B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Johann Wolfgang Goethe
Urfaust
     
   


U r f a u s t

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N A C H T .
Vor Gretgens Haus.

V a l e n t i n, Soldat, Gretgens Bruder.
Wenn ich so sas bey 'em Gelag,
Wo mancher sich berühmen mag,
Und all und all mir all den Flor
Der Mägdlein mir gepriesen vor,
Mit vollem Glas das Lob verschwemmt -
Den Ellebogen aufgestemmt,
Sas ich in meiner sichern Ruh,
Hört all dem Schwadroniren zu
Und striche lachend meinen Bart
Und kriege das volle Glas zur Hand
Und sage: alles nach seiner Art,
Aber ist eine im ganzen Land,
Die meiner trauten Gretel gleicht,
Die meiner Schwester das Wasser reicht?
Top! Top! Kling! Klang! das ging herum.
Die einen schrieen: «Er hat Recht,
Sie ist die Zier vom ganzen Geschlecht!»
Da sasen alle die Lober stumm.
Und iezt! - das Haar sich auszurauffen!
Um an den Wänden nauf zu lauffen!
Mit Stichelreden, Nasenrümpfen
Soll ieder Schurcke mich beschimpfen!
Soll wie ein böser Schuldner sizzen,
Bey iedem Zufalls Wörtgen schwizzen!
Und sollt ich sie zusammen schmeissen!
Könnt ich sie doch nicht Lügner heissen!

Faust. Mephistopheles.

F a u s t.
Wie von dem Fenster dort der Sakristey
Der Schein der ewgen Lampe aufwärts flämmert
Und schwach und schwächer seitwärts dämmert,
Und Finsterniss drängt rings um bey!
So siehts in diesem Busen nächtig.

M e p h i s t o p h e l e s.
Und mir ists wie den Käzlein schmächtig,
Das an den Feuerleitern schleicht,
Sich leis so an die Mauern streicht.
Wär mir ganz tugendlich dabey,
Ein bissgen Diebsgelüst ein bissgen Rammeley.
Nun frisch dann zu! das ist ein Jammer:
Ihr geht nach eures Liebgens Kammer,
Als gingt ihr in den Todt.

F a u s t.
Was ist die Himmels Freud in ihren Armen?
Das Durcherschüttern, Durcherwarmen?
Verdrängt es diese Seelen Noth?
Ha! binn ich nicht der Flüchtling, Unbehauste,
Der Unmensch ohne Zweck und Ruh,
Der wie ein Wassersturz von Fels zu Felsen brauste,
Begierig wüthend nach dem Abgrund zu?
Und seitwärts sie mit kindlich dumpfen Sinnen
Im Hüttgen auf dem kleinen Alpenfeld,
Und all ihr häusliches Beginnen
Umfangen in der kleinen Welt.
Und ich, der Gott verhasste,
Hatte nicht genug,
Dass ich die Felsen fasste
Und sie zu Trümmern schlug!
Sie! Ihren Frieden musst ich untergraben,
Du Hölle wolltest dieses Opfer haben!
Hilf, Teufel, mir die Zeit der Angst verkürzen,
Mags schnell geschehn, was muss geschehn!
Mag ihr Geschick auf mich zusammen stürzen
Und sie mit mir zu Grunde gehn!

M e p h i s t o p h e l e s.
Wies wieder brozzelt! wieder glüht!
Geh ein und tröste sie, du Tohr!
Wo so ein Köpfgen keinen Ausgang sieht,
Stellt es sich gleich das Ende vor.

Faust. Mephistopheles.

F a u s t.
Im Elend! Verzweifelnd! Erbärmlich auf der Erde lang verirrt! Als Missetähterinn im Kercker zu entsetzlichen Quaalen eingesperrt, das holde unseelige Geschöpf! Biss dahin! - Verräthrischer nichtswürdiger Geist, und das hast du mir verheimlicht! Steh nur, steh, wälze die Teuflischen Augen inngrimmend im Kopf herum, steh und truzze mir durch deine unerträgliche Gegenwart! Gefangen! Im unwiederbringlichen Elend bösen Geistern übergeben, und der richtenden gefühllosen Menschheit! Und du wiegst mich indess in abgeschmackten Freuden ein, verbirgst mir ihren wachsenden Jammer, und lässest sie hülflos verderben.

M e p h i s t o p h e l e s.
Sie ist die erste nicht!

F a u s t.
Hund! abscheuliches Untier! - Wandle ihn, du unendlicher Geist, wandle den Wurm wieder in die Hundsgestalt, in der er sich nächtlicher Weile offt gefiel, vor mir herzutrotten, dem harmlosen Wandrer vor die Füse zu kollern und dem Umstürzenden sich auf die Schultern zu hängen! Wandl ihn wieder in seine Lieblingsbildung, dass er vor mir im Sand auf dem Bauch krieche, ich ihn mit Füsen trete, den Verworfnen! - Die erste nicht! - Jammer! Jammer! von keiner Menschenseele zu fassen, dass mehr als ein Geschöpf in die Tiefe dieses Elends sanck, dass nicht das erste in seiner windenden Todtesnoth genug taht für die Schuld aller übrigen vor den Augen des Ewigen. Mir wühlt es Marck und Leben durch, das Elend dieser einzigen, und du grinsest gelassen über das Schicksaal von Tausenden hin.

M e p h i s t o p h e l e s.
Gros Hans! nun bist du wieder am Ende deines Wizzes, an dem Fleckgen, wo euch Herrn das Köpfgen überschnappt. Warum machst du Gemeinschafft mit uns, wenn du nicht mit uns auswirthschafften kannst? Willst fliegen, und der Kopf wird dir schwindlich? Eh! drangen wir uns dir auf oder du uns?

F a u s t.
Bläcke deine gefräsigen Zähne mir nicht so entgegen, mir eckelts! - Groser herrlicher Geist, der du mir zu erscheinen würdigtest, der du mein Herz kennst und meine Seele, warum musstest du mich an den Schandgesellen schmieden, der sich am Schaden weidet und am Verderben sich lezt!

M e p h i s t o p h e l e s.
Endigst du?

F a u s t.
Rette sie oder weh dir! Den entsezlichsten Fluch über dich auf Jahrtausende! Rette sie!

M e p h i s t o p h e l e s.
Ich kann die Bande des Rächers nicht lösen, seine Riegel nicht öffnen. - Rette sie? Wer wars, der sie ins Verderben stürzte? Ich oder du?

Faust blickt wild umher.

M e p h i s t o p h e l e s.
Greiffst du nach dem Donner? Wohl, dass er euch elenden Sterblichen nicht gegeben ward! Ists doch das einzige Kunststück, euch in euern Verworrenheiten Lufft zu machen, dass ihr den entgegnenden Unschuldigen zerschmettert.

F a u s t.
Bring mich hin! sie soll frey seyn!

M e p h i s t o p h e l e s.
Und die Gefahr, der du dich aussezzest? Wisse, dass auf der Stadt noch die Blutschuld liegt, die du auf sie gebracht hast. Dass über der Stätte des Erschlagenen rächende Geister schweben, die auf den rückkehrenden Mörder lauern.

F a u s t.
Noch das von dir! Mord und Todt einer Welt über dich Ungeheuer! Führe mich hin, sag ich dir, und befrey sie!

M e p h i s t o p h e l e s.
Ich führe dich, und was ich tuhn kann, höre! Hab ich alle Macht im Himmel und auf Erden? Des Türners Sinnen will ich umneblen, bemächtige dich der Schlüssel und führe sie heraus mit Menschenhand. Ich wach und halte dir die Zauber Pferde bereit. Das vermag ich.

F a u s t.
Auf und davon!