B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Johann Wolfgang Goethe
1749 - 1832
     
   


F a u s t .   E i n   F r a g m e n t .

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A B E N D .
Ein kleines reinliches Zimmer.

M a r g a r e t h e (ihre Zöpfe flechtend und aufbindend.)
Ich gäb' was drum, wenn ich nur wüßt',
1140
Wer heut' der Herr gewesen ist!
Er sah gewiß recht wacker aus,
Und ist aus einem edlen Haus,
Das konnt' ich ihm an der Stirne lesen -
Er wär' auch sonst nicht so keck gewesen. (ab.)

Mephistopheles. Faust.

M e p h i s t o p h e l e s.
1145
Herein, ganz leise, nur herein!

F a u s t (nach einigem Stillschweigen).
Ich bitte dich, laß mich allein.

M e p h i s t o p h e l e s (herumspürend).
Nicht jedes Mädchen hält so rein.
(ab.)

F a u s t (rings aufschauend).
Willkommen, süßer Dämmerschein,
Der du dieß Heiligthum durchwebst!
1150
Ergreif mein Herz, du süße Liebespein,
Die du vom Thau der Hoffnung schmachtend lebst!
Wie athmet rings Gefühl der Stille,
Der Ordnung, der Zufriedenheit,
In dieser Armuth welche Fülle!
1155
In diesem Kerker welche Seligkeit!
(Er wirft sich auf den ledernen Sessel am Bette.)
O nimm mich auf, der du die Vorwelt schon
Bey Freud' und Schmerz im offnen Arm empfangen!
Wie oft, ach! hat an diesem Väter-Thron
Schon eine Schaar von Kindern rings gehangen!
1160
Vielleicht hat, dankbar für den heil'gen Christ,
Mein Liebchen hier, mit vollen Kinderwangen,
Dem Ahnherrn fromm die welke Hand geküßt.
Ich fühl', o Mädchen, deinen Geist
Der Füll' und Ordnung um mich säuseln,
1165
Der mütterlich dich täglich unterweis't,
Den Teppich auf den Tisch dich reinlich breiten heißt,
Sogar den Sand zu deinen Füßen kräuseln.
O liebe Hand! so göttergleich!
Die Hütte wird durch dich ein Himmelreich.
1170
Und hier!
(Er hebt einen Bettvorhang auf.)
                Was faßt mich für ein Wonnegraus!
Hier möcht' ich volle Stunden säumen.
Natur! Hier bildetest in leichten Träumen
Den eingebornen Engel aus;
Hier lag das Kind, mit warmem Leben
1175
Den zarten Busen angefüllt,
Und hier mit heilig reinem Weben
Entwirkte sich das Götterbild!

Und du! Was hat dich hergeführt?
Wie innig fühl' ich mich gerührt!
1180
Was willst du hier? Was wird das Herz dir schwer?
Armsel'ger Faust! ich kenne dich nicht mehr.

Umgibt mich hier ein Zauberduft?
Mich drang's, so g'rade zu genießen,
Und fühle mich in Liebestraum zerfließen!
1185
Sind wir ein Spiel von jedem Druck der Luft?

Und träte sie den Augenblick herein,
Wie würdest du für deinen Frevel büßen!
Der große Hans, ach wie so klein!
Läg', hingeschmolzen, ihr zu Füßen.

M e p h i s t o p h e l e s.
1190
Geschwind'! ich seh' sie unten kommen.

F a u s t.
Fort! Fort! Ich kehre nimmermehr!

M e p h i s t o p h e l e s.
Hier ist ein Kästchen leidlich schwer,
Ich hab's wo anders hergenommen.
Stellt's hier nur immer in den Schrein;
1195
Ich schwör' euch, ihr vergehn die Sinnen,
Ich that euch Sächelchen hinein,
Um eine andre zu gewinnen.
Zwar Kind ist Kind und Spiel ist Spiel.

F a u s t.
Ich weiß nicht, soll ich?

M e p h i s t o p h e l e s.
                Fragt ihr viel?
1200
Meint ihr vielleicht den Schatz zu wahren?
Dann rath' ich eurer Lüsternheit,
Die liebe schöne Tageszeit,
Und mir die weitre Müh' zu sparen.
Ich hoff' nicht daß ihr geitzig seyd!
1205
Ich kratz' den Kopf, reib' an den Händen -
(Er stellt das Kästchen in den Schrein
und drückt das Schloß wieder zu.)

Nur fort, geschwind' -
Um euch das süße junge Kind
Nach Herzens Wunsch und Will' zu wenden;
Und ihr seht drein,
1210
Als solltet ihr in den Hörsaal hinein,
Als stünd' leibhaftig vor euch da
Physik und Metaphysika!
Nur fort -
(ab.)

M a r g a r e t h e (mit einer Lampe.)
Es ist so schwül, so dumpfig hie,
(sie macht das Fenster auf.)
1215
Und ist doch eben so warm nicht drauß'.
Es wird mir so, ich weiß nicht wie -
Ich wollt', die Mutter käm' nach Haus.
Mir läuft ein Schauer über'n Leib -
Bin doch ein thöricht furchtsam Weib!
(Sie fängt an zu singen, indem sie sich auszieht.)

1220
Es war ein König in Thule
Gar treu bis an das Grab,
Dem sterbend seine Buhle
Einen goldnen Becher gab.

Es ging ihm nichts darüber,
1225
Er leert' ihn jeden Schmaus;
Die Augen gingen ihm über,
So oft er trank daraus.

Und als er kam zu sterben,
Zählt' er seine Städt' im Reich,
1230
Gönnt' alles seinem Erben,
Den Becher nicht zugleich.

Er saß bey'm Königsmahle,
Die Ritter um ihn her,
Auf hohem Väter-Saale,
1235
Dort auf dem Schloß am Meer.

Dort stand der alte Zecher,
Trank letzte Lebensgluth,
Und warf den heiligen Becher
Hinunter in die Fluth.

1240
Er sah ihn stürzen, trinken
Und sinken tief in's Meer,
Die Augen thäten ihm sinken,
Trank nie einen Tropfen mehr.

(Sie eröffnet den Schrein, ihre Kleider einzuräumen,
und erblickt das Schmuckkästchen.)


Wie kommt das schöne Kästchen hier herein?
1245
Ich schloß doch ganz gewiß den Schrein.
Es ist doch wunderbar! Was mag wohl drinne seyn?
Vielleicht bracht's jemand als ein Pfand,
Und meine Mutter lieh darauf?
Da hängt ein Schlüsselchen am Band,
1250
Ich denke wohl, ich mach' es auf!
Was ist das? Gott im Himmel! schau,
So was hab' ich mein' Tage nicht gesehn!
Ein Schmuck! Mit dem könnt' eine Edelfrau
Am höchsten Feyertage gehn!
1255
Wie sollte mir die Kette stehn?
Wem mag die Herrlichkeit gehören?
(Sie putzt sich damit auf und tritt vor den Spiegel.)
Wenn nur die Ohrring' meine wären!
Man sieht doch gleich ganz anders drein.
Was hilft euch Schönheit, junges Blut?
1260
Das ist wohl alles schön und gut,
Allein man läßt's auch alles seyn.
Man lobt euch halb mit Erbarmen.
Nach Golde drängt,
Am Golde hängt
1265
Doch alles! Ach wir Armen!