B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Albrecht von Eyb
1420 - 1475
     
   


D a s   E h e b ü c h l e i n

Z w e i t e r   T e i l ,   4 .   K a p i t e l

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Das man frawen vnd iunckfrawen
zu rechter zeit menner geben ſoll.

     EIn hůbſche hiſtori, die Boccacius geſchriben hat, gibt zuuerſtien, das man frawen vnd Iunckfrawen zu rechter zeit menner geben ſoll, Ee das ſie durch blỏdigkeit des fleýſchs vnd leichtuertigkeit des gemůtes zu valle vnd ſchanden kumen můgen, dieſelben hiſtori will ich hiemit begreiffen vnd ſetzen in kůrtze, ſo es geſein mag, vnd lawtet alſo: Es iſt geweſt ein fůrſte vnd herr, genant Tancredus, der hett ein einige tochter, Sigiſmunda genant, die im auß der maßen lieb was; vnd wiewol vil fůrſten vnd herren ſie begerten zu der ee, mocht ſich der vater der tochter nit erwegen vnd behielt ſie beý im ůber die rechten iar, [30a] das ſie pillich ein man genumen ſolt haben. Doch ůber lange zeit gab er der tochter einen man, eines hertzogen ſon, der in wenig iaren mit tod abging, vnd kam Sigiſmunda wider zu irem vater ein wittbe. der wollt ſie nit von im laßen aus lieb vnd luſt der tochter noch gedencken, ir einen andern man zugeben. Die tochter Sigiſmunda was von leib vnd geſtalt gantz hůbſch vnd grỏßer ſýnnen vnd vernůfftig, gedacht vnd nam ir fůr, wie ſie in ſtille vnd geheim mỏcht haben ein liebhaber vnd pulen auß manchen edeln vnd vnedeln, als an der fůrſten hỏfen gefunden werden. Als ſie het vermerckt ir aller weſen, litten vnd geſtalt, ward ir wolgefallen ein hůbſcher Jůngling, der da was einer nýdern geburt, aber von guten ſitten vnd eines edeln, hohen gemůts, des namen was Gwiſcardus: denſelben iůngling ward Sigiſmunda offt lieplich anſehen vnd in von tag zu tagen ýe mere beweren vnd lieb haben, deßgleichen der iůngling, als er vername die lieb vnd willen der frawen, wart widerumb in der lieb der frawen entzůndet vnd gedacht tag vnd nacht, wie er ir mỏcht wolgefallen vnd gedienen. Sigiſmunda ward dem iůngling ein brieff ſchreiben vnd iren willen zu erkennen geben vnd vndterweiſen, wie er ſich halten ſolt; denſelben brieff beſchloß ſie in ein holes rore, gab im das rore in ſchýmpff weis vnd ſprach: «diſes rore ſoltu meiner meýd geben, das ſie damit das feůr můg aufplaſen vnd erquicken!» Gwiſcardus, der Jůngling, name zu im das rore, ging zu hawſe, ỏffnet es vnd fände darinnen den brieff; den laſe er vnd erlernet den willen der frawen, wie er zu ir kumen ſolt durch ein hỏlen, die do was heimlich vnd verporgen vnd ging durch den berg biß zu der kamern, darinne läge die fraw, was oben mit dỏrnen verwachſen vnd in der kamern mit thůre vnd rigeln vermacht. Als [30b] nun der Jůngling durch den brieff die gelegenheit der hỏle vnd des lochs erlernet het, ging er beý nacht zu dem loche, nam mit im ein ſeýle, daran gemacht waren knoden, het ſich mit leder vmbgeben, das in die dỏrnen nit beſchedigten, vnd ließ ſich abe in das loch; das ward im von der frawen des morgens, als die meid aufgeſtanden waren vnd die frawe lenger wolt ſchlaffen, geỏffnet, vnd kam alſo der iůngling in die kamern; der ward mit vmbgebenden armen der frawen gar lieplich enpfangen, vnd lebten in großen freůden vnd wolluſt, ging darnach wider in das loch, das beſchloß die fraw, ſtund auff vnd ging herfůr. Als ſollichs von in beýden zu merern male geůbet ward, het Tancredus, der vater, in gewonheit, das er zu zeitten ging allein in die kamern zu der tochter, mit ir redt vnd frỏlich was. Als eins mals vmb mittentag der vater kam in die kamern vnd die tochter mit den meiden in garten gangen was, durch wolluſt zuſuchen, vnd die venſter der kamern zugethan waren, legt ſich der vater beý dem pette auff ein pfůlben vnd enſchlieffe. Do kam die tochter gegangen auß dem garten, die do Gwiſcardum auff die ſelbig zeit het kumen heißen, ỏffnet das loch vnd ließ in hinein; do legten ſie ſich beýde an das pette, waren frỏlich vnd ſpilten nach irer gewonheit. Der vater erwachet, ſahe vnd empfände alle ding, die ſie beýde begunden vnd theten, ſchweýg ſtille als ein weiſer man, damit er ſollich ůbel mit rat vnd vernufft mỏcht geſtraffen. Nach vil freůden vnd wolluſt ging Gwiſcardus in das loch vnd beleýb dorinnen biß in die nacht; Sigiſmunda beſchloß das loch vnd ging herfůr. Tancredus ging auch in ſein kamern mit großen angſten vnd ſchmertzen vnd ließ behůten das loch. Da ward Gwiſcardus gefanngen vnd alſo in dem leder. damit er was bedecket, fůr Tancre[31a]dum gefůrt. Als in anſach Tancredus, ſprach er zu im: «Gwiſcarde, ich hett nit getrawt durch mein gůttigkeit vnd lieb, die ich dir erzeigt hab, das du an mir vnd meiner tochter ſo ůbel hetteſt gethan, als ich mit meinen äugen hab geſehen.» antwurt Gwifcardus: «Herr der fůrſt, der gewalt der lieb iſt grỏßer, dann dein oder mein gewalt můgen ſein!» Des morgens vmb mittentag ging der vater zu der tochter nach ſeiner gewonheit; die het noch kein wißen, das Gwiſcardus gefanngen was, vnd mit weinenden äugen ſprach er zu ir: «Sigiſmunda, mein libe tochter, dein erberkeit vnd tugendt hab ich alſo bekant, das mir nie in mein gemůte kumen iſt, das du gedacht ſoltſt haben, damit dein keůſcheit verſert mỏcht ſein, als du mit Gwiſcardo haſt gethan vnd ich mit mein äugen hab geſehen. darumb die kurtz zeit, die ich nach meinem alter zuleben han, will ich in trawren vnd iamer verzeren, ſo ich bedenck das ůbel, das du haſt volbracht. vnd wolt got, ſo es ýe geſchehen iſt, du hetſt dir fůrgenumen ein edeln, der dir wol gezýmet het, als du dir haſt außerweit Gwiſcardum, der von nýdern, ſchlechten leůten geboren vnd von vnns auß barmhertzigkeit erzogen iſt. den hab ich diſe nacht fahen laßen vnd fůrgenumen, wie ichs mit im will handeln. Aber wie ich mit dir ſoll leben, bin ich noch vngewiſe vnd vnberaten: die groß liebe, die ich zu dir als ein vater hab, ermanet mich, dir ſollich miſſetat zu begeben; vnd das groß ůbel, das du haſt begangen, vnd mein zoren vnd vngenad reitzen mich, ſtraff vnd pein von dir zunemen; vnd ee ich ettwas in diſen dingen fůrnýme zuthun, will ich dein antwurt vernemen vnd hỏren.» Sigiſmunda, als ſie vername, das Gwiſcardus gefanngen vnd ir beýder lieb geỏffnet was, do ward ir hertz mit wee vnd ſchmertzen beladen, vnd mocht ſich kawm enthaben vor weinen vnd [31b] ſchreýen. doch ůberwand ir großmechtigkeit die weiplich ſchwacheit, vnd gab antwurt dem vater mit ſtetem angeſicht vnd auffgehabner ſtirn vnd gedacht mit Gwiſcardo zuſterben vnd wolt weder gnad pitten noch den zoren des vaters ſenfftigen, ſunder mit ſtarckem, veſten mut als eine, die do verſchmecht das leben, ſprach ſie vnd redet alſo: «Tancrede, lieber vater, ich mag nit gelawgen, des du mich beſchuldigſt; doch will ich mich mit guten vrſachen verantwurten. Ich bekenn, das ich hab lieb gehabt Gwiſcardum vnd will ine, die weill ich lebe, das do kurtz ſein wirdet, liebhaben, vnd wer můglich, nach dem tode lieb zuhaben, ich wolt es thun; vnd hat mich nit allein weiplich begire zu ſeiner lieb gereitzt, ſunder auch dein ſchulde vnd verſaumnuß, das du mir kein eelichen man geben haſt. Du ſolt pillich gedacht haben, als du von fleiſch geboren piſt, das du dein tochter auch von fleiſch vnd nit auß ſteinen oder eýſen hetſt geporen, ſolſt auch pillich bedacht haben, wiewol du piſt in dem alter, wie groß vnd ſtarck der gewalt der natur iſt in der iugent vnd was můſſig gien vnd wolluſt in mannen vnd frawen thůn vnd ſchaffen. Ich bin ein fraw, von dir geborn, iunck vnd voller begire, hab vor ein man gehabt vnd enpfunden der wolluſt: ſollich anfechtigung haben mich tag vnd nacht bewegt, geprennet vnd ůberwunden; bin dabeý fleýßig geweſt, das dir vnd mir nit ſchande vnd ſchmehe darauß mỏchten erwachſen. Vnd als du mir fůrhelteſt, wie Gwiſcardus nit edel geboren ſeý, iſt nit ſein ſchulde, ſunder des glůckes; wir haben alle von eim menſchen Adam ein vrſprung: allein die tugent hat vns vnderſchaidlich gemacht, vnd wirt der edel geheißen, des tugenthafftige werck werden geſehen. Nu haſtu mir gwiſcardi leben, ſiten vnd tugenden ůber ander edelleůte deines hofs geſagt [32a] vnd gelobet, dadurch du in ſelbſt fůr edel ſeiner tugenthalben haſt gehalten. Vnd als du zum letzten haſt geſagt, du ſeýſt in zweýfel, wie du es mit mir wỏlleſt halten, ich pitt dich, leg hin ſollichen zweýfel! piſtu in willen, Gwiſcardum zupeinigen vnd tỏten, dieſelben pein vnd tod will ich nit fůrchten noch dich dafůr pitten? vnd ſage dir auch: was du mit Gwiſcardo begýnnen wirſt, ob du daſſelb nit mit mir volbringeſt, ſo můßen doch mein eigen hende an mir ſchuldig werden.» mit diſen worten fieng an Tancredus, der vater, zubeinen vnd ging von dannen. Do ſprach zu im Sigiſmunda, die tochter: «Nu gee hin vnd vergeůß die zeher ſam die frawen vnd mit einem ſchlage tỏte gwiſcardum vnd mich, ſo wir das verdient haben vnd wirdig ſein!» Tancredus enphande die großmůtigkeit der tochter vnd gedacht nit, das ſie thun wurde, als die wortte von ir gelawtet heten, vnd was nit in willen, die tochter zuſtraffen, ſunder allein Gwiſcardum zutỏten, dadurch die lieb der tochter gen Gwiſcardo wurd genumen, vnd hieß, das man Gwiſcardum beý nacht mit einer hantzweheln ſolt erwůrgen vnd erſtecken, aus im nemen das hertze vnd im zubringen. Do ſollichs alſo geſchach, name Tancredus das hertze, legt es auff ein guldein ſchalen vnd ließ es bringen der tochter mit diſen wortten zuſprechen: «Dein vatter hat dir geſchickt diſe gabe, die du lieb gehabt haſt, vnd will dich damit trỏſten, als du zu merern male dar durch getrỏſt worden piſt.» Sigiſmunda die was in veſtem willen, als der vater von ir gangen was, ſich ſelbs zutỏten, ſo Gwiſcardus wurd getỏtet, vnd name der vergifftig kreůtter vnd wurtzeln, prennet vnd diſtillirt dieſelben, domit ſie ir den tod thun mỏcht, ſo Gwiſcardus, als ſie beſorget, den tod genumen het. Als nun Sigiſmunda die ſchalen mit dem hertzen het empfangen, die do was be[32b]deckt, thet ſie die auff vnd fände dorinnen ligen das hertze. ſo bald ſie das anfalle, gedacht ſie, wie es wer das hertze Gwiſcardi. Do ſprach ſie zu dem diener, der das gebracht het, alſo: «Das hertze iſt wol wirdig eines gülden grabes, als du mir es in einer gülden ſchalen haſt gebracht, vnd in dem hat mein vater recht gethan.» mit diſen wortten name ſie das hertze, kůßet es vnd ſprach: «Mein vater hat mich allzeitt lieb gehabt biß auff diſe letzte zeitt meins lebens; dem ſoltu groß danck ſagen diſer gäbe, die er mir hat geſchickt!» vnd ſahe damit an das hertze, das ſie hielt in iren henden vnd ſprach: «O du aller frỏlichſte herberg meiner begire vnd freůden! vnſelig můß der ſein, der geſchafft hat, das ich dich mit augen ſoll ſehen: es wer genug geweſen, das ich dich mit meinem gemůte geſehen het. du haſt volbracht die zeit deins lebens; die dir das glůcke hat auffgeſatzt, vnd haſt gehabt ein guldens grab, des du wol wirdig biſt geweſt, vnd hat dir nichts gemangelt dann meiner zeher; das dir dieſelben můgen widerfaren, hat got meinem vater in ſýn geben, das er dich zu mir geſchickt hat: dieſelben mein zeher will ich dir bezalen, wiewol ich mir het fůrgenumen, mit drucken augen zu ſterben, vnd will darnach begýnnen, damit mein ſele mit deiner werde geſellet vnd begraben, wie mỏcht ich ein frỏlichern vnd ſichern weggeſellen haben an dieſelben ende dann dich? ich laß mich beduncken, das dein gemůte vnd begire hie gegenwůrtig ſein vnd ſein noch mit meiner lieb vmbgeben, wartten mein vnd wollen nit an mich abſcheiden.» mit diſen wortten naýget ſich nýder Sigiſmunda auff die ſchalen, darinnen das hertz lag, on alles ſchreýen, als den frawen gewonheit iſt, vnd vergoße das waſſer irer augen ſam auß einem fließenden prunnen vnd ward vnzellich kůßen das tod hertze gwiſcardi vnd mit [33a] armen vmbfahen. das ſahen die maid, die do gegenwertig waren, weſten nit, was das bedeůtet, vnd auß erbarmung der frawen warden ſie betrůbet vnd fingen an zu weinen, fragten die vrſach des ſchnellen ſchmertzen vnd bekůmernuß vnd warden ſie trỏſten, ſouil ſie mochten. Als nun Sigiſmunda genug geweinet het, hübe ſie auff ir geſichte, drucknet die augen vnd ſprach: «O du aller liebſtes hertz mein, ich hab ob dir volbracht mein ampt des wainens, vnd iſt nit anders vorhanden, dann das ich dir nachuolge als meinem geferten vnd beleýter!» nam damit das tỏttlich, vergifftig getranck vnerſchrockenlich vnd tranck das auß, ging in die kameren, legt ſich auff das pette vnd ſetzet die ſchalen mit dem toten hertze auff ir hertze vnd was wartten des todes. die maide vnd frawen, die gegenwerttig waren, weſten nit, was Sigiſmunda het getruncken, ſchickten allzehant zu dem vatter vnd theten im kunt das trawren vnd weſen der tochter. do erſchrack der vater vnd beſorgt, ob ir die tochter den tod het gethan, vnd kam zu ir in die kameren. Do lag Sigiſmunda in todes nỏtten, vnd mocht ir nýemandts gehelffen; die beclaget der vater mit großem weinen vnd ſchreýen. Alſo ſprach Sigiſmunda zu im: «lieber vatter, behalt dein weinen vnd clagen zu andern dingen, die on deinen willen vnd begeren geſchehen: diſe dinck haſtu gewỏlt vnd begeret. du ſolt nit wainen von meinen wegen, ich begere des nit vnd will es nit haben, doch haſtu ýe lieb zu mir gehabt, pite ich dich vnd begere, das du mir die letzten lieb erzaigeſt vnd wỏlleſt meinen vnd Gwiſcardi leichnam zuſamen in ein grab legen vnd beſchließen, ſo du nit haſt gewỏllet, das ich heimlich vnd verporgen mit im hab můgen leben, das ich doch tode offenlich beý im werde begraben.» der vater aus großem ſchmertzen ſchwaig ſtille vnd mocht nit gereden. Si[33b]giſmunda, als ſie enpfande das ende ires lebens, do drucket ſie das hertz Gwiſcardi an ir hertze, vnd mit zuthunden augen geſegnet ſie die leůte vnd verſchide; vnd warden Gwiſcardus vnd Sigiſmunda in ein grab gelegt, als ſie het gebetten. Aus diſer hiſtorien iſt abzunemen, das ſich ſollicher Jamerlicher, ſchwerer vale nit het begeben, ſo Tancredus ſeiner tochter Sigiſmunde zu rechter zeit ein man geben het.