BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Leberecht Bachenschwanz

1729 - 1802

 

Dante Alighieri: Von der Hölle

 

1767

 

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Erstes Gedicht: Von der Hölle.

 

Erster Gesang.

 

Inhalt: Dante beschreibt seine Verirrung in einem schrecklichen Walde. Gegen frühen Morgen kömmt er an einen Berg. Auf diesen will er hinaufsteigen, wird aber von einigen wilden Thieren daran verhindert. Indem er vor dem einen Thiere fliehet, findet er da den Virgilius. Dieser spricht mit ihm, erbietet sich, ihn zu seiner Errettung durch die Hölle und durch das Fegfeuer zu führen, und versichert ihn, daß er alsdenn auch ins Paradies geführet werden solle, worauf er und sein Führer endlich diese große Reise unternehmen.

 

Vers 1 ff.

Vers 44 ff.

 

 

 

Erster Gesang.

 

Mitten in der Hälfte menschlicher Lebenszeit befand ich mich in einem düstern und grausen 1) Walde, weil ich mich von dem rechten Wege verirret hatte. Und so schwer es ist, zu sagen, wie dieser wilde, rauhe und starke Wald eigentlich war, dessen Angedenken Furcht und Schrecken wieder in mir erneuert – eben so schmerzhaft ist es, und nur der Tod wird wenig schrecklicher seyn. [11]

Allein um des Guten willen, so ich da fand, will ich andere Sachen erzählen, die ich daselbst erfahren habe.

Ich weiß zwar nicht zu sagen, wie ich eigentlich hineingekommen war, so voll Schlafs muß ich eben da gewesen seyn, als ich den rechten Weg verfehlte. Allein, so bald ich endlich unten bey einem Hügel angelanget war, da, wo sich das Thal endigte, welches mein Herz so lange mit Furcht und Angst gefoltert hatte, sahe ich in die Höhe, und ward gewahr, daß die Strahlen der Sonne, die einen doch überall aufrecht und sicher führet, bereits die Spitzen desselben umglänzten. Hierauf ließ die Furcht in etwas nach, welche die ganze Nacht hindurch mit so bangem Schmerze mir am Herzen gelegen hatte.

So wie einer, der unter todesängstlichen Athmen und Aechzen sich aus dem Meere bis ans Ufer heraus gearbeitet, da nach den gefährlichen Fluthen noch einmal sich umkehret und hinsiehet – so sahe mein immer noch schüchterner Geist zurück, um den Weg noch einmal zu betrachten, der noch nie jemanden lebendig durchgelassen hat.

So bald mein abgematteter Körper nur etwas ausgeruhet hatte, setzte ich meinen Weg durch die wüste Gegend wieder fort, so, daß ich beständig bergan steigen mußte. Und auf einmal erblickte ich da an dem Fuße [12] des Berges ein leichtes und flüchtiges buntschäckigtes Pantherthier. Dasselbe wandte kein Auge von mir. Es hinderte mich vielmehr so sehr im Fortgehen, daß ich mich schon zu verschiedenen Malen umgewandt hatte, wieder zurück zu kehren. Das war am frühen Morgen, und da die Sonne in Begleitung jener Sterne aufgieng, die sich bey ihr befanden, als die göttliche Liebe im Anfange allen den schönen Sachen ihr Daseyn schenkte. Und so gab das anmuthige Fell dieses wilden Thieres, die frühe Morgenstunde und die angenehme Jahreszeit mir doch Anlaß, etwas Gutes zu hoffen, als eben da der unvermuthete Anblick eines Löwens neue Furcht bey mir erregte. Es war, als wenn derselbe mit aufgerecktem Kopfe, und mit einer so grimmigen Freßbegierde auf mich loskäme, daß sogar die Luft darüber sich zu entsetzen schien. Ja, eine im höchsten Grade gierig scheinende, und ganz ausgehungerte Wölfinn, die schon so vielen das Leben vergället hatte, diese machte mit ihrem gräßlichen Anblicke mir das Herz dermaßen schwer, daß ich alle Hoffnung, den Berg hinan zu kommen, gänzlich aufgab.

So, wie einem, der gerne erwirbt, zu der Zeit zu Muthe ist, da er verliert, daß, so zu reden, jeder Gedanke in ihm weinet, und sich betrübet – so unruhig und ängstlich machte mich dieses Thier, welches, da es auf mich zu kam, mich nach und nach zurück, und wieder in ein sonnenloses Thal hinunter trieb. Indem ich so hinuntertaumelte, bekam ich Einen zu Gesichte, der, vermuthlich, weil er lange nicht geredet, wie heisch zu seyn schien. So bald ich den in der großen Wüsteney erblickte, schrie ich ihm zu: O, erbarme dich über mich! – du magst seyn, wer du willst, ein Geist, oder ein natürlicher Mensch. [13]

Kein Mensch mehr, antwortete er mir, aber ein Mensch gewesen. Meine Aeltern waren aus der Lombardey, und beyde gebürtig aus Mantua. Ich ward fast zu Ende der Regierung des Julius Cäsars gebohren, und lebte in Rom zu Zeiten des gütigen Augusts, und zur Zeit der heydnischen falschen Götter. Ich war ein Dichter, und besang den frommen Sohn des Anchises, da er von Troja kam, als das stolze Ilion gänzlich eingeäschert war. Allein, sage mir, warum gehst du so ängstlich zurück? – Warum steigst du nicht vielmehr auf den anmuthigen Berg hinauf, welcher der eigentliche Sitz und Inbegriff aller Lust und Freude ist?

Du bist also, antwortete ich ihm ganz bestürzt und ehrerbietig, Virgilius! – die Quelle der Wohlredenheit, die sich in so reichen Strömen ergießt? – O du Zierde und Glanz aller Dichter! Dank sey dem unabläßigen Fleisse, Dank sey der großen Liebe, die mich deine Werke haben durchstudiren lassen! Du bist ja mein Lehrer! Dich habe ich ja zu meinem Muster erwählt! Du allein bist ja der, von dem ich die schöne Schreibart erlernet habe, die mir Ruhm und Ehre gebracht hat! – Siehe, das Thier da hat gemacht, daß ich wieder umgekehret bin. Mache mich doch, o du weltberühmter Weise, von ihm frey! denn ich zittere und bebe, und kann kein Glied dafür stille halten.

Wenn du, antwortete er, da er mich weinen sahe, aus diesem wilden und wüsten Orte wieder heraus willst, so mußt du einen ganz andern Weg nehmen. Denn das Thier, vor welchem du so schreyst, läßt keinen bey sich durch. Es verhindert ihn vielmehr so lange, bis es ihn endlich gar umbringt. Hiernächst ist es von so verderblicher und bösartiger Natur, daß es seine unersättliche [14] Freßgier nun und nimmermehr stillt, ja, daß ihm vielmehr nach dem Fressen der Hunger erst recht, und noch weit toller ankommt, als zuvor. Die Menge der Thiere, mit denen es sich beläuft, ist bereits groß, und wird noch größer werden, ehe der Jagdhund 2) kömmt, der die Bestie erbärmlicher Weise umbringen wird. Dieser wird seine Weide keinesweges im Irrdischen suchen. Nein, Weisheit, Liebe und Tugend wird seine Speise seyn. Er stammt aus dem Feltrinischen, und wird dem Nieder-Italien, dem zu Liebe die junge Camilla, Eurialus, Turnus und Nisus schmerzhaft an ihren Wunden starben, Heil [15] und Seegen bringen. Er ist es, der dieses Unthier überall, und so lange herumjagen wird, bis er es endlich wieder hinunter gestürzt hat, hinunter in die Hölle, von dannen es der Neid zuerst herauf gebracht hat. Also finde ichs zu deinem Besten für rathsam, du folgest mir. Ich will dein Führer seyn, und dich von hier aus durch die Ewigkeit führen. Da sollst du die eigentlichen Geräusche der Verzweiflung hören. Da wirst du jene schon lange lange traurenden Geister erblicken, die alle nach einem zweyten Tode schreyen und seufzen. Da sollst du hernach auch diejenigen sehen, die mitten in den Flammen dennoch zufrieden sind, weil sie die Hoffnung haben, es währe so lange als es wolle, doch endlich einmal zu der seligen Schaar zu gelangen. Willst du alsdenn auch zu dieser hinaufsteigen, so wird es an einer hierzu würdigern Seele, als ich bin, nicht ermangeln. Mit selbiger muß ich dich lassen, und mich entfernen. Denn der Monarch, der dort eben herrschet, und dessen Gesetze ich entgegen gewesen bin, will nicht, daß jemand durch mich in seine heilige Stadt komme. Zwar herrscht er überall; dort aber ist seine Residenz, da ist seine Hofstatt, und da sitzt er auf seinem erhabenen Throne. Glückselig ist der, den er dahin auserwählet hat! – Hier fiel ich ihm in die Rede, und sagte: Großer Dichter, ich bitte dich um des Gottes willen, den du nicht erkannt hast, mache, daß ich diesem und noch größern Uebeln entkomme, und führe mich dahin, wo du itzt gesagt hast. Ja, komm, zeige mir die Thüre des heiligen Petrus, und laß mich die sehen, die du als so Unglückselige beschreibest!

Sofort machte er sich auf, und ich hielt mich dicht hinter ihm.

 

 

Inferno: Canto I

 

 

 

 

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Nel mezzo del cammin di nostra vita

mi ritrovai per una selva oscura,

ché la diritta via era smarrita.

Ahi quanto a dir qual era è cosa dura

esta selva selvaggia e aspra e forte

che nel pensier rinova la paura!

Tant' è amara che poco è più morte;

ma per trattar del ben ch'i' vi trovai,

dirò de l'altre cose ch'i' v'ho scorte.

Io non so ben ridir com' i' v'intrai,

tant' era pien di sonno a quel punto

che la verace via abbandonai.

Ma poi ch'i' fui al piè d'un colle giunto,

là dove terminava quella valle

che m'avea di paura il cor compunto,

guardai in alto e vidi le sue spalle

vestite già de' raggi del pianeta

che mena dritto altrui per ogne calle.

Allor fu la paura un poco queta,

che nel lago del cor m'era durata

la notte ch'i' passai con tanta pieta.

E come quei che con lena affannata,

uscito fuor del pelago a la riva,

si volge a l'acqua perigliosa e guata,

così l'animo mio, ch'ancor fuggiva,

si volse a retro a rimirar lo passo

che non lasciò già mai persona viva.

Poi ch'èi posato un poco il corpo lasso,

ripresi via per la piaggia diserta,

sì che 'l piè fermo sempre era 'l più basso.

Ed ecco, quasi al cominciar de l'erta,

una lonza leggera e presta molto,

che di pel macolato era coverta;

e non mi si partia dinanzi al volto,

anzi 'mpediva tanto il mio cammino,

ch'i' fui per ritornar più volte vòlto.

Temp' era dal principio del mattino,

e 'l sol montava 'n sù con quelle stelle

ch'eran con lui quando l'amor divino

mosse di prima quelle cose belle;

sì ch'a bene sperar m'era cagione

di quella fiera a la gaetta pelle

l'ora del tempo e la dolce stagione;

ma non sì che paura non mi desse

la vista che m'apparve d'un leone.

Questi parea che contra me venisse

con la test' alta e con rabbiosa fame,

sì che parea che l'aere ne tremesse.

Ed una lupa, che di tutte brame

sembiava carca ne la sua magrezza,

e molte genti fé già viver grame,

questa mi porse tanto di gravezza

con la paura ch'uscia di sua vista,

ch'io perdei la speranza de l'altezza.

E qual è quei che volontieri acquista,

e giugne 'l tempo che perder lo face,

che 'n tutti suoi pensier piange e s'attrista;

tal mi fece la bestia sanza pace,

che, venendomi 'ncontro, a poco a poco

mi ripigneva là dove 'l sol tace.

Mentre ch'i' rovinava in basso loco,

dinanzi a li occhi mi si fu offerto

chi per lungo silenzio parea fioco.

Quando vidi costui nel gran diserto,

«Miserere di me», gridai a lui,

«qual che tu sii, od ombra od omo certo!».

Rispuosemi: «Non omo, omo già fui,

e li parenti miei furon lombardi,

mantoani per patrïa ambedui.

Nacqui sub Iulio, ancor che fosse tardi,

e vissi a Roma sotto 'l buono Augusto

nel tempo de li dèi falsi e bugiardi.

Poeta fui, e cantai di quel giusto

figliuol d'Anchise che venne di Troia,

poi che 'l superbo Ilïón fu combusto.

Ma tu perché ritorni a tanta noia?

perché non sali il dilettoso monte

ch'è principio e cagion di tutta gioia?».

«Or se' tu quel Virgilio e quella fonte

che spandi di parlar sì largo fiume?»,

rispuos' io lui con vergognosa fronte.

«O de li altri poeti onore e lume,

vagliami 'l lungo studio e 'l grande amore

che m'ha fatto cercar lo tuo volume.

Tu se' lo mio maestro e 'l mio autore,

tu se' solo colui da cu' io tolsi

lo bello stilo che m'ha fatto onore.

Vedi la bestia per cu' io mi volsi;

aiutami da lei, famoso saggio,

ch'ella mi fa tremar le vene e i polsi».

«A te convien tenere altro vïaggio»,

rispuose, poi che lagrimar mi vide,

«se vuo' campar d'esto loco selvaggio;

ché questa bestia, per la qual tu gride,

non lascia altrui passar per la sua via,

ma tanto lo 'mpedisce che l'uccide;

e ha natura sì malvagia e ria,

che mai non empie la bramosa voglia,

e dopo 'l pasto ha più fame che pria.

Molti son li animali a cui s'ammoglia,

e più saranno ancora, infin che 'l veltro

verrà, che la farà morir con doglia.

Questi non ciberà terra né peltro,

ma sapïenza, amore e virtute,

e sua nazion sarà tra feltro e feltro.

Di quella umile Italia fia salute

per cui morì la vergine Cammilla,

Eurialo e Turno e Niso di ferute.

Questi la caccerà per ogne villa,

fin che l'avrà rimessa ne lo 'nferno,

là onde 'nvidia prima dipartilla.

Ond' io per lo tuo me' penso e discerno

che tu mi segui, e io sarò tua guida,

e trarrotti di qui per loco etterno;

ove udirai le disperate strida,

vedrai li antichi spiriti dolenti,

ch'a la seconda morte ciascun grida;

e vederai color che son contenti

nel foco, perché speran di venire

quando che sia a le beate genti.

A le quai poi se tu vorrai salire,

anima fia a ciò più di me degna:

con lei ti lascerò nel mio partire;

ché quello imperador che là sù regna,

perch' i' fu' ribellante a la sua legge,

non vuol che 'n sua città per me si vegna.

In tutte parti impera e quivi regge;

quivi è la sua città e l'alto seggio:

oh felice colui cu' ivi elegge!».

E io a lui: «Poeta, io ti richeggio

per quello Dio che tu non conoscesti,

acciò ch'io fugga questo male e peggio,

che tu mi meni là dov' or dicesti,

sì ch'io veggia la porta di san Pietro

e color cui tu fai cotanto mesti».

Allor si mosse, e io li tenni dietro.

 

 

Vers 88 ff.

Vers 130 ff.

 

 

――――――――

 

1) Dante lebte unter einem Volke, dessen Parteyen in einem Zustande eitler Gesinnungen, ehrgeiziger Verblendungen und aufgebrachter Leidenschaften sich befanden. Er, als ein Staatskluger, sahe im Geiste alle die unglücklichen Erfolge davon voraus, und fand sich, als ein Anhänger der einen Partey, in einer nun unabhelflichen und unvermeidlichen Verlegenheit, die er mit Recht als eine Verirrung unter den fürchterlichsten und gefährlichsten Aussichten ansehen konnte. Der rechte Weg des menschlichen Glücks ist nur die Bahn der Tugend, ein Berg von Schwierigkeiten und Ueberwindungen, dessen Höhe aber wahre Ehre, wahres Wohl und Vergnügen umglänzen. Die drey wilden Thiere, die der Ersteigung dieses Berges sich widersetzen, sind die Wollust, der Hochmuth und der Geiz. Von diesen Ungeheuern befreyen uns vorzüglich ein würdiges und tugendhaftes Leben der Regenten, Obrigkeiten und großer Gelehrten, sodann wichtige Geschäffte, oder endlich Schicksale und traurige Erfahrungen, von denen, als nicht von ohngefähren Zufällen, eben der Mensch einen weisen und tugendhaften Gebrauch, und dadurch, mitten in allem Unglücke, zu seinem wahren und überirrdischen Glücke und Ruhme sich würdig machen soll. Und dieß ist die Reise durch die Hölle und durch das Fegefeuer zum Paradiese und Himmel. 

2) Can Grande della Scala, damals Herr zu Verona, der durch seine Gerechtigkeit und Tugend dem Nieder-Italien wieder helfen würde, das von wollüstigen, stolzen und geizigen Regenten und Kriegern ganz erschöpft und zu Grunde gerichtet, danieder lag. Dieser würdige Landesherr war es, der einst in Gegenwart vieler characterisirten Hofpersonen, unter denen sich ein so genannter lustiger Rath befand, mit vorzüglich lauter Stimme an den Dante die unerwartete Frage that: Woher kömmt es aber, mein lieber Dante, daß der Narr hier allen gefällt, Sie hingegen, als ein so gelehrter und weiser Mann, nicht? – worauf Dante unverzüglich antwortete: Nur die Aehnlichkeit, gnädigster Herr, und die Gleichförmigkeit der Denkungsarten und Sitten, erzeugen unter den Menschen Zuneigung und Freundschaft gegen einander.

 

Welch freudig Schrecken nimmt mich ein!

Ich sehe sie – doch diese Scene

Will nur gefühlt, und nicht beschrieben seyn.

Gellert.