BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Christian Fürchtegott Gellert

1715 - 1769

 

 

Das Leben der Schwedischen

Gräfinn von G***

 

2. Teil (5)

 

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Wenig Tage nach des Herrn Grafen seiner Abreise, fieng sie auf unser Bitten an, starb mein Gemahl an dem zurückgetretenen Podagra. Ich berichtete seinen Tod nach Hofe, und bat zugleich um die Erlaubniß, nach Moskau zurück zu kehren. Die Gewalt, die ich bis zur Ernennung eines neuen Gouverneurs in den Händen hatte, gab mir Gelegenheit verschiedne harte Verordnungen aufzuheben, die mein Gemahl in Ansehung der Gefangnen ergehn lassen. Ihrem zurückgelassenen Freunde, Herr Graf, konnte ich mehr Bequemlichkeiten verschaffen. Ich befahl dem Juden, ihn mit allem zu versorgen, was er nöthig hätte, und ließ ihn muthmassen, als ob er ein Anverwandter von mir wäre. Damals waren meine Wohlthaten wohl blosse Wirkungen des Mitleidens. Ich hatte ihn nicht mehr, als einmal, und noch dazu in den traurigsten Umständen gesehn, als er auf ihre Fürbitte durch meinen Gemahl nach Tobolskoy zurück berufen ward. Ich hörte es gern, wenn mir der Jude seine Danksagungen für meine Vorsorge überbrachte, und was ich nicht wohl durch Befehle ausrichten konnte, das mußte der Jude durch das Geld, das ich ihm gab, bey den Unteraufsehern zu bewerkstelligen suchen. Er war in ein besser Behältniß gebracht, und ich hatte schon allerhand Mittel ausgesonnen, wie ich ihm bey meiner Zurückreise nach Moskau diese erträglichen Umstände dauerhaft machen wollte. Ungefehr nach vier Wochen kam ein Befehl an meinen verstorbnen Gemahl, daß Steeley frey seyn, und bey der ersten Gelegenheit, die man ihm verschaffen könnte, mit einem Passe versehn, und für sein Geld fortgebracht werden sollte. Ich ließ den Morgen darauf den Juden zu mir kommen, und sagte ihm, daß er Steeleyn eiligst zu mir bringen sollte, und daß ich unter der Zeit, da er ihm dieses meldete, die Wache nachschicken wollte, ihn abzuholen. Er kam, und ich ließ ihn nebst dem Juden zu mir ins Zimmer treten. Er stattete mir die Danksagung für meine bisherige Vorsorge auf eine sehr ehrerbietige und gefällige Weise ab, und blieb an der Thüre des Zimmers stehn. Ich fragte ihn, ob er keine Nachricht von dem Grafen hätte? ob er mit seinen Umständen zufrieden wäre? Er beantwortete das erste mit einem traurigen Nein, und das andere mit einem gelaßnen Ja. Ich bat ihn, mir eine kurze Erzählung von seinem Schicksale zu machen. Er that es, und ie mehr er redte, desto mehr nöthigte er mir durch seine Worte und durch seine Minen Aufmerksamkeit und Hochachtung ab. Er sah weit besser aus, als vor zwey Jahren, und ich weis nicht, ob ich mirs beredte, oder ob es wahr war, daß ihm der Siberische Pelz recht schön ließ. Ich hörte aus seiner Art zu reden nunmehr sehr wohl, daß er ein edelmüthiges Herz hatte; und wenn ich ja noch einige Augenblicke daran gezweifelt hatte: so war es vielleicht deswegen geschehn, weil ich bey meinem Zweifel gern widerlegt seyn wollte. Der Graf, dachte ich, hat Recht, daß er ihn so sehr liebt, und so sehr für ihn gebeten hat. Er verdient Hochachtung und Mitleiden; und es ist deine Pflicht, einem so rechtschaffenen und unglücklichen Manne zu dienen. Ich merkte, ie mehr er redte, daß etwas in meinem Herzen vorgieng; allein ich hatte keine Lust, es zu untersuchen, und ich hütete mich zugleich, mein Herz nicht zu stören. Ich nannte meine Regungen bey mir selbst, Wirkungen seiner Unglücksfälle, und setzte mich in Gedanken nieder, und ließ ihn lange fortreden, ohne ein Wort zu sagen. Als er mir die Grausamkeit erzählte, die man in der Stadt Moskau an ihm und dem Sidne begangen: so fühlte ich weit mehr, als da sie mir der Graf erzählt hatte. Es war mir unmöglich, die Thränen zurück zu halten, und ich wollte doch auch nicht, daß er meine Wehmuth sehn sollte. Ich fragte ihn in der Angst, wie alt sein Vater wäre, und wie lange er ihn nunmehr nicht gesehn hätte, nur damit ich das Wort: der arme Mann! das mir mein Herz für ihn abnöthigte, nebst einigen Thränen bey seinem Vater anbringen konnte. Ich führte ihn durch ziemlich neugierige Fragen in die Umstände seiner Familie und seiner Jugend zurück. Er fieng endlich an, von der traurigen Begebenheit mit seiner Braut in Engelland zu erzählen, und ich ward so gerührt, daß ich recht gewaltsam von meinem Stuhle aufsprang, und ganz nah zu ihm trat; vielleicht hatte ich das letzte schon gewünscht. Er ward bey dieser Erzählung sehr weichmüthig, und endigte sie mit einem Ach Gott! das mir durch die Seele gieng. Er schlug die Augen nieder, und es war mir nicht anders, als ob ich sie ihm wieder öffnen sollte. Er sah mich endlich auf einmal mit einer klagenden Mine an, und ich erschrack, als ob er mir ein Verbrechen vorrückte. Mein Herr, fieng ich an, ich will gleich weiter mit ihnen reden. Ich gieng in das Nebenzimmer, um den Befehl wegen seiner Befreyung zu holen. Ich suchte ihn lange vergebens, ob er gleich vor mir lag. Ich schämte mich vor meiner Unruhe, und glaubte zu meinem Troste, daß sie von den traurigen Erzählungen herstammte, und daß sie durch die Freude, die Steeley über seine Erlösung haben würde, sich bald verlieren sollte. Ich sah in den Spiegel, ehe ich wieder in das andre Zimmer trat, und ich sah in jedem Blicke die Unruhe meines Herzens verrathen. Ich hatte indessen bey aller meiner Unruhe noch die Geduld, etwas an meinem Kopfputze zu verbessern; und mitten in dem Verlangen, Steeleyn seine Befreyung anzukündigen, überlegte ich noch, wie seine unglückliche Braut ausgesehn hatte, und hielt ihr Bild im Spiegel gleichsam gegen das Meinige. Ich bereitete mich auf eine kleine Anrede, und öffnete das Zimmer, und gieng auf Steeleyn zu. Ich fühlte, da ich anfangen wollte zu reden, daß mir der Athem fehlte, und daß ich die Worte nicht wieder finden konnte, die ich in meinem Gedächtnisse gesammelt hatte. Ich that also an den Juden etliche gleichgültige Fragen, bis ich mich wieder erholte. Ich will nicht länger ungerecht seyn, fieng ich endlich an, und ihnen eine Nachricht vorenthalten, die sie vielleicht schon lange zu hören gewünscht haben. Verstehen sie Russisch? Er antwortete mir ängstlich, ja, ja, und zitterte, und machte, daß ich einen kleinen Schauer fühlte. Ich setzte mich nieder, und bat ihn, daß ers auch thun sollte. Er weigerte sich, und ich hielt mich für verbunden, ihm selbst einen Sessel zu reichen und mich dadurch an dem mir schon beschwerlichen Ceremoniell zu rächen. Ich las ihm den Befehl vor, und sagte endlich zu ihm: von dieser Stunde an haben sie ihre Freyheit, und ich bin sehr vergnügt, daß ich die Person habe seyn sollen, die sie ihnen ertheilen muß. Sehen sie mich nicht als ihre Gebieterinn, sondern als ihre gute Freundinn an. Er sprang vom Stuhle auf und küßte mir mit einer unaussprechlichen Freude die Hand, und ich ließ ihn diese Dankbarkeit sehr oft wiederholen, als fürchtete ich, ihn zu beleidigen, wenn ich die Hand zurücke zöge. Er stammelte etliche Worte vor Freuden hervor, und auch diese Sprache gefiel mir. Ich ließ den Aufsehern der Gefangnen Steeleys Befreyung gleich anzeigen, und die Wache, die ihn begleitet hatte, zurück gehn. Ich wollte ihnen, fuhr ich fort, gern mein Haus zum Auffenthalte anbieten, bis sie mit einer sichern Gelegenheit nach Moskau zurückkehren können; allein meine Umstände scheinen es zu verbieten. Der Jude wird ihnen schon eine Wohnung ausmachen. Sie dürfen um nichts bekümmert seyn, so lange ich noch hier bin. Er nahm Abschied, und ich sah in seinen Augen, daß er mir weit mehr zu sagen hatte, als er sagte, und ich kränkte mich, daß der Jude zugegen war. Diesem befahl ich, daß er nach der Tafel wieder zu mir kommen sollte. Also war dieser erste Besuch geendiget. Ich trat an das Fenster und wollte ihm nachsehn, und ich fragte mich in dem Augenblicke, warum ich dieses thäte; aber ich that es doch. Ich setzte mich zur Tafel und es reute mich, daß ich ihn nicht bey mir behalten hatte. Der Jude blieb mir schon zu lange, und ich hätte es sicher genug wissen können, daß ich Steeleyn mehr als bedauerte; allein ich fand es für gut, mich zu hintergehen. Ich stellte mir vor, daß Steeley vielleicht mit einer Caravane handelnder Kaufleute durch Hülfe des Juden in wenig Tagen von hier abgehn könnte, und ich verwehrte es ihm in meinen Gedanken schon, und wünschte, daß er in meiner Gesellschaft möchte zurück reisen können. Der Jude kam und versicherte mich, daß er seinen Gast sehr wohl aufgehoben, und ihn in das Haus gebracht hätte, das er meinem verstorbenen Gemahle vor zwey Jahren abgekauft. Ich erschrack über diese Nachricht, als ob sie von einer Vorbedeutung wäre, und ich war zugleich mit seiner Anstalt zufrieden. Ich rief den alten deutschen Bedienten, der mir von Curland aus nach Moskau und von Moskau nach Siberien gefolgt war, und den ich itzt noch bey mir habe, und befahl ihm, daß er mit dem Juden gehn und sehn sollte, was der Herr, der heute aus dem Arreste gekommen, in seiner Wohnung brauchte, weil er nach dem Befehle des Hofs bis zu seiner Abreise als eine Standsperson versorgt werden sollte. Er kam wieder und sagte mir, daß er, bis auf das weisse Geräthe und eine Madratze zum Schlafen, mit den nöthigsten Meubeln versehn wäre. Ich reichte ihm alles selbst, was er foderte, und zwar von jeder Art das Kostbarste, und war unwillig, daß der Bediente nicht mehr verlangte. Ich sagte ihm, daß er die Stücke genau zählen sollte, damit keines verlohren gienge, und mein Herz wußte doch nicht das geringste von dieser wirthschaftlichen Sorgfalt. Ich hieß ihn noch ein Flaschenfutter Wein mitnehmen. Und wenn ihr von ihm geht, fuhr ich fort: so könnt ihr ihn in euerm Namen fragen, ob er noch etwas zu befehlen hätte. Er kam nicht eher, als mit dem Abend wieder. Ich fragte ihn, wo er so lange geblieben wäre. Ach, hub er in seiner treuherzigen Sprache an, man kann von dem Herrn gar nicht wieder loskommen. Es ist ein rechter lieber Herr; alles was er sagt, nimmt einem das Herz. O wenn sies nur hätten hören sollen, wie er dem Himmel dankt, daß er ihn aus der Gefangenschaft errettet hat! Er mag recht fromm seyn, und ich weis nicht, wie ihn der liebe Gott nach Siberien hat führen können! Ich wollte ihn, als ich gieng, auskleiden helfen. Ach, sprach er, mein lieber Christian, gebt euch keine Mühe, ich habe mich in Siberien selber bedienen lernen. Es gieng mir recht nahe. Er hat auch ein recht gutes Ansehn. Wer weis, wie vornehm er von Geburt ist und hat doch in diesem verwünschten Lande so viel ausstehen müssen! Wenn sie mirs erlauben, so will ich ihn alle Tage etliche Stunden bedienen, damit es ihm wieder wohlgehe. Bey ihnen läßt er sich für alle Gnade, die sie ihm erzeigen, ganz unterthänigst bedanken, und um nichts als ein Buch bitten. Es wird auf diesem Zeddel stehn. Dieser Zeddel war ein Französisch Billet von diesem Innhalte:

Mein Glück scheint mir nur ein Traum zu seyn; und Sie überhäufen mich mit so vieler Gnade, daß ich gar nicht weis, wie ich dankbar genug seyn soll. Ich erzähle es dem Grafen und allen meinen Freunden, und allen meinen Landsleuten, schon in Gedancken, daß ich das großmüthigste Herz in Siberien angetroffen habe. Ach, Madam, wodurch verdiene ich ihre Sorgfalt? und wodurch kann ich sie in dem Reste meines unglücklichen Lebens verdienen? durch nichts, als durch Ehrerbietung –

Dieser kurze Brief gefiel mir sehr wohl. Ich brachte einen grossen Theil der Nacht mit einer geheimen Auslegung dieses Briefs zu. «Wodurch soll ich ihre Sorgfalt in dem Reste meines unglücklichen Lebens verdienen? durch Ehrerbietung». Ich gab diesem Worte eine Bedeutung, wie sie mein Herz verlangte. Ich freute mich, da ich erwachte, daß der Tag schon da war. Ich eilte, und beschloß, Steeleyn des Mittags mit mir speisen zu lassen. Ich konnte den Bedienten nicht finden. Ich vermuthete, daß er bey seinem neuen Herrn seyn würde, und ich hatte Recht. In kurzem kam er. Ich warf ihm vor, daß er mich bald über seinen neuen Herrn vergessen würde, und schickte ihn mit zwey französischen Büchern wieder an Steeleyn, und ließ ihn bitten, zu Mittage mit mir zu speisen. Ich ließ etliche wenige Gerichte nach deutscher Art zurichten, und ihn zu Mittage in einem Schlitten abholen. Ich hatte mich nicht vornehm gekleidet, um ihm desto ähnlicher zu seyn; doch war ich sorgfältig genug gewesen, eine gute Wahl in meinem Anzuge zu treffen. Bey dieser Mahlzeit wollte ich, so zu reden, hinter mein eigen Herz kommen, und erfahren, ob meine Empfindungen mehr als Freundschaft wären. Mein Gast kam, und seine Mine war weit heitrer, als die gestrige, und wie mich dünkte, weit gefälliger. Er war besser, ob gleich noch Russisch gekleidet, als gestern. Dankbarkeit und Ehrerbietung redten aus ihm. Ich that, als ob meine Vorsorge für ihn eine Verordnung des Hofs wäre, und setzte mich ganz allein mit ihm zu Tische. Wir brachten über unsrer kleinen Mahlzeit wohl drey Stunden zu, und es schien mir, daß sie ihm eben so kurz ward, als mir. Er konnte sich noch nicht recht in das Ceremoniell, mit einer Dame, und vornehm zu speisen, finden, und ich hatte das Vergnügen, ihn alle Augenblicke durch eine kleine Höflichkeit zu erschrecken; ja, ich erfreute mich, daß ich ihn in der Wohlanständigkeit übertraf, weil ich merkte, daß er mir am Geiste überlegen war. Er mußte mir seine Begebenheiten noch einmal erzählen, und sie rührten mich, als ob ich sie noch nicht gehört hätte. Wir sprachen von dem Grafen, und er bezeigte ein so grosses Verlangen, ihn wieder zu sehn, daß ich lieber eifersüchtig geworden wäre. Mit einem Worte, mein Gast gefiel mir nach wenig Stunden so sehr, daß ich mir alle Gewalt anthun mußte, mich zu verstellen. Ich wünschte in denen Augenblicken, da uns unser Bedienter verließ, daß er mir etwas verbindliches sagen möchte, nur um zu wissen, ob ich ihm gefiele. Allein er blieb bey der Sprache der Ehrerbietung, und seine Augen redten eben die Sprache. Er nahm aus einer unglücklichen Höflichkeit, als wir vom Tische aufstunden, Abschied, und ich hatte das Herz nicht, ihn zu bitten, daß er länger bleiben sollte, weil ich mich zu verrathen glaubte. Ich ließ ihn also wieder in sein Quartier bringen. Und nun wußte ichs, ob ich ihm gewogen war. Ich war beleidigt, daß er mich schon verlassen hatte. Ich war unruhiger, als zuvor, und ich ward es nur mehr, ie weniger ichs seyn wollte. Ich stellte mir vor, daß ich ihm nicht gefiele, und kränkte mich, daß ich nicht reizend genug war, mehr als Hochachtung von ihm zu verdienen. Ich ward über dieser Vorstellung kleinmüthig, und rächte mich durch Geringschätzung an mir selber. Gleichwohl wollte ich nicht alle Hoffnung fahren lassen, und meine Liebe zu ihm mir auch nicht verbieten. Ich beschloß, ihn in drey Tagen wieder zu mir zu bitten. O was waren das für lange Tage für mich! Der Bediente erzählte mir binnen dieser Zeit, daß sein Herr in seiner Einsamkeit ganz tiefsinnig würde. Wie lieb war mir diese Nachricht! Ich war schwach genug ihn zu fragen, ob er nichts von mir gesprochen hätte. Er lobt sie über die maßen, sprach er, und fragt mich, so oft ich komme, wie sie sich befinden, und fragt nach allen Kleinigkeiten.

Nach drey Tagen war er wieder auf die vorige Art mein Gast. Er kam, und die Unruhe hatte sich in alle seine Blicke vertheilet. Er hatte sich durch den Juden ein Kleid nach deutscher Art machen lassen, und sah noch einmahl so jung aus. Ja, ja, dacht ich, er ist schön, er ist liebenswerth, aber nicht für dich. Ich glaubte, ich hätte alles Bange aus meinem Gesichte vertrieben, als er mich bey der Tafel um die Ursache fragte, warum er mich nicht so zufrieden sähe, als das letztemal. Ich erschrack über mein verrätherisches Gesicht, und über die Aufmerksamkeit, mit der er mich betrachtete, und schob die Schuld darauf, daß ich die Erlaubniß noch nicht vom Hofe bekommen hätte, nach Moskau zurück zu kehren. Aber, fuhr ich fort, was fehlet ihnen? die Freude über ihre Befreyung herrscht nicht mehr in ihrem Gesichte. Ist es das Verlangen nach ihrem Vaterlande, das sie beunruhiget? Ja, Madam, sprach er, mit niedergeschlagenen Augen. O wie war mir dieses Ja angenehm, das der Ton, mit dem ers aussprach, zu einem Nein machte. Haben sie vielleicht, fuhr ich fort, noch eine Braut in ihrem Vaterlande, die sie erwartet? Warum entziehen sie sich und mir das Vergnügen, von ihr zu sprechen? Ich gebe ihnen mein Wort, daß ich ihnen mit der Hälfte meines Vermögens dienen will, um ihre Reise zu beschleunigen und sie von meiner Freundschaft zu überzeugen. Er antwortete mir mit einem verschämten Blicke, und sagte weiter kein Wort. Ich wollte nunmehr mein Glück oder Unglück mit einem male wissen. Sie schweigen? Also haben sie eine Braut in London? Nein, rief er, Madam, der Himmel weis es, daß ich seit dem Tode meiner Braut ohne Liebe gewesen bin. Wie könnte ich ihnen etwas verschweigen? Ach wie könnte ich dieses? ich bitte sie, vermindern sie ihre Gütigkeit gegen mich. Ich bin unruhig, daß ich sie nicht verdiene. Dieß ist die wahre Ursache. Nunmehr war ich zufrieden, und er hätte aus meiner plötzlichen Veränderung leicht mein Herz errathen können; allein meine Freude that bey ihm eine entgegengesetzte Wirckung. Er ward nur trauriger, ie mehr ich ruhig war. Ich redte fast allein, und ich studirte seine Augen und sein Hertz aus. Er liebt dich, fieng ich zu mir selbst an, und nichts als die Gesetze der Dankbarkeit und Ehrerbietung legen seiner Liebe ein Stillschweigen auf. Er ist verschämt, das wünschest du; und er wünschet, daß du ihn zu dem Fehler nöthigen sollst, dir seine Liebe zu gestehen; und dieses verdient er. Ich verdoppelte meine Gefälligkeit, ohne sie über die Schranken der Freundschaft zu treiben. Mein Gemahl hatte ein kostbares Haus gebaut. Ich ließ alle Zimmer auf der Gallerie einheizen, und führte ihn nach der Tafel in alle, nur damit ich eine Gelegenheit hätte, ihn länger bey mir zu behalten. Als wir in das größte kamen, in welchem die Risse und Abzeichnungen von Festungen und Landschaften hiengen: so fragte ich ihn, ob er nicht auch einen Theil von seiner Arbeit hier fände. Ich sah, daß er nicht auf die Abzeichnungen, sondern auf mich Acht gab, und ich belohnte ihn gleich dafür. Ich will ihnen ihre Stücke zeigen, sprach ich; mein Gemahl hat mirs gesagt, daß die, unter welchen ein S. stünde, von ihnen wären. Er mag sie mit diesen Arbeiten wohl recht gequält haben. Ach, sprach er, Madam, sie könnten mich für alle meine Mühe auf einmal belohnen. Aber nein –. Ich wußte in der That nicht, was er verlangte, und ich bat ihn recht inständig, daß er mirs sagen sollte. Wollen sie mirs vergeben, rief er, wenn ichs ihnen gestehe? denn es ist eine Verwegenheit. Ja, sagen sies. Er öffnete darauf die Thüre von dem vorhergehenden Zimmer und wies auf mein Portrait. Madam, dieses Geschenk wollte ich mir wünschen, wenn ich Siberien verlasse. Diese Bitte war mir das angenehmste, was ich von ihm gehöret hatte. Ich gab ihm durch die Art, mit der ich sie anhörte, das Recht, sie zu wiederholen, und er hatte schon das Herz, mich bey der Hand zu fassen und meiner Hand durch die seine, ich weis nicht was für verbindliche Dinge, zu sagen. Ich begab mich geschwind mit ihm in das Tafelzimmer zurück, um gleichsam der Gewalt zu entfliehen, die er meinem Herzen anthat. Er merkte seinen Sieg nicht, und glaubte vielmehr, mich beleidiget zu haben. Er war von der Zeit an fast ganze acht Tage hindurch nichts als ein Freund, der mir durch eine strenge Ehrerbietung gefallen, oder ein Gast, der durch eine dankbare Schamhaftigkeit meine Höflichkeiten, die ich ihm alle Mittage erwies, bezahlen wollte. Ich konnte mich in das Geheimniß unsrer Herzen nicht finden. Wir hatten die Erlaubniß alle Tage mit einander umzugehen. Wir durften uns vor Niemanden scheuen, als vor uns selbst. Alles stund unter meinen Befehlen, und ich war denen, die um mich lebten, zu groß, als daß ich von ihnen bemerkt zu werden hätte fürchten dürfen. Dem ungeachtet schienen wir beide bey aller unserer Freyheit und bey unserm täglichen Umgange, an Statt daß wir vertrauter hätten werden sollen, einander nur desto fremder zu werden. Er hütete sich, mir die geringste Liebkosung zu machen, und ich nahm mich vielmehr, als im Anfange, in Acht, ihm Gelegenheit dazu zu geben. Wir sahn beide nicht, daß die Behutsamkeit, die wir in unsern Reden und in unsern Handlungen beobachteten, nichts als die stärkste Liebe war; oder besser, wir fühlten die Liebe so sehr, daß wir genöthiget wurden, uns strenge Gesetze vorzuschreiben. Ich ahmte ihm nach, und er ahmte an Bescheidenheit mir nach; und was war dieser Zwang anders, als die Sorge, einander zu gefallen, und die Ungewißheit, wie wir dieses einander ohne Fehler zu erkennen geben wollten? Alle Augenblicke erwartete ich ein vertrauliches Bekenntniß von ihm, und hinderte ihn doch durch mein Bezeigen daran, und befriedigte meinen Verdruß mit neuer Hoffnung. Wir hatten uns durch einen Umgang von zehn oder zwölf Tagen so ausgeredet, daß wir fast nichts mehr wußten, und wir wurden desto ärmer an Gesprächen, ie weniger wir unser Herz wollten reden lassen. Wir spielten gemeiniglich nach der Tafel Schach, ein Spiel, das für Verliebte eher eine Strafe, als ein Vergnügen ist, und das uns sehr beschwerlich gewesen seyn würde, wenn es uns nicht das Recht ertheilt hätte, einander genauer, als ausserdem, zu beobachten. Ich ließ meine Hand mit Fleiß immer lange auf dem Steine liegen, als wenn ich noch ungewiß wäre, ob ich ihn fortrücken wollte, und ich ließ sie doch nur für seine Augen da. Unsere Spiele wurden alle bald aus. Ich verstund es wirklich besser, als er; allein ein Blick in seine redlichen und zärtlichen Augen, und eine kleine Röthe, oder ein verschämter Seufzer, den ich ihm abnöthigte, war genug, mich zu dem einfältigsten Zuge zu bewegen. Wir wiederholten diesen Zeitvertreib ganze Stunden, ohne zehn Worte zu reden, und wir befanden uns so gut dabey, daß wir recht von der Tafel eilten, um zum Schache zu kommen. Unser Umgang hatte nunmehr ungefehr vier Wochen gedauert, und binnen dieser Zeit hatten wir einander nicht länger, als fünf Tage, nicht gesehen, und dennoch waren wir, so sehr wir einander gefielen, nicht vertrauter, als im Anfange; und wir würden unstreitig diesen Charakter noch länger behauptet haben, wenn unsere Herzen nicht durch einen Zufall übereilet worden wären. Der Jude besuchte uns nämlich unvermuthet bey Tische und kündigte Steeleyn an, daß morgen eine Lieferung für den Hof nach Moskau abgehen würde, und daß er für so und so viel Geld sicher und ziemlich bequem mit fortkommen könnte. Ich erschrack über diese Nachricht, daß ich nicht ein Wort sagen konnte, und Steeley eben so sehr. Wenn, rief er, wenn soll ich fort? Geht nur in mein Quartier, ich will gleich nachkommen. Der Jude verließ uns. Und nun gieng eine traurige Scene an. Ach Madam, fieng Steeley an, und schon liefen ihm die Thränen über die Wangen; ach Madam, ich soll schon fort? Morgen schon? Und was macht ihnen denn ihre Abreise so sauer? Er entsetzte sich über diese Frage und gerieth in eine kleine Hitze. Sie fragen mich noch, was mir meinen Abschied sauer macht? Sie! Und auf einmal ward er still und suchte seine Wehmuth zu verbergen. Mit welcher Entzückung sah ich mich von ihm geliebt! Ich schwieg still, oder konnte vielmehr nicht reden. Er wollte fortgehn, und ich nahm ihn in der Angst bey der Hand. Wo wollen sie hin? Ich will mich, sprach er, für meine Verwegenheit bestrafen, die ich itzt begangen habe, und Abschied von ihnen nehmen und –. Aber wenn ich sie nun ersuchte, noch nicht fortzureisen, wollten sie nicht bey mir bleiben? Wollten sie nicht ihr Vaterland, ihre Freunde, einige Zeit später sehn? Ach, Madam, rief er, ich will alles, ich will mein Vaterland ewig vergessen, für sie vergessen. Sagen sie mir nur, ob sie mich – ob sie mich hassen? Ich liebe sie, fieng ich an, es ist nicht mehr Zeit mich zu verbergen, und wenn sie mich lieben: so bleiben sie hier, und reisen sie in meiner Gesellschaft. Nunmehr wagte er die erste Umarmung, und o Himmel! was war dieses nach einem so langen Zwange für ein unaussprechliches Vergnügen! Wie viel tausendmal sagte er mir, daß er mich liebte, und wie vielmal sagte ichs, und durch wie viele Küsse, durch wie viele Seufzer wiederholten wir unser Bekenntniß! Nun redte unser Herz allein. Er fragte mich, ob ich seine Liebe nicht gemerkt hätte, und ich fragte ihn eben das. Wir erzählten einander die Geschichte unsrer Empfindungen, und unser Umgang war von dieser Stunde an Liebe und Freude. Die Lieferung gieng fort, und mein Liebhaber blieb mit tausend Freuden zurück. Ich schickte noch ein Memorial an den Hof mit ab, um die Erlaubniß zu meiner Abreise zu beschleunigen.

Waren wir vorher nur halbe Tage beysammen gewesen: so wurden uns nunmehr ganze noch zu unserer Liebe zu kurz. Er suchte meine Liebe, die er schon gewiß besaß, durch die bescheidene Art, mit der er sie genoß, erst zu verdienen, und ich, die ich acht Jahre vermählt gewesen, ohne die Liebe zu kennen, lernte ihren Werth unter den unschuldigsten Liebkosungen erst schätzen. Ich versprach ihm, wenn er mir nicht nach Curland folgen wollte, mit ihm in sein Vaterland zu gehen, und wenn ich in Moskau die Erlaubniß, dahin zurück zu kehren, nicht erhalten könnte, mich mit ihm insgeheim wegzubegeben. Bis auf diese Zeit, sprach ich, bin ich ihre Braut, und sobald wir uns an einem Orte niederlassen, ihre Gemahlinn.

Wir unterhielten uns mit den Vorstellungen von unserm künftigen Glücke noch vierzehn Tage, als ich endlich die Erlaubniß und die Passeporte vom Hofe erhielt, mich nach Moskau zurück zu begeben. Mein Liebhaber war gleich bey mir. Und wie eilten wir, aus diesem traurigen Lande zu kommen! Der Commendant von einem nah gelegenen Schlosse war zum Nachfolger meines Gemahls ernannt. Ich übergab ihm binnen acht Tagen die Rechnungen meines Gemahls; allein er sahe sie nicht an. Ihr Gemahl, sprach er, war ein guter Freund und auch ein Freund des Hofs. Er wird schon gut hausgehalten haben, und ich bin alt genug, ihm bald im Tode nachzufolgen. Ich bat ihn, daß er Befehl zu meiner Abreise geben, und die Meubeln und das Haus meines Gemahls von mir zum Abschiede annehmen sollte. Ich nehme es an, sprach er; sie aber haben die Freyheit, was ihnen gefällt, mit sich zu nehmen; die ihrem Stande gemässe Bedeckung ist alle Stunden zu ihren Diensten. Ich reiste also mit zween Wagen unter einer starken Bedeckung in der Mitte des Junius fort. Mein Gemahl hatte mir über hunderttausend Rubeln meistens an Golde und Juwelen hinterlassen. Die eine Hälfte nahmen wir auf unsern Wagen, und die andere auf den, wo unser Christian nebst einigen befreyten Gefangnen saß. Steeley ließ, ehe wir abreisten, alle Gefangene, in und um Tobolskoy herum, kleiden, sie drey Tage speisen, und jedem etliche Rubeln geben. Es mochten ihrer etliche funfzig seyn.