B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Johann Wolfgang Goethe
1749 - 1832
     
   


F a u s t .
E i n e   T r a g ö d i e .


V o r s p i e l   a u f   d e m   T h e a t e r .

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[9] Director, Theatherdichter, lustige Person.

D i r e c t o r .
Ihr beyden die ihr mir so oft
In Noth und Trübsal, beygestanden,
35 Sagt was ihr wohl, in deutschen Landen,
Von unsrer Unternehmung hofft?
Ich wünschte sehr der Menge zu behagen,
Besonders weil sie lebt und leben läßt.
Die Pfosten sind, die Breter aufgeschlagen,
40 Und jedermann erwartet sich ein Fest.
Sie sitzen schon, mit hohen Augenbraunen,
Gelassen da und möchten gern erstaunen.
Ich weiß wie man den Geist des Volks versöhnt;
Doch so verlegen bin ich nie gewesen;
45 Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt,
[10] Allein sie haben schrecklich viel gelesen.
Wie machen wir's? daß alles frisch und neu
Und mit Bedeutung auch gefällig sey?
Denn freylich mag ich gern die Menge sehen,
50 Wenn sich der Strom nach unsrer Bude drängt,
Und mit gewaltig wiederholten Wehen,
Sich durch die enge Gnadenpforte zwängt;
Bey hellem Tage, schon vor Vieren,
Mit Stößen sich bis an die Kasse ficht
55 Und, wie in Hungersnoth um Brot an Beckerthüren,
Um ein Billet sich fast die Hälse bricht.
Dieß Wunder wirkt auf so verschiedne Leute
Der Dichter nur; mein Freund, o! thu es heute!

D i c h t e r .
O sprich mir nicht von jener bunten Menge,
60 Bey deren Anblick uns der Geist entflieht.
Verhülle mir das wogende Gedränge,
Das wider Willen uns zum Strudel zieht.
Nein, führe mich zur stillen Himmelsenge,
Wo nur dem Dichter reine Freude blüht;
65 Wo Lieb' und Freundschaft unsres Herzens Segen
Mit Götterhand erschaffen und erpflegen.

[11]       Ach! was in tiefer Brust uns da entsprungen,
Was sich die Lippe schüchtern vorgelallt,
Mißrathen jetzt und jetzt vielleicht gelungen,
70 Verschlingt des wilden Augenblicks Gewalt.
Oft wenn es erst durch Jahre durchgedrungen,
Erscheint es in vollendeter Gestalt.
Was glänzt ist für den Augenblick geboren,
Das Aechte bleibt der Nachwelt unverloren.

L u s t i g e   P e r s o n .
75 Wenn ich nur nichts von Nachwelt hören sollte.
Gesetzt daß ich von Nachwelt reden wollte,
Wer machte denn der Mitwelt Spaß?
Den will sie doch und soll ihn haben.
Die Gegenwart von einem braven Knaben
80 Ist, dächt' ich, immer auch schon was.
Wer sich behaglich mitzutheilen weiß,
Den wird des Volkes Laune nicht erbittern;
Er wünscht sich einen großen Kreis,
Um ihn gewisser zu erschüttern.
85 Drum seyd nur brav und zeigt euch musterhaft,
Laßt Phantasie, mit allen ihren Chören,
[12] Vernunft, Verstand, Empfindung, Leidenschaft,
Doch, merkt euch wohl! nicht ohne Narrheit hören.

D i r e c t o r .
Besonders aber laßt genug geschehn!
90 Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn.
Wird vieles vor den Augen abgesponnen,
So daß die Menge staunend gaffen kann,
Da habt ihr in der Breite gleich gewonnen,
Ihr seyd ein vielgeliebter Mann.
95 Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen,
Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.
Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;
Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.
Gebt ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken!
100 Solch ein Ragout es muß euch glücken;
Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht.
Was hilft's wenn ihr ein Ganzes dargebracht?
Das Publikum wird es euch doch zerpflücken.

D i c h t e r .
Ihr fühlet nicht wie schlecht ein solches Handwerk sey!
105 Wie wenig das dem ächten Künstler zieme!
[13] Der saubern Herren Pfuscherey
Ist, merk ich, schon bey euch Maxime.

D i r e c t o r .
Ein solcher Vorwurf läßt mich ungekränkt;
Ein Mann, der recht zu wirken denkt,
110 Muß auf das beste Werkzeug halten.
Bedenkt, ihr habet weiches Holz zu spalten,
Und seht nur hin, für wen ihr schreibt!
Wenn diesen Langeweile treibt,
Kommt jener satt vom übertischten Mahle,
115 Und, was das allerschlimmste bleibt,
Gar mancher kommt vom Lesen der Journale.
Man eilt zerstreut zu uns, wie zu den Maskenfesten,
Und Neugier nur beflügelt jeden Schritt;
Die Damen geben sich und ihren Putz zum besten
120 Und spielen ohne Gage mit.
Was träumet ihr auf eurer Dichter=Höhe?
Was macht ein volles Haus euch froh?
Beseht die Gönner in der Nähe!
Halb sind sie kalt, halb sind sie roh.
125 Der, nach dem Schauspiel, hofft ein Kartenspiel,
Der eine wilde Nacht an einer Dirne Busen.
[14] Was plagt ihr armen Thoren viel,
Zu solchem Zweck, die holden Musen?
Ich sag' euch, gebt nur mehr, und immer, immer mehr,
130 So könnt ihr euch vom Ziele nie verirren
Sucht nur die Menschen zu verwirren,
Sie zu befriedigen ist schwer - -
Was fällt euch an? Entzückung oder Schmerzen?

D i c h t e r .
Geh hin und such dir einen andern Knecht!
135 Der Dichter sollte wohl das höchste Recht,
Das Menschenrecht, das ihm Natur vergönnt,
Um deinetwillen freventlich verscherzen!
Wodurch bewegt er alle Herzen?
Wodurch besiegt er jedes Element?
140 Ist es der Einklang nicht? der aus dem Busen dringt,
Und in sein Herz die Welt zurücke schlingt.
Wenn die Natur des Fadens ew'ge Länge,
Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt,
Wenn aller Wesen unharmon'sche Menge
145 Verdrießlich durch einander klingt;
Wer theilt die fließend immer gleiche Reihe
Belebend ab, daß sie sich rythmisch regt?
[15] Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe?
Wo es in herrlichen Accorden schlägt?
150 Wer läßt den Sturm zu Leidenschaften wüthen?
Das Abendroth im ernsten Sinne glühn?
Wer schüttet alle schönen Frühlingsblüten
Auf der Geliebten Pfade hin?
Wer flicht die unbedeutend grünen Blätter
155 Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art?
Wer sichert den Olymp? vereinet Götter?
Des Menschen Kraft, im Dichter offenbart.

L u s t i g e   P e r s o n .
So braucht sie denn die schönen Kräfte
Und treibt die dicht'rischen Geschäfte,
160 Wie man ein Liebesabenteuer treibt.
Zufällig naht man sich, man fühlt, man bleibt
Und nach und nach wird man verflochten;
Es wächst das Glück, dann wird es angefochten,
Man ist entzückt, nun kommt der Schmerz heran,
165 Und eh man sich's versieht, ist's eben ein Roman.
Laßt uns auch so ein Schauspiel geben!
Greift nur hinein ins volle Menschenleben!
Ein jeder lebt's, nicht vielen ist's bekannt,
[16] Und wo ihr's packt, da ist's interessant.
170 In bunten Bildern wenig Klarheit,
Viel Irrthum und ein Fünkchen Wahrheit,
So wird der beste Trank gebraut,
Der alle Welt erquickt und auferbaut.
Dann sammelt sich der Jugend schönste Blüte
175 Vor eurem Spiel und lauscht der Offenbarung,
Dann sauget jedes zärtliche Gemüthe
Aus eurem Werk sich melanchol'sche Nahrung,
Dann wird bald dies bald jenes aufgeregt,
Ein jeder sieht was er im Herzen trägt.
180 Noch sind sie gleich bereit zu weinen und zu lachen,
Sie ehren noch den Schwung, erfreuen sich am Schein;
Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen,
Ein Werdender wird immer dankbar seyn.

D i c h t e r .
So gieb mir auch die Zeiten wieder,
185 Da ich noch selbst im Werden war,
Da sich ein Quell gedrängter Lieder
Ununterbrochen neu gebar,
Da Nebel mir die Welt verhüllten,
Die Knospe Wunder noch versprach,
[17] Da ich die tausend Blumen brach,
Die alle Thäler reichlich füllten.
Ich hatte nichts und doch genug,
Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug.
Gieb ungebändigt jene Triebe,
195 Das tiefe, schmerzenvolle Glück,
Des Hasses Kraft, die Macht der Liebe,
Gieb meine Jugend mir zurück!

L u s t i g e   P e r s o n .
Der Jugend, guter Freund, bedarfst du allenfalls
Wenn dich in Schlachten Feinde drängen,
200 Wenn mit Gewalt an deinen Hals
Sich allerliebste Mädchen hängen,
Wenn fern des schnellen Laufes Kranz
Vom schwer erreichten Ziele winket,
Wenn nach dem heftgen Wirbeltanz
205 Die Nächte schmausend man vertrinket.
Doch ins bekannte Saitenspiel
Mit Muth und Anmuth einzugreifen,
Nach einem selbstgesteckten Ziel
Mit holdem Irren hinzuschweifen,
210 Das, alte Herrn, ist eure Pflicht,
[18] Und wir verehren euch darum nicht minder.
Das Alter macht nicht kindisch, wie man spricht,
Es findet uns nur noch als wahre Kinder.

D i r e c t o r .
Der Worte sind genug gewechselt,
215 Laßt mich auch endlich Thaten sehn;
Indeß ihr Complimente drechselt,
Kann etwas nützliches geschehn.
Was hilft es viel von Stimmung reden?
Dem Zaudernden erscheint sie nie.
220 Gebt ihr euch einmal für Poeten,
So kommandirt die Poesie.
Euch ist bekannt was wir bedürfen,
Wir wollen stark Getränke schlürfen;
Nun braut mir unverzüglich dran!
225 Was heute nicht geschieht, ist Morgen nicht gethan,
Und keinen Tag soll man verpassen,
Das Mögliche soll der Entschluß
Beherzt sogleich beym Schopfe fassen,
Er will es dann nicht fahren lassen
230 Und wirket weiter, weil er muß.

[19]       Ihr wißt, auf unsern deutschen Bühnen
Probirt ein jeder was er mag;
Drum schonet mir an diesem Tag
Prospecte nicht und nicht Maschinen.
235 Gebraucht das groß' und kleine Himmelslicht,
Die Sterne dürfet ihr verschwenden;
An Wasser, Feuer, Felsenwänden,
An Thier und Vögeln fehlt es nicht.
So schreitet in dem engen Breterhaus
240 Den ganzen Kreis der Schöpfung aus,
Und wandelt, mit bedächtger Schnelle,
Vom Himmel, durch die Welt, zur Hölle.