B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Johann Wolfgang Goethe
1749 - 1832
     
   


F a u s t .
E i n e   T r a g ö d i e .


D e r   T r a g ö d i e   E r s t e r   T h e i l .

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[166]       S t r a ß e .

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      F a u s t .   M a r g a r e t e vorüber gehend.

F a u s t .
2605 Mein schönes Fräulein, darf ich wagen,
Meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen?

M a r g a r e t e .
Bin weder Fräulein, weder schön,
Kann ungeleitet nach Hause gehn.

      Sie macht sich los und ab.

F a u s t .
Beym Himmel, dieses Kind ist schön!
2610 So etwas hab' ich nie gesehn.
Sie ist so sitt= und tugendreich,
Und etwas schnippisch doch zugleich.
[167] Der Lippe Roth, der Wange Licht,
Die Tage der Welt vergess' ich's nicht!
2615 Wie sie die Augen niederschlägt,
Hat tief sich in mein Herz geprägt;
Wie sie kurz angebunden war,
Das ist nun zum Entzücken gar!

M e p h i s t o p h e l e s tritt auf.

F a u s t .
Hör, du mußt mir die Dirne schaffen!

M e p h i s t o p h e l e s .
2620 Nun, welche?

F a u s t .
                  Sie ging just vorbey.

M e p h i s t o p h e l e s .
Da die? Sie kam von ihrem Pfaffen,
Der sprach sie aller Sünden frey;
Ich schlich mich hart am Stuhl vorbey,
Es ist ein gar unschuldig Ding,
2625 Das eben für nichts zur Beichte ging;
Ueber die hab' ich keine Gewalt!

F a u s t .
Ist über vierzehn Jahr doch alt.

[168] M e p h i s t o p h e l e s .
Du sprichst ja wie Hans Liederlich,
Der begehrt jede liebe Blum' für sich,
2630 Und dünkelt ihm, es wär' kein' Ehr'
Und Gunst, die nicht zu pflücken wär';
Geht aber doch nicht immer an.

F a u s t .
Mein Herr Magister Lobesan,
Laß er mich mit dem Gesetz in Frieden!
2635 Und das sag' ich ihm kurz und gut,
Wenn nicht das süße junge Blut
Heut' Nacht in meinen Armen ruht;
So sind wir um Mitternacht geschieden.

M e p h i s t o p h e l e s .
Bedenkt was gehn und stehen mag!
2640 Ich brauche wenigstens vierzehn Tag'
Nur die Gelegenheit auszuspüren.

F a u s t .
Hätt' ich nur sieben Stunden Ruh,
Brauchte den Teufel nicht dazu,
So ein Geschöpfchen zu verführen.

M e p h i s t o p h e l e s .
[169] Ihr sprecht schon fast wie ein Franzos;
Doch bitt' ich, laßt's euch nicht verdrießen:
Was hilft's nur g'rade zu genießen?
Die Freud' ist lange nicht so groß,
Als wenn ihr erst herauf, herum,
2650 Durch allerley Brimborium,
Das Püppchen geknetet und zugericht't
Wie's lehret manche welsche Geschicht'.

F a u s t .
Hab' Appetit auch ohne das.

M e p h i s t o p h e l e s .
Jetzt ohne Schimpf und ohne Spaß.
2655 Ich sag' euch, mit dem schönen Kind
Geht's ein= für allemal nicht geschwind.
Mit Sturm ist da nichts einzunehmen;
Wir müssen uns zur List bequemen.

F a u s t .
Schaff' mir etwas vom Engelsschatz!
2660 Führ' mich an ihren Ruheplatz!
Schaff' mir ein Halstuch von ihrer Brust,
Ein Strumpfband meiner Liebeslust!

M e p h i s t o p h e l e s .
[170] Damit ihr seht, daß ich eurer Pein
Will förderlich und dienstlich seyn;
2665 Wollen wir keinen Augenblick verlieren,
Will euch noch heut' in ihr Zimmer führen.

F a u s t .
Und soll sie sehn? sie haben?

M e p h i s t o p h e l e s .
                  Nein!
Sie wird bey einer Nachbarinn seyn.
Indessen könnt ihr ganz allein
2670 An aller Hoffnung künft'ger Freuden
In ihrem Dunstkreis satt euch weiden.

F a u s t .
Können wir hin?

M e p h i s t o p h e l e s .
                  Es ist noch zu früh.

F a u s t .
Sorg' du mir für ein Geschenk für sie!
      ab.

M e p h i s t o p h e l e s .
Gleich schenken? Das ist brav! Da wird er reüssiren!
[171] Ich kenne manchen schönen Platz
Und manchen alt vergrabnen Schatz,
Ich muß ein Bißchen revidiren.
      ab.