B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Anna Louisa Karschin
1722 -1791
     
   



G e d i c h t e

N a c h   d e r   D i c h t e r i n   T o d e
n e b s t   i h r e m   L e b e n s l a u f f
H e r a u s g e g e b e n   v o n   I h r e r   T o c h t e r
C .   L .   v .   K l [ e n k e ]   g e b :   K a r s c h i n ,
B e r l i n   1 7 9 2


G e d i c h t e .

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An die Muse,
daß sie den Abend
der großen Illumination singen solle.

Den 4. April 1763.

Die du das Feld des Krieges überflogest,
Durch Schwefelduft und Kugelregen drangst,
Zum Sieger, und mit ihm durch Ehrenpforten zogest,
Und seines Einzugs Jubel sangst,
5
O Muse! singe nun auch kühn den stolzen Abend,
Der von des Sturmwinds Flügeln loß,
Den Sternenmantel um sich habend,
Herabsah, auf Berlin, das seinen König groß,
Und seinen Frieden ewig nannte,
10
Und, von der Kunst beflammt, den Sphären ähnlich brannte,
Ganz ähnlich jenem Pomp der prächtigen Natur.

Hast du sie nachgezählt, die hundert tausend Flammen,
Durch deren Glanz der Sieger fuhr?
Sanftlächelnd, wie sein Gott, wenn, auf der Weizen-Flur
15
Von tausend Schnittern froh zusammen
Die Stimmen mischen sich in ein harmonisch Lied,
Und jeder Busen dankbar glüht!
Und jeder Blick emporgehoben,
Den Erndtegeber wünscht zu sehen und zu loben,
20
Und seiner Güte Bild weit ausgebreitet sieht:

So ausgebreitet, also mächtig fortgerissen,
Drang Freude sich von Brust zu Brust;
Es staunte, trunken von des Patrioten Lust,
Das Auge, wenn den Hercul der beschützten Preussen,
25
Des Amphitrions Sohn mißgünstig vor sich sah,
Wild, trozend, stand das Bild des Stierbekämpfers da,
Und schwang, mit Riesenarm die knotenreiche Keule;
Du glaubtest, daß der Schlag geschah,
Und bebtest vor dem Zungenpfeile
30
Des siebenköpfigen, gekrümmten, schlangengleich
Geformten Thieres, das ihm drohte,
Und größer wuchs nach jedem Streich;
O! dich erschreckte selbst die todte
Giftlose Hyder, an dem Fuß
35
Des Halbgotts, der sich tief verbeugen
Vor Friedrichs Göttergröße muß.

Wenn Malerei und Dichtkunst schweigen;
So redet von dem Vater mehr, als von dem Held,
Sein Landvolk, das ein ödes Feld
40
Nun wieder tief in Furchen ziehet;
Aus Vorrathshäusern Korn empfängt;
Und Hütten, die der Feind versengt,
Aus ihrer Asche steigen siehet.
Ihm tönet Lob der Mildigkeit
45
Erhabner, aus der Kinder Munde,
Als Siegsgesänge, nach dem Streit,
Der jedes Lorbeerblatt erkauft mit einer Wunde
Des Königlichen Herzens hat.

O Muse! hörst du nicht das arme Volk der Stadt?
50
Es jauchzt, und tanzt umher, mit heiterm Angesichte,
Und feiert über seinem Hunger großen Sieg,
Preißt den Geschmack der Friedensfrüchte,
Und tilget jeglichen Gedanken an den Krieg
Mit dem Gedanken seiner Freude,
55
Den göttlich Sorgenden zu sehn;
Der seine Feinde zwang, die Herzen umzudrehn;
Und Sieg vergaß, und frug, ob schweren Mangel leide
Sein Volk, bey dessen Zärtlichkeit
Sein großes Herz sich mehr erfreut,
60
Als wenn Berlin, dem Ueberwinder, und dem Frieden
Colossen aufgebaut, und mit der Lampen Pracht,
Auf weißen Marmorpyramiden,
Dreimal den Mond beschämt gemacht.

 
An den Phöbus.
Den 27. Oct. 1763.

Du lächelst, Phöbus! diese nackten Rümpfe
Der hingestreckten Blumenstengel an,
Willst du den Weinstock küssen, der die Nymphe
Nicht mehr vor dir verstecken kann?

5
Soll in bedorrter Zweige Wurzel dringen
Dein warmer Blick, dem Winter zum Verdruß,
Daß tausendblättrig seine Reize bringen
Der Rosenstock zu Kränzen muß?

Nein, zu gewaltig wirst du hingerissen
10
Von jener Phillis. Großer Phöbus! glüh'
Vergebens, ihrer Lippen Pracht zu küssen:
Der Hirt Alexis küsset sie.

 
An den Herrn Kanonikus Gleim.
Halberstadt, den 29. September 1761.

Sie eilt, wir müssen sie haschen
O Freund, die fliehende Zeit,
Komm zum befruchteten Garten,
Der Herbst hat Freuden für uns.

5
Brich diese lockende Aepfel:
Sie lächeln unter dem Laub,
Wie Wangen blühender Mädchen,
Für Dich gereifet, hervor.

Die schlanken, neidischen Aeste,
10
Für Deine Griffe zu hoch;
Hilf mit dem hüpfenden Fuße
Der Hand, und pflücke die Frucht.

Du hast sie. Lohnender Arbeit
Verrichtung nennen wir Lust.
15
Wie viel bestrebten sich Hände
Nach Deinem Herzen umsonst!

Sieh diesen höckrigten Apfel:
Wie seine Brüder geblüht
Hat er in währender Bildung,
20
Und dennoch ward er ein Zwerg.

In seinem Fleische genähret
Ward der fortfressende Wurm:
So wächst mit kommenden Tagen
Im Knaben Bosheit herauf,

25
Der nicht vom Hauche des Lebens,
Als ein kaum werdender Mensch,
Zu großen schönen Gedanken
Beseelt geworden, wie Du.

Sieh der hartschäligen Nüsse
30
Herunterfallen vom Baum:
Ihn zwingt der schlagende Jüngling,
Sonst würf er keine herab.

So schließt der Geizige treulich
Ans Herz gesammeltes Gold,
35
Verschließt die kargende Rechte
Dem Armen, welcher ihn fleht.

Darbt im Besitze des Reichthums,
Schmeckt nie den köstlichen Wein,
Und nie den süßeren Nektar
40
Der Freundschaft, die er nicht fühlt.

Laß ihm die magere Wollust.
Er ruh auf todtem Metall:
Wir, in der deckenden Laube,
Beneiden Könige nicht.

45
Genieß mit Augen des Geizes
Das bald hinsterbende Grün
Im Garten unter den Bäumen.
Schon macht der nächtliche Reif

Die Blätter alle zu Kranken:
50
So reißt die mächtige Zeit,
Und ein durchdringendes Fieber
Den Reiz vom Menschen dahin.

Spät in dem Sommer des Lebens
Sind wir, sie fliehen zu schnell
55
Die Stunden, brauche sie frölich,
Uns macht das Alter zu Eis.

 
An eine Dichterin,
welche das Klavier spielte.
1767.

Des Jovis, der Latona Sohn
Hat mir ein Saitenspiel gegeben;
Du aber kannst im süßen Ton
Die Stimme zum Gesang erheben.

5
Dein Finger hüpfet wie der West,
Der an dem schönsten Tag des Mayen
In jugendliche Blumen bläst,
Die Deines Lieblings Blick erfreuen.

Hör auf, geliebte Zauberin!
10
Hör auf zu singen und zu spielen;
Ich brenne, da ich weiblich bin,
Was wird nicht dieser Jüngling fühlen,

Der über Deine Schultern sieht,
Bald Deinen weißen Hals betrachtet
15
Bald dieses Auge, welches glüht
Und redet, und im Sprechen schmachtet?

Hör auf, o Mädchen! jeder Schlag
Dringt tiefer in des Jünglings Busen,
Und das, was Dein Klavier vermag,
20
Vermag kaum eine von den Musen.

 
Das Lob des Essens.
An Quintus Icilius.
1764.

Das Lob des Rebensaftes ward
Von keinem Dichter je vergessen,
Doch keiner sang mit gleicher Art
Das Lob vom guten Essen.

5
O, wenn wir von dem Hunger stark
Getrieben sind zum vollen Tische,
Erregt alsdann des Rindes Mark,
Der Brustkern, und die Fische,

Das Feldhuhn, oder von dem Reh
10
Der wohlgebratne zarte Rücken,
Und selbst der Hummer aus der See,
Dem Gaumen kein Entzücken?

Wie? wäre nicht aus Calekut
Der Hahn, und eines Hammels Lende
15
So liederwerth, als Traubenblut,
Das ich vortrefflich fände?

Sprich, Quintus! wenn Du müd und matt
Ins Lager kamst von Kriegesthaten,
Wie reizte Dich das Schulterblatt
20
Des Ebers frisch gebraten!

Mit welcher Wollust des Geschmacks
Verzehrtest Du, statt der Melonen
Und Pfirsichen, den trocknen Lachs
Beträufelt von Citronen!

25
Und wenn Dir noch anjezt Cothen
Nichts darf verbieten, nichts befehlen,
Siehst Du mit Lust die Schüsseln stehn
Und lobst sie vor Pokälen.

 
Ueber die Begierde des Säuglings.
1764.

Ob Weizen reift zu Semmel oder Kuchen,
Darüber sorgt der Säugling nicht,
Der einen Busen weiß zu suchen,
Und lallend mit der Amme spricht.

5
Er bittet nicht um Regen oder helle
Vom Lerchenchor durchsungne Luft,
Wenn selbst die halbversiegte Quelle
Zum Jupiter um Nässe ruft,

Er kennet keine Güter, des Bestrebens,
10
Des Wunsches seiner Seele werth,
Ihm ist das ganze Glück des Lebens
Die volle Brust, die ihn ernährt.

Nach ihr verlangt er heißer als die Schaaren
Der Römer bey dem Marc Anton
15
Nach Wasser, als sie schmachtend waren,
Und kämpfend vor den Parther flohn.

An diese Brust fällt er mit größerm Geize
Als ein verliebter Jünglingsmund
An Lippen, die durch ihre Reize
20
Sein junges Herze machten wund.

Und wenn er nun dies erste Glück verlieret
Und seinen ersten Kummer weint,
Wird seine Mutter tief gerühret,
Mit ihm zur Traurigkeit vereint.

25
Es dünkt ihr hart, den Säugling so zu quälen,
Und doch ists ein nothwendig Muß:
So weislich läßt der Himmel fehlen
Uns Größern oft den Ueberfluß.

Er thät es nie, wenn nicht Sein Auge wüßte,
30
Was jedem Menschen nützlich sey,
Er nimmt die Nahrung unsrer Lüste
Und legt uns etwas Beßres bey.

 
Trostgesang für Neu-Ruppin
bey den Ruinen.
Am 31sten August 1787.

Blick auf! blick auf von deinem Aschenhügel,
Hinauf zum Herrn, den keiner fragen darf,
Warum er schnell durch seines Sturmwinds Flügel
In deinen Kranz den Feuerwirbel warf?

5
Im vollen Schmuck sah dich der Mittag schimmern,
Und traurig sah die Abendsonne sich
Noch einmal um, du lagst bei deinen Trümmern
Verhüllt in Dampf, und weintest bitterlich.

Gott hört die Brut verlaßner Waldesnester,
10
Er hört nach Brod auch deine Kinder schreyn;
Er haucht in deine königliche Schwester,
In sein Berlin, den Geist des Mitleids ein.

Blick auf! und schau dahin nach jener Seite,
Da kam der Sturm, gewaltig wie das Meer,
15
Und stürzte dich zum Staub herab, und heute
Kömmt wie vom Himmel Trost für dich daher.

Da kommen Wagen dir so vollgehäufet, 1)
Wie Wagen, die das Erndtevolk regiert,
Wenns Weizen, den die Sonnenglut gereifet,
20
Mit Lobgesang ins frohe Dörfchen führt.

Die Männer und die Frauen frommer Sitte
Die theilten ihren Kleiderschrank mit dir,
Vom Pallast an bis zu der kleinsten Hütte
Herrscht Thätigkeit für deine Hülfbegier.

25
Kaum kann der Mai mehr auszuschütteln haben,
Wenn ihn die Zeit sein Füllhorn schwingen läßt;
Kaum giebt der Herbst uns mehr Erquickungsgaben,
Als dir Berlin zum süßen Labefest.

Im Umfang ihrer Mauern wohnet keiner,
30
Der nicht für dich zum Wohlthun ward gerühet;
Die Nation gedenkt auch thätig deiner,
Die mächtig aus Egypten ward geführt. - 2)

Nimm was da kömmt, und eile Dank zu sagen
(Im Tempel, den die Flamme nicht berührt)
35
Der Vaterhand, die dich so hart geschlagen,
Und dir zum Heil die Herzen jezt regiert.

Sie hats der Flamme, hats dem Sturm geboten;
Bis hieher und nicht weiter sollt ihr gehn,
Sie heißt im Glanz, wie auferweckte Todten,
40
Die Häuser und die Tempel neu entstehn.

Du wirst es sehn, wirst nicht die Hand verkennen,
Wenn höher dich dein König hebt empor;
Dann werden dich die Schwestern schöner nennen,
Und seliger dich preisen wie zuvor.

45
Sie seufzen alle mit in deine Klagen,
Und stellen einen edlen Wettlauf an,
Dir wie auf Windesflügeln zuzutragen
Trost, der dich wieder freudig machen kann.
 
1)
Es ist bekannt, wie wetteifernd das Mitleid der Berliner
sich gegen die verunglückten Ruppiner verhielt;
nicht allein die Großen und Edlen, sondern auch die
armen Dienstboten trugen zur Unterstützung bei,
und wol niemals sahe man die angeborne Güte
des menschlichen Herzens so allgemein,
als bei dieser traurigen Gelegenheit.
 
2)
Die löbliche Judenschaft.

 
Lob der schwarzen Kirschen.
1764.

Des Weinstocks Saftgewächse ward
Von tausend Dichtern laut erhoben;
Warum will denn nach Sängerart
Kein Mensch die Kirsche loben?

5
O die karfunkelfarbne Frucht
In reifer Schönheit ward vor diesen
Unfehlbar von der Frau versucht,
Die Milton hat gepriesen.

Kein Apfel reizet so den Gaum
10
Und löschet so des Durstes Flammen;
Er mag gleich vom Chineser-Baum
In ächter Abkunft stammen.

Der ausgekochte Kirschensaft
Giebt aller Sommersuppen beste,
15
Verleiht der Leber neue Kraft
Und kühlt der Adern Aeste;

Und wem das schreckliche Verboth
Des Arztes jeden Wein geraubet,
Der misch ihn mit der Kirsche roth
20
Dann ist er ihm erlaubet;

Und wäre seine Lunge wund,
Und seine ganze Brust durchgraben:
So darf sich doch sein matter Mund
Mit diesem Tranke laben.

25
Wenn ich den goldnen Rheinstrandwein
Und silbernen Champagner meide,
Dann Freunde mischt mir Kirschblut drein
Zur Aug- und Zungenweide:

Dann werd' ich eben so verführt,
30
Als Eva, die den Baum betrachtet,
So schön gewachsen und geziert,
Und nach der Frucht geschmachtet.

Ich trink und rufe dreymal hoch!
Ihr Dichter singt im Ernst und Scherze
35
Zu oft die Rose, singet doch
Einmal der Kirschen Schwärze!

 
An Gott
Bey dem Ausruf des Friedens.
Den 5. März 1763.

Was hör ich? rauschen goldne Flügel?
Posaunet in zertheilter Luft
Ein Seraph, welcher über alle Grabeshügel
Daher fährt, und die Todten ruft?

5
Was reisset mich empor? Ich fühle
Den nahen Himmel; bin ich schon
Hoch über der Gebürge Gipfel, über Stühle
Der Zepterführer weggeflohn?

Hör ich, Du Gott der Erdengötter
10
Dich loben durch den ganzen Raum
Der neuen Schöpfung, selbst von Deines Glanzes Spötter,
Der Deine Wunder nannte Traum?

Erblick ich Myriaden Sterne
Um Deines Sonnesthrones Fuß?
15
Hellleuchtend, daß davor ich zitternd in der Ferne
Mein Angesicht bedecken muß?

Horch ich erstaunt dem hohen Liede,
Der Sänger Deines Namens zu?
Gott, welch ein Saytenspiel! es tönet Friede! Friede!
20
Und Kronengeber, den giebst Du!!

Du lässest Deinem Volke wieder
Die Ruhe schmecken, rufest laut
Uns aus dem Schmerzensschlaf zum Jubel neuer Lieder
Bei den Altären, Dir gebaut.

25
Wir lagen, gleich den Blumenstengeln,
Wenn sie der Nordost niederbeugt;
Du hebst uns auf, und hörst dein Lob von allen Engeln,
Wenn unsre stumme Freude schweigt.