B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Anna Louisa Karschin
1722 -1791
     
   



A u s e r l e s e n e   G e d i c h t e

V e r m i s c h t e   G e d i c h t e

Erstes Buch
Zweytes Buch

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E r s t e s   B u c h

 
An den Prinzen von Preussen,
als von dem Nutzen der Geschichte
gesprochen wurde


Prinz! die Geschichte mahlt den Menschen und den Held,
Den König und die Unterthanen;
Sie lehret dich von Rom, wie unter seine Fahnen
Es niederwarf die ganze Welt;
5
Sie zeigt dir Griechenland die Siegerhand erheben
Und nachbarlichem Volk als Herr Gesetze geben;
Bald aber wiederum durch niedern Geiz empört
Von eignem Volk bekrieget und zerstört;
Und endlich siehest du Rom von dem Throne werfen,
10
Ganz Griechenland zerrissen seyn;
Du siehst der Dinge Wechsel ein,
Um den Verstand in dir zu schärfen.

Stolz, Herrschsucht, Ehrgeiz, Tyranney,
War Ursach von der Thronen Falle.
15
Daß Pyrrhus groß gewesen sey,
Beweisen seine Thaten alle:
Jedoch, um grösser noch zu seyn,
Zog er vor eine Stadt, sprang über ihre Mauer,
Aus Ruhmsucht ward ihm nicht des Würgens Arbeit sauer;
20
Von einem Dache flog ein Stein,
Dem Menschen-Würger ins Genicke,
Aus runzlichter verdorrter Weiberhand;
Er fiel, und starb, verspottet von dem Glücke!

Du aber Hoffnung für das Land,
25
Sey deines Volkes Lust, die Zierde deines Sitzes!
Und wenn dein Nachbar dirs vergönnt;
So führ ein friedlich Regiment,
Das majestätisch ist, ohn die Gewalt des Blitzes,
Der um den König her im Felde schrecklich fährt,
30
Wenn er mit hunderten sich gegen tausend wehrt!

 
Z w e y t e s   B u c h

 
An den jungen Lenz
[um 1761/63.]

Du junger Frühling kommst herab
Vom Schöpfer, um ganz neues Leben
Geschöpfen seiner Hand zu geben.
Das Blumen-Volk verläßt sein Grab,
5
Und mit empor gehobnem Haupte
Beschämt es den, der keinen Gott
Und für sich selbst Vernichtung glaubte.
Der Vogel wiederspricht des Wiedersprechers Spott.
Die Saat mit Millionen Zungen
10
Aus schwarzer Erd herauf gedrungen
Bestätiget, was er gesungen!
Der Linde Blätter lispeln nach;
Die Elbe rauscht und murmelnd spricht der Bach:
«Es ist ein Gott, der laue Winde schickte,
15
Den Schnee zerschmolz, das Eis zerbrach,
Mit jungem Grün das Ufer schmückte
Und diese Sonne scheinen läßt!»
Nach sanft gefallnem Frühlingsregen
Quackt der erweckte Frosch sein Fest,
20
Und Fische scherzen ihr entgegen!
Der Hirt heißt seine Heerde leben!
Sie weidet jugendliches Graß,
Blöckt ihre Freuden laut, und hört ohn Unterlaß
Sich Thal und Hügel Antwort geben!
25
Die Honigträgerin verläßt ihr kleines Haus
Und saugt den Veilchen, wenn sie duften,
Die Süßigkeit des kleinen Kelches aus.
Die Schwalbe kommt aus Sumpf, wie aus verschloßnen Grüften
Einst unsre Leiber neu hervor,
30
Sie baut ihr Haus von Stroh und fetter Erde,
Und schwitzert froh dem Menschen vor,
Daß er auch wieder leben werde!

Hoch in der Wolken lauschend Ohr
Singt mit nie heisch gewordner Kehle
35
Das aufgeschwungne Lerchenchor.

O daß der Jäger sie verfehle!
O daß der Habicht, ihr Tyrann,
Der Räuber in dem Vogelreiche,
Nicht eine hasche! daß die Lerch ihm klug entweiche,
40
Wie vor dem Laster weicht, ein Christ, ein weiser Mann!

 
Begebenheit im Reiche Plutons,
nach der Schlacht bey Torgau
1761.

Im Reich der Schatten ging jüngst ein Gerücht umher:
Daß auf der Welt ein König wär,
Der grösser sey, als alle Helden,
Von deren Thaten uns Plutarche Wunder melden.
5
Der Schatten Maupertuis kommt an und liest ein Buch
Von dieses Helden Thaten voll;
Bald ist er Antonin, bald Mars und bald Apoll,
Und jede Stirn wird Wiederspruch!
Der Schatten von dem Weltbezwinger,
10
Der noch mit nervenlosem Finger
Den Staaten Plutons scheint zu drohn,
Weint neidisch eine Geisterzähre,
Daß auf der Welt ein König wäre,
Der grösser sey, als Philipps Sohn.
15
Achill stampft grimmig mit dem Fusse,
Schwört bey dem Styx, daß ihnen zum Verdrusse
Der größre Held erdichtet sey:
"Groß, schwört er, war nur ich, groß war nur Alexander!"
Indem er schwört, entsteht ein gräßliches Geschrey,
20
Die Helden fliegen auseinander,
Gehn dem Getümmel nach, und stehen lauter Ohr,
Zu hören, was zehntausend Schatten sprechen,
Zehntausend ziehen ihn nun allen Helden vor,
Zehntausend wollen sich nicht an den Sieger rächen,
25
Von Torgau kommen sie, die armen Schatten, her.
Starr steht nun Philipps Sohn, nun stampft Achill nicht mehr.

 
Das Harz-Moos,
als Herr Dohmdechant Freyherr Spiegel
zum Diesenberg etwas Moos vom
Harzgebürge mitgebracht hatte

(Zu Halberstadt den 10ten des Weinmonaths 1761.)

Gott zeigt in seiner Schöpfung-Werke,
Sich über unserm Haupt, sich auf der Erde groß;
Er gab der Sonne Glut, er gab dem Löwen Stärke,
Und bildete das kleinste Moos,
5
Das an dem Harzberg wächst, fein zweigigt wie Cypresse,
Voll kleiner Knospen, untersprengt
Mit etwas Röthe, so, wie junger Mädchen Blässe
Im Antlitz sich mit roth vermengt,
Wenn sie der Jüngling angeblicket;
10
Die Flur, der Garten und der Wald
Und selbst die Hügel sind geschmücket.
Doch andre Blumen sterben bald,
Das fein gebaute Moos bleibt, wenn sie schon gestorben,
Tief unter Schnee noch unverdorben.
15
Wie ähnlich ist es mir! tief lag ich unter Gram
Viel schwere Jahre lang, und als mein Winter kam,
Da stand ich unverwelkt und fieng erst an zu grünen.
Ich muste, wie das Moos, dem Glück zum weichen Tritt,
Dem Thoren zur Verachtung dienen.
20
Einst sterb ich! Doch mein Lied geht nicht zum Grabe mit!

 
An Gleminden,
nach einem Ungewitter.

Nicht von den Flügeln starker Winde
Heraufgebracht, kam es daher
Das Ungewitter, o Gleminde!
Es wälzte sich herauf, so fürchterlich, so schwer,
5
Als wenn in grossen Menschenkriegen,
Zwey Heere langsam ziehn, itzt an einander stehn,
Und Kugeln durch die Luft mit Feuerflügeln gehn;
So brüllten Donner fort! die Vögel alle schwiegen,
Die Nachtigallen krochen tief
10
In dunkler Hecken Laub, und keine Wachtel rief
Der andern zärtlich zu, in Furchen, wo der Weizen
Den Mund hatt' aufgethan, um Regen einzugeizen.
Dem Schäfer, der im Schatten schlief,
Fuhr Schrecken in das Ohr, und in die Brust. Er hörte
15
Das Brausen in dem Wolkenzug.
Dem Pflüger sank die Hand an seinem schweren Pflug:
Und in der Städte Zimmer stöhrte
Das Wetter Gastmahl, Tanz, und Spiel.
Der Muth zur Uebelthat entfiel
20
Dem Sünder, der sie itzt versteckt begehen wollte;
Denn hohl, und unaufhörlich rollte
Des Donners schreckliche Gewalt.
Dir aber, Freundin, ward das Herz nicht schauerkalt,
Du danktest einem Gott, der groß in Ungewittern
25
Nach dürrer Luft, und dürrer Zeit
Kommt, seinen Erdkreiß zu erschüttern,
Hervorzubringen Fruchtbarkeit.