BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Zweiter Theil. II. Abtheilung.

 

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Zweiter Theil.

 

II. Abtheilung.

 

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Literatur und Kunst

(Fortsetzung.)

 

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Vier und zwanzigstes Capitel.

 

Die Weihe der Kraft. Attila. Die Sö[h]ne des Thales. Das Kreuz an der Ostsee. Der vier und zwanzigste Februar, von Werner.

 

Seitdem Schiller todt ist, und Göthe nicht mehr für das Theater schreibt, ist Werner unter den dramatischen Schriftstellern Deutschlands der erste; keiner hat mehr als er über die Tragödie den Reiz und die Würde der lyrischen Poesie verbreitet; was ihn aber als Dichter so bewundernswerth macht, schadet dem Erfolge seiner Stücke auf der Bühne. Diese Stücke, von vorzüglicher Schönheit, so lange man nur Lieder, Oden, religiöse und philosophische Sentenzen darin sucht, können dem Tadel nicht entgehen, sobald man sie als darzustellende Dramen beurtheilt. Ich will damit nicht gesagt haben, daß es Wernern an Talent für die Bühne fehle, daß er die theatralischen Wirkungen nicht besser [170] inne habe, als die mehresten deutschen Schriftsteller; nur sollte man glauben, er wolle mit Hülfe der dramatischen Kunst ein mystisches System von Religion und Liebe fortpflanzen, und seine Tragödien sind das Mittel, dessen er sich bedient, nicht der Zweck, den er sich vorstellt.

Die Weihe der Kraft, in dieser geheimen Absicht geschrieben, hat gleichwohl aus der Berlinischen Bühne den größten Erfolg gehabt. Die Reformation ist für die ganze Welt, und besonders für Deutschland, die Wiege derselben, von der höchsten Wichtigkeit. Luther, mit seinem kühnen, kaltheroischen Charakter, macht den tiefsten Eindruck, zumal in Ländern, wo das Denken die ganze Existenz ausmacht; kein Gegenstand war so geeignet, als dieser, die Aufmerksamkeit der Deutschen auf sich zu ziehn.

Alles, was den Einfluß der neuen Meinungen auf die Gemüther schildert, ist in Werners Weihe der Kraft vorzüglich ausgedrückt. Das Stück hebt mit der Darstellung der Bergwerke von Sachsen, ohnweit Wittenberg, an, wo Luther seinen Wohnsitz hatte; der Gesang der Bergleute bemeistert sich der Einbildungskraft; der Endgedanke dieses Gesangs ist immer ein Aufruf an die äußere Erde, an die freie Luft, an die Sonne. Diese Männer aus der gemeinen Volksklasse sind schon von Luthers Lehre ergriffen, und unterhalten sich über ihn und die Reformation; in ihren finstern, unterirdischen Gängen beschäftigen sie sich mit der Freiheit des Gewissens, mit der Untersuchung der Wahrheit, mit dem neuen Tageslichte, welches durch die Nacht der Unwissenheit dringen soll.

Im zweiten Act, öffnen die Abgeordneten des Churfürsten von Sachsen den Nonnen die Thür ihrer Klöster. Diese Scene, welche leicht hätte [171] komisch ausfallen können, wird von Werner mit einer rührenden Feierlichkeit behandelt. Werner umfaßt mit seinem Gemüth alle christlichen Gottesdienste; er begreift die edle Einfalt des Protestantismus, weiß aber auch zu unterscheiden, wie streng und heilig die Gelübde am Fuße des Kreuzes sind. Die Aebtissin durchdringt in dem Augenblick, wo sie den Schleier ablegt, der ihre schwarzen Haare in der Jugend verhüllte, und jetzt ihr graues Haar im Alter bedeckt, ein eben so rührendes als natürliches Gefühl; Schauder ergreift sie; harmonische Verse, rein wie die klösterliche Abgeschiedenheit, drücken ihre Rührung aus.

Unter diesen Klosterfrauen befindet sich die Jungfrau, die sich einst mit Luthern verbinden soll, und gegenwärtig, mehr als alle, dem Einflusse seiner neuen Lehre Widerstand leistet.

Unter die Hauptschönheiten dieses Acts, muß man das Gemälde zählen, welches Werner von Carl dem Fünften entwirft, von ihm, der aus Sättigung der Herrschaft der Welt entsagte. Ein sächsischer Ritter in seinen Diensten schildert ihn mit folgenden Worten.

 

In seinem Riesenbusen wohnt kein Herz,

Nicht tönt in ihm der Gottheit Anklang wieder, –

Den Donnerton der Kraft vernimmt er nur,

Doch kann er nicht durch Liebe ihn vergöttern.

Ein Gott an Kraft, ein Teufel an Begier.

Schon jeder sah in ihm den jungen Adler,

Der stark und frech genug, den ganzen Erdball

Zu fassen und zum Futter zu verschlingen.

 

Diese wenigen Worte sind hinreichend, Carl den Fünften würdig anzudeuten. Uebrigens war es leichter, diesen großen Mann zu malen, als ihn redend einzuführen.

Luther traut dem Versprechen des Kaisers, ohngeachtet hundert Jahre vorher, auf der Kirchenversammlung [172] von Constanz, Johann Huß und Hieronymus von Prag, trotz des vom Kaiser Sigismund bewilligten freien Geleits, verbrannt worden waren. Kurz ehe er sich nach Worms auf den Reichstag begiebt, fühlt er seinen Muth einige Augenblicke sinken; Furcht und Niedergeschlagenheit bemächtigten sich seiner. Sein junger Famulus bringt ihm die Flöte, die er zu spielen pflegt, wenn er seine matten Geister wieder herstellen will; er nimmt sie; harmonische Töne geben seinem Herzen das Vertrauen zu Gott wieder, welches das Wunder der geistigen Existenz zu heißen verdient. Man versichert, dieser Moment bringe immer eine große Wirkung auf der Berliner Bühne hervor; und es läßt sich begreifen. Worte, so schön sie immer seyn und klingen mögen, können unsre innere Stimmung nicht so schnell umändern, als die Musik. Luther setzte diese Kunst in Verbindung mit der Theologie, er sah sie als ein kräftiges Mittel an, religiöse Gefühle im Herzen der Menschen zu entwickeln.

Die Rolle, welche Carl V. auf dem Reichstage zu Worms spielt, ist nicht ohne Scheingepränge, folglich fehlt es ihr an wahrer Größe. Der Verfasser hat den Spanischen Stolz mit der rauhen Einfalt der Deutschen in Gegensatz stellen wollen; ohne aber in Rechnung zu bringen, daß Carl V. zu viel Genie besaß, um diesem oder jenem Lande ausschließlich anzugehören, dünkt mich, Werner hätte einen Mann von so festem Willen, nicht als einen solchen aufstellen sollen, der diesen Willen offen, und, was noch mehr sagen will, zwecklos ausspricht. Ausgesprochen, zerstiebt er, so zu sagen, in die Lüfte. Despoten haben immer durch das, was sie verschwiegen, mehr Furcht eingejagt, als durch das, was sie merken ließen. [173]

Werner zeigt, bei seiner ungebundenen Einbildungskraft, viel Geist, viel feine Beobachtungsgabe; nur in Carls V. Rolle dünkt mich, hat er Farben aufgetragen, die nicht, wie in der Natur, nuancirt sind.

Ein schöner Moment in dem Stück ist der Zug nach der Reichstagsversammlung; einerseits sieht man die Bischöfe, die Cardinäle, den ganzen Prunk der katholischen Religion; von der andern Seite erscheinen Luther, Melanchthon, mit einigen ihrer Schüler, schwarz gekleidet, und in der Muttersprache das Lied absingend: Eine feste Burg ist unser Gott. Die äußere Pracht ist oft als ein Mittel, auf die Einbildungskraft zu wirken, angepriesen worden; zeigt sich aber das Christenthum in seiner reinen und wahren Einfalt, so trägt die Poesie der innern Seele über alle übrige den Sieg davon.

Der Act, in welchem Luther vor Carl dem Fünften und dem versammelten Reichstag sich vertheidigt, hebt mit dessen Rede an, oder vielmehr mit dem Schlusse derselben; es wird dem Dichter vorausgesetzt, Luther hat schon seine Vertheidigungsgründe entwickelt. Er schweigt nun, und man sammelt die Stimmen der Fürsten und Abgeordneten. In diesen Meinungen werden die verschiedenen Beweggründe, die die Menschen bestimmen, Furcht, Fanatismus, Ehrgeiz vollkommen charakterisirt. Einer der Stimmenden unter andern, nachdem er viel zum Besten Luthers und seiner Lehre gesagt, schließt mit den Worten:

 

Nun gab ich einmal dort dem Kardinal

Mein Ehrenwort, den Luther zu verdammen.

Dumm war's – es thut mir leid! – doch halten muß ichs! –

Und also werde Luther dann verbrannt! [174]

 

Man kann sich nicht enthalten, im Werner die tiefe Menschenkenntniß zu bewundern; nur wünschte man, er möchte, seinen Schwärmereien entsagend, öfter auf ebener Erde stehen bleiben, um über seine dramatischen Werke seinen Beobachtungsgeist ausgießen zu können.

Luther wird von Carl V. zurückgeschickt, eine Zeitlang in der Festung Wartburg verschlossen gehalten, weil seine Freunde, an deren Spitze der Churfürst von Sachsen stand, ihn dort sicher hielten, und tritt endlich wieder in Wittenberg auf, von wo er seine Lehre über das nördliche Deutschland verbreitet hatte.

Gegen das Ende des fünften Acts, predigt er, mitten in der Nacht, in der Hauptkirche von Wittenberg, wider die alten Irrthümer, und verheißt, bald würden sie verschwinden, und dem neuen Lichte Platz machen. In diesem Augenblicke sah man, auf der Berliner Bühne, die Kerzen auf dem Altare allmählig verlöschen und die Morgenröthe durch die gothischen Fensterscheiben hereinbrechen.

Die Weihe der Kraft ist ein so lebendiges, ein Stück von solcher Abwechselung, daß man leicht begreifen kann, wie sehr es gefallen mußte; gleichwohl wird man oft von dem Hauptgegenstand durch seltsame Nebenumstände und Allegorieen abgezogen, welche einem historischen Stücke, und vorzüglich einem dramatischen Kunstwerke, keinesweges angemessen sind.

Im ersten Augenblick, wo Catharina Luthern erblickt, den sie bisher, dem Namen nach, verabscheute, ruft sie aus: «Mein Urbild!» und die heftigste Liebe tritt in ihre Seele ein. Werner ist der Meinung, es sey Prädestination in der Liebe; er meint, zwei für einander geschaffene Herzen müssen sich beim ersten Anblick erkennen und verstehen. [175] Dieses ist eine allerliebste Lehre, für eine metaphysische Form oder für ein Madrigal; nur auf der Bühne ist sie unzulässig und unverständlich. Nichts ist seltsamer als der Ausruf: «Mein Urbild!» auf Martin Luther angewandt, den man sich als einen wohlgenährten, gelehrten, scholastischen Mönch denkt, auf welchen der allerromanhafteste Ausdruck, den man der modernen Theorie der schönen Künste abborgen kann, auf keine Weise paßt.

Zwei Engel, in der Gestalt eines Jünglings, Luthers Famulus, und eines Mädchens, Catharinens jüngerer Freundin, scheinen das Stück mit Hyacinthen und Palmen, wie mit den Symbolen der Reinheit und des Glaubens, zu durchwirken. Beide Engel verschwinden zuletzt, die Einbildungskraft folgt ihnen in die Lüfte nach; aber das Pathetische ist weniger eindringend, wenn man, um es zu erregen und die Situation zu verschönern, sich phantastischer Bilder bedient; dadurch entsteht ein Vergnügen neuer Art, nur nicht das, welches eine Folge der Gemüthsrührung ist; denn innere Bewegung ohne Sympathie ist unmöglich. Auf der Bühne will man schon einmal die Personen als wirkliche Wesen beurtheilen; ihre Handlungen tadeln, billigen; man will sie errathen, sie begreifen, sich in ihre Stelle versetzen, um das ganze Interesse des wirklichen Lebens zu fühlen, ohne die Gefahren desselben theilen zu dürfen.

Werners Meinungen in Hinsicht auf Religion und Liebe verdienen die tiefste Untersuchung, dürfen nicht leichtsinnig behandelt werden. Was er fühlt, ist allerdings für ihn wahr; da aber, besonders in diesem Punkt, die Art zu sehen und die Eindrücke jedes Einzelnen so sehr von einander abweichen, so sollte sich freilich nicht, zur Fortpflanzung [176] seiner persönlichen Meinungen, der Schriftsteller einer wesentlich allgemeinen und populären Kunst, der dramatischen, bedienen.

Eine zweite Arbeit Werners, ein überaus schönes und originelles Kunstwerk, ist sein Attila. Der Verfasser stellt diese Geissel Gottes in dem Augenblick auf, wo er vor den Mauern von Rom steht. Der erste Act beginnt mit dem Wehklagen der Weiber und Kinder, die aus dem in einen Aschenhaufen verwandelten Aquileja flüchten. Dieser Eingang, nicht durch Worte, sondern durch Handlung ausgedrückt, erregt nicht nur großes Interesse, sobald der Vorhang aufrollt, sondern giebt von Attila's Macht einen furchtbaren Begriff. Wer für die Bühne arbeitet, muß die Kunst verstehen, seine Hauptpersonen mehr in der Wirkung, die sie bei den übrigen hervorbringen, als in einer noch so getreuen Schilderung aufzustellen. Ein einziger Mann, durch die Tausende vervielfältigt, die ihm unterworfen sind, erfüllt Asien und Europa mit Entsetzen. Welch' ein Riesengemälde des unumschränkten Willens stellt dieser Anblick nicht auf!

Neben Attila steht seine Vertraute, eine burgundische Prinzessin Hildegunde. Er will sie ehelichen, glaubt sich von ihr geliebt; sie aber nährt einen unauslöschlichen Groll gegen ihn, weil er ihren Vater und ihren Geliebten erschlug. Sie hat ihm ihre Hand versprochen, bloß in der Absicht, ihn zu morden; und, im Gefühl der ausgesuchtesten Rache, hat sie ihn gepflegt, als er verwundet war, damit er nicht des ehrenvollen Todes der Krieger stürbe. Dieses Weib wird gemalt, wie die Göttin des Krieges; ihr blondes Haar. ihr scharlachrothes Gewand vereinigen in ihr das Bild der Schwäche und der Wuth. Dieser mystische Charakter greift anfangs stark in die [177] Einbildungskraft ein; aber wenn das Mystische immer weiter geht, wenn der Dichter gar vermuthen läßt, eine höllische Macht habe sich ihrer bemeistert; wenn zuletzt nicht allein Attila von ihr in der Hochzeitnacht, sondern neben ihm sein vierzehnjähriger Sohn ermordet wird, so entweicht alle Weiblichkeit aus diesem Wesen, und der Abscheu, den sie einflößt, ist stärker als der Schauder, den sie erregt. Gleichwohl ist die Person Hildegunde's eine originelle Dichtung; in einem Epos, welches allegorische Personen zuläßt, würde diese Furie, sich unter sanften Zügen den Schritten eines Tyrannen wie die treulose Schmeichelei anschmiegend, von großer Wirkung seyn.

Endlich erscheint er, der grause Attila, im Widerschein der Flammen des brennenden Aquileja. Er setzt sich auf eine der Ruinen von der abgebrannten Stadt, und hält sich für den Beauftragten der Gottheit, in Einem Tage das Werk von Jahrhunderten zu vollenden. Er überläßt sich einer Art von Aberglauben gegen sich, ist selbst der Gott, dem er dient, glaubt an sich, betrachtet sich als das Werkzeug der himmlischen Beschlüsse, und diese Ueberzeugung giebt seinen Verbrechen den Anstrich eines Systems von Gerechtigkeit. Er wirft seinen Feinden ihre Vergehungen vor, als wäre er nicht mit schwerern Sünden belastet als sie; er ist wild und wüthend, und dabei doch ein edelmüthiger Barbar; er ist Despot, und zeigt sich als einen Sclaven seines Willens; mitten unter dem Raube der ganzen Welt lebt er wie ein gemeiner Krieger, und verlangt von der Erde nichts als die Wonne, sie zu erobern.

Attila verwaltet das Amt eines Richters auf offenem Platze, spricht über die ihm vorgetragenen Beschuldigungen und Klagen mit dem Instincte [178] der Natur, welcher tiefer in die Handlungen eindringt, als abstracte Gesetze, deren Entscheidungen auf alle Fälle passen. Er verdammt seinen Freund, weil er des Meineids überwiesen ist, umarmt ihn mit Thränen in den Augen, befiehlt aber zugleich, daß er von Pferden zerrissen werde. Der Gedanke an eine unerbittliche Nothwendigkeit bestimmt ihn, und sein eigner Wille scheint ihm diese Nothwendigkeit zu seyn. Die Regungen seines Gemüths haben eine Art von Schnelligkeit und Bestimmtheit, die sich jede Schattirung und Abstufung versagt; es ist, als stürze sich dieses Gemüth, wie eine physische Kraft, unwiderstehlich und ganz, in die Richtung, die es genommen hat. Bei allen seinen Verbrechen und Freveln fühlt Attila den höhern Auftrag in sich, die göttliche Gerechtigkeit auf Erden zu verwalten, und nur im Augenblick, wo er einen Brudermörder bestrafen soll, fühlt er, der eine ähnliche That beging, im tiefsten Gemüth, etwas dem strafenden Gewissen und dem Vorwurf der Reue ähnliches.

Der zweite Act ist eine unvergleichliche Schilderung des römischen Kaiserhofes. Der Dichter bringt, mit eben so viel Scharfsinn als Genauigkeit, den Leichtsinn des jungen Kaisers Valentinian auf die Bühne; man hört ihn sprechen, ihn, dem die Gefahr seiner Krone nicht eine seiner gewohnten Vergnügungen aufopfern lässt; man hört seine übermüthige Mutter, die verwittwete Kaiserin, die dem Hasse nicht entsagt, um das Reich zu retten, aber jede Niederträchtigkeit begeht, um persönliche Gefahr abzuwenden; man hört die in ihren kleinen Ränken unermüdeten Hofschranzen, die sich noch dann einander zu schaden suchen, wenn das gemeinschaftliche Verderben hereinbricht; und das alte Rom wird von einem Barbaren gezüchtiget, [179] weil es sich so tyrannisch gegen die Welt bezeigte. Dieses Gemälde ist der Feder eines Tacitus würdig.

Mitten unter diesen nach dem Leben gezeichneten Charakteren zeigt sich der Papst Leo, eine erhabene Person, durch die Geschichte bekannt, und die Prinzessin Honoria, deren Erbtheil Attila von Valentinian zurückfordert, um es ihr wieder zuzustellen. Honoria liebt insgeheim und mit Leidenschaft den stolzen Hunnenkönig, den sie nie gesehen, für dessen Ruhm sie aber entbrennt. Man sieht die Absicht des Dichters; er wollte Hildegunde und Honoria zum bösen und guten Geist Attila's machen; und schon schwächt die Allegorie, die man in diesen Personen durchschimmern sieht, das dramatische Interesse, das sie einflößen könnten. Gleichwohl hebt sich dieses Interesse wieder mächtig in mehrern Scenen des Stücks. und vor allem in der, wo Attila, nachdem er Valentinians Truppen in die Flucht geschlagen, auf Rom losgeht, und auf seinem Wege dem Papst Leo, auf einer Bahre getragen und mit dem kirchlichen Pompe umgeben, begegnet.

Leo fordert ihn im Namen Gottes auf, sich, zu beherrschen, und nicht nach Rom, nicht in die ewige Stadt zu kommen. Attila wird plötzlich von einem religiösen Schrecken ergriffen, der bisher seiner Seele fremd war. Ihn dünkt, er sehe im Himmel den Apostel Petrus, der mit bloßem Schwerte ihm den Eingang verweigert.

Raphael hat in einem seiner schönsten Gemälde Leo's Ankunft bei Attila dargestellt. Einerseits die größte Ruhe auf dem Gesichte des wehrlosen Greises, den andere Greise, sich auf den Schutz Gottes verlassend, wie er, umgeben. Andererseits spricht Entsetzen aus den furchtbaren [180] Zügen des Hunnenkönigs; sein Pferd selbst scheut vor dem himmlischen Lichte, und die Krieger des unüberwindlichen Eroberers senken die Blicke vor dem heiligen Mann, der furchtlos an ihnen vorüberzieht.

Die Worte des Dichters drücken den erhabenen Sinn des Malers vollkommen aus. Leo's Rede ist ein Hymnus voll Begeisterung; auch die Art, wie die Bekehrung des Weltüberwinders angedeutet wird, scheint mir überaus schön. Attila, der bisher immer unverwandt nach der Stelle, wo Leo gewesen ist, hingeblickt hat, und, was er für eine Erscheinung hält, anstarrt, ruft einen seiner vertrautesten Krieger, Edecon, herbei:

 

Attila.

Siehst du in jenen Höhen

Nicht einen Riesen, schrecklich anzusehen;

Dort über jener Stelle,

Auf die der Alte stand in Sonnenhelle?

 

Edecon.

Ich seh' nur Raben, die in vollen Zügen,

Nach Lebensnahrung zu den Todten fliegen.

 

Attila.

Nein, ein gespenstig Wesen,

Und das vielleicht, das binden kann und lösen.

Denn als der Greis die Worte

Gesprochen, flammt' es auf an jenem Orte,

Mit drohenden Gebehrden,

Das Haupt am Himmel und den Fuß auf Erden! –

Da steht es, ohne Regen,

Und hält ein feurig Richtschwert mir entgegen.

 

Edecon.

Ich sehe nur der Sonne Feuergluthen,

Die von den Kuppeln Roms herniederfluthen. [181]

 

Attila.

Ein Tempel von Gold, mit Perlen geschmücket,

Er trägt ihn auf silberumlocketem Haupt,

Und während die Rechte das Flammenschwert zücket,

Erhebet die Linke, mit Rosen umlaubt

Zwei Schlüssel von Erz, die Strahlen ergießen,

Als ob sie, die Thore Walhalla's 1) zu schließen,

Der Riese den Händen des Wodan geraubt.

 

Von diesem Augenblick wirkt die christliche Religion auf Attila's Seele, und, dem Glauben seiner Vater widerstrebend, giebt er seinem Heere den Befehl, sich von Rom zu entfernen.

Man wünschte, das Trauerspiel hier endigen zu sehen, und es enthält Schönheiten für mehr als ein Stück. Aber es folgt noch ein fünfter Act, in welchem Leo, für einen Papst viel zu tief in die Theorie der mystischen Liebe eingeweihet, in derselben Nacht, wo Hildegunde sich mit Attila vermählt, und ihn ermordet, die Prinzessin Honoria in Attila's Lager begleitet. Der Papst, der diese Begebenheit vorherweiß, sagt sie vorher, ohne sie zu verhindern, denn Attila's Schicksal muß in Erfüllung gehen. Honoria und Leo beten für ihn auf der Bühne: Das Stück schließt mit einem Halleluja, erhebt sich gen Himmel wie ein poetischer Weihrauch, und verdunstet anstatt zu enden.

In Werners Versen liegen Schätze und Geheimnisse der Harmonie verborgen; es ist unmöglich, die Schönheit seiner Reimkunst in das Französische überzutragen. Ich erinnere mich unter andern an eine Stelle eines aus der polnischen Geschichte entlehnten Trauerspieles, wo er ein Chor junger Schatten in den Lüften erscheinen läßt. [182] Dieses Chor ist von der größten Wirkung. Werner giebt der teutschen Sprache so viel Weichheit, so viel Sanftes, daß die ermüdeten und antheillosen Schatten nur halbgebildete Töne zu athmen scheinen; jedes Wort, jeder Endreim von ihnen scheint so zu sagen zu verdunsten. Der Sinn der Worte trift mit der Lage vortreflich zusammen; sie malen eine kalte Ruhe, einen verwischten Blick; man hört in ihnen den fernen Nachhall des Lebens, und der blasse Wiederschein ausgelöschter Eindrücke verbreitet über die Natur einen Wolkenschleier. '

Wenn man in Werner Schatten findet, die einst lebten, so findet man auch in seinen Stücken fantastische Personen, die noch nicht gelebt zu haben scheinen. In Beaumarchais's Prolog zu Tarare frägt ein Genius Wesen der Einbildungskraft, ob sie geboren seyn wollen; eines von ihnen giebt zur Antwort: Ich spüre noch nicht die geringste Neigung dazu. Diese witzige Antwort ließe sich sehr gut auf den größten Theil der allegorischen Figuren anwenden, die man so gern auf die teutsche Bühne bringt.

Werner hat über die Templer ein Stück in zwei Bänden, die Söhne des Thales, geschrieben. Es ist für diejenigen, die in die Lehre der geheimen Orden eingeweihet sind, von großem Interesse, denn man findet eher den Geist dieser Orden darin, als die historische Farbe derselben. Der Dichter sucht die Freimaurer an die Templer zu knüpfen; er bemüht sich zu zeigen, daß die nämlichen Ueberlieferungen, und der nämliche Geist in ihnen unveränderlich gewebt und gewaltet hat. Werners Phantasie findet großes Vergnügen an Verbindungen, die die Spur des Uebernatürlichen an sich tragen, weil sie auf eine [183] außerordentliche Weise die Kraft jedes Einzelnen dadurch vervielfältigen, daß sie Allen dieselbe Tendenz geben. Dieses Stück, oder vielmehr dieses Gedicht, die Söhne des Thales, hat in Deutschland eine große Wirkung hervorgebracht; ich zweifle, ob es in Frankreich Glück machen würde.

Eine merkwürdige Arbeit Werners hat zur Absicht, die Einführung des Christenthums in Preußen und Lievland zu schildern. Dieser dramatische Roman, (er heißt das Kreuz an der Ostsee) trägt das lebendige Gepräge von allem, was den Norden charakterisirte, beschreibt das Bernsteinsammeln, die eisstarren Berge, das rauhe Clima, die schnelle Entwicklung der schönen Jahreszeit, die Feindseligkeit der Natur, die Rohheit, die der Kampf mit Boden und Elementen den Bewohnern mittheilen muß. Man erkennt in allen diesen Gemälden de[n] Dichter, de[r] aus der Quelle eigener Gefühle schöpfte, was er ausdrückt und was er beschreibt. –

Ich habe auf einem Gesellschaftstheater ein Stück von Werner, betitelt der vier und zwanzigste Februar, vorstellen sehen, worüber die Meinungen sehr getheilt sind und getheilt seyn müssen. Der Dichter versetzt uns in eine öde Schweizergegend, wohin sich eine Familie vom Lande zurückgezogen, die sich der größten Verbrechen schuldig gemacht, und der Fluch vom Vater auf den Sohn vererbt hatte. Schon erstreckt sich dieser Fluch auf das dritte Glied; der jetzige Bewohner der Einöde hatte seinen Vater zu Tode gekränkt, der sterbende Vater ihm geflucht. Der Sohn des Elenden spielt in der Jugend mit seiner Schwester ein grausames Spiel, tödtet sie, ohne es zu wissen und zu wollen, und entflieht nach der schuldlosen Schuld. Nach seiner Entweichung ist der [184] Vater immer mehr verarmt; kein Segen ruht auf seiner Hände Werk; Feld und Garten verdorrt; das Vieh fällt um, er ist in der größten Dürftigkeit; seine Gläubiger drohen ihn aus der Hütte zu stoßen, ins Gefängniß werfen zu lassen; er sieht schon sein unglückliches Weib verlassen, und in den Eisgebirgen umherirrend. In dieser Noth trifft nach einer zwanzigjährigen Abwesenheit sein Sohn unbekannt bei ihm ein. Diesen Sohn bewegen sanfte religiöse Gefühle; er ist voller Reue, obschon seine Absicht, als er Brudermörder wurde, nichts weniger als blutig war. Er will im Vaterhause eine Zeitlang unerkannt bleiben, seinen Namen verbergen, um der Eltern Liebe zu gewinnen, noch ehe sie in ihm den Sohn wiederfanden; aber der Vater, lüstern in seinem Elende nach dem Gelde, was der Fremde bei sich führt, der in seinen Augen ein Abentheurer ist, stößt ihm – gerade am vier und zwanzigsten Februar, in der Mitternachtsstunde, am Jahrestage des väterlichen Fluchs, der sich über die ganze Familie erstreckt – ein Messer in die Brust. Der Sohn entdeckt im Sterben sein Geheimniß dem Mörder, dem doppelt strafbaren Vater- und Sohnsmörder, der in seiner Verzweiflung sich vor das Gericht stellt, das ihm sein verdientes Urtheil sprechen soll.

Diese Verwicklungen und Lagen sind gräßlich, und bringen (wer wollte es läugnen?) eine große Wirkung hervor; gleichwohl bewundert man mehr die poetische Farbe des Stücks und die immer steigenden Motive der Leidenschaften, als den Stoff und die Grundlage der Handlung.

Das schaudernde Schicksal der Atriden in eine Bauerhütte übertragen, heißt das Gemälde der Verbrechen dem Zuschauer zu nahe rücken. Der [185] Glanz der Hoheit, der Abstand von Jahrhunderten, theilt der Bosheit selbst eine Art von Größe mit, die sich dem Ideal der Kunst näher anschließt; wo man aber das Messer, statt des Dolches sieht; wo man auf Gegenden, Sitten, Personen stößt, die man täglich vor Augen haben kann, verwandelt sich das edle Entsetzen, welches das Trauerspiel erregen soll, in die gemeine Furcht vor einem meuchelmörderischen Auftritt in einem Gukkasten.

Gleichwohl wird die Seele durch die dem väterlichen Fluche beigelegte Gewalt, wodurch er so zu sagen zur Vorsehung auf Erden wird, mächtig erschüttert. Das Fatum bei den Alten ist eine Laune des Schicksals; das christliche Fatum hingegen ist eine moralische Wahrheit unter einer furchtbaren Gestalt. Der Mensch, der seinen Gewissensbissen nicht nachgiebt, stürzt sich, durch eine Folge des in ihm aufgeregten Gefühls, in neue Verbrechen; das zurückgestoßene Gewissen verwandelt sich in ein Gespenst, welches die Vernunft verwirrt.

Die Frau des Mörders wird von einem Liede gequält, das ihr beständig gegenwärtig ist, und die Geschichte eines Vatermordes erzählt; allein, selbst im Schlafe, kann sie sich nicht erwehren, es halblaut herzusagen; es wirkt in ihr, wie jene verworrene unwillkührliche Gedanken, deren traurige Rückkehr eine innere Ahnung des bevorstehenden Schicksals zu seyn scheint.

Die Beschreibung der Alpen und ihrer Oede ist vorzüglich schön; die Wohnung des Fluchbeladenen, die Hütte, worin die Greuel vorgehen, ist abgelegen und einsam; keine Kirchglocke ertönt in der Nachbarschaft; die Stunden werden von einer alten Schlaguhr angezeigt, dem letzten Hausgeräth, [186] von dem sich die dürftigen Bewohner nicht trennen konnten; der einförmige Schlag der Uhr, im Schooße der Gebirge, wohin kein Leben dringt, erregt ein seltsames Schaudern. Man frägt sich: wozu braucht es der Zeit an diesem Orte? wozu das Maas der Stunden, wo kein Interesse Abwechselung in ihre Folge bringt? und die Unglückseligste von allen, die Stunde des Verbrechens, erinnert an den schönen Ausdruck eines Missionars, der den Verdammten in der Hölle die unaufhörliche Frage in den Mund legte: «Wie hoch ist es an der Zeit?» und denen beständig geantwortet wurde: «Die Stunde der Ewigkeit hat geschlagen!»

Man hat Werner den Vorwurf gemacht, er habe in seinen Tragödien Situationen, die mehr den lyrischen Schönheiten Raum geben, als sich zur Entwickelung dramatischer Leidenschaften eignen. In seinem Stück der Vier und zwanzigste Februar könnte man ihm den entgegengesetzten Vorwurf machen. Der Inhalt des Stücks, die Sitten, die es aufstellt, sind der Wahrheit zu nahe gerückt, und zwar einer gräßlichen Wahrheit, die in dem Kreise der schönen Künste keinen Eintritt finden sollte. Die schönen Künste schweben zwischen Himmel und Erde; Werners schönes Talent erhebt sich bisweilen oberhalb, bleibt bisweilen unterhalb der Regionen stehen, die das Gebiet der Dichtungen sind.

 

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1) Walhalla ist das Paradies, und Wodan der Hauptgott der Scandinavier.