B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Anna Louisa Karschin
1722 -1791
     
   



G e d i c h t e

N a c h   d e r   D i c h t e r i n   T o d e
n e b s t   i h r e m   L e b e n s l a u f f
H e r a u s g e g e b e n   v o n   I h r e r   T o c h t e r
C .   L .   v .   K l [ e n k e ]   g e b :   K a r s c h i n ,
B e r l i n   1 7 9 2


E p i s t e l n   u n d
E r z ä h l u n g e n .


__________________________________________

 
An Se. Hochfürstl. Durchlaucht
den Herzog Ferdinand
von Braunschweig-Lüneburg
1771.

Wenn Dir, empfindungsvoller Held!
Ein dankbar Herz in meinem Liede
Mehr als die hohe Kunst gefällt,
O dann wird mir Dein Ohr nicht müde,
5
Dann ist es meinem Saitenspiel erlaubt,
Ohn' Unterlaß Dir vorzutönen,
Und niemals schüttelst Du Dein lorbeerreiches Haupt,
Ob Du gleich von den Musensöhnen
In Pindars Ton besungen bist,
10
Und ich im Ton des kleinen Vogels singe,
Der, wenn der Tag erwacht, schon in den Lüften ist,
Damit er dem ein Opfer bringe,
Durch dessen Einfluß die Natur
Der Menschen und der Lerchen Speise
15
Hervorbringt auf der Weizenflur.
O Dir gefällt auch dieser leise
Stets wiederholte Lobgesang,
Du hörst ihn oftmals Tagelang
Im Erndtemond, wenn Dich die Rebenlaube decket
20
In Deinem Garren, wo der selbstgepflanzte Kohl
Vor Deinen Augen wächst und Dir so köstlich schmecket,
Als jenem Römer, den in's hohe Capitol
Der Siegeswagen trug, die Rübe schmecken mochte,
Die er zur Friedenszeit sich selbst am Heerde kochte.

25
Mein Geist belauschet Dich, erhabner Ferdinand!
Er siehet Dich Dein ländlich Haus bewohnen,
Du fütterst Du mit eigner Hand
Die Hühner die Dir durch ihr freundlich Kirren lohnen,
Und Ceres sieht Dir lächelnd zu.
30
Kein Augur, der zu Rom die heiligen Hühner speiste,
Gefiel der Göttin so wie Du,
Denn keiner war von solchem Geiste,
So tapfer und zugleich so sanft und angenehm.
Und könnt' ich selber so bequem
35
Als wie mein Geist die Luft durchwandern,
Dann käm ich oft Dir zuzusehn.
Herr, Deine Mäßigung fehlt vielen Alexandern,
Die Thaten, welche schon von Ihnen sind geschehn,
Nicht achten, und höchst unzufrieden leben,
40
Weil sie der Welt von sich nichts mehr zu reden geben.

 
An Ebendesselben
Hochfürstl. Durchlaucht.

Den 19. October 1773.

Durchlauchter Fels, der ehemals den Wogen
Des Krieges mächtig widerstand,
Warum ist Dir nicht jüngst die Muse zugeflogen,
Als sie den bittern Schimpf empfand,
5
Den König Friedrichs Kammerknechte
Ihr höhnisch lachend angethan.
Ich schrieb an Ihn und sprach: daß Er bedenken möchte,
Wie zehnmal schon auf seiner Bahn
Sich Phöbus umgewandt, seitdem mir Friedrich sagte
10
Er wollte mein Versorger seyn.
Ich hatte Recht, daß ich Ihn zu erinnern wagte,
Er aber schätzt die Deutschen klein.
Man siegelte auf Sein Befehlen
Zwo ganze Friedrichsthaler ein,
15
Und wollt' es öffentlich erzählen,
Indem man auf den Umschlag schrieb:
«Zwey Thaler zum genädigen Geschenke
Für Deutschlands Dichterin.» Dies that man, wie ich denke,
Aus eignem schadenfreuden Trieb.
20
Ich faßte kurzen Schluß; ich lächelte catonisch
Auf dies Geschenk herab, und schrieb
Mit kaltem Blute ganz laconisch,
Weil mir nichts weiter übrig blieb:

«Zwei Thaler giebt kein großer König;
25
Ein solch Geschenk vergrößert nicht mein Glück,
Nein, es erniedrigt mich ein wenig,
Drum geb ich es zurück.
A. L. K.»

So sprach ich, und so mußt' ich sprechen,
30
Und siegelte die Thaler ein,
Und sandte sie zurück, und will sich Friedrich rächen,
So mag Er Dir an Großmuth ähnlich seyn
Und mir ein Jahrgeschenke geben.
Er sündigte bei Seinem Leben
35
An Seiner eignen Ehre durch die That,
Und ich betrug mich, wie ich sollte,
Für mich war gar kein andrer Rath.
Denn wenn ich dies Geschenk behalten wollte,
Mit solcher niedern Art gesandt,
40
Alsdann verdient' ich künftig nimmer
Die Ehre, daß der große Ferdinand
Sich meiner kühnen Sangart immer
Mit günstiglichem Auge neigt.
Ich folgte einem meiner Freunde,
45
Der ehrlich denkt und ehrlich sich bezeigt,
Und schrieb dem Könige, der tausend neue Feinde
Mit tausend neuen Dörfern sich erstrebt.

Der Freund hat's gut gemeint, indem Er mich belebt,
Den König an Sein Wort zu denken
50
Nach zehn verflogner Jahre Frist,
Und ich bin ohne Philosophengründe
So ruhig wie ein Weiser ist.
Rings um mich her blick ich und finde
Viel Tausend mir an Glück nicht gleich,
55
Und auch nicht gleich an Ruhm und Würde.
Hab ich nicht eine Goldesbürde,
So bin ich doch an Briefen reich,
Die mir mein göttlichgroßer Gönner,
Held Ferdinand von Herzen zugeschickt,
60
Und stolzer bin ich drauf, als Weiber auf die Männer,
Die sie mit Steinchen ausgeschmückt
Und ihnen Titeldunst gegeben -
Ich brüste mich mit ganz erhabnem Geist,
So oft der Held, für den noch jezt die Franzen beben,
65
Mich «Seine liebe Karschin» heißt.

 
Aufforderung an die Dichterin
von Herrn Doktor Krünitz.

(Als in Sanssouci der König mit ihr gesprochen hatte.)
Den 24. Okt. 1763.

Zu lange miedest Du, o Sappho! dieses Zimmer;
Verwöhnt an Sanssouci, verblend't von Königs Schimmer!
Monarch klingt zwar sehr schön; doch nicht so schön als: Freund;
Dein warten Blatt und Kiel; schreib, wie's Dein Herze meynt!

 
Antwort der Dichterin.
Geschichte der Unterredung mit dem
Philosophen zu Sanssouci.
[vgl. dazu den Brief an Gleim vom 15. August 1763]

Freund, wenn mir vor dem Schritt zum Leben
Nicht von der gütigen Natur
Schon ein Befehl zur Demuth ward gegeben,
Dann würd ich kleine Creatur
5
Mit innerm Stolz mich doch erheben,
Und Dir erzählen, daß in Friedrichs Marmor-Saal
Mein falticht Antlitz sich bespiegelt,
Und aus der Brust das Herz beflügelt
Auf meine Lippen trat, und meiner Worte Wahl
10
Und den Accent geregelt hätte,
Indem der König mit mir redte,
Der größre Redekunst besitzt,
Als Marc Anton, der vor dem Volke
Des Cäsars Mörder bald verklaget, bald beschützt.
15
Er kam, und über Ihm in einer goldnen Wolke
Sah ich den schwebenden Apoll.
Er sprach, und in mein Ohr erscholl
Mit Seiner schnell gesprochnen Frage
Der Donner Jupiters, und Seines Auges Blick
20
War wie der Blitz am Erndtetage:
Doch, Freund! ich staunte nicht zurück.

Ich sagte, welcher Mann mich zeugte,
Und welcher Staub mich niederbeugte;
Wie mein Genie herauf gestrebt,
25
In welchem Dunkel ich der Jugend Zeit verlebt,
Und daß ich nicht der Kunst geschriebne Regeln wüßte;
Und daß mein Liebling, der Plutarch,
Oft einen finstern Blick von mir vertragen müßte,
Denn in ihm fänd ich nie den Sieger, den Monarch,
30
Den Mensch und Philosoph vereinet,
Ob Alexander gleich gesieget und geweinet,
Und Cäsar selbst zufrieden schien,
Wenn er jedweden Tag bezeichnet mit Verschonen,
Und einem Brutus selbst verziehn,
35
Der mit dem Dolch ihn wollte lohnen,
Doch fänd ich auf der Griechen Thronen,
Und auf der Römer Kampfplatz nichts
Vergleichendes mit dem, der Seines Angesichts
In Winterlüften nicht geschonet,
40
Und wenn der Lenz geblüht das Kriegeszelt bewohnet,
Von Freuden und vom Throne fern.
Und mehr den Vater als den Herrn
Zurückgebracht aus so viel Schlachten.
Er frug: wer lehrte dich Gesang?
45
Wer unterwies dich in Apollens Saytenzwang?

Held! sprach ich, die Natur und Deine Siege machten
Mich ohne Kunst zur Dichterin.
Er lächelte, und wollte wissen
Woher ich Nahrung nähm; da sagt' ich: Freunde müssen
50
Mich nähren, täglich geh ich hin
Zum niemals stolzen Stahl, der stets mich gerne siehet,
Und eine zweyte Sängerin
In meiner Tochter Dir erziehet.
Ich sprach's, und Friedrichs Blick schien meinen Freund zu loben.
55
Nach meiner Wohnung frug er mich.
Monarch! sprach ich, die Sterne gränzen nachbarlich
Mit meinem Winkel unterm Dache hoch erhoben,
Wenn Du nicht zürntest, würd' ich Dich
Kniebeugend bitten, daß Du meine Kammer dächtest,
60
Wie einen Winkel der Bastille zu Paris,
In welche Ludewig viel Menschen bringen ließ,
Die Du als Krieger brauchen möchtest,
Weil sie oft tapfer sind und treu.
Der König lachte laut, und ich, beherzt und frey
65
Wie eine Römerin, ich zog der Stirne Falten
Sanft aus einander, lachte so
Wie einer, den ein Brett hat in dem Meer erhalten,
Und izt die Sonne sieht, und ihren Strahlen froh
Entgegen blickt und vor Entzücken
70
Das Lächeln auf der Lippe trägt,
Wenn ihm das Herz so laut, als mir das meine, schlägt.
Und er mit Worten sich nicht halb weiß auszudrücken.
Des Vaterlandes Vater sprach
Zulezt: Er würde mir das Leben sorglos machen,
75
Und alle Musen sprachens nach;
Und Grazien sah ich in seinem Munde lachen,
Der tausendmal Befehle rief
Zum Angriff oder zum Verschonen eines Heeres,
Das ganz zerstreut in Wälder lief,
80
Und fiel, wie stolzgeschwollne Wellen eines Meeres,
Dem Zeus mit seinem Finger droht.

Ich ging zurück; o Freund! nun glühte Purpurroth
Auf meiner sonst so blassen Wange;
Mich grüßte Lentulus und ihn
85
Hab ich verwirrt gedankt, ich taumelte, ich schien
Den trunknen Menschen gleich im Reden und im Gange;
Und dennoch schwör ich dir beym heiligsten Gesange:
Wenn Friedrich mir von Cedernholz
Ein Haus durch Künstler bauen ließe,
90
Doch würde nicht dadurch der Sappho Seele stolz,
Denn ihr ist nur die Freundschaft süße.

 
An die Königl.
Hof-Bauadministration

wegen ein paar geschenkter
eiserner Spahröfen.

1791.

Verzeihung von der Königlichen
Administration, bitt' ich,
Weil mancher Tag schon fortgewichen,
Und auch des Winters Länge sich
5
So nach und nach hinweg geschlichen,
Eh die dankbare Karschin sich
Mit großem Dank hat abgefunden
Für ein paar Oefchen, ihr geschenkt.
Sie zählte gar viel kranke Stunden,
10
War halb schon aus der Welt gelenkt
In andre nicht bekannte Welten,
Wo man Bestrafung und Vergelten
Für gut' und böse That empfängt -
Wär nicht mein Geist von seltner Stärke,
15
Er wäre längst hinweggedrängt,
Denn schwach sind nur die Außenwerke,
Sie werden wahrlich keinen Schmaus
Für irgend einen Grabwurm geben,
Man trägt nur Haut und Bein ins finstre Leichenhaus.
20
Ich denk es ohne grauses Beben.
Warum sollt ich betrübt ein Achgeschrey erheben
Beim Anblick meines Bleichgesichts?
Kalt ist das Grab, davon empfindet nichts
Das Wesen, welches in mir denket,
25
Sein Feuer widersprichts -
Und daß sich's dermaleinst an Lethens Ufer tränket;
Dieß glaube wer da mag und kann,
Ich nehme diesen Wahn nicht an,
Weil ich durchaus nicht will vergessen,
30
Was mir hienieden Guts geschehn;
Weil ich auch dort noch will ermessen,
Welch Auge mich hier gern gesehn,
Und welche Hand mirs leichter machte
Zu wallen auf dem Lebenspfad,
35
Wo oft mein Fuß auf Dornen trat -
Selbst da der beste König dachte,
Daß meine Laufbahn bis ans Ziel,
Nun Rosen ohne Dornen brachte,
Denn so befahls Sein Königlich Gefühl -
40
Wie der Befehl ward ausgerichtet,
Ist Jedermann zur Augenschau,
Der auf der neuen Brücke Bau
Die Sphinx betrachtet, die erdichtet
Von großen Fabeldichtern ward.
45
Er darf nur rechter Hand sich drehen,
Da wird er mit Verwundrungsart
Das Eckchen meines Hauses sehen -
Das ein recht hochgewachsner Mann,
Wie weiland Potsdams Gardemänner,
50
Mit seinem Arm umspannen kann.
Indessen lad' ich meine Gönner
Und Gönnerinnen freundlich ein,
Nicht auf sechs Schüsseln, nicht auf Wein:
Nein, meine Wohnung nur zu schauen,
55
Lad ich Sie ein,
Und kann's Euch schwören mit Vertrauen,
Daß ihre Niedlichkeit Sie reizt,
So wahr mit wenig Glut das Eisenöfchen heizt.

 
Der Liebhaberhut.
Eine wirkliche Begebenheit.

In einer weltbekannten Stadt,
Die rare Kaufmannswaaren
Und wunderschöne Weiber hat,
Kam schnell ein Mann gefahren,
5
Eh sich's sein Weibchen vorgestellt,
Und voller Furcht und Schrecken
Entwich ihr junger Liebesheld;
Ach aber zum Entdecken
Der Heimlichkeit gab's viel Gefahr,
10
Weil er, zu sehr getrieben,
Rasch aus dem Fenster sprang, so war
Sein Hut noch da geblieben,
Lag auf dem Tischchen unverhüllt,
Viel Argwohn zu erregen,
15
Doch sie, mit Weiberlist erfüllt,
Springt schlau dem Mann entgegen,
Und ruft: Willkommen, süßer Mann!
Du sollst den Hut probieren,
Ein Trödelweib bot mir ihn an;
20
Er ist mit goldnen Schnüren
Reich eingefaßt und noch ganz neu,
Und ward aus Noth vergeudet. -
Dem Mann gefällt die Schmeichelei,
Er küßt das Weib und leidet
25
Daß sie auf sein Tuppe den Hut
Im Puderhaare drücket,
Ruft selber aus: er läßt mir gut!
Und dankt ihr halb entzücket,
Indem sein Aug' im Spiegel gafft,
30
Den Zierrath seines Kopfes,
Den sie ihm heimlich angeschafft. -
Sie lacht des armen Tropfes
Sehr oft auf ihres Lieblings Schooß,
Und spricht mit losem Muthe:
35
Mein Schatz! wir kamen wohlfeil los
Mit dem vergeßnen Hute.

 
Belloisens Lebenslauf.
Dies ist eine Skizze von der Dichterin Lebenslauf,
und deshalb hier eingerückt.

[vgl. dazu die Briefe an Sulzer]

Ich ward geboren ohne feierliche Bitte
Des Kirchspiels, ohne Priesterflehn
Hab ich in strohbedeckter Hütte
Das erste Tageslicht gesehn,
5
Wuchs unter Lämmerchen und Tauben
Und Ziegen bis ins fünfte Jahr,
Und lernt' an einen Schöpfer glauben,
Weil's Morgenroth so lieblich war,
So grün der Wald, so bunt die Wiesen,
10
So klar und silberschön der Bach.
Die Lerche sang für Belloisen,
Und Belloise sang ihr nach.
Die Nachtigall in Elsensträuchen
Erhub ihr süßes Lied, und ich
15
Wünscht ihr im Tone schon zu gleichen.
Hier fand ein alter Vetter mich
Und sagte: du sollst mit mir gehen.
Ich ging und lernte bald bei ihn
Die Bücher lesen und verstehen,
20
Die unsern Sinn zum Himmel ziehn.
Vier Sommer und vier Winter flogen
Zu sehr beflügelt uns vorbei;
Des Vetters Arm ward ich entzogen
Zu einer Bruderwiege neu.
25
Als ich den Bruder groß getragen,
Trieb ich drei Rinder auf die Flur,
Und pries in meinen Hirtentagen
Vergnügt die Schönheit der Natur,
Ward früh ins Ehejoch gespannet,
30
Trugs zweimal nach einander schwer,
Und hätte mich wol nicht ermannet,
Wenn's nicht den Musen eigen wär,
Im Unglück und in bittern Stunden
Dem beizustehn, der ihre Huld
35
Vor der Geburt schon hat empfunden.
Sie gaben mir Muth und Geduld,
Und lehreten mich Lieder dichten,
Mit kleinen Kindern auf dem Schooß.
Bei Weib- und Magd- und Mutterpflichten,
40
Bei manchem Kummer, schwer und groß,
Sang ich den König und die Schlachten,
Die Ihm und seiner Heldenschaar
Unsterblichgrüne Kränze brachten,
Und hatte noch manch saures Jahr,
45
Eh frei von andrer Pflichten Drang
Mir Tage wurden zu Gesang!

 
An Lehnchen R**
über einen Zuckermann.
1773.

Lehnchen, dieser Zuckermann
War ein Mensch, wie andre Leute,
Der auf Liebsgeschichten sann -
Und sich auf ein Mädchen freute,
5
Hübsch und niedlich von Gestalt;
Aber ach! Er war schon alt,
War schon ziemlich steif an Füßen,
Und es war zur Winterszeit,
Wo das Eis von Wassergüssen,
10
Ueber Nacht sehr oft verschneyt,
Trüglich ist, und Ursach giebet,
Daß der Klügste wankt und fällt;
Also ging es unsrem Held,
Der zum Sterben war verliebet,
15
Voll Gedanken und voll Trieb,
Seine Schöne bald zu grüßen,
Und das Herzchen aufzuschließen,
Das ihm noch verschlossen blieb;
Voller Hoffnung trippelt er
20
Auf der Straße, glatt wie Spiegel,
Glitschte schnell, und stürzte schwer,
Wie ein Baum ins Thal vom Hügel.
Amor schlug mit seinem Flügel
Dreymal über ihn zum Spott,
25
Weil er einen Arm zerknickte;
Dreimal sprach der kleine Gott,
Daß der alte Buntgeschmückte
Sich zu keinem Mädchen schickte,
Und daß er zu seiner Schmach
30
Auf dem Eise muste wallen,
Niederfiel, und sich im Fallen
Einen Arm zerbrach.

 
Eine Romanze.

Bei Reichenberg, nach Friedrichs Sieg,
Besah mein Freund mit Klagen
Die Menschen, die der böse Krieg
Gottsjämmerlich erschlagen.
5
Dort lag ein Kopf - hier Arm und Bein,
Erbärmlich anzuschauen.
Ich bilde mir dies Schlachtfeld ein
Und mir fängt an zu grauen.

Ein Korporal aus Habspurgs Heer
10
Lag unter tausend Leichen,
Sein Körper, groß und stark und schwer,
Zerfezt von Säbelstreichen,
War hingefallen in der Schlacht.
Ihm lag nach guter Beute,
15
Die irgend ein Husar gemacht,
Noch ein Papier, zur Seite.

Mein Freund neugierig, was das sey,
Hubs auf mit seinem Degen,
Zogs an der Spitze schnell herbei,
20
Und fings an zu zerlegen;
Da rasselte nun das Papier,
Und er ward Schrecken voller,
Als selbst im Treffen, denn das Thier,
Sein Pferd, bekam den Koller.

25
Papier und Degen fiel im Sand,
Er durfte nicht versäumen,
Dies wilde Pferd mit rascher Hand
Zu zügeln und zu zäumen;
Doch Zaum und Zügel thatens nicht,
30
Hätt er nicht sanft gesprochen,
Wie er mit mir zuweilen spricht,
Hätts ihm den Hals gebrochen -

Jezt lenkt ers wieder um, und nahm
Ganz still Papier und Degen;
35
Las nicht, bis er ins Feldhaus kam,
Da wollt er wunderswegen
Erfahren, was geschrieben wär,
Da fand sichs auf dem Blatte,
Daß es ein Mädchen wehmuthsschwer
40
Aus Wien geschrieben hatte.

Viel schöne Namen waren hier
In süßem Liebsgeschwätze;
Es ward erzählt, wie vielmal ihr
Ein Traum das Herz ergötze,
45
Wie vielmal sich auch Furcht und Pein
In ihre Brust ergossen,
Es müsten wol Gespenster seyn,
Ward jeder Vers geschlossen.

Nun lößte sich das Räthsel auf,
50
Warum der Fuß des Thieres
Davon gerannt, im Flügellauf,
Beim Rasseln des Papieres;
Der Geist vom armen Korporal
Wird da gespucket haben,
55
Weil er gewollt man sollt einmal
Dies Blättchen mit begraben.

 
Die Wassersnoth
bei Frankfurth an der Oder

27. April 1785.

Vom Gebirge strömte das Verderben -
Ins Gefilde weit und breit,
Saat und Blumenkeime wollten sterben
Unterm Wasserwogenstreit,
5
Zarte Lämmer, junge Busenkinder
Heischten Rettung aus der Fluth -
Hungerleiden brüllten magre Rinder,
Die des Landmanns einzig Gut
In der niedern Armuthhütte waren,
10
Größer schien die Wassersnoth
Als ein Feldzug fremder Kriegesschaaren,
Der mit Schwerd und Feuer droht
Und mit Plünderung dem platten Lande,
Das sein Rauschen hört und zagt,
15
Wenn der Zug vom äußern Gränzenrande
Schrecken vor sich hergejagt -
Jenem Waffenrasseln widerstehet
Heldenklugheit, Heldenmuth;
Aber wenn sich fürchterlich erhöhet
20
Ausgetretner Ströme Wuth,
Kann der König selber nicht gebieten,
Der mit siegesreicher Hand
Sieben Jahre lang dem Waffenwüten
Vieler Feinde widerstand.
25
Rettung nur war möglich, war zu wagen,
Und wenn sie gelang, alsdann
War kein Dichter stark genug, zu sagen
Wonne, die der Held gewann.

Leopold, ein junger, Menschenlieber
30
Guelfensohn, hat es gewagt -
Menschlich Mitleid riß ihn mächtig über
Alle Warnung laut gesagt.
Ueber alle Todesfurcht erhaben,
Sprang er in den Kahn, und sprach:
35
«Rudert rüstig fort, ihr Schifferknaben,
Folgt der Jammerstimme nach,
Die so kläglich Hülfe fodert drüben,
Hört die Todesangst und eilt!
Schon zu lange seyd ihr kalt geblieben,
40
Habt zu lange schon geweilt,
Habt nur hier die Wellen angegaffet,
Die der Brücke Halbtheil schon
Angegriffen und hinweggerasset -
Fürchtet nicht dies Wasserdrohn,
45
Ich bin Mensch, wie ihr zur Welt gekommen,
Wagt doch, was ich wagen kann,
Seht, da wo die Häuser weggeschwommen,
Kommts auf Menschenrettung an -»

Also sprach der Fürstensohn und brannte
50
Von Begierde, da zu seyn,
Wo sich zu dem Sturmgebieter wandte
Nothgedrängter Menschen Schreyn.
Bald hinüber war die Fahrt gelungen,
Als ein Windstoß sie ergriff,
55
Ach, von einer Welle Wuth gedrungen,
Scheiterte das kleine Schiff
An der Wurzel einer alten Weide
Und die wilde Fluth verschlang
Frankfurts Stolz und Ruhm und Augenfreude!
60
Mit dem Wassertode rang
Leopold nur wenige Minuten.
Seine Seele stieg empor
Schöner als durch vieler Wunden Bluten
In der Heldenseelen Chor -
65
Und die Bürger und die Musensöhne
Und die Kriegesmänner all
Klagen Ihn, und ihre Klagetöne
Wiederholt der Wiederhall,
Daß es alle Lüfte hören müssen,
70
Und ein Künstler groß und mild16
Macht der Folgezeit die That zu wissen
Durch der Thatbeginnungs-Bild.

 
Das beständige Einerlei.
1759.

Aspan, ein Edelmann, gewohnt zum Zeitvertreib,
Verirrte dann und wann sich zu des Dieners Weib,
Denn sie war jung und schön - Wie? Was trieb denn Aspanen
Zu Weibern seiner Unterthanen?
5
Hat er denn selbst kein Weib? Ja, er hat eine Frau;
Doch welcher Mensch wird alt und grau,
Ohn' mehr als einerlei von Speise zu genießen?
Wer kann denn ewig nur auf Einem Munde küssen?
Zum wenigsten kann dieses nicht Aspan.
10
Einst trift sein Diener ihn bei seinem Weibe an:
Herr! spricht er, sagt mir doch, was euch zu Andern treibet,
Warum ihr mit dem Kuß bei eurer Frau nicht bleibet?
Der Edelmann lacht laut und spricht: du bist ein Thor,
Ein neuer Kuß kommt uns wie neue Speise vor,
15
Der Wechsel ist gewiß das schönste Ding auf Erden,
Denn immer einerlei muß uns zum Ekel werden.
Hans hört es an und schüttelt mit dem Kopf,
Denn Hanns der war ein dummer Tropf.
Sein Herr war listig und verschlagen,
20
Er heißt dem Koch, zu Hannsens Mittagsmahl
Die besten Aalpasteten tragen.
Das Essen war für Hannsens Wahl,
Er aß sein Tage nicht vom Aal;
Das Ding war ihm so neu, wie alle neue Dinger.
25
Genug er ißt und leckt die Finger. *)
Der Koch trägts wieder auf den andern, dritten Tag.
So lange bis es Hanns gar nicht mehr essen mag.
Er sitzt und stochert mit dem Messer:
Wo blieb nun der Pastetenesser?
30
Sein Herr tritt hinter ihn und spricht
Und frägt: wie ists, Hanns! schmeckt die Aalpastete nicht?
O! spricht der gute Hans mit ziemlichem Erröthen,
Wer Henker ißt denn gern nur immer Aalpasteten?
Man sehnt sich auch einmal nach Fleisch und Zugemüß!
35
Ho ho! spricht Hannsens Herr, Veränderung ist süß;
Wie du nicht jeden Tag magst Aalpastet genießen,
So mag auch ich mein Weib nicht alle Tage küssen.
Hanns hängt den Kopf, schämt sich und schweigt,
Und krazt sich hinter beiden Ohren,
40
Ganz von der Wahrheit überzeugt,
Daß wir zum Wechsel sind geboren!
 
*)
Wen hier ekeln sollte, der bedenke, daß es Hanns ist.