BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Erster Theil. I. Abtheilung.

 

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Sechszehntes Capitel.

 

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Preussen.

 

Wer Preussen kennen lernen will, muß den Character Friedrichs II. studieren. Ein Mann ist der Schöpfer dieses Reichs, für welches die Natur wenig gethan hatte, und welches sich zur Macht erhob, weil es von einem Krieger beherrscht ward. Es waren in Friedrich II. zwei ganz verschiedene Menschen, ein Deutscher von Natur, ein Franzose von Erziehung. Alles, was der Deutsche in dem deutschen Königreich gethan, hat dauerhafte Spuren hinterlassen; alles, was der Franzose darin versucht hat, ist nicht fruchtbar und gesegnet aufgegangen.

Friedrich hatte sich durch die französische Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts gebildet. Diese Philosophie ist den Völkern verderblich, sobald sie in ihnen die Quelle des Enthusiasmus austrocknet. Giebt es aber einmal in einem Lande ein Wesen, das man einen unumschränkten Monarchen nennt, so steht zu wünschen, daß liberale Grundsätze das Feuer des Despotismus in ihm niederschlagen. Friedrich führte die Denkfreiheit im nördlichen Deutschland ein: die Reformation hatte zwar den Geist der Prüfung, aber nicht den der Toleranz verbreitet; denn durch einen seltsamen Widerspruch, wurde nur dasjenige zu prüfen erlaubt, wovon das Glaubensresultat streng vorausbefohlen war. Friedrich brachte die Rede- und [119] Preßfreiheit zu Ehren, theils durch einen pikanten geistreichen Witz, der so viel über die Menschen vermag, wenn er von einem Könige kommt, theils durch sein noch mehr vermögendes Beispiel als Monarch; denn nie bestrafte er die, welche Böses von ihm sagten oder drucken ließen. Und so bewahrheitete er fast in allen seinen Handlungen die Philosophie, zu deren Grundsätzen er sich bekannt hatte.

In der Staatsverwaltung führte er eine Ordnung und eine Wirthschaftlichkeit ein, welche, bei allen Naturmängeln des Landes, den preussischen Staat zu einem seltenen Grade innerer Kraft erhob. Kein König zeigte sich so schlicht und einfach im Privatleben, und selbst in seinem Hofhalte, als er. Es schien, als habe er die Sorge und den Auftrag über sich genommen, das Vermögen seiner Unterthanen so viel als möglich zu sparen. Vorwaltend war in ihm ein inneres Gefühl des Rechts; die Verfolgung seiner Jugend, die Härte seines Vaters hatten es tief in seine Seele gegraben. Ein solches Gefühl findet sich vielleicht seltener in der Brust des Eroberers, als in jeder andern; der Eroberer mag lieber edelmüthig seyn als gerecht, weil die Gerechtigkeit uns mit andern in eine Art von Gleichheitsverhältniß versetzt.

Friedrich hatte die Gerichtshöfe in seinen Staaten dergestalt unabhängig von sich gemacht, daß unter seiner und seiner Nachfolger Regierung, nicht selten Aussprüche von ihnen ergangen sind, die, in Processen, wo es auf politisches Interesse ankam, dem Unterthan Recht, dem Fürsten Unrecht gaben. In der That, würde es beinahe in Deutschland eine Unmöglichkeit seyn, die Gerichtshöfe zu ungerechten Urtheilen zu vermögen; denn, so geneigt die Deutschen auch sind, in ihren Systemen und Theorien die Politik der Willkühr preis zu geben, so wenig vermag man, sobald es auf Rechtspflege oder Staatsverwaltung ankommt, in ihren Köpfen [120] andern Grundsätzen als denen der strengsten Gerechtigkeit Eingang zu verschaffen. Ihr methodischer Geist allein, ohne daß es der bekannten Rechtlichkeit ihres Herzens bedarf, verlangt allenthalben die Billigkeit, weil Billigkeit und Gleichmäßigkeit den Weg zur Ordnung bahnt. Nichtsdestoweniger ist Friedrich lobenswerth; er zeigte sich rechtlich und bieder in der inneren Landesregierung; als Landesvater gebührt ihm der erste Zoll der bewundernden Nachwelt.

Friedrich war nicht gefühlvoll, aber gut; und am besten ist es, wenn Fürsten mit Eigenschaften begabt sind, die man unter die allgemeineren rechnet. Gleichwohl war Friedrichs Güte nichts weniger als beruhigend; man fühlte die Löwenklaue der Gewalt mitten unter der Anmuth und Gefallsucht des liebenswürdigsten Geistes. Männern von unabhängigem Gemüth ward es schwer, sich der Freiheit zu unterwerfen, die dieser Gebieter zu geben glaubte, der Vertraulichkeit, die er einzuräumen sich den Schein gab; sie bewunderten ihn, fühlten aber im Herzen, weit von ihm lasse es sich freier und leichter athmen.

Friedrichs größtes Unglück war sein Mangel an Achtung für Religion und gute Sitten. Er war ein ausgemachter Cyniker. Zwar hatte sein Bestrehen nach Ruhm, seiner Seele Größe und Erhabenheit mitgetheilt; doch verhinderte seine mehr als freie Art sich über die heiligsten Gegenstände auszulassen, daß man selbst seinen Tugenden kein Vertrauen schenken konnte; man genoß ihres Anschauens, man gab ihnen Beifall, aber man hielt sie für kalte Berechnung. Alles, in dem Betragen Friedrichs, schien eine Folge seiner Politik seyn zu müssen; und so geschah es, daß das Gute, das er that, zwar den Wohlstand seines Landes, aber [121] nicht die Moralität seines Volks verbesserte. Er trug den Unglauben zur Schau, er trieb mit der weiblichen Tugend seinen Spott; und nichts verträgt sich weniger mit dem deutschen Character, als diese beiden Züge in der Denkart. Dadurch, daß Friedrich seine Unterthanen von dem, was er Vorurtheile nannte, frei machte, erstickte er in ihnen den Patriotismus; denn um Länder liebzugewinnen, die von Natur unfreundlich und unfruchtbar sind, muß es in diesen Ländern strenge Meinungen und Grundsätze geben. In Sandwüsten, wo der Boden nur Fichten und Haidekraut hervorbringt, besteht die Kraft des Menschen in seiner Seele; und wer ihm das raubt, was das Leben seiner Seele ausmacht, wer ihm die religiösen Gefühle raubt, was läßt er in ihm zurück, als Eckel und Widerwillen gegen sein trauriges Vaterland?

Wenn Friedrich den Krieg liebte, so läßt sich diese Neigung durch große politische Motive entschuldigen. Sein Königreich konnte, so wie er es aus den Händen seines Vaters erhielt, nicht bestehen; schon um es zu erhalten, mußte er es vergrößern. Als er den Thron bestieg, zählte er drittehalb Millionen Unterthanen; seinem Nachfolger hinterließ er sechs Millionen. Er fühlte, wie nothwendig sein Heer ihm war; und eben deswegen versagte er es sich, in der Nation einen Gemeingeist zu unterhalten, der durch Kraft und Einheit mächtig nach aussen hin gewirkt haben würde. Friedrichs Regierung gründete sich auf die militärische Macht und auf die bürgerliche Gerechtigkeit; durch seine Weisheit wußte er beide mit einander zu vereinbaren; gleichwohl war es schwer, zwei so verschiedenartige Kräfte unter ein Gesetz zu bringen. Friedrich wollte seine Soldaten zu militärischen Maschinen machen; seine Unterthanen zu aufgeklärten, [122] des Patriotismus fähigen Bürgern. Er errichtete in seinen Städten keine Behörden zweiter Classe, keine Stadtbehörden, wie man sie im übrigen Deutschland findet, aus Furcht, sie möchten der unmittelbaren Thätigkeit des Militärdienstes in den Weg treten; und gleichwohl wünschte er in seinen Staaten den Freiheitssinn so weit ausgedehnt, daß man den Gehorsam für freiwillig ansehen möchte. Er wollte den Soldatenstand zum ersten von allen machen, weil er dessen am meisten bedurfte; aber es war zugleich sein Vorsatz, daß der Civilstand sich neben dem der Gewalt unabhängig erhalten möchte. Mit einem Worte, Friedrich wollte allenthalben Stützpuncte, und nirgends Hindernisse finden.

Die herrliche Zusammenmischung aller Classen der Gesellschaft kann nur eine Folge des Gesetzes seyn, wenn dieses gleichmäßig über alle herrscht. „Ein einzelner Mensch kann naturwidrige Elemente neben einander in Bewegung setzen und erhalten; aber nach seinem Tode löset sich die gewaltsame Verbindung wieder auf.“ 1) Friedrichs Uebergewicht, durch die Weisheit seiner Nachfolget empor gehalten, hat noch eine Zeit lang gewirkt; gleichwohl waren in Preussen die beiden Nationen immer fühlbar, die sich nicht gut in eine einzige zusammenfügten, nehmlich das Heer und die Bürger. Neben auf das bestimmteste ausgesprochenen liberalen Grundsätzen bestanden die Grundsätze des Adels noch immer fort; so daß überhaupt Preussen mit einem Januskopf verglichen werden konnte, mit einem militärischen und einem philosophischen Gesichte. [123]

Der größte Vorwurf, den man Friedrich dem Großen machen kann, ist seine Bereitwilligkeit zur Theilung von Polen. Schlesien hatte er mit den Waffen in der Hand erobert; Polen ist eine Eroberung im Sinne Machiavell's, „und es stand nie zu erwarten, daß auf diese Weise gestohlene Unterthanen dem Taschenspieler, der sich ihren Souverain nannte, treu bleiben würden.“ 2) Ueberdies lassen sich Deutsche und Slaven nicht durch unauflösliche Bande vereinigen, und eine Nation, welche Fremde, die vorher ihre Feinde waren, als Unterthanen in ihren Schooß aufnimmt, ist beinahe eben so übel daran, als wenn sie sie zu Herren erhielte; einem solchen politischen Körper fehlt es an Zusammenhang, an Einheit, an demjenigen Ganzen, wodurch der Staat zur Person, und der Patriotismus zum Hauptbestandtheil der Staaten wird.

Diese Bemerkungen über Preussen gehen von den Mitteln aus, die dieses Reich hatte, sich zu erhalten und sich zu vertheidigen; denn in der inneren Staatsverwaltung und Regierung wurden die Unabhängigkeit und die Sicherheit des Bürgers in nichts gefährdet. Preussen gehört zu den Ländern von Europa, wo man die Aufklärung am meisten in Ehren hält, wo die Freiheit, wenn nicht im Recht, doch in der That, am sorgsamsten geachtet wird. Ich bin in den gesammten preussischen Staaten auf keinen einzigen Menschen gestoßen, der über willkührliche Handlungen der Regierung Klage geführt hätte; gleichwohl hätte er ohne Gefahr Klagen dieser Art hören lassen dürfen: wenn aber im gesellschaftlichen Stande das Glück selbst, [124] so zu sagen, nichts weiter als ein günstiger Zufall ist; wenn es nicht auf dauerhaften Einrichtungen ruht, die dem menschlichen Geschlechte seine Kraft und seine Würde verbürgen, so fehlt es dem Patriotismus zu bald an Ausdauer, und man überläßt zu leicht dem Ohngefähr Vorzüge, die man dem Ohngefähr schuldig zu seyn glaubt. Friedrich II., eine der schönsten Gaben dieses Ohngefährs, welches einigemal zum Schutzgeiste von Preussen geworden war, hatte die aufrichtige Liebe seines Landes zu gewinnen gewußt; nach seinem Tode verehrte man ihn nicht weniger, als in seinem Leben. Gleichwohl hat Preussens Schicksal nur zu auffallend bewiesen, wohin der Einfluß eines großen Mannes führt, sobald er während seiner Regierung nicht edel und großmüthig dahin trachtet, sich nach seinem Tode entbehrlich zu machen. Die ganze Nation verließ sich auf ihren König, gründete ihre ganze Existenz auf ihn, glaubte mit ihm aufhören zu müssen.

Friedrich II. hätte es gern dahin gebracht, die französische Literatur ausschließlich in seine Staaten einzuführen. Der deutschen legte er ganz und gar keinen Werth bei. Freilich war sie zu seiner Zeit nicht so merkwürdig als jetzt; gleichwohl ist es für den deutschen Fürsten Pflicht, alles aufzumuntern, was deutsch ist. Friedrich hatte zur Absicht, Berlin Paris ähnlich zu machen; er schmeichelte sich, unter den französischen Religionsflüchtlingen einige Schriftsteller zu finden, die im Stande wären, zu einer französischen Literatur den Grund zu legen. Eine solche Hoffnung mußte nothwendig getäuscht werden; ein künstlicher Anbau kommt nie dem natürlichen bei; einzelne Menschen können gegen die Hindernisse ankämpfen, die aus der Natur der Dinge entstehen; große Massen [125] folgen immer den natürlichen Richtungen. Friedrich hat seinem Lande wirklich und wesentlich dadurch geschadet, daß er dem deutschen Genie laut mit Verachtung begegnete. Eine Folge davon war, daß der deutsche Staatskörper mehr als einmal sich ungerechten Argwohn gegen Preussens Grundsätze zu Schulden kommen ließ.

Gegen das Ende der Regierung Friedrichs entwickelten sich mehrere deutsche Schriftsteller, und erndteten verdienten Ruhm von der Nation; nicht aber von ihm, der auf die Eindrücke seiner Jugend beharrend, das ungünstige Vorurtheil, das er gegen die Literatur seines Landes gefaßt hatte, nicht fahren ließ. Wenig Jahre vor seinem Tode setzte er eine kleine Schrift auf, in welcher er, unter andern Sprachveränderungen in Vorschlag bringt, jedem Infinitiv des Zeitworts einen Vocal anzuhängen, um das Rauhe der deutschen Endungen zu mildern. Dieses Deutsch mit dem italienischen Anhängsel würde die seltsamste Wirkung von der Welt hervorgebracht haben. Aber kein Monarch auf Erden, selbst nicht der größte Despot im Orient, ist mächtig genug, ich will nicht sagen, die Wendung, sondern nur die Endung der in seiner Landessprache üblichen Worte allgemein zu verändern.

In einer schönen Ode hat es der Dichter Klopstock dem Könige Friedrich zum Vorwurf gemacht, daß dieser die deutschen Musen vernachlässige, die sich, von ihm unbemerkt, bestrebten, seinen Ruhm zu verkünden. Friedrich war weit entfernt, zu ahnden, was die Deutschen im Fache der Literatur und Philosophie sind; er traute ihnen keinen Empfindungsgeist zu. Ueberhaupt wollte er unter den Gelehrten eine Mannszucht wie bei seiner Armee einführen. In seiner eigenhändigen Vorschrift [126] an die Academie heißt es: „In der Medicin soll man der Methode von Boerhave, in der Metaphysik der des Locke, und in der Naturgeschichte der des Thomasius folgen.“ Diese Vorschriften wurden nicht befolgt. Friedrich hatte keine Ahndung davon, daß unter allen Völkern, die Deutschen sich am wenigsten vom literarischen und philosophischen Schlendrian fortziehen lassen; nichts gab zu seiner Zeit die Kühnheit zu erkennen, mit welcher sie sich in spätern Zeiten in das Feld der Abstractionen gewagt und darin getummelt haben.

Friedrich sah seine Unterthanen als Ausländer, geistreiche Franzosen aber als seine Landsleute an. Es war freilich natürlich und zu entschuldigen, daß er sich durch das Glänzende und Gehaltvolle, welches zur damaligen Zeit die französischen Schriftsteller zugleich auszeichnete, verführen ließ; gleichwohl würde er mehr für den Ruhm seines Landes gethan und gewirkt haben, hätte er die Fähigkeiten begriffen und entwickelt, die seiner Nation eigenthümlich sind. Doch wie konnte er dem Einfluß und dem Geiste seiner Zeit widerstehen, und wo ist der große Mann, dessen Genie nicht in vieler Hinsicht das Werk seines Jahrhunderts und seines Zeitalters wäre?

 

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1) Von der Censur gestrichen. 

2) Von der Censur gestrichen.