BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Dritter Theil. II. Abtheilung.

 

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Siebentes Capitel.

 

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Von den religiösen Philosophen,

die man Theosophen nennt.

 

Als ich Rechenschaft abgelegt habe über die neuere Philosophie der Deutschen, habe ich den Versuch gemacht, eine Abmarkungslinie zu ziehen zwischen der, welche es darauf anlegt, die Geheimnisse des Universums zu durchdringen, und der, welche sich auf die Erforschung der Natur unserer Seele begränzt. Denselben Unterschied bemerkt man zwischen den religiösen Schriftstellern. Einige, von welchen ich in den vorhergehenden Capiteln geredet habe, sind bei dem Einfluß der Religion auf unser Herz stehen geblieben; andere, wie Jacob Böhme in Deutschland, Saint Martin in Frankreich, und noch viele Andere, haben in der Offenbarung des Christenthums geheimnißvolle Worte zu finden geglaubt, welche zur Enthüllung der Gesetze der Schöpfung dienen könnten. Eingestehen muß man, daß, [273] wenn mit dem Denken einmal der Anfang gemacht ist, das Stillstehn sehr schwer ist; und das Nachdenken mag nun zum Scepticismus, oder zu dem allerungebundesten Glauben führen, so ist man nicht selten in der Versuchung, wie die Fakirs, ganze Stunden mit der Frage hinzubringen: was das Leben sey. Weit davon entfernt, Personen, die sich so in die Contemplation versenken, auf irgend eine Weise herabzuwürdigen, sieht man sich sogar gezwungen, sie als die eigentlichen Herren des menschlichen Geschlechtes zu betrachten, neben welchen die, welche ohne Nachdenken leben, nur an die Scholle gebundene Leibeigene sind. Wie aber kann man sich schmeicheln, solchen Gedanken, die gleich den Blitzen in Dunkelheit zerrinnen, nachdem sie einen Augenblick über die Gegenstände einen flüchtigen Schimmer verbreitet haben, Haltbarkeit zu geben?

Gleichwol kann es anziehend seyn, die Hauptrichtung der theosophischen Systeme anzugeben, d. h. der religiösen Philosophen, welche seit der Einführung des Christenthums, vorzüglich aber seit dem Wiederaufleben der Wissenschaften in Deutschland immer existirt haben. Die meisten griechischen Philosophen haben das Welt-System auf die Thätigkeit der Elemente gestützt; und wenn man Pythagoras und Platon ausnimmt, welche ihre Tendenz zum Idealismus aus dem Morgenlande erhielten, so erklären die Denker des Alterthums die Organisation des Universums ohne alle Ausnahme aus physischen Gesetzen. Indem nun das Christenthum das innere Leben in dem Schooße des Menschen anregte, mußte es die Geister geneigt machen, die Macht der Seele über den Körper zu übertreiben. Die Mißbräuche, welchen selbst die reinsten Lehren [274] unterworfen sind, haben die Visionen, die weise Magie (d. h. diejenige, welche dem Willen des Menschen ohne die Dazwischenkunft höllischer Geister die Möglichkeit, auf die Elemente zu wirken, zuschreibt) und alle die seltsamen Träumereien herbeigeführt, welche aus der Ueberzeugung entstehen, daß die Seele stärker ist, als die Natur. Die Secten der Alchymisten, der Magnetisierer und der Illuminaten stützen sich beinahe sämmtlich auf dieses Uebergewicht der Willenskraft, welche sie allerdings viel zu hoch anschlagen, die aber gleichwol mit der moralischen Größe des Menschen im Zusammenhange steht.

Das Christenthum hat dadurch, daß es die Geistigkeit der Seele feststellte, nicht bloß die Geister bestimmt, an die unbegränzte Macht des religiösen oder philosophischen Glaubens zu glauben: sondern die Offenbarung hat auch Einigen ein fortdauerndes Wunder geschienen, das sich für Jeden von ihnen erneuern könne; und Einige haben auch aufrichtig geglaubt, es sey ihnen eine übernatürliche Divination beschieden, und es offenbarten sich in ihnen Wahrheiten, von welchen sie mehr die Zeugen als die Urheber wären. Von diesen religiösen Philosophen ist Jacob Böhme der berühmteste; ein deutscher Schuster, der zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts lebte. Er machte zu seiner Zeit so viel Lärm, daß Carl der Erste (König von England) ausdrücklich jemand nach Görlitz, seinem Wohnort, sandte, um sein Buch zu studiren, und es nach England zurückzubringen. Einige seiner Schriften sind von dem Herrn von Saint Martin ins Französische übersetzt worden; sie sind schwer zu verstehen, wiewol man darüber erstaunen muß, [275] daß ein Mann ohne Bildung in der Betrachtung der Natur so weit vorschreiten konnte. Im Ganzen schaut er sie als ein Sinnbild der vornehmsten Lehren des Christenthums an. Ueberall glaubt er in den Erscheinungen der Welt die Spuren des Falles und der Wiedergeburt des Menschen, die Wirkungen des Princips des Zornes und des Princips der Barmherzigkeit zu sehen; und während die griechischen Philosophen die Welt durch ein Gemisch von Elementen (Luft, Wasser und Feuer) zu erklären suchten, gestattet Jacob Böhme nur, die Zusammenfügung moralischer Kräfte und stützt sich auf Stellen des Evangeliums, um das Universum zu deuten.

Aus welchem Gesichtspunkte man auch diese seltsamen Schriften betrachten möge, die, seit zwei Jahrhunderten immer Leser, oder vielmehr Adepten, gefunden haben: so kann man sich doch nicht enthalten, die beiden entgegengesetzten Bahnen zu bemerken, welche, um zur Wahrheit zu gelangen, von den spiritualistischen und den materialistischen Philosophen beschrieben werden. Die einen glauben, daß man die Natur nur dadurch errathen könne, daß man sich allen äußeren Eindrücken entzieht, und sich in die Extase des Gedankens stürzt; die andern behaupten, man könne sich bei Erforschung der Erscheinungen des Universums nicht genug in Acht nehmen vor Enthusiasmus und Einbildungskraft. Man möchte sagen, der menschliche Geist müsse, um die Natur zu begreifen, sich vom Körper oder von der Seele losmachen, während das Geheimnis des Daseyns eigentlich auf der mysteriösen Vereinigung von beiden beruht.

In Deutschland behaupten einige Gelehrten, daß [276] man in Jacob Böhme's Werken tiefe Ansichten von der physischen Welt antrifft. Wenigstens läßt sich sagen, daß in den Hypothesen der religiösen Philosophen über die Schöpfung eben so viel Originalität enthalten ist, als in denen des Thales, Xenophones, Aristoteles, Descartes und Leibnitz. Die Theosophen erklären, daß alles, was sie denken, ihnen offenbart sey, während die Philosophen im Ganzen sich von ihrer eigenen Vernunft geleitet glauben. Da aber die einen, wie die andern, das Geheimniß der Geheimnisse ergründen wollen: was bedeuten auf dieser Höhe die Wörter Vernunft und Narrheit? und warum mit der Benennung von Wahnsinnigen diejenigen brandmarken, welche in der Exaltation große Einsichten zu finden wähnen? Hier ist eine Bewegung des Gemüths von merkwürdiger Beschaffenheit; eine Bewegung, die demselben wahrlich nicht gegeben ist, um sie zu bekämpfen.