BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Erster Theil. II. Abtheilung.

 

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Achtes Capitel.

 

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Schiller.

 

Schiller war ein Mann von seltenem Genie und vollkommener Zuverläßigkeit; und beide Eigenschaften sollten, wenigstens in dem Gelehrten, unzertrennlich seyn. Der Gedanke kann der Handlungsart nur dann gleichgestellt werden, wenn er in uns das Bild der Wahrheit erweckt; die Lüge ist in Schriften noch eckelhafter, als im Leben. [203] Handlungen, selbst betrügerische, bleiben immer Handlungen, und man weiß, woran man ist, wenn es darauf ankommt, sie zu beurtheilen oder sie zu hassen; Bücher aber sind eine langweilige Masse eitler Worte, wenn sie nicht aus aufrichtiger Ueberzeugung fließen.

Es giebt keine schönere Laufbahn als die gelehrte, wenn man sie, wie Schiller, durchwandeln kann. In Deutschland herrscht in allen Dingen ein solcher Ernst und eine solche Treue, daß man nur in diesem Lande allein auf eine vollständige Weise den Character und die Pflichten jedes Berufes kennen lernen kann. Nichts destoweniger war Schiller bewundernswürdig unter allen, durch seine Tugenden sowohl als seine Talente. Das Gewissen war seine Muse, und eine solche darf nicht angerufen werden, man hört sie stets, wenn man ihr einmal horchte. Er liebte die Poesie, die dramatische Kunst, die Geschichte, die Literatur, um ihrer selber willen; und hätte er auch nie daran gedacht, seine Werke herauszugeben, er würde sie denn mit gleicher Sorgfalt gepflegt haben. Nie wäre eine Rücksicht auf den Erfolg, auf Mode oder Vorurtheile, kurz, auf alles, was von Andern kommt, im Stande gewesen ihn dahin zu bringen, daß er seine Schriften ändere; denn seine Schriften waren er selbst, sie sprachen seine Seele aus, und er begriff die Möglichkeit nicht, auch nur einen Ausdruck zu ändern, wenn das innere Gefühl, das ihn begeisterte, sich nicht verändert hatte. Allerdings konnte Schiller nicht von Eigenliebe frei seyn. Wenn man deren bedarf, um den Ruhm zu lieben, so bedarf man ihrer auch, um irgend schon einer Thätigkeit überhaupt fähig zu seyn. Allein nichts ist in seinen Folgen so sehr unterschieden, als Eitelkeit und Liebe zum Ruhm: [204] die eine sucht den Beifall zu stehlen, die andere will ihn erobern; die eine ist ihrer selbst nicht gewiß und betrügt die Meinung, die andere rechnet nur auf die Natur, und stützt sich auf sie, um alles zu unterwerfen. Ueber der Liebe zum Ruhm selbst giebt es aber noch ein anderes reineres Gefühl, die Liebe zur Wahrheit, welche aus den Gelehrten gleichsam Priester macht, die für eine edle Sache streiten. Sie sind es auch, welche des heiligen Feuers hüten sollten; schwache Frauen sind nicht mehr, wie ehedem, hinreichend, es zu schützen.

Welch eine herrliche Sache ist es um Unschuld bei Genie, um Milde bei der Kraft! Was gewöhnlich dem Begriff von Herzensgüte schadet, ist, daß man sie für Schwäche hält; aber findet man sie vereinigt mit dem höchsten Grade von Einsicht und Kraft, so lehrt sie uns die Wahrheit des biblischen Ausspruches, daß Gott den Menschen nach seinem Bilde geschaffen. Schiller hatte sich, bei seinem Eintritt in die Welt, durch Verirrungen der Einbildungskraft geschadet, aber mit der Stärke des reiferen Alters kehrte er zu jener erhabenen Reinheit zurück, die die Tochter großer Gedanken ist. Nie hatte er mit schlechten Gefühlen irgend etwas gemein. Er lebte, sprach und handelte, als ob es keine böse Menschen gäbe, und wenn er sie in seinen Werken darstellte, so bemerkte man dabei immer mehr Uebertreibung und weniger Tiefe, als wenn er sie wirklich gekannt hätte; sie erschienen seiner Einbildungskraft wie ein moralisches Hinderniß, wie eine physische Geißel; auch haben sie vielleicht wirklich in vielen Rücksichten keine geistige Natur, indem die Gewohnheit des Lasters ihre Seelenvermögen in einen bloß verkehrten Instinkt verwandelt.

Schiller war der beste Freund, Vater und [205] Gatte; keine liebenswürdige Eigenschaft mangelte diesem sanften, ruhigen Character, den nur das Talent entflammte, Liebe zur Freiheit, Ehrfurcht gegen die Frauen, Enthusiasmus für die schönen Künste und Anbetung der Gottheit belebten sein Genie, und bei der Analyse seiner Werke wird es leicht zu zeigen seyn, zu welcher Tugend seine Meisterstücke in nächster Beziehung stehen. Man sagt häufig, daß der Verstand alles Andere ersetze: ich gebe es zu bei Werken, in denen eine bloße Geschicklichkeit vorherrscht; wo es aber auf Schilderung der menschlichen Natur in ihren Gewittern und in ihren Abgründen ankommt, macht es nicht einmal die Einbildungskraft aus, dazu wird eine Seele erfordert, die selbst der Sturm bewegte, aber in die sich dann der Himmel hinabgesenkt, um ihr die Ruhe wieder zu schenken.

Ich sah Schiller zuerst bei dem Herzog und der Herzogin von Weimar, in einer eben so verständigen als imposanten Gesellschaft. Er las das Französische sehr gut, hatte es aber nie gesprochen; ich vertheidigte mit Wärme gegen ihn den Vorzug unsers dramatischen Systems vor allen andern: er ließ sich darauf ein, mich zu bekämpfen, und ohne sich die Schwierigkeit und die Langsamkeit, mit welcher er sich französisch nur ausdrücken konnte, irren zu lassen, ohne Besorgniß vor der Meinung der Zuhörer, die der seinigen entgegengesetzt war, sprach er seine innige Ueberzeugung aus. Ich bediente mich anfänglich, um ihn zu widerlegen, der französischen Waffen, der Lebhaftigkeit und des Scherzes, aber bald entwickelte ich durch alle Hindernisse, die die Sprache ihm in den Weg legte, in dem, was Schiller sagte, so viel Ideen, ich wurde von der Einfalt des Characters, die einen Mann von solchem [206] Genie dahin brachte, sich auf diese Weise in einen Streit einzulassen, wo seinen Gedanken die Worte mangelten, so überrascht, und fand ihn so bescheiden und so sorglos in allem, was nur den Erfolg seiner eignen Werke betraf, und so stolz und lebendig in der Vertheidigung dessen, was ihm als wahr erschien, daß ich ihm von diesem Augenblick an eine bewundernde Freundschaft gelobte.

Jung noch von einer tödtlichen Krankheit getroffen, versüßten seine Kinder und seine Gattin, die durch tausend liebenswürdige Eigenschaften die Zärtlichkeit verdiente, die er für sie hegte, seine letzten Augenblicke. Frau von Wollzogen, eine Freundinn, die es werth war, ihn zu verstehen, fragte ihn einige Stunden vor seinem Tode, wie er sich befinde? Immer ruhiger, war seine Antwort. Aber, in der That, hatte er nicht auch Ursache, sich der Gottheit zu vertrauen, deren Reich auf Erden er gefördert hatte? Ging er nicht ein in die Heimat der Gerechten? Ist er in diesem Augenblicke nicht bei seines Gleichen, und hat er die Freunde nicht schon wiedergefunden, die unsrer harren?