werden konnte, schien in der Seele überflüßig zu seyn. Der Wunsch zu gefallen ist unstreitig eine schätzbare Anlage; allein er unterscheidet sich doch sehr von dem Bedürfniß, geliebt zu werden. Der erstere macht abhängig von der Meinung; das letztere erhebt über dieselbe. Selbst denen, welchen man großes Leid zufügt, kann man zu gefallen wünschen; und gerade dies ist die Gefallsucht, eine Eigenschaft, die nicht den Weibern allein zukommt, [88] die sich vielmehr in allen den Fällen äußert, wo man mehr Gefühl zur Schau trägt, als man wirklich in sich hat. Die Rechtlichkeit der Deutschen gestattet ihnen nichts dergleichen; sie nehmen die Anmuth ganz buchstäblich; sie betrachten den Zauber des Ausdrucks als eine Verbindlichkeit für das gute Betragen. Daher denn ihre Empfindlichkeit; denn sie vernehmen kein Wort, ohne etwas daraus zu folgern, und noch weniger begreifen sie, wie man die Rede als eine freie Kunst behandeln könne, die keinen andern Zweck hat, als das Vergnügen, das man darin findet. Der Unterhaltungsgeist hat bisweilen das Uebele, daß er die Aufrichtigkeit des Characters stört; eine durch den Verstand herbeigeführte, aber immer improvisirte Betrügerei, wenn man sich so ausdrücken darf. Die Franzosen haben in diese Gattung eine Fröhlichkeit gebracht, die sie höchst liebenswürdig macht; aber es ist deswegen nicht minder erwiesen, daß Alles, was diese Welt Ehrwürdiges hat, durch diese Anmuth erschüttert worden ist; wenigstens durch die, welche nichts wichtig findet, und alles ins Lächerliche wendet.

Die witzigen Einfälle der Franzosen sind von dem einen Ende Europa's bis zum andern angeführt worden. Zu allen Zeiten haben sie ihre glänzende Tapferkeit bewiesen und ihren Kummer auf eine lebhafte und stechende Weise erleichtert; zu allen Zeiten haben sie einer des andern bedurft, wie abwechselnde Zuhörer, die sich wechselsweise aufmuntern; zu allen Zeiten haben sie sich hervorgethan in der Kunst, das Nöthige zu sagen, und selbst in der, da, was Noth thut, zu schweigen, wenn ein großes Interesse ihre natürliche Lebhaftigkeit unterdrückte; zu allen Zeiten haben sie das Talent gehabt, schnell zu leben, lange Reden abzukürzen und denen Platz zu machen, welche nun auch sprechen [89] wollten; zu allen Zeiten haben sie sich darauf verstanden, von Gefühlen und Gedanken nur so viel anzulegen, als zur Belebung der Unterhaltung diente, ohne das leichtfertige Interesse zu ermüden, das man gewöhnlich für einander hat.

Aus Furcht, ihren Freunden Langeweile zu machen, sprechen die Franzosen immer leichtsinnig von ihrem Unglück; sie errathen die Lästigkeit, die sie verursachen, nach der, die sie selbst empfinden würden; sie beeilen sich, Unbesorgtheit wegen ihres Schicksals zu zeigen, um, anstatt das Beispiel der Gleichgültigkeit zu empfangen, die Ehre zu haben, es selbst zu geben. Das Verlangen liebenswürdig zu scheinen, verführt sie zum Ausdruck der Fröhlichkeit, welches auch immer die innere Stimmung ihrer Seele seyn möge; die Physiognomie gewinnt Einfluß auf das, was man empfindet, und das, was man thut, um Anderen zu gefallen, stumpft im Innern das eigene Gefühl ab.

Eine Frau von Geist hat gesagt: Paris sey von allen Oertern der Welt derjenige, wo man das Glück am leichtesten entbehren könnte. 1) In dieser Beziehung paßt es so vortrefflich zu der armseligen Menschengattung; aber nichts könnte eine deutsche Stadt zu Paris machen, nichts bewirken, daß die Deutschen, ohne sich ganz zu verderben, wie wir, in der Zerstreuung eine Wohlthat antreffen könnten. Sich unaufhörlich selbst entrinnend, würden sie sich zuletzt nicht mehr wiederfinden.

Das Talent und die Gewohnheit des Umgangs, dienen sehr, die Menschen kennen zu lernen. [90] Um als Sprecher Glück zu machen, muß man mit Scharfsinn den Eindruck beobachten, den man jeden Augenblick auf sie macht, sowohl den, den sie uns verbergen möchten, als den, den sie zu übertreiben suchen – die beherrschte Zufriedenheit der Einen, das erzwungene Lächeln der Andern. An der Stirne der Zuhörer sieht man, wie leichte Wolken, gewisse Halbtadel vorübergehn, die man vermeiden kann, wenn man sich beeilt, sie zu zerstreuen, ehe die Eigenliebe ins Spiel gezogen ist. An ihr sieht man auch die Zeichen der Billigung, die man festhalten muß, ohne gleichwohl mehr von ihr zu verlangen, als sie leisten möchte. Es giebt keinen Kampfplatz, wo die Eitelkeit sich in mannichfaltigern Gestalten zeigt, als die Unterhaltung.

Ich habe einen Mann gekannt, den das Lob so in Athem setzte, daß, wenn er dergleichen erhielt, er alles, was er gesagt hatte, übertrieb, und, um den glücklichen Erfolg zu verstärken, immer damit endigte, daß er ihn einbüßte; ich wagte es nicht, ihm meinen Beifall zu geben, aus bloßer Furcht, er möchte zur Affectation übergehen, und sich aus gutherziger Eigenliebe lächerlich machen. Ein Anderer fürchtete so sehr das Ansehn, als wünsche er Eindruck zu machen, daß er seine Worte nachläßig und abschätzig fallen ließ; seine verstellte Indolenz verrieth nur einen Anspruch mehr, den, daß er keinen mache. Wenn die Eitelkeit sich zeigt, so ist sie wohlwollend; verbirgt sie sich aber, so wird sie bitter durch die Furcht vor der Entdeckung, und trägt die Gleichgültigkeit, die Sattheit, mit einem Worte, alles zur Schau, was Andere glauben machen kann, sie bedürfe ihrer nicht. Diese verschiedenen Combinationen sind höchst anmuthig für den Beobachter, und man erstaunt, warum die Eigenliebe nicht den natürlichen [91] Weg einschlägt, den Wunsch einzugestehen, daß man gefallen möchte, und, soviel wie möglich, die Anmuth und die Wahrheit als Mittel zum Zweck zu gebrauchen.

Der Tact, welchen der Umgang erfordert, das von ihm herbeigeführte Bedürfniß, sich der Fassungskraft der verschiedenen Geister anzuschmiegen, die große Arbeit des Gedankens in seinen Beziehungen auf Menschen, dies alles würde den Deutschen in mehr als einer Hinsicht sehr nützlich seyn; es würde ihnen Maas und Feinheit und Gewandtheit geben. Aber in diesem Talent zu schwatzen liegt immer eine gewisse Geschicklichkeit, welche sich nicht mit einer unbiegsamen Moral verträgt; denn wenn man alles, was mit der Kunst, die Menschen glimpflich zu behandeln, in Verbindung steht, vernachläßigen dürfte, so würde der Character nur um so viel mehr Größe und Energie haben.

Die Franzosen sind die geschicktesten Diplomatiker Europa's; und eben die Menschen, die man der Unbescheidenheit und Frechheit beschuldigt, verstehn sich besser als Andere darauf, ein Geheimniß zu verbergen und diejenigen zu fangen, deren sie bedürfen. Nur dann mißfallen sie, wenn sie es darauf anlegen, d. h. wenn ihre Eitelkeit ihre Rechnung mehr bei der Abschätzigkeit als bei der Verbindlichkeit findet. Der Geist der Unterhaltung hat in den Franzosen auf eine ausgezeichnete Weise den ernsteren Geist politischer Unterhandlungen entwickelt. Kein auswärtiger Gesandter vermag in dieser Gattung mit ihnen zu ringen; es sey denn, daß er, alle Ansprüche auf Feinheit bei Seite setzend, den Dingen gerade auf den Leib geht, ungefähr wie einer, der sich schlägt, ohne fechten gelernt zu haben. [92]

Selbst die Beziehungen der verschiedenen Classen unter einander waren sehr geschickt, in den Franzosen den Scharfsinn, die Abgemessenheit und die Paßlichkeit des Geistes des Umgangs zu entwickeln. Die Range waren auf keine positive Weise bezeichnet, und in dem gewissen Raum, den Jeder erobern und verlieren konnte, bewegten sich unabläßig die Ansprüche. Die Rechte des dritten Standes, der Parlamente, des Adels, selbst die Macht des Königes – nichts von allem diesen war auf eine unabänderliche Weise abgegränzt; alles ging in Geschicklichkeit des Umgangs über; den wesentlichsten Schwierigkeiten wurde durch zarte Abstufungen in Worten und Manieren ausgewichen, und selten kam es dahin, daß man an einander rannte, oder wich, so sorgfältig bog einer dem Anderen aus. Auch unter sich hatten die großen Familien nie zur Sprache gebrachte und doch immer wohl verstandene Ansprüche, und diese Unbestimmtheit war ein weit stärkeres Reizmittel für die Eitelkeit, als die allerbestimmtesten Rangordnungen gewesen seyn würden. Studiren mußte man alles, was zum Daseyn eines Mannes oder einer Frau gehörte, um die Achtung zu kennen, die man ihnen schuldig war. Das Willkührliche in allen Gestalten ist von jeher in den Gewohnheiten, Sitten und Gesetzen Frankreichs vorherrschend gewesen; und daher kommt es, daß die Franzosen, wenn man sich so ausdrücken darf, wahre Pedanten in der Leichtfertigkeit geworden sind; da die Hauptgrundlagen nicht befestigt waren, so wollte man der unbedeutendsten Einzelnheiten Consistenz geben. In England gestattet man Individuen Ursprünglichkeit; denn die Masse ist gut geordnet. In Frankreich scheint der Nachahmungsgeist ein Gesellschaftsband zu seyn; alles würde in Unordnung [93] gerathen, wenn dieser Band nicht das Ergänzungsmittel wandelbarer Institutionen wäre.

In Deutschland ist Jeder in seinem Range, auf seinem Platze, wie auf einem Posten, und es bedarf am wenigsten geschickter Wendungen, Parenthesen und Halbwörter, um die Vorzüge auszudrücken, die man durch Geburt oder durch Titel vor seinem Nachbar hat. In Deutschland wird die gute Gesellschaft durch den Hof gebildet; in Frankreich waren es alle diejenigen, die sich mit ihm auf den Fluß der Gleichheit setzen konnten; und Alle durften dies hoffen, und Alle durften auch fürchten, nie dahin zu gelangen. Hieraus entstand, daß Jeder die Manieren dieser Gesellschaft haben wollte. In Deutschland verschafft ein Diplom den Zutritt; in Frankreich verbannte ein Mangel an Geschmack vom Hofe, und man beeiferte sich weit mehr, den Weltleuten ähnlich zu werden, als sich in der Welt selbst durch persönliche Tapferkeit auszuzeichnen. Eine aristokratische Macht, der gute Ton und die Eleganz galten mehr, als Energie, Tiefe, Gefühl, und Geist sogar. Diese sagten zur Energie: du legst zu viel Gewicht auf Personen und Dinge; zur Tiefe: du nimmst mir zuviel Zeit weg; zum Gefühl: du bist, allzu ausschließend; zum Geiste endlich: du bist eine allzu individuelle Auszeichnung. Es bedurfte solcher Vorzüuge, die mehr mit den Manieren, als mit den Ideen zusammenhingen; und es kam darauf an, in einem Menschen mehr die Classe, zu welcher er gehörte, als sein eigenthümliches Verdienst zu erkennen. Diese Art von Gleichheit in der Ungleichheit ist mittelmäßigen Menschen sehr günstig; denn sie muß in der Art zu sehen und sich auszudrücken alle Eigenthümlichkeit zerstören. Das gewählte Modell ist edel, anmuthig und nicht ohne Geschmack; [94] aber es ist für alle dasselbe, es ist ein Einigungspunkt. Was sich ihm anschmiegt, glaubt mit seines Gleichen umzugehen. Einem Franzosen würde es langweiliger seyn, mit seiner Meinung, als auf seinem Zimmer allein zu seyn.

Man würde Unrecht haben, wenn man den Franzosen beschuldigen wolle, er schmeichle der Macht durch die gewöhnlichen Berechnungen, welche diese Schmeichelei einflößen. Sie gehen wohin alle Welt geht; Ungnade oder Ansehn, gleichviel. Wenn Einzelne sich für die Menge ausgeben, so können sie darauf rechnen, daß sie wirklich kommen wird. Im Jahr 1789 hat man die Revolution in Frankreich dadurch gemacht, daß man einen Eilboten aussandte, der von einem Dorfe zum andern ausrief: bewaffnet euch, denn das benachbarte Dorf hat sich bewaffnet; alles stand gegen alle, eigentlich gegen niemand auf. Wenn man das Gerücht verbreiten wollte: die und die Manier zu sehen, sey allgemein angenommen; so würde man, selbst gegen das innere Gefühl eines Jeden Einhälligkeit erleben; man würde sich alsdann, um mich so auszudrücken, das Geheimniß der Comödie bewahren; denn unter vier Augen würde jeder eingestehn, daß Alle Unrecht haben. Bei geheimen Umfragen hat man Deputirte ihre weiße oder schwarze Kugel gegen ihre Meinung geben gesehen, bloß weil sie glaubten, die Mehrheit befinde sich auf der entgegengesetzten Bahn; sie wollten, wie sie sagten, ihre Stimme nicht verlieren.

Aus diesem gesellschaftlichen Bedürfnisse, wie alle Uebrigen zu denken, kann man sich den Gegensatz des Muths im Kriege zur Feigheit in der bürgerlichen Laufbahn während der Revolution erklären. Ueber den militärischen Muth giebt es [95] nur eine Ansicht; aber in Beziehung auf das Betragen in politischen Angelegenheiten kann die öffentliche Meinung irre geleitet werden. Der Tadel unserer Umgebung, die Vereinzelung und die Verlassenheit bedrohen uns, wenn wir nicht der herrschenden Parthei folgen, während man bei den Armeen nur die Wahl zwischen Tod und glücklichem Erfolg hat: eine herrliche Lage für Franzosen, welche jenen nicht fürchten, und diesen über Alles lieben. Macht die Gefahr zur Mode, d. h. wendet ihr allen Beifall zu, und ihr werdet sehen, wie der Franzose ihr unter allen Gestalten trotzt. Der Geist der Gesellschaftlichkeit geht in Frankreich von dem höchsten Range bis zum niedrigsten; man muß vor allen Dingen die Billigung seiner Umgebung haben; um keinen Preis will man sich dem Tadel oder dem Gelächter aussetzen. Denn in einem Lande, wo das Schwatzen so großen Einfluß hat, betäubt der Lärm der Worte oft die Stimme des Gewissens.

Man kennt die Geschichte eines Mannes, welcher eine Schauspielerin, die er so eben gehört hatte, mit Entzücken zu loben begann. Als er auf den Lippen der Umstehenden ein Lächeln bemerkte, mäßigte er sein Lob. Das Lächeln dauerte fort, und die Furcht vor dem Spott nahm in ihm so zu, daß er mit den Worten endigte: bei Gott, die arme Frau hat gethan, was in ihren Kräften stand. Die Triumphe der Spötterei erneuern sich unaufhörlich in Frankreich; bald muß man religiös seyn, bald schickt es sich nicht, es zu seyn; bald muß man seine Frau lieben, bald sich nicht an ihrer Seite sehen lassen. Es hat Augenblicke gegeben, wo man fürchtete, für einfältig zu gelten, wenn man menschlich gefühlt hätte; und diese tiefe Furcht vor dem Lächerlichen, die [96] in den ersten Classen sich gewöhnlich durch die Eitelkeit offenbart, hat sich in den untersten oft als Verwilderung ausgedrückt.

Wie viel Schaden würde dieser Nachahmungsgeist den Deutschen zufügen! Ihre Ueberlegenheit besteht in der Unabhängigkeit des Geistes, in der Liebe zur Zurückgezogenheit, in einer eigenthümlichen Originalität. Die Franzosen sind nur in Masse allmächtig, und selbst ihre Männer von Genie nehmen ihren Stützpunkt immer in den hergebrachten Meinungen, wenn sie sich über dieselben hinausschwingen wollen. Die Ungeduld des französischen Charakters, die im Umgange so anziehend ist, würde den Deutschen den Hauptreiz ihrer natürlichen Einbildungskraft, dieses ruhige Grübeln, diesen tiefen Blick, rauben, der, um alles zu entdecken, nur der Zeit und der Beharrlichkeit bedarf.

Eigenschaften dieser Art sind unverträglich mit Lebendigkeit des Geistes; und doch ist es diese Lebendigkeit, was in der Unterhaltung liebenswürdig macht. Wenn eine Erörterung schwerfällig wird, wenn eine Erzählung sich dehnt: so wird uns dabei eben so zu Muthe, als wenn ein Musiker den Takt der Gesangsweise zu sehr zurückhält. Man kann indeß durch Lebendigkeit eben so ermüdend werden, als man es durch große Langsamkeit wird. Ich habe einen Mann von viel Geist gekannt, welcher dergestalt ungeduldig war, daß er Allen, die mit ihm sprachen, dieselbe Unruhe verursachte, welche weitschweifige Menschen empfinden müssen, wenn sie bemerken, wie sehr sie ermüden. Während man mit ihm sprach, rückte er auf dem Stuhle hin und her, vollendete die Phrasen Anderer aus Furcht, daß sie sich zu sehr verlängern möchten, beunruhigte erst und ermüdete zuletzt, indem er betäubte; denn, wie schnell man auch in [97] der Unterhaltung vorschreiten mag, wenn man selbst das Nothwendige beschränken muß, so quälen Gedanken und Empfindungen aus Mangel an Zeit, sie auszudrücken.

Nicht alle Manieren, die Zeit abzukürzen, ersparen Zeit, und man kann durch eine einzige Phrase langweilig werden, wenn man darin eine Leere läßt; das Talent, seine Gedanken glänzend und schnell zu fassen, gelingt am besten in der Gesellschaft; denn hier hat man keine Zeit zu verlieren. Keine Reflexion, keine Gefälligkeit kann anmuthig machen, was es in sich nicht ist. Da muß man den Geist der Eroberung und den Despotismus des glücklichen Erfolges anwenden; denn da Sache und Zweck eine Kleinigkeit sind, so kann man sich über den Nichterfolg nicht durch die Reinheit der Absicht trösten; in Dingen des Geistes ist diese für nichts zu achten.

Das Talent zu erzählen, einer von den größten Zaubern der Unterhaltung, ist in Deutschland höchst selten; die Zuhörer sind da allzu gefällig – sie langweilen sich nicht schnell genug –; und indem sich die Erzähler auf die Langmuth der Zuhörer verlassen, machen sie es sich ein wenig zu bequem. In Frankreich ist der Erzähler ein Usurpator, der sich von eifersüchtigen Nebenbuhlern umgeben sieht, und sich durch den Erfolg emporhalten will; in Deutschland ist er ein rechtmäßiger Eigenthümer, der seine anerkannten Rechte ruhig genießen kann.

Den Deutschen gelingt die poetische Erzählung besser, als die epigrammatische. Wenn man zu der Einbildungskraft spricht, können Einzelnheiten gefallen; sie machen ja das Gemälde wahrer. Kommt es aber darauf an, einen witzigen Einfall vorzutragen, so kann man die Einleitungen [98] nicht genug vermeiden. Die Spötterei erleichtert die Last des Lebens für einen Augenblick. Gern sieht man seines Gleichen über die Last scherzen, die uns zu Boden drückt, und aufgemuntert durch ihn, heben wir ihn auch unsererseits auf; aber wenn man in dem, was belustigen sollte, Anstrengung und Schweiß entdeckt, so wird man davon noch mehr ermüdet, als von dem Ernste selbst, der uns mindestens um seiner Resultate willen interessirt.

Die Treuherzigkeit der Deutschen ist vielleicht ein Hinderniß mehr für die Kunst zu erzählen. Die Deutschen besitzen nehmlich weit mehr die Lustigkeit des Gemüths, als die des Geistes. Sie sind fröhlich, wie sie ehrlich sind – um eines guten Gewissens willen – und lachen über das, was sie erzählen, weit eher, als sie daran gedacht haben, Andere lachen zu machen.

Nichts kommt dagegen dem Zauber einer Erzählung gleich, die von einem geistreichen und gebildeten Franzosen herrührt. Alles sieht er vorher, alles schont er, und doch opfert er nie auf, was Interesse erregen könnte. Seine Physiognomie, weniger ausgesprochen, als die des Italieners, verkündigt die Lustigkeit, ohne der Würde in Haltung und Manieren Abbruch zu tun; er hält inne, wenn es nöthig ist, und erschöpft nie die Belustigung; er belebt sich, und gleichwohl hält er die Zügel des Geistes, um ihn sicher und schnell zu führen. Jetzt mischen sich auch die Zuhörer in die Unterhaltung, und nun ist es an ihm, diejenigen geltend zu machen, die ihm Beifall gezollt haben. Ihm entschlüpft kein glücklicher Ausdruck, den er nicht hervorhöbe, kein treffender Scherz, den er nicht fühlte; und für den Augenblick wenigstens genießt und gefällt man sich unter einander, [99] als ob alles Eintracht, Einheit und Sympathie in der Welt wäre.

Die Deutschen würden nicht übel daran thun, in wesentlichen Beziehungen einige von den Vorzügen des gesellschaftlichen Geistes in Frankreich zu benutzen: sie sollten von den Franzosen lernen, sich in Kleinigkeiten minder reizbar zu zeigen, um ihre ganze Kraft für größere Gegenstände aufzusparen; sie sollten Starrsinn von Thatkraft, Rauheit von Festigkeit unterscheiden lernen; und da sie einmal so geneigt sind, ihr Leben an etwas zu setzen, so sollten sie es nicht im Einzelnen durch eine Art kleinlicher Persönlichkeit wiederfinden, die sich die wahre Selbstheit nicht erlauben würde; kurz, sie sollten in der Kunst der Unterhaltung selbst die Gewohnheit annehmen, in ihren Büchern jene Klarheit, die sie allgemeiner verständlich macht, jenes Talent der Abkürzung, das man mehr bei Völkern, die sich belustigen, als bei solchen, die sich ernsthaft beschäftigen, antrifft, und jene Achtung für gewisse Schicklichkeiten, welche nicht zur Aufopferung des Natürlichen, wohl aber zur Schonung der Einbildungskraft führt, zu verbreiten. Ihre Schreibart würden sie durch einige von den Beobachtungen, welche das Talent zu sprechen hervorruft, vervollkommnen; aber sie würden nicht wohl daran thun, wenn sie dies Talent in gleichem Maaße mit den Franzosen besitzen wollten.

Eine große Stadt, welche zum Sammelpunkt diente, würde Deutschland nützlich seyn, um Studien-Mittel zu vereinigen, die Hülfsmittel der Kunst zu vermehren, und Nacheiferung zu erregen; aber wenn diese Hauptstadt bei den Deutschen den Geschmack an den Freuden des Umgangs in seiner ganzen Eleganz entwickelte, so würden sie ihre gewissenhafte Treuherzigkeit, die einsame Arbeit und [100] die verwegene Unabhängigkeit einbüßen, welche sie in der literarischen und philosophischen Bahn auszeichnet; kurz, sie würden ihre zur Gewohnheit gewordene Sammlung gegen ein neues Aeußeres vertauschen, dem es doch immer an Anmuth und Gewandtheit gebrechen würde.

 

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1) Von der Censur unterdrückt, unter dem Vorwand, daß es gegenwärtig so viel Glück in Paris gebe, daß man nicht nöthig habe, es zu entbehren.