B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Johann Wolfgang Goethe
1749 - 1832
     
   


F a u s t .   E i n   F r a g m e n t .

1 7 9 0

________________________________________________


G A R T E N .
Margarethe an Faustens Arm, Marthe mit Mephistopheles auf und ab spazierend.

M a r g a r e t h e.
Ich fühl' es wohl, daß mich der Herr nur schont,
1535
Herab sich läßt, mich zu beschämen.
Ein Reisender ist so gewohnt
Aus Gütigkeit fürlieb zu nehmen;
Ich weiß zu gut, daß solch erfahrnen Mann
Mein arm Gespräch nicht unterhalten kann.

F a u s t.
1540
Ein Blick von dir, Ein Wort mehr unterhält
Als alle Weisheit dieser Welt. (Er küßt ihre Hand.)

M a r g a r e t h e.
Incommodirt euch nicht! Wie könnt ihr sie nur küssen?
Sie ist so garstig, ist so rauh!
Was hab ich nicht schon alles schaffen müssen!
1545
Die Mutter ist gar zu genau.
(Gehn vorüber.)

M a r t h e.
Und ihr, mein Herr, ihr reis't so immer fort?

M e p h i s t o p h e l e s.
Ach, daß Gewerb' und Pflicht uns dazu treiben!
Mit wie viel Schmerz verläßt man manchen Ort,
Und darf doch nun einmal nicht bleiben!

M a r t h e.
1550
In raschen Jahren geht's wohl an
So um und um frey durch die Welt zu streifen;
Doch kömmt die böse Zeit heran,
Und sich als Hagestolz allein zum Grab zu schleifen,
Das hat noch keinem wohlgethan.

M e p h i s t o p h e l e s.
1555
Mit Grausen seh' ich das von weiten.

M a r t h e.
Drum, werther Herr, berathet euch in Zeiten.
(Gehn vorüber.)

M a r g a r e t h e.
Ja, aus den Augen, aus dem Sinn!
Die Höflichkeit ist euch geläufig;
Allein ihr habt der Freunde häufig,
1560
Sie sind verständiger als ich bin.

F a u s t.
O Beste! glaube, was man so verständig nennt,
Ist oft mehr Eitelkeit und Kurzsinn.

M a r g a r e t h e.
                Wie?

F a u s t.
Ach, daß die Einfalt, daß die Unschuld nie
Sich selbst und ihren heil'gen Werth erkennt!
1565
Daß Demuth, Niedrigkeit, die höchsten Gaben
Der liebevoll austheilenden Natur -

M a r g a r e t h e.
Denkt ihr an mich ein Augenblickchen nur,
Ich werde Zeit genug an euch zu denken haben.

F a u s t.
Ihr seyd wohl viel allein?

M a r g a r e t h e.
1570
Ja, unsre Wirtschaft ist nur klein,
Und doch will sie versehen seyn.
Wir haben keine Magd; muß kochen, fegen, stricken
Und nähn, und laufen früh und spat;
Und meine Mutter ist in allen Stücken
1575
So accurat!
Nicht daß sie just so sehr sich einzuschränken hat;
Wir könnten uns weit eh' als andre regen:
Mein Vater hinterließ ein hübsch Vermögen,
Ein Häuschen und ein Gärtchen vor der Stadt.
1580
Doch hab' ich jetzt so ziemlich stille Tage:
Mein Bruder ist Soldat,
Mein Schwesterchen ist todt.
Ich hatte mit dem Kind wohl meine liebe Noth;
Doch übernähm' ich gern noch einmal alle Plage,
1585
So lieb war mir das Kind.

F a u s t.
                Ein Engel, wenn dir's glich.

M a r g a r e t h e.
Ich zog es auf, und herzlich liebt' es mich.
Es war nach meines Vaters Tod geboren.
Die Mutter gaben wir verloren,
So elend wie sie damals lag,
1590
Und sie erholte sich sehr langsam, nach und nach.
Da konnte sie nun nicht dran denken,
Das arme Würmchen selbst zu tränken,
Und so erzog ich's ganz allein,
Mit Milch und Wasser; so ward's mein.
1595
Auf meinem Arm, in meinem Schooß
War's freundlich, zappelte, ward groß.

F a u s t.
Du hast gewiß das reinste Glück empfunden.

M a r g a r e t h e.
Doch auch gewiß gar manche schwere Stunden.
Des Kleinen Wiege stand zu Nacht
1600
An meinem Bett, es durfte kaum sich regen,
War ich erwacht;
Bald mußt' ich's tränken, bald es zu mir legen,
Bald, wenn's nicht schwieg, vom Bett aufstehn
Und tänzelnd in der Kammer auf und nieder gehn,
1605
Und früh am Tage schon am Waschtrog stehn;
Dann auf dem Markt und an dem Herde sorgen,
Und immer fort wie heut' so morgen.
Da geht's, mein Herr, nicht immer muthig zu;
Doch schmeckt dafür das Essen, schmeckt die Ruh'.
(Gehn vorüber.)

M a r t h e.
1610
Sagt g'rad', mein Herr, habt ihr noch nichts gefunden?
Hat sich das Herz nicht irgendwo gebunden?

M e p h i s t o p h e l e s.
Das Sprichwort sagt: Ein eigner Herd,
Ein braves Weib, sind Gold und Perlen werth.

M a r t h e.
Ich meine: ob ihr niemals Lust bekommen?

M e p h i s t o p h e l e s.
1615
Man hat mich überall recht höflich aufgenommen.

M a r t h e.
Ich wollte sagen: ward's nie Ernst in euerm Herzen?

M e p h i s t o p h e l e s.
Mit Frauen soll man sich nie unterstehn zu scherzen.

M a r t h e.
Ach, ihr versteht mich nicht!

M e p h i s t o p h e l e s.
                Das thut mir herzlich leid!
Doch ich versteh' - daß ihr sehr gütig seyd.
(Gehn vorüber.)

F a u s t.
1620
Du kanntest mich, o kleiner Engel, wieder,
Gleich als ich in den Garten kam?

M a r g a r e t h e.
Saht ihr es nicht? ich schlug die Augen nieder.

F a u s t.
Und du verzeihst die Freyheit, die ich nahm?
Was sich die Frechheit unterfangen,
1625
Als du jüngst aus dem Dom gegangen?

M a r g a r e t h e.
Ich war bestürzt, mir war das nie geschehn;
Es konnte niemand von mir übels sagen.
Ach, dacht' ich, hat er in deinem Betragen
Was freches, unanständiges gesehn?
1630
Es schien ihn gleich nur anzuwandeln,
Mit dieser Dirne g'rade hin zu handeln.
Gesteh' ich's doch! Ich wußte nicht was sich
Zu euerm Vortheil hier zu regen gleich begonnte;
Allein gewiß, ich war recht bös' auf mich,
1635
Daß ich auf euch nicht böser werden konnte.

F a u s t.
Süß Liebchen!

M a r g a r e t h e.
                Laßt einmal!
(Sie pflückt eine Sternblume und zupft die Blätter ab, eins nach dem andern.)

F a u s t.
                Was soll das? Einen Strauß?

M a r g a r e t h e.
Nein, es soll nur ein Spiel.

F a u s t.
                Wie?

M a r g a r e t h e.
                Geht! Ihr lacht mich aus.
(Sie rupft und murmelt.)

F a u s t.
Was murmelst du?

M a r g a r e t h e (halblaut).
                Er liebt mich - liebt mich nicht.

F a u s t.
Du holdes Himmels-Angesicht!

M a r g a r e t h e (fährt fort).
1640
Liebt mich - Nicht - Liebt mich - Nicht -
(Das letzte Blatt ausrupfend, mit holder Freude.)
Er liebt mich!

F a u s t.
Ja, mein Kind! Laß dieses Blumenwort
Dir Götter-Ausspruch seyn. Er liebt dich!
Verstehst du, was das heißt? Er liebt dich!
(Er faßt ihre beyde Hände.)

M a r g a r e t h e.
Mich überläuft's!

F a u s t.
1645
O schaudre nicht! Laß diesen Blick,
Laß diesen Händedruck dir sagen,
Was unaussprechlich ist:
Sich hinzugeben ganz und eine Wonne
Zu fühlen, die ewig seyn muß!
1650
Ewig! - Ihr Ende würde Verzweiflung seyn.
Nein, kein Ende! Kein Ende!

(Margarethe drückt ihm die Hände, macht sich los und läuft weg. Er steht einen Augenblick in Gedanken, dann folgt er ihr.)

M a r t h e (kommend).
Die Nacht bricht an.

M e p h i s t o p h e l e s.
                Ja, und wir wollen fort.

M a r t h e.
Ich bäth' euch, länger hier zu bleiben,
Allein es ist ein gar zu böser Ort.
1655
Es ist als hätte niemand nichts zu treiben
Und nichts zu schaffen,
Als auf des Nachbarn Schritt und Tritt zu gaffen,
Und man kommt in's Gered', wie man sich immer stellt.
Und unser Pärchen?

M e p h i s t o p h e l e s.
                Ist den Gang dort aufgeflogen.
1660
Muthwill'ge Sommervögel!

M a r t h e.
                Er scheint ihr gewogen.

M e p h i s t o p h e l e s.
Und sie ihm auch. Das ist der Lauf der Welt.