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B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A

 

 

 

 
Albrecht von Haller
Versuch Schweizerischer Gedichte
 


 






 







X I V .

U e b e r   d e n   U r s p r u n g  
d e s   U e b e l s.


D r i t t e s   B u c h.

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O Wahrheit! sage selbst, du Zeugin der Geschichte!
Wer machte Gottes Zweck und unser Glück zu nichte?
Wer war's, der wider Gott die Geister aufgebracht,
Und uns dem Laster hold, uns selber feind gemacht?

5
Verschieden war der Fall verschiedner Geister Orden:
Der einen Treflichkeit ist ihr Verderben worden,
Die Kenntniß ihres Lichts gebar ihr Finsterniß,
Sie hielten ihre Kraft für von sich selbst gewiß,
Und, voll von ihrem Glanz, verdrüßlich aller Schranken,
10
Mißkennten sie den Gott, dem sie ihn solten danken.
Ihr allzu starker Trieb nach der Vollkommenheit
Ward endlich zum Gefühl der eignen Würdigkeit;
Ihr Stolz fieng an in Haß die Furcht vor Gott zu kehren,
Als ohne den sie selbst der Wesen erste wären.
15
So wich ihr Schwarm von Gott, dem Ursprung seines Lichts,
Ihr Glanz, entlehnt von Gott, fiel bald ins eigne Nichts;
Nichts blieb an ihnen gut. Gott hatten sie verlassen,
Der Liebe wahren Zweck verschwuren sie zu hassen,
Des höchsten Guts Genuß war ewiglich verscherzt,
20
Der Sinn wurd mißvergnügt, des Urtheils Licht geschwärzt.
In ihrem Wesen selbst, worinn sie sich verstiegen,
Fand sich kein inn'rer Quell von stätigem Vergnügen,
Ihr Aufruhr rächte Gott, ihr Hochmuth ward zur Schmach,
Das Böse war gewählt, das Uebel folgte nach;
25
Bis daß Reu ohne Buß, Verzweiflung an dem Heile,
Und Mißgunst ohne Macht den Frevlern ward zum Theile;
Da dort die treue Schaar, die niemals Gott verließ,
In seiner Gegenwart der Geister Paradieß
Und Tag fund ohne Nacht, da ewig hoh und steigend
30
Ihr Stand der Gottheit nah't, und keinen Eckel zeugend
In der Begierd genießt, und im Genuß begehrt
Und ihren Geist mit Licht, das Herz mit Wollust nährt.

Das Uebel, dessen Macht den Himmel konnte mindern,
Fund wenig Widerstand bey Adams schwachen Kindern.
35
Ein stäter Bilder=Kreiß schwebt spielend vor dem Sinn,
Der Welt zur Gegenwart, behält und sendet hin:
Bald hatte Lust und Zier das ernstliche verdrungen,
Der Müh und Tugend Bild schien trocken und gezwungen,
Die Seele hängte sich an Ruh und Lustbarkeit,
40
Der Tugend Kraft nahm ab durch die Abwesenheit;
Auch lockt der Leib zur Lust mit zärtlicher Verbindung,
Bedacht wich dem Genuß, und Kenntniß der Empfindung;
Zudem, was endlich ist kan nicht unfehlbar seyn.
Das Uebel schlich sich auch in uns durch Irrthum ein.
45
Der schwache Geist verlohr der Neigungen Verwaltung,
Wir wendeten in Gift die Mittel der Erhaltung,
Die Triebe der Natur mißkennten Ziel und Maaß,
Bis das, was himmlisch war, sein hoh Geschick vergaß.
Der Schönheit Liebe trieb zu unerlaubten Lüsten,
50
Die Sorg' um Unterhalt zu Haß und bittren Zwisten;
Der Ehre rege Sucht schwoll in den Herzen auf.
Gewissen und Vernunft hemmt zwar des Uebels Lauf,
Doch ihr verhaßter Mund, voll unberedter Lehren,
Behielt allein das Recht, zu tadeln, nicht zu wehren.

55
Wir alle sind verderbt, der allgemeine Gift
Ist beyde Welten durch den Menschen nachgeschift.
Gold, Ehr und Wollust herrscht, so weit der Mensch gebietet,
Und alles, was ein Herz, von diesen schwanger, brütet:
Betrug mit falschem Blick, die Lust an andrer Leid,
60
Verachtung fremden Werths, Verleumdung, Brut vom Neid,
Verführung schwacher Zucht, der Gottesdienst des Bauches,
Fruchtloser Müßiggang, der Hunger eitlen Rauches,
Und so viel Seuchen mehr von denen undurchwühlt,
Kein Herz mehr übrig bleibt, das echte Frucht erzielt.
65
Verschiedene Gestalt bedeckt die Ungeheuer,
Die Kunst der Ehrbarkeit leyht manchen ihren Schleyer,
Wann andrer, die die Scheu mit keiner Larve deckt,
Erbohrne Häßlichkeit die Augen trotzt und schreckt.
Geringer Unterscheid! der auf der Haut nur lieget,
70
Nicht in das innre dringt, und niemand mehr betrieget!
Noch Zeit noch Land, noch Schwang vermag auf die Natur,
Der Quell fliesset stäts, der Auslauf ändert nur.
Vergebens rühmt ein Volk die Unschuld seiner Sitten,
Es ist nur jünger schlimm, und minder weit geschritten:
75
Der Lappen ewig Eiß, wo, allzu tief geneigt,
Die Sonne keinen Reitz zur Ueppigkeit erzeugt,
Schließt nicht die Laster aus, sie sind wie wir hinläßig, 1)
Geil, eitel, geitzig, träg, mißgünstig und gehäßig,
Und was liegt dann daran, bey einem bittren Zwist,
80
Ob Fisch=Fett oder Gold des Zweyspalts Ursach ist?

Der Mensch, der Gott verläßt, erniedrigt sein Geschicke,
Wer von der Tugend weicht, entsaget seinem Glücke:
Die Pflichten sind der Weg, den Gott zur Wohlfahrt giebt,
Ein Herz, wo Laster herrscht, hat nie sich selbst geliebt.
85
Von außen fließt kein Trost, wann uns das inn're quälet,
Uns eckelt der Genuß, so bald die Nothdurft fehlet:
Die Schätze dieser Welt sind nur des Leibes Heil,
Der wahre Mensch, der Geist, nimmt daran keinen Theil.
So bleibt der müde Geist bey falschen Gütern öde,
90
Der Eckel im Genuß entdeckt das inn're Blöde,
Nie froh vom itzigen, stäts wechslend, keinem treu,
Erfährt der Glücklichste, wie nichtig alles sey.
Vergebens übertrift das Schicksal unsre Bitten,
Die Welt hat Philipps Sohn und nicht die Ruh erstritten: 2)
95
Ein Thor rennt nach dem Glück, kein Ziel schließt seine Bahn,
Wo er zu enden meint, fängt er von neuem an.

Doch auch das Schatten=Glück erfreut den Menschen selten,
Weil Gold und Ehre nichts als durch den Vorzug gelten:
Die Güter der Natur sind endlich und gezählt,
100
Die einen werden groß von dem, was andern fehlt:
Ein Sieger wird berühmt durch tausend andrer Leichen,
Und ganzer Dörfer Noth macht einen ein'gen Reichen:
Der Schönen holdes Ja, die einem sich ergiebt,
Verurtheilt die zur Qual, die da, wo er geliebt.
105
Wir streiten in der Welt um diese falschen Güter,
Der Eifer, nicht der Werth, erhitzet die Gemüther;
Wie Kinder (wer ist nicht in einem Stück ein Kind)
Oft um ein streitig Nichts sich in den Haaren sind,
Bald dieß bald jenes siegt, und trotzet mit dem Ballen,
110
Bey keinem bleibt die Lust, und der Verdruß bey allen.
Wir schwitzen, kümmern, flehn, verschwenden Zeit und Blut,
Was wir von Gott erpreßt, ist endlich keinem gut.

So findt man wahre Noth, wo man Vergnügen suchet,
Der Zepter wird so oft, als wie der Pflug, verfluchet.
115
Die Furcht, der Seele Frost, der Flammenstrom, der Zorn,
Die Rachsucht ohne Macht, des Kummers tiefer Dorn,
Die wache Eifersucht, bemüht nach eignem Leide,
Erhitzte Ungedult, der theure Preiß der Freude,
Der Liebe Folter=Bett der öden Stunden Last
120
Beherrschen nicht so stark den Schaub, als den Pallast.
Noch stärker peitscht den Geist das zornige Gewissen,
Noch Macht, noch Haß von Gott befreyt von seinen Bissen;
Sein fürchterlicher Ruf dringt in der Fürsten Saal,
In Gold und Purpur bebt Octaviens Gemahl, 3)
125
Und siehet, wo er geht, so sehr er sucht zu schlafen,
Vor ihm den ofnen Schlund voll unfehlbarer Strafen.

Der Leib, das Meisterstück der körperlichen Pracht,
Folgt seinem Gaste bald, und fühlt des Uebels Macht.
Vollkommen hatt' er einst, geschickt zu Gottes Bilde,
130
Die Unschuld noch zum Arzt, und Einigkeit zum Schilde,
Dem Tode minder nah, und vielleicht frey davon,
Nahm er Theil an der Lust und nimmt itzt Theil am Lohn:
Die Zeit muß seit dem Fall ihr Sandglas gäher stürzen,
Die Mordsucht grub ein Erzt, die kurze Frist zu kürzen,
135
Tod, Schmerz und Krankheit wird ergraben und erschifft,
Und unsre Speise macht der Ueberfluß zum Gift.
Der Sorgen Wurm verzehrt den Balsam unsrer Säfte,
Der Wollust gäher Brand verschwendt des Leibes Kräfte,
Gefaulet, abgenutzt, und nur zum Leiden stark
140
Eilt er zur alten Ruh, und sinket nach dem Sark.

Der Geist von allem fern, womit er sich bethöret,
Sieht sich in einer Welt, wovon ihm nichts gehöret;
Nur geht mit ihm ins Reich der öden Dunkelheit
Ein unerträglich Bild der eignen Häßlichkeit.
145
Gold, Ehre, Wollust, Tand, wornach er sich gesehnet,
Verblendung, Selbstbetrug, worauf er sich gelehnet,
Witz, Ansehn, Wissenschaft, der Eigenliebe Spiel,
Von allem bleibt ihm nichts, als des Verlusts Gefühl.
Der Sachenen Unterscheid ist bey ihm umgedrehet,
150
Er haßt was er geliebt, und ehrt, was er verschmähet,
Und brächte, könnt es seyn, jedweden Augenblick,
Worinn er sich versäumt, mit Jahren Pein zurück.
Die Wahrheit, deren Kraft der Welt Gewühl verhindert,
Findt nichts, das ihr Gefühl in dieser Wüste mindert;
155
Ihr fressend Feu'r durchgräbt das Inn're der Natur,
Und sucht im tiefsten Mark des Uebels mindste Spur.
Das Gute, das versäumt, das Böse, so begangen,
Die Mittel, die verscherzt, sind eitel Folter=Zangen,
Von stäter Nachreu heiß. Er leidet ohne Frist,
160
Weil er gepeiniget, und auch der Henker ist.

O selig jene Schaar, die, von der Welt verachtet,
Der Dinge wahren Werth, und nicht den Wahn betrachtet,
Und treu dem inn'ren Ruf, der sie zum Heile schreckt,
Sich ihre Pflicht zum Ziel von allen Thaten steckt.
165
Gesetzt, daß Welt und Hohn, und Armuth sie mißhandeln,
Wie angenehm wird einst ihr Schicksal sich verwandeln,
Wann dort, beym reinen Licht, ihr Geist sich selbst gefält,
Das überwundne Leid zu seiner Wollust hält,
Und innig hold mit Gott, dem Urbild ihrer Gaben,
170
Sie Gott, das höchste Gut, in stäter Nähe haben.

Indessen ist die Welt, die Gott zu seinem Ruhm,
Und unserm Glücke schuf, des Uebels Eigentum:
In allen Arten ist das Looß des Guten kleiner,
Wo tausend gehn zur Quaal, entrinnt zur Wohlfahrt einer,
175
Und für ein zeitlich Glück, das keiner rein genießt,
Folgt ein unendlich Weh, das keine Ruh beschließt.
O Gott voll Gnad und Recht, darf ein Geschöpfe fragen,
Wie kan mit deiner Huld sich unsre Quaal vertragen?
Vergnügt o Vater dich der Kinder Ungemach?
180
War deine Lieb' erschöpft? war deine Allmacht schwach?
Und konnte keine Welt des Uebels ganz entbehren,
Wie liessest du nicht eh ein ewig Unding währen?

Verborgen sind, o Gott! die Wege deiner Huld,
Was in uns Blindheit ist, ist in dir keine Schuld.
185
Vielleicht, daß dermaleinst die Wahrheit, die ihn peinigt,
Den umgegoßnen Geist durch lange Qualen reinigt,
Und, nun dem Laster feind, durch dessen Frucht gelehrt,
Der Willen, umgewandt, sich ganz zum Guten kehrt:
Daß Gott die späte Reu sich endlich läßt gefallen,
190
Uns alle zu sich zieht, und alles wird in allen. 
4) Dann seine Güte nimmt, auch wann sein Mund uns droht,
Noch Maaß noch Schranken an und hasset unsern Todt.
Vielleicht ersetzt das Glück vollkommener Erwählten
Den minder tiefen Grad der Schmerzen der Gequälten:
195
Vielleicht ist unsre Welt, die wie ein Körnlein Sand
Im Meer der Himmel schwimmt, des Uebels Vaterland;
Die Sterne sind vielleicht ein Sitz verklärter Geister,
Wie hier das Laster herrscht, ist dort die Tugend Meister,
Und dieses Punct der Welt von mindrer Treflichkeit
200
Dient in dem grossen All zu der Vollkommenheit:
Und wir, die wir die Welt im kleinsten Theile kennen,
Urtheilen auf ein Stück, das wir vom Abhang trennen.

Dann Gott hat uns geliebt. Wem ist der Leib bewußt?
Sagt an, was fehlt daran zur Nutzbarkeit und Lust?
205
Seht den Zusammenhang, die Eintracht in den Kräften,
Wie jedes Glied sich schickt zu menschlichen Geschäften,
Wie jeder Theil für sich, und auch für andre sorgt,
Das Herz vom Hirn den Geist, dieß Blut von jenem borgt:
Wie im bequemsten Raum sich alles schicken müssen,
210
Wie aus dem ersten Zweck noch andre Nutzen fliessen,
Der Kreiß=Lauf uns belebt und auch vor Fäulung schützt,
Der ausgebrauchte Theil von uns sich selbst verschwitzt,
Und unser ganzer Bau ein stätes Muster scheinet
Von höchster Wissenschaft, mit höchster Huld vereinet.
215
Soll Gott, der diesen Leib, der Maden Speis' und Wirth,
So väterlich versorgt, so prächtig ausgeziert,
Soll Gott den Menschen selbst, die Seele nicht mehr schätzen?
Dem Leib sein Wohl zum Ziel, dem Geist sein Elend setzen?

Nein, deine Huld, o Gott, ist allzu offenbar,
220
Die ganze Schöpfung legt dein liebend Wesen dar:
Die Huld, die Raben nährt, wird Menschen nicht verstossen,
Wer groß im Kleinen ist, wird grösser seyn im Grossen.

Wer zweifelt dann daran? ein undankbarer Knecht;
Drum werde was du willst, dein Wollen ist gerecht.
225
Noch Unrecht noch Versehn kan vom Allweisen kommen,
Du bist an Macht, an Gnad, an Weißheit ja vollkommen.
Wann unser Geist gestärkt, dereinst dein Licht verträgt
Und sich des Schicksals Buch vor unsre Augen legt,
Wann du der Thaten Grund uns würdigest zu lehren,
230
Dann werden alle dich, o Vater! recht verehren,
Und kündig deines Raths, den blinde Spötter schmähn,
In der Gerechtigkeit nur Gnad und Weißheit sehn.

 
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    1)
Siehe Högströms Beschreibung.
 
    2)
Alexander der Grosse.
 
    3)
Der Kayser Nero.
 
    4)
Obige 4. Verse stehen nicht in der zweyten Auflage.
 
 
 
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