B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Meister Ingold
um 1380 - 1440/50
     
   


D a s   p ü c h l i n
v o n   d e m   g u l d i n   s p i l .


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DAS SIBENT SPIL IST
SAYTENSPIL.


     Cantabant in choro mulieres dicentes: Saul percussit mille, et David decem milia. Die frawen sungen in dem saytenspil: Saul hat tausend erschlagen, und David zehen taussent; also stat geschriben in der küng půch. Ditz ist das sibent spil, saytenspil. Das spilt die arm untugend neid und hass, als uns die geschrift beweißt. Do David het gevelt den grossen rissen Goliam, und er sein swert und sein haubt pracht, do giengen im die frawen engegen und sungen in dem saytenspil die wort, und das verdroß Saul, und beneydet das und sprach: sy hand mir zů geben taussent, und David zehen taussent, was hat er nun nit mer denn ain künkreich? Und fürbas sach er David nit mer an mit richtigen augen. Es ist ze wissen das man lißt, das das erst saytenspil vand Orpheus, etlich sprechend, es fünd Tubalcayn ain schmid, etlich mainend, es fünd Pictagoras ain mayster. Der hort ain schmiten mit fier [45b] hämeren, und hort das gedön; do hieß er die hämer wegen, da wag der ain als vil als zwelf pfund der ander als vil als ächt, der drit als vil als sechß; und nach der zal ward das gesang musica genant. Er hies zwen hämer zesamen schlahen, den der da zwelf hat an dem gewicht und den der da hat sechs an dem gewicht; und die habent ain thon dyapason, ain octava. Es ist die achtost stim und der achtost sayt. Mit dem ersten dar nach schlůg er zesamen den der da hat zwelf und den der da hat nün, und das tönd gar wol, und hayßt diapente, ain quintstim, und ist der fünft sayt mit dem ersten; und der ist der aller süßest don den man hat, und spricht Aristotiles: man sol uff der quinten die kind underweissen. Er schlůg auch zesamen den hamer der sechß het und den der acht het, und die machten das selb undergetön, ain quint. Darnach schlug er zesamen die zwen, der zwelf hat und der acht hat, und macht ain don dyatessaron, das hayßt ain quartstim; und den der da hat zwelf und den der da hat nün, das macht ain don, der haisset unus sonus, ainstimme. Also funden die alten vier concordantz, die nüen hand ir me funden: ain tertz und ain duodetz. Und also ist das saytenspil funden mit sechß stimmen und noten. Nun hat das saytenspil die art, zů dem ersten das man dar mit got lobet, als David spricht in dem psalter. Das ander: es macht gůt gedenck in dem himel, als etlich sprechent, es wären die scheiben der steren und der planeten, die lauffend umb und machend das süss gedön. Dar zů so wirt der mensch vermanet von natur. Das drit: es machet flüchtig die pößen gayst, als wir lesen von Saul den der pöß gayst übt. Also wenn der gayst gedenckt an die süssen dön in dem himel, so flücht der bös gayst von im. Das vierd: es vertreibt bös gedenk. Das fünft: es macht frölich lüt noch frölicher. Das sechßt: es macht den menschen das er sein selber vergißt und im selber engaut, und gedenckt an das saytenspil der engel. Es machet andächtikayt Sanctus Augustinus [46a] in seiner ersten bekorung. Das sibent: es machet schlaufen, als wir lessen in der poetrey von den syrenen, und auch von aim der hies Arguss, der het hundert augen, und hůt ain kostlich hert ků, und wenn er schlauffen wolt, so ließ er zway augen offen staun und wachen, das er die kü möcht behüten. Des kom Mercurius mit saytenspil, und sang so vil und süss, das er entschlief und im all sein augen zů giengen. Und also nam er im die kü. Das hat ain gaystlichen sin; wan das saytenspil hat die siben gůt weis, so es götlicher minn und lieb spilt. Es hat auch die siben bös weis, wann es neid und hass spilet. Es wirt zů dem ersten nit gespilt got ze lob und ze eren, und macht auch nit gůt gedenk. Es vertreibt auch nit den bössen gayst, es rüft in mer her zů: do küng Saul das gesang hort, do kom neid und hass in sein hertz. Es macht den menschen mer betrübt und betrübt den menschen vil mer, wan es ist ungeleich dem betrübten hertzen. Es macht den menschen wachend das er nit schlauffen kan, wan ain neydigs hertz mag kain rů haben noch rast. Als nun in dem saytenspil sind sechß stim und noten, also spilt der neidig mensch auch sechßer lay neydikayt und noten. Der erst ist so er hinderretet seinem nächsten, und das layder war ist, aber seinem nächsten zů laster und zů uneren. Das ander so er hinderretet seinem nächsten das er gehört hat, und mer ret und dar zů legt, und macht das grösser den es ist. Das drit so er seinen nächsten hinderklaffet, und lügt und slät auff in das nit war ist, und das er selber erdacht hat oder ander lüt. Das fiert so er mindert seins nächsten gelinpf, und wen man gůtz von im ret, so widerspricht er es, und würft etwas dar ein das wider sein gůt laym und er ist, und lachot oder schmotzot spotlichen, und hört nit geren wenn man gůtz von im rett. Das fünft so er das gůt in das bös verkert mit wissen und willen, und wil sich an den gůten werken ergern. Das sechßt so der mensch geren nachred hört von seim [46b] nächsten und sich des fröt. Also wirt neidikayt erfröwt, so sy also ir sayten rört, so fröwt sich das neidig hertz, so sy etwas wissend args von den lüten ze reden, es sey war oder nit. Und das ist des tüfels saytenspil, und das ist gemacht von aim holtz das hayßt puchßpaum; das hat die natur, das es alles das verderbt was es mit seim schaden deckt. Also tůt auch neyd und hass. Es stat geschriben in dem decret ff. libro V: wa ain paum schedlich ist aim haus, aim garten, aim mad, aim aker, so mag der den paum wol abhawen dem er mit seim schatten schaden tůt, und mag den verprennen, wes er ist. Also werdent all die verprent in dem hellischen für die irem nächsten schedlich sind an seinen eren, und got der schneit in ab den paum irs lebens. Wir lessen von ainer edlen frawen, die was gesessen nachend bey ainer stat, und die was ain hübsche bůlerin, und das weßt jederman von ir. Und wenn ir gesindt uss der stat kom, so fraugt sy: was sind nüer mär in der stat? So sprachen sy: wir hören nichtz frems, wenn das jederman nun von euch redet. Also nam die fraw ain esel und hieß den schinden, und hieß im die haut auf den ruggen legen und gen markt in die stat treiben. Do das geschach, do lof jederman zů und schaweten das wunder; do ward jedermenclich in der stat von dem geschunden esel sagen. Do nun ir hausgesind haim kom, da fragt die fraw aber, was der mer wär in der stat. Die sprachen: es hat menclich ze sagen von dem geschunden essel auf dem marckt, das man ewer gentzlich geschwigen hat. Also tůnd die neydigen menschen; dar umb das man ir bößhayt gesweig, so erdenkend sy lügin auf ander lüt, und sagend die uner von in, als begein und die gaystlerin, und die gleissnerin die da hayssend erabschneyderin; die tragend den gayst in den naßlöchern, und den tüfel auf der zungen, und den neid in dem hertzen. Dar umb so wissend für war, es můs under zwain ains sein, dar wider ist [47a] nichtz. Das ain das sy ir tag selber groß pößhayt habend volbracht, und das selb redent sy auch von andern lüten, als sy sich selber schuldig wissend; wan man spricht: wes sich der bok fürwayß, des versicht er sich auf die gayß. Es sůcht niemand den andern in dem sack, er sey denn vor dar in gewessen. Ob aber das nit ist, so můss von not das ander sein, das ist das got über sy kurtzlichen verhengt, das auf sy schamlichen velt groß schand, laster und uner, das sy gedemütiget werdent, und das sy fürbas kennend der lüt schonen. Beschehent aber die zway nit, so můß on zweiffel das drit volgen, das der mensch dar umb verdampnot werd; und das ist ain sichers zaychen zů der hel, wenn got den menschen hie nit peingot und strauffet umb sölich sünd; und wem got sein sünd ze lieb lat werden, das er dar inn also reichsnot nach wollust seins hertzens, das ist ain gewis zaychen das der mensch ewiclichen verdampnot můß werden mit allen tüffellen. Dar umb sprach David: nüm war, in meinem frid han ich die grossen piterkayt; das ist frid in den sünden, und besunder in nachreden, dar inn der mensch frit hat, das ist kain conscientz. Dar wider die tugend götlicher minn spilt auf dem saytenspil Cristi, das erdönt in den himel, und das ist gar frölich. Das saytenspil Cristi ist nit anders den das leiden Jhesu Cristi, wan als die sayten auf aim saytenspil gespannen und gedent sind über das holtz, also ist er gedent und gespanen an dem holtz des crütz, so vast das man im all sein rib gezelt möcht han. In dem selben spannen so dönt das selb saytenspil gar ain süssen dön, und der selb dön hat siben süss stim und kleng. Das sind die siben wort des crütz, die da rürend die tugend götlicher minn. Das erst was weiplicher nam: sich an fraw, das ist dein sun; das gehört die reich minnent tugent, und antwert im auf irem [47b] saitenspil, das ist das götlich gepet, das pater noster: gehailgot werd dein nam, das ist in deiner hailgen můter. Das ander wort was: hüt solt du bey mir sein in dem paradis. Des antwert die reich minnent tugend und spricht: zů kum uns dein reich; das uns Cristus verhaissen hat an dem crütz. Das drit wort do er sprach: consummatum est, es ist alles volbracht. Des andwert im die götlich minn und spricht: dein will der werd, als im himel und auf erd, und begert das der wil gotz volbracht werd. Das fiert wort do er sprach: mich dürst. Des antwert im die götlich minn und spricht: gib uns hüt unser täglich prot; als ob sy spräch: türst dich nach mir, so hungert mich noch dir. Das fünft wort do er sprach: vater, vergib in, sy wissent nit was sy tůnd. Des antwert im die tugend der minn und spricht: vergib uns unser schuld, als wir vergeben unsern schuldigeren. Das sechst wort er sprach und rürt des hertzen adren: mein got, mein her, war umb hast du mich verlassen? Dar über antwert im die tugend der minn und spricht: las uns nit verlayt werden in bekorung; als ob sy spräch: gib das wir von dir nit gelaussen werden, noch du von uns gelassen werdest, als von deinen jungern. Das sibent wort da rürt er den lesten sayten in dem saytenspil, und sprach: vater in dein hend emphilch ich mein gayst. Das erhort die tugentreich mynn, und sprach under dem crütz und rürt auch ir saytenspil: besunder erlös uns vor allem übel. Amen. Das ist das wir got dem vater empholhen werden, so seyen wir woll behüt vor allem übel.
     Das sind die rechten maysterlieder, der man ains umb das ander singt, und ains dem andern antwert. Cristus Marie sun singt an dem saytenspil [48a] des haylgen crütz, und die reich minnend tugend under dem crütz auf dem saytenspil des haylgen pater noster. Als sprach David: ich wil got dem herren dienen und singen al mein tag. Und süllend seinen namen loben in dem kor, in dem saytenspil der psalterien und der harpfen, auf den sayten und auf den orgeln, in den zimbelgloggen die wol dönent. Wir lessen, als Avicenna schreibt, das saytenspil wider bringt krankhayt des haubtz. Er sprach das ain prunn ist in Arabia, des wassers mag nieman haben den mit saytenspil; wenn man das treybt ob dem prunnen, so gat das wasser übersich auf und wirt über fliessen. Das ist der götlich prunn der parmhertzikayt, der wirt über fliessend wen man dar auf wol spilt und singt in den siben sayten des haylgen pater nosters. Wir lessen das die vögel und die wilden tier gern hörend singen all mein lebtag. Sy süllent seinen namen loben in dem chor, in harpfen, in der psalterien, auf den sayten und auf den orglen, in den zimbelglögglin die wol dönend. Ain ieglicher gayst lob den herren.