B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Johann Wolfgang Goethe
1749 - 1832
     
   


F a u s t .   E i n   F r a g m e n t .

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H E X E N K Ü C H E .
Auf einem niedrigen Herde steht ein großer Kessel über dem Feuer. In dem Dampfe, der davon in die Höhe steigt, zeigen sich verschiedene Gestalten. Eine Meerkatze sitzt bey dem Kessel und schäumt ihn und sorgt, daß er nicht überläuft. Der Meerkater mit den Jungen sitzt darneben und wärmt sich. Wände und Decke sind mit dem seltsamsten Hexenhausrath ausgeschmückt.

Faust. Mephistopheles.

F a u s t.
Mir widersteht das tolle Zauberwesen!
815
Versprichst du mir, ich soll genesen
In diesem Wust von Raserey?
Verlang' ich Rath von einem alten Weibe?
Und schafft die Sudelköcherey
Wohl dreyßig Jahre mir vom Leibe?
820
Weh mir, wenn du nichts bessers weißt!
Schon ist die Hoffnung mir verschwunden.
Hat die Natur und hat ein edler Geist
Nicht irgendeinen Balsam ausgefunden?

M e p h i s t o p h e l e s.
Mein Freund, nun sprichst du wieder klug!
825
Dich zu verjüngen, gibt's auch ein natürlich Mittel;
Allein es steht in einem andern Buch,
Und ist ein wunderlich Kapitel.

F a u s t.
Ich will es wissen.

M e p h i s t o p h e l e s.
                Gut! Ein Mittel, ohne Geld
Und Arzt und Zauberey zu haben:
830
Begib dich gleich hinaus auf's Feld,
Fang an zu hacken und zu graben,
Erhalte dich und deinen Sinn
In einem ganz beschränkten Kreise,
Ernähre dich mit ungemischter Speise,
835
Leb' mit dem Vieh als Vieh, und acht' es nicht für Raub,
Den Acker, den du ärndest, selbst zu düngen;
Das ist das beste Mittel, glaub'!
Auf achtzig Jahr' dich zu verjüngen!

F a u s t.
Das bin ich nicht gewöhnt, ich kann mich nicht bequemen,
840
Den Spaten in die Hand zu nehmen.
Das enge Leben steht mir gar nicht an.

M e p h i s t o p h e l e s.
So muß denn doch die Hexe dran.
(Die Thiere erblickend.)
Sieh, welch ein zierliches Geschlecht!
Das ist die Magd! das ist der Knecht!
(Zu den Thieren.)
845
Es scheint, die Frau ist nicht zu Hause?

D i e   T h i e r e.
Bey'm Schmause,
Aus dem Haus
Zum Schornstein hinaus!

M e p h i s t o p h e l e s.
Wie lange pflegt sie wohl zu schwärmen?

D i e   T h i e r e.
850
So lang' wir uns die Pfoten wärmen.

M e p h i s t o p h e l e s (zu Faust).
Wie findest du die zarten Thiere?

F a u s t.
So abgeschmackt, als ich nur etwas sah!

M e p h i s t o p h e l e s.
Nein, ein Discurs wie dieser da
Ist g'rade der, den ich am liebsten führe!

D e r   K a t e r (macht sich herbey und schmeichelt dem Mephistopheles).
855
O würfle nur gleich,
Und mache mich reich,
Und laß mich gewinnen!
Gar schlecht ist's bestellt,
Und wär' ich bey Geld,
860
So wär' ich bey Sinnen.

M e p h i s t o p h e l e s.
Wie glücklich würde sich der Affe schätzen,
Könnt' er nur auch in's Lotto setzen!

(Indessen haben die jungen Meerkätzchen mit einer großen Kugel gespielt, und rollen sie hervor.)

D e r   K a t e r.
Das ist die Welt;
Sie steigt und fällt
865
Und rollt beständig;
Sie klingt wie Glas;
Wie bald bricht das!
Ist hohl inwendig.
Hier glänzt sie sehr,
870
Und hier noch mehr:
«Ich bin lebendig!»
Mein lieber Sohn,
Halt dich davon!
Du mußt sterben!
875
Sie ist von Thon,
Es gibt Scherben.

M e p h i s t o p h e l e s.
Was soll das Sieb?

D e r   K a t e r (hohlt es herunter).
Wärst du ein Dieb,
Wollt' ich dich gleich erkennen.
(Er läuft zur Kätzinn und läßt sie durchsehen.)
880
Sieh durch das Sieb!
Erkennst du den Dieb,
Und darfst ihn nicht nennen?

M e p h i s t o p h e l e s (sich dem Feuer nähernd).
Und dieser Topf?

K a t e r  u n d  K ä t z i n n.
Der alberne Tropf!
885
Er kennt nicht den Topf,
Er kennt nicht den Kessel!

M e p h i s t o p h e l e s.
Unhöfliches Thier!

D e r   K a t e r.Den Wedel nimm hier,
Und setz' dich in Sessel!
(Er nöthigt den Mephistopheles zu sitzen.)

F a u s t (welcher diese Zeit über vor einem Spiegel gestanden,
sich ihm bald genähert, bald sich von ihm entfernt hat.)

890
Was seh' ich? Welch ein himmlisch Bild
Zeigt sich in diesem Zauberspiegel!
O Liebe, leihe mir den schnellsten deiner Flügel,
Und führe mich in ihr Gefild!
Ach wenn ich nicht auf dieser Stelle bleibe,
895
Wenn ich es wage nah' zu gehn
Kann ich sie nur als wie im Nebel sehn! -
Das schönste Bild von einem Weibe!
Ist's möglich, ist das Weib so schön?
Muß ich an diesem hingestreckten Leibe
900
Denn Inbegriff von allen Himmeln sehn?
So etwas findet sich auf Erden?

M e p h i s t o p h e l e s.
Natürlich, wenn ein Gott sich erst sechs Tage plagt,
Und selbst am Ende Bravo sagt,
Da mußt' es was gescheidtes werden.
905
Für dießmal sieh dich immer satt;
Ich weiß dir so ein Schätzchen auszuspüren,
Und selig wer das gute Schicksal hat,
Als Bräutigam sie heim zu führen!
(Faust sieht immerfort in den Spiegel. Mephistopheles, sich in dem Sessel dehnend und mit dem Wedel spielend, fährt fort zu sprechen.)
Hier sitz' ich wie der König auf dem Throne,
910
Den Zepter halt' ich hier, es fehlt nur noch die Krone.

D i e   T h i e r e (welche bisher allerley wunderliche Bewegungen durch einander
gemacht haben, bringen dem Mephistopheles eine Krone mit großem Geschrey.)

O sey doch so gut,
Mit Schweiß und mit Blut
Die Krone zu leimen!
(Sie gehn ungeschickt mit der Krone um und zerbrechen sie
in zwey Stücke, mit welchen sie herum springen.)

Nun ist es geschehn!
915
Wir reden und sehn,
Wir hören und reimen;

F a u s t (gegen den Spiegel).
Weh mir! ich werde schier verrückt.

M e p h i s t o p h e l e s (auf die Thiere deutend).
Nun fängt mir an fast selbst der Kopf zu schwanken.

D i e   T h i e r e.
Und wenn es uns glückt
920
Und wenn es sich schickt,
So sind es Gedanken!

F a u s t (wie oben).
Mein Busen fängt mir an zu brennen!
Entfernen wir uns nur geschwind!

M e p h i s t o p h e l e s (in obiger Stellung).
Nun, wenigstens muß man bekennen,
925
Daß es aufrichtige Poeten sind.

(Der Kessel, welchen die Kätzinn bisher außer Acht gelassen, fängt an überzulaufen; es entsteht eine große Flamme, welche zum Schorstein hinausschlägt. Die Hexe kommt durch die Flamme mit entsetzlichem Geschrey herunter gefahren.)

D i e   H e x e.
Au! Au! Au! Au!
Verdammtes Thier! verfluchte Sau!
Versäumst den Kessel, versengst die Frau!
Verfluchtes Thier!
(Faust und Mephistopheles erblickend.)
930
Was ist das hier?
Wer seyd ihr hier?
Was wollt ihr da?
Wer schlich sich ein?
Die Feuerpein
935
Euch in's Gebein!
(Sie fährt mit dem Schaumlöffel in den Kessel und spritzt Flammen nach Faust, Mephistopheles und den Thieren. Die Thiere winseln.)

M e p h i s t o p h e l e s (welcher den Wedel, den er in der Hand hält, umkehrt
und unter die Gläser und Töpfe schlägt.)

Entzwey! entzwey!
Da liegt der Brey!
Da liegt das Glas!
Es ist nur Spaß,
940
Der Tact, du Aas,
Zu deiner Melodey!
(Indem die Hexe voll Grimm und Entsetzen zurücktritt.)
Erkennst du mich, Gerippe! Scheusal du!
Erkennst du deinen Herrn und Meister?
Was hält mich ab, so schlag' ich zu,
945
Zerschmettre dich und deine Katzen-Geister!
Hast du vor'm rothen Wams nicht mehr Respect?
Kannst du die Hahnenfeder nicht erkennen?
Hab' ich dieß Angesicht versteckt?
Soll ich mich etwa selber nennen?

D i e   H e x e.
950
O Herr, verzeiht den rohen Gruß!
Seh' ich doch keinen Pferdefuß.
Wo sind denn eure beyden Raben?

M e p h i s t o p h e l e s.
Für dießmal kommst du so davon;
Denn freylich ist es eine Weile schon,
955
Daß wir uns nicht gesehen haben.
Auch die Cultur, die alle Welt beleckt,
Hat auf den Teufel sich erstreckt;
Das Nordische Phantom ist nun nicht mehr zu schauen,
Wo siehst du Hörner, Schweif und Klauen?
960
Und was den Fuß betrifft, den ich nicht missen kann,
Der würde mir bey Leuten schaden;
Darum bedien' ich mich, wie mancher junge Mann,
Seit vielen Jahren falscher Waden.

D i e   H e x e (tanzend).
Sinn und Verstand verlier' ich schier
965
Seh' ich den Junker Satan wieder hier!

M e p h i s t o p h e l e s.
Den Nahmen, Weib, verbitt' ich mir!

D i e   H e x e.
Warum? Was hat er euch gethan?

M e p h i s t o p h e l e s.
Er ist schon lang' in's Fabelbuch geschrieben;
Allein die Menschen sind nichts besser dran,
970
Den Bösen sind sie los, die Bösen sind geblieben.
Du nennst mich Herr Baron, so ist die Sache gut;
Ich bin ein Cavalier, wie andre Cavaliere.
Du zweifelst nicht an meinem edlen Blut;
Sieh her, das ist das Wapen, das ich führe!
(Er macht eine unanständige Geberde.)

D i e   H e x e (lacht unmäßig).
975
Ha! Ha! Das ist in eurer Art!
Ihr seyd ein Schelm, wie ihr nur immer war't!

M e p h i s t o p h e l e s (zu Faust).
Mein Freund, das lerne wohl verstehn!
Dieß ist die Art mit Hexen umzugehn.

D i e   H e x e.
Nun sagt, ihr Herren, was ihr schafft.

M e p h i s t o p h e l e s.
980
Ein gutes Glas von dem bekannten Saft!
Doch muß ich euch um's ält'ste bitten;
Die Jahre doppeln seine Kraft.

D i e   H e x e.
Gar gern! Hier hab' ich eine Flasche,
Aus der ich selbst zuweilen nasche,
985
Die auch nicht mehr im mind'sten stinkt;
Ich will euch gern ein Gläschen geben.
(Leise.)
Doch wenn es dieser Mann unvorbereitet trinkt,
So kann er, wißt ihr wohl, nicht eine Stunde leben.

M e p h i s t o p h e l e s.
Es ist ein guter Freund, dem es gedeihen soll;
990
Ich gönn' ihm gern das beste deiner Küche.
Zieh deinen Kreis, sprich deine Sprüche,
Und gib ihm eine Tasse voll!

(Die Hexe, mit seltsamen Geberden, zieht einen Kreis und stellt wunderbare Sachen hinein; indessen fangen die Gläser an zu klingen, die Kessel zu tönen, und machen Musik. Zuletzt bringt sie ein großes Buch, stellt die Meerkatzen in den Kreis, die ihr zum Pult dienen und die Fackel halten müssen. Sie winkt Fausten, zu ihr zutreten.)

F a u s t (zu Mephistopheles).
Nein, sage mir, was soll das werden?
Das tolle Zeug, die rasenden Geberden,
995
Der abgeschmackteste Betrug,
Sind mir bekannt, verhaßt genug.

M e p h i s t o p h e l e s.
Ey Possen! Das ist nur zum Lachen;
Sey nur nicht ein so strenger Mann!
Sie muß als Arzt ein Hokuspokus machen,
1000
Damit der Saft dir wohl gedeihen kann.
(Er nöthigt Fausten, in den Kreis zu treten.)

D i e   H e x e (mit großer Emphase fängt an, aus dem Buche zu declamiren).
Du mußt verstehn!
Aus Eins mach' Zehn,
Und Zwey laß gehn,
Und Drey mach' gleich,
1005
So bist du reich.
Verlier die Vier,
Aus Fünf und Sechs,
So sagt die Hex',
Mach' Sieben und Acht,
1010
So ist's vollbracht:
Und Neun ist Eins,
Und Zehn ist keins.
Das ist das Hexen-Einmal-Eins!

F a u s t.
Mich dünkt, die Alte spricht im Fieber.

M e p h i s t o p h e l e s.
1015
Das ist noch lange nicht vorüber,
Ich kenn' es wohl, so klingt das ganze Buch;
Ich habe manche Zeit damit verloren,
Denn ein vollkommner Widerspruch
Bleibt gleich geheimnißvoll für Kluge wie für Thoren.
1020
Mein Freund, die Kunst ist alt und neu.
Es war die Art zu allen Zeiten,
Durch Drey und Eins, und Eins und Drey
Irrtum statt Wahrheit zu verbreiten.
So schwätzt und lehrt man ungestört;
1025
Wer will sich mit den Narrn befassen?
Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,
Es müsse sich dabey doch auch was denken lassen.

D i e   H e x e (fährt fort).
Die hohe Kraft
Der Wissenschaft,
1030
Der ganzen Welt verborgen!
Und wer nicht denkt,
Dem wird sie geschenkt,
Er hat sie ohne Sorgen.

F a u s t.
Was sagt sie uns für Unsinn vor?
1035
Es wird mir gleich der Kopf zerbrechen.
Mich dünkt, ich hör' ein ganzes Chor
Von hundert tausend Narren sprechen.

M e p h i s t o p h e l e s.
Genug, genug, o treffliche Sibylle!
Gib deinen Trank herbey, und fülle
1040
Die Schale rasch bis an den Rand hinan;
Denn meinem Freund wird dieser Trunk nicht schaden:
Er ist ein Mann von vielen Graden,
Der manchen guten Schluck gethan.

(Die Hexe, mit vielen Ceremonien, schenkt den Trank in eine Schale; wie sie Faust an den Mund bringt, entsteht eine leichte Flamme.)

M e p h i s t o p h e l e s.
Nur frisch hinunter! Immer zu!
1045
Es wird dir gleich das Herz erfreuen.
Bist mit dem Teufel du und du,
Und willst dich vor der Flamme scheuen?

(Die Hexe lös't den Kreis. Faust tritt heraus.)

M e p h i s t o p h e l e s.
Nun frisch hinaus! Du darfst nicht ruhn.

D i e   H e x e.
Mög' euch das Schlückchen wohl behagen!

M e p h i s t o p h e l e s (zur Hexe).
1050
Und kann ich dir was zu Gefallen thun,
So darfst du mir's nur auf Walpurgis sagen.

D i e   H e x e.
Hier ist ein Lied! wenn ihr's zuweilen singt,
So werdet ihr besondre Wirkung spüren.

M e p h i s t o p h e l e s (zu Faust).
Komm nur geschwind' und laß dich führen;
1055
Du mußt nothwendig transpiriren,
Damit die Kraft durch inn- und äußres dringt.
Den edlen Müßiggang lehr' ich hernach dich schätzen,
Und bald empfindest du mit innigem Ergetzen,
Wie sich Cupido regt und hin und wieder springt.

F a u s t.
1060
Laß mich nur schnell noch in den Spiegel schauen!
Das Frauenbild war gar zu schön!

M e p h i s t o p h e l e s.
Nein! Nein! Du sollst das Muster aller Frauen
Nun bald leibhaftig vor dir sehn.
(Leise.)
Du siehst, mit diesem Trank im Leibe,
1065
Bald Helenen in jedem Weibe.